Kapitel 10

Am Freitag sagte mir Jim, daß seine Frau ihm davon abgeraten hatte, mich weiterhin zu fahren, da offenbar ein böser Fluch auf mir laste. Durch unsere Verspätung am Mittwoch war ihr das Risotto verbrutzelt.

Jim und ich kamen jedoch zu einer gegenseitigen Übereinkunft, die wir mit Handschlag besiegelten. Er würde mich fahren, wenn ich ihn zu meinem Schutz brauchte, und zwar ohne Radio, aber für das doppelte Geld.

Als wir diese kleinen Startschwierigkeiten überwunden hatten, fuhr er Tom, mich und die Hunde gutgelaunt nach Taunton und hielt im Halteverbot vor dem Bahnhof an. Zu spät fiel mir ein, daß die Züge werktags anders fuhren als sonntags, so daß»mein «Zug schon durch war und Victor umsonst gewartet hatte.

Er war nicht auf dem Bahnsteig.

Ich sagte Tom Bescheid, der versprach, auf mich zu warten, dann lief ich die Straße hinunter, bis 19 Lorna Terrace in Sicht kam. Kein Victor. Zurück zum Bahnhof — und dort fand ich den schmalen, nervösen Jungen im Wartesaal.

Er sah verfroren und gestreßt aus, als er aufstand, und meine Ankunft genügte nicht, um ihn zum Lächeln zu bringen. Auf der Fahrt hatte ich einige Zeit damit verbracht, Victor in jedes Ereignis einzufügen, dem Maske Nummer vier beigewohnt haben könnte, aber offenbar lagen mir diese Gleichungen längst nicht so wie George

Lawson-Young, zumindest gingen sie mit Victor als der Unbekannten einfach nicht auf.

«Ich habe mich verspätet, weil ich nicht mit der Bahn gekommen bin«, erklärte ich kurz.»Was ist los?«

«Ich möchte…«Er hörte sich so verzweifelt an, wie er aussah. Er setzte neu an.»Tante Rose ist bei uns eingezogen. Ich hasse sie. Ich kann sie nicht ausstehen, und Mum redet nur mit mir, wenn ich auf Tante Rose höre, so eine Angst hat sie vor ihr. Und wenn Dad rauskommt, läßt er sich hier nicht blicken, solange sie da ist. Das weiß ich genau, aber was soll ich denn machen? Wo soll ich denn hin? Außer Ihnen kenn ich keinen, den ich fragen kann, und das ist zum Heulen, wenn ich an Ihr Gesicht denke…«

«Hast du’s bei deinem Großvater versucht?«

«Der hat eine Scheißangst vor Tante Rose«, erwiderte Victor verzagt.»Schlimmer als Mum.«

«Vorigen Sonntag…«, setzte ich an, und er unterbrach mich.

«Das tut mir leid. Mit Ihrem Gesicht, das tut mir echt leid. Ich dachte schon, Sie würden heute nicht kommen — Sie wären nicht gekommen.«

«Vergiß vorigen Sonntag«, sagte ich.»Konzentrier dich mal auf Adam Force.«

«Der ist großartig«, meinte Victor ohne Überzeugung und ergänzte dann stirnrunzelnd:»Das sagen alle. Er hat ein paarmal meinen Computer benutzt. So bin ich an seinen Brief gekommen. Er dachte, er hätte die Datei gelöscht, aber sie war noch im Zwischenspeicher.«

Das erklärte vieles.

«Wie lange kennt er deine Tante Rose schon?«fragte ich, und diesmal bekam ich eine Antwort.

«Ungefähr so lange, wie er Mum kennt. Ein paar Monate also. Mum hat so eine Busfahrt zu seiner Klinik mitgemacht, und er hat sich in sie verguckt. Ein richtig cooler Typ, dachte ich. Er kam immer zu ihr, wenn Dad auf der Arbeit war. Aber Tante Rose kriegte das spitz, und was macht sie? Sie flitzt zu dem Hotel, wo Dad arbeitet, und sagt, wenn er sich beeilt, kann er die beiden in flagranti in seinem eigenen Bett ertappen. Dr. Force ist schon weg, als Dad heimkommt, aber Mum bezieht fürchterlich Prügel, Dad bricht ihr das Nasenbein und fünf, sechs Rippen und was weiß ich, und Tante Rose geht zur Polizei und zeigt Dad an. Er kommt für ein Jahr hinter Gitter. Und vorigen Sonntag«, sagte er unglücklich,»da geht Tante Rose hin und schnappt Mum Adam Force weg, das hatte sie wahrscheinlich von Anfang an vorgehabt, und jetzt hört er auf sie, und so komisch es klingt, ich würde sagen, sie schlägt ihn ziemlich oft und ziemlich heftig, und trotzdem küssen sie sich hinterher.«

Er hörte sich verwirrt an, und ich dachte bei mir, daß Worthington ihm wohl einiges hätte erklären können. Der väterliche Worthington, weltgewandt und zuverlässig, ein patenter Kerl, konnte schlicht und einfach nicht Maske Nummer vier sein. Und Victor? Victor sicher auch nicht, obwohl Maske Nummer vier kein solcher Schrank wie Worthington gewesen war, sondern eher schlank und geschmeidig wie Victor. Aber es konnte nicht sein, daß Victor mich erst getreten hatte und mich jetzt um Hilfe bat.

Nicht Victor, nicht Worthington, aber wie stand es mit Gina?

War sie kräftig genug? Ich wußte es nicht genau und kam zögernd zu dem Schluß, daß ich es herausfinden mußte. Ich hatte fast die ganze Auswahl an Sackgassen durchprobiert und niemanden gefunden, der als die Unbekannte x in Frage kam. Dabei hatte es doch einen vierten maskierten Angreifer gegeben. Ich hatte die Hände gespürt. Die Schläge gespürt. Ich hatte die Augen hinter der Maske gesehen. Schwarzmaske vier gab es.

Dem Professor zufolge mußte es eine Frage geben, die ich nicht stellte, und solange ich die richtige Frage nicht stellte, konnte ich nicht erwarten, die richtige Antwort zu bekommen. Aber wie lautete die richtige Frage? Und wem sollte ich sie stellen?

Mit einem stillen Seufzer führte ich Victor aus dem Bahnhofsgebäude und brachte ihn wieder zu Tom und seinen drei schwarzen Vierbeinern, worüber er sich offensichtlich freute. Er sagte Tom, der Sonntag, den wir im Moor verbracht hatten, sei für ihn einer der schönsten Tage überhaupt gewesen. Jedenfalls bis seine Tante Rose ihn kaputtgemacht habe.

Er spielte mit den Hunden, die offenbar auch gutgelaunt waren, und unterhielt sich statt mit uns mit ihnen weiter.

«Man kann bestimmt auch heute noch ausreißen und Seemann werden«, hörten ihn die schwarzen Ohren sagen.

«Ich werde mal zu Victors Mutter gehen«, meinte ich nach einer Weile,»und wenn sie da ist, frage ich sie, ob er das Wochenende mit uns verbringen darf.«

«Ich mach das«, wandte Tom ein.

«Wir gehen beide«, sagte ich, und Victors Befürchtungen konnten uns nicht zurückhalten: Wir ließen ihn bei Jim, nahmen die Hunde mit und klopften an die notdürftig reparierte Haustür von 19 Lorna Terrace.

Gina Verity kam nachsehen und wollte uns die ausgebesserte Tür vor der Nase wieder zuschlagen. Toms schwerer Stiefel war dazwischen.

In den fünf Tagen seit dem vergangenen Sonntag hatte Gina Verity ihr gutes Aussehen, ihre Gelassenheit und ihr Selbstvertrauen eingebüßt.

Sie starrte auf mein zerschnittenes, abheilendes Kinn, als wäre das der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen brachte.

«Kommen Sie bitte rein«, sagte sie hilflos, und mit hängenden Schultern führte sie mich durch den schon bekannten Flur zur Küche. Wieder setzten wir uns an den Tisch.

Tom und die Hunde standen vor dem Haus Wache, da Gina nicht wußte, wann ihre Schwester oder Adam Force zurückkamen.

«Ich würde Victor gern fürs Wochenende zu mir einladen«, sagte ich.

Gina zündete sich wie gehabt eine Zigarette an der anderen an.»Gut«, gab sie dumpf ihr Einverständnis.»Dann holen Sie ihn von der Schule ab. «Ihr kam ein Gedanke.»Aber daß Rose nichts davon merkt — sie würde das bestimmt nicht zulassen.«

Die Finger an Ginas linker Hand waren vom Nikotin fast braun verfärbt. Die Finger der rechten Hand waren weiß. Ich beugte mich vor und hob erst ihre rechte, dann ihre linke Hand an und ließ sie sanft wieder sinken. Die Arme waren kraftlos, ohne Energie. Gina war zu apathisch, um sich zu wehren, sie sah nur selbst von der einen zur anderen Hand und sagte:»Was ist denn?«

Ich gab keine Antwort. Die linke Hand von Maske Nummer vier war nicht so quittengelb gewesen, auch nicht unter der Straßenbeleuchtung und in Großaufnahme, oder besser gesagt beim Zuschlagen. Die kräftigen Arme von Maske Nummer vier hatten einem Mann gehört.

Gina war nicht Maske Nummer vier gewesen. Das stand mit Sicherheit fest.

Zeit zu gehen.

Draußen vor dem Haus stimmten die Hunde ein Jaulen, Knurren und Bellen an, das in seiner Signalwirkung mei-nem Warnpfiff entsprach, denn Toms Hunde gaben nur dann Laut, wenn er es wollte.

Gina stand sofort auf und wich mit unverkennbar angstgeweiteten Augen vom Tisch zurück.»Das ist Rose«, sagte sie.»Sie ist wieder da. Die bringt Hunde immer zum Bellen. Sie mögen sie nicht. Wenn Rose naht, sträubt sich ihnen das Fell.«

Und mir die Nackenhaare, dachte ich. Die laut bellenden Hunde gaben Gina recht.

«Gehen Sie«, forderte sie mich mit belegter Stimme auf.

«Hinten raus — durch den Hinterhof auf die Gasse. Los, schnell. Beeilen Sie sich. «Es ging ihr ebensosehr um die eigene Sicherheit wie um meine.

Es wäre vielleicht klug gewesen zu gehen, aber von der Devise, daß nur der, der kämpft und zeitig flieht, einen neuen Kampf bestehen kann, hatte ich noch nie viel gehalten. Vor Rose fliehen? Dreimal war ich ihr ja schon durch die Lappen gegangen, und einmal Adam Force. Bei so viel Glück, dachte ich, kam ich vielleicht noch ein wenig länger ungeschoren davon.

Ich schob meinen Stuhl zurück und legte ein Bein über das andere, blieb aber am Tisch sitzen, als die zielbewußten Schritte durch den Flur kamen.

Es war nicht Rose allein, bei ihr war Adam Force. Rose hatte Tom und seine Freunde erkannt, aber der Arzt konzentrierte seine ganzen negativen Gefühle auf mich. Vor zwei Tagen hatte er vorgehabt, mir Insulin zu spritzen und mich als Opfer eines Unfalls mit Fahrerflucht sterben zu lassen, doch der Plan war gescheitert. Mich jetzt in diesem Haus zu sehen raubte ihm die Fassung.

Rose war interessanterweise so schnell aufgeblüht, wie Gina gewelkt war. Ihre trockene Haut und ihr sprödes Haar schienen geschmeidig geworden zu sein, und sie strahlte vor Glück, einem Glück, das ich nach Victors Erzählungen nur auf befriedigenden Sex zurückführen konnte.

Adam Force mochte immer noch gutaussehend und charmant sein, aber in meinen Augen war er ein Betrüger, der sich sein eigenes Grab schaufelte. Wenn er die gestohlenen Informationen aus Professor Lawson-Youngs Labor noch irgendwo auf Band hatte, würde sich Rose dieses Band unter den Nagel reißen. Rose schnappte sich alles, was sie haben wollte, ob Mann, Videoband oder Macht.

Rose war definitiv eine der Schwarzmasken gewesen, Adam Force aber nicht. Er hatte mich nicht gekannt, als ich in Phoenix House auftauchte.

Ich stand auf und sagte lässig:»So was wie letzten Sonntag gibt es heute nicht. Ich wollte zwar hauptsächlich Gina sprechen, aber ich habe auch eine Nachricht für Rose.«

Zu meiner Verwunderung waren sie ganz Ohr.

Ich sagte:»Der vierte von eurer maskierten Bande hat mir ein Lied gesungen.«

Die Möglichkeit, es könnte etwas Wahres daran sein, nagelte Rose immerhin so lange an ihrem Platz fest, daß ich durch den Flur hinausgehen und mich in den Schutz der Dobermänner begeben konnte. Tom setzte sich in Bewegung und ging mit hochgezogenen Brauen im Gleichschritt mit mir zur Straße, und niemand kam hinter uns her, als wir um die Ecke bogen und mit den Hunden als Nachhut zum Bahnhof zurückkehrten.

«Wie sind Sie denn da heil rausgekommen?«fragte Tom.

«Ich war sicher, Sie würden pfeifen.«

«Ich habe sie angelogen.«

Er lachte. Aber es war nicht zum Lachen gewesen. Der abschätzende Blick, mit dem Adam Force mich von Kopf bis Fuß gemustert hatte, war mir vorgekommen, als berechnete er die Gesamtmenge an Gift, die bei soundso viel Kilo Körpergewicht nötig war, um mich zu beseitigen. Eine letale Dosis Insulin… eine Spritze zur Abschrek-kung, eine Flasche Cyclopropan, ein Vorspiel zu irgendeiner todbringenden Injektion. Rose schlug im Affekt zu, aber Adam Force war ein Mann, der vorsätzlich tötete.

In einer normalen Küche konnte Rose zwar jederzeit zum Messer greifen, aber Adam Force würde dort kein Gift finden, die Waffe seiner Wahl. Da konnte er lange suchen.

Ich hatte im Hinausgehen einen großen Bogen um Rose gemacht, aber der weiße Bart und die orangen Socken, die Liebenswürdigkeit und die Phoenix-House-Apotheke, die Gier nach einer Million und der Glaube an die eigene Unfehlbarkeit, das waren auf lange Sicht die Gefahren, die ich am meisten zu fürchten hatte.

Zwei verschiedene Videokassetten waren verschwunden, und beide hatte ich einmal in meiner Obhut gehabt. Hatte Rose jetzt das Video über die Kette? Besaß Force noch die Informationen zur Krebsforschung, die er gestohlen hatte? Möglicherweise war die Antwort einmal ja und einmal nein, aber wie zum Teufel sollte ich das herausfinden?

Auf dem Rückweg nach Broadway fuhren wir über Cheltenham, um Kenneth Trubshaw einen Besuch abzustatten, dem Mann von der Rennplanungskommission, der mir auf Jims Autotelefon gesagt hatte, er sei zu Hause. Etwas überrascht, wie viele wir waren, bat er meine Gefährten dennoch gastfreundlich in die warme Küche, setzte ihnen eine große Dose Kekse vor und komplimentierte mich allein in sein viel kälteres Wohnzimmer. Es war ein großer, nach Norden gehender Raum mit grauem Licht und grü-nem Teppichboden, eine Farbkombination, die mir aufs Gemüt drückte.

Ich gab ihm das Portfolio, das ich ihm zur Ansicht mitgebracht hatte, einen Überblick über meine Arbeit aus rund zwölf Jahren, dokumentiert in einer Reihe großformatiger Hochglanzfotos.

Die Stücke unverändert nachzubauen komme zwar nicht in Frage, sagte ich, aber wenn ihm welche gefielen, könne ich sehr wohl noch einmal etwas Ähnliches entwerfen.

Er legte das Portfolio auf den großen Tisch, schlug es auf und blätterte es langsam durch. Mir lag ziemlich viel daran, daß ihm wenigstens einige Sachen zusagten, merkte ich, auch wenn sich die Hälfte davon nicht direkt als Rennpreis empfahl. Allerdings waren in jüngerer Zeit schon Ehrenpreise in Gestalt sehr ausgefallener Glaskrüge kreiert worden. Der Phantasie waren heutzutage kaum Grenzen gesetzt.

Trubshaw sah das ganze Portfolio durch. Dann klappte er es zu meiner großen Enttäuschung zu und teilte mir mit einem viel zu strengen Zug um den Mund sein Urteil mit.

«Wenn Sie mir das Buch ausleihen, lege ich es unserer Kommission vor, die morgen wieder zusammentritt. Ich weiß, die liebe Marigold will Taten sehen. Ich werde sie anrufen, wenn die Entscheidung gefallen ist.«

Verdammt noch mal, dachte ich. Was für ein Gesicht machte der Mann denn, wenn er etwas rundweg ablehnte?

Er sagte:»Ich wäre für das springende Pferd. Könnten Sie so etwas noch mal machen? Und dann müßte ich wissen, wie hoch und wie schwer es insgesamt wird. Das auf dem Foto sieht aus, als wäre es zu groß.«

«Die Größe können Sie frei wählen«, versprach ich und sagte ihm, daß die Skulptur auf dem Foto einem Herrn von der Rennleitung in Leicester und seiner Frau gehörte.

Während Kenneth Trubshaw seine Überraschung zum Ausdruck brachte, rief ich mir, so gut ich konnte, noch einmal die Szene dort auf dem Balkon der Rennleitung in Erinnerung, das Gespräch, bei dem Lloyd Baxter mir zum ersten Mal von dem weißbärtigen Mann erzählte, der sich mit meinem Geld und dem so weit herumgekommenen Videoband davongestohlen hatte.

Lloyd Baxter mit seiner Epilepsie konnte nicht die Unbekannte x sein. Er hatte weder die Statur noch die Beweglichkeit von Maske Nummer vier.

Kenneth Trubshaw legte seine Hand auf das Portfolio und fragte nachdenklich:»Könnten Sie das nötige Gold einarbeiten, damit Marigold zufrieden ist?«

«Ja. Beliebig viel.«

«Ehm… wie geht das? Und, na ja… kann man das überhaupt bezahlen?«

«Es ist nicht allzu teuer.«

Kenneth Trubshaw und seine Kommission hatten triftige Gründe, sich für die Kostenfrage zu interessieren, doch er zögerte merklich, bevor er mich Platz zu nehmen bat, sich auch selbst hinsetzte und sagte:»Ich weiß nicht, wie weit Sie mit den Hintergründen und den Feinheiten der Rennsportpolitik vertraut sind. Damit meine ich jetzt nicht die Leistungen der Pferde oder Spekulationen über ihre Form. Ich meine etwa die Frage, ob die Kosten für einen Ehrenpreis vom Preisgeld abgezogen werden sollten, wie es bis vor kurzem Usus war. Der Ehrenpreis wird deshalb von vielen Besitzern zurückgewiesen, da sie lieber den Geldpreis in voller Höhe ausgezahlt bekommen möchten. Es gibt aber auch die Weisung, in jedem Fall sowohl den Geldpreis als auch den Ehrenpreis zu überreichen. Fragen Sie doch bitte Marigold, ob sie den Preis selbst stiften möchte oder ob der Rennverein dafür aufkommen soll.

Weisen Sie sie ruhig auf die beiden Lager hin, die es da gibt. «Er war nicht stolz darauf, das Problem so auf mich abgewälzt zu haben, und schwieg.

«Na gut«, sagte ich,»aber erwarten Sie nicht, daß Marigold das entscheidet. Sie ist großartig, aber die wirklich wichtigen Entscheidungen im Leben überläßt sie ihrem Chauffeur.«

«Das ist nicht Ihr Ernst!«

«Aber selbstverständlich. Worthington, ihr Chauffeur, ist zehnmal sein Gewicht in Kristall wert.«

Kenneth Trubshaw mußte das erst einmal verarbeiten und kam dann rasch auf die weniger diffizile Kostenfrage zurück:»Die Kette, die Marigold gern hätte, ist sehr teuer, nicht wahr?«

Ich nickte.»Sehr. Und wenn man diese Kette zur Schau stellt, lockt man Diebe an. Sie ist mit echtem, massivem Gold gearbeitet.«

«Ist massives Gold denn nicht immer echt?«Er sah verwirrt drein.

«Nun, Sie können Glas mit achtzehnkarätigem Glanzgold bemalen, das ist eine Legierung, die zu einem Viertel aus anderen Metallen besteht. Die Verzierungen, die nachher golden sein sollen, werden auf das heiße Glas aufgetragen. Dann wird das Ganze noch einmal aufgetempert, also erwärmt, aber nur auf 540 Grad, um das Dekor einzubrennen, und nach dem zweiten Abkühlen ist das Gold dann völlig mit dem Glas verbunden und sieht wie massives Gold aus, auch wenn es keins ist.«

Kenneth Trubshaw war fasziniert, wollte aber nicht knausrig erscheinen.»Wenn schon Gold, dann reines«, sagte er.»Es soll Marigold ja auch gefallen. Das heißt, wenn wir uns für etwas in der Richtung entscheiden.«

Ich stimmte ihm unverbindlich zu.

«Mit welcher Figur in dem Buch hatten Sie denn die meiste Arbeit?«fragte er neugierig.

«Am schwierigsten war die Kristallkugel.«

Das überraschte ihn wie die meisten Leute. Er dachte, eine Kristallkugel, ob zum Hellsehen oder nicht, brauchte man nur aufzublasen wie einen Luftballon.

«Nein«, sagte ich.»Das ist massives Glas. Und es ist ungemein schwierig, eine vollkommen runde, große Glaskugel so zu machen, daß sich keine Luftblasen bilden, wenn sie im Kühlofen steht.«

Er wollte Näheres über den Kühlvorgang wissen, und als ich ihm den erläutert hatte, fragte er:»Könnten Sie auch ein Pferd machen, das von einer Kristallkugel abspringt?«

Ich nickte.»Das wäre nicht einfach, und es würde ein ziemliches Gewicht bekommen, aber es wäre schon etwas Besonderes.«

Er überlegte eine Weile, trat an eins der hohen Schiebefenster und sah auf seinen winterlich stillen Garten hinaus.

«Könnten Sie uns Entwürfe zur Auswahl vorlegen, wenn wir uns entschließen, Ihnen den Auftrag zu geben?«

«Ja«, sagte ich,»das ginge. Aber wahrscheinlich werde ich dann Modelle aus Glas anfertigen. Das liegt mir eher. Glas an sich ist ja nicht teuer, und wenn Ihnen die Sachen nicht gefallen, verkaufe ich sie eben im Geschäft.«

Er lächelte ironisch über meinen Krämergeist. Ich rechnete mir eine kaum mehr als fünfzigprozentige Chance aus.

Kenneth Trubshaw holte meine Mannschaft aus der Küche und ließ sie in seinem elegant gestreiften viktorianischen Flur antreten. Dann betrachtete er sie eingehend. Ich folgte seinem Blick und auch seinen Gedanken: ein pummeliger Fahrer in einem verknitterten grauen Anzug, ein magerer, nervöser Junge, ein kraftvoller, verwegen wirkender Mann mit einem spitzen schwarzen Kinnbärtchen und drei große Dobermannpinscher mit wachsamen Augen und Ungewissen Launen.

«Die Herrschaften sind mein Stacheldrahtzaun«, sagte ich lächelnd zu Kenneth Trubshaw.»Da darf man nicht erwarten, daß sie auch noch hübsch sind.«

Er warf mir einen Blick zu und sagte:»Ihnen und Marigold geht es um mehr als nur um den Entwurf, den Erwerb und die Stiftung eines tollen Ehrenpreises, den der Sieger eines Rennens zum Gedenken an Martin Stukely erhalten soll. «Er verbesserte sich.»Das heißt, der wundervollen Marigold geht es darum, aber Sie wollen mehr.«

Er ließ meine Leute hinaus. Tom Pigeon verneigte sich tief, aber mit einem spöttischen Funkeln in den Augen, das die Geste ironisierte. Seine Hunde drängten sich artig bei Fuß, und Kenneth gewann ein für allemal Toms Wertschätzung, indem er den Bückling erwiderte.

Dann legte mir Trubshaw erneut die Hand auf den Arm und hielt mich zurück, während die anderen zum Wagen gingen.»Martin Stukelys Witwe ahnt vielleicht gar nicht, daß sein guter Ruf jetzt in Gefahr ist«, sagte er.»Marigold weiß es bestimmt nicht und das Rennsportpublikum und die Sportpresse zum Glück ebensowenig. Aber Sie wissen es, oder? Ich habe es Ihnen angesehen, als Marigold so begeistert von einem Rennen zur Erinnerung an ihn gesprochen hat. Sie möchten seinen Namen erst reinwaschen, nicht wahr?«

Es kam für mich völlig überraschend, daß außer mir noch jemand an die Möglichkeit gedacht hatte, Martin könnte wissentlich unehrenhaft gehandelt haben.

Da war die leidige Fotokopie seines Briefes an Force, auf die ich bei der Durchsicht der Unterlagen im Geheimfach seines Schreibtisches gestoßen war. Einiges aus diesem kurzen Brief war mir seither immer wieder durch den Kopf gegangen.

«… Ihre Formeln und Methoden… Nehmen Sie alles auf Video auf. und geben Sie mir die Kassette beim Pferderennen in Cheltenham.«

Martin hatte genau gewußt, was auf dieser Kassette war. Hatte er womöglich von Anfang an gewußt, daß die Formeln und Methoden gestohlen waren? Der freundliche George Lawson-Young war fest überzeugt gewesen, Martin habe trotz seiner Verbindung zu Force niemals etwas Unrechtes getan. Dennoch waren mir schreckliche Zweifel gekommen, und es gefiel mir nicht, feststellen zu müssen, daß sie auch in Cheltenham bestanden.

In einem leichten Ton, der meinen Gefühlen nicht ganz entsprach, sagte ich zu dem Vorsitzenden der Rennplanungskommission:»Wie darf ich das bitte verstehen?«

Kurz und trocken erklärte er es mir:»Wie ich hörte, war Martin Stukely am Tag, als er starb, im Besitz einer Videokassette mit geheimen medizinischen Erkenntnissen von praktisch unschätzbarem Wert. Diese Erkenntnisse hatte ein Dr. Force gestohlen, mit dem Martin seit einiger Zeit bekannt war. Sie selbst sollten die Kassette versteckt halten.«

Ich atmete tief durch und fragte ihn, wer ihm das alles erzählt habe.

«In Cheltenham sind alle möglichen Leute von Privatdetektiven befragt worden, die für das geschädigte Labor ermitteln. «Er sah mich neugierig an.»Und von Marigold hörte ich, daß Sie vor Ihrem eigenen Geschäft von einer Schlägerbande überfallen worden sind. Die Buchmacher wiederum haben gehört, daß Rose Payne dahintersteckt, die Tochter des Jockeydieners Payne, die sowieso in dem Ruf steht, gewalttätig zu sein. Einer der Buchmacher, ein gewisser Norman Osprey, der ein bißchen wie Elvis Presley aussieht, hat damit geprahlt, wie sie mit Ihnen umgesprungen sind. Anscheinend haben Sie trotzdem keine Videos herausgerückt.«

Er wartete auf meine Stellungnahme, aber ich hatte dem wenig hinzuzufügen.

Er lächelte.»Der Jockeydiener dachte anscheinend, er hätte Ihnen eine Videokassette gegeben, die Sie selbst aufgenommen hatten, mit einem Lehrfilm über die getreue Nachbildung einer einzigartigen antiken Halskette. Offenbar hatten sämtliche Jockeys und eben auch Ed Payne sowohl die Kette wie auch das Video mit der Do-it-yourself-Anleitung in der Jockeystube gesehen. Ed Payne erzählte dann seiner Tochter Rose, er habe Ihnen die Kassette gegeben, und Rose hat sich, um da ranzukommen, jede Kassette geschnappt, die sie kriegen konnte, und dafür sogar die Familie von Martin Stukely mit Gas betäubt.«

«Rose selbst?«fragte ich.

Kenneth Trubshaw wußte es nicht. Seine Informationen, sagte er, reichten nur bis dahin; er könne allenfalls hinzufügen, daß Martin Stukely nach Ansicht der Rennleitung von Cheltenham gewußt haben dürfte, daß die Forschungsdaten, die er in Verwahrung nehmen sollte, aus einem Labor entwendet worden waren.

«Und bis heute«, sagte ich bedauernd,»ist noch keine dieser Kassetten wieder aufgetaucht. Wer sie hat, schweigt.«

«Ich habe gehört, daß Sie auch selbst danach suchen.«

«Von wem haben Sie denn das alles?«Das interessierte mich wirklich, aber es handelte sich wohl um Mutmaßungen und Überlegungen von verschiedener Seite.

«Ich kann Ihnen auch etwas erzählen«, sagte ich und berichtete ihm das Neueste aus Victors trautem Heim.

«Dr. Force und Rose haben einander verdient. «Er lachte leise.»Das wird morgen sicher eine spannende Ausschußsitzung. «Er begleitete mich hinaus zu Jims Wagen.»Grüßen Sie Marigold schön von mir. Ich melde mich.«

Er drückte mir herzlich die Hand.

Er sagte:»Finden Sie die Kassetten, und waschen Sie Stukelys Namen rein.«

Können vor Lachen, dachte ich.

Als wir bei Bon-Bon anhielten, kam sie mit Daniel an ihrer Seite aus dem Haus.

«Ich habe eine Nachricht von Catherine Dodd für dich«, sagte sie.»Sie hat heute abend frei. Du sollst zu dir nach Hause kommen, wenn’s geht.«

Ich dankte ihr, aber gleichzeitig beobachteten sie, Tom und ich fasziniert, wie zwischen dem fünfzehnjährigen Victor und dem vier Jahre jüngeren Daniel auf den ersten Blick die Verständigung hergestellt war. Distanz war vielleicht das Üblichere bei einem solchen Altersunterschied, doch die beiden erkannten sofort, daß sie in der Computerwelt zu Hause waren, wie keiner von uns anderen es jemals sein würde. Victor stieg aus Jims Wagen und ging mit Daniel ins Haus, als wären sie Zwillingsbrüder. CyberZwillinge vielleicht.

Victor könne bei ihnen übernachten statt bei Tom, sagte Bon-Bon belustigt, als sie den Jungen ins Haus folgte, und Jim fuhr mit Tom, den Hunden und mir weiter, um erst Tom und dann mich zu Hause abzusetzen.

«Ich hätte nicht gedacht, daß wir heil zurückkommen«, meinte Tom aufmunternd zum Abschied und winkte dabei übermütig, und ich hätte ihn mir wunderbar als Maske Nummer vier vorstellen können, hätte er mich nicht schon zweimal vor den brutalsten Übergriffen bewahrt und mir vielleicht sogar das Leben gerettet.

Catherines Motorrad stand am gewohnten Platz vor dem Kücheneingang, und sie kam nach draußen, als sie Jims Wagen hörte. Der Empfang sprach für sich, und der doppelt entlohnte Jim grinste im Davonfahren übers ganze Gesicht und meinte, er stehe jederzeit wieder zur Verfügung,»Tag und Nacht«.

Ich freute mich immer darauf, zu Catherine nach Hause zu kommen. Wie sie wohnte, hatte ich noch überhaupt nicht gesehen, und als ich sie an diesem Abend bat, mir doch einmal ihre Wohnung zu zeigen, lachte sie und sagte:»Dann fahren wir morgen. Bei Tageslicht ist sie schöner.«

Sie fragte mich nach meinem Tag und ich sie nach ihrem. Sie schüttelte den Kopf über Victors Nöte und redete, als sei mir der Auftrag für das Glaspferd sicher. Es war fast, als wären wir verheiratet, dabei kannten wir uns erst seit drei Wochen.

«Erzähl mir von der Polizei«, sagte ich, als wir uns gemütlich in einen der überdimensionalen Sessel quetschten.

«Was soll ich da erzählen?«Über ihren Beruf ließ sie sich ungern aus, aber jetzt wollte ich wirklich einmal etwas hören.

«Wie eure Prioritäten sind«, sagte ich.»Am Neujahrstag zum Beispiel, als du im Räuberzivil daherkamst und der Penner nebenan im Ladeneingang lag, da ging es euch doch sicher eher darum, die Diebe abzuschrecken als sie festzunehmen.«

Sie verlagerte ihr Gewicht in meinem Arm.»Nicht unbedingt«, erwiderte sie.»Wir kriegen schon gern die Leute, die wir suchen.«

Ich verkniff es mir, sie damit aufzuziehen.»Erzähl mir von deinem Partner, dem Penner.«»Das ist natürlich kein echter Penner«, gab sie lächelnd zurück.»Er heißt Paul. Er ist groß und nicht so harmlos, wie man meint. Ein guter Kriminalbeamter. Er hat schon manchen nichtsahnenden Gauner beim Wickel gekriegt. Auf der Wache nennen wir ihn Paul Federfuchser, weil er mit seinen Berichten immer so pingelig ist.«

Ich lächelte und fragte rundheraus:»Was mobilisiert denn die Polizei so am ehesten?«

«Tödliche Unfälle und Mord natürlich. Besonders Mord an einem Polizeibeamten. Wenn ein Kollege ermordet wird, das bringt wirklich alle auf Trab.«

«Und sonst?«

«Tätliche Angriffe.«

«Besonders gegen Polizeibeamte?«

Sie drehte den Hals, um zu sehen, ob mein bewußt todernstes Gesicht unangebrachte Heiterkeit verriet. Beruhigt nickte sie.»Besonders gegen Polizeibeamte.«

«Und dann?«

«Schwerer Diebstahl. Wenn also die Diebe mit Waffengewalt, körperlicher Gewalt oder massiven Drohungen vorgehen. Der sogenannte Raub.«

«Und dann?«

«Also im allgemeinen ist es so«, sagte Catherine.»Wenn Blut geflossen ist, kommt die Polizei sofort. Ist etwas gestohlen, aber niemand verletzt worden, wird die Streife am Morgen nach dem Notruf kommen. Bei einem Autodiebstahl läßt sich die Polizei das Kennzeichen geben und verspricht, den Eigentümer zu benachrichtigen, wenn der Wagen gefunden wird.«

«Und das war’s dann? Was Autos angeht?«

«Mehr oder weniger. Es kommt drauf an. Meistens findet man nur noch ein ausgebranntes Wrack.«

«Zu wem«, fragte ich freundlich,»würde ich denn gehen, wenn ich Diebesgut gefunden hätte?«

«Reden wir von den ollen Videokassetten?«

«Genau. Die ollen Videokassetten.«

«Hm…«Sie ließ etliche Sekunden hingehen und sagte dann:»Ich habe mich danach erkundigt.«

«Das hört sich aber nicht gut an«, sagte ich.

Catherine seufzte.»Die Bänder selbst sind praktisch wertlos. Du sagst, sie hatten noch nicht mal Hüllen. Die aufgezeichneten Informationen auf beiden Bändern, auch wenn sie aus ganz verschiedenen Bereichen kommen, gelten als geistiges Eigentum. Damit hat die Polizei wenig am Hut. Wie man eine antike Halskette nachbastelt? Daß ich nicht lache. Industriegeheimnisse oder Geheimnisse der medizinischen Forschung? Jammerschade. Um die wiederzufinden, wird die Polizei nicht viel Zeit opfern. Da wäre deine Geldtasche schon etwas interessanter, aber nur, wenn du wenigstens einen Schein daraus zweifelsfrei identifizieren könntest. Nach drei Wochen ist das wahrscheinlich längst verjubelt und unter die Leute gebracht. Für dich persönlich war es eine beachtliche Summe, aber allgemein gesehen eben nicht, verstehst du?«Sie brach ab, als wäre ihr ein völlig anderer Gedanke gekommen, und sagte:»Glaubt diese schreckliche Rose etwa immer noch, du wüßtest, wo die Bänder sind?«

«Mach dir darüber keine Sorgen.«

«Sag schon. «Catherine ließ nicht locker.»Glaubt sie das, Gerard?«

«Ich glaube mittlerweile«, sagte ich lächelnd,»daß sie das Band über die Kette fast von Anfang an gehabt hat, und wenn das stimmt, weiß sie, daß ich es nicht habe. «Und Rose weiß auch, dachte ich, daß ich es jederzeit neu aufnehmen könnte.

«Aber das andere?«fragte Catherine eindringlich.»Das gestohlene aus dem Labor?«

«Ja. «Mir war leicht zumute.»Es sieht ganz so aus. Gehen wir ins Bett.«

Am Morgen wachte ich dann zuerst auf und beobachtete eine Weile den gleichmäßigen, ruhigen Atem von Catherine. In dem Augenblick machte mich das wunschlos glücklich… aber würde ich auch in zehn Jahren noch so empfinden? Oder sie? Als sie wach wurde und die Augen aufschlug und mich anlächelte, spielte es keine Rolle, was in zehn Jahren war. Man lebte im Jetzt und hatte das Jetzt als ständigen, sich ständig wandelnden Begleiter. Nur auf das Jetzt kam es an.

«Woran denkst du?«fragte sie.

«Wahrscheinlich an das gleiche wie du.«

Sie lächelte wieder und fragte, ob wir heute, an ihrem freien Samstag, etwas zusammen unternehmen wollten. Entspannt schlug ich ihr vor, den bequemen neuen Sessel im Laden noch einmal auszuprobieren, und ließ mich von ihr auf dem Soziussitz dorthin fahren.

Hickory hatte wieder vor mir angefangen und versuchte sich einmal mehr an dem perfekten Segelboot. Er grüßte mich wie einen Freund aus vergangenen Tagen und fragte zögernd, ob ich ihm zur Hand gehen könne, da er allein nicht ganz zurechtkomme.

Rundum gutgelaunt zog ich mein Hemd aus, um Hickory zu helfen, holte ihm einen Glasposten aus dem Ofen, wenn er einen brauchte, und hielt das heiße Glas für ihn bereit. Hickory gab Catherine zuliebe einen laufenden Kommentar zu unserer Arbeit ab und flirtete ein wenig mit ihr. Selten hatte morgendlicher Unernst mir so viel Spaß gemacht.

Diesmal dachte Hickory daran, das fertige Boot in den Kühlofen zu stellen, und wenn er Catherines überschwengliches Lob etwas selbstgefällig entgegennahm, so war er in seiner Ausbildung doch immerhin einen guten Schritt vorangekommen.

Irish kam und kochte Tee. Pamela Jane reinigte die Töpfchen der Färbemittel und füllte sie auf, damit wir für unsere Schicht genügend davon hätten. Dann war es auch schon neun, und wir arbeiteten wie jeden Samstagmorgen bis um zwölf.

Ein paar Minuten nach Mittag beehrte uns Bon-Bon mit den beiden Jungen, Daniel und Victor, die das Glasblasen vorübergehend interessanter fanden als E-Mails.

Kurz nach ihnen rauschte Marigold zur Tür herein, klimperte mit den Wimpern, lächelte Hickory an, drückte Daniel an ihr golddurchwirktes rosa Wolkenkleid und teilte Bon-Bon lautstark mit, daß»der gute Trubby «auch gleich kommen werde.

«Der gute Trubby«, Kenneth Trubshaw, versank in him-beerrosa Tiefen und tauchte mit Lippenstift auf der Wange wieder daraus empor. Der Planungschef der Rennbahn Cheltenham hatte mein Portfolio dabei, aber offenbar war es ihm zu laut und zu geschwätzig im Laden. Er betrachtete ein wenig ungehalten meinen halbnackten Oberkörper und deutete an, daß sich das Wychwood Dragon vielleicht besser für ein Geschäftsgespräch eigne.

«Mein lieber Trubby, was für eine tolle Idee!«Und weil Marigold von dem Vorschlag so begeistert war, zogen also sie, Bon-Bon und Catherine und ich und natürlich Worthington (Marigold bestand darauf) mit Kenneth Trubshaw in das Hotelrestaurant hinüber, um uns in einer ruhigen Ecke dort berichten zu lassen, wie die Sitzung der Cheltenhamer Planungskommission an diesem Morgen ausgegangen war.

Irish ging unterdessen mit den beiden Jungs ins Städtchen, um sie mit Hamburgern und Cola abzufüllen, und

Hickory und Pamela Jane durften sich im Geschäft in aller Ruhe den nicht ganz so anspruchsvollen Januartouristen widmen.

Als wir im Restaurant alle erwartungsvoll gespannt auf unseren Plätzen saßen, fing Kenneth Trubshaw mit seiner Ansprache an.»Zunächst einmal, liebe Marigold«, sagte er,»möchte Ihnen die ganze Kommission für Ihre außerordentliche Großzügigkeit danken…«Er sparte nicht mit Schmeicheleien. Marigold erglühte. Worthington suchte meinen Blick und zwinkerte mir zu.

«Die Kommission hat abgestimmt…«, kam der Vorsitzende endlich zur Sache.»Wir haben einstimmig beschlossen, Sie, Gerard Logan, mit dem Entwurf und der Anfertigung eines Ehrenpreises zum Gedenken an Martin Stukely zu beauftragen, und das Motiv soll ein steigendes Pferd auf einer Kristallkugel sein, wie in Ihrer Dokumentation gesehen. Wenn es Marigold und der Kommission gefällt — «Sein Schlußwort ging vorübergehend in einer himbeerrosa Umarmung Marigolds unter, mündete dann aber in Vorbehalte bezüglich der Kosten. Marigold wollte von Kosten nichts hören. Worthington zerstreute die Vorbehalte, und ich rief einen Juwelier an, der mir das nötige Gold zusicherte.

«Klappt das mit der Figur vielleicht heute noch, Gerard?«säuselte Marigold.»Es ist ja erst drei Uhr.«

«Morgen wäre schon schwierig«, sagte ich,»nächste Woche wäre mir lieber. Heute ist es leider unmöglich. «Je früher, desto besser, dachte ich, damit Marigold bei Laune blieb.

Marigold zog einen Schmollmund, aber das konnte ich nicht ändern. Ich brauchte Zeit zur Besinnung, wenn es eine gute Arbeit werden sollte, und für Bon-Bon, für Marigold, für die Rennbahn Cheltenham und für Martin selbst wollte ich schon eine gute Arbeit abliefern.

«Ich mache das morgen«, sagte ich.»Die Kristallkugel und das steigende Pferd. Mehr als einen Helfer brauche ich dabei nicht. Am Montag kann das Gold aufgelegt werden, und am Dienstagnachmittag kommen beide Teile auf einen Sockel. Bis Mittwoch ist das Stück dann fertig.«

«Vorher nicht?«warf Marigold ein und drängte mich, mir das noch mal zu überlegen.

«Ich will dir doch nichts Halbes vorsetzen«, sagte ich.

Und außerdem wollte ich meinen Widersachern Zeit geben.

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