Kapitel 5

Zu meiner großen Freude parkte Catherine Dodd ihr Motorrad wieder am Straßenrand und nahm ihren Helm ab, bevor sie über den Gehsteig zu meinem Laden kam, wo ich ihr schon die Tür aufhielt. Es schien ganz selbstverständlich, daß wir uns zur Begrüßung küßten, und schließlich blieb sie vor den Schwingen stehen, die ich gerade erst richtig ausgeleuchtet hatte.

«Das ist fabelhaft«, sagte sie beeindruckt.»Viel zu schade für Broadway.«

«Schmeicheleien finden immer ein offenes Ohr«, versicherte ich ihr und nahm sie mit in die Werkstatt, wo es am wärmsten war.

Meine E-Mail-Unterhaltung mit Victor lag ausgedruckt auf dem Stahltisch, und ich gab sie ihr zu lesen.»Was denkst du?«fragte ich.

«Ich denke, du brauchst stärkere Schmerztabletten.«

«Nein. Von Victor.«

Diesmal setzte sie sich in den Sessel, nachdem ich ihr versprochen hatte, mich in dem Secondhand- und Antiquitätenladen am Ort nach einem zweiten umzusehen.

«Vorausgesetzt«, korrigierte ich das Versprechen,»du kommst wieder und setzt dich rein.«

Darauf nickte sie, als verstünde sich das von selbst, und las Victors E-Mail. Als sie damit fertig war, legte sie das

Blatt Papier auf ihre schwarzledernen Knie und hatte selbst ein paar Fragen.

«Okay«, sagte sie.»Als erstes, wer ist Victor noch mal?«

«Der fünfzehnjährige Enkel von Ed Payne, dem Jockeydiener, der Martin Stukely auf der Rennbahn betreut hat. Ed gab mir die Videokassette, die dann hier gestohlen wurde und die dich zu mir geführt hat. Victor hat Martin diesen Brief hier geschrieben. «Ich zeigte ihr den Brief, und sie zog skeptisch die Brauen hoch, als sie ihn las.

«Victor sagt, das sei alles nur ein Spiel«, sagte ich.

«Dem kann man doch kein Wort glauben«, meinte sie.

«Doch, kann man schon. Er spielt mit wahren Versatzstücken. Oder, wenn du so willst, er hat, wie das jedem schon mal passiert ist, etwas gehört und gedacht, es bedeute etwas anderes.«

«Ein Mißverständnis?«fragte Catherine.»Und die Fakten?«

«Tja… die Fakten, wie ich sie sehe. «Ich unterbrach mich kurz, um Kaffee zu kochen, da sie Wein nicht wollte, obwohl ihr Dienst zu Ende war. Sie trank den Kaffee schwarz, lieber warm als heiß.

«Ich kann nur mutmaßen«, sagte ich.

«Tu das.«

«Beginnen wir mit einem weißbärtigen Mann, der nach Hochschullehrer aussieht und möglicherweise Dr. Force heißt. Nehmen wir an, dieser Dr. Force hat irgendwelche Informationen, die er sicher aufbewahrt wissen will, und so nimmt er sie mit nach Cheltenham zum Pferderennen und gibt sie Martin.«

«Verrückt«, seufzte Catherine.»Warum hat er sie nicht auf die Bank gebracht?«

«Das müssen wir ihn fragen.«»Und du bist auch verrückt. Wie sollen wir ihn denn finden?«

«Du bist die Polizistin«, meinte ich lächelnd.

«Nun, ich werde es versuchen. «Sie lächelte zurück.»Und dann?«

«Dann ging Dr. Force wie geplant zum Pferderennen. Er gab Martin das Video. Nach Martins Unfall war unser Dr. Force bestimmt sehr unglücklich und besorgt, und ich könnte mir denken, daß er da in der Nähe der Jockeystube herumgestanden und überlegt hat, was er tun soll. Dann sah er, wie Ed Payne das in braunem Papier verpackte Video mir gab, und er wußte, daß es seines war, weil er es selbst darin eingepackt hatte.«

«Du solltest Polizist werden«, neckte mich Catherine.

«Also gut, Dr. Force findet heraus, wer du bist, und kommt hierher nach Broadway, und als du einen Moment deine Tür aufläßt, um draußen die Millenniumsluft zu schnuppern, läuft er schnell rein und nimmt sein Video wieder an sich.«

«Genau.«

«Und stiehlt kurz entschlossen noch dein Bargeld.«

«Genau. Aber da merkt er auf einmal, daß hinten im Laden noch jemand anders ist, und zwar Lloyd Baxter, der anfängt, sich in epileptischen Krämpfen zu winden.«

«Unangenehm für Dr. Weißbart Force«, meinte sie trok-ken.

Ich nickte.»Er ist getürmt.«

«Einer unserer Beamten hat Lloyd Baxter im Krankenhaus befragt. Mr. Baxter sagte aus, er habe niemanden in die Galerie kommen gesehen.«

«Lloyd Baxter hat es nicht interessiert, ob ich das Video oder das Geld zurückbekomme. Er war vor allem daran interessiert, seine Krankheit, soweit es ging, geheimzuhalten.«

Catherine reagierte gereizt.»Wie sollen wir Fälle lösen, wenn die Leute nicht sagen, was Sache ist.«

«Das müßt ihr doch gewohnt sein.«

Etwas Unrechtes, an das man gewöhnt sei, werde dadurch noch nicht recht, antwortete sie. Es war die für ihren Beruf typische, mißbilligende Strenge, die da kurzzeitig hochkam. Denk daran, sagte ich mir, daß der innere Ver-brechensbekämpfer immer da ist, immer Dienst hat, immer ein Teil von ihr ist. Sie schüttelte die Strenge ab und schaltete sichtlich wieder auf mehr Gelassenheit um.

«Okay«, sagte sie und nickte,»Dr. Force hat also seine Kassette wieder. Auch gut. Wer hat aber dann die Stukelys mit Gas betäubt, und wer hat deine Privatwohnung geplündert und dich gestern abend zusammengeschlagen? Und ich verstehe nicht ganz, was dieser halbwüchsige Victor mit der Geschichte zu tun hat.«

«Alles kann ich dir nicht beantworten, aber denk an Rose.«

«Rosen?«

«Rose. Das ist Ed Paynes Tochter und Victors Tante. Sie hat eine scharfe Zunge, ein scharf geschnittenes Gesicht und, wie ich glaube, ziemlich kriminelle Neigungen. Sie zieht gern voreilige Schlüsse, und das macht sie um so gefährlicher.«

«Zum Beispiel?«

«Zum Beispiel… ich könnte mir denken, daß sie es war, die bei mir und Bon-Bon die ganzen Videos gestohlen hat, weil die Möglichkeit bestand, daß das Video, das ich von der Rennbahn mitgebracht hatte, in einer anderen Hülle gelandet war.«

«Du liebe Zeit!«rief Catherine aus.»So was passiert schnell.«

«Das dachte Rose wahrscheinlich auch. Ich nehme an, sie schwätzt ziemlich viel mit ihrer Schwester — Victors Mutter —, und ich gehe mal davon aus, daß er mitbekommen hat, wie sie sagte, sie habe von einem Video gehört, das ein Vermögen wert sei.«

Hätte Martin mir doch nur erklärt, um was es ging! So war das viel zuviel Raterei, und entschieden zuviel Rosenduft.

Seufzend gab Catherine mir Victors Ausdruck zurück, stand auf und sagte:»Ich muß gehen«, obwohl es ihr offenbar widerstrebte.»Ich war so froh, dich hier anzutreffen, aber ich habe versprochen, den Abend mit meinen Eltern zu verbringen. Wenn du aber zufällig jetzt nach Hause möchtest — also um auf dem Soziussitz mitzufahren, brauchst du keinen Führerschein.«

Sie legte die Kripo-Anteile zwangsläufig ab. Ich faßte sie eng um die Taille, nachdem ich, so gut es ging, ihren Ersatzhelm aufgesetzt hatte, der mir zu klein war und auf dem Kopf wackelte. Wacklig fuhren wir auch los, aber die Maschine hatte Kraft genug, um uns, ohne zu stottern, die Hügel hinaufzutragen, und Catherine lachte, als sie vor meiner unkrautbewachsenen Einfahrt anhielt.

Ich dankte ihr fürs Mitnehmen. Sie brauste immer noch lachend davon. Ich merkte, daß ich jetzt gerne Worthington oder ersatzweise Tom Pigeon und seine Dobermänner bei mir gehabt hätte, aber diesmal lag keine dornige Hek-kenrose auf der Lauer. Als ich die Seitentür aufschloß und eintrat, strahlte das Haus Ruhe aus, wie ein Echo all der Jahre, die die Familie Logan dort verlebt hatte, Vater, Mutter und zwei Söhne, alle auf ihre Weise glücklich und zufrieden. Jetzt war nur ich noch übrig, und da die zehn Zimmer von lebhaften Erinnerungen erfüllt waren, hatte ich mich nicht nach einer kleineren oder geeigneteren Bleibe umgesehen. Irgendwann vielleicht. Noch fühlte ich mich hier in jeder Hinsicht gut aufgehoben — es war mein Zuhause und das Zuhause aller, die dort gelebt hatten.

Ich ging bewußt durch die Zimmer, als wäre Catherine bei mir, und fragte mich, ob es ihr hier gefallen und ob umgekehrt das Haus sie akzeptieren würde. Einmal hatte sich das Haus klar gegen jemanden entschieden, ein andermal hatte ich bunt gemusterte Tapeten gezeigt bekommen, mit denen ich im Heiratsfall die hellgestrichenen Wände überkleistern sollte, und hatte zum Entsetzen der Familie der Braut einen Rückzieher gemacht, und auch bei der Trennung von einer anderen jungen Frau hatte ich das Haus als Entscheidungshilfe genutzt, als sie anfing, von ihr und mir als» Einheit «zu sprechen und Fragen mit» wir «zu beantworten. Wir meinen.

Nein, wir meinen nicht.

Ich wußte, daß einige Leute mich für herzlos hielten. Für einen, der immer neue Abenteuer suchte und es mit keiner lange aushielt. Man würde Catherine davon abraten, sich mit diesem Typen einzulassen, der in dem Ruf stand, so spröde zu sein wie sein Glas. Ich kannte den Klatsch zur Genüge, aber wenn das Haus und ich eines Tages eine Partnerin fürs Leben fanden, dann würde das nicht geschehen, um den Klatschbasen eins auszuwischen.

Die Videoräuber hatten bei ihrem Einbruch kein allzu großes Chaos hinterlassen. Ich hatte drei Fernseher mit Videorecordern: einen in der Küche und zwei in den beiden Wohnzimmern, in denen meine Mutter und ich fast zehn Jahre lang mit- und nebeneinander gelebt hatten.

Da ich seit ihrem Tod an den Räumen noch nichts geändert hatte, war es, als könnte sie jederzeit aus ihrem Schlafzimmer kommen und mit mir schimpfen, weil ich meine schmutzigen Sachen auf dem Boden hatte herumliegen lassen.

Nirgends war noch eine einzige Videokassette zu finden. Meine Mutter hatte in bezug auf Filme und Fernsehaufzeichnungen einen völlig anderen Geschmack gehabt, aber das spielte jetzt keine Rolle mehr. Aus meinem Zimmer war ein Satz ziemlich wertvoller Glasmacher-Lehrfilme verschwunden, von denen ich mir vielleicht aber Kopien besorgen konnte. Einige dieser Filme hatte ich selber für Hochschulkurse aufgenommen. Das waren Grundkurse, die sich vorwiegend mit der Herstellung wissenschaftlicher Geräte für den Laborgebrauch beschäftigten. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß es ein Dieb speziell auf diese Lehrfilme abgesehen hatte.

In der Küche hatten Aufzeichnungen von Fernsehshows und Kochkursen, von Tennis- und Footballturnieren gelegen. Alle weg. Die Polizei hatte um eine vollständige Liste gebeten. Na, danke.

Viel sauberzumachen war nicht, bis auf ein wenig Staub und ein paar tote Spinnen dort, wo die Fernsehapparate gestanden hatten.

Ich schlief ungestört hinter verriegelten Türen, und am Morgen ging ich (wie gewohnt in dieser autolosen Zeit) zu Fuß hinunter ins Städtchen und kam vor Irish, Hickory und Pamela Jane bei Logan Glas an. Erleichterung war mein vorrangiges Gefühl beim Anblick der Flügelskulptur; Erleichterung darüber, daß es irgendwie niemand geschafft hatte, sie über Nacht zu zertrümmern.

Durch Irishs Sockel und meine Beleuchtung war eine ungewollte Beschädigung weitgehend ausgeschlossen, aber gegen Sturm oder Axt gab es keinen sicheren Schutz.

Ich fertigte den ganzen Morgen dekorative kleine Segelboote an und kaufte in der Mittagspause einen bequemen

Sessel, der mich auch die verbliebenen Wehwehs vergessen ließ. Gefolgt von einem Sesselträger im braunen Overall kehrte ich zu Logan Glas zurück und stellte die Möbel um. Meine Mitarbeiter grinsten vielsagend.

Ich holte Hickory von seinem zunehmend hohen Roß herunter, indem ich ihn zur Übung ein Segelboot machen ließ, wobei ein klägliches Häuflein klumpiger, schiefer Masten und ein Großsegel zustande kamen, das nie ein Seewind blähen würde.

Sein gutes Aussehen und seine sehr männliche Ausstrahlung würden Hickory immer Aufgaben einbringen, denen er nicht gewachsen war. Schon in den ersten acht Tagen mit dem attraktiven Burschen hatte ich mehr von seinen Grenzen als von seinem Können zu sehen bekommen, aber alle Kunden mochten ihn, und er war ein toller Verkäufer.

«Für Sie ist das gut und schön«, beklagte er sich, als er jetzt von meinem Demomodell eines Segelboots zu dem farbenfrohen Klumpatsch schaute, den er in mühevoller Kleinarbeit verfertigt hatte.»Sie wissen, wie ein Segler aussieht. Bei mir kriegen die keine Konturen.«

Die halbe Miete bei allem, was ich machte, so versuchte ich ihm zu erklären, ohne dabei überheblich zu werden, war das innere Auge des Zeichners, das die Dinge dreidimensional sah. Ich konnte tatsächlich ganz gut malen und zeichnen, und kleine Segelboote aus Glas waren bei der plastischen Vorstellungskraft, die mir in die Wiege gelegt worden war, ein Kinderspiel.

Als Hickorys dritter Versuch unter dem leisen, mitfühlenden Gemurmel von uns anderen zum Teufel ging, unterbrach das Telefon den angehenden Glaskünstler bei seiner wenig überzeugenden Erklärung, Wassertropfen, die im kritischen Augenblick auf sein Werk gefallen seien, hätten es zerspringen lassen, und dafür könne er wahrhaftig nichts…

Ich hörte ihm nicht zu. Die Stimme am Telefon war die von Catherine.

«Ich war den lieben langen Morgen bei der Arbeit. Hast du wirklich noch einen Sessel besorgt?«

«Der wartet hier auf dich.«

«Prima. Und für dich habe ich Neuigkeiten. Mein Dienst geht bis sechs, dann komme ich vorbei.«

Um die Zeit totzuschlagen, schickte ich eine E-Mail an Victor und dachte, ich müßte auf die Antwort warten, da ich ihn in der Schule wähnte, aber wie schon einmal war er startklar.

Er schrieb:»Es hat sich etwas geändert.«

«Was denn?«

Eine Pause von mehreren Minuten entstand.

«Sind Sie noch da?«schrieb er.

«Ja.«

«Mein Dad ist im Gefängnis.«

E-Mails durchqueren den Äther ohne Betonung. Victors geschriebenes Wort gab keinen Hinweis auf seine Gefühle.

Ich schrieb zurück:»Wo? Weswegen? Für wie lange? Es tut mir sehr leid.«

Victors Erwiderung hatte nichts mit den Fragen zu tun.

«Ich hasse sie.«

«Wen?«fragte ich nur.

Eine Pause, dann:»Tante Rose natürlich.«

Ich hätte die Antworten gern schneller gehabt, aber mein Instinkt sagte mir, daß er sich zurückziehen würde, wenn ich ihn zu sehr bedrängte.

Ohne die heftigen Gefühle, mit denen er sicherlich zu kämpfen hatte, schrieb er:»Er sitzt seit zehn Wochen. Sie haben mich zu meinem Onkel Mac nach Schottland geschickt, als der Prozeß war, damit ich davon nichts mitkriege. Angeblich war mein Dad als Küchenchef mit einer Südpolexpedition unterwegs. Er ist nämlich Koch. Ein Jahr hat er gekriegt, aber er wird vorher rauskommen. Unterhalten Sie sich jetzt noch mit mir?«

«Klar«, schrieb ich zurück.»Natürlich.«

Wieder eine lange Pause, dann:»Rose hat Dad verpetzt.«

Ich wartete, und es ging weiter.»Er hat Mum verprügelt. Ihr das Nasenbein und ein paar Rippen gebrochen. «Nach einer noch längeren Pause schrieb er:»Mailen Sie mich morgen wieder an«, und ich erwiderte rasch, solange er vielleicht noch online war:»Wer ist Dr. Force?«

Entweder war er schon aus dem Netz, oder er wollte nicht antworten, aber Dr. Force war Fehlanzeige. Victors Schweigen dauerte den ganzen Tag.

Ich widmete mich wieder dem Unterricht. Hickory gelang schließlich ein Boot, das vielleicht geschwommen wäre, hätte es aus Fiberglas bestanden und ein Stoffsegel gehabt. Er gestattete sich ein selbstzufriedenes Lächeln, das wir ihm alle gönnten. Glas zu blasen war eine schwierige Sache, auch für Leute wie Hickory, die anscheinend alles hatten, was man dazu brauchte — Schwung, Wendigkeit und Phantasie. Als Hickory das kleine Boot behutsam in den Kühlofen stellte, wußte er, daß ich ihm das Schmuckstück am nächsten Morgen, wenn es fertig war, überlassen würde.

Gegen sechs hatte ich sie glücklich alle nach Hause geschickt, und um dreiundzwanzig Minuten nach sechs bewunderte Zivilfahnderin Dodd bereits den neuen Sessel und las Victor Waltman Veritys Sorgenpost.

«Der arme Junge«, meinte sie.

«Da er seine Tante Rose dafür haßt, daß sie seinen Vater verpfiffen hat«, sagte ich bedauernd,»erfahre ich von ihm jetzt vielleicht auch nichts mehr. Petzen scheint für ihn eine Todsünde zu sein.«

«Mhm. «Sie las die ausgedruckten Seiten noch einmal und sagte dann gutgelaunt:»Also ob Victor dir weiterhilft oder nicht, dein Dr. Force geht klar. «Sie freute sich, ihn gefunden zu haben.»In den einschlägigen Verzeichnissen der Hochschullehrer habe ich ihn allerdings umsonst gesucht. Der Mann ist kein Dozent, jedenfalls nicht in erster Linie, sondern, ob du’s glaubst oder nicht, er ist Arzt. Approbiert und alles. «Lächelnd reichte sie mir einen Briefumschlag.

«Ein Kollege von mir verbringt seine Zeit damit, Ärzte aufzustöbern, denen die Zulassung entzogen worden ist. Er hat ihn gesucht und schließlich auch gefunden.«

«Ist ihm die Lizenz entzogen worden?«Das käme hin, dachte ich, aber Catherine schüttelte den Kopf.

«Nein, er ist noch zugelassen, aber bis vor kurzem hat er in irgendeinem Forschungslabor gearbeitet. Deshalb war er so schwer ausfindig zu machen. Hast du alles in dem Briefumschlag.«

«Und er ist über fünfzig, mit weißem Bart?«

Sie lachte.»Sein Geburtsdatum findest du in dem Kuvert. Die Bartfarbe wäre etwas viel verlangt.«

An dieser Stelle fanden wir beide, daß es Spannenderes im Leben gab als die Jagd nach obskuren Medizinern.

Ich schlug vor, daß wir uns im Take-away etwas zu essen holten, sie bot mir an, mich noch einmal auf dem Soziussitz den Berg hinaufzufahren; wir machten beides. Ich hatte die Zentralheizung angelassen, so daß es angenehm warm war, und Catherine ging lächelnd im ganzen Haus herum.

«Man hat mir prophezeit, daß du mir den Laufpaß geben wirst«, meinte sie beiläufig.

«Nicht jetzt gleich.«

Ich hatte noch das Kuvert mit den Einzelheiten über Dr. Force und öffnete es hoffnungsvoll, erfuhr aber nur wenig Brauchbares. Er hieß Adam Force, war sechsundfünfzig und hatte unzählige Titel.

Ich sagte verdutzt:»Ist das alles?«

Sie nickte.»Alles, was an Fakten vorliegt. Aber was so erzählt wird — also von verschiedenen Seiten hört man, daß er ein brillanter Forscher ist, der schon in jungen Jahren hochrangige Arbeiten veröffentlicht hat. Über einen weißen Bart konnte meinem Kollegen keiner etwas sagen. Er hat mit niemandem gesprochen, der den Mann persönlich kennt.«

«Hat Dr. Force eine Adresse?«fragte ich.

«Noch unbekannt«, antwortete sie.»In dem Who ’s Who, das wir benutzt haben, steht nur, was die Leute selbst angeben. Man wird da gar nicht erwähnt, wenn man nicht drinstehen will.«

«Ausgesprochen höflich.«

«Nein, eher ärgerlich.«

Sie hörte sich aber nicht verärgert an, da sie sich mit dem Internet auskannte. Wir nahmen uns vor, ihn am nächsten Morgen im Netz zu fangen.

Wir aßen das mitgebrachte Essen, oder besser gesagt, kosteten davon, da sich unser Appetit verlagert hatte, und ich drehte die Heizung in meinem Schlafzimmer ein wenig auf, ohne etwas erklären zu müssen.

Sollte sie einmal an übergroßer Schüchternheit gelitten haben, so hatte sie diese im Lauf ihres Lebens abgelegt.

Die Catherine, die zu mir ins Bett kam, tat es selbstbewußt und leise zugleich, eine für mich berauschende Kombination. Jedenfalls waren wir beide erfahren genug, um einander ebensoviel Freude zu schenken, wie wir empfingen, oder zumindest so viel, daß wir danach schläfrig und befriedigt waren.

Das Tempo, mit dem unsere gegenseitige Zuneigung sich entwickelte, erschien mir nur natürlich, nicht erschreckend, und wenn ich an die Zukunft dachte, war es definitiv eine Zukunft mit Catherine.»Wenn du Lust hast, die hellen, einfarbigen Wände mit bunt gemusterter Tapete zu bekleben, tu dir keinen Zwang an.«

Sie lachte.»Ich mag so ruhige, helle Wände. Warum sollte ich die ändern?«

«Schön, daß du es nicht willst«, sagte ich nur und bot ihr etwas gegen den Durst an. Wie Martin trank sie offenbar lieber Mineralwasser als Alkohol, nur war es bei ihr nicht wegen des Gewichts, sondern weil sie einen Polizeiausweis und ein Motorrad hatte. Vor Tagesanbruch fuhr sie nüchtern und sicher auf zwei Rädern nach Hause.

Ich wanderte schon bald im langsam dämmernden Januarmorgen den Berg hinab und kam lange vor den anderen in die Werkstatt. Als ich aber ins Internet ging, ließ sich die Suche nach Adam Force wesentlich schlechter an als die nach Waltman Verity aus Taunton. Es hatte eine ganze Horde Veritys gegeben. Adam Force fand sich kein einziger.

Auch Hickory traf an diesem Morgen früher ein als sonst, denn er konnte es kaum erwarten, sein kostbares Segelboot aus dem Kühlofen zu holen. Er entriegelte die Ofentür und nahm das noch warme gute Stück heraus. Die durchscheinenden Farben würde er mit der Zeit noch sauberer hinbekommen, aber sein Versuch war nicht schlecht, und das sagte ich ihm. Er hörte es jedoch nicht gern. Er wollte uneingeschränktes Lob. Ein Ausdruck der Verachtung huschte über sein Gesicht, als wüßte ich seine Kunst nicht richtig zu würdigen. Wenn er sich an die wirklich schwierigen Sachen wagt, bekommt er Probleme, dachte ich, aber wie vor Zeiten schon einem anderen, ähnlich talentierten Gehilfen würde ich ihm gute Referenzen geben, wenn er sich nach einem anderen Lehrer umsah, und das dauerte jetzt sicher nicht mehr lange.

Am meisten würde er mir im Verkauf fehlen, wegen des Umsatzes, aber auch als Mitarbeiter, mit dem es nie langweilig war.

Irish, der sein Können eher herunterspielte, und die nervöse Pamela Jane, die sich selbst als hoffnungslosen Fall ansah, kamen gemeinsam aus der Morgenkälte hereingefegt und zollten dem Segelboot die überschwengliche Bewunderung, die es Hickorys Meinung nach verdiente. So waren die drei in gewohnter Harmonie vereint, aber ich glaubte nicht recht, daß es noch lange so blieb.

Den ganzen Tag schauten sie mir zu und gingen mir zur Hand, während ich die an Weihnachten ausgegangenen minarettförmigen Flakons nachmachte, acht Stück die Stunde, von Blau über Türkis zu Pink, Grün, Weiß und Purpurrot, so daß die fertigen Fläschchen serienweise in den Kühlofen gestellt werden konnten. Tempo war für den geschäftlichen Erfolg so wichtig wie das plastische Sehen, und in den Cotswold Hills mußte man im Winter für die Sommertouristen vorbauen. Also arbeitete ich von morgens früh bis sechs Uhr abends durch, um nicht nur Boote und Flakons, sondern auch Fische, Pferde, Schälchen und Vasen parat zu haben.

Als am Abend gegen sechs mein ermattetes Team verkündete, alle sechs Öfen seien voll, schickte ich sie nach Hause, räumte die Werkstatt auf und machte alles für den nächsten Tag bereit. Dann kam auch schon Catherine Dodd geradewegs vom Dienst zum Laden, lud einen Sozius auf ihr Motorrad und brachte ihn nach Hause. Wann immer es sich in dieser Woche machen ließ, schlief Kommissarin Dodd in meinen Armen und verließ mich wieder, bevor das große Aufstehen anfing, und in der ganzen Zeit war die Adresse von Adam Force nicht zu ermitteln.

Vom Glasblasen einmal abgesehen, hatte das Wochenende drei Tage nach Worthingtons und Marigolds fröhlichem Aufbruch zum Shopping in Paris für mich keinerlei Verlockungen zu bieten, da Catherine am Freitag morgen zu einem fest verabredeten Klassentreffen gefahren war.

An ebendiesem Freitag stopfte Bon-Bon, die es ohne Martin und wohl auch ohne ihr tägliches Gezänk immer noch schwer aushielt, ihren Nachwuchs in den BMW, der vom Lärm der Kinder schier aus den Fugen ging, und holte mich in Broadway von der Arbeit ab.

«Tatsache ist«, gestand Bon-Bon, als wir bei mir zu Hause vorbeifuhren, damit ich Hemden und Socken zum Wechseln einpacken konnte,»Worthington gefällt der Gedanke nicht, daß du allein hier oben bist.«

«Worthington?«

«Ja. Er hat mich deswegen irgendwo südlich von Paris angerufen und erzählt, daß du vorigen Sonntag in Broadway von einer ganzen Bande überfallen worden bist, daß aber Leute mit Hunden dazwischenkamen, und er meint, hier forderst du das Schicksal heraus. Martin hätte dich zu uns eingeladen, sagte er.«

«Worthington übertreibt«, wandte ich ein, aber als wir bei Bon-Bon angekommen waren, nutzte ich den Abend dort, um für die Kinder ein Gewinnspiel zu erfinden, das den schönen Namen trug: >Jagd nach der orangen Gasflasche und den Schnürsenkelnc.

Bon-Bon machte Einwände.»Sie haben der Polizei doch alles erzählt, was sie wissen. Dabei kommt nichts Brauchbares heraus.

«Und wenn wir damit fertig sind«, überging ich sie sanft,»spielen wir >Jagd nach den Briefen eines Mannes namens Force an Daddyc, und jeder Fund wird belohnt.«

Sie spielten mit Begeisterung bis zum Schlafengehen, da sie die ausgesetzten Goldtaler (Geldprämien) gleich in Empfang nehmen durften, und als sie sich lärmend nach oben verzogen hatten, breitete ich ihre gesammelten Funde in Martins Zimmer auf dem Schreibtisch aus.

Sie hatten ohne Hemmungen auch in Ecken gesucht, die ich eher ausgelassen hätte, und so war ihre Ausbeute in mancher Hinsicht spektakulär. Das Verblüffendste war vielleicht die Urschrift des Briefs, von dem Victor Martin eine Kopie geschickt hatte.

Lieber Martin, begann er und ging dann übereinstimmend weiter bis zur Unterschrift, die nicht vom Computer gedruckt Victor Waltman Verity lautete, sondern original handgeschrieben» Adam Force«.

«Den Brief haben die Kinder in einem Geheimfach von Martins Schreibtisch gefunden«, sagte Bon-Bon.»Ich wußte gar nicht, daß er ein Geheimfach hat, aber die lieben Kleinen.«

«Hm«, überlegte ich,»liegt sonst noch was in dem Geheimfach?«

Sie würde fragen gehen, sagte sie und kam bald darauf mit dem elfjährigen Daniel, ihrem Ältesten, zurück, der mit einer eleganten Drehbewegung ein halb verstecktes Fach in dem Schreibtisch öffnete und fragte, ob es dafür noch eine Prämie gebe. Er habe nämlich das Fach nicht geplündert, da ihm gleich der Brief in die Finger gefallen sei — der Brief, um den sich das ganze Spiel drehte, geschrieben an seinen Daddy von einem Mann namens Force.

Natürlich hatte niemand eine Spur von einer orangen Gasflasche oder von beweiskräftigen Schnürsenkeln für Turnschuhe gefunden.

Mit Freuden händigte ich noch ein paar Goldtaler aus, ging das zehn Zentimeter hohe Geheimfach unter der Tischplatte doch über die ganze Breite des Schreibtischs. Daniel zeigte mir geduldig, wie man es öffnete und schloß. Aufgeweckt und pfiffig wartete er noch mit weiteren Verstecken auf und freute sich besonders, daß ich ihm die Hinweise bezahlte, obwohl die Verstecke leer waren.

Bon-Bon durchstöberte das Schreibtischfach und wurde rot, als sie zu ihrer Verwunderung einen Stoß eigener Liebesbriefe fand, die Martin dort aufbewahrt hatte. Sie ging damit zu dem schwarzen Ledersofa und weinte dicke Tränen, während ich ihr sagte, daß das sogenannte Geheimfach nicht wirklich geheim gewesen sei, sondern zur Standardausstattung moderner Schreibtische gehörte.

«Es ist für einen Laptop gedacht«, erklärte ich Bon-Bon.

«Martin hat nur keinen Laptop drin aufbewahrt, weil er hier den Tischcomputer mit Tastatur und Bildschirm benutzt hat.«

«Und woher weißt du das?«

«Daniel hat es mir gesagt.«

«Wie traurig das alles ist«, meinte Bon-Bon durch ihre Tränen und griff nach einem Papiertaschentuch, um sich die Augen zu wischen.

Für mich jedoch war das gar nicht so geheime Laptopfach hochinteressant, da es neben Adam Forces Brief an Martin eine Fotokopie von Martins Brief an Force enthielt, der auch nicht viel länger war als die knappe Antwort.

Er lautete:

Lieber Adam Force,

jetzt habe ich in Ruhe über die Sache mit Ihren Formeln und Methoden nachgedacht. Nehmen Sie bitte, wie Sie es vorhatten, alles auf Video auf, und kommen Sie an Silvester zum Pferderennen nach Cheltenham. Da können Sie es mir bei der erstbesten Gelegenheit geben, nur nicht gerade, wenn ich an den Start gehe.

Herzlich,

Martin Stukely

Ich starrte auf den Brief, und ich fragte mich, was er bedeutete. Daniel, der mir über die Schulter sah, wollte wissen, was mit den Formeln gemeint sei.»Sind das Geheimnisse?«fragte er.

«Kann sein.«

Als Bon-Bon den letzten Liebesbrief gelesen und ihre Tränen getrocknet hatte, fragte ich sie, wie gut Martin Dr. Force gekannt habe.

Mit verweinten Augen sagte sie, sie wisse es nicht. Sie bereute bitterlich die vielen Stunden, die sie und ihr Mann sich für nichts und wieder nichts gezankt hatten.»Wir konnten nie miteinander reden, ohne uns in die Haare zu kriegen. Du weißt, wie es war. Aber ich habe ihn geliebt… und er hat mich geliebt, das weiß ich.«

Sie hatten sich leidenschaftlich geliebt und leidenschaftlich gezankt in den vier Jahren, seit ich sie kannte. Zu denken, ach hätte Martin sich ihr trotz ihrer Geschwätzigkeit doch anvertraut, half gar nichts, denn dies eine Mal waren sie übereingekommen, daß ich und nicht Bon-Bon es sein sollte, der Martins Geheimnis hütete.

Welches Geheimnis? Was für ein Geheimnis, du lieber Gott?

Als Bon-Bon mit Daniel zu den anderen Kindern hinaufgegangen war, ging ich das Fach systematisch durch und sortierte die vielen losen Briefe nach ihrem Inhalt. Dazu kamen mehrere alte Scheckhefte mit Kontrollabschnitten, auf denen zwar Beträge angegeben waren, oft aber weder Datum noch Empfänger. Martin mußte seinen Steuerberater zur Verzweiflung gebracht haben. Offenbar hatte er sämtliche Steuerunterlagen, Quittungen und Zahlungsbelege, wie sie gerade kamen, in das Extrafach geworfen.

Manchmal geschehen jedoch kleine Wunder, und auf einem Kontrollabschnitt, datiert vom November 1999 (kein bestimmter Tag), fand ich den schlichten Namen Force (ohne Dr., ohne Adam). In der Zeile darunter stand einsam das Wort Puste, und im Kasten für den überwiesenen Betrag standen drei Nullen,000, ohne Zahl davor und ohne Komma.

Bei der Durchsicht der Kontrollabschnitte von drei anderen Scheckheften stieß ich auf eine Anzahl ähnlich unvollständiger Angaben. Verfluchter Martin! Wirklich ein Mann fürs Geheime, wer solche Rätsel aufgab.

Der Name Force tauchte noch einmal in einem Notizblock auf, wo es in Martins krakeliger Handschrift hieß:

«Force, Bristol, Mittwoch, falls P Legup in Newton Abbot nicht als Starter angibt.«

Legup in Newton Abbot… War Legup ein Pferd und Newton Abbot die Rennbahn, für die es genannt war? Ich stand von Martins Schreibtisch auf und nahm mir die gesammelten Rennberichte in seinem Bücherregal vor, aber Legup hatte zwar vier oder fünf Jahre lang etwa acht Rennen im Herbst und Frühjahr absolviert, doch nur selten einmal mittwochs, und war offenbar nie daheim geblieben, wenn er genannt worden war.

Ich kehrte zum Schreibtisch zurück.

Ein Merkheft, das er wohl mit besonderer Sorgfalt geführt hatte, war im Vergleich zu seinem anderen Schreibkram von beispielhafter Übersichtlichkeit. Mit Datum waren dort Beträge aufgeführt, die Martin seit dem vergangenen Juni an den Jockeydiener Eddie Payne gezahlt hatte. Sogar sein Todestag mit der dafür fälligen Zahlung stand drin. Da Jockeydiener meines Wissens nach festen Tarifen bezahlt wurden, schien das Merkheft auf den ersten Blick weniger wichtig zu sein als vieles andere in dem papiernen Durcheinander, aber auf die erste Seite hatte Martin die Namen Ed Payne, Rose Payne, Gina Verity und Victor gekritzelt. In einem Eckkasten mit dicken Gitterstäben stand Waltman geschrieben. Kleine Strichzeichnungen zeigten Ed mit seiner Schürze, Gina mit ihren Lockenwicklern, Victor mit seinem Computer und Rose… Rose hatte einen Kranz aus Stacheln um den Kopf.

Martin, überlegte ich, hatte diese Familie fast so lange gekannt, wie Ed sein Jockeydiener gewesen war. Als er den Brief von Victor Waltman Verity bekam, wußte er also, daß da ein Fünfzehnjähriger sein Spiel trieb. In der Rückschau wurde mir klar, daß ich die falschen Fragen gestellt hatte, da ich von den falschen Voraussetzungen ausgegangen war.

Mit einem Seufzer legte ich das Heft weg und las die Briefe durch, die vorwiegend von Besitzern stammten; für die Martin gesiegt hatte. Aus all diesen Briefen sprach die Wertschätzung, die einem ehrlichen Jockey entgegengebracht wurde, und nirgends war auch nur andeutungsweise von Geheimnissen auf Video die Rede.

Dann kam ein Terminkalender von 1999 an die Reihe, den ich nicht im Geheimfach, sondern direkt auf dem Schreibtisch fand, wo eins der Kinder ihn hingelegt hatte. Es war ein reiner Jockeykalender, in dem kein Renntag fehlte. Martin hatte seine sämtlichen Rennen eingekreist und die Namen der von ihm gerittenen Pferde hinzugefügt. Für den letzten Tag des Jahrhunderts, den letzten seines Lebens, hatte er Tallahassee eingetragen.

Ich lümmelte mich in Martins Sessel, trauerte um ihn und wünschte wie verrückt, er könnte wenigstens für fünf Minuten noch einmal lebendig werden.

Mein auf dem Schreibtisch liegendes Handy gab seinen kurzen Rufton von sich, und in der Hoffnung, es sei Catherine, meldete ich mich.

Es war nicht Catherine.

Victors kieksige Stimme sprach mir hastig ins Ohr.

«Können Sie am Sonntag nach Taunton kommen? Bitte ja, bitte nehmen Sie den gleichen Zug wie schon mal. Mir geht das Telefongeld aus. Bitte sagen Sie ja.«

Ich horchte auf seinen dringlichen, der Panik nahen Ton.

«Ja, gut«, sagte ich, und die Verbindung brach ab.

Arglos und unbekümmert wäre ich an diesem Sonntag nach Taunton gefahren, hätte mich Worthington nicht unter viel Geknister von einem fernen Berg herab gewarnt.

«Haben Sie immer noch nicht begriffen, daß Sie da vielleicht in einen Hinterhalt marschieren?«

«Nicht bei Victor«, widersprach ich.»Der lockt mich nicht in eine Falle.«

«Ach nein? Und ist dem Opferlamm etwa bewußt, daß es gebraten werden soll?«

Lammbraten oder nicht, ich nahm den Zug.

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