Kapitel 8

Es war, als führte er ein Selbstgespräch.»Größe zirka eins fünfundachtzig. Braune Haare. Dunkle Augen. Alter achtundzwanzig bis vierunddreißig, würde ich sagen. Sympathisches Erscheinungsbild, sieht man von einer neueren Verletzung rechts am Kinn ab, die ärztlich versorgt worden ist und heilt.«

Er sprach in ein kleines Mikrofon, das er in der Hand hielt. Offenbar gab er für den Fall, daß ich in irgendeiner Weise tätlich wurde, eine Personenbeschreibung von mir durch, und ich gab ihm zu verstehen, daß mir das klar war. An jedem anderen Tag hätte ich über die Vorstellung gelacht.

«Er kam mit einem grauen Rover. «Er gab Jims Kennzeichen durch und beschrieb meine Kleidung.

Als er eine Pause einlegte, sagte ich:»Er heißt Gerard Logan und ist Glasmacher, mit einem eigenen Geschäft in Broadway, Worcestershire. Und wer sind Sie?«

Er war die Stimme am Telefon. Er lachte über meinen trockenen Tonfall und stopfte das Mikrofon in eine Tasche. Er sei George Lawson-Young, sagte er, Professor der Pulmologie, also Lungenspezialist.

«Und 78783?«fragte ich.»Gibt es dazu eine Anschrift?«

Bei allen Möglichkeiten der modernen Technik konnte er sich nicht vorstellen, wie ich ihn gefunden hatte.

«Altmodische Ausdauer und Rätselraten«, meinte ich.

«Das erkläre ich Ihnen, wenn Sie mir sagen, was Sie über Adam Force wissen.«

Ich mochte den Professor auf Anhieb, ohne die Vorbehalte, die ich gegenüber Adam Force verspürt hatte. Professor Lawson-Young ließ keinerlei böse Absicht erkennen, sondern warf im Gegenteil seine anfängliche Vorsicht über Bord. Mein erster Eindruck, einen gutmütigen und sehr vernünftigen Menschen vor mir zu haben, wurde bald zur Gewißheit, und so erzählte ich ihm ohne Umschweife von Martin und seiner Vereinbarung mit Dr. Force, dessen Videoband in Verwahrung zu nehmen.

«Martin wollte dann aber, daß ich es aufbewahre«, sagte ich,»und als er starb, kam das Band in meine Hände. Force ist mir nach Broadway gefolgt und hat das Band wieder an sich gebracht, und wo es jetzt ist, weiß ich nicht.«

Draußen auf der Straße fuhr Jim langsam mit dem grauen Rover vorbei, und sein blasses Gesicht hielt durchs Fenster nach mir Ausschau.

«Ich habe einen Leibwächter dabei«, sagte ich und winkte beruhigend zur Straße hin.

Belustigt gestand Professor Lawson-Young, daß auch er nur in sein Mikrofon zu brüllen brauchte, um Hilfe herbeizuholen. Anscheinend war er genauso froh wie ich, daß sich das nun erübrigte. Seine körperliche Anspannung löste sich. Und ich gab die mir dringend empfohlene Wachsamkeit auf.

«Wo haben Sie sich denn so am Gesicht verletzt?«fragte der Professor.

Ich zögerte. Was ich mir im Hinterhof von 19 Lorna Terrace geleistet hatte, hörte sich einfach zu blöd an. Als ich schwieg, hakte Lawson-Young neugierig nach, interessiert wie ein engagierter Zeitungsmensch. Ich antwortete lediglich, ich hätte mich geprügelt und den kürzeren gezogen.

Sogleich fragte er, weshalb ich mich geprügelt hätte und mit wem, und er fragte es mit der Autorität, die in seinem Beruf sicherlich vonnöten war.

Da er nicht alles zu wissen brauchte, erzählte ich ihm nur einen Teil der Wahrheit.»Ich war auf der Suche nach Dr. Force, und dabei habe ich mich an einem Wasserhahn gestoßen. Ziemlich ungeschickt.«

Er legte den Kopf schräg und betrachtete mich aufmerksam.»Ich muß leider feststellen, daß Sie mich anlügen.«

«Wie kommen Sie darauf?«

«Es ist ungewöhnlich, sich mit einem Wasserhahn zu prügeln.«

Ich zeigte ihm ein laues Grinsen.»Also gut, der Hahn war an einem Schlauch befestigt, mit dem ich geschlagen wurde. Darauf kommt es aber nicht an. Ich erfuhr, wo Dr. Force zu finden ist, und habe gestern in Lynton mit ihm gesprochen.«

«Wo in Lynton? In dieser neuen Privatklinik?«

«Phoenix House. «Ich nickte.»Die Klinik von Dr. Force sieht aus, als wäre sie für Kinder gedacht.«

«Nicht für Kinder. Für geistig Behinderte. Mir wurde gesagt, daß die älteren Patienten dort bei ihm in guten Händen sind.«

«Stimmt, sie sahen recht zufrieden aus.«

«Und was für einen Eindruck haben Sie sonst mitgenommen?«

Ich antwortete ihm ohne viel Zögern.»Force kann ausgesprochen reizend sein, wenn er will, und er hat auch ein bißchen was von einem Gauner.«

«Nur ein bißchen?«Der Professor seufzte.»Adam Force war hier Leiter eines Forschungsprojekts zur Linderung des Schnarchens mit Hilfe von Glasfaserinstrumenten und Mikrolaser…«Er schwieg einen Moment.»Ich möchte Sie nicht langweilen…«

Die Gefahr bestand nicht, denn da ich selbst Glasinstrumente für derartige Forschungen entworfen und hergestellt hatte, war mein Interesse geweckt. Als ich ihm das sagte, staunte der Professor seinerseits. Er ging auf die Arbeit, mit der Force beschäftigt gewesen war und die er gestohlen hatte, näher ein.

«Wir hatten mit einem Verfahren experimentiert, bei dem ein Mikrolaserstrahl durch ein Glasfaserinstrument in das Gewebe der Kehle geleitet wird. Der Mikrolaser erwärmt das Gewebe, so daß es hart wird und der Schlafende zu schnarchen aufhört. Gestohlen hat Adam Force das Ergebnis unserer Bemühungen, die optimale Wellenlänge zu finden, die ein Laser braucht, um das Gewebe zu durchdringen und es exakt auf die erforderliche Temperatur zu erwärmen… Können Sie mir folgen?«

«Mehr oder weniger.«

Er nickte.»Ein zuverlässiges Mittel gegen das Schnarchen wäre für die Betroffenen von unschätzbarem Wert. Adam Force hat diese Daten gestohlen und sie an ein Marketing-Unternehmen verkauft, das darauf spezialisiert ist, Neuheiten und Informationen über Neuheiten an den Mann zu bringen. Force gab unsere neuesten, noch unvollständigen Daten an Leute weiter, mit denen wir schon verschiedentlich gearbeitet hatten und für die kein Anlaß zu Mißtrauen bestand. Adam legte alle richtigen Papiere vor. Erst nach Wochen wurde der Dieb stahl entdeckt, und als wir den Marketing-Leuten unser Material anboten und sie uns sagten, das hätten sie bereits von Adam Force gekauft, fielen wir aus allen Wolken.«

«Also haben Sie ihn entlassen«, meinte ich.

«Das hätten wir tun sollen. Er hat sicher damit gerechnet, aber wir brauchten ihn unbedingt für unser Forschungsprogramm. «Der Professor sah eher betrübt als zornig drein.

«Lassen Sie mich raten«, sagte ich.»Sie haben ihn nicht angezeigt, weil er Ihnen allen so sympathisch war.«

Lawson-Young nickte traurig.»Adam hat praktisch auf Knien um Verzeihung gebeten und sich bereit erklärt, das Geld in Raten zurückzuzahlen, wenn wir ihn nicht vor Gericht bringen würden.«

«Und?«

«Zwei Monate lang hat er pünktlich gezahlt«, sagte der Professor geknickt,»und dann fanden wir heraus, daß er noch viel geheimere Informationen zu Geld zu machen suchte… und damit meine ich unbezahlbare Informationen, die die Welt verändern können. «Er unterbrach sich jäh, als hätte ihm der ungeheuerliche Vertrauensbruch von Adam Force die Sprache verschlagen.

«Zum Dank für unsere Großzügigkeit«, fuhr er schließlich fort,»hat er die neuesten, explosivsten Daten aus unserer ganzen Forschungsarbeit entwendet, und wir sind überzeugt, daß er vorhat, sie an den international Meistbietenden zu verkaufen. Ich spreche von den Informationen auf dem Video, das Ihnen Force wieder abgenommen hat, und wir hatten inständig gehofft, Sie würden das Band finden.«

«Sie wußten doch gar nicht, daß es mich gibt«, sagte ich ungläubig.

«Das wußten wir schon. Unsere Detektive sind sehr gründlich. Wir wußten nur nicht, ob Adam Sie nicht vielleicht eingewickelt hatte wie Ihren Freund Stukely.«

«Martin?«

«Aber ja. Force kann sehr überzeugend und charmant sein, wie Sie wissen. Wir nehmen an, daß er Stukely auch um einen ziemlich hohen Geldbetrag gebracht hat, der angeblich in unsere Forschungsarbeit fließen sollte.«

«Martin war doch kein Idiot«, wandte ich ein.

«Sehr wahrscheinlich hatte Stukely keine Ahnung, daß das Material auf dem Videoband gestohlen war. Glauben Sie mir, man muß kein Idiot sein, um auf einen Betrüger hereinzufallen. Mich halte ich auch nicht für einen Idioten, und er hat mich getäuscht. Ich habe ihn als Freund behandelt.«

«Wie hat Martin Dr. Force kennengelernt? Das wissen Sie nicht zufällig?«

«Doch. Das war bei einem Benefizessen für die Krebsforschung. Adam Force hat dort Geld für die Stiftung gesammelt, und Stukely war als Gast des Mannes da, für den er ritt, einem Förderer der Stiftung. Auch ich bin zufällig einer ihrer Förderer, und an dem Abend habe ich Martin Stukely kurz gesehen.«

Ich erinnerte mich dunkel, daß Martin von dem Essen erzählt hatte, aber wir hatten nicht länger darüber geredet. Allerdings war es typisch für Martin, an unerwarteten Orten Bekanntschaften zu schließen — hatte ich ihn doch als Geschworenen am Gericht kennengelernt.

Nach einer Weile sagte Lawson-Young:»Wir haben wirklich überall nach Beweisen dafür gesucht, daß Adam im Besitz von Material war, das dem Labor gehörte. Wir wissen mit neunzigprozentiger Sicherheit, daß er alle relevanten Einzelheiten auf der Videokassette, die er Martin Stukely anvertraute, aufgezeichnet hat.«

Zu meiner Erleichterung war keine Rede davon, mit Räubermethoden oder einer gesprächig machenden, rigorosen Zahnbehandlung aus mir herauszuholen, wo sich die

Kassette befand. Ich merkte jedoch, daß der Professor wieder so angespannt war wie zu Beginn, und ich fragte mich, ob er befürchtete, ich könnte ihn wie Adam Force zum Narren halten.

«Force hat die Kassette«, sagte ich einfach.»Fragen Sie ihn. Allerdings erzählte er mir gestern, er habe Ihre Formeln und Schlußfolgerungen überspielt und jetzt seien nur noch Pferderennen auf dem Band zu sehen.«

«O Gott.«

«Ich würde ihm das nicht glauben«, sagte ich.

Nach ein paar Augenblicken fragte der Professor:»Erkennen Sie jeweils, ob jemand lügt?«

«Das kommt auf die Person an und auf den Zusammenhang, in dem gelogen wird.«

«Mhm«, machte er.

Ich ließ eine lange Reihe von Halbwahrheiten Revue passieren, auch solche, die ich selbst in die Welt gesetzt hatte.

«Läßt man die Lügen beiseite«, meinte George Lawson-Young lächelnd,»erhält man wahrscheinlich die Wahrheit.«

Nach einer Weile sagte er noch einmal:»Wir haben wirklich überall nach Beweisen dafür gesucht, daß Adam Material an sich gebracht hat, das Eigentum des Labors ist. Wir glauben, daß er die relevanten Fakten auf Band aufgezeichnet hat, weil einer unserer Mitarbeiter meint, ihn dabei beobachtet zu haben, aber da er in einem ganz anderen Bereich tätig ist, hat er Adam geglaubt, als der ihm sagte, es handele sich um routinemäßige Aufzeichnungen. Dann hat Adam beim Pferderennen in Cheltenham Martin Stukely ein Band anvertraut. Nach Stukelys Tod hörten wir uns um und erfuhren, daß sein Jockeydie-ner das Band wie vorgesehen an einen Freund Stukelys weitergegeben hatte. «Er schwieg.

«Sie sind dieser Freund, und Sie können uns wirklich nicht sagen, wo wir das verschwundene Band suchen müssen? Noch besser wäre natürlich, Sie könnten es uns geben.«

«Das ist mir nicht möglich«, versicherte ich.»Ich glaube, Force hat es.«

Lawson-Young zitterte plötzlich in dem klammen, kalten Wind, und meine Gedanken waren nicht mehr richtig im Fluß. Ich schlug vor, unsere Unterhaltung irgendwo ins Warme zu verlegen, und nach einigem Nachdenken und einer Rücksprache übers Mikrofon sagte der Professor, wenn es mir recht sei, möchte ich ihn bitte zu seinem Labor begleiten.

Das war mir nicht nur recht, sondern ich fühlte mich durch das Angebot geehrt, und nach der Miene des Professors zu urteilen, sah er mir das an. Sein Vertrauen reichte indessen nicht so weit, daß er in meinen Wagen gestiegen wäre, sondern er fuhr mit einem, der plötzlich aus dem Nichts auftauchte, und ich fuhr mit Jim hinterher.

Das Forschungslabor des Professors lag im Erdgeschoß eines ziemlich imposanten Stadthauses aus dem neunzehnten Jahrhundert mit einem Säulenvorbau. Auf der Schwelle der Eingangstür jedoch ließen wir die Vergangenheit hinter uns; was vor uns lag, war die Zukunft.

Das war das Reich des Professors George Lawson-Young. Er stellte mich den jungen Medizinern seines Teams vor, die ich hauptsächlich oder überhaupt nur deshalb interessierte, weil ich vor langer Zeit ein Relaissystem entwickelt hatte, das die Geschwindigkeit, mit der sich flüssige oder gasförmige Stoffe durch Röhren unterschiedlichen Durchmessers bewegten, präzise zu steuern erlaubte.

Sonst waren nicht viel Arbeiten von mir zu sehen, aber der in winzige Pipetten und einige Spezialgläser eingravierte Firmenname LOGAN GLAS sorgte dafür, daß man mich als Mann vom Fach und nicht bloß als Besucher ansah. Jedenfalls konnte ich Dinge wie Saugheber, Zellseparatoren, Petrischalen und Destillierkolben beim Namen nennen, und als ich dann fragte, was Adam Force beim zweiten Mal gestohlen habe, wurde mir geantwortet.

«Inzwischen glauben wir eher, es war schon sein dritter Coup«, meinte eine junge Frau in einem weißen Kittel.

«Wie es aussieht, hat er auch die Formel für unser neues Asthmamittel entwendet, das die Vernarbung der Atemwege chronisch Asthmakranker verhüten soll. Das ist uns erst vor kurzem klargeworden, denn damals versicherte er uns, er nehme nur Resultate vom Vorjahr mit nach Hause, und wir glaubten ihm.«

Ringsherum wurde nachsichtig genickt. Trotz allem konnten sie Adam Force nicht böse sein. Der Professor selbst sagte mir schließlich ernüchtert, was ich die ganze Zeit schon hatte wissen wollen.

«Das von Adam Force aufgenommene und gestohlene Videoband zeigt die Ausbildung bestimmter Gewebekulturen und ihrer Bestandteile. Es handelt sich dabei um Zellkulturen einiger verbreiteter Krebsarten wie Lungenoder Brustkrebs. Ziel war die Entwicklung genetischer Mutationen, welche die Krebszellen sensibler für die Einwirkung von Arzneimitteln machen. Möglicherweise lassen sich alle landläufigen Krebsarten dadurch heilen, daß man den Erkrankten ein solches mutiertes Gen einpflanzt. Wahrscheinlich ist auch die chromatografische Aufteilung der verschiedenen Komponenten des genetischen Materials der Krebszellen auf dem Band zu sehen. Das ist alles sehr kompliziert. Auf den ersten Blick gibt das keinen Sinn, wenn man die Fachkenntnisse nicht hat. Deshalb wäre es gut möglich, daß der Vermerk >Nicht überspielen< mißachtet wird.«

Die technischen Einzelheiten waren mir zwar zu hoch, aber zumindest verstand ich, daß es auf dem Videoband, das die Menschheit retten konnte, um ein Heilmittel für zahlreiche Krebsarten ging.

«Und das soll funktionieren?«fragte ich den Professor.

«Es ist ein wesentlicher Fortschritt«, antwortete er.

«Aber«, überlegte ich laut,»ist es Millionen wert, wenn Force damit hausieren geht?«

«Das wissen wir nicht«, meinte Lawson-Young düster.

Auch Adam Force hatte gesagt:»Das weiß ich nicht.«

Offenbar keine Lüge, sondern ein Hinweis darauf, daß der Vorgang noch nicht hinreichend getestet worden war. Das Videoband war der Nachweis einer Möglichkeit, einer Bei-nah-Gewißheit, deren Wert sich erst noch zeigen mußte.

«Sie haben aber doch bestimmt Sicherheitskopien von allem, was auf dem Band war, oder?«fragte ich.»Selbst wenn jetzt Pferderennen darauf sein sollten?«

Ruhig wie ein Verurteilter, der sich mit der Unvermeid-lichkeit seiner Hinrichtung abgefunden hat, sagte mir der Professor die bittere Wahrheit.»Bevor er sich mit der Videokassette davonmachte, hat Adam unsere Aufzeichnungen darüber komplett zerstört, und sie konnten bis heute nicht ersetzt werden. Wir brauchen dieses Band, und ich kann nur hoffen, daß Sie recht haben und er gelogen hat. Das ist die Arbeit von zwei Jahren. Es forschen noch andere auf dem Gebiet, und wenn sie den Durchbruch vor uns schaffen, machen wir Millionen Verlust, statt Millionen zu verdienen.«

Während er kurz schwieg, klingelte das Telefon. George Lawson-Young nahm ab, hörte zu und gab den Hörer wortlos an mich weiter. Der Anrufer war Jim, in einem Zustand heller Aufregung.

«Der Doktor von gestern«, sagte er bestürzt,»der mit dem weißen Bart — «

«Ja?«

«Der ist hier draußen.«

«Mist… was macht er?«

«Er wartet. Er sitzt in seinem Wagen, der fünfzig Meter weiter oben an der Straße steht, und er hat einen großen Haudrauf bei sich. Aus der Gegenrichtung, ein Stück die Straße runter, erwartet Sie ebenfalls ein Wagen. Das ist die klassische Zange, und Sie sind in der Mitte. Was soll ich tun?«

«Wo sind Sie genau?«fragte ich.»Muß ich nach rechts oder nach links gehen, um zu Ihnen zu kommen?«

«Nach links. Ich stehe vier Wagen vor dem Weißbart, gegenüber von der Tür, durch die Sie das Gebäude betreten haben. Ich parke da, aber eine Politesse streicht herum. Im Gegensatz zu Weißbart stehe ich im Halteverbot, und ich kann mir keine Strafzettel mehr leisten, die sind schlecht fürs Geschäft.«

«Bleiben Sie im Halteverbot«, sagte ich.»Fahren Sie nur weg, wenn die Politesse Ihnen keine andere Wahl läßt. Dr. Force hat Sie und den Wagen gestern gesehen, das ist nicht zu ändern.«

Jim hob die Stimme:»Weißbart ist ausgestiegen! Was soll ich machen? Jetzt kommt er hier herüber!«

«Jim«, sagte ich ruhig,»nur keine Panik. Schauen Sie Dr. Force nicht an, wenn er näher kommt, und lassen Sie die Fenster zu. Unterhalten Sie sich weiter mit mir, oder lesen Sie mir was vor, wenn Sie was greifbar haben.«

«Herr Jesus.«

Lawson-Young zog seine Augenbrauen bis zum Haaransatz hoch.

«Mein Fahrer ist beunruhigt, weil Adam Force draußen vor der Klinik ist«, erklärte ich ihm. Und verschwieg, daß mich der Arzt bei unserer vorangegangenen Begegnung mit einer veritablen Giftspritze verscheucht hatte.

Jim las mir mit flatternder Stimme die Anfangssätze der Bedienungsanleitung für den Rover vor und fiepte plötzlich:»Er ist an meinem Fenster. Er klopft dagegen. Mr. Logan, was soll ich tun?«

«Lesen Sie weiter.«

Ich bat den Professor, den Hörer zu übernehmen, und eilte unverzüglich von unserem Standort im Labor zum Ausgang und hinaus auf die Straße. Dort stand auf der linken Seite Adam Force auf der Fahrbahn, klopfte heftig gegen das Fenster auf der Fahrerseite des Rovers und geriet über Jims ausbleibende Reaktion sichtlich in Rage.

Ich ging schnell den Gehsteig hinunter, verlangsamte auf den letzten Metern, überquerte die Straße, trat leise von hinten an Dr. Weißbart heran und sagte, als ich an seiner Schulter anlangte, wie zu Victor auf dem Bahnhof Taunton:

«Tag.«

Worthington und Tom Pigeon hätten nichts davon gehalten. Adam Force fuhr überrascht herum.

«Suchen Sie mich?«fragte ich.

Im Wagen zeigte Jim hocherregt mit dem Finger auf den Laboreingang und die Straße dahinter. Es herrschte wenig Verkehr, aber von einem der herankommenden Wagen, so bedeutete mir Jim, war das Schlimmste zu erwarten.

«Adam Force«, sagte ich laut,»ist in dieser Straße viel zu bekannt«, und unter Verzicht auf jede langwierige Vor-ausplanung, rein instinktiv, packte ich den reizenden Doktor beim Handgelenk, drehte ihm den Arm auf den Rük-ken, schwenkte ihn zu dem anrollenden Fahrzeug herum und ließ ihn spüren, wie fest ein durch jahrelanges Hantieren mit Schmelzglas gehärteter Griff sein konnte.

Adam Force schrie auf, zuerst vor Schmerz, aber dann auch, um Kapitulation und Verhandlungsbereitschaft zu signalisieren.»Sie tun mir weh. Hören Sie auf. Ich sage Ihnen alles. Hören Sie auf… Bitte… lassen Sie mich los, um Himmels willen.«

In der Übergangsphase zwischen Trotz und Flehen entfiel der Hand, die ich gepackt hielt, ein kleiner Gegenstand. Er landete im Rinnstein, nicht weit vom Gully, und ich hätte kaum darauf geachtet, hätte Force nicht wiederholt versucht, ihn mit dem Fuß durch die Abdeckung zu stoßen, damit er für immer verlorenging.

Ich wußte nicht, was er mit» alles «gemeint hatte, aber ich wollte es liebend gern erfahren. Er schrie unter meinem verstärkten Griff von neuem auf, und ich fragte mich, wie Professor Lawson-Young das wohl aufnahm, falls er noch zuhörte. Der Fahrer des anrollenden Wagens bremste, als er sah, wie Adam Force in der Klemme saß, und die Fahrer der vier nächsten Wagen hupten, da sie nicht wußten, was vor sich ging.

«Alles«, zischte ich Force als Stichwort ins Ohr.

«Rose«, setzte er an, überlegte es sich dann aber anders. Vor Rose hatte jeder Angst.

Ich riß heftig an seinem Arm, um ihm auf die Sprünge zu helfen, und sah mit einiger Bestürzung, daß der große Haudrauf, der sich jetzt aus dem Wagen hievte, um ihm beizuspringen, niemand anderes als Norman Osprey mit den gorillamäßig entwickelten Schultern war. Hinter mir sah ich den zweiten Wagen der klassischen Zange auf mich zukommen. Diese zweifach unangenehme Überraschung führte dazu, daß ich den Arm meines Gefangenen noch einmal hochriß, aber dann befürchtete ich, ich könnte ihm den Arm brechen oder die Schulter ausrenken. Echte Schmerztränen standen in den Augen des Arztes.

Wieder bettelte er um Pardon und sagte verzweifelt, unter Schluchzen:»Ich habe Rose das Gas besorgt… Cyclo-propan aus der Klinikapotheke… Rot und Grün kann ich ja nicht unterscheiden, aber Orange geht… nun lassen Sie mich los.«

Wegen des Straßenlärms und der gellenden Hupen war es schwer, ihn genau zu verstehen, aber bis jetzt hatte er mir, statt» alles «zu erzählen, lediglich eine naheliegende Annahme bestätigt, und ich behielt ihn so lange im Schwitzkasten, bis er eine für mich entscheidende Frage beantwortete, nämlich:»Woher kennen Sie Rose?«

Ihm schien das unwichtig.»Ihre Schwester Gina brachte ihre Schwiegermutter zu mir in die Klinik«, sagte er gereizt.

«Rose habe ich bei Gina daheim kennengelernt.«

So weit, so gut, jetzt mußte ich sehen, wie ich mich schnell und unverletzt hier herauswand. Die beiden Wagen waren so dicht herangekommen, daß sie Kühler an Kühler standen, nicht mehr weiter konnten und die Straße versperrten. Der Fahrer des zweiten beeilte sich auszusteigen, und zu meinem Schrecken sah ich, daß es Rose war. Die Verkehrsteilnehmer ringsum ließen unentwegt die Hupen sprechen. Die Politesse mit dem gezückten Strafzettelblock beobachtete den Zirkus von fern und pickte sich Jim heraus, der noch immer auf den gelben Streifen stand.

Norman Osprey, ein wandelnder Fels, peilte Force und mich an, um den Arzt zu befreien und vielleicht an den Zeitvertreib anzuknüpfen, bei dem ihn Tom Pigeon und die Hunde in Broadway unterbrochen hatten.

Da sie beide stur geradeaus schauten, stießen die Politesse und Norman der Buchmacher brutal zusammen und warfen sich, gebremst und aus dem Tritt gebracht, gegenseitig vor, keine Augen im Kopf zu haben.

Jim hielt den Blick leider getreulich auf die Bedienungsanleitung gerichtet, wie ich ihn angewiesen hatte, und las wacker vor sich hin.

Es nützte auch nichts, daß ich ihn anschrie, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen, und erst als ich den lautestmöglichen Londoner Taxi-im-Regen-Pfiff gegen Jims Konzentration aufbot, drang ich zu ihm durch.

«Fenster!«rief ich.

Endlich verstand er mich, doch er brauchte eine Ewigkeit, um die Zündung einzuschalten und das Fenster herunterzulassen. Rose fing an zu laufen. Die Politesse riß sich von Norman Osprey los. Gehupe gellte über die versperrte Straße.

«Jim, schaffen Sie den Wagen hier raus«, rief ich meinem Fahrer zu.»Ich rufe Sie an.«

Plötzlich bewies Jim, daß seine verwegenen Fahrkünste nicht bloß ein Gerücht waren. Mit kaum zwei Handbreit Spielraum lenkte er seinen Rover wie ein Zirkuspferd geschickt im Kreis, holperte über den Gehsteig, stieß mich und meinen Gefangenen energisch mit dem hinteren Kotflügel beiseite und verschwand um die nächste Ecke, während ich und der weißbärtige Arzt, der sich zwar nicht mehr vor Schmerzen krümmte, aber immer noch durch meinen Griff am Fortgehen gehindert wurde, hinter ihm her schauten.

Alle anderen rannten und schrien, wie es schien, wild durcheinander. Ich ließ Forces Handgelenk fahren, stieß ihn zugleich aber mit soviel Schwung in die Arme Norman Ospreys und der Politesse, daß sie alle drei aus dem Gleichgewicht gerieten.

In diesem sekundenlangen Drunter und Drüber bückte ich mich, hob das kleine Ding auf, das Force fallen gelassen hatte, nahm die Beine in die Hand und schoß davon wie aus dem Startblock einer Aschenbahn. Ich wich Autos und wütenden Fahrern aus, sprang um die Fangarme von Rose herum wie ein Rugbyspieler, der sich seinen Angreifern entzieht, und dachte bei mir — redete mir ein —, ich könnte ihnen allen davonlaufen, solange nicht irgendein Wichtigtuer dazwischenfunkte und mir ein Bein stellte.

Das Schicksal meinte es gut mit mir. Die Eingangstür des Laborgebäudes öffnete sich, und George Lawson-Young, das Telefon noch in der Hand, trat in den Säulenvorbau, sah herüber und bot mir mit einer Armbewegung das Institut als Zuflucht an. Ich stürmte praktisch durch die glänzend schwarz lackierte Tür und blieb lachend, außer Atem in der Eingangshalle stehen.

Er schloß die Tür.»Ich verstehe nicht, was es da zu lachen gibt«, meinte er.

«Das Leben ist ein Glücksspiel.«

«Und heute hatten Sie Glück?«

Der Professor gefiel mir. Ich grinste, gab ihm den kleinen Gegenstand, den ich vor dem Gully gerettet hatte, und fragte mit verhaltener Dringlichkeit:»Können Sie feststellen, was da drin ist?«

Er sah bestürzt auf das Mitbringsel, und ich nickte, als hätte er damit schon eine Unklarheit beseitigt. Ein wenig streng fragte er mich, ob ich wüßte, was er da so behutsam in der Hand hielt.

«Ja. Das ist eine Art Spritze. Man hält die Nadel in das Präparat und zieht es auf den Gummiball«, sagte ich.»Um das Präparat zu spritzen, drückt man einfach auf den Ball. Bei Pferden werden solche Spritzen manchmal vom Tierarzt benutzt, weil der Anblick normaler Injektionsspritzen sie ängstigt.«

«Ganz recht«, sagte er.»Sie scheinen sich ja gut auszukennen.«

«Ich war mit Martin mal dabei. «Ich unterbrach mich. So vieles hatte ich mit Martin erlebt.

Lawson-Young sagte, ohne auf Martin einzugehen:

«Diese kleinen Spritzen werden auch im Umgang mit manischen Patienten eingesetzt, die man auf die Erde holen oder beruhigen will.«

In Phoenix House wurden auch Kranke mit psychischen Störungen behandelt. Adam Force hatte Zugang zu einer gut ausgerüsteten Apotheke.

George Lawson-Young nahm das Gummibällchen vorsichtig zwischen zwei Finger, drehte sich um und führte mich in den Teil des Labors, in dem der GasChromatograph stand.

Der daumennagelgroße Ball war noch voller Flüssigkeit und, da er im Rinnstein gelegen hatte, auch außen naß. George Lawson-Young legte die Spritze behutsam in eine Schale und bat einen seiner jungen Ärzte, den Inhalt des Gummibällchens so schnell wie möglich zu bestimmen.

«Allerdings gibt es Gifte«, meinte er vorsorglich zu mir,»die sich nur schwer identifizieren lassen.«

«Es wird schon was sein, was in Phoenix House in der Apotheke war«, sagte ich.»Ich habe Force erst gestern nachmittag kennengelernt. Er hatte nicht die Zeit, etwas Ausgefallenes zu organisieren.«

Der Inhalt des Bällchens war überhaupt kein Problem. Schon nach knapp zehn Minuten hatte der junge Forschungsassistent einen Namen dafür.»Das ist Insulin«, sagte er rundheraus.»Ganz normales Insulin, wie es Diabetiker verwenden.«

«Insulin!«rief ich enttäuscht aus.»Weiter nichts?«

Der Forschungsassistent und der Professor lächelten nachsichtig.»Sind Sie zuckerkrank«, sagte der Professor,»kann die Dosis Insulin in dieser Spritze Sie für immer ins Koma befördern. Sind Sie nicht zuckerkrank, kann eine solche Menge Sie umbringen.«

«Mich umbringen?«

«Mit Sicherheit«, nickte Lawson-Young.»Das war eine letale Dosis. Man darf annehmen, daß sie nicht für Ihren Chauffeur, sondern für Sie bestimmt war; aber das hätte ich nun wirklich nicht von Adam gedacht. «Er hörte sich niedergeschmettert an.»Wir wußten, daß er stiehlt, aber töten. «Er schüttelte den Kopf.»Wissen Sie genau, daß die Spritze von ihm kam? Oder haben Sie sie bloß da auf der Straße liegen sehen?«

«Ich weiß genau, daß er sie in der Hand gehalten hat und daß ich sie ihm herausgeschlagen habe.«

Der Professor und ich saßen mittlerweile auf Drehstühlen in dem Bereich des Labors, den er als persönliches Arbeitszimmer nutzte.

«Die große Frage«, meinte ich,»ist eigentlich, warum?«

George Lawson-Young hatte keine Ahnung.

«Tun Sie mir einen Gefallen«, bat er schließlich.»Erzählen Sie mir die Geschichte mal von Anfang an.«

«Dann sage ich kurz meinem Fahrer Bescheid.«

Ich benutzte mein Handy. Jim meldete sich auf seinem Autotelefon und war einerseits erleichtert, daß ich frei sprechen konnte und von mir hören ließ, befürchtete aber andererseits, zu spät nach Hause zu kommen, wo seine Frau mit dem Risotto wartete. Außerdem machte er sich

Gedanken, wo er mich gesund und unbehelligt abholen könnte. Ich war schon froh, daß er sich bereit erklärte, auf mich zu warten. Der Professor ließ sich mein Handy geben, wies Jim an, in genau einer Stunde wiederzukommen, und bat mich, die sechzig Minuten voll zu nutzen.

«Die Geschichte handelt von zwei Videobändern«, begann ich zögernd.

«Zwei?«fragte der Professor.

«Zwei«, erwiderte ich, stockte dann aber.

«Bitte erzählen Sie. «Der Professor hatte es verständlicherweise eilig.

«Eines wurde hier von Adam Force aufgenommen und gestohlen«, sagte ich.»Er überredete Martin Stukely, es für ihn aufzubewahren, damit es niemand fand.«

«Wir hatten einen richterlichen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebefehl erwirkt und bereits angefangen, überall danach zu suchen, auch bei Adam zu Hause«, sagte Lawson-Young,»aber wir wären nie darauf gekommen, daß es in den Händen eines Jockeys ist.«

«Deshalb hat er es ihm wahrscheinlich gegeben«, sagte ich.»Aber wie es aussieht, dachte Martin, das Videoband sei bei mir, einem Freund, der keine vier neugierigen Kinder hat, noch besser aufgehoben. «Und keine geschwätzige oder zänkische Frau, hätte ich hinzufügen können. Die Frage blieb, ob Martin mir das Videoband wirklich gegeben hätte, wenn ihm klar gewesen wäre, daß es gestohlene Daten enthielt.

Der Professor lächelte.

«Martin Stukely«, fuhr ich fort,»nahm das gestohlene Band beim Pferderennen in Cheltenham von Force entgegen und gab es vorübergehend seinem Jockeydiener zur Aufbewahrung. Dann ritt er ein Pferd namens Tallahassee in einem Rennen, von dem er nicht zurückkam.«

Lawson-Young nickte.»Als Martin Stukely starb, gab der Jockeydiener Eddie das Band an Sie weiter, da er wußte, daß Martin es so gewollt hatte. «Der Professor schwieg.

«Mit Eddie dem Jockeydiener haben sich auch unsere Ermittler unterhalten, und er sagte ihnen, er wisse nichts von einem gestohlenen Forschungsvideo. Er sei der Meinung gewesen, er habe es mit einem Video von Ihnen zu tun, in dem Sie erklären, wie man eine unschätzbar wertvolle antike Halskette nacharbeitet.«

«Das ist das zweite Band«, sagte ich.»Es ist ebenfalls verschwunden.«

«Eddie hatte Ihr Halskettenduplikat in der Jockeystube gesehen. Und nebenbei bemerkt…«, George Lawson-Youngs kleines Büro erstrahlte von seinem Lächeln,»er fand es fabelhaft. Vielleicht können Sie es mir eines Tages mal zeigen, wenn das hier alles vorbei ist.«

Ich fragte ihn, was er unter» vorbei «verstehe, und sein Lächeln verschwand.»Für mich wird es vorbei sein, wenn wir das Videoband von unserer Arbeit wiederhaben.«

Er wußte sicher, daß Videobänder ziemlich einfach zu kopieren waren. Und daß es sich mit den darauf aufgezeichneten Informationen verhielt wie mit der Büchse der Pandora: Was einmal draußen war, blieb draußen. Das gestohlene Band zeigte vielleicht jetzt wirklich Pferderennen. Die Aufzeichnungen zur Krebsforschung aber kursierten vielleicht schon weltweit, so daß der Professor sie nicht mehr für sich, für sein Labor reklamieren konnte. Vielleicht war für ihn schon alles vorbei.

Für mich, dachte ich, würde es vorbei sein, wenn mich Rose und Adam Force in Ruhe ließen — aber wie aus heiterem Himmel schob sich plötzlich der vierte Schwarzmaskierte in mein Bewußtsein. Es würde erst vorbei sein, wenn seine Maske fiel.

Ganz beiläufig kam ich auf Nummer vier zu sprechen, da ich befürchtete, der Professor könnte meine Furcht davor als Hirngespinst abtun, doch er nahm sie durchaus ernst.

«Nehmen Sie die Vier in alle Ihre Berechnungen mit hinein«, empfahl er,»und schauen Sie sich die Ergebnisse an. Ergibt sich ein Grund, weshalb Force Ihnen nach dem Leben trachtet? Ergibt sich ein Grund, weshalb Sie überfallen werden? Denken Sie darüber nach.«

Das war vermutlich die Methode, die er gemeinhin bei seinen Forschungen anwandte: Addiere zu allem, was du gesehen und gehört und noch nicht ganz verstanden hast, eine Unbekannte, den Faktor x, und was bekommst du?

Bevor ich die Methode auch nur einüben konnte, kam einer der jungen Assistenten und teilte dem Professor und mir mit, daß Adam Force auf dem Gehsteig gegenüber dem Labor stand, zusammen mit einer drahtigen brünetten Frau — meiner Freundin Rose. Dr. Force, so hörten wir, starre auf den Eingang seiner einstigen Arbeitsstätte, als sinne er auf den bestmöglichen Weg zur Erstürmung der Bastille. Der Forschungsassistent wiederum tüftelte schon eifrig an einem Fluchtweg aus der Festung.

Der Professor meinte nachdenklich:»Adam kennt sich im Gebäude und drum herum mindestens so gut aus wie wir anderen. Er wird den Mann, der jetzt nicht mehr zu sehen ist, am Hintereingang postiert haben. Wie bekommen wir Mr. Logan also hier heraus, ohne daß Force es merkt?«

Die blitzgescheiten Forscher fanden zwar mehrere schwindelerregende Möglichkeiten, aber schließlich stimmten sie alle für den Fluchtweg, den ich dann auch nahm.

Die bildhübsche Ärztin, deren Vorschlag ich folgte, gab mir lebensgefährliche Anweisungen.»Gehen Sie die

Treppe hinauf. Am Ende der Treppe im sechsten Stock ist eine verriegelte Tür. Wenn Sie die aufmachen, kommen Sie aufs Dach. Da lassen Sie sich runterrutschen, bis Sie zu einer Brüstung kommen. Schleichen Sie geduckt die Brüstung entlang, damit der Mann unten auf der Gasse hinterm Haus Sie nicht sieht. Halten Sie sich rechts, und lassen Sie den Kopf unten. Da sind sieben Häuser aneinandergebaut. Sie schleichen hinter den Brüstungen durch bis zu der Feuerleiter am Ende, und da steigen Sie runter. Das letzte Glied der Leiter müssen Sie ausklinken, damit sie bis zum Gehsteig reicht. Wenn Sie unten sind, schieben Sie das Stück wieder hoch und klinken es ein. Mein Wagen steht dort in der Gasse. In einer halben Stunde komme ich hin. Bis dahin sollten Sie unten sein, ohne daß Dr. Force etwas gemerkt hat. Sie steigen zu mir in den Wagen, und ich bringe Sie zu Ihrem Fahrer. Sie müssen sich flach hinlegen, damit man nicht sieht, daß außer mir noch jemand im Wagen ist.«

Alle nickten.

Ich drückte George Lawson-Young die Hand. Er gab mir einen Schwung Telefonnummern und meinte breit lächelnd, die Nummer des Labors hätte ich ja schon. Das gestohlene Videoband würde ich sicherlich finden. Kombinationsgabe und Intuition würden mir helfen.

«Erhoffen Sie sich nicht zuviel«, sagte ich.

«Sie sind unsere einzige Hoffnung!«erwiderte er nüchtern.

Meine Fluchthelferin und ein paar ihrer Kollegen begleiteten mich gutgelaunt in den sechsten Stock und riegelten die Tür zum Dach auf.

Vergnügt, aber doch still wegen des Mannes tief drunten in der Gasse beobachteten sie, wie ich die sanft abfallende Schräge hinunterrutschte bis zu der Brüstung am Dach-rand. Als sie mich dort knien sahen, winkten sie noch einmal zum Abschied und sperrten die Dachluke hinter mir zu.

Ich hätte zwar auf allen vieren weiterrobben können, aber dann hätte mich Norman Osprey wahrscheinlich gesehen. Meine zierliche Retterin hatte nicht bedacht, daß ich fast doppelt so groß war wie sie. Um mich unsichtbar zu machen, mußte ich schon auf dem Bauch kriechen, denn die Brüstung war gerade einmal so hoch, wie mein Unterarm lang war.

Zitternd und schwitzend arbeitete ich mich bäuchlings hinter der kargen Deckung voran, und ich mußte meine Nerven und meine Phantasie komplett abschalten, um auch an den Stellen, wo der Putz bröckelte, weiterzukriechen. Es war ein langer Weg nach unten.

Die tiefstehende Sonne warf lange Schatten und machte alles noch schlimmer.

Die sieben Häuser kamen mir wie fünfzig vor.

Ich war überzeugt, ein Sturz über die Brüstung wäre leichter zu ertragen als diese waghalsige Robberei, als ich endlich die Feuerleiter erreichte.

Sieh es positiv, dachte ich grimmig, denn wenn Adam Force jemals auf dem Dach des Laborgebäudes gewesen war, würde er bestimmt nicht annehmen, daß ich da oben herumturnte.

Meine entzückende Retterin bemerkte, als sie mich unten auflas, kritisch, ich hätte mir ganz schön Zeit gelassen. Ich war viel zu geschlaucht und mein Mund viel zu trok-ken, um ihr zu antworten. Es tat ihr leid, daß das Dach vom Regen naß gewesen war und ich mir die Kleider versaut hatte. Das macht nichts, krächzte ich. Sie schaltete die Scheinwerfer und die Heizung an. Nach und nach hörte ich auf, vor Kälte — und vor Angst — zu zittern.

Wir fanden Jim gewohnt hektisch am vereinbarten Treffpunkt vor. Meine Retterin übergab mich ihm mit den Worten, die Fluchtaktion habe uns großen Spaß gemacht. Fürs Benzin wollte sie nichts haben. Aber ich drückte sie aus tief empfundener Dankbarkeit und gab ihr einen dik-ken Kuß.

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