10

Strov hatte bereits eine Stunde in einer dunklen Ecke des Demonsbane Inn gesessen, als sein Bruder Manuel endlich mit vier Arbeitskollegen hereinschneite.

Auf Oberst Lorenas Anweisung hin hatte Strov mit seinem Bruder über das Flammende Schwert gesprochen. Manuel hatte gesagt, dass er die Person, die ihn zu rekrutieren versucht hatte, seitdem nicht mehr gesehen hatte. Aber die letzten Male im Demonsbane hatte er gehört, wie ein wieseliger kleiner Fischer namens Margoz nach einigen Bechern Brandy etwas über das Flammende Schwert gebrabbelt hatte. Strov hatte gehofft, den eigentlichen Anwerber aufspüren zu können, von dem ihm Manuel eine Woche zuvor erzählte. Aber laut Manuel war der Mann seitdem nicht mehr im Demonsbane gesichtet worden.

Manuel konnte noch nie gut Menschen beschreiben. Murgoz bezeichnete er als »wieselig«, was etwa auf die Hälfte der Gäste im Demonsbane zutraf. Aber Manuel war sich sicher, dass er den Mann wiedererkennen würde, sobald er ihm gegenüberstand. Deshalb versprach er, nach seiner Schicht in den Docks zum Demonsbane zu kommen.

Strov traf bereits früh ein und nahm in der Ecke Platz. Er wollte mit dem Hintergrund der Taverne verschmelzen und die Leute beobachten. Nach ein paar Stunden war ihm klar, dass er niemals wieder hierher kommen würde. Der Tisch war schmutzig, der Stuhl, auf dem er saß, schief, und er wackelte auf dem ungewischten Boden. Er hatte sich sein erstes Getränk, ein wässriges Bier, selbst an der Theke geholt. Seitdem hatte niemand versucht, ihm nachzufüllen. Strov war erstaunt, dass sich der Besitzer mit dieser Einstellung halten konnte.

Außerdem fand Strov den Dämonenschädel hinter dem Tresen unglaublich störend. Es war, als würde ihn das Ding die ganze Zeit anstarren. Obwohl, wenn man es recht bedachte, konnte er sich gut vorstellen, wie die Anwesenheit dieses Schädels die Leute dazu anspornte, mehr zu trinken – schon um ihn irgendwann nicht mehr zu sehen, zumindest nicht klar. So gesehen war es letztlich wohl doch eine dem Umsatz förderliche Entscheidung, das hässliche Ding hier aufzuhängen.

Manuel trat mit einer Gruppe von Leuten ein, die wie er selbst stämmig und laut waren und ärmellose Hemden über weiten Baumwollhosen trugen. Strovs Bruder bestritt seinen Lebensinhalt mit dem Be- und Entladen von Schiffen, die in Theramore anlegten, und verbrachte die meiste freie Zeit beim Würfeln oder in dieser Taverne. Es war ein Job, der den Körper forderte, nicht den Geist, weshalb er für Strov uninteressant war, aber dem deutlich fantasieloseren Manuel genügte. Strovs älterer Bruder strengte nicht allzu gern seinen Grips an. Selbst die eher rustikale Soldatenausbildung, die Strov genossen hatte, wäre zu anspruchsvoll für ihn gewesen. Er bevorzugte es schlicht. Ihm genügte es, dass man ihm auftrug, eine Kiste von einem Ort zu einem anderen zu befördern. Alles, was darüber hinausging – wie etwa die Feinheiten eines Schwertkampfes –, bereitete ihm Kopfschmerzen.

Als die Dockarbeiter zur Theke gingen, sagte Manuel: »Sucht einen Tisch, Jungs. Ich ordere die Getränke.«

»Die erste Runde geht auf dich?«, fragte einer mit breitem Grinsen.

»Klar, wir verrechnen es später.« Manuel lachte und ging zur Bar. Strov bemerkte, dass sein Bruder nicht den direkten Weg dorthin einschlug. Stattdessen bewegte er sich in einem merkwürdigen Winkel, sodass er sich zwischen zwei Leuten hindurchzwängen musste, um sein Ziel zu erreichen.

»N'abend, Erik«, begrüßte er den Wirt.

Der nickte nur und wartete auf die Bestellung.

»Zwei Bier, einen Brandy, einen Wein und einen Eberschnaps!«

Strov grinste. Manuel hatte schon immer eine Schwäche für Eberschnaps gehabt, der selbstverständlich das teuerste Getränk in der Taverne war. Das war einer der Gründe, warum er immer noch bei ihren Eltern lebte, während Strov längst seine eigene Behausung hatte.

»Verstehe, das Übliche«, sagte Erik. »Kommt sofort.«

Als Erik sich abwandte, um die Bestellung zusammenzustellen, drehte sich Manuel um und blickte den Mann, der ihm am nächsten saß, unverwandt an. Der war nach Strov gekommen, trank aber bereits seinen dritten Brandy.

»Hey«, sagte Manuel, »du bist Margoz, richtig?«

Der Mann schaute wortlos und mit leerem Blick zu Manuel auf.

»Du bist doch mit diesen Flammendes-Schwert-Leuten zusammen, oder? Da war doch dieser Kerl hier drin, schon 'ne Weile her, und der hat nach neuen Rekruten gesucht. Zu dem gehörst du, oder?«

»Keine Ahnung, wovon du sprichs'«, nuschelte Margoz und verschluckte dabei den einen oder anderen Buchstaben. »Schulligung.«

Margoz stand auf, stürzte ungelenk zu Boden, stand wieder auf, lehnte jede Hilfe von Manuel ab und bewegte sich dann ebenso langsam wie unsicher auf die Tür zu.

Einen Augenblick, nachdem Manuel genickt hatte, verabschiedete sich Strov von seinem längst geleerten Krug und trat ebenfalls auf die Straße hinaus.

Das Kopfsteinpflaster war wie ein Gitternetz angeordnet, um Passanten, Reittieren und Wagen einen festen Untergrund zu bieten und zu verhindern, das sie in dem sumpfigen Boden, auf dem die Stadt errichtet worden war, stecken blieben. Die meisten Leute bevorzugten es, darauf zu gehen, statt auf dem Schlamm und Gras an den Seiten. Deshalb waren die Durchgänge so stark frequentiert, dass Strov Margoz folgen konnte, ohne befürchten zu müssen, von ihm entdeckt zu werden.

Nachdem Margoz mit vier verschiedenen Leute zusammengestoßen war, von denen zwei auch noch angestrengt versucht hatten, genau das zu vermeiden, wurde Strov klar, dass sie auch weit und breit die Einzigen auf der Straße hätten sein können, ohne dass Margoz ihn entdeckt hätte. Der Kerl war so betrunken, dass er sogar einen Drachen übersehen hätte, wenn der ihm feuerspeiend gefolgt wäre.

Trotzdem blieb Strov vorsichtig. Er hielt sicheren Abstand, starrte seine Zielperson nur selten direkt an und behielt sie stattdessen lieber aus den Augenwinkeln im Blick.

Nach kurzer Zeit erreichten sie ein kleines Haus aus gebrannten Lehmziegeln nahe den Docks. Dieses Haus war aus noch billigeren Materialien als Holz oder Stein, was darauf hindeutete, dass wirklich arme Leute darin lebten. Wenn dieser Margoz tatsächlich Fischer war, musste er ein ziemlich schlechter sein. Man musste schon reichlich unbegabt sein, um als Fischer an der Küste der Großen See ein so spartanisches Leben zu führen.

Die nahe gelegene Jauchegrube war offenbar nur unzulänglich abgedeckt, und Strov würgte, als er den Geruch der Fäkalien einatmete.

Margoz betrat das Gebäude, das vermutlich ursprünglich als Behausung mit vier Räumen errichtet worden war, bewohnt von einer Familie. Jetzt aber hatte jeder Raum einen anderen Mieter.

Strov bezog hinter einem der gegenüberliegenden Bäume Position.

In dreien der Räume brannten bereits Laternen. Die vierte ging rund eine halbe Minute an, nachdem Margoz das Haus betreten hatte. Strov verließ seinen Platz, schlenderte hinüber und blieb nahe bei Margoz' Fenster stehen. Dabei tat er so, als müsse er urinieren. Er stolperte mit Absicht, damit Passanten ihn für einen Betrunkenen hielten, der seine Erleichterung suchte. In dieser Gegend waren Trunkenbolde nichts Ungewöhnliches und erst recht nicht, dass sie dort, wo sie gerade standen, die übervolle Blase leerten.

Aus Margoz' Quartier hörte Strov dumpfe Worte. »Galtak Ered'nash. Ered'nash ban galar. Ered'nash havikyrthog. Galtak Ered'nash

Den Rest verstand Strov nicht. Aber der erste und der letzte Teil waren zweifelsfrei dem Idiom entliehen, das die Orcs verwendeten, die sie in Northwatch angegriffen hatten.

Zufrieden, die richtigen Schlüsse gezogen zu haben, hörte Strov weiter zu.

Sein Gesicht verzog sich vor Ekel, als er plötzlich auftretenden Schwefelgestank bemerkte. Eigentlich hätte der Schwefel wenigstens etwas angenehmer riechen müssen – oder zumindest weniger widerwärtig – als der überwältigende Geruch aus der Jauchegrube. Aber etwas stimmte daran nicht. Etwas Böses lag darin. Margoz Worte hatten wie eine Beschwörung geklungen, und jetzt das. Magie schien im Spiel zu sein. Und Strov hätte sein Schwert darauf verwettet, dass es sich um dämonische Zauberkunst handelte.

»Tut mir Leid, Herr, ich wollte nicht...« Margoz schwieg. »Ja, ich verstehe, Ihr wollt nicht gestört werden, wenn es nicht wichtig ist, aber es dauert jetzt schon Monate, Herr, und ich hause immer noch in demselben Loch. Ich will ja nur wissen...« Wieder eine Pause. »Aber es ist wichtig für mich. Und was noch wichtiger ist: Die Leute reden mit mir, als ob ich ihnen helfen könnte.«

Strov konnte die andere Hälfte der Unterhaltung nicht hören, woraus er schloss, dass Margoz entweder verrückt war und mit sich selbst sprach (was, wie Strov einräumen musste, nicht völlig unwahrscheinlich war), oder der Dialogpartner artikulierte sich auf eine Art, die nur Margoz hören konnte.

»Ich weiß nicht, wovon Ihr redet. Keiner ist...« Wieder eine Pause. »Nun, woher sollte ich denn das wiss... Hä? Ich hab doch hinten keine Augen.«

Was Strov über Dämonen wusste, drehte sich weitgehend darum, wie man sie tötete. Aber diese einseitige Unterhaltung trug definitiv die Handschrift von Dämonen. Und das nicht nur wegen des Schwefels.

Er zog seine Hose hoch. Er hatte genug gehört, was er Oberst Lorena berichten konnte. Außerdem mochte er die Vorstellung nicht, sich so nah bei einem Dämon aufzuhalten.

Als er sich umdrehte, starrte er in absolute Dunkelheit.

»Was zum Teuf...?« Er wirbelte herum. Aber auch dort gab es nur tintige Schwärze. Theramore war vollständig verschwunden.

Ich mag keine Spione.

Strov hörte die Stimme weniger, als dass er sie bis tief ins Mark seiner Knochen spürte. Es war, als hätte ihm jemand die Augen zugenäht – nur dass sie weit offen standen und er dennoch absolut nichts sehen konnte.

Aber war nicht nur die Sicht, die ihm abhanden gekommen war. Die Dunkelheit legte sich auch auf seine übrigen Sinne. Er konnte weder den Straßenlärm von Theramore hören noch die von der See hergetragene Salzluft schmecken, noch die Brise spüren, die von der Großen See herüberwehte.

Das Einzige, was er nach wie vor roch, war Schwefel.

Warum spionierst du meinem Untertan hinterher?

Strov schwieg. Er war sich nicht mehr sicher, ob er überhaupt der Sprache mächtig war, und selbst wenn, wollte er solchen Kreaturen niemals irgendwelche Informationen zukommen lassen.

Ich habe für solche Spielchen keine Zeit. Mir scheint, du solltest einfach sterben.

Die Dunkelheit brandete auf Strov herab. Sein Körper wurde kalt, das Blut gefror ihm in den Adern, sein Geist schrie in unendlicher Qual.

Der letzte Gedanke, den Strov zu formen im Stande war, galt Manuel. Er hoffte inständig, dass sein Bruder nicht Strovs gesamte Hinterlassenschaft in Eberschnaps umsetzen würde...

Загрузка...