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Muzzlecrank liebte es, ein Gnomenbüttel zu sein. Und als er damit angefangen hatte, war es ein leichter Job gewesen. Büttel sicherten den Frieden in Ratchet, und die Bezahlung war gut. Muzzlecrank verbrachte seine Schicht damit, in seinem Bereich am Pier von Ratchet auf und ab zu gehen, die üblichen Betrunkenen und Landstreicher zu verprügeln, Bestechungen von Schiffsmeistern, die Schmuggelware beförderten, entgegenzunehmen, diejenigen einzusperren, die zu dumm oder zu geizig waren, Bestechungen zu zahlen, und generell alle möglichen Arten von Leuten zu treffen.

Muzzlecrank hielt sich seit jeher für den geselligen Typ. Ratchet war ein neutraler Hafen. Gnome hatten es sich zur Regel gemacht, in den zahlreichen Konflikten, die das Land verwüsteten, keine Partei zu ergreifen. Als Resultat davon kam so ziemlich jede Spezies, die man auf der Welt finden konnte, früher oder später hier durch. Elfen, Zwerge, Menschen, Orcs, Trolle, Oger, ja sogar gewöhnliche Gnome. Hier war der Knotenpunkt von Kalimdor.

Muzzlecrank liebte es, die wechselseitigen Beziehungen zu beobachten, ob es nun Zwerge waren, die Baumaterial an die Elfen verschifften, Elfen, die Edelsteine zu den Menschen schafften, Orcs, die den Elfen Getreide lieferten, Menschen, die Fisch zu den Oger brachten oder Trolle, die Waffen an so ziemlich jeden verhökerten.

Aber dann waren die Beziehungen schlagartig abgekühlt. Besonders zwischen Menschen und Orcs. Was problematisch war, weil die meisten Besucher in Ratchet zu einer dieser beiden Rassen gehörten. Ratchet lag an Durotars südlichster Küste und war auch der Theramore am nächsten gelegene Hafen.

Erst letzte Woche hatte Muzzlecrank einen Streit zwischen einem Orc-Seemann und einem Menschen-Händler beenden müssen. Der eine war auf den Zeh des anderen getreten, und der Mensch hatte sich darüber ziemlich aufgeregt. Muzzlecrank war gezwungen gewesen, sie auseinander zu bringen, bevor der Orc den Menschen zu Brei schlagen konnte, was alles andere als ein Spaß gewesen wäre.

Muzzlecrank bevorzugte Kämpfe gegen Betrunkene oder Landstreicher, weil die so freundlich waren, nicht zurückzuschlagen. Wildgewordene Orcs hingegen waren ein ganz anderes Kaliber, und Muzzlecrank wollte damit lieber nichts zu tun haben.

Kämpfe bedeuteten normalerweise, dass er sein Netzgewehr in Anschlag bringen musste, und jedes Mal, wenn er das tat, riskierte er, dass jemand herausfand, wie schlecht er wirklich mit dem dummen Ding umzugehen verstand.

Ja klar, er konnte es sehr leicht abfeuern. Jeder Idiot konnte das – nur Zielen und den Abzug drücken, und ein Schwall komprimierter Luft jagte ein Netz raus, um das einzufangen, worauf man eben gerade schoss.

Aber Muzzlecrank zielte im Regelfall sehr schlecht, das Netz verpasste fast immer das Ziel und veranstaltete dann eine ziemliche Sauerei. Glücklicherweise reichte es normalerweise völlig aus, wenn ein Büttel mit der riesigen Mündung des Gewehrs auf jemanden zielte, um die meisten Konflikte zu beenden. Oder die Kontrahenten wenigstens so lange hinzuhalten, bis Verstärkung eintraf.

Seitdem waren keine neuen Kämpfe mehr entbrannt. Aber eine Flut von Schimpfworten wurde ausgetauscht, und hitzige Diskussionen folgten. Es war so weit gekommen, dass viele der Handelsschiffe neuerdings nur noch mit einer bewaffneten Eskorte nach Ratchet kamen – die Orc-Boote mit Kriegern aus Orgrimmar, die Menschen-Schiffe mit Soldaten aus Northwatch.

Muzzlecranks Bereich war die nördlichste Sektion des Piers, ein Gebiet mit zwanzig Ankerplätzen, und als er dort entlang schlenderte, sah er, dass fünfzehn der zwanzig Docks belegt waren. Noch aber blieb zu seiner Erleichterung alles ruhig. Die Sonne schien ihm ins Gesicht und wärmte ihn in seinem Brustpanzer. Vielleicht würde es heute ein guter Tag werden.

Nach ein paar Minuten verschwand die Sonne. Ein paar Wolken waren aufgezogen. Bald würde es zu regnen anfangen. Muzzlecrank seufzte. Er verabscheute Regen.

Am kurzen Ende des Docks sah er einen Menschen und einen Orc, die eine lebhafte Unterhaltung miteinander führten. Muzzlecrank gefiel nicht, was er sah. Lebhafte Unterhaltungen zwischen Menschen und Orcs neigten in diesen Zeiten dazu, in Gewalt auszuarten.

Er ging näher heran. Das Boot des Menschen war direkt neben dem des Orcs vertäut, an den nördlichsten Anlegeplätzen. Muzzlecrank erkannte den Orc. Es war Kapitän Klart von der Raknor, einem Handelsschoner, der Getreide von den Bauern in der Razor-Hill-Region transportierte.

Obwohl er sich nicht an den Namen des Menschen erinnerte, wusste Muzzlecrank, dass dessen Schiff ein Fischtrawler namens Lohn der Leidenschaft war. Muzzlecrank hatte wenig Verständnis für die Namenskonventionen der Menschen. Klatt hatte die Raknor nach seinem Bruder benannt, der im Kampf gegen die Brennende Legion gefallen war, aber der Gnom hatte nicht die geringste Ahnung, worauf sich der Name Lohn der Leidenschaft bezog. Bestimmt nicht aufs Fischen.

Der Handel mit Waren boomte. Getreideanbau war schwierig in den Marschen von Dustwallow, wo die Menschen auf Kalimdor lebten. Aber es gab ausreichend Fisch. Razor Hill dagegen lag zum Fischen viel zu tief landeinwärts. Deshalb tauschten die Menschen des Öfteren ihren überschüssigen Fang gegen das überschüssige Getreide der Orcs.

»Ich tausche doch nicht meinen besten Lachs gegen diese Abfälle!«

Muzzlecrank seufzte. Offensichtlich liefen die Geschäfte heute nicht sonderlich gut.

Klatt stampfte mit dem Fuß auf. »Abfälle? Du lügst, du kleine Made. Das ist mein bestes Getreide.«

»Das spricht nicht für deine Farm«, konterte der Mensch trocken. »Das Korn sieht aus, als sei ein Oger darauf herumgetrampelt. Und es riecht auch so.«

»Ich stelle mich doch hier nicht hin und lasse mich von einem Menschen beleidigen!«

Der Mensch richtete sich zu seiner vollen Größe auf, wodurch er dem Orc gerade mal bis zur Schulter reichte. »Nicht du bist derjenige, der hier beleidigt wird. Ich habe meinen besten Fang, und du bietest mir den Bodensatz aus deinem Fass zum Tausch an!«

»Dein Lachs taugt nicht mal als Streu!«

Zu spät bemerkte Muzzlecrank, dass der Mensch mit etwas bewaffnet war, das wie ein Langschwert aussah, während Klatt unbewaffnet schien. Weil er annahm, dass der Mensch im Umgang mit der Klinge geübt war, relativierte das die Vorteile, die Klatt in einem Kampf aus seiner Größe ziehen konnte.

»Und dein Korn taugt nicht mal für die Hunde!«

»Feigling!«

Muzzlecrank zuckte bei Klatts Worten zusammen. »Feigling« war die größte Beleidigung, die ein Orc von sich geben konnte.

»Dreckige Grünhaut! Ich hätte große Lust...«

Wozu der Mensch große Lust hatte, ging unter, als Klatt ihn angriff. Der Mensch war nicht in der Lage, sein Langschwert rechtzeitig zu ziehen, und die beiden rollten miteinander ringend über das Dock. Klatt hieb immer wieder auf den Menschen ein.

Noch während er überlegte, wie genau er die Sache beenden sollte, wurde ihm die Entscheidung von der Menscheneskorte erleichtert. Drei Wachen, die Brustpanzer trugen, die sie als Lady Proudmoores Truppen auswiesen, sprangen von der Lohn der Leidenschaft und rissen Klatt von ihrem Kapitän fort.

Aber Klatt ließ sich von gerade mal drei Menschen nicht nachhaltig bremsen. Er boxte einem in den Bauch, griff sich den zweiten und schleuderte ihn gegen den dritten.

Nun begannen die Orcs von der Raknor zu springen und in die Schlägerei einzugreifen. Muzzlecrank erkannte, dass er etwas tun musste, bevor alles aus dem Ruder lief.

Er legte sein Netzgewehr an, hoffte dabei von ganzem Herzen, dass er es nicht wirklich einsetzen musste und brüllte: »Okay, das war's! Aufhören, sofort, oder ihr habt alle ein Problem! Kapiert?«

Klatt, der gerade wieder auf den Menschenkapitän zuspringen wollte, stoppte. Sein Widersacher, der aus Nase und Mund blutete, schrie: »Er hat mich angegriffen!«

Die Stimme des Menschen hatte einen nasalen Beiklang, vermutlich das Resultat seiner lädierten Nase.

»Ja, das hast du auch verdient – wer sein Wort bricht...«, schnaubte Klatt.

»Das ist doch kein Grund, einem Mann an die Gurgel zu gehen!«

»Ich sagte Ruhe!« Muzzlecrank ergriff das Wort, bevor Klatt antworten konnte. »Ihr steht beide unter Arrest. Ihr kommt entweder friedlich mit – oder in Einzelteilen. Für mich macht das keinen Unterschied.« Er sah die Orc-Krieger und die Menschen-Soldaten an. »Hier ist Gnomengebiet, und das bedeutet, dass ich hier die Befehle gebe, kapiert? Deshalb habt ihr jetzt zwei Möglichkeiten: Helft mir, diese beiden einzusperren, bis ein Schiedsmann sich des Falls annimmt, oder schafft eure Ärsche raus aus Ratchet. Es bleibt ganz Euch überlassen.«

Muzzlecrank hatte seine Stimme gesenkt in der Hoffnung, dass er so seinen Worten mehr Autorität verleihen konnte. Aber er wusste, dass er keine Möglichkeit hatte, diese Leute aufzuhalten, wenn sie sich seinen Worten zum Trotz doch entschlossen, weiterzukämpfen. Falls er gezwungen wurde, das Netzgewehr abzufeuern, würde er bestenfalls einen der Landepfosten in Mitleidenschaft ziehen.

Zu seiner Erleichterung sagte einer der Menschen: »Wir wollen keinen Ärger. Wir ziehen ab.«

Augenscheinlich wollten auch die Orcs nicht die Souveränität der Gnome von Ratchet verletzen, wenn es schon die Menschen nicht taten. Deshalb rief einer der Orcs schnell: »Wir auch!«

Als er Klatt und den blutenden Menschen zurückbrachte, versuchte Muzzlecrank, seinen Atem unter Kontrolle zu bekommen, um nicht zu hyperventilieren. Er war für diese Art Aufregung nicht geschaffen, aber ihm fiel auch auf Anhieb kein anderer Job ein, in dem er seinen Mann gestanden hätte.

Wie auch immer, Büttel zu sein hatte definitiv an Attraktivität eingebüßt.


Major Davin war so wütend, dass er an seinem Bart riss. Er zwang sich aufzuhören. Das letzte Mal, als er so wütend gewesen war, hatte er ganze Büschel ausgerupft, was nicht nur schmerzvoll war, sondern auch gegen die Kleiderordnung verstieß.

Der Grund seiner Wut war Korporal Rychs Bericht, den dieser nach seiner hastigen Rückkehr aus Ratchet verfasst hatte. »Sie haben tatsächlich Captain Joq eingesperrt?«

»Nun, das geschah nur der Fairness halber, Sir«, sagte Rych, »sie haben den Orc ebenfalls eingesperrt. Kaum ging die Streiterei los, kam dieser Gnomenbüttel dazu.«

»Und Ihr habt ihn Joq einsperren lassen?«

Rych blinzelte. »Mir blieb keine Wahl, Sir. Gnome sind für Ratchet zuständig. Wir haben keinerlei...«

Davin schüttelte den Kopf. »Keine Befehlsgewalt, ich weiß, ich weiß.« Er stand von seinem Stuhl auf, und begann im Büro auf und ab zu gehen. »Es ist lächerlich. Wir sollten diesem Schwachsinn nicht ausgesetzt sein.«

»Sir, ich verstehe nicht, worauf...«

»Die Orcs haben wirklich Nerven, wenn sie versuchen, uns so zu hintergehen.« Er drehte sich um und trat zum Fenster.

Rych nickte schnell und sagte: »Das ist sicherlich richtig, Sir. Das Korn, das sie uns angeboten haben, war wirklich widerlich, Sir. Eine Beleidigung war das. Und dann hat dieser Orc den Captain angegriffen. Völlig grundlos.«

Der Major blieb stehen und öffnete das Fenster. Er sah hinaus auf die Große See. Kleine Wellen schwappten sanft gegen den sandigen Strand. Es war ein friedliches Bild. Ein Idyll, von dem Davin wusste, dass es trügerisch war. »Alles gerät außer Kontrolle. Wenn die Orcs so weitermachen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis wir wieder mit ihnen im Krieg liegen.«

»Ich glaube nicht, dass das passieren wird, Sir.« Rych klang zweifelnd, aber Davin wusste es besser.

»Oh, es wird, Korporal, da könnt Ihr Euch absolut sicher sein. Und mit den Tauren und den Trollen auf ihrer Seite werden sie uns überrennen. – Es sei denn, wir sind vorbereitet.« Er wandte sich zur Tür. »Gefreiter!«

Der Gefreite Oreil kam herein. Wie immer, wenn er ihn sah, seufzte Davin. Ganz gleich, wie viele Male der junge Gefreite auch eingekleidet wurde, immer war ihm die Rüstung um einiges zu groß.

»Ja, Sir?«

»Nachricht nach Theramore, sofort. Wir brauchen Verstärkung, und zwar so schnell wie möglich!«

»Jawohl, Sir, wird erledigt, Sir.« Oreil salutierte und verließ das Wachbüro, um den magischen Stein zu holen, den Lady Proudmoore ihnen gegeben hatte, um die Kommunikation zwischen Northwatch und Theramore zu verbessern. Längere Unterhaltungen konnte man damit zwar nicht führen, aber für kurze Botschaften reichte es.

Rych rieb sich gedankenverloren die Wangen. »Oh, Sir, bei allem gebotenen Respekt, aber ist das wirklich eine so gute Idee, Sir?«

»Sogar eine sehr gute.« Davin setzte sich wieder an seinen Tisch und verspürte nicht länger den Drang, sich die Haare aus dem Bart zu rupfen. Endlich hatte er die Initiative ergriffen, und es wirkte befreiend auf ihn. »Ich lasse ganz bestimmt nicht zu, dass uns diese grünhäutigen Bastarde unvorbereitet treffen!«

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