Kaanyr Vhok, der halbdämonische Prinz, der als der Zepterträger bekannt war, stand auf einem Balkon hoch über der alten Zwergen-Gießerei und sah seinen Waffenschmieden bei der Arbeit zu. Die große Schmelze hatte einst das Herz des gefallenen Reiches Ammarindar dargestellt. Die Höhle war von gewaltiger Größe, und ihr Dach ruhte auf Dutzenden riesiger Säulen, die man in die Form von Drachen gehauen hatte und die vom wütenden Feuerschein und dem gespenstischen Schimmern geschmolzenen Metalls rot leuchteten. Das metallische Klirren von Hämmern und das Fauchen der Brennöfen erfüllten die Luft. Dutzende riesiger Tanarukks – bestialische Scheusale, die aus Orks und Dämonen entstanden waren – plagten sich auf dem Grund der Gießerei. Vhoks Soldaten mochte es an dem Geschick und den Zaubern der Zwerge mangeln, doch sie besaßen den Instinkt dafür, tödliche, mit finsterem Wissen versetzte Waffen zu schaffen.
Kaanyr selbst paßte gut in diese höllische Szene. Er war groß und kräftig gebaut, besaß die Statur eines muskulösen menschlichen Kriegers und die Stärke eines Giganten aus Stein. Seine Haut war rot und fühlte sich heiß an, und sein Fleisch war so fest, daß es eine Klinge abweisen konnte. Er war ausgesprochen attraktiv, auch wenn Boshaftigkeit in seinen Augen funkelte und seine Zähne schwarz wie Kohle waren. Er trug einen goldenen Brustpanzer und ein Paar gefährliche Kurzschwerter, die aus einem dämonischen schwarzen Eisen geschmiedet waren, in runenüberzogenen Scheiden am Gürtel. Er grinste breit, als er den Blick über seine Armee schweifen ließ.
»Ich führe jetzt fast zweitausend Tanarukk-Krieger an«, sagte er über seine Schulter, »und mir unterstehen fast noch einmal so viele Orks, Oger, Trolle und Riesen. Ich glaube, die Zeit ist gekommen, um meine Macht zu testen, meine Liebe.«
Aliisza gestattete sich ein Lächeln und kam näher, um sich von der Seite an den Dämonenprinzen zu pressen. Wie in Kaanyr Vhoks floß auch in ihren Adern dämonisches Blut. In ihrem Fall – sie war ein Alu-Scheusal – handelte es sich um das Blut eines Sukkubus und eines sterblichen Hexenmeisters. Flügel, so sanft und glatt wie schwarzes Leder, wuchsen aus ihren Schulterblättern, doch davon abgesehen war sie schwärzlich und verführerisch, sinnlich und anziehend, eine Halbdämonin, deren Verlockung nur wenige sterbliche Männer widerstehen konnten. Sie war außerdem klug, launisch und in magischen Dingen äußerst bewandert, womit sie als Komplizin eines von Dämonen abstammenden Kriegsherrn wie Kaanyr bestens geeignet war.
»Menzoberranzan?« schnurrte sie und strich mit einer Fingerspitze über das Filigran seiner Rüstung.
»Natürlich. In Ched Nasad dürfte es ja nichts mehr von Wert zu holen geben.« Vhok legte die Stirn in Falten, sein Blick ging ins Leere. »Wenn die Drow nicht von ihrer Spinnengöttin beschützt werden und sie nicht in der Lage sind, ihre unendlichen Fehden in den Griff zu bekommen, dann habe ich vielleicht die Möglichkeit, zu der Größe aufzusteigen, nach der ich immer getrachtet habe. Nachdem ich die Ruinen Ammarindars unter meine Herrschaft gebracht habe, muß ich feststellen, daß es mir nach mehr gelüstet. Eine Stadt der Drow zu unterwerfen ... das würde mir gefallen.«
»Das dachten auch schon andere«, warf Aliisza ein. »Der Magier aus Menzoberranzan, mit dem ich in Ched Nasad gesprochen habe, ließ mich wissen, daß es in seiner Stadt einen großen Sklavenaufstand gegeben hat, der von außen inszeniert worden war. Ich glaube, die Duergar-Söldner, die in Ched Nasad kämpften, hätten die Stadt nicht dem Haus überlassen, wenn sie sie erst einmal eingenommen hätten. Wäre die Wirkung der Feuerbomben der Duergar nicht so verheerend gewesen, dann würde Clan Xornbane nun über Ched Nasad herrschen.«
»Oder ich«, wandte Kaanyr ein und kniff die Augen zusammen. »Wenn du mir rechtzeitig Bericht erstattet hättest, wäre es mir möglich gewesen, meine Armee gegen Ched Nasad zu führen, sobald der Kampf den Drow und den Duergar vorübergehend die Kräfte geraubt hätte.«
Aliisza fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
»Du hättest jeden verloren, den du in die Stadt geschickt hättest«, erwiderte sie. »Deine Tanarukks hätten die Brände ausgehalten, aber der Zusammenbruch der Straßen hat alles zerstört. Glaub mir, in Ched Nasad hast du nichts verpaßt.«
Kaanyr erwiderte nichts. Statt dessen löste er sich von Aliisza und setzte leichtfüßig über das Balkongeländer, um zum Boden der Gießerei hinabzusinken. Der Kriegsherr hatte keine Flügel, doch seine dämonische Abstammung verlieh ihm die Fähigkeit, durch Willenskraft zu fliegen. Aliisza zog die Augenbrauen hoch, dann folgte sie ihm und breitete ihre schwarzen Schwingen aus, damit die aufströmende heiße Luft sie erfassen konnte. Kaanyr war noch immer verärgert, was Ched Nasad betraf, und ihr war klar, daß das alles andere als gut war. Wenn der Kriegsherr ihrer überdrüssig wurde, dann würde er zweifellos in der Lage sein, sie auf eine grausige Weise zu töten, ganz gleich, wie nahe sie sich einmal gewesen waren. Es gab nichts, dessen er nicht fähig war, wenn sein Temperament die Oberhand gewann.
Kaanyr landete neben einer Grube im Sand, die sich mit geschmolzenem Eisen füllte. Zwei Tanarukks standen daneben und wachten aufmerksam über den Vorgang. Kaanyr hockte sich neben das weißglühende Metall und rührte gedankenver-loren mit dem Finger darin herum. Die Temperatur war hoch genug, um ihm Unbehagen zu bereiten, so daß er nach wenigen Augenblicken das flüssige Eisen von seinem Finger schüttelte und ihn dann an seinem Oberschenkel abwischte.
»Gutes Eisen«, sagte er zu den Tanarukks. »Weiter so, Jungs.«
Er richtete sich auf und ging weiter. Aliisza flatterte auf den Steinboden und folgte ihm.
»Eine Sache macht mir Sorgen«, erklärte Kaanyr. »Warum haben die Xornbane-Duergar das Haus verraten, das ihre Dienste in Anspruch genommen hatte, und warum haben sie die Stadt niedergebrannt? War das nur ein Streit über die Bezahlung? Oder wollten sie Ched Nasad von Anfang an untergehen lassen? Wenn ja, steckte Horgar Stahlschatten dahinter? Schickte der Prinz von Gracklstugh seine Söldner nach Ched Nasad, um die Stadt zu zerstören? Oder tat der Xornbane-Clan es für einen anderen?«
»Ist das von Bedeutung?« fragte Aliisza, als sie auf gleicher Höhe mit ihm war. »Die Stadt wurde zerstört, ganz gleich, wessen Absicht es gewesen sein mochte. Die großen Häuser von Ched Nasad sind alle tot, und es haben im übrigen auch kaum Xornbane-Zwerge überlebt.«
»Es ist von Bedeutung, weil ich mir die Frage stelle, ob es die Absicht der Duergar Gracklstughs ist, als nächstes Menzoberranzan anzugreifen«, sagte Kaanyr. »Ich habe hier eine große Streitmacht versammelt, aber ich glaube nicht daran, Menzoberranzan einnehmen zu können, solange sich die Drow nicht in einem Zustand des völligen Chaos und der totalen Hilflosigkeit befinden. Wenn die Duergar vorhaben, auch in diese Stadt einzumarschieren, sind meinen Möglichkeiten keine Grenzen mehr gesetzt.«
»Ah«, hauchte Aliisza. »Du könntest deine Dienste den Drow, den Grauzwergen, allen beiden oder keinem von ihnen anbieten. Das ist allerdings interessant.«
»Der Preis, den ich fordern kann, wird um so größer, je mehr Krieger ich anführe, und er wird auch durch meine Nähe zu Menzoberranzan bestimmt. Aber es hängt alles von den Absichten der Duergar ab.« Kaanyr lachte schallend. »Ich möchte nicht vor den Toren von Menzoberranzan stehen, um festzustellen, daß die Drow stark und geeint sind und ich keinen Verbündeten aufzubieten habe.«
»Wieso habe ich nur das Gefühl, daß du mich gleich wieder losschicken wirst?« schmollte Aliisza. Sie legte die Flügel schmachtend um Kaanyr und hielt ihn fest, während sie die Hände hob, um ihn zu sich umzudrehen. »Ich bin gerade erst heimgekehrt.«
»Kluges Kind«, entgegnete Vhok lächelnd. »Ja, ich will dich auf eine neue Mission entsenden. Diesmal wirst du nicht im verborgenen vorgehen müssen. Du wirst Horgar Stahlschatten, dem Kronprinz von Gracklstugh, einen Besuch abstatten, und zwar als meine Gesandte – als Diplomatin. Finde heraus, ob die Duergar Menzoberranzan angreifen wollen. Wenn ja, dann laß sie wissen, daß ich daran interessiert bin, mich ihnen anzuschließen. Wenn nicht ... dann versuch einfach, sie davon zu überzeugen, daß es in ihrem Interesse sei, Menzoberranzan zu zerstören, solange die Drow geschwächt sind.«
»Die Zwerge werden sich mir wohl kaum anvertrauen.«
»Natürlich werden sie das nicht wollen. Aber wenn sie einen Angriff planen, dann werden sie sehen, welchen Nutzen sie davon haben, mich als ihren Verbündeten zu gewinnen. Sollten sie einen Angriff derzeit nicht in Erwägung ziehen, könnten sie ihre Meinung ändern, sobald sie hören, daß ich bereit bin, mich mit ihnen zu verbünden. Sie sind nicht daran interessiert, daß es Menzoberranzan wohl ergeht, deshalb mußt du dir keine Sorgen machen, sie könnten sich für die Drow einsetzen.«
»Gesandte ...«, murmelte Aliisza. »Das klingt besser als Spionin, oder? Ich nehme an, daß ich eine Nachricht für dich überbringen kann, mein süßer, hitziger Kaanyr. Aber vielleicht solltest du mir etwas Verlockendes in Aussicht stellen, damit ich schnell nach Hause zurückkehre, hmmm?«
Kaanyr Vhok nahm sie in die kräftigen Arme und schmiegte sich an sie.
»Wie du willst, mein Schatz«, flüsterte er heiser. »Manchmal frage ich mich, ob du eigentlich absolut unersättlich bist.«
Nach einer verzweifelten Flucht von Ruine zu Ruine hatte die Gruppe, der massiv zugesetzt worden war, nach gut einer Stunde endlich eine Zuflucht vor den Monstern gefunden, die über Hlaungadath herrschten. Im Schutz eines quadratischen Turms entdeckten sie eine vom Sand fast verdeckte Treppe, die hinab in die kühlen, lichtlosen Katakomben unter der Stadt führte. Von dieser Entdeckung angespornt bahnten sich die Drow ihren Weg durch ein Labyrinth aus Schreinen, unterirdischen Quellen und widerhallenden Säulengängen aus braunem Stein, bis sie schließlich einen tief gelegenen Gang entdeckten, der durch nichts darauf schließen ließ, daß er in jüngster Zeit benutzt worden war. Es war ein trostloser, abgeschiedener Flecken, aber weder gab es hier blendendes Sonnenlicht noch Geschöpfe, die den Verstand beeinflußten – und mehr hatten sie im Moment nicht nötig.
»Pharaun, bereitet rasch Zauber vor«, befahl Quenthel, nachdem sie sich in der Kammer umgesehen hatten. »Halisstra, Ihr und Ryld werdet Wache halten. Jeggred, du wirst mit Valas am Torbogen aufpassen.«
»Bedauerlicherweise müßt ihr etwas länger Wache halten«, erklärte der Magier und machte eine bedauernde Geste. »Ich war bereit, meine Zauberbücher zu studieren, als ich im Palast Zeit zum Ausruhen hatte. Aber die schlechten Umgangsformen der Lamien als Gastgeber haben mich ein wenig erschöpft. Ich muß eine Weile ruhen, ehe ich meine Zauber wieder vorbereiten kann.«
»Wir sind alle müde«, zischte Quenthel. »Wir haben keine Zeit, uns auszuruhen. Bereitet gefälligst Eure Zauber vor!«
Die Schlangen an ihrer Peitsche zuckten und zischten erregt.
»Das wäre vergeblich, liebe Quenthel. Ihr müßt unsere Feinde von mir fernhalten, bis ich mich von den Anstrengungen erholt habe.«
»Wenn er so machtlos ist«, polterte Jeggred, »wäre das doch jetzt eine gute Gelegenheit, ihn für sein respektloses Verhalten und seine Verfehlungen zu bestrafen.«
»Dumme Kreatur«, schnaubte Pharaun. »Töte mich, und ihr alle werdet keinen Tag in dieser vom Licht heimgesuchten Einöde überleben. Oder hast du vielleicht plötzlich einen Hang fürs Arkane entwickelt?«
Jeggred reagierte ungehalten, doch Quenthel brachte ihn mit einem strengen Blick zum Schweigen. Der Draegloth entfernte sich, um am anderen Ende des langen, staubigen Raums Position zu beziehen, und hockte sich in ein Chaos aus herabgestürzten Steinen am Eingang. Valas seufzte und trottete los, um sich zu ihm zu setzen.
»Bereitet Eure Zauber so schnell wie möglich vor, Magier«, sagte die Priesterin mit gepreßter Stimme, da sie eine todbringende Wut unterdrücken mußte. »Ich habe nicht viel Geduld, was Eure spitzfindigen Bemerkungen angeht. Gebt Halisstra Euren Blitze schleudernden Stab für den Fall, daß wir Zauber dieser Art benötigen, um einen weiteren Angriff abzuwehren.«
Es war ein deutliches Zeichen dafür, wie erschöpft Pharaun wirklich war, daß er nicht mal versuchte, das letzte Wort zu haben. Er wandte sich Halisstra zu und ließ mit einem Lächeln den schwarzen Eisenstab in ihre Hand fallen.
»Ich nehme an, Ihr wißt, wie er funktioniert. Ich möchte ihn natürlich zurück, also versucht bitte, ihn nicht ganz zu verbrauchen. So etwas ist schwer herzustellen.«
»Ich werde ihn nur einsetzen, wenn ich muß«, sagte Halisstra.
Sie sah zu, wie sich der Magier einen im Schatten gelegenen Punkt neben einer großen Säule suchte, sich im Schneidersitz hinsetzte und gegen den kalten Stein lehnte. Sie schob den Stab in ihren Gürtel. Quenthel begab sich zur gegenüberliegenden Wand und beobachtete Pharaun, als wolle sie sicherstellen, daß er nicht nur vortäuschte, eine Pause nötig zu haben. Ryld stützte sich auf seinen Zweihänder, erhob sich und machte sich auf den Weg zu dem Durchgang, der zurück zur von den Monstern heimgesuchten Oberfläche führte.
Halisstra wollte ihm folgen, doch Danifae sagte: »Soll ich hier Wache halten, Herrin?«
Die Dienerin kniete zwischen dem Magier und der Priesterin auf dem Boden, der Dolch steckte in ihrem Gürtel. Sie sah zu Halisstra auf, ihr Gesicht war völlig ausdruckslos und vermittelte den Eindruck, sie hätte eine völlig harmlose Frage gestellt.
Die Melarn-Priesterin zwang sich, nicht das Gesicht zu verziehen. Einer Kriegsgefangenen eine Waffe zu geben kam dem Eingeständnis gleich, daß man nicht länger die Kraft hatte, sie zur Unterwürfigkeit aufzufordern. Sie vermutete, Danifae würde später einen hohen Preis dafür fordern, ihr weiter zu gehorchen. Danifae selbst blickte ruhig drein, während ihre Herrin über das Angebot nachdachte. Halisstra spürte, daß Quenthels Blick auf ihr ruhte. Sie mußte sich zusammenreißen, um die Priesterin nicht zornig anzusehen.
»Du kannst den Dolch behalten, um dich zu verteidigen – für den Augenblick«, gestand ihr Halisstra zu. »Deine Wachsamkeit ist nicht erforderlich. Komm nicht auf den Gedanken, je wieder so etwas vorzuschlagen.«
»Selbstverständlich, Herrin«, erwiderte Danifae.
Das Gesicht der jungen Frau ließ keine Gefühlsregung erkennen, doch Halisstra mißfiel der nachdenkliche Ausdruck in Danifaes Augen, während die sich darauf einstellte, einfach nur zu warten.
Wird ihr Bindezauber halten? fragte sich Halisstra.
Im Herzen des Hauses Melarn, umgeben von der geballten Kraft ihrer Feinde, hätte Danifae es nicht gewagt, den magischen Zwang abzuschütteln, der sie unterwarf, selbst wenn es ihr möglich gewesen wäre. Doch die Dinge hatten sich geändert. Danifaes Sorgfalt in dem Punkt, wie sie ihre Herrin in Quenthels Gegenwart ansprach, war Halisstra nicht entgangen. Ohne ihr Haus, ihre Stadt, die Halisstra die absolute Herrschaft über alles gaben, was ihr eigen war – ihr Leben, ihre Loyalität, ihre Besitztümer, zu denen auch Danifae zählte –, konnten ihr all diese Dinge abgerungen werden. Der Gedanke bescherte ihr ein Gefühl der Leere, und sie kam sich vergänglich vor wie ein verwestes Stück Fleisch.
Was, wenn Danifae auf die Idee kommt, ernsthaft die Grenzen ihrer Gefangenschaft zu testen? fragte sie sich. Würde Quenthel zulassen, daß Halisstra ihre Kontrolle über die junge Frau wahrte oder würde Quenthel einschreiten, einfach nur, um etwas gegen Halisstra zu unternehmen und einen weiteren Stützpfeiler ihres Status zu zerschmettern? War Quenthel vielleicht gar in der Lage, Danifae zu befreien und Halisstra selbst zur Kriegsgefangenen zu erklären?
Danifae betrachtete Halisstra mit gesenktem Blick. Sie war unterwürfig, hübsch – und geduldig.
»Kommt Ihr?« rief Ryld, der im Durchgang stand und auf sie wartete.
»Natürlich«, erwiderte Halisstra, die nur mit Mühe einen finsteren Blick unterdrücken konnte.
Bewußt langsam kehrte sie ihrer Dienerin den Rücken und folgte Ryld in den Tunnel, der von ihrer Zuflucht wegführte. Im Moment war sie in Sicherheit. Danifae konnte das Silbermedaillon nicht ablegen, das um ihren Hals hing, ganz gleich, wieviel Willens- und körperliche Kraft sie aufgebracht hätte. In dem Moment, in dem sie das Schmuckstück berührte, sorgte der Zauber dafür, daß sich all ihre Muskeln versteiften, bis sie wieder davon abließ. Ebensowenig konnte sie jemanden bitten, es ihr abzunehmen, denn in dem Augenblick, da sie über den Anhänger sprach, würde ihr die Zunge im Mund erstarren und sie so zum Schweigen bringen. Solange sie das Medaillon trug, war Danifae gezwungen, Halisstra zu dienen und notfalls sogar ihr Leben zu opfern, um das ihrer Herrin zu retten. Danifae hatte ihre Unterwerfung mit Würde über sich ergehen lassen, doch hatte Halisstra nicht vor, ihr das Medaillon in Gegenwart der Gruppe aus Menzoberranzan abzunehmen – wenn sie es ihr überhaupt jemals abnehmen würde.
Sie und Ryld bezogen Stellung in einem kleinen Rundbau, der ein Stück entfernt den Tunnel unterbrach, eine dunkle, freie Stelle, die es ihnen erlaubte, darauf zu achten, ob sich jemand ihrem Versteck näherte, ohne selbst gesehen zu werden. In ihre Piwafwis gehüllt, konnte man sie praktisch nicht von dem sie umgebenden dunklen Stein unterscheiden. Trotz des launigen Chaos und des quälenden Ehrgeizes, die in jedem Drow-Herzen brannten, war jeder gebildete Drow in der Lage, Geduld und eiserne Disziplin bei der Ausübung einer wichtigen Aufgabe walten zu lassen, und so machten sich auch Halisstra und Ryld daran, in wachsamer Stille zu warten und zu beobachten.
Halisstra versuchte, ihren Geist von allem zu befreien und nur das zuzulassen, was ihre Sinne ihr mitteilten, damit sie besser wachen konnte. Sie mußte aber feststellen, daß sich in ihrem Kopf Gedanken angesammelt hatten, die sich nicht leicht verdrängen ließen. Es wurde Halisstra klar, daß – ganz gleich, was von diesem Tag an aus ihr werden sollte – ihr Erfolg oder Mißerfolg einzig von ihrer Kraft, ihrer List und ihrer Rücksichtslosigkeit abhingen. Das Mißvergnügen des Hauses Melarn bedeutete nichts. Wenn sie mit Respekt behandelt werden wollte, würde sie das Mißvergnügen Halisstra Melarns zu etwas machen müssen, was gefürchtet wurde, und das alles nur, weil Lolth entschieden hatte, die auf die Probe zu stellen, die ihr am treuesten dienten. Wegen einer Laune Lolths war Haus Melarn aus Ched Nasad zerstört worden, jenes Haus, dessen Herrscherinnen über Jahrhunderte hinweg auf Lolths Altar Blut und Reichtümer dargebracht hatten.
Wieso? fragte sie sich. Wieso?
Die Antwort war natürlich kalt und leer: Lolths Wege waren nichts, was ihre Priesterinnen verstehen konnten, und ihre Prüfungen konnten wahrlich grausam sein. Halisstra knirschte mit den Zähnen und versuchte, ihre Fragen aus ihrem Herzen zu verdrängen. Wenn Lolth entschieden hatte, Halisstras Glauben auf die Probe zu stellen, indem sie ihr alles nahm, was ihr wichtig war, nur um zu sehen, ob die Erste Tochter des Hauses Melarn fähig war, es zurückzugewinnen, dann würde sie feststellen, daß sie jemanden ausgewählt hatte, der dieser Herausforderung gewachsen war.
Wollt Ihr darüber reden? signalisierte Ryld diskret in der hochentwickelten Zeichensprache der Drow.
Worüber?
Über das, was Euch solche Sorgen macht. Etwas macht Euch zu schaffen, Priesterin.
Es ist nichts, was einen Mann angeht, gab sie zurück.
Natürlich. Wie immer.
In der kleinen Kammer trafen sich ihre Blicke. Halisstra stellte überrascht fest, daß Rylds Gesicht zu einer Mischung aus verbitterter Resignation und sarkastischer Belustigung verzogen war. Sie betrachtete ihn eindringlich und versuchte zu ergründen, was ihn dazu bewegte, sich mit ihr unterhalten zu wollen.
Für einen Mann – genaugenommen sogar für einen Drow überhaupt – war er kräftig gebaut und sehr groß, in etwa so groß wie sie selbst. Sein kurzgeschnittenes Haar war eine exotische Affektiertheit in der Drow-Gesellschaft, eine sonderbar asketische Nüchternheit für ein Volk, das sich an Schönheit und persönlicher Kultivierung erfreute. Im Umgang miteinander waren Drow rücksichtslos pragmatisch, doch nicht, wenn es um ihr Äußeres ging. Halisstras Erfahrungen mit Männern nach putzten sich die meisten von ihnen doch nur fein heraus und hatten eine Vorliebe für einschmeichelnde Eleganz und tödliche Tücke. Pharaun stand genau für diesen Typ. Doch Ryld – das wurde ihr nun klar – war von einem anderen Schlag.
Ihr kämpft gut, erklärte sie – es war keine Entschuldigung, die an einen Mann gerichtet war, und doch war es ... etwas. Ihr hättet mich in Ched Nasad sterben lassen können, und doch habt Ihr Euer Leben aufs Spiel gesetzt, um mich zu retten. Wieso?
Wir hatten eine Abmachung. Ihr brachtet uns in Sicherheit, und wir halfen Euch.
Aber ich hatte zu der Zeit die Abmachung einseitig aufgekündigt. Es gab keinen Grund, Eure Seite zu halten.
Es gab keinen Grund, sie nicht zu halten. Ryld lächelte und wechselte zu einem leisen Flüstern. »Abgesehen davon scheint es so, als sei es in meinem Interesse gewesen, Euch zu retten. Vor gerade einmal einer Stunde habt Ihr mein Leben gerettet. Wir stehen gegenseitig in unserer Schuld.«
Halisstra mußte lachen, jedoch so leise, daß man in drei Metern Entfernung davon nichts mehr hörte.
Wir sind kein Volk, das seine Schulden ehrt, signalisierte sie.
Dies ist mir mehr als einmal klargemacht worden, erwiderte Ryld. Ein schmerzlicher Ausdruck huschte über sein Gesicht, und Halisstra fragte sich, wem genau der Meister Melee-Magtheres vertraut hatte und warum er so dumm gewesen war. Ehe sie fragen konnte, fuhr er fort: Erzählt mir von den Bae’qeshel. Ich weiß nichts über sie.
»Traditionell«, flüsterte sie, »werden unsere Magier, Schwertkämpfer und Kleriker an Akademien ausgebildet. Das gilt jedenfalls für die meisten Drow-Städte. Der Grund, weshalb Ihr nichts von den Bae’qeshel wißt, ist, daß die Gesangsausbildung keine öffentlich bekannte Sache ist. Es gibt immer eine Herrin und eine Schülerin.«
»Ich dachte, die Adelshäuser hätten keine nennenswerte Verwendung für bürgerliche Minnesänger.«
»Die Bae’qeshel sind keine bürgerlichen Minnesänger, Waffenmeister«, gab Halisstra mit gesenkter Stimme zurück. »Wir sind eine stolze, uralte Sekte, die Bae’qeshel Telphraezzar, die Flüsterer der Dunklen Königin. Ich bin eine Priesterin Lolths, so wie auch die anderen Frauen meines Hauses, aber ich wurde als junges Mädchen auserwählt, mich über viele Jahre hinweg mit der Bae’qeshel-Geschichte zu befassen. Ich verehre Lolth nicht einfach nur mit meinem Dienst als ihre Priesterin, sondern auch mit dem Geschenk, die alten Gesänge unseres Volks anzustimmen, die in ihren Ohren so wohlklingend sind. Das Haus Melarn war immer schon stolz darauf, in jeder Generation in der Schwesternschaft im Dienste von Lolth eine Bae’qeshel hervorzubringen.«
»Wenn Eure Lieder Lolth geweiht sind, wieso funktionieren sie, während andere Zauber versagen?« wollte Ryld wissen.
»Weil die Lieder eine eigene Macht besitzen, so wie die Zauber eines Magiers. Wir lenken nicht die göttliche Macht Lolths, um unsere Lieder zu wirken. Leider sind meine Talente nichts im Vergleich zu der göttlichen Macht, die ich in Lolths Namen wirken könnte, wenn sie mir wieder günstig gesonnen wäre.«
»Nichtsdestoweniger ein interessantes Talent«, murmelte er. Ryld warf einen Blick in Richtung des Ganges zu der Kammer, in der die anderen warteten. »Es scheint alles ruhig zu sein. Es könnte aber noch eine ganze Weile dauern. So wie ich Pharaun kenne, wird er Stunden brauchen, ehe er wieder zu Kräften gekommen ist. Sagt, spielt Ihr Sava?
Nimor hielt sich im Schatten eines gigantischen Stalaktiten, einem der vielen steinernen Reißzähne, die von der Decke der gewaltigen Höhle herabreichten, in der Menzoberranzan gelegen war. Alte Gänge und gefährliche Pfade überzogen das Dach der Stadt, und viele riesige Stalaktiten waren zu düster-schönen Burgen verwandelt worden, die angesichts ihrer trotzigen Arroganz noch spektakulärer wirkten. Nur Drow waren dazu fähig, aus einer zerbrechlichen Steinspitze, die dreihundert Meter über dem Höhlenboden hing, ein Heim zu schaffen. Hochwohlgeborene Drow besaßen oft eine ihnen eigene Magie oder verzauberte Medaillons, die sie von jeglicher Sorge wegen der großen Höhe befreiten und die sie kaum einmal über die schwindelerregenden Aussichtspunkte nachdenken ließen, die sogar Fledermäusen Angst machen würden. Ihre Sklaven und Diener dagegen hatten nicht dieses Glück, so daß das Leben in einer von der Decke ragenden Spitze für sie etwas permanent Nervenaufreibendes hatte.
Die wichtigeren Stalaktiten waren selbstverständlich magisch verstärkt worden, um sie vor dem unvermeidlichen Absturz zu bewahren, und sie würden so lange dort verharren, bis die Magie selbst versagte. Dennoch war mehr als einer der stolzen alten Paläste verlassen und von einer dicken Staubschicht überzogen, da das Haus, das ihn einst beansprucht hatte, in der Kunst der Magie nicht bewandert genug war, um die Zauber aufrechtzuerhalten, die das Bauwerk bewohnbar machten. Es war einer jener leerstehenden Paläste, in dem sich Nimor versteckt hielt und von dem aus er nach unten in den dunklen Abgrund sah, in dem sich sein Ziel befand.
Das Haus Faen Tlabbar, das Dritte Haus Menzoberranzans, lag ein Stück weit nach links unterhalb seines Beobachtungspunktes. Die Burg erstreckte sich über mehrere hochaufragende Stalagmiten und Säulen, und ihre eleganten Balustraden und die weit emporragenden Bereiche täuschten über die darunter befindliche Macht der ausladenden Türme und die gewaltigen Bollwerke aus dunklem Stein hinweg. Faen Tlabbar war eines der größten und prachtvollsten jener Bauwerke in Menzoberranzan, die nicht auf dem Hochplateau von Qu’ellarz’orl gelegen waren, dem angesehensten der Adelsbezirke der unterirdischen Stadt. Statt dessen reichte das Haus an der südlichen Wand der großen Höhle von Menzoberranzan so weit hinauf, daß die höchsten Türme das Plateau überstiegen, in dessen Schatten das Haus lag, so als hätten die Matronen des Dritten Hauses über den Rand jener Hochebene spähen wollen, um eifersüchtig auf jene Häuser blicken zu können, die das Glück hatten, auf einer Ebene mit dem bedeutenden Haus Baenre zu stehen.
Es war eine treffende Analogie für die politischen Manöver Faen Tlabbars. Nur zwei Häuser standen in der düsteren Hierarchie Menzoberranzans über ihm, und zwar Baenre als Erstes und Barrison Del’Armgo als Zweites Haus. Nimor hielt es für wahrscheinlich, daß Muttermatrone Tlabbar sich für ihr Haus Großes erhoffte. Del’Armgo, das Zweite Haus, war stark, konnte aber nicht viele Verbündete vorweisen. Baenre, das stärkste Haus, war so schwach wie schon seit Jahrhunderten nicht mehr. Häuser wie Faen Tlabbar sahen die Baenre und mußten automatisch an Jahrhunderte totaler Arroganz und demütigender Herablassung denken, und man fragte sich, ob die Zeit gekommen war, daß sich mehrere schwächere Häuser zusammenschlössen und die Vorherrschaft der Baenre ein für allemal beendeten.
»Das wäre ein Schauspiel, das ich gerne sähe«, sagte Nimor nachdenklich zu sich selbst.
Er vermutete, daß sich Baenre in einem solchen Szenario als stärker erweisen würde, als es die haßerfüllten Rivalen für möglich hielten, dennoch würde es ein spektakuläres Blutvergießen werden. Mehrere große Häuser würden untergehen, denn Baenre würde nicht allein in der Nacht verschwinden. Natürlich würde das den Plänen der Gesalbten Klinge der Jaezred Chaulssin sehr entgegenkommen.
Doch dieses Schauspiel würde für eine spätere Gelegenheit aufgespart werden. Nimor wollte Faen Tlabbar einen tiefen, nachhaltigen Schlag versetzen, das Haus aber nicht gegen das Haus Baenre aufbringen. Ghenni Tlabbar, Matrone des Dritten Hauses, würde durch seine Klinge sterben. Ihr Blut würde einen Verrat im großen Stil nach sich ziehen, und es würde dem Attentäter das Stilett in die Hand geben, das Nimor tief ins Herz von Menzoberranzan jagen wollte.
Ein schabendes Geräusch und das Klirren eines Kettenhemdes ließen Nimor aufmerksam werden. Er zog sich lautlos in den Schatten zurück und wartete geduldig ab, während eine Staffel Tlabbar-Krieger auf großen Reitechsen an einem kleinen, unbearbeiteten Stalaktiten ganz in der Nähe nach oben kletterten. Die blassen Reptilien hatten an ihren Füßen große, klebrige Flächen, die es ihnen erlaubten, auch an der steilsten Oberfläche Halt zu finden. Viele Adelshäuser in Menzoberranzan setzten diese Wesen ein, um in weit oben gelegenen Bereichen der weitläufigen Höhle zu patrouillieren. Faen Tlabbar war darüber hinaus für seine Echsenkavallerie bekannt. Nimor hatte seit über einer Stunde von seinem Posten aus die Tlabbar-Patrouillen beobachtet und immer wieder deren Runden sorgfältig mitgestoppt.
Genau zur erwarteten Zeit, stellte Nimor fest. Ihr werdet berechenbar, Jungs.
Die Reiter hielten Armbrüste und Lanzen einsatzbereit, während sie im Gänsemarsch dahinhuschend um den kleineren Stalaktiten kreisten und die Höhlendecke absuchten. Wie Nimor erwartet hatte, bog der Anführer nach links ab und folgte der Kurve, die die steinerne Spitze beschrieb, nach unten, bis er nicht mehr zu sehen war.
»Ihr wärt gut beraten, von Eurer Routine abzuweichen, Hauptmann«, flüsterte Nimor, der der Reiterstaffel nachsah. »Ein tapferer Kamerad wie ich könnte ja glatt durch die Möglichkeit abgeschreckt werden, Ihr könntet überraschend zurückkehren.«
Mit einem Satz sprang Nimor nach vorn und tauchte in die ewige Nacht.
Durch eine unglückliche Felsformation nahm Haus Tlabbar nur wenig vom Dach der Stadt und von den oberen Höhlen für sich in Anspruch. Eine große Säule und ein Paar kleinerer Stalaktiten verbanden Tlabbar mit der Decke, so daß es unmittelbar über dem Dach des Palastes eine nicht einsehbare Stelle gab. Diese Schwäche wollte Nimor nutzen. Sein schwarzer Mantel flatterte hinter ihm, und kalte Luft wehte ihm ins Gesicht. Er verzog den Mund zu einem Grinsen und genoß die langen Sekunden, die sein großer Sprung dauerte. Sein Körper war von den finsteren Feuern seine Abstammung erfüllt, und er sehnte sich danach, seine dreiste Verkleidung abzustreifen, doch war dies nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
Noch im Fallen sprach er die Worte eines Zaubers, der ihn unsichtbar machte. Als die speergleiche Spitze des Hauptpalastes von Faen Tlabbar rasend schnell näherkam, stoppte Nimor seine Abwärtsbewegung abrupt, indem er seine Levitationskraft einsetzte. Keine sechs Herzschläge nach dem Moment, da er von dem verlassenen Stalaktiten heruntergesprungen war, landete Nimor unsichtbar und unbemerkt auf dem messerscharfen First eines steil nach oben ragenden Saals. Er lauschte, ob ein Geräusch daraufhindeutete, daß man ihn entdeckt hatte, dann bewegte er sich mit Schritten, die so leise waren wie der Tod, zu der Stelle, an der der Saal in die Burg überging.
Die Drow von Faen Tlabbar waren sich durchaus bewußt, daß Angriffe, die von oben herab geführt wurden, für sie gefährlich werden konnten, daher waren die Zinnen und Kuppeldächer auf dem Palast mit aufmerksamen Wachtposten besetzt, die nach Eindringlingen Ausschau hielten. Nimor ging ihnen sorgfältig aus dem Weg. Diejenigen von ihnen, die unsichtbare Gegner sehen konnten – und das waren nicht wenige –, waren es nicht gewöhnt, nach einem unsichtbaren Angreifer Ausschau zu halten, der zudem noch mit der Verstohlenheit eines meisterhaften Assassinen von Schatten zu Schatten wechselte. Größere Sorgen bereiteten Nimor die diversen magischen Barrieren, die das Haus abschirmten. Aus Gewohnheit schützte er sich mit Zaubern, die darauf ausgelegt waren, die unterschiedlichsten Formen magischer Aufspürung zu unterlaufen oder zu stören, doch seine Zauber war nicht narrensicher.
Grüngoldenes Licht umgab ihn schimmernd, als er über die steilen Ziegel des Dachs eines quadratischen Turms schlich. Die Faen Tlabbar nutzten wie viele andere Häuser Magie, um die barocken Spitzen und Balkone ihres Heims zu beleuchten und zu verzieren. Nimor legte sich auf den Bauch und robbte kopfüber ein Stück weit nach unten, während er aufmerksam horchte. Er erwartete, unter sich einen Wachtposten und einen Eingang in den Palast vorzufinden. Über Jahrzehnte hinweg hatten die Jaezred Chaulssin Ausspähungsmagie eingesetzt, um so viel wie möglich über die Bauweise und die Verteidigungseinrichtungen vieler großer Häuser in mehr als einer Drow-Stadt in Erfahrung zu bringen. Der schlanke Assassine hatte die Notizen und Pläne genau studiert, die seine Bruderschaft über das Haus Tlabbar zusammengestellt hatte. Natürlich waren diese Informationen unvollständig und veraltet, da Teile des Palastes gegen jegliche Form der Ausspähung abgeschirmt waren. Hinzu kam, daß sich die Jaezred Chaulssin erst seit kurzer Zeit die Häuser von Menzoberranzan vorgenommen hatten. Nimor wäre es lieber gewesen, seine Angabe zu aktualisieren, indem er eine der Tlabbar-Wachen bestach oder gefangennahm, doch ihm fehlte die Zeit, um das in die Wege zu leiten und dabei auch noch im Plan zu bleiben, den er sich selbst gesetzt hatte.
Von dem Balkon unter der Dachtraufe waren leise Geräusche zu hören, die durch Bewegungen verursacht wurden. Vermutlich zwei Männer, mindestens aber einer im Kettenhemd. Er mußte schnell handeln, denn ein einziger Schrei konnte das Ende seines Angriffs auf das Haus bedeuten. Mit berechnender Geduld rutschte Nimor ein Stück weiter und stellte fest, daß sich unter der überhängenden Traufe ein geschwungener, offener Gang befand. Links ging der Gang in ein Treppenhaus über, das zu den unteren Zinnen führte, während er zu seiner Rechten an einem schwarzen Durchgang endete. Die Tür stand offen. Unmittelbar unter ihm stand ein Drow in Rüstung und beobachtete den Hof.
Volle dreißig Herzschläge lang studierte Nimor den Mann und plante seine Vorgehensweise, während er lautlos seinen Dolch zog. Die Klinge war aus grünlich-schwarzem, verzaubertem Stahl und glitzerte feucht im Schimmer des Feenfeuers. Nach wie vor unsichtbar rollte er sich vom Dach und landete hinter dem Tlabbar-Wachmann.
Als die Füße des Assassinen auf den Steinplatten auftrafen, gab es ein leises Geräusch, das genügte, um den Wachmann zu veranlassen, sich umzudrehen. Er öffnete den Mund, um einen Ruf auszustoßen, doch mit einer einzigen, unerbittlichen Bewegung legte Nimor seine Hand auf den Mund des Mannes und stieß den Dolch tief von unten in den Schädel. Die Klinge glitt über Knochen, und der Tlabbar-Wachmann war schon tot, als er in Nimors Arme sank.
Nimor ließ den Leichnam zu Boden fallen und sah hinüber zum anderen Wachposten, einem Mann, der das schwarze Gewand eines Magiers trug. Der Tlabbar-Magier wandte sich um, da er die unvermeidlichen Geräusche des Angriffs wahrgenommen hatte, und sah, wie der Mann scheinbar grundlos zusammenbrach – schließlich war Nimor noch immer unsichtbar.
»Zilzmaer?« fragte er schneidend. »Was ist?«
Nimor sprang vor und rammte das blutbeschmierte Messer unter das Kinn des Mannes, preßte dessen Kiefer zusammen und bohrte die Spitze ins Hirn des Tlabbar. Der Magier zuckte zwei- oder dreimal heftig, dann erschauderte er und starb.
»Psst«, zischte Nimor. »Es ist alles in Ordnung. Leg dich hin.«
Er ließ den Magier neben seinem Gefährten zu Boden sinken und wandte sich dem finsteren Torbogen zu, der in die Burg führte.
Mit dem Messer in der Hand ging er hindurch – nur um sofort von einer unsichtbaren, nicht greifbaren Barriere aufgehalten zu werden, die den Durchgang wie eine gemauerte Wand blockierte. Nimor zog die Augenbrauen hoch, beschwor seine Willenskraft und unternahm einen erneuten Versuch, wurde jedoch abermals mitten in seiner Bewegung gestoppt.
»Verdammt«, murmelte er. »Ein Zauber, der mir den Zutritt verwehrt.«
Die Tlabbar-Burg oder zumindest der Weg ins Innere war durch einen großen Zauber geschützt, der es jedem Feind unmöglich machte, einen Fuß in das Gebäude zu setzen. Nimor konnte einer Reihe von magischen Fallen aus dem Weg gehen oder sie entschärfen, aber dieser Zauber überstieg seine Fähigkeiten bei weitem.
Daher die offene Tür, dachte er. Die Tlabbar sind sich ihrer magischen Verteidigung ganz sicher. Was nun?
Er steckte sein Messer weg und betrachtete den Türbogen. Ein solcher Zauber konnte auf unterschiedliche Weise geschaffen sein, um ein Gebäude oder ein Gebiet zu schützen, doch wenn sich die Tlabbar frei in ihrer eigenen Burg bewegen wollten, dann hatten sie ihn sicherlich so angelegt, daß sie selbst ohne große Mühen hindurchschreiten konnten – möglicherweise mit irgendeiner Art von Abzeichen oder durch eine Losung. Nimor durchsuchte die beiden Toten, konnte aber nichts entdecken, was nach einem Abzeichen aussah, mit dessen Hilfe er den Zauber überwinden konnte.
Es kann alles mögliche sein, überlegte er. Eine Mantelfibel, eine verzauberte Münze in einem Geldbeutel, ein Ohrring, eine Halskette ...
Ihm fehlte die Zeit zum Experimentieren, also hob er den toten Magier hoch und klemmte ihn sich unter den Arm, dann kehrte er zurück zum Türbogen und machte sich bereit, einen weiteren Versuch zu wagen. Diesmal konnte er mühelos hindurchgehen, als sei der Schutzzauber aufgehoben worden.
Es mußte also etwas sein, was die Tlabbar-Wachen am Leib tragen, erkannte Nimor.
Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, sich den toten Magier über die Schulter zu legen und ihn zu tragen, für den Fall, daß er innerhalb der Burg auf eine weitere derartige Barriere stieß, doch dann entschied er sich dagegen. Heimlichkeit und Schnelligkeit waren seine beste Verteidigung, und einen Leichnam mit sich herumzuschleppen war keine besonders unauffällige Vorgehensweise. Abgesehen davon war es nicht wahrscheinlich, daß die Tlabbar in ihrem Palast mehr als einen solchen Zauber gewirkt hatten, und selbst wenn, dann war nicht anzunehmen, daß er mit dem gleichen Schlüssel überwunden werden konnte. Auf der anderen Seite des Durchgangs ließ er den toten Magier fallen und machte sich auf den Weg ins Innere des Palastes.
Hinter dem Türbogen erstreckte sich ein langer, hoher Gang, der oberhalb eines Saals der Tlabbar verlief. Türen aus hellem Zurkhholz säumten den Saal und führten in Arbeitszimmer, Salons, zu Trophäensammlungen und in andere Räumlichkeiten, wenn Nimors alter Lageplan noch zutraf. All diese Türen ignorierte er jedoch und eilte statt dessen durch den Saal, bis er am anderen Ende an einer Treppe angelangt war, die auf die Ebene darunter führte. Hier stieß er auf eine magische Glyphe, die das Passieren verhindern sollte. Allerdings nahm er die Falle früh genug wahr, so daß er sie nicht auslöste. Statt auf die entsprechende Stufe zu treten, sprang er einfach über das Geländer und landete auf dem nächsten Treppenabsatz. Die Treppe beschrieb eine weitläufige Kurve und führte in einen weiteren schimmernden schwarzen Korridor, der sich in der Nähe des Mittelpunkts der Tlabbar-Burg befand und zum Schrein des Hauses führte. Der Boden bestand aus poliertem schwarzen Marmor, der alles wie ein Spiegel reflektiert hätte, wäre dort ein Licht gewesen, in dessen Schein man es hätte sehen können. Nicht weit entfernt standen zwei Wachen des Hauses vor einer großen Doppeltür, die in Lolths Heiligtum führte.
Der unsichtbare Nimor lächelte und beglückwünschte sich stumm zu seinem Zeitplan. Die Muttermatrone und vielleicht ein oder zwei ihrer Töchter würden sich dort befinden, um irgendein Ritual zu vollziehen, mit dem sie ihre schweigsame Göttin anriefen.
Nimor blieb außer Sichtweite und sah sich noch einmal um, damit er sicher sein konnte, daß sich niemand sonst näherte, dann betrachtete er aufmerksam die beiden Wachen. Sie machten auf ihn den Eindruck junger Offiziere, die sich für ihre erhabene Aufgabe als Wachen der Muttermatrone stolz herausgeputzt hatten, doch Nimor vertraute nicht auf das, was er sah. Er war sicher, daß sich hinter den beiden mehr verbarg, als es den Anschein hatte. Er beschloß, sie zu umgehen, wenn es irgendwie möglich war.
Nimor sammelte sich und hob seine linke Hand, an der ein Ring glänzte, der so schwarz wie Pech war. Der Schattenring war vermutlich seine nützlichste Waffe, ein Gegenstand, der eine ganze Reihe zweckmäßiger magischer Kräfte in sich barg. Er beschwor eine dieser Kräfte und verschmolz mit dem Schatten des schwarzen Korridors, um dann auf der anderen Seite der Tür wieder aufzutauchen – im Allerheiligsten des Hauses.
Der Tempel nahm fast das gesamte zentrale Stockwerk des großen Palastes für sich in Anspruch, die elegante Kuppel erstreckte sich weit nach oben und war mit Lolths Spinneninsignien in Silber und Schwarz verziert. Der Schrein war von einem finsteren silbernen Leuchten erfüllt, um besser den verschwenderischen Reichtum zur Schau zu stellen, den Haus Faen Tlabbar darauf verwendet hatte, die Kapelle der Spinnenkönigin zu dekorieren. Nimor vergeudete keine Zeit damit, den goldenen Tand und die edelsteinverzierten Bilder zu bewundern.
Muttermatrone Ghenni und zwei ihrer Töchter huldigten dem hochaufragenden schwarzen Abbild der schweigenden Göttin und krochen vor Lolth zu Kreuze, zweifellos darum bemüht, die Spinnenkönigin anzuflehen, dem Haus wieder ihre Gunst zu schenken. Niemand sonst war hier. Offenbar war die Muttermatrone der Ansicht, daß ihre Wachen und ihre Diener nicht sehen mußten, wie sie und ihre Töchter sich in ihrer privaten Verehrung demütigten. Nimors Informationen über Faen Tlabbar erwiesen sich wieder einmal als zutreffend.
Nimor zog lautlos sein Rapier und näherte sich, den Blick auf sein Opfer gerichtet. Ghenni war eine auffallend schöne Drow, eine Frau mit sinnlichem Körper und einer geschmeidigen Anmut, die es ihr erlaubte, ihr Alter viel besser zu ertragen als viele andere Frauen, die noch hundert Jahre jünger waren. Er bemerkte das dunkle Glitzern eines Kettenhemds unter ihrem smaragdfarbenen Gewand und mußte lächeln. Ohne Lolths Schutz der Spinnenkönigin fühlte sich die Muttermatrone eines an sich mächtigen Hauses offenbar nicht so ganz sicher.
Die Muttermatrone hielt plötzlich in ihrer Anbetung inne, als wäre sie von etwas gewarnt worden – von einem leisen Geräusch, der Bewegung eines Schattens oder vielleicht einfach nur von ihrer Intuition. Sie richtete sich auf die Knie auf und sah sich um, auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein vorsichtiger Ausdruck ab.
»Sil’zet, Vadalma«, zischte sie. »Wir sind nicht allein.«
Die beiden jungen Frauen hielten mitten in der Bewegung inne und blieben ausgestreckt auf dem kalten Steinfußboden liegen. Argwöhnisch beobachteten sie die Umgebung, während Ghenni aufstand und nach einem Stab griff, der an ihrem Gürtel hing.
»Wer da?« rief sie. »Wer wagt es, uns zu stören?«
Nimor sagte nichts, sondern kam näher. Die Muttermatrone konnte ihn nicht sehen, dessen war er sicher, doch in dem Moment, indem seine Klinge sich in Reichweite befand, um zuzuschlagen, fühlte er, wie sich im Raum eine Präsenz bildete. Eine unsichtbare dämonische Kraft nahm nahe der Kuppel Gestalt an.
»Obacht, Matrone«, zischte eine Stimme. »Ein unsichtbarer Assassine nähert sich.«
Nimor mußte der Muttermatrone des Hauses Faen Tlabbar hoch anrechnen, daß sie nicht vor Angst erstarrte. Während ihre Töchter aufsprangen, ging Ghenni zwei Schritte zurück und beschrieb rasche Gesten mit ihrem Stab, während sie einen Befehl ausstieß. Eine Sphäre wallender Schwärze schoß aus dem Stab hervor und zerplatzte hinter Nimor zu einem tintenschwarzen Flecken aus eisigen Schatten, die wie lebende Dinger nach ihm schlugen und nach ihrer Beute gierten. Der Assassine ignorierte den Zauber, da er schon einen Satz nach vorn machte. Mit einem präzisen Stich jagte er sein Rapier durch Ghennis Leib. Die Klinge war so schwarz wie die Nacht, ein langes Stilett aus nicht greifbarer Schattenmaterie, das sich durch das Kettenhemd der Muttermatrone fraß, als sei dieser Schutz überhaupt nicht vorhanden. Die Wirkung war genauso tödlich, wie es auch zu erwarten gewesen war. Er drehte die Klinge in ihrem Herzen um und grinste, obwohl sie ihn noch immer nicht sehen konnte.
»Seid gegrüßt, Muttermatrone«, zischte er. »Vielleicht findet Ihr die Antworten, die Ihr sucht, wenn Ihr Lolths schwarze Hölle erreicht habt.«
Ghenni rang nach Luft, dann hustete sie und spuckte Blut. Sie stolperte, während sie sich an der Klinge festklammerte, die in ihrem Herzen steckte, verdrehte die Augen und stürzte zu Boden. Nimor zog sein Rapier zurück und wirbelte zur Tochter links, Sil’zet, herum, während der Dämon über Ghennis Leib Gestalt annahm. Es war eine skelettartige Kreatur, die in grüne Flammen gehüllt und mit einem schwarzglühenden Krummsäbel aus fahlen Knochen bewaffnet war.
Der Dämon konnte ihn offenbar sehr gut sehen, denn er stürzte sich sofort auf Nimor. Er holte mit einem wilden Hieb nach dessen Kopf aus, dem er auswich, indem er sich duckte. Doch die Kreatur schaffte es, die Richtung der Klinge erstaunlich schnell zu ändern und mit der Rückhand einen zweiten Hieb auf Taillenhöhe zu führen. Nimor verzog verärgert das Gesicht und wich zurück, da ihm das Geschöpf wider Erwarten in die Quere gekommen war. Hinter dem Dämon öffnete Sil’zet eine Schriftrolle, um deren Text vorzulesen, während Vadalma sich vorbeugte, um den Stab ihrer Mutter an sich zu nehmen, wobei sie sich gleichzeitig mit einem Dolch schützte.
»Du wirst diesen Raum nicht lebend verlassen, Assassine!« schrie Vadalma. »Wachen! Wachen!«
Nimor hörte, wie die Wachen sich an der Tür zu schaffen machten. Er duckte sich und schoß davon, wobei er sich von dem Dämon fernhielt, mit dem er sich nicht anlegen wollte. Es war sinnlos, einen Wachdämon zu töten. Ihm blieben nur noch Augenblicke, und die wollte er nutzen. Der Assassine machte einen schnellen Schritt und rollte sich unter der Deckung des Dämons hindurch, so daß er gleich neben Sil’zet auftauchte, die soeben die Worte von ihrer Schriftrolle vorzulesen begonnen hatte. Er rammte ihr den Dolch ins Kreuz, während er mit seinem schwarzen Rapier den Säbel des Knochendämons abwehrte. Sil’zet schrie vor Schmerz und wollte sich losreißen, doch Nimor brachte sie sofort zu Fall, so daß sie sich windend auf dem Boden landete. Nimor vollzog ihre Bewegung nach und stach die Spitze des Rapiers in ihre Kehle.
Diesmal ließ der Dämon ihn dafür bezahlen, daß er ihn ignoriert hatte. Er schrie vor Zorn und schlug mit seinem Knochenschwert nach ihm, wodurch er Nimor eine lange, brennende Schnittwunde quer über das Schulterblatt zufügte, als der sich wegzudrehen versuchte. Er preßte die Lippen zusammen, um den Schmerz lautlos zu ertragen, dann rollte er zur Seite weg, ehe die Kreatur ihn in Stücke hauen konnte.
Vadalma brüllte den Befehl für den Stab ihrer Mutter und feuerte die Sphäre blindlings in Nimors Richtung ab, so daß schwarze Ranken, kalt und scharf wie Rasierklingen, an seinem Fleisch rissen.
Die Wachen stürmten mit gezückten Klingen in die Kapelle, ihre Gesichter gefaßt und ausdruckslos. Sie kamen mit unglaublicher Schnelligkeit heran und fuchtelten mit den Schwertspitzen, während sie sich Nimor näherten. Hastig drehten sie die Köpfe und folgten ihm dann, als verrieten ihn das Schaben seiner Stiefelsohlen oder sein Atem.
Ich habe getan, wofür ich hergekommen bin, entschied er.
Ghenni war tot, und Sil’zet lag im Sterben. Sie zuckte und trommelte mit den Hacken auf den Marmorfußboden, während sie in ihrem eigenen Blut ertrank. Er hätte noch gern Vadalma umgebracht, doch der Dämon und die Wachen – um welche Kreaturen es sich bei ihnen auch immer handeln mochte – machten die Situation zu kompliziert, als daß sie noch praktikabel zu lösen gewesen wäre.
Resigniert wich Nimor einige Schritte zurück und verschwand dank der Macht seines Rings, der ihn im nächsten Moment nahe dem Balkon wieder auftauchen ließ, über den er in den Palast eingedrungen war. Der Zauber, der ihm den Zutritt verwehrt hatte, verhinderte seine Flucht mit einem einzigen Dimensionssprung, doch der Assassine packte einfach den Leichnam des Tlabbar-Magiers, den er gleich hinter dem Durchgang zurückgelassen hatte, und eilte nach draußen. Der Schnitt an seiner Schulter schmerzte unerträglich, und seine Beine stachen, wo die eisigen Ranken der Sphäre ihn getroffen hatten. Nimor atmete dennoch tief durch und gestattete sich ein wildes, triumphierendes Grinsen.
»Ihr hattet Glück«, sagte er zu den beiden Toten, die vor ihm lagen. »Wenn die TIabbar herausfinden, daß ihr die Tür bewacht habt, durch die ich hineingelangt bin, wärt ihr liebend gern tot.«
Natürlich kam von den Leichen keine Reaktion – wie immer.
Er sah hinaus zu dem Feenfeuer, das über den Zinnen der Burg schimmerte und lauschte den Entsetzensschreien und Rufen aus dem Inneren des Gebäudes. Er hätte diese Geräuschkulisse gern noch lange genossen, doch die Verfolger konnten nicht mehr weit entfernt sein. Seufzend schloß er die Faust um den schwarzen Ring und brachte sich durch bloße Willenskraft fort von der Burg.