Prolog

Sark blieb stehen. Er sank auf die Knie und horchte angestrengt, aber das Einzige, was er hören konnte, war das Hämmern seines eigenen Herzens und das trockene Rasseln, das von ganz hinten aus seiner Kehle kam, während er verzweifelt und mit schmerzender Brust nach Luft rang. Er versuchte, langsamer und gleichmäßiger zu atmen, allerdings mit wenig Erfolg. Der Boden war sumpfig, und die Feuchtigkeit drang durch den Stoff seiner Hose, was sein körperliches Unbehagen noch verschlimmerte. Er ging in die Hocke und sein Blick schweifte ringsum über die Umgebung, wobei er in der Dunkelheit nach einem Orientierungspunkt suchte, aber für sein ungeübtes Auge war ein Stück dieses gesichtslosen Marschlandes wie das andere.

Hinter ihm ertönte ein Schrei wie von einer Eule, und er wurde starr vor Schreck. Nachts jagten hier Eulen, und manchmal, wenn man ganz leise war, konnte man das Rauschen ihrer Flügel hören. Sark blieb, wo er war und duckte sich tiefer. Vielleicht war es wirklich eine Eule, aber Sark wusste, dass hier draußen noch andere Lebewesen jagten.

Zu seiner Linken nahm er eine Bewegung wahr, gefolgt von einem leisen Brummen. Sarks Nackenhaare richteten sich auf, ebenso die Härchen auf seinen Unterarmen. Ganz langsam und mit angehaltenem Atem drehte er sich um und sah sich Auge in Auge mit einem Schaf. Mensch und Tier starrten sich an, sekundenlang, in unheimlicher Stille. Das Schaf war nicht allein, Sark bemerkte, dass noch mindestens ein Dutzend weiterer Tiere zusammengedrängt in der Nähe standen.

Das Schaf brach als Erstes den Blickkontakt ab. Langsam zog es sich zurück und wandte sich zum Gehen, dann führte es die Herde in Richtung eines nahen Gebüsches. Erleichtert atmete Sark auf.

Plötzlich hörte er Gebell in der Ferne, und in seiner Kehle stieg ein bitterer Geschmack hoch.

Sie hatten Hunde mitgebracht.

Aus den Augenwinkeln sah Sark, dass die Schafe stehen geblieben waren und mit aufgestellten Ohren dem schauerlichen Geheul lauschten. Dann, wie auf Kommando, verfielen die Tiere in einen strammen Trab und waren innerhalb weniger Sekunden in der Düsternis verschwunden.

Sark wandte sich um und versuchte zu ergründen, woher der Hundelärm kam, aber die Dunkelheit, zusammen mit den Erhebungen und Senken dieser Landschaft, machten es schwer, ihn genauer zu lokalisieren.

Vor ihm stieg das Gelände an. Langsam schob Sark sich vorwärts. Er hoffte, auf der Böschung den Vorteil einer besseren Sicht zu haben als von seiner augenblicklichen Position. Oben angekommen, richtete er sich vorsichtig auf und sah angestrengt in die Richtung, aus der er gekommen war. Das Erste, was er sah, war der helle, flackernde Schein einer Fackel, dann eine weitere, und dahinter noch eine. Von seinem Standort aus sah er, dass die Fackelträger noch in einiger Entfernung waren, und sie schienen sich ziemlich planlos vorwärtszubewegen. Er nahm an, dass sie dem Bachlauf folgten, aber es gab keinen Zweifel: Sie waren hinter ihm her. Unerbittlich kamen sie mit jeder Sekunde näher.

In der Ferne sah er weitere Lichter. Sie waren klein wie Stecknadelköpfe und bewegten sich nicht, und er vermutete, dass es die Laternen an den Mastspitzen der Schiffe in der Flussmündung waren. Er überlegte kurz, ob es nicht besser gewesen wäre, in diese Richtung zu laufen statt von ihnen weg, aber er wusste auch, dass er keine Wahl gehabt hatte. Seine Verfolger hätten ihm diesen Fluchtweg bestimmt abgeschnitten.

Er sah sich um und stellte fest, dass er am Rande eines Entwässerungskanals stand. Der Graben zog sich weg von ihm und verlor sich im mondbeschienen Marschland wie eine Schlange im Unterholz. Der Geruch, der von seinem schlammigen Bett ausging, war eklig; eine übel riechende Mischung aus Moor und stagnierendem Wasser. Doch er entdeckte noch eine weitere Ursache für den Gestank. Nahe am Graben sah er eine formlose Masse: die Überreste eines toten Schafes. Wahrscheinlich war das Tier mit dem Fuß in ein Kaninchenloch oder eine ähnliche Vertiefung geraten, dann die Böschung hinabgerutscht und im Moor stecken geblieben, wo es sich nicht mehr hatte retten können.

Stark überlegte, wie lange es wohl gedauert haben mochte, bis das Tier verendet war. Er versuchte, die Mücken zu ignorieren, die um seinen Kopf sirrten. Auch wenn er ihre Stiche nicht spürte, wusste er, dass sie bereits angefangen hatten, sich zu bedienen.

Wieder kam ein langgezogenes Heulen aus der Dunkelheit. Sark spürte, wie eiskalte Furcht sein Herz umklammerte, und verfluchte seine Unentschlossenheit. Er hätte nicht so lange stehen bleiben dürfen. Er sprang auf und fing an zu rennen.

Er hatte eine ungefähre Vorstellung, wo er sich befand und in welche Richtung er lief. Er ahnte, dass das Kings Ferry House nicht viel weiter als eine halbe Meile entfernt sein konnte. Wenn sein Orientierungsvermögen ihn nicht im Stich ließ und er die Anlegestelle erreichte und ein Boot fand, wäre es möglich, den Fluss zu überqueren, sich am anderen Ufer zu verstecken und seinen Verfolgern zu entkommen.

Geduckt folgte er dem Lauf des Abwassergrabens. Er ignorierte die Stiche, die seine Seite bei jedem Atemzug wie glühende Nadeln plagten.

Ein weiterer Schrei. Diesmal eine menschliche Stimme, nur ein paar hundert Yards entfernt. Sark stellte mit Bangen fest, dass seine Verfolger das Gelände weitaus besser kannten als er. Trotz der Unebenheit des Terrains und des Gewirrs von Wassergräben, das es durchzog, kamen sie schnell näher.

Er rutschte aus und fluchte, während er die Böschung zum Graben hinunterschlitterte. Er war versucht, sich ganz ins trübe Wasser gleiten zu lassen und hindurchzuwaten, um die Hunde zu verwirren, aber er wusste, dadurch würde er noch langsamer vorankommen. Sie brauchten nur die Hunde auf beiden Seiten des Grabens entlanglaufen zu lassen um festzustellen, wo er das Wasser verlassen hatte und seine Fährte sofort wieder aufzunehmen. Am besten war es, er lief weiter und versuchte, die Anlegestelle zu erreichen, und zwar so trocken wie möglich. Er richtete sich auf dem glitschigen Boden auf und kroch die Böschung wieder hinauf.

Jetzt hörte er seine Verfolger, die sich, von der Jagd angefeuert, durch Zurufe verständigten. Ein Hund bellte und im Geist sah er die Meute, wie sie geifernd seinen Geruch aufnahmen und mit funkelnden Augen an den Leinen zerrten. Sark lief schneller.

Der Graben wurde breiter. Sark nahm das als ein Zeichen, dass er sich dem Hauptkanal näherte. Fest mit den Stiefelabsätzen auftretend, um mehr Halt zu gewinnen, zwang er seinen todmüden, mit Schlamm verdreckten Körper weiter in die Richtung, in der er Rettung erhoffte.

Wieder ein Ruf. Sark sah sich um, und sein Magen krampfte sich zusammen, als er sah, wie stark sich der Abstand verkürzt hatte. Die Fackeln waren sehr viel näher gekommen. Im Feuerschein sah er die dunklen Gestalten der laufenden Männer, vielleicht ein halbes Dutzend, und die schlankeren vierbeinigen Schatten, die über das unregelmäßige Gelände vor ihnen herjagten.

Erneut ertönte ein urchdringender Ruf, und Sark wusste, dass sie wahrscheinlich seine Silhouette gesehen hatten, die sich gegen den Himmel abhob. Er duckte sich, obwohl er wusste, jetzt würde es nicht mehr viel nützen. Er zog die Pistole aus dem Gürtel.

Im selben Augenblick gab der Boden unter ihm nach und er fiel hin. Während seine Füße scheinbar unter ihm weggezogen wurden, brachte er es dennoch fertig, sich zu drehen. Im selben Moment sah er, dass er sein Ziel fast erreicht hatte. Es war das Flussufer, das unter seinem Gewicht weggebrochen war. Er konnte gerade noch die Pistole über seinen Kopf heben, damit nichts in den Lauf eindrang, da landete er auch schon auf dem Rücken im Schlamm.

Mühsam drehte er sich auf die Knie und richtete sich auf, dann sah er das Licht. Es war keine hundertfünfzig Yards entfernt, am Rande des Schilfs. Er kniff die Augen zusammen und erkannte die Umrisse eines kleinen Gebäudes. Er wusste, das war die Hütte des Fährmanns. Sein Blick wanderte zum Landesteg, der ins Wasser hinausragte. Im Windschatten lag, an einen schlanken Holzpfahl gebunden, ein kleines Ruderboot im Schlick. Seine Stimmung hob sich. Vielleicht schaffte er es doch noch.

Der Schlamm schmatzte an seinen Stiefeln, als er auf den Anlegesteg zuging. Aber er hatte kaum ein paar Schritte zurückgelegt, als die Beschaffenheit des Schlammes sich veränderte. Er war jetzt weniger fest, und seine Stiefel sanken mit jedem Schritt tiefer ein. Es war, als watete er durch zähen Haferbrei. Er sah zum Fluss hinüber. An dieser Stelle war er etwas schmaler, daher gab es hier die Fähre. Aber es war Ebbe, und zwischen dem Anlegesteg und dem Wasser lag ein breiter Streifen Watt. Er würde das Boot eine ganze Strecke ziehen müssen, ehe er es im Wasser hätte. Aber er konnte den horizontalen Schatten des anderen Ufers erkennen, und das gab ihm Mut. Er zwang sich, weiterzugehen.

Der Lärm hinter ihm war schwächer geworden. Er hörte keine Rufe mehr, keine heulenden Hunde. Der Abend war plötzlich merkwürdig still, bis auf das schmatzende Geräusch, das seine Stiefel beim mühsamen Waten durch den Schlamm machten. Verwundert sah Sark sich um, und das Blut erstarrte in seinen Adern.

Sie standen am Ufer und beobachteten ihn; eine Reihe von Männern, auf ihren grimmigen Gesichtern die Schatten vom Schein ihrer Fackeln. Angeleint, zu ihren Füßen, die Hunde, die keinen Laut von sich gaben.

Es waren riesige Mastiffs, mit breiten Köpfen und muskulösen Körpern, jeder so groß wie ein kleines Kalb. Sie standen reglos, wie Standbilder, und beobachteten die einsame Gestalt dort unten mit gespannter Aufmerksamkeit. Nur gelegentlich hoben sie die Köpfe hoch zu den Männern, auf deren Befehl sie warteten.

Es war geschehen. Sark wusste, dass es keine Möglichkeit zur Flucht mehr gab.

Aber er versuchte es trotzdem.

Sark schätzte, dass es noch etwa fünfzig Schritte bis zum Boot waren. Seine Beine waren schwer wie Blei, und hinter seinen Rippen schmerzte es, als wolle ihm das Herz aus der Brust springen. Entschlossen versuchte er, schneller zu laufen, aber wenn sein Geist auch willig war, sein Körper signalisierte ihm, dass er keine Kraftreserven mehr hatte.

Sark hörte den Befehl nicht, mit dem die Hunde von den Leinen gelassen wurden, aber ein sechster Sinn sagte ihm, dass es so war. Er drehte sich um. Aus der Nähe hätte man gesehen, wie ein Ausdruck müder Resignation sich über sein Gesicht stahl.

Die Hundeführer waren den Hunden nicht hinunter aufs Watt gefolgt, sondern blieben auf festerem Boden und liefen am Flussufer entlang, während die Flammen ihrer Fackeln Kometenschweife hinter ihnen herzogen. Keiner sprach.

Zum zweiten Mal an diesem Abend sank Sark auf die Knie. Die Hunde schienen es nicht besonders eilig zu haben und trabten auf ihn zu. Sie bewegten sich mühelos, weil ihr Gewicht auf alle vier Beine verteilt war statt auf zwei, was sie weniger leicht in den Schlick einsinken ließ. Es schien, als wüssten sie, dass sie alle Zeit der Welt hatten.

Jeden Gedanken an Flucht unterdrückend, hielt Sark seine Pistole fest in der Hand und beobachtete die Hunde, die auf ihn zukamen.

Er blickte zur Seite. Er sah, dass die Männer ihm jetzt direkt gegenüberstanden, die Fackeln hoch erhoben. Sie waren so nahe, dass er im Feuerschein ihre Gesichter sehen konnte. Vier von ihnen sahen aus wie aus Stein gemeißelt, die anderen beiden grinsten.

Sark keuchte. Er sah den Hunden entgegen und hob die Waffe. Er zielte auf den Leithund und folgte ihm mit dem Pistolenlauf.

Er hörte, wie einer der Männer am Ufer fluchte und merkte, dass sie ebenfalls alle ihre Waffen gezogen hatten.

Sark hörte die Pfoten der Hunde über den Schlamm platschen. Sie liefen jetzt schneller und waren bereits so nahe, dass er ihre angriffslustig blitzenden Augen sehen konnte.

Der Leithund war weniger als zwölf Schritte entfernt, als Sark den Lauf der Pistole unter sein eigenes Kinn setzte und abdrückte.

Sarks Hinterkopf flog auseinander. Der Pulverdampf hatte kaum Zeit, sich zu verziehen, als sich auch schon das geifernde Rudel muskulöser Hundekörper mit wild schnappenden Kiefern auf seine immer noch kniende Leiche stürzte. Die Männer am Ufer rannten auf das Wirrwarr zu, und das Jaulen der Hunde stieg in den Nachthimmel auf und hallte wie ein Höllenchor über das schlammige, blutgetränkte Watt.

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