20

Pepper hatte das Farmhaus gut fünfzehn Minuten beobachtet, ehe er irgendein Lebenszeichen sah. Er ließ die Zügel hängen und hob das Fernrohr ans rechte Auge.

Eine schmächtige Gestalt ging zur Hintertür, und Pepper erkannte, dass es Thomas Gadd war. Dieser hinkende Gang war unverwechselbar. Er fragte sich, was in dem Sack war. Er schien ziemlich voll, wahrscheinlich war es Wild. Pepper konnte auch erkennen, dass Gadd eine Flinte trug.

Der Hund stand auf. Er wedelte mit dem Schwanz und Pepper sah, wie Gadd dem Hund durchs Fell fuhr und mit ihm ins Haus ging. Der Hund war Peppers Hauptsorge gewesen. Er wusste, dass das Tier nicht mehr jung war, aber deshalb war sein Geruchssinn nicht weniger gut. Pepper und seine Männer hatten sich zwar auf der windabgewandten Seite versteckt, aber Windrichtungen waren nicht sehr zuverlässig. Sie konnten jeden Moment drehen.

»Worauf warten wir?« Seth Tyler spuckte auf den Boden und seine Hand fuhr immer wieder zur Pistole, die in seinem Gürtel steckte. »Gehen wir jetzt dort runter oder nicht?«

»Wir gehen, wenn ich es sage«, erwiderte Pepper, ohne das Fernrohr vom Auge zu nehmen.

Tyler wurde rot vor Ärger über diese Zurechtweisung, die er umso demütigender empfand, weil Pepper es nicht einmal für nötig befunden hatte, das Fernrohr abzusetzen. Aber er wusste nur zu gut, dass es keinen Zweck hatte, zu widersprechen.

Die Wunden in Tylers Gesicht schmerzten noch immer. Auf einigen der oberflächlicheren Kratzer hatte sich Schorf gebildet, die tieferen schmerzten noch immer bei jeder Berührung. Tylers Erklärung, dass er auf seinem Rückweg vom Duke’s Head in ein Dornengebüsch gefallen war, wirkte glaubhaft, denn es war bekannt, dass er gern einen über den Durst trank. Er hatte Ezekiel Morgan und Cephus Pepper dieselbe Geschichte erzählt, als er ihnen die Information wegen der beiden Männer überbrachte, die Morgan suchte.

Tyler hatte vor Wut gekocht seit dem Tag, als er von der Farm gejagt worden war und seine Schwägerin, diese Schlampe, ihm gedroht hatte, zur Flinte zu greifen, wenn er ihr Eigentum wieder betreten würde. Was dachte sie eigentlich, wer sie war? Diese eingebildete Ziege! Verführte einen mit ihren koketten Blicken, nur um dann ein großes Geschrei anzufangen, wenn man zur Sache kam. Es war doch klar, dass sie hinter ihm her war. Und sie musste sich ja auch nach Zärtlichkeit sehnen, schließlich war ihr Mann schon drei Jahre unter der Erde. Tyler fand, dass er ihr eigentlich einen Gefallen tat. Sie müsste ihm doch eigentlich dankbar sein, verdammt nochmal! Stattdessen war sie widerspenstig und warf ihn raus. Und wahrscheinlich war sie auch daran schuld, dass Annie jetzt jedes Mal ein Theater machte, wenn er etwas von ihr wollte. Er vermutete, dass Jessie versuchte, ihre Schwester gegen ihn aufzuhetzen, und das machte Tyler noch wütender. Aber sie würde für den Ärger büßen, den sie ihm bereitet hatte, dafür würde er sorgen.

Und dann kam die Nachricht, dass Ezekiel Morgan eine gute Belohnung für Informationen ausgesetzt hatte, die zum Auffinden der beiden Männer führten. Es war die Beschreibung der Männer gewesen, die Tyler aufhorchen ließ, denn sie passte zu den beiden, die ihn auf Jess Flynns Farm verprügelt hatten. Bei einem zufälligen Zusammentreffen mit Asa Higgs im Blind Hog hatte es sich herausgestellt, dass es sich tatsächlich um dieselben Männer handelte, die der Totengräber vor ein paar Tagen von der Farm zum Haunt gebracht hatte. Bei dieser Nachricht hatte Tyler die Ohren gespitzt, denn wenn die beiden auf der Flucht waren, war Jess Flynn jetzt wieder allein auf der Farm.

Er war noch immer schwer von dieser Sache getroffen, und nachdem er sich mit ein paar Gläsern Grog Mut angetrunken hatte, war Tyler aufgebrochen, um der dummen Kuh eine Lektion zu erteilen. Diesmal würde ihn niemand stören. Aber als er ankam, stellte er fest, dass Jess Flynn nicht allein war. Die Männer waren zurückgekommen. Oder zumindest einer von ihnen, nämlich der, der ihn in der Küche angegriffen hatte, der mit dem fremden Akzent. Sein Kumpel, der Große, der den Besen so mörderisch geschwungen hatte, war nirgendwo zu sehen. Das musste aber nicht heißen, dass er nicht auch da war, aber er hatte sich während der ganzen Zeit, in der Tyler vom Waldrand aus die Farm beobachtet hatte, nicht gezeigt. Und dann hatte er gesehen, wie Jess Flynn und der andere Mann sich umarmten, und der Plan, der langsam in ihm heranreifte, war fertig.

Er brauchte Morgan oder Pepper gegenüber nur ein Wort zu erwähnen, und er hätte bei Morgan einen Stein im Brett, bekäme eine schöne Summe Geldes, könnte sich an zumindest einem seiner Peiniger rächen und hätte die Witwe Flynn ganz für sich allein.

Und jetzt, wo McTurk und Croker aus dem Weg waren, würde Morgan auch einen neuen Leutnant brauchen. Tyler sah ungeahnte Möglichkeiten vor sich. Er konnte gar nicht schnell genug zum Haunt kommen.

Er hörte, wie Pepper neben ihm seufzte. Tylers Herz schlug schneller, wenn er hinunter zum Haus sah. Aus der Hintertür kam ein Mann, der es eilig zu haben schien.

Pepper sah durchs Fernrohr.

»Na?«, sagte Tyler, der nur schlecht seine Ungeduld verbergen konnte. »Stimmt’s oder hatte ich Recht?« Er wusste die Antwort bereits. Es war der andere Mistkerl. Der war also auch schon die ganze Zeit auf der Farm gewesen.

Links und rechts neben sich hörte er Zaumzeug klirren und das Mahlen von Pferdegebissen auf Metall. Die anderen Reiter waren genauso ungeduldig wie ihre Pferde.

Pepper spürte eine schwache Brise, die von hinten kam. Die brauchen wir jetzt ganz und gar nicht, dachte er, denn er wusste, was es bedeutete.

Pepper beobachtete, wie der Runner stehen blieb und sich zur Anhöhe umdrehte. Er sah, wie der Hund den Kopf hob. Als er sah, dass Hawkwood ins Haus zurückrannte, stemmte Pepper das Teleskop gegen den Oberschenkel und schob es zusammen. Er steckte es in eine Innentasche, packte die Zügel und trieb sein Pferd an.

»Jetzt«, sagte er.


Das Bellen des Hundes hatte die anderen schon hellhörig gemacht, aber dennoch waren sie alle ziemlich überrascht, als Hawkwood eilig in die Küche zurück kam und den Hund beim Nackenfell mitzog. Gadd schien unentschlossen, auf wen er mit der Jagdflinte zielen sollte. »Was …?«, fing er an.

Hawkwood schlug die Tür hinter sich zu und ließ den Hund los. »Es ist Pepper«, sagte er, »sie haben uns gefunden.«

Er sah den Schock auf Lasseurs Gesicht. Der Privateer sprang auf und zog Jess Flynn an seine Seite. Sie wehrte sich nicht, und weder Hawkwood noch Gadd versuchten einzugreifen.

»Wie viele?«, fragte Lasseur.

»Acht Mann, vielleicht auch zehn«, berichtete Hawkwood.

Lasseur brauchte einen Moment, bis er die Nachricht verdaut hatte. Er sah nachdenklich aus.

»Bist du auf unserer Seite?«, fragte Hawkwood.

»Der Feind meines Feindes ist mein Freund, Matthew. Kennst du diese Redensart nicht?« Diesmal klang es nicht wie ein Scherz.

Hawkwood nickte. »Dann soll es so sein.«

»Oh verflucht!«, sagte Gadd plötzlich, der am Fenster stand. »Es ist Seth Tyler.«

Jess Flynn hob den Kopf. Sie umklammerte Lasseurs Arm.

»Ich wusste doch, dass ich ihn hätte umbringen sollen«, murmelte Lasseur. »Zehn gegen zwei? Das ist nicht gut.«

»Und noch schlimmer, wenn wir keine verdammten Waffen haben«, sagte Hawkwood. Er warf einen Blick auf die Jagdflinte. Sie würde nicht ausreichen.

»Zehn gegen drei«, sagte Gadd, der sich vom Fenster abwandte und nach der Flinte griff. »Obwohl ich schätze, wenn Seth Tyler dabei ist, muss das genauso’n Hindernis sein, als wenn man zwei gute Männer verliert.« Der Seemann grinste. Mit seiner Narbe sah er fast dämonisch aus.

»Es ist auch mein Kampf«, sagte Jess Flynn.

Hawkwood schüttelte den Kopf. »Auf Sie hat Morgan es nicht abgesehen.«

»Wenn Seth da draußen ist, dann ist es auch mein Kampf«, sagte Jess entschieden.

»HALLO IHR DA, IM HAUS!«

Der Ruf kam von der Vorderseite.

»Das ist Pepper«, sagte Gadd. »Der muss ganz schön sauer sein, denn so laut schreit er sonst nie. Klingt, als ob sie verhandeln wollen.«

Hawkwood spähte durchs Fenster, wobei er von der Wand geschützt im schrägen Winkel zur Scheibe stand.

Die Reiter hatten etwa zwanzig Schritt vor der Haustür einen Halbkreis gebildet.

Hawkwood sah Lasseur an. »Hast du Crokers Pistole noch?«

Lasseur nickte. »Sie ist aber nicht geladen.«

»Das wissen die ja nicht«, sagte Hawkwood. »Halt mal den Hund fest.«

Als er die Tür öffnete, tat er es sehr vorsichtig, die Pistole mit zurückgezogenem Hahn vor sich. Einige der Männer nahmen in ihren Sätteln Haltung an. Tyler war am Ende der Reihe, Pepper in der Mitte. Hawkwood blieb unter der Tür stehen und zielte mit der Pistole auf Peppers Brust. Pepper schien von dieser Bedrohung unbeeindruckt. Unbewaffnet kam er mit seinem Pferd zwei Schritte vor.

»Constable«, sagte er sachlich.

»Sie sind alle verhaftet«, sagte Hawkwood. »Wenn Sie sofort absitzen und Ihre Waffen herausgeben, sprechen wir nicht mehr darüber.«

Um Peppers Mund zuckte es.

Hawkwood zuckte die Schultern. »War einen Versuch wert. Wie geht’s Mr. Morgan?«

»Er ist nicht sehr glücklich. Sie haben ihm große Scherereien verursacht«, sagte Pepper mit einem Blick auf die Pistole. »Er würde Sie sehr gern wiedersehen.«

»Das kann ich mir vorstellen«, sagte Hawkwood.

Pepper verzog keine Miene. »Wir hatten nicht damit gerechnet, Sie hier zu finden. Wir dachten, Sie seien schon längst auf der anderen Seite des Wassers.«

»Wie haben Sie uns gefunden?«

Pepper machte eine Kopfbewegung. »Seth hier erzählte uns, dass er neulich in der Nähe war, um seiner Verwandten einen Besuch abzustatten, und dass er Captain Lasseur hier sah. Wir gingen davon aus, dass Sie dann auch nicht weit sein würden.« Pepper neigte den Kopf zur Seite. »Geht’s Ihnen gut, Constable? Sie sehen gar nicht wohl aus.«

»Für Sie bin ich Officer, Pepper, und nein, es ist nichts Ernstes. Vielleicht habe ich nur was Falsches gegessen.« Hawkwood musterte die Reihe der Männer. »Sie haben sich ja ziemlich viel Unterstützung mitgebracht. Hatten Sie Angst, allein zu kommen?«

»Es ist nie verkehrt, gut vorbereitet zu sein«, erwiderte Pepper.

»Und ich vermute, Sie möchten, dass ich mich ergebe?«

»Ganz richtig«, sagte Pepper. »Und Captain Lasseur auch, wenn es ihm nicht zu viel ausmacht.«

»Wissen Sie, das habe ich vermisst, Pepper: Ihren überschäumenden Humor.«

»Es wird Ihnen schlechtgehen, wenn Sie’s nicht tun.«

»Ich vermute, es wird uns auch schlechtgehen, wenn wir’s tun«, sagte Hawkwood.

»Stimmt, aber dann lassen wir die Witwe Flynn und den alten Mann gehen.«

Es war klar, was er damit andeuten wollte.

»Ich dachte, Morgan führt keinen Krieg gegen Frauen«, sagte Hawkwood.

»Manchmal ist er zu einer Ausnahme bereit. Brauchen Sie Zeit, um drüber nachzudenken?«

»Nein«, sagte Jess Flynn. »Brauchen wir nicht.«

Pepper sah überrascht aus, dann wurde die Stille von einem Schuss zerrissen, der von rechts hinter Hawkwoods Rücken kam. Er stand wie angewurzelt, während die Pferde erschreckt scheuten und Seth Tyler mit ausgebreiteten Armen, den Mund zu einem perfekten Oval aufgerissen, rückwärts über die Kruppe seines Pferdes flog. Während seine Leiche in einem Kräuterbeet landete, stoben die restlichen Reiter auseinander und zogen ihre Waffen. Mit bemerkenswertem Geschick für einen Einarmigen riss Pepper sein Pferd gerade in dem Augenblick herum, als Hawkwood sich rückwärts durch die offene Tür warf, wobei er Jess Flynn und ihre Büchse mit sich riss. Er hörte eine Reihe von Schüssen und das Aufprallen der Kugeln an der Wand hinter sich. Irgendwo zersplitterte ein Fenster, es klang, als sei es im Obergeschoss gewesen. Der Hund fing an, wie wild zu bellen.

Mit einem kräftigen Fußtritt schloss Lasseur die Tür.

»Sieht aus, als seien die Verhandlungen abgebrochen«, murmelte Gadd sarkastisch.

Hawkwood gab Lasseur die Pistole zurück und nahm Jess Flynn die Büchse aus den zitternden Händen. Es war eine schöne Waffe; eine doppelläufige Manton mit kannelierten Läufen. Sie war nicht leicht, doch Jess hatte sie geschickt gehandhabt und ihr Ziel getroffen. Er erinnerte sich daran, wie sie Tyler gedroht hatte.

»Rab, still jetzt!« Jess Flynn rief den aufgeregten Hund zu sich.

»Tom hat Recht«, sagte Hawkwood. »Sie haben Tyler umgebracht, und jetzt wird Pepper nicht mehr verhandeln. Es bleibt ihm gar keine andere Wahl.«

»Du hast das Miststück tatsächlich erledigt«, sagte Gadd und sah aus dem Fenster. »Die anderen sehe ich aber im Moment nicht.«

»Die sind auch da«, sagte Hawkwood. »Die werden schon kommen.« Er vermutete, dass Pepper und seine Leute hinter der Scheune Schutz gesucht hatten.

»Lass sie nur.« Jess Flynn reckte trotzig das Kinn vor, aber sie war blass. Sie streichelte den Hund, der sich langsam beruhigte. Das Bellen war in ein tiefes Knurren umgeschlagen.

»Vier gegen neun«, sagte Lasseur. »Das macht die Sache auch nicht einfacher.« Er streckte den linken Arm aus und Jess Flynn ließ sich von ihm umarmen und legte den Kopf an seine Schulter. Der Hund lief noch immer unruhig hin und her.

»Können Sie damit umgehen?« Hawkwood deutete mit dem Kopf zur Jagdflinte.

Gadd grinste. »Hab doch die beiden Karnickel damit geschossen, oder?«

»Karnickel schießen nicht zurück«, sagte Hawkwood. Er hielt Jess die Manton hin. »Haben Sie dafür noch mehr Munition?«

Sie löste sich aus Lasseurs Umarmung. »Nur das, was im zweiten Lauf ist.«

Hawkwood wurde zusehends besorgter. »Tom, wie ist es bei Ihnen? Haben Sie Nachschub für die Mortimer? Wie steht’s mit Pulver und Kugeln?«

»Ich habe Pulver. Aber nur wenige Kugeln, die reichen nicht für alle da draußen …« Gadd deutete auf das Fenster.

Besser als gar nichts, dachte Hawkwood. Aber nicht viel besser. »Was für ein Kaliber hat sie?«

»Nicht groß, zwanziger.«

Wenigstens etwas, wofür wir dankbar sein können, murmelte Hawkwood leise zu sich selbst. »Dann passen sie in die Pistole. Wir können das Pulver und die Kugeln zwischen Ihnen und Captain Lasseur aufteilen.«

Er wandte sich an Jess Flynn. »Gibt es noch weitere Waffen im Haus?«

»Da ist noch eine Pistole. Sie gehörte Jack. Sie stammt noch aus seiner Zeit in der Navy.« Sie deutete zum Küchenschrank in der Ecke.

Hawkwood ging, um sich die Waffe anzusehen. Die Pistole lag in einer Schublade neben einer kleinen Pulverflasche und einigen Streifen Baumwollwatte. Es war eine Militärwaffe. Sie war in gutem Zustand, obwohl man sah, dass sie lange nicht geölt worden war. Er fand das Werkzeug, um sie zu laden, aber keine Kugeln. Da die Pistole ein größeres Kaliber hatte als die Mortimer, könnte man theoretisch auch kleinere Kugeln benutzen, doch dann musste man mehr Watte hineinstopfen. Und als letzten Ausweg könnte man mit ihr immer noch zuschlagen, dachte Hawkwood.

»Keine anderen Waffen?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«

»Dann müssen uns diese genügen«, sagte Hawkwood.

Während Jess und Tom Gadd die Lage draußen beobachteten, luden Hawkwood und Lasseur am Küchentisch die Waffen. Die Jagdflinte war bereits geladen, und zusätzlich hatten sie insgesamt fünf weitere Schuss Munition. Wie Hawkwood erwartet hatte, hatten die Kugeln für die Jagdflinte ein kleineres Kaliber als die Militärpistole. Hawkwood glich das aus, indem er eine der Kugeln dick mit Watte umwickelte. Als er sie mit dem Ladestock in den Lauf stieß, fühlte es sich fest genug an, aber es war schwer abzuschätzen, wie es funktionieren würde, wenn er tatsächlich damit schoss. Er würde einfach so dicht wie möglich an sein Ziel herangehen müssen, um sicher zu sein, dass er traf. Sie teilten die restliche Munition unter sich auf, indem sich jeder noch eine Kugel in die Tasche steckte.

Hawkwood überlegte, wie der Grundriss des Hauses aussah. Das Erdgeschoss war im Grunde nur ein großer Raum, der durch die Wand mit dem Kamin in Küche und Wohnbereich geteilt wurde. Jeder der Räume hatte ein Fenster nach vorn und ein weiteres nach hinten hinaus. Es gab zwei Türen: die Vordertür, die in den Wohnraum führte, von wo auch die Treppe nach oben ging, und die Hintertür, durch die man in die Küche trat.

»Wir sollten die Vordertür verbarrikadieren«, sagte Hawkwood.

»Und was ist mit den Fenstern?«, fragte Lasseur.

»Wir müssen sie kommen sehen, aber wir haben nicht genug Waffen, um sie alle zu decken, also lass uns eins versperren. Am leichtesten ginge das wohl mit dem vorderen Fenster in der Küche.« Hawkwood zeigte auf den Küchenschrank, der ganz in der Nähe stand. Er war fast sechs Fuß hoch. »Damit geht es.«

»Mir kommt es vor, als hättest du das schon mal gemacht«, sagte Lasseur, als sie den Küchenschrank vor das Fenster schoben. Im Raum wurde es dunkel, als kein Licht von draußen mehr hereinfiel.

»Ein- oder zweimal. Gelegentlich war ich derjenige, der rein wollte.«

Sie gingen in den Wohnraum, stellten das Sofa senkrecht und lehnten es gegen die Vordertür. Dann verstellten sie mit der Standuhr die Hälfte des vorderen Fensters. Viel war es nicht, aber besser als gar nichts.

»Wir brauchen etwas, hinter dem wir uns verschanzen können«, sagte Hawkwood. »Irgendeinen Ort, von wo wir uns verteidigen können.«

»Der Gedanke gefällt mir überhaupt nicht«, sagte Gadd.

»Die sind in der Überzahl und ich schätze, auch viel besser bewaffnet. Früher oder später kommen sie rein.« Hawkwood zeigte auf den Küchentisch. »Wir können uns in die Vorratskammer zurückziehen und die Tür mit dem Tisch blockieren, um ihnen das Eindringen so schwer wie möglich zu machen. Vielleicht können wir den Keller als letzte Zuflucht nehmen. Hat der noch einen anderen Zugang?«

»Nein.«

»Dann befassen wir uns mit dem Problem, wenn es soweit ist.«

Sie legten den Tisch auf die Seite und schoben ihn vor die Tür der Vorratskammer. Als Stellung zur Verteidigung war es miserabel und Hawkwood wusste, wenn Pepper und seine Leute erst im Haus waren, würde ein Küchentisch an ihrer Lage auch nichts mehr ändern.

»Wir könnten uns immer noch ergeben«, sagte Lasseur, als habe er seine Gedanken gelesen.

»Nein«, sagte Jess Flynn. »Dazu ist es zu spät.«

Hawkwood wusste, dass sie an Tyler dachte.

»Ich nehme die Manton, Jess«, sagte Hawkwood. »Nehmen Sie die Pistole. Und in der Büchse haben wir auch noch einen Schuss. Von dem möchte ich guten Gebrauch machen, ehe sie uns zu nahe sind.«

Er hatte den Satz kaum beendet, als draußen ein Schuss fiel und das hintere Küchenfenster zersplitterte.

Alle gingen in Deckung. Keiner war getroffen.

»Sie wollen uns wahrscheinlich zum Schießen herausfordern«, sagte Hawkwood. »Lass die lieber ihre Munition verschwenden.« Er sah den Hund an. »Sperren Sie Rab in die Vorratskammer, Jess, damit er nicht im Weg ist.«

Hawkwood wartete, bis das Tier in Sicherheit war, dann nahm er die Büchse. »Jeder auf seinen Platz. Und sowie ihr merkt, dass ihr eure Position nicht mehr halten könnt, verzieht ihr euch in die Vorratskammer.«

Aus dem Augenwinkel sah Hawkwood, wie sich vor dem Fenster etwas bewegte.

»Sie kommen«, sagte er.


Pepper spähte um die Ecke der Scheune. Er sah Tylers Leiche vor dem Haus auf dem Boden liegen. Er sah sich nach Tylers Pferd um und entdeckte es auf der Wiese. Nachdem es in Panik geflohen war, graste es jetzt ganz friedlich und merkte nichts mehr von dem Gemetzel.

Tylers Tod war als völlige Überraschung gekommen - und nicht nur für Tyler selbst. Aus der Reaktion des Runners hatte Pepper geschlossen, dass selbst Hawkwood überrascht war. Pepper hielt es auch nicht für einen Zufallstreffer. Die Frau hatte sehr genau gezielt. Der Ton ihrer Stimme und die Ruhe, mit der sie den Abzug betätigte, waren klare Beweise. Pepper fragte sich, was Jess Flynn bewogen hatte, ihren eigenen Schwager so kaltblütig zu erschießen.

Er hatte sich gewundert über Tylers Bitte, als sie vom Waldrand heruntergeritten waren: Überlasst mir die Frau. Es schien, als habe Tyler mit der Witwe Flynn eine Art Fehde gehabt. Jess Flynns kompromissloses Eingreifen hatte bewiesen, dass die Feindschaft auf Gegenseitigkeit beruhte. Aber egal, welches Motiv sie hatte, mit dem Erschießen Tylers hatte sie sich zur Komplizin der beiden Männer gemacht, die Pepper und seine Leute beseitigen sollten. Und da Pepper wusste, in welchem Verhältnis Thomas Gadd zu dem toten Jack Flynn gestanden hatte, konnte man davon ausgehen, dass Gadd ebenfalls auf deren Seite stand. Womit er wieder bei Tyler war. Pepper hatte den Kerl nie gemocht. Er hatte ihn immer für ein Risiko gehalten. Deshalb trauerte er ihm auch nicht nach; es war nur ein Unglück, so schnell einen Mann zu verlieren.

Ein Schuss fiel. Pepper hörte, wie ein Fenster zerbrach.

»Haltet euch zurück mit dem Schießen!«, rief er. Sie waren viel zu weit entfernt, um mit einer Pistole etwas ausrichten zu können.

Plötzlich spürte er ein heftiges Jucken im linken Unterarm. Er wollte kratzen, doch dann erinnerte er sich, dass es gar nichts zu kratzen gab. Es war jetzt zehn Jahre her, seit er den Arm durch ein Entermesser verloren hatte, doch das Jucken war immer noch da. Manchmal war es so realistisch, dass er unwillkürlich nachsah, ob der Arm tatsächlich nicht mehr da war.

Er unterdrückte den Drang, den Arm heftig an der Scheunenwand zu reiben und überlegte, wie sie ihr Ziel erreichen könnten. Die Vorderseite des Hauses war gefährlich, wie Tyler zu seinem Leidwesen herausfinden musste. Am sichersten war es, man näherte sich von hinten und benutzte die Außengebäude als Deckung. Vom nächsten Schuppen konnte man leicht den kurzen Weg durch den Gemüsegarten zur Hintertür huschen. Die Seite konnte man vom Obstgarten erreichen. Von dort konnten die Angreifer im Schutz des Gebäudes Stellung beziehen, wo sie im Mauerwinkel gegen Schüsse aus den Fenstern sicher waren.

Hinter ihm prüften seine Leute ihre Waffen. Jeder von ihnen hatte zwei Pistolen. Zwei trugen Schlagstöcke. Vier hatten Entermesser, die in Scheiden an ihren Gürteln hingen. Es waren harte, gestandene Männer, die alle ihre Lehre im Geleitschutz, als Bursche oder als Fassträger absolviert hatten. Die vier Besitzer der Entermesser hatten in Pressgangs als Zwangsrekrutierer gearbeitet, ehe sie zu Morgans Organisation gestoßen waren. Es war gut, Männer wie diese hier im Kampf hinter sich zu haben, deshalb hatte Pepper sie ausgesucht. Er war bereit, den irrtümlich abgegebenen Schuss von eben zu verzeihen. Einer aus ihren Reihen war erschossen worden, da war es verständlich, wenn man die Nerven verlor.

Pepper dachte über die gegnerische Seite nach. Sie mochten in der Minderheit sein, doch Hawkwood und Lasseur hatten gezeigt, aus welchem Holz sie geschnitzt waren. Die Frau auch, doch man wusste nicht, wie sie bei einem Ansturm auf das Haus reagieren würde. Was Gadd anbetraf, so hatte der in seinem Leben zwar viel gekämpft, aber jetzt war er alt und ein Krüppel. Was konnte der noch ausrichten? Pepper wusste, dass sie Waffen hatten - wenigstens zwei Gewehre und eine Pistole -, aber hatten sie Reserven? Pepper bezweifelte es.

Die sicherste Option wäre gewesen, die Sache einfach auszusitzen, aber Pepper und seine Mannschaft hatten heute noch eine weitere Verabredung, und bei der wäre es nicht gut, zu spät zu kommen. Ganz bestimmt nicht in dieser Nacht. Am besten versuchte man also, die Sache so schnell wie möglich hinter sich zu bringen.

Pepper zog die Pistole aus dem Gürtel über seiner Brust.

»Billy, bleib du bei den Pferden. Versuche, sie zu beruhigen. Deacon, Roach und Clay - ihr kommt mit mir. Ihr anderen geht ums Haus nach vorn. Wir wollen vor allem den Runner und den Froschfresser. Was die angeht, gebt ihnen keinen Zoll nach, was ihr von denen aber genau so wenig erwarten dürft. Falls die Witwe oder der alte Mann dazwischengeraten sollten, ist es eben ihr Pech.«

Pepper wartete, bis die vier Männer, die er zur Vorderseite des Hauses geschickt hatte, sich zur anderen Seite der Scheune schlichen und dann einzeln im Schutz des Obstgartens zur Hausecke rannten. Niemand schoss auf sie.

»Mir nach«, sagte Pepper. Den Finger am Abzug trat er aus dem Schutz der Scheunenwand. Gefolgt von Deacon, Roach und Clay rannte er zum nächsten Schuppen. Es gelang ohne Zwischenfall. Pepper machte Bestandsaufnahme. Er sah, dass die anderen den Obstgarten erreicht hatten und sich durch die Bäume vorwärtspirschten. Zwei von ihnen hatten ihre Entermesser gezogen. Pepper sah die Hintertür und das kaputte Küchenfenster. Undeutlich nahm er wahr, dass sich in der Küche etwas bewegte, aber die Sonne stand niedrig. Ihre Strahlen spiegelten sich in dem Glas, und im Haus war es so dunkel, dass er nichts erkennen konnte.

Der zweite Schuppen, der dem Haus am nächsten stand, war nur noch wenige Schritte entfernt. Pflichteifrig huschte Deacon dahinter hervor. Pepper sah eine dunkle Gestalt hinter dem kaputten Fenster und wollte ihm gerade eine Warnung zurufen, doch da fiel der Schuss bereits und Deacons Körper wurde gegen die Wand zurück geschleudert. Einen Moment stand er reglos, als hinge er an einem Haken, dann fiel er in sich zusammen wie eine Marionette, der man die Schnüre durchgeschnitten hatte. Als Deacon mit blutender Brust am Boden lag, hörte man vor dem Haus eine ganze Salve aus kleinkalibrigen Waffen.


Hawkwood ließ die Manton sinken. Das Gewehr lag nicht so gut in der Hand wie eine Bakerflinte. Zum Glück war es ein leichtes Ziel gewesen. Er hatte gehofft, Pepper ungehindert vor den Lauf zu bekommen, aber es war einer seiner Leute gewesen, der sich zuerst gezeigt hatte, und in der Not frisst der Teufel Fliegen.

Jetzt waren’s noch acht.

Nun blieben ihnen nur noch die Jagdflinte und die beiden Pistolen, und für alle nicht genug Munition, um wirklich etwas damit ausrichten zu können. Er legte die Büchse hin und Jess Flynn reichte ihm die Pistole. Im selben Augenblick hörte er Gadd im Nebenraum etwas schreien, doch dann wurde seine Stimme von einem Schuss und dem Splittern von Glas übertönt.

Hawkwood nahm die Ersatzkugel aus der Tasche und legte sie zusammen mit der Pulverflasche und etwas Watte neben den Spülstein. Sie sah so unscheinbar aus wie eine Erbse, die man auf einem Teller vergessen hatte. Er wusste, dass er wahrscheinlich keine Zeit haben würde, nachzuladen. Er zog den Abzug zurück und sagte über seine Schulter nach hinten: »Wenn einer von uns fallen sollte, dann nimm die Pistole an dich. Und sorg dafür, dass jeder Schuss sitzt.«

Jess nickte nervös. »Verstehe.«

Jetzt lass sie kommen, dachte er.

Und sie kamen.


Pepper nickte. Roach kam aus dem Versteck, während Clay um die Ecke des Schuppens spähte und einen Warnschuss aufs Küchenfenster abgab. Während der krachte, rannte Roach mit gezogenem Entermesser nach links auf die Tür zum Wohnraum zu.

Clay machte seine zweite Pistole locker und hockte sich hinter den Schuppen, um nachzuladen.

Pepper wartete ab, was passieren würde.

Aus der Küche sah Hawkwood Roach kommen. Er hörte den Schuss und sah die Rauchwolke an der Ecke des Schuppens und duckte sich gerade noch rechtzeitig, als die Kugel auch schon die letzte heile Fensterscheibe durchschlug und an seinem Ohr vorbeipfiff. Hinter ihm auf dem Küchenschrank ging ein Teller zu Bruch.

Noch ehe das kaputte Porzellan auf dem Fußboden aufschlug, hatte Hawkwood die Pistole auf den rennenden Mann gerichtet. Als dessen Begleiter den zweiten Schuss abgab, schoss auch Hawkwood. Die Kugel traf den rennenden Mann in der Leistenbeuge, der mit Schmerzgebrüll zu Boden ging. Die Pistolenkugel seines Gefährten bohrte sich in die Mauer unter dem Fensterrahmen.

Pepper war gerade mit der Pistole in der Hand aus der Deckung gekommen und rannte auf das Haus zu, als Roach fiel.

Hawkwood trat vom Fenster zurück, rammte die Kugel in den Pistolenlauf, häufte das Pulver auf die Pfanne und ließ den Hebel herunterschnappen. Seine Hände waren ruhig, als er den Hammer zurückzog. Als er fertig war, war Pepper verschwunden.

Hawkwood fluchte.

Hinter ihm beim Kamin hockte Jess Flynn. Von der anderen Seite der Kaminwand kam ein Geräusch, als ob jemand versuchte, die Tür einzutreten.

»Jess, sieh mal nach, was dort los ist!«, flüsterte Hawkwood.

Im Wohnraum hatte Tom Gadd bewiesen, dass er mehr konnte, als nur Kaninchen schießen. Ein weiteres Mitglied von Peppers Mannschaft lag tot unter einem der Apfelbäume, aus seinem Hals floss Blut. Gadd hatte einen lauten Freudenschrei ausgestoßen, als die Kugel seiner Jagdflinte traf, doch sein Triumph war schnell verstummt, als die Gefährten des toten Mannes das Feuer mit bitterer Konsequenz erwiderten.

Das Fenster und die Standuhr trugen den größten Schaden davon, aber es war knapp gewesen. Gadd musste an Hawkwoods Bemerkung denken, dass Karnickel nicht zurückschießen. Der alte Mann hockte an die Wand gelehnt und klopfte Pulver in den Lauf der Flinte, dann griff er in seine Tasche nach seiner letzten Kugel. Er sah zu Lasseur hinüber und grinste, doch das Grinsen erstarb auf seinem Gesicht, als die Vordertür unter dem Ansturm schwerer Stiefel erzitterte. Er sah auf, als Jess Flynn aus der Küche nach ihm rief.

»Bleib, wo du bist, Jess!«, rief Gadd zurück. »Wir sind unverletzt!«

Beim Klang von Jess Flynns Stimme hatte Lasseur sich vom hinteren Fenster abgewandt, als er sah, wie Gadd mit vor Schreck geweiteten Augen auf etwas hinter ihm starrte. Blitzschnell drehte Lasseur sich um, gerade als ein Entermesser das Fenster hinter ihm in tausend Stücke zertrümmerte, in dessen Öffnung ein Pistolenlauf erschien. Lasseur hob den Arm und schoss im selben Moment wie der Angreifer. Der Raum wurde von zwei gleichzeitigen Pulverblitzen erhellt, zwei Schüsse hallten wider. Draußen ertönte ein Schmerzenschrei und eine Gestalt fiel zu Boden.

»THOMAS!«

Bei Jess Flynns entsetztem Schrei fuhr Lasseur herum. Die Jagdflinte war Gadd aus der Hand gefallen. Der Seemann war gegen die Wand gesunken und presste die Hand an die Schulter. Im Halbdunkel des Raumes sah sein Blut fast schwarz aus. Jess Flynn kroch auf den Knien zu ihm hin.

Im nächsten Moment war auch Lasseur an seiner Seite. Draußen wurde etwas gerufen. Die Angreifer hatten Jess Flynns Schrei gehört und ihrer Stimme entnommen, dass drinnen jemand verletzt sein musste.

»Schnell!« Lasseur schob seinen Arm unter Gadds Schulter, wobei er die Schmerzensschreie des Verwundeten ignorierte. Gemeinsam schafften sie es, Gadd halb getragen und halb gezogen in die Küche zu bringen.

»Tom ist verletzt!«, rief Jess Flynn. Sie öffnete die Tür zur Vorratskammer. Der Hund sprang an ihr hoch.

»Runter, Rab!«

Hawkwood drehte sich um und sah, wie Jess Flynn die Falltür zum Keller anhob und den Hund hinunterstieß. Sie schloss die Falltür wieder und streckte die Hände aus, um Gadd zu stützen, während Lasseur den alten Mann über den umgestürzten Tisch in die Vorratskammer hob.

Dann schrie Lasseur entsetzt auf.

Hawkwood drehte sich um und seine Kehle wurde trocken beim Anblick von Pepper, der mit wütend gebleckten Zähnen die Axt gegen das Fenster schwang.

Hawkwood warf sich zurück. Die schwere Klinge zerstörte alles, was von den Scheiben noch übrig war und den größten Teil des Gitterwerks dazu. Als Hawkwood auf dem Boden aufschlug, warf Pepper die Axt zur Seite, zog seine Pistole und schoss durchs offene Fenster. Hawkwood rollte weiter und spürte die Druckwelle der Kugel, die neben seinem Kopf in die Fliesen schlug. Pepper stieß ein lautes Frustgebrüll aus. Hawkwood hob die Pistole und schoss, aber es war zu spät, Pepper war schon weg.

Aus dem Wohnzimmer hörte man, wie auch dort ein Fensterrahmen zu Kleinholz wurde, im oberen Stockwerk hörte man Glas splittern.

Dann erzitterte die Hintertür unter schweren Axthieben.

Hawkwood trat von der Tür zurück und kam hinter den Tisch zu den anderen. »Wie schwer ist er verletzt?«

Die Hintertür erbebte unter dem Ansturm.

»Die Kugel hat seine Schulter durchschlagen«, sagte Jess Flynn.

Lasseur drehte die Pistole in seiner Hand um. »Ich habe kein Pulver mehr.«

Hawkwood sah auf die Pulverflasche, die er beim Spülstein liegen gelassen hatte. Vielleicht konnte er sie noch holen.

Das Holz um das Türschloss splitterte. Plötzlich erschien die Axtklinge in der Öffnung, wurde wieder zurückgezogen und nahm ein großes Stück der Tür mit.

Vielleicht doch nicht.

»Ich auch nicht«, sagte Hawkwood, »aber das wissen die ja nicht.«

Lasseur musste lächeln.

»Kopf runter, Jess«, sagte Hawkwood.

Dann, plötzlich, schien die Zeit stillzustehen. Es wurde still. Die Axthiebe an der Tür hörten auf. An der Vordertür war auch nichts zu hören, außer einem leisen Knistern.

»Hier scheint etwas zu brennen«, sagte Lasseur.

Mit lautem Krachen wurde die Hintertür aufgestoßen.

Die Strohbündel brannten lichterloh. In schneller Folge wurden drei davon durch die Tür geworfen und landeten in einem Funkenregen auf dem Boden. Eins brach auseinander, wobei die brennenden Halme in alle Richtungen flogen. Das Prasseln im Wohnraum wurde lauter, als noch mehr brennendes Stroh durch die kaputten Fenster geworfen wurde. Die Flammen erfassten Vorhänge und Möbel und leckten bereits hinauf bis zu den Deckenbalken. Rauchschwaden wälzten sich über den Fußboden.

»Raus!«, schrie Hawkwood. Er rannte zur Tür und eine Kugel pfiff an ihm vorbei und drang in die Wand ein. Ein zweiter Schuss fiel. Jetzt wusste er, dass Pepper ihnen nicht erlauben würde, das brennende Haus zu verlassen.

Ein weiterer Teller fiel vom Küchenschrank und zerbrach hinter ihm. In der anderen Hälfte des Hauses brannte der Wohnraum schon lichterloh, die Flammen hatten bereits die Decke erreicht. Von den Wänden platzte der Putz. Der Rauch wurde immer dicker und beißender.

»In den Keller!« rief Hawkwood.

Lasseur schob den Tisch zur Seite. Jess Flynn riss die Falltür auf. Sofort kam der Hund herausgeschossen wie eine zottelige braune Kanonenkugel, doch sie hatte ihn schon mit beiden Händen am Fell gepackt und hielt ihn mit aller Kraft fest. Der Hund jaulte laut auf und versuchte zu entkommen, aber sie hielt ihn mit grimmiger Entschlossenheit fest und bugsierte das laut protestierende Tier, dessen Krallen hilflos auf dem Steinboden abrutschten, wieder in den Keller zurück, wohin sie ihm folgte. Lasseur beugte sich zu Tom Gadd hinab und hob ihn auf. Der verwundete Mann stöhnte, als Lasseur ihn hinunter in die Dunkelheit trug.

Hawkwood wollte Lasseur gerade folgen, als er unter dem Spülstein einen Eimer sah. Er vermutete, dass Jess damit Wasser aus dem Bach holte, aber er wusste nicht, ob er jetzt voll war. Er zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde, als er Lasseur rufen hörte. Dann riskierte er es und holte den Eimer. Er war halbvoll. Hawkwood ergriff ihn und ging in die Vorratskammer. Er glaubte, einen Schuss hinter sich zu hören. Pepper oder einer seiner Männer musste gesehen haben, dass sich im Rauch noch etwas bewegte. Mit tränenden Augen, die Flammen dicht hinter sich, stieg er die Kellertreppe hinunter und schloss die Falltür.

»Wir dachten schon, Pepper hat dich erwischt«, sagte Lasseur. Er klang ungehalten. »Was hast du denn noch gemacht? Was hast du da?« Sein Ton wurde jedoch ruhiger, als er sah, was in dem Eimer war.

Jess Flynn hatte eine Kerze angezündet. Sie gab sie Lasseur, der sie über Gadds Wunde hielt. »Halt sie still«, sagte sie.

Vorsichtig zog sie das blutgetränkte Hemd von der Wunde und untersuchte die Einschussstelle, die die Pistolenkugel in dem Stoff hinterlassen hatte. Sie schob die zerrissenen Ränder zusammen. Hawkwood wusste, dass sie prüfte, ob von dem Stoff etwas in die Wunde eingedrungen war. Wenn das der Fall war, dann war die Gefahr einer tödlichen Infektion durch den schmutzigen Stoff größer als durch die eigentliche Verletzung und den Blutverlust. Die blutigen Ränder des Risses passten genau aneinander. Sie atmete erleichtert auf. Die Wunde sah sauber aus.

Hawkwood zog sein Messer heraus und schnitt einen Streifen Stoff von Gadds Hemd ab. Jess nahm es, machte es im Eimer nass und fing an, das Blut von Gadds Schulter abzuwaschen. Gadd stöhnte und öffnete kurz die Augen. »Es war Jed Cooper, der auf mich geschossen hat.« Er blinzelte Lasseur an. »Hoffe, Sie kriegen den Bastard.«

»Ganz ruhig, Tom«, sagte Hawkwood. »Nicht reden.«

Gadd verstummte und zuckte nur kurz zusammen, als der nasse Lappen seine Wunde streifte.

Hawkwood sah sich um. Der Keller war nicht groß, er hatte etwa die Größe der Küche darüber. Körbe mit Obst und Gemüse standen auf Regalen ringsum an den Wänden.

»Ich weiß nicht, ob wir hier besonders sicher vor dem Feuer sind. Der Keller ist aus Stein, also wird er nicht brennen, aber wenn zu viel Rauch hier eindringt, sind wir verloren. Uns wird die Luft ausgehen, und dann wäre es besser gewesen, wenn Pepper uns erschossen hätte. Wenn du unter deinem Rock noch ein paar Unterröcke anhast, Jess, dann könnten wir die in Streifen schneiden und nass machen und uns ums Gesicht binden.« Er lächelte. »Ich glaube, so machen Heldinnen das immer.«

Sie tupfte das letzte Blut von Gadds Schulter, machte den Lappen wieder nass und drückte ihn aus. Dann streckte sie die Hand aus. »Das Messer.«

Sie schnitt vier Streifen von ihrem Unterrock ab und ließ sie in den Eimer fallen.

Hawkwood stand auf und untersuchte die Unterseite der Falltür. Sie war aus schwerem Holz und mit Eisenbändern verstärkt. Wenn sie auch sehr gut eingepasst war, einem wirklich schweren Brand würde sie nicht standhalten. Wenn die Temperatur hoch genug war, würde das Metall sich verziehen und das Holz verbrennen. Der Rauch würde in den Keller eindringen und sie alle töten. Bis jetzt gab es allerdings noch keine Anzeichen dafür, aber der Rauch war über ihnen und würde sie finden.

Von oben kam ein lautes Krachen. Hawkwood vermutete, dass ein Teil der Decke heruntergekommen war. Er ging wieder zu den anderen. Der Hund lief winselnd hin und her und stieß ab und zu ein ängstliches, leises Jaulen aus. Er sah Hawkwood an und probierte ein zaghaftes Wedeln, ehe er sich, den Kopf auf den Vorderpfoten, neben Jess Flynn niederlegte. Doch er blieb nicht still liegen, immer wieder hob er den Kopf und sah trübsinnig zur Kellerdecke hoch.

Aus dem brennenden Haus kamen weitere Geräusche. Der Hund spitzte die Ohren.

Sie löschten die Kerze, um keinen Sauerstoff zu verbrauchen und um ihre einzige Lichtquelle zu schonen. Und so saßen sie da, in Dunkelheit und Stille, und warteten.

Hawkwood wusste nicht genau, ob er geschlafen hatte oder nicht. Er war sich nicht bewusst, dass er die Augen zugemacht hatte, und im Dunkel des Kellers hätte es sowieso keinen Unterschied gemacht, aber er fühlte sich merkwürdig entspannt und ausgeruht. Er wusste, dass die Einbildung einem im Dunkeln merkwürdige Streiche spielen kann, besonders was das Zeitgefühl betraf. Nachdem die Kerze gelöscht war, war sein Kopf voll von merkwürdigen, unzusammenhängenden Bildern gewesen, aber ohne Ausnahme hatten alle mit Gewalt, Blut und Schrecken zu tun. Aber nach einiger Zeit hatte die Dunkelheit beruhigend gewirkt. Sein Körper fühlte sich schwer und müde an, aber er hatte keine Schmerzen. Lag es daran, dass er die Unvermeidlichkeit des Todes akzeptiert hatte? Sein Schicksal war besiegelt, also warum sollte er noch kämpfen?

Doch solange er noch denken konnte, war er auch Herr seines Schicksals und nichts war unvermeidlich.

Er merkte, dass sich neben ihm etwas bewegte, und hörte ein Hecheln. Es war der Hund, der plötzlich auf die Füße gesprungen war und leise jaulte. Dann bellte er laut. Hawkwood hörte, wie ein Feuerstein angeschlagen wurde, es gab einen Funken und die Kerze brannte. Jess Flynns Gesicht erschien aus dem Schatten.

Lasseur sagte unruhig: »Ich rieche Rauch.«

Hawkwood konnte es auch riechen. Er fragte sich, warum er es nicht eher gemerkt hatte. Hatten seine Sinne ihn wieder genarrt? Er sah hoch, doch er konnte nichts Auffälliges entdecken. Die Steine hinter ihm fühlten sich noch immer kühl an. Er nahm einen der Stoffstreifen aus dem Eimer, band ihn um Mund und Nase und nahm die Kerze in die Hand.

Der Hund fing an, wie wild zu bellen. In der Enge des Kellers war der Lärm so unerträglich, dass Hawkwood dachte, sein Trommelfell müsse platzen.

Als er zur Falltür ging, wurde das Gebell trotz Jess Flynns Beruhigungsversuchen immer eindringlicher.

Der Rauchgeruch wurde intensiver. Er vermutete, dass er im Laufe der Zeit, die sie hier unten waren, langsam immer stärker geworden war, woraus er schloss, dass sie einige Zeit hier zugebracht haben mussten.

Die Unterseite der Falltür zeigte keine Brandspuren, aber der Brandgeruch war durchdringend. Als er die Hand ausstreckte, um den Metallbeschlag zu prüfen, hörte er über sich ein Kratzen, dann ein lautes Poltern.

Er zog die Hand zurück.

Pepper! Er war zurückgekommen, um die Sache fertig zu machen.

Er wusste, er hatte keine Waffe außer dem Messer, und das war hinter ihm bei Jess.

Doch was tat es, dachte er müde. Sie waren ja ohnehin schon so gut wie tot.

Die Falltür wurde hochgezogen. Ein Schatten fiel über die Öffnung. Hawkwood spürte, wie jeder seiner Muskel sich spannte.

»Mensch, du siehst ja aus wie’ne aufgewärmte Leiche«, sagte Jago.

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