17

Hawkwood und Lasseur standen im Kreuzgang.

Morgan und Pepper hatten das Refektorium verlassen, in dem es vor Aufregung summte. Alle Niedergeschlagenheit über die Verzögerung der Heimreise hatte sich verflüchtigt wie der Morgennebel. Jetzt wartete jeder nur noch auf die letzten Einzelheiten über Morgans Pläne, die dieser bald bekanntgeben wollte.

Hawkwood hatte versucht, sich den Anblick von £ 500.000 auf einmal vorzustellen, aber es war ihm nicht gelungen. Der Gedanke an vier Tonnen Gold auf einem Pferdewagen - von dem das meiste in Barren sein würde, wie Morgan angekündigt hatte - überstieg aber sein Vorstellungsvermögen. In seinem Kopf ging es drunter und drüber beim Gedanken an diese enorme Summe. Er musste in Ruhe nachdenken. Nachdem er eine angemessene Zeit lang zugehört hatte, wie die anderen ihre Zukunft planten - wobei es sich hauptsächlich um Landsitze, gute Weine und für die Unverheirateten, aber auch für zwei der Verheirateten, um einen ständigen Nachschub an zärtlichen Frauen handelte -, hatte er das Refektorium verlassen und war an die frische Luft gegangen.

Als er Schritte hinter sich hörte, fluchte er leise.

»Du musst zugeben«, flüsterte Lasseur, »es ist ein teuflisch verlockendes Angebot.«

»Es wird seinen Preis haben«, sagte Hawkwood.

»Zweifellos. Allerdings habe ich festgestellt, dass es dich auch nicht abgehalten hat, auf das Vorhaben unseres Gastgebers einzugehen«, stellte Lasseur spöttisch fest. Er klopfte sich auf die Taschen, als suchte er seine letzte Zigarre.

»Vier Tonnen Gold sind eine starke Motivation«, sagte Hawkwood.

»Denkst du, dass es möglich ist?«, fragte Lasseur. Seine Hände hatten aufgehört zu suchen.

»Alles ist möglich«, sagte Hawkwood, dann dachte er: Na ja, vielleicht doch nicht alles, denn jetzt war es seine erste Aufgabe, die Behörden zu informieren und bisher hatte er nicht einen vernünftigen Einfall, wie er das bewerkstelligen sollte. Und bis dahin, sagte er sich, war die Chance, Morgans verrückten Plan zu vereiteln, größer, wenn er im Lager blieb und nach draußen pinkelte, als von draußen ins Lager hineinzupinkeln.

»Unser Gastgeber scheint alle möglichen Hindernisse bedacht zu haben.«

»Das denkt er.«

»Findest du seine Strategie nicht richtig?«

»Bei ein paar Einzelheiten war er nicht sehr ausführlich. Ich weiß noch nicht genug darüber, um es beurteilen zu können.«

Lasseur sah skeptisch aus.

»Ich wäge es nur ab«, sagte Hawkwood. »Sobald du anfängst, einen Plan in die Tat umzusetzen, was ist dann gewöhnlich das Erste, was schiefgeht?«

Lasseur dachte nach. Dann musste er lachen. »Der Rest. Na und?«

Hawkwood nickte. »Und? Erinnerst du dich daran, was Tom Gadd uns gesagt hatte? Wenn wir je Morgans Hand schütteln sollten, dürften wir hinterher nicht vergessen, unsere Finger nachzuzählen.«

»In anderen Worten, wir müssen auf der Hut sein.«

»Und wie«, sagte Hawkwood.

»Die anderen scheinen sich aber diese Sorgen nicht zu machen«, gab Lasseur zu bedenken.

»Die haben auch Tom Gadds Einschätzung nicht gehört, und auch nichts von den Erfahrungen, die Jess Flynn mit Morgan gemacht hat. Die sehen nur das Gold am Ende des Regenbogens und den Dank des Kaisers.«

»Man könnte denken, das sei genug«, sagte Lasseur.

»Ich nicht«, erwiderte Hawkwood. »Aber wie du selbst einmal ganz richtig festgestellt hast - ich bin ein misstrauischer Hund. Ich bin schon zu lange dabei um nicht zu wissen, dass man nichts umsonst bekommt.«

Morgans Warnung, auf dem Grundstück zu bleiben, sowie die Anwesenheit der Wachen hatten plötzlich eine ganz neue Bedeutung bekommen. Jetzt wo Morgan seinen großartigen Plan offengelegt hatte, war es ganz klar, dass diese Vorsichtsmaßnahmen nicht nur ungebetene Besucher fernhalten, sondern auch dafür sorgen sollten, dass keine Information nach draußen getragen wurde. Hawkwood wurde klar, dass sie lediglich ein Gefängnis mit einem anderen vertauscht hatten. Zugegeben, Denard hatte Recht, dass es hier wesentlich angenehmer war, aber es war dennoch eine Art Gefangenschaft. Eine Gefangenschaft, aus der Hawkwood dringend einen Weg nach draußen finden musste.

»Du scheinst über Deal gut informiert zu sein«, sagte er zu Lasseur.

Der Privateer lachte. »Ich bin nie in der Stadt gewesen, aber britische Handelsschiffe ankern gern vor den Downs, und deshalb ist es ein Stück Küste, wo man reichlich Beute machen kann, wenn man starke Nerven und ein schnelles Schiff hat.«

»Und die Scorpion ist ein schnelles Schiff«, sagte Hawkwood.

»Das ist sie, und die Festung ist ein guter Orientierungspunkt für die Navigation. Aber ich muss gestehen, mir sind auch schon ein paar von diesen Sechsunddreißigpfündern um die Ohren geflogen. Und ich hatte ein paar Zusammenstöße mit den Einheimischen. Es sind gute Seeleute. Und sie haben schon so manchen Privateer von seinem Ziel abgebracht und verjagt.«

»Sind sie gut bewaffnet?«

»Pistolen und Säbel gewöhnlich, aber ihre Boote sind … waren … so verdammt schnell. Die waren schon da und unter deiner Nase, ehe du überhaupt die Chance hattest, wegzukommen. Mut haben die Jungs, das muss man ihnen lassen.«

»Deshalb sind sie auch so gute Schmuggler«, sagte Hawkwood. »Bei den meisten ist es wohl eine Familientradition, vermute ich, und es gibt keine festeren Bande als die Familie.«

Außer das Regiment für den Mann, da standen Waffenbrüder sich oft so nahe wie Blutsbrüder, manchmal sogar näher, erinnerte sich Hawkwood.

»Eine Wagenladung Gold zu klauen ist nicht dasselbe, wie ein Dutzend Brandyfässer den Strand hinaufzuschleppen«, gab Lasseur zu bedenken.

»Nein, das stimmt«, gab Hawkwood zu. »Aber es ist ein verdammtes Stück profitabler.«

»Richtig!«, sagte Lasseur und sein Gesicht hellte sich auf. »Ich habe im Leben schon so manches Geld verdient, aber so was ist mir noch nicht passiert. Mein Gott, Matthew, du kannst über Morgan sagen, was du willst, aber der macht keine halben Sachen!«

Hawkwood musste zugeben, dass Lasseur Recht hatte. Und es schien, als würde der Privateer sich langsam für den Mann erwärmen. Und warum auch nicht? Morgan gab ihm ein Dach über dem Kopf, er verpflegte ihn und würde für seine Heimreise sorgen, ganz zu schweigen von der Beteiligung am Gewinn, der beim Schlag gegen den verhassten Feind abfallen würde, und hierbei würde Lasseur sich auch noch auszeichnen. Von Lasseurs Standpunkt aus war es seine Pflicht, die Feinde Frankreichs zu schikanieren und ihnen Schaden zuzufügen, und dasselbe galt für Masson, Le Jeune und alle anderen. Für sie war Morgans Vorhaben eine goldene Gelegenheit.

Was man ruhig wörtlich nehmen konnte.

Hawkwood merkte, wie Lasseur vom Jagdfieber gepackt war. Er hörte, wie freudig erregt seine Stimme klang, und wusste, dass hier ein Urinstinkt zum Vorschein kam. Es erinnerte ihn an einen Wolf, der Blut gewittert hatte, und er wusste, dass aus Lasseur, dem Gefangenen, wieder Lasseur, der Privateer geworden war, die Rolle, die seinem Charakter entsprach. Hawkwood fiel die Geschichte von dem Skorpion ein, der den Frosch bat, ihn über den Fluss zu tragen, und versprach, ihn auch nicht zu stechen. Doch als sie den Fluss zur Hälfte überquert hatten, brach der Skorpion sein Versprechen und stach den Frosch, so dass er starb und der Skorpion damit auch seinen eigenen Tod herbeigeführt hatte. Als der Frosch noch fragen konnte, warum, hatte er geantwortet: »Weil ich ein Skorpion bin, es ist meine Bestimmung, zu stechen.«

Lasseurs Bestimmung war es, auf der Suche nach Beute über die Meere zu segeln und dabei jede Möglichkeit zu nutzen, die sich ihm bot. Vielleicht war der Name seines Schiffes nur ein Zufall, dachte Hawkwood. Mit wachsendem Unbehagen stellte er fest, dass Lasseur wieder sein Feind geworden war.

Und das hieß, dass er auf sich allein gestellt war.

Plötzlich bemerkte er, dass Lasseur etwas entdeckt haben musste. Hawkwood folgte seinem Blick und erstarrte. Es war Thaddäus, der Stallbursche.

Er zeigt mit dem Daumen auf das Wohnhaus.

»Mr. Morgan möchte Sie sprechen«, sagte er.


Morgan saß an seinem Schreibtisch, als Hawkwood und Lasseur eintraten. Er trug dieselben Kleider wie bei seinem Morgenspaziergang, eine dunkle Hose und Jacke und eine blaue Weste. Hawkwood hielt nach den beiden Mastiffs Ausschau und war erleichtert, als er sah, dass sie nicht da waren. Der Schwarzdornstock jedoch lehnte an der Seite des Schreibtisches.

Morgan nickte dem Stallburschen zu, der sich zurückzog und die Tür hinter sich schloss. Pepper, der hinter Morgan stand und aus dem Fenster sah, drehte sich um, den guten Arm auf dem Rücken.

Morgan trat hinter dem Schreibtisch hervor und ging zu einem runden Tisch, auf dem eine Flasche und vier Gläser standen. »Einen Drink, meine Herren?« Er wartete nicht auf Antwort, sondern ergriff die Flasche.

»Ich glaube, Captain Lasseur wird das mögen. Es ist vom Weingut Bertin. Man sagt, es sei Kaiser Bonapartes Lieblingsmarke.« Er sah seinen Leutnant an. »Cephus?«

Pepper kam auf seinen langen Beinen angestelzt. Morgan verteilte die Gläser und hob das seine. »Auf den Profit!«

Die vier Männer tranken. Hawkwood sah sich im Raum um. Er war bemerkenswert nüchtern und zweifellos von einem Mann eingerichtet. Bis auf ein bequemes Sofa vor dem Kamin war es eher ein Büro als ein Wohnzimmer. Der erste Eindruck erinnerte Hawkwood an Hellards Wohnraum auf der Rapacious. Bei näherem Hinsehen jedoch sah er, dass die Möbel, auch wenn sie einfach waren, von bedeutend besserer Qualität waren. Und im Gegensatz zu Hellards Quartier gab es hier Bilder an den Wänden, die meisten mit Pferdemotiven. Er fragte sich, ob Morgan wohl Familie hatte. Mit dem Weinglas in der Hand sah der Schmuggler jeder Zoll wie ein wohlhabender Gutsherr aus, während Pepper, der ganz in Grau gekleidet war, sein effizienter, aber ebenfalls respektgebietender Verwalter hätte sein können.

Morgan wandte sich an Lasseur. »Haben Sie gut geschlafen, Captain? Captain Hooper meinte, dass er in der neuen Umgebung nur schwer einschlafen konnte.«

»Ich nicht«, sagte Lasseur. »Obwohl ich eher an schaukelnde Betten gewöhnt bin.«

»Ach, natürlich. Und auf den Hulks gibt es auch Hängematten, nicht wahr? Übrigens, habe ich es schon erwähnt, dass Sie und Cephus hier etwas gemeinsam haben? Cephus ist auch zur See gefahren, ehe wir uns trafen. War’s nicht so, alter Freund?«

Lasseur betrachtete Pepper mit neuem Interesse. »Sie waren in der Navy, Mr. Pepper?«

»Das ist lange her«, sagte Pepper.

Er machte keinerlei Anstalten, ausführlicher zu werden. Lasseur warf einen schnellen Blick auf Peppers linken Arm, sagte aber nichts. Hawkwood wusste nicht, ob er aus Höflichkeit oder aus Rücksicht auf Peppers Verhalten schwieg.

»Das war, ehe er eine lukrativere Beschäftigung fand«, fügte Morgan hinzu.

»Der Handel?«, fragte Lasseur.

»Richtig.« Morgan lachte. »Schmeckt Ihnen der Wein, Captain?«

»Ich freue mich, bestätigen zu können, dass Seine Majestät einen ausgezeichneten Geschmack haben«, sagte Lasseur.

»Und wozu ist man denn im Geschäft, wenn man seine Ware nicht probieren kann, nicht wahr?« Morgan nahm einen Schluck aus seinem Glas und schmatzte genießerisch. »Setzen Sie sich doch. Machen Sie sich’s bequem.«

Hawkwood nahm sich einen Stuhl. Lasseur setzte sich auf das Sofa.

Morgan stellte das Glas hin und öffnete ein furniertes Holzkästchen. »Eine Manila?«

Mit einem Ausdruck der Freude nahm Lasseur sich eine Zigarre. Er hielt das fest gewickelte Blatt unter die Nase und sog genüsslich den Duft ein.

Hawkwood lehnte ab. Morgan nahm sich ebenfalls eine Zigarre und bot Pepper das Kästchen an, doch der schüttelte den Kopf.

Hier geht es ja wirklich sehr zivilisiert zu, dachte Hawkwood misstrauisch und fragte sich, was Morgan im Schilde führte. Morgan war doch nicht der Typ, der Leute nur zu höflichem Geplauder einlud, und Pepper sah aus, als würde er sich lieber seinen gesunden Arm auch noch abbeißen, als überhaupt mit jemandem zu plaudern, ob höflich oder nicht.

Während Lasseur seine Zigarre anzündete und einen ersten Zug tat, sagte Morgan: »Das war ein interessanter Vorstoß, den Sie da vorhin machten, Captain.«

Lasseur lehnte sich in die Polster zurück und blies den Rauch aus. »Aber fair, glaube ich, im Hinblick auf die Gewinnspanne, besonders, wenn Sie erwarten, dass die Männer ihr Leben dafür aufs Spiel setzen.« Lasseur hob sein Glas und warf Hawkwood einen schnellen Blick zu, ehe er trank. »Im Übrigen glaube ich, dass Sie auch bis fünfundzwanzig gegangen wären.«

Morgan riss die Augen auf. Doch dann vertieften sich die Fältchen um seine Augen, als er mit seiner noch kalten Zigarre auf Lasseurs Gesicht deutete. »Das könnte sogar sein.« Er sah Hawkwood an. »Wie ist’s mit Ihnen, Captain Hooper? Sie haben bisher noch nicht viel gesagt. Ich habe das Gefühl, hier drin geht mehr vor sich, als Sie uns verraten.« Damit tippte er sich an den Kopf. »Ich wette, diese Narben, die Sie da haben, könnten einige Geschichten erzählen. Habe ich Recht?«

»Die beweisen nur, dass ich nicht schnell genug aus dem Weg gegangen bin«, sagte Hawkwood. »Im Übrigen haben alle Soldaten Narben.«

Er nahm einen Schluck Wein. Lasseur hatte Recht. Er war vorzüglich.

»Das stimmt schon, aber manche gehen tiefer als andere, nicht wahr?«, sagte Morgan.

Hawkwood gab keine Antwort, sah aber, dass jetzt ein Schatten auf Morgans Gesicht lag.

»Wir haben ein kleines Problem, meine Herren.«

»Ein Problem?«, sagte Hawkwood vorsichtig.

Morgan ließ sich Zeit, um seine Zigarre anzuzünden. Hawkwood vermutete, er brauchte Zeit zum Nachdenken.

Als die Zigarre zu seiner Zufriedenheit brannte, fuhr Morgan fort. »Wir haben etwas Ärger mit dem Zoll. Ein Berufsübel, ich weiß, aber es gibt hier einen berittenen Offizier, der uns hinterherschnüffelt. Er entwickelt sich zu einem regelrechten Ärgernis.«

Hawkwood überlegte, was für eine Antwort Morgan wohl erwartete. Für leere Phrasen schien es nicht der richtige Moment. Er nahm einen weiteren Schluck Wein und wartete. Lasseur dachte offenbar dasselbe. Der Privateer stieß ein durchsichtiges Rauchfähnchen aus und versuchte, nonchalant auszusehen, während er einen Tabakkrümel von seiner Unterlippe entfernte.

Morgan fuhr fort. »Er wurde erst vor ein paar Monaten eingestellt und versucht seitdem, sich zu profilieren. Vielleicht denkt er, wir hätten keine Inventur gemacht, aber das haben wir. Die Sache ist, er ist nicht von hier. Normalerweise rekrutiert der Zoll Einheimische. Es ist nicht wie bei der Miliz: Dort hält man das Risiko, dass jemand das Gesetz umgeht, für geringer, wenn er in der unmittelbaren Nachbarschaft keine Verwandtschaft hat. Deshalb frieren die Jungs aus Kent sich in Dumfries den Arsch ab, die armen Kerle, und in Dungeness ist’ne Kompanie aus Flintshire.«

Morgan zog an seiner Zigarre, ehe er sie aus dem Mund nahm und zwischen den Fingern rollte. Er betrachtete das Ende und sah hoch.

»Wie ich schon sagte, er kommt aus einer anderen Grafschaft. Übrigens heißt er Jilks, und er erweist sich als … nun ja, als gewissenhafter, als wir erwartet hatten.«

»Ich gehe davon aus, Sie haben es mit einem Anreiz versucht?«, sagte Hawkwood.

Morgan nickte. »Hat nicht funktioniert. Ist stolz darauf, auf dem Weg der Tugend zu wandeln. Aber im Laufe des letzten Monats sind ein paar unserer Ladungen aufgehalten worden. Vor zwei Wochen hatten wir in Sandwich eine Ladung, wo wir hundert Fässer verloren haben und zwei unserer Männer verwundet wurden. Wir hörten, dass er auch hinter dem Überfall in Warden steckte. Das Letzte, was wir brauchen, ist, dass er von der Sache in Deal etwas erfährt und uns verpfeift. Wenn das passiert, sind wir alle aufgeschmissen. Damit meine ich Sie, mich selbst und Bonapartes Möglichkeit, seine Truppen zu bezahlen, auch zukünftige Ladungen - der ganze verdammte Handel. Das können wir nicht riskieren.« Morgan unterbrach sich. »Wir müssen diesen Hundesohn ausschalten, ehe es zu spät ist.«

»Ausschalten?«, sagte Lasseur.

»Entfernen«, sagte Morgan, tat einen langen Zug aus seiner Zigarre und füllte die Lunge mit Rauch.

Das Wort hing in der Luft.

»Sie wollen, dass er umgebracht wird«, sagte Lasseur nüchtern.

»Das wäre die perfekte Lösung.«

Lasseur setzte sich auf, plötzlich dämmerte es ihm.

Die kleinen Nadelstiche, die Hawkwood am Rückgrat gespürt hatte, fühlten sich plötzlich wie Eiskristalle an.

Es wird seinen Preis haben.

»Und Sie möchten, dass wir uns darum kümmern«, sagte Hawkwood.

Jetzt zeigte Morgan mit seiner brennenden Zigarre auf Hawkwood. »Sie, Sir, sind genauso scharfsinnig wie Ihr Freund hier.« Er wandte sich an Pepper. »Habe ich nicht gesagt, das ist ein Paar, auf das man zählen kann?«

Lasseur stellte das Glas hin. »Warum wir?«

Morgan legte den Kopf schief. »Die Lieferung des Goldes an Bonaparte ist eine Geste meines guten Willens. Dies wäre Ihre.«

»Ich verstehe nicht«, sagte Lasseur. Ohne dass Morgan es bemerkte, warf er Hawkwood einen kurzen Blick zu.

»Nein?« Morgan zog an seiner Zigarre und schien das Aroma zu genießen. »Nun, sehen Sie, vorhin im Refektorium, als ich meinen kleinen Plan bekanntgab, kam es mir vor, als ob Sie und Captain Hooper sich nicht ganz so schnell dafür erwärmen konnten wie die anderen. Das ist schade, denn Cephus und ich dachten, dass Sie eine Klasse besser seien, und es wäre schade, wenn wir uns geirrt haben sollten.

Womit ich nicht sagen will, dass wir es nicht schon erlebt haben. Sie wissen ja, wie es ist: Man hält jemandem die Hand der Freundschaft hin und merkt dann, dass er die Erwartungen, die man in ihn setzt, doch nicht erfüllt. Das führt meist zu großem Bedauern und gegenseitigen Vorwürfen. Also, unterm Strich sieht’s so aus: Cephus und ich müssen wissen, auf wen wir uns verlassen können. Und deshalb halte ich es nicht für unzumutbar, wenn wir einen Beweis Ihres Engagements verlangen, finden Sie nicht?«

»Indem Sie von uns verlangen, dass wir einen Zollbeamten umbringen?«

»Um zu beweisen, dass Sie wirklich mit im Boot sind.« Morgan lächelte gewinnend. »Ich meine, es ist doch nicht so, als ob wir es bei Ihnen mit zwei Chorknaben zu tun haben, oder? Da war zum Beispiel dieser kleine Zwischenfall auf dem Hulk. Wie viele kamen da um? Fünf waren’s doch, oder? Das ist eine beeindruckende Anzahl. Man könnte fast schon sagen, etwas übertrieben. Das hat sofort unsere Aufmerksamkeit geweckt, nicht wahr, Cephus?«

»Das kann man wohl sagen«, sagte Pepper. Es war das erste Mal, dass Morgans Leutnant mit Nachdruck gesprochen hatte.

»Wir verlangen ja nur, dass Sie Ihr Geschick auch hier anwenden«, sagte Morgan.

»Halten Sie uns denn für Meuchelmörder?«, fragte Lasseur.

Morgan schüttelte den Kopf. »Daran hatte ich nie gedacht. Aber Sie befinden sich doch immer noch im Krieg, nicht wahr? Und das bedeutet, dass der berittene Officer Jilks Ihr Feind ist, und in Anbetracht dessen, was auf dem Spiel steht, ist er genauso eine Bedrohung wie eine Fregatte der Königlichen Navy oder ein Regiment Dragoner.«

»Der Mann hat Recht«, sagte Hawkwood.

»Und es gibt keine Hinweise, weswegen man die Sache mit Ihnen oder mit Captain Hooper in Verbindung bringen könnte«, sagte Morgan. »Machen Sie die Sache, und in ein paar Tagen sind Sie auf dem Heimweg, und wesentlich wohlhabender als jetzt.«

»Wollen Sie damit andeuten, dass wir dazu verpflichtet sind?«, fragte Lasseur.

»Ich deute nur an, dass Sie beide außerordentlich zupackende Männer sind, die einen hochwichtigen Auftrag vor sich haben. Was bedeutet das Leben eines Mannes, wenn es um die Zukunft Frankreichs geht?«

»Und um Ihre Investitionen.« Lasseur drehte den Stiel seines Weinglases. »Vergessen wir die nicht.«

»Ohne die Ihr Kaiser wesentlich ärmer und Ihre Armee wesentlich schlechter ausgerüstet wäre.« Wenn Morgan über Lasseurs Antwort Groll empfand, dann ließ er es sich nicht anmerken. »Es ist Ihre Pflicht, dieses Schicksal umzudrehen, Captain.«

Lasseur sah Hawkwood an.

»Er hat Recht, mein Freund«, seufzte Hawkwood. »Wenn wir auf der Scorpion wären und ein fettes Handelsschiff vor den Downs vor Anker liegen sähen, würden wir gar nicht darüber reden. Wir würden Sand auf die Decks streuen und die Kanonen ausfahren, und den Letzten würden die Hunde beißen. Ich sage, wenn dieser Jilks der Einzige ist, der zwischen mir und einem verdammten Haufen Geld steht, dann ist der Bastard Freiwild für uns.« Hawkwood hob sein Glas. »Und das weißt du auch.«

Er sah Morgan an. »Sie wollen, dass wir uns um ihn kümmern? So gut wie schon geschehen.«


Der Oberste Richter James Read stand am Fenster und sah nach unten auf die Straße. Bow Street hallte wider von den Geräuschen einer Stadt, die ihren täglichen Geschäften nachging. Das Pferdegetrappel vermischte sich mit dem Rumpeln der Wagenräder, dazwischen hörte man die lauten und misstönenden Schreie der Straßenhändler.

Reads Augen wanderten zum Brown Bear, dem Pub auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ein kleiner Junge, einer der vielen kleinen Straßenbengel, die sich hier herumtrieben, hatte gerade versucht, einem vorbeigehenden Passanten die Taschenuhr zu klauen, und wurde jetzt von seinem Opfer kräftig geohrfeigt. Der Junge zappelte wie ein Fisch am Haken. Read konnte nicht anders, als die Frechheit des kleinen Taschendiebes zu bewundern, der hier, nur wenige Schritte von der Staatsanwaltschaft entfernt, seinem Gewerbe nachging. In komischer Verzweiflung schüttelte er den Kopf, als der Junge den Mann kräftig vors Schienbein trat und in der Menge verschwand. Es war interessant, dachte Read, dass niemand im Untergeschoss den Zwischenfall bemerkt zu haben schien und eingegriffen hatte. Er würde sich darum kümmern müssen. Vielleicht wäre es gut, vor dem Haupteingang permanent einen Polizisen zu stationieren.

Read machte sich im Geist eine Notiz und ging an seinen Schreibtisch zurück. Er hatte sich gerade gesetzt, als es klopfte. Die Tür wurde geöffnet und Ezra Twigg kam herein.

»Ein Schreiben von der Admiralität, Sir. Gerade mit Kurier gekommen. Ich habe gesagt, er soll warten, falls Sie eine Antwort schicken wollen.«

»Vielen Dank, Mr. Twigg.«

Read brach das Siegel auf, während Twigg sich im Hintergrund hielt. Als Erstes sah er auf die Unterschrift, der Brief kam von Ludd.

Ezra Twigg beobachtete, wie der Oberste Richter die Stirn runzelte.

»Ich nehme an, es gibt nichts Neues, Sir?«, sagte Twigg.

Read antwortete nicht. Er legte den Brief hin und sagte leicht bedrückt: »Sagen Sie dem Kurier, er kann gehen. Es gibt keine Antwort.«

Twigg nickte und ging zur Tür. Er zögerte und drehte sich noch einmal um. »Alles in Ordnung, Sir?«

Read sah seinen Sekretär an. »Sie hatten Recht mit Ihrer Annahme, Mr. Twigg. Captain Ludd schreibt, dass es von Officer Hawkwood keine Nachricht gibt, seit er von dem Schiff geflohen ist. Genausowenig gibt es eine Nachricht über ihn.«

Twigg zwinkerte hinter seiner Brille, als er das ernste Gesicht des obersten Richters sah. Der Sekretär arbeitete schon zu lange für James Read, um diesen esichtsausdruck nicht zu kennen. Reads Erscheinung, von dem zurückgekämmten silbergrauen Haar und dem Gesicht mit der Adlernase bis zu seinem konservativen dunklen Anzug, war genau das, was man von einem öffentlichen Beamten in gehobener Position erwartete. Wer ihn nicht kannte, mochte vielleicht denken, dass er seine Pflicht mit puritanischem Eifer erfüllte, ohne jedes persönliche Gefühl für diejenigen, die seinen eigenen anspruchsvollen Standard nicht erreichten. Aber Ezra Twigg wusste es besser.

Hinter der peniblen Fassade verbarg sich ein Mann, der sich der Verantwortung, die auf seinen schmalen, eleganten Schultern lag, nur zu oft und schmerzhaft bewusst war. Read machte seine Arbeit tatsächlich mit Hingabe. Aber er kümmerte sich gleichzeitig auch um die Leute, die für ihn arbeiteten. Der Oberste Richter kannte die Gefahren, denen seine Offiziere ausgesetzt waren. Die Runner waren eine Elitetruppe, und es gab nicht viele von ihnen. Sie arbeiteten weit verstreut und waren durch ihre Aufgaben, die sie in alle Teile des Landes führten, oft großer Gefahr ausgesetzt. Read wusste, dass es äußerst kompetente Männer waren, einfallsreich und wenn nötig auch rücksichtslos. Es war nichts Außergewöhnliches, dass von einem Sonderermittler über längere Zeit keine Nachricht kam. Aber das hielt Read nicht davon ab, sich Gedanken um ihr Wohlergehen und ihre Sicherheit zu machen.

Reads nachdenkliches Gesicht sagte Ezra Twigg alles.

Der Oberste Richter machte sich Sorgen.

»Kann ich irgendetwas für Sie tun, Sir?«

Read sah hoch. Sein Gesicht blieb ernst und nachdenklich.

»Ja, Mr. Twigg, es gibt etwas. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie für mich eine Nachricht überbringen könnten.«

»Sehr wohl, Sir.« Twigg wartete gespannt. Nach einer Weile sagte er: »Und wem soll ich diese Nachricht überbringen, Sir?«

Read sagte es ihm.

Twiggs Augenbrauen schossen hoch. »Denken Sie, er wird kommen?«

Read nickte. »Er wird kommen.«

»Ich gehe sofort.« Twigg ging zur Tür.

»Mr. Twigg?«

Der Sekretär drehte sich um. »Euer Ehren?«

»Bitte seien Sie vorsichtig«, sagte Read.

Twigg gestattete sich ein kleines Lächeln. »Das bin ich immer, Sir.«

Read nickte. Der Sekretär schloss die Tür hinter sich. Read sah auf die Standuhr in der Ecke. Dann zog er seine Taschenuhr heraus und sah aufs Zifferblatt. Er ging zur Standuhr und drehte den Minutenzeiger auf Viertel nach.

Vielleicht war es ein Omen, dachte er. Die Zeit verging tatsächlich.

Im Vorzimmer schickte Ezra Twigg den Kurier weg und angelte sich seinen Hut.

Er überlegte, ob er vor dem Weggehen um eine sichere Heimkehr beten sollte.


Der Pub zum Hanged Man lag in einer dunklen Gasse hinter der Buckbridge Street. Es war nicht die Sorte Gasthaus, die von Ladys und Gentlemen der gutbürgerlichen Schicht besucht wurde. Seine Kundschaft waren jene, die sich am Rand der konventionellen Gesellschaft bewegten, in der Grauzone zwischen Recht und Unrecht. Spieler, Trickbetrüger, Fälscher und Schuldner; Opportunisten, Verführer, Beschaffer und Liebhaber, sie alle trafen sich im Bierdunst dieser düsteren, verräucherten Kneipe.

Im Hintergrund des Gastraumes im ersten Stock saßen vier Männer in Tabakrauch gehüllt und spielten Domino. Ihre Gesichter waren ernst. Sie spielten mit großer Konzentration. Ihre Bewegungen waren zügig und sicher. Man hörte wenig Geplänkel. Die Art und Weise, wie jeder Spieler seine Steine aufgebaut hatte - umgedreht und in zwei Reihen zu jeweils drei -, und die Stapel Münzen neben jedem Spieler zeigten deutlich, welche Art von Spiel hier gespielt wurde.

Einer der Männer schien im Vorteil zu sein. Er war untersetzt, hatte ein zerfurchtes Gesicht und kurzes, eisengraues Haar. Er saß mit dem Rücken zur Wand. Wenn er sich nicht auf seine Steine konzentrierte, beobachtete er den Raum. In seinem Blick war keine Furcht, lediglich Vorsicht. Rechts von sich hatte er ein Glas Brandy stehen. Ab und zu nahm er einen Schluck, ehe er seine Steine hinlegte. Trotz seiner Wachsamkeit machte er den Eindruck eines Mannes, der mit sich selbst ebenso im Reinen war wie mit dieser zweifelhaften Umgebung und seinen Mitspielern.

Ab und zu wanderte sein Blick zu einem Gast, der allein am Tisch neben der Treppe nach unten saß. Der Mann hatte ebenfalls den Rücken der getäfelten Wand zugekehrt. Er war jung, hatte ein energisches Gesicht und dunkle, intelligente Augen. Wenn er einen Schluck aus dem Glas nahm, führte er diese Bewegung so knapp und sparsam aus, dass man glaubte, er tat es nur, um Hand und Arm etwas zu bewegen und nicht, weil er den Inhalt seines Glases besonders genoss. Sowie ein Kunde aus dem Erdgeschoss heraufkam, stellte er sein Glas ab, wie um die Hände frei zu haben. Manchmal tauschte er einen Blick mit dem grauhaarigen Mann, aber meist hatte er die Augen auf die Treppe gerichtet. Der Name des jungen Mannes war Micah.

Eine neue Runde wurde gespielt. Die Steine wurden in schneller Folge hingelegt, nur unterbrochen von einem Klopfen, wenn ein Spieler nicht bedienen konnte. Obwohl um Geld gespielt wurde, war die Stimmung freundlich und entspannt.

Den letzten Spielstein in der Hand, vor sich eine Schlange von Dominosteinen, die sich wirr über den Tisch zog, sah der grauhaarige Mann abermals hoch und betrachtete die Gesichter der Kommenden und Gehenden, der Bekannten und Unbekannten, und überlegte, ob es sich um Freunde oder Feinde handelte.

Seine Augen wanderten zum Tisch an der Treppe. Er wurde sofort aufmerksam. Micah war nicht mehr allein. Neben ihm stand ein kleiner, krummbeiniger Mann mit Brille, schwarzer Hose und Jacke und einem ausgebleichten Dreispitz. Eine gepuderte Perücke, die schon bessere Tage gesehen hatte, lugte unter dem hochgeschlagenen Rand hervor. Der ältere Mann redete, Micah hörte zu. Schließlich nickte Micah, drehte sich um und sah zum Tisch der Dominospieler.

Der grauhaarige Mann legte seinen letzten Spielstein an und strich seinen Gewinn ein. Er schob den Stuhl zurück, stand auf und ließ die Handvoll Münzen in seine Tasche gleiten.

»Danke für das Spiel, Jungs. Ihr müsst jetzt ohne mich weitermachen - die Pflicht ruft.« Er ignorierte die Proteste der anderen Spieler, drehte sich um und ging zur Treppe.

Ezra Twigg sah ihm entgegen.

Als der grauhaarige Mann seinen Tisch erreicht hatte, stand Micah auf.

»Nun, Mr. Twigg …« Nathaniel Jago sah den kleinen Sekretär an und seufzte: »Wenn Sie hierherkommen, kann das nur einen Grund haben. Was hat der verrückte Hund denn jetzt wieder gemacht?«


Die vier Reiter hatten die Hügelkuppe erreicht und lenkten ihre Pferde auf den Waldrand zu. Das Mondlicht warf Schatten auf die Gesichter der Männer, die genauso gesprenkelt aussahen wie das Laub der Bäume, unter denen sie dahinritten. Ihre Aufmerksamkeit galt einem niedrigen Cottage, das, etwas von der Straße zurückgesetzt, etwa dreihundert Yards vor ihnen lag. Das übrige Dorf lag etwas weiter entfernt, insgesamt etwa ein Dutzend Häuser. Von dem Cottage bis zum nächsten Nachbarn waren es etwa hundert Schritte.

»Sieht ruhig aus«, murmelte McTurk. Nach dieser Feststellung zog der Ire den Rotz hoch und spuckte in die Büsche.

Lasseur rümpfte angewidert die Nase.

»Siehste was?«, fragte McTurk den Reiter zu seiner Linken flüsternd.

»Schätze, die Luft ist rein.«

McTurk sah Hawkwood an. »Alles klar?«

»Wir vergeuden Zeit«, sagte Hawkwood. »Machen wir voran.«

Sie lenkten die Pferde aus dem Wald zurück auf den Weg und ritten zu zweit nebeneinander, McTurk und Croker voran.

Hawkwood fühlte eine sanfte Brise auf seiner Wange. Sie brachte den Geruch des Meeres mit sich, von dem sie weniger als eine Meile entfernt waren. Er bildete sich ein, die Wellen auf dem Kiesstrand zu hören, tat es aber als Einbildung ab. Doch wenn er nach rechts blickte, sah er durch die Bäume gelegentlich das Mondlicht auf dem Wasser glänzen.

McTurk und Croker sprachen nicht, und Lasseur neben ihm schwieg ebenfalls. Sie merkten nur an der Bewegung der Pferde und am Kerzenlicht in den Häusern vor ihnen, dass sie vorankamen.

Es war eine Weile her, seit Hawkwood geritten war. Das letzte Mal war es in Spanien gewesen, als er an der Seite der guerilleros bei Überfällen auf die Franzosen dabei gewesen war. Er hatte sich nie für einen besonders guten Reiter gehalten, und sein Verhältnis zu Pferden war gespalten. Und doch, als er in Morgans Stall aufgesessen war und seine Stiefel in den Steigbügeln steckten, war es ihm, als hätte es diese Pause nie gegeben.

Lasseur wirkte sehr sicher im Sattel und führte die Zügel, als täte er es schon seit frühester Kindheit, was vermutlich auch der Fall war. Hawkwood erinnerte sich, wie Lasseur ihm vom Tod seiner Frau erzählt hatte. Er vermutete, dass der Privateer trotz seines Berufes ein perfekter Reiter war, der seine Frau wahrscheinlich bei ihrem Morgengalopp begleitet hatte, wenn er zu Hause war. Er wusste, dass Lasseurs Unbehagen mit der moralischen Seite ihres Auftrags zu tun hatte und weniger mit der Angst, vom Pferd zu fallen und sich den Hals zu brechen oder unter den Hufen zertrampelt zu werden.

Der Schrei eines Nachtvogels durchbrach die Dunkelheit. Die Pferde stellten die Ohren auf. Hawkwood legte beruhigend die Hand auf den Hals seines Tieres und merkte, wie sich die Muskeln unter dem glatten braunen Fell wieder entspannten. Sie waren etwa zweihundert Yards vom Haus, als Lasseur sich zu ihm hinüberbeugte und auf Französisch flüsterte: »Ich habe nicht die Nerven dafür, mein Freund.«

»Ich habe dir ja gesagt, dass ich es mache«, sagte Hawkwood im selben Ton.

Lasseur setzte sich wieder in den Sattel zurück und verstummte. Sein Gesicht war nachdenklich.

Hawkwood dachte nicht, dass die Männer vor ihm Französisch sprachen, aber er wartete darauf, ob sie reagieren würden. Sie gaben keinerlei Anzeichen, dass sie es verstanden hatten, vielleicht waren sie aber auch nur gute Schauspieler.

»Ich schicke Ihnen zwei meiner besten Kundschafter mit«, hatte Morgan gesagt. »Sie sagten, Sie hätten Captain Lasseur gern dabei, aber Pat und Jack kennen den Weg und können Jilks auch identifizieren. Danach hängt alles von Ihnen ab. Wenn Sie Schwierigkeiten haben sollten, was ich aber bezweifle, dann sind das zwei gute Männer, die Ihnen bei einem Gefecht beistehen werden.«

Hawkwood hatte erwartet, dass nur ein Mann sie begleiten würde. Morgans Ankündigung, dass es zwei sein würden, war ihm nicht ganz recht gewesen, ebenso wie seine andere Bedingung.

»Es ist möglich, dass eine Frau bei Jilks ist. Ich habe keinen Krieg mit Frauen. Tun Sie ihr nichts.«

»Seine Frau?«

Morgan hatte die Schultern gezuckt. »Haushälterin, was weiß ich? Jedenfalls rühren Sie sie nicht an. Geben Sie mir Ihr Wort darauf?«

»Ich habe auch keinen Krieg mit Frauen«, sagte Hawkwood und dachte an die Mörderin Catherine de Varesne, und wie er ihr an einem Londoner Kai eine Kugel durch den Hals gejagt hatte.

Sie hielten an. Das Cottage war keine hundert Schritt mehr entfernt. Irgendwo in der Dunkelheit bellte ein Hund, und Hawkwood musste sein Pferd wieder beruhigen. Auf ein Signal von McTurk lenkten sie ihre Pferde in den Schutz eines Dickichts, wo sie absaßen.

Hawkwood sah zum Cottage hinüber. Dort gab es keinerlei Bewegung. In einem der unteren Räume brannte Licht. Er nahm seine Pistole aus dem Gürtel und wandte sich an McTurk. »Wir gehen zusammen. Croker bleibt hier mit Captain Lasseur, als Wache und um auf die Pferde aufzupassen.«

McTurk wirkte nicht sehr begeistert, dass er einen Befehl entgegennehmen sollte. Er zog die Augenbrauen zusammen, während er über eine passende Antwort nachdachte. Doch schließlich sah er ein, dass Hawkwoods Befehl vernünftig war; er sah Croker an und nickte. Er war etwas kleiner als Hawkwood, sehnig und stark, mit dunklen keltischen Gesichtszügen. Seine eigene Pistole trug er an einem Pistolengürtel vor der Brust. In seinem Koppel steckte ein schwerer hölzerner Schlagstock. Hawkwood fand, dass er agil und zäh aussah.

Im Gegensatz dazu war Croker untersetzt, mit großen Händen und einem harten Gesicht, das gut zu einem Faustkämpfer gepasst hätte.

Hawkwood sprach mit Lasseur auf Französisch. »Schau dich gut um, und pass auf dich auf.«

»Du auch«, sagte Lasseur düster.

Hawkwood machte eine kurze Kopfbewegung zu McTurk und sagte auf Englisch: »Gehen wir.«

Hawkwood ging voran. Mit dem Gebüsch als Deckung, gingen sie geradewegs auf die Bäume hinter dem Cottage zu. Dort war ein kleines Außengebäude, von dem Hawkwood annahm, dass es ein Stall war. Er roch Holzrauch, was ihn einen Moment an ihre Ankunft auf Jess Flynns Farm erinnerte. Hinter ihm knackte ein Zweig, und er blieb stehen. Als er sich umdrehte, sah er, dass McTurk seine Pistole gezogen hatte.

Das Licht kam aus einem Fenster auf der Seite. Es flackerte, als Hawkwood und McTurk weitergingen, und Hawkwood hatte den vagen Eindruck, als habe sich ein Schatten zwischen Licht und Fenster bewegt. Dann wurde das Licht noch schwächer, als eine Gardine zugezogen wurde, so dass man im Raum nichts mehr sehen konnte.

Als sie der Hintertür näher kamen, griff McTurk in seine Weste und zog zwei Kapuzen heraus. Er hielt Hawkwood eine hin und zog sich die andere über den Kopf. Selbst aus nächster Nähe war der aufgemalte Totenkopf schauerlich genug, um einem Herzklopfen zu verursachen. Hawkwood verdrängte seine Abscheu und zog die andere Kapuze über. Sofort erfasste ihn eine unheimliche Klaustrophobie. Gleichzeitig spürte er, wie seine Halsmuskeln sich verkrampften, ein Gefühl, das er nur zu gut kannte. Dann fanden seine Augen die Sehschlitze, die die Augenhöhlen des Totenschädels darstellten, und als er wieder sehen konnte, war auch das Unbehagen vorüber. Er schob die Kapuze über seinem Gesicht zurecht und hörte ein leises Ratschen, als McTurk den Bolzen seiner Pistole zurückzog.

Hawkwood trat zur Seite, als McTurk die Hand auf den Türriegel legte. McTurk sah ihn an, und Hawkwood nickte. McTurk hob das Bein mit dem Stiefel an, zog den Riegel hoch und trat zu.

Die Tür flog laut krachend auf. Hawkwood und McTurk traten mit hoch erhobenen Pistolen ein, McTurk rechts von Hawkwood.

Die Küche war nicht groß. Es gab eine Feuerstelle und einen Kochherd, über dem Töpfe, Pfannen und anderes Kochgerät an Haken hingen. Mitten im Raum stand ein Tisch, daran saß ein Mann in Hemd und Kniehose, seine Weste hatte er aufgeknöpft. Die Gabel in seiner Hand war auf halbem Weg stehen geblieben. Über der Stuhllehne hing eine Uniformjacke. Er starrte auf die vermummten Besucher, wobei sein Mund ihm vor Schreck offen stand und ihm beim Anblick der Pistolen das Blut aus dem Gesicht gewichen war. Er warf einen schnellen Blick zum Schrank hinüber, auf dem zwei Pistolen lagen.

»Nein«, warnte McTurk, der dem Mann seine Pistole an den Kopf hielt. »Lass das.«

McTurk nickte Hawkwood zu und löste die Sicherung seiner Pistole. »Er gehört Ihnen.«

In dem Bruchteil der Sekunde, den Hawkwood brauchte, um ihm seinen Pistolenlauf gegen den Schädel zu schmettern, merkte McTurk, dass er einen Fehler gemacht hatte. Doch da war es bereits zu spät. McTurk fiel wie von einer Axt getroffen, die immer noch geladene Pistole rutschte ihm aus der Hand. Der Mann sprang vom Stuhl auf und ließ klirrend seine Gabel fallen, doch Hawkwood drehte sich blitzschnell um und zog den Abzug seiner Pistole zurück. »Setzen Sie sich.«

Zitternd, den Lauf von Hawkwoods Pistole an seiner Stirn, setzte sich der Mann wieder hin.

»Setzen Sie sich auf Ihre Hände«, sagte Hawkwood. »Handflächen nach unten.«

Der Mann tat, wie befohlen. Seine Augen waren noch immer weit aufgerissen. Er hatte ein längliches, zerfurchtes Gesicht und kurzgeschnittenes blondes Haar mit gepflegten Koteletten, die fast bis zum Kinn hinunterreichten. Hawkwood schätzte, dass er in den letzten drei Sekunden wahrscheinlich um zehn Jahre gealtert war.

Hawkwood griff nach seiner Kapuze und zog sie vom Kopf. Er wusste, dass er nicht viel Zeit hatte.

»Sie sind der berittene Officer Henry Jilks?«, fragte Hawkwood.

Der Mann nickte stumm. Seine Augen wanderten von Hawkwood zu dem leblosen Körper auf dem Boden. Man sah ihm an, dass er unter Schock stand. Während er die Pistole weiterhin auf Jilks’ Brust gerichtet hielt, stopfte Hawkwood die Kapuze in die Jackentasche, dann hob er McTurks Waffe auf.

»Sehen Sie nicht ihn an, sondern mich«, sagte Hawkwood. »Und sagen Sie nichts, sondern hören Sie gut zu.«

Jilks hob den Kopf.

»Ich tue Ihnen nichts. Ich heiße Matthew Hawkwood. Ich bin Sonderermittler. Ich arbeite für den Obersten Richter James Read von der Staatsanwaltschaft in London.«

Hawkwood merkte, wie sich Erstaunen auf Jilks’ Gesicht ausbreitete.

»Es gab ein Komplott, Sie heute Abend umzubringen. Dahinter steckt Ezekiel Morgan. Er mag es nicht, wie Sie seine Geschäfte stören. Der hier auf dem Boden ist Patrick McTurk. Er ist einer von Morgans Leuten. In der Nähe ist noch ein Mann, also haben wir nicht viel Zeit.«

Als er die Namen McTurk und Morgan hörte, wurde Jilks noch blasser.

»Passen Sie jetzt gut auf«, sagte Hawkwood streng. »Ich habe Ihr Leben gerettet, weil ich möchte, dass Sie eine Nachricht für mich übermitteln.«

»Eine Nachricht?« Jilks hatte seine Stimme wieder gefunden und runzelte die Stirn, dann fiel ihm der Kinnladen herunter. »Nach London?«

»Nach Chatham«, sagte Hawkwood. »Zum Hafen; das Büro der Transportbehörde, für Captain Elias Ludd.«

»Chatham? Warum Chatham? Ich verstehe nicht.« Jilks schüttelte verwirrt den Kopf.

»Sie brauchen es auch nicht zu verstehen«, sagte Hawkwood kurz. »Ich sagte Ihnen bereits, Sie brauchen nur zuzuhören. Mir ist es egal, wie Sie es schaffen, aber Sie müssen mit Captain Ludd sprechen. Sagen Sie ihm, dass Morgan und seine Leute in drei Tagen eine Ladung Gold aus dem Haus der Admiralität in Deal stehlen wollen. Er soll alle nötigen Vorkehrungen treffen. Sagen Sie ihm, die Nachricht kommt von mir. Er wird es verstehen.«

Der Mann am Tisch starrte Hawkwood entsetzt an.

Hawkwood sagte: »Sie haben doch draußen ein Pferd im Stall?«

Jilks nickte.

»Warnen Sie Ludd. Das ist ein Befehl. Haben Sie verstanden?«

»Ja«, sagte Jilks, doch sah er noch immer unentschlossen aus.

»Was ist?«, fragte Hawkwood in scharfem Ton.

Jilks wurde rot. »Verzeihen Sie, aber wie weiß ich, dass Sie der sind, für den Sie sich ausgeben?«

»Sie leben noch«, sagte Hawkwood. »Das ist der einzige Beweis, den ich Ihnen geben kann.«

Im selben Augenblick hörte man in der Dunkelheit hinter der Tür zum nächsten Zimmer ein Geräusch. Hawkwood drehte sich um.

»Hier herein, sofort!«

Es kam keine Antwort.

»Verdammt, ich sagte sofort!«

Die Frau, die in die Küche trat, trug Arbeitskleidung und eine Schürze. Sie war ein paar Jahre jünger als Jilks. Das Haar hing ihr offen über das Gesicht. Sie ging zum Tisch und stellte sich hinter den Mann, wobei sie wie hypnotisiert auf die Pistole in Hawkwoods Händen starrte.

»Wie heißen Sie?«, fragte Hawkwood.

»Esther,« flüsterte sie mit einem Blick auf den Mann auf dem Boden; ihre Hand fuhr zum Mund, als sie dort, wo McTurks Gesicht hätte sein sollen, den aufgemalten Totenkopf sah. Die Frau, von der Morgan gesprochen hatte. Haushälterin? Ehefrau? Geliebte? Für ein Verhör war jetzt keine Zeit.

Vom Fußboden kam ein Stöhnen und die Frau fuhr zurück. McTurk bewegte sich.

Hawkwood sprach wieder zu Jilks. »Sie wissen, was Sie zu tun haben?« Jilks zog seine Hände hervor. Er sah Hawkwood fragend an. »Und was machen Sie?«

Hawkwood verzog das Gesicht. Die Narben auf seiner Wange schienen unnatürlich weiß. »Ich? Ich werde das tun, was jeweils gerade nötig ist.«

Wieder kam ein Stöhnen vom Boden.

Hawkwood drehte sich um, zielte mit der Pistole auf McTurk und schoss. Die Kugel drang durch die Kapuze in McTurks rechte Augenhöhle und trat zusammen mit Blut, Knochensplittern und Fasern der schwarzen Kapuze am Hinterkopf wieder heraus. McTurks Leiche zuckte von der Wucht des Aufpralls zusammen, dann sackte sie auf den Boden.

Jilks sprang auf. Die Frau stieß einen Schrei aus. Sie starrten auf die Leiche, das Entsetzen auf ihren Gesichtern war gleichermaßen eine Reaktion auf die plötzliche Wende im Geschehen wie auf die Gewalttätigkeit, deren Zeuge sie geworden waren.

»Warum?«, fragte Jilks heiser.

»Er durfte nicht am Leben bleiben. Ich muss an Morgan zurückberichten.«

»Was werden Sie Morgan sagen?«

»Dass Sie Widerstand geleistet haben und geflüchtet sind.«

Ungläubig starrte die Frau ihn an.

»Es ist das Beste, was mir einfällt«, sagte Hawkwood. »Warten Sie, bis wir weg sind, dann reiten Sie los. Nehmen Sie nicht zu viel mit, dann kommen Sie schneller voran.« Er wandte sich an die Frau. »Und Sie verziehen sich am besten auch. Und vergessen Sie das hier möglichst schnell, falls Sie wissen, was gut für Sie ist.«

Hawkwood steckte die leere Pistole wieder in McTurks Gürtel. »Schnell, helfen Sie mir, ihn hochzuheben.«

Jilks zögerte, dann kam er zu Hilfe. Hawkwood schob seinen Arm unter McTurks Achsel und zusammen hoben sie die Leiche hoch, so dass es aussah, als stütze Hawkwood sie nach einem schweren Zechgelage.

»Nehmen Sie eine Pistole.« Hawkwood machte eine Kopfbewegung zum Schrank. »Wenn ich sage schießen, dann schießen Sie.«

Jilks tat, was Hawkwood verlangt hatte. »Und worauf soll ich schießen?«

»Solange es nicht auf mich ist, ist es mir egal«, sagte Hawkwood. »Fertig?«

Jilks nickte.

»Jetzt.«

Jilks zielte auf die Feuerstelle und drückte ab. Der Schuss riss ihm die Hände hoch.

Die Frau zuckte zusammen.

Hawkwood zielte mit seiner letzten geladenen Pistole aufs Fenster und schoss. Ein gezacktes Loch erschien in der Scheibe, aber sie zersplitterte nicht.

»Warten Sie nicht mehr zu lange«, sagte Hawkwood. Er steckte die Pistole in seinen Gürtel, lud sich den toten Mann auf die Schulter und schleppte ihn zur Tür hinaus. Als Croker, der mit Lasseur im Dickicht wartete, den ersten Schuss hörte, grinste er. »Jetzt ist der Bastard erledigt!«

Lasseur antwortete nicht. Er fühlte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte. Als der zweite Schuss fiel, scheuten die Pferde. Croker drehte sich zum Cottage um. Im Mondschein sah man den besorgten Ausdruck auf seinem Gesicht. Beim dritten Schuss, der gleich danach kam, brach er in wildes Fluchen aus und zog seine Pistole aus dem Gürtel. Seine Augen versuchten vergeblich, die Dunkelheit zu durchdringen. »Da ist was passiert.«

Der Hund bellte wieder, aber das war das einzige Lebenszeichen, das aus dem Dorf kam, was darauf schließen ließ, dass die anderen Dorfbewohner weder den Mut noch den Wunsch hatten, die Ursache der Ruhestörung zu untersuchen.

Lasseur sah ebenfalls zum Haus hinüber. Durch die zugezogene Gardine sah man noch immer ein schwaches Licht, aber im Lichtschein, der aus der offenen Tür fiel, sah man jetzt zwei eng aneinandergedrängte Gestalten herausstolpern.

»Scheiße!«, bellte Croker wütend. Er fasste die Zügel fester und drehte die Pferde in die andere Richtung.

Fünfzig Schritte von den Bäumen entfernt verlagerte Hawkwood das Gewicht von McTurks Leiche auf seiner Schulter und versuchte, schneller zu gehen. Tote zu tragen war nie einfach. Der Ärger mit Leichen war, dass sie einfach kein Koordinationsgefühl hatten. Er hörte ein leises Schnauben in der Dunkelheit und sah, wie Croker und Lasseur ihm mit den Pferden entgegenkamen.

»Was zum Teufel ist denn passiert?«, schnauzte Croker ihn an. »Ach, du lieber Gott!«, stöhnte er.

»Das Miststück hat sich gewehrt.« Hawkwood gab vor, völlig außer Atem zu sein. »Und ich dachte, das sollte eine einfache Sache sein? Er hat McTurk getroffen, ich weiß nicht, wie schlimm.« Hawkwood tat, als lockere er seinen Griff und fluchte, als McTurks Leiche zu Boden glitt.

Croker beugte sich hinunter und zog McTurk schnell die Kapuze vom Kopf. Er starrte auf das, was von dessen Hinterkopf noch übrig war. »Allmächtiger! Er ist ja tot!« Er sah Hawkwood wütend an. »Das war Jilks?«

Hawkwood nickte. »Er hatte eine Pistole. Hat Pat völlig überrascht. Wir haben beide auf ihn geschossen, aber er ist weggerannt. Und da Pat getroffen war, hielt ich es für das Beste, zu verschwinden, ehe die Nachbarn einen Aufruhr machen. Was tun wir jetzt?«

Croker richtete sich auf. »Wir hauen schleunigst ab, das tun wir.« Lasseur sah auf die Leiche hinunter. »Und was machen wir mit ihm?«

Unentschlossen nagte Croker an seiner Lippe.

»Er war Ihr Kumpel«, legte Hawkwood nach.

»Himmelherrgott!«, fluchte Croker wütend, »Himmelherrgott, so eine Scheiße aber auch!« Dann sagte er: »Also gut, legt ihn auf sein Pferd. Seht mal nach, ob in der Satteltasche ein Strick ist. Wir nehmen ihn mit. Aber wenn wir verfolgt werden, müssen wir ihn zurücklassen. Macht schnell!« Croker warf die Kapuze hin.

Sie legten McTurk quer auf den Rücken seines Pferdes und banden seine Arme und Beine mit einem Strick unter dem Bauch des Tieres zusammen. Dann ritten sie los, wobei McTurks Pferd den Schluss bildete. Als Hawkwood auf sein Pferd stieg, war es ihm, als habe er in der Dunkelheit hinter sich einen Türriegel gehört, der ins Schloss fiel. Vielleicht war es die Stalltür, die gerade geschlossen worden war.


Henry Jilks lud seine leere Pistole wieder und merkte, wie ihm der Schweiß ausbrach, als er daran dachte, wie die beiden Männer hereingekommen waren. Sein Blick fiel auf den Fußboden und auf den dunklen Fleck, wo McTurks Gehirnmasse durch die Kapuze hindurch auf die Steinfliesen geflossen war. Jilks dachte an den dunkelhaarigen Mann, der anscheinend ohne jegliche Gefühlsregung abgedrückt und McTurk ins Jenseits befördert hatte - welches Jenseits das auch immer sein mochte. Jilks vermutete, es würde eher die Hölle sein. Egal, er wusste, dass er darüber keine Träne vergießen würde, auch wenn McTurks Tod kein gnädiger gewesen war.

Er dachte an den Mann, der Hawkwood und McTurk zu ihm geschickt hatte, und sein Herz schlug schneller. Jilks hatte sich über die Gefahren keine Illusionen gemacht, als er den Posten als Berittener Offizier angenommen hatte. Es war ein hartes Leben und die Bezahlung war schlecht. Einschüchterung war an der Tagesordnung, genau wie Verzweiflung und Korruption. Für jeden Officer, der seinen Posten aufgegeben hatte, weil seine Familie bedroht wurde, gab es ein halbes Dutzend, die angefangen hatten zu trinken oder erpressbar waren.

Der vorletzte Vorgänger von Jilks war ein ehemaliger Kavallerist namens Haggard gewesen. Haggard hatte diese Gegend wieder verlassen, nachdem er eines Tages mit Frau und Kind nach Hause gekommen war und das Kätzchen seiner Tochter von den Deckenbalken in der Küche gehangen hatte. Im Gegensatz dazu hatte dessen Nachfolger, ein sechzigjähriger Alkoholiker namens Rigsby, mehr Zeit mit Saufen als auf dem Pferderücken verbracht und nach einer durchzechten Nacht in einem Pub dieser Gegend im Vollrausch sein Leben ausgehaucht. Seine Zechkumpane waren Fassträger und Späher von Ezekiel Morgan gewesen.

Henry Jilks hatte nicht lange gebraucht, bis ihm klar wurde, welchen Einfluss Morgan auf den Handel in dieser Gegend ausübte. Doch das Wissen darüber war noch kein Beweis. Da er ahnte, dass es schwer sein würde, Morgan auf frischer Tat zu ertappen, hatte Jilks beschlossen, sich rar zu machen und Augen und Ohren offen zu halten. Seine Beharrlichkeit fing langsam an, sich bezahlt zu machen. In der Zeit, seit er hier patrouillierte - sein Gebiet erstreckte sich sechs Meilen ins Inland von der Küstenlinie zwischen Shellness Point und South Foreland -, waren seine Erfolge zwar zahlenmäßig nicht groß, aber immer umfangreicher geworden, wie die Menge der beschlagnahmten Schmuggelware deutlich bewies, genau wie die Tatsache, dass Ezekiel Morgan ihn für eine genügend große Bedrohung hielt, um Männer loszuschicken, die ihn umbringen sollten.

Jilks wusste nicht, ob er sich darüber beunruhigt oder geschmeichelt fühlen sollte.

Er wusste jedoch, dass es sicher das Klügste war, zunächst Constable Hawkwoods Anweisung zu folgen und sich aus dem Staub zu machen. Er dachte an die Nachricht, die er übermitteln sollte. Sie klang zu fantastisch, um wahr zu sein, aber der Ausdruck in Hawkwoods blaugrauen Augen war zu ernst gewesen, um ihn zu ignorieren, genau wie die Aussicht, dass es, wenn es wahr sein sollte, eine einmalige Gelegenheit war, um Ezekiel Morgans Herrschaft ein für alle Mal zu beenden.

Jilks knöpfte seine Weste zu, zog die Jacke an und nahm seine Pistolen. Es war Zeit, sich aufzumachen. Esther war schon im Stall, um das Pferd zu satteln. Er dachte an Esther, die ihm mehr als eine Haushälterin geworden war. Er dachte daran, sie mitzunehmen, und fragte sich, was sie davon halten würde. Er konnte sie später nachkommen lassen, wenn er in Sicherheit war.

Damit war er bei der Frage, welche Richtung er einschlagen sollte. Riding Officers waren verpflichtet, regelmäßig bei Tag und bei Nacht auf Patrouille zu sein, und Jilks kannte die kleinen Nebenstraßen gut. Die Wingham Road war die beste Route, entschied er, von dort würde er dann nach Boughton reiten. Wenn er Glück hatte, würde er den Hafen gegen Morgen erreichen, wenn er die Stute nicht zu hart antrieb.

Er wartete noch einen Moment, ehe er aus dem Haus ging. Es waren gute zehn Minuten her, seit Hawkwood mit McTurks Leiche gegangen war. Er wollte ganz sicher sein, dass die Luft rein war. Es schien still draußen. Jilks holte tief Luft, öffnete die Tür und ging zum Stall.

Die Stute stand fertig gesattelt in ihrer Box. Sie schnaubte leise, als Jilks eintrat.

»Ist schon gut, Mädchen«, flüsterte er und streichelte ihre Flanke. Er fragte sich, wo Esther war. Er steckte die Pistolen in die Taschen am Sattel, dabei bemerkte er, dass sein Säbel fehlte. Die Scheide hing vom Sattel, aber sie war leer. Merkwürdig, dachte Jilks, und versuchte sich zu erinnern, ob er ihn mit ins Haus genommen hatte.

»Esther?«, rief er.

Er hörte Schritte hinter sich und drehte sich um. Der Stich mit dem Säbel überraschte ihn vollkommen, er drang ohne Schwierigkeit durch seine Weste und in seinen Leib. Erst fühlte er nichts, aber als die Klinge ihren Weg weiter nahm, übermannte ihn der Schmerz und breitete sich wie flüssiges Feuer in seinem Körper aus. Jilks presste die Hände auf seinen Bauch und umklammerte die Klinge in dem verzweifelten Versuch, sie aufzuhalten, aber er spürte lediglich eine Taubheit in seinen Fingern, als auch sie von der scharfen Klinge zerschnitten wurden. Jilks starrte wie betäubt auf seine Mörderin, als sie die Klinge zurückzog. Seine Hände fühlten sich plötzlich warm an. Er sah an sich hinab und beobachtete erstaunt, wie der dunkle Fleck auf seiner Weste immer größer wurde und das Blut auf seine Stiefel tropfte. Stöhnend fiel er aufs Stroh. Merkwürdig, dachte er, dass seine Hände warm waren, wo doch der Rest von ihm so kalt war. Er wunderte sich noch immer darüber, als er seine Augen zum letzten Mal schloss.


Die Wache am Torgebäude trat vor und hob McTurks Kopf an. Beim Anblick der zerschmetterten Augenhöhle und der verklebten, blutigen Masse am Hinterkopf erkannte der Posten, wer es war, und sein Gesicht verdüsterte sich. Ohne ein Wort ließ er den Kopf wieder fallen und trat zur Seite.

Croker führte die Pferde hintereinander durch den Torbogen.

Der Ritt zurück zum Haunt war ohne Zwischenfälle verlaufen, bis auf eine Schrecksekunde nicht lange nachdem sie das Cottage verlassen hatten, als sie glaubten, Pferdegetrappel hinter sich zu hören. Sie hatten sich im Dickicht versteckt, doch nach zehn Minuten, als es keine Anzeichen einer Verfolgung gab, waren sie weitergeritten.

Die Laternen brannten, als sie in den Hof kamen. Aus den Stalltüren fiel Licht. Hawkwood hatte keine Uhr, doch er wusste, es war spät. Er überlegte, ob eine Ladung erwartet wurde oder ob es Schwierigkeiten mit dem neugeborenen Fohlen gäbe. Auf der Straße draußen waren keine gespensterhaften Mönche zu sehen gewesen.

Morgan tauchte in der Stalltür auf und wischte sich die Hände ab. Sein Blick fiel auf McTurks Pferd mit der Leiche auf dem Rücken. Er sah Croker an.

»Es ist gründlich schiefgegangen«, sagte der grimmig. »Dieser Bastard, Jilks - er hat Pat erledigt.«

»Wie ist das passiert?« Hawkwood fand, dass Morgan merkwürdig gefasst klang.

Croker deutete mit dem Kopf zu Hawkwood. »Frag ihn.«

»Das wollte ich gerade.« Morgan sah Hawkwood an. »Also?«

»Ihr Mann, Jilks, das war es, was passierte. Er hat sich stärker zur Wehr gesetzt, als wir erwartet hatten.«

»Erklären Sie.«

»Was gibt’s da zu erklären? Er hörte uns kommen und schoss auf uns. McTurk ist tot. Jilks lebt und wird weiterkämpfen. Ich vermute, er ist noch immer auf der Flucht.«

»Wir hielten es für das Beste, Pat mitzubringen«, sagte Croker, ohne Hawkwood anzusehen. »Es schien nicht richtig, ihn zurückzulassen.«

Abrupt drehte Morgan sich um. »Bringt ihn rein.«

Croker nahm McTurks Pferd am Zügel und führte es in den Stall, sein eigenes Pferd zog er nach. Hawkwood und Lasseur folgten ihm.

Der Stallbursche Thaddäus war in der ersten Box, wo er eine braune Stute trockenrieb. Als die Männer mit McTurks Leiche hereinkamen, hielt er erschrocken inne.

Morgan deutete auf die Leiche. »Hilf Jack, ihn runter zu heben.«

Hawkwood und Lasseur banden ihre Pferde fest, während Croker und der Stallbursche die Stricke lösten und die Leiche aufs Stroh legten. Im Laternenschein sah das Gesicht des Stallburschen gelblich und zerfurcht aus.

»Sieht aus, als hätten Sie Glück gehabt«, sagte Morgan, als Hawkwood und Lasseur ihre Sättel auf dem Balken über der Box verstauten.

»McTurk haben wir das jedenfalls nicht zu verdanken«, sagte Hawkwood. »Der hat einen Lärm gemacht, der Tote aufgeweckt hätte.«

»Tatsächlich?«, sagte Morgan und trat zurück. »Das war aber nicht, was ich gehört habe. Ich habe gehört, er sei sehr leise gewesen, und dass der arme Kerl gar nichts mehr mitbekommen hat. Wenn du soweit bist, Cephus.«

Pepper trat aus der Dunkelheit, eine Pistole in der rechten Hand. Er war nicht allein. Hinter ihm trat eine schlanke Gestalt vor. Hawkwood wusste, dass seine Schwierigkeiten erst jetzt richtig anfingen.

»Sie haben Esther bereits kennengelernt«, sagte Morgan.


Sie hatte ihr Kleid ausgezogen und mit einer kurzen Jacke und einer Reithose vertauscht. Ihr rotes Haar war im Nacken von einem Band zusammengehalten. Ihre Augen funkelten hasserfüllt. »Er war es«, sagte sie und deutete auf Hawkwood. Ihre Stimme war eiskalt.

Hawkwood sah sich nach einem Fluchtweg um. Der einzige Weg nach draußen war durch die Tür, und das war keine Option, denn die beiden Männer, die sich hinter der Tür versteckt hatten, traten jetzt ins Licht. Auch sie hatten Pistolen, außerdem hatte jeder von ihnen einen Schlagstock am Gürtel. Einer von ihnen war Del.

»Eine Bewegung, und Sie sind tot«, sagte Morgan. »Sie auch, Captain Lasseur.«

Hawkwood stand still, etwas anderes blieb ihm nicht übrig. Lasseur hob die Hände und sah sich um. »Was ist denn hier los?«

Croker stand auf, auch er war völlig verwirrt. »Was zum Teufel geht hier vor?«

»Wir sind hinters Licht geführt worden, Jack«, sagte Morgan. »Wir haben einen neuen Fuchs im Hühnerstall.« Er sah Lasseur an. »Vielleicht sogar zwei.«

»Was?«

»Es sieht aus, als ob unser Captain Hawkwood etwas sparsam mit der Wahrheit umgegangen ist. Wie sich’s herausstellt, ist er gar kein geflüchteter Gefangener. Vielleicht ist er nicht mal ein Captain. Und ein Amerikaner ist er erst recht nicht.«

»Wovon redest du?«

»Er ist ein Gesetzeshüter, Jack, der uns ausspionieren soll. Und er heißt auch nicht Hooper, sondern Hawkwood. Und laut Esther hier ist er ein Sonderermittler, der für - was war es gleich wieder - für Bow Street arbeitet? Du weißt doch, was das heißt? Ich vermute, wir haben uns hier einen verfluchten Runner eingefangen!«

»Um Gotteswillen!« Croker zeigte die Zähne und griff instinktiv nach seiner Pistole.

»Nein!«, sagte Morgan scharf. »Nicht hier. Nehmt ihnen die Waffen ab.«

»Er hat Pat umgebracht«, sagte das Mädchen, ihr schmales Gesicht wirkte im Laternenlicht kantig. »Hat ihn kaltblütig erschossen, das mörderische Schwein!«

»Und deshalb nehmen wir ihnen ja die Waffen ab«, sagte Morgan geduldig. Er gab den Männern an der Tür ein Zeichen. Zu Hawkwood und Lasseur sagte er: »Pistolen herausnehmen. Mit Daumen und Zeigefinger. Auf den Boden legen. Zurücktreten.«

Die beiden taten, wie ihnen geheißen wurde. Morgans Männer hoben die Waffen auf.

Lasseur starrte das Mädchen an. »Wer ist diese Frau? Was erzählt sie da?«

Morgan tat überrascht. »Ach ja, das hätte ich fast vergessen. Esther, das ist Captain Lasseur. Captain, darf ich Ihnen Esther vorstellen. Sie gehört zur Familie, Tochter einer Cousine von mir. Großartiges Mädchen, scharfer Verstand, genau wie ihre Mutter, Gott hab sie selig. Esthers Vater wurde vor fünf Jahren von Zöllnern umgebracht. Ihr Bruder Tom wurde vor zwei Jahren geschnappt, sieben Jahre Verbannung. Übrigens war er drei Monate auf den Hulks, ehe er verschickt wurde. Ist’ne kleine Welt, nicht wahr? Folglich hat sie natürlich für Zöllner und fürs Gesetz überhaupt nicht viel übrig, also hat es auch keinen Zweck, an ihr gutes Herz zu appellieren - sie hat keins. Deshalb haben wir sie auch für Officer Jilks arbeiten lassen. Sie wurde seine Haushälterin, damit sie ihn für uns im Auge behalten konnte. Wie sagt man doch? Halte dich eng an deine Freunde, aber noch enger an deine Feinde? Esther hier hatte einen wahren Schatz an Informationen.«

»Ach ja, und übrigens, Captain - Officer - Hawkwood, oder was zum Teufel Sie sich auch nennen mögen, nur damit Sie’s wissen: Jilks wird auch Ihre Nachricht nicht überbringen. Er hat’s leider nicht ganz geschafft. Dafür hat Esther gesorgt. Sie brauchen sich deshalb aber keine Gewissensbisse zu machen. Ihr Besuch hat sein Ende nicht sonderlich beschleunigt. Seine Tage waren sowieso gezählt.«

Morgan lächelte. »Erinnern Sie sich an unser Gespräch, als Sie mich über den Zwischenfall in Warden fragten und ich sagte, wir hätten immer Verstärkung in Reserve? Tja, das ist unsere Esther. Sie war schon drauf und dran, sich um Jilks zu kümmern, aber dann schien es eine gute Idee, dass Sie und Captain Lasseur ihr die Arbeit abnehmen könnten. Da sieht man mal wieder, wie schwer es ist, heutzutage zuverlässige Hilfskräfte zu finden.

Ich muss sagen, dass Esther es gut gemacht hat. Hat sogar sein Pferd genommen und ist hergekommen, um uns zu warnen. Sie hatte Angst, dass sie Ihnen unterwegs begegnen könnte, aber sie hatte Glück, sie nahm einen anderen Weg. Und war vor Ihnen hier. Das dort ist Jilks’ Stute, die Thaddäus gerade trockenreibt.«

Das Pferdegetrappel, das sie gehört hatten: Es war Esther gewesen, die sie in der Dunkelheit überholt hatte.

»Der Froschfresser ist auch darin verwickelt?«, knurrte Croker mit kaltem Blick auf Lasseur.

Morgan betrachtete Lasseur, auf seinem Gesicht lag ein sarkastisches Grinsen. »Ja, das ist wirklich eine sehr gute Frage.«

»Captain Lasseur hat von allem nichts gewusst«, sagte Hawkwood.

»Tatsächlich?« Morgan sah Lasseur an. »Sie hatten tatsächlich keine Ahnung, dass Ihr Captain Hooper in Wahrheit ein Polizist ist?«

Lasseur starrte Hawkwood an.

»Oh, ich gebe zu, er ist schon etwas Besseres als die anderen«, sagte Morgan aufgeräumt. »Gibt sich als Yankee aus. Und so gut, wie er Französisch spricht - aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er ein verdammter Spion ist. Er hätte uns alle auflaufen lassen, ohne mit der Wimper zu zucken.«

Hawkwood zuckte die Schultern. »War nichts Persönliches, Captain. Rein geschäftlich.«

Morgan sah nachdenklich aus. »Wenn ich ganz ehrlich bin, verstehe ich nicht, was für ein Motiv Sie haben sollten, ihm zu helfen; und deshalb neige ich dazu, Officer Hawkwood hier zu glauben, wenn er sagt, Sie hatten von allem genausowenig Ahnung wie wir. Das ist wirklich ein Dilemma.«

»Es gibt nur einen Weg, das rauszufinden«, sagte Pepper. Er sah Morgan eindringlich an.

»Gibt’s einen?«, sagte Morgan. Doch als Pepper ihm seine Pistole reichte, lächelte er. »Also, warum ist mir das nicht eingefallen? Tja, dann, Captain, bedienen Sie sich.« Morgan hielt ihm die Pistole hin.

»Was soll das?«, sagte Lasseur.

»Ihre Chance, alles wieder in Ordnung zu bringen. Wenn Sie wirklich derjenige sind, der Sie zu sein vorgeben, dann hat er Sie an der Nase herumgeführt. Soll er damit davonkommen? Hier, nehmen Sie schon. Bringen Sie das Miststück um.«

Lasseur zögerte. Dann nahm er zögernd die Waffe. Croker machte ein skeptisches Gesicht. Er nahm seine Pistole und zielte auf Lasseur.

»Erschieß mich ruhig«, sagte Hawkwood. »Sie werden lediglich einen Neuen schicken.«

Morgan lachte. »Dann wird es aber leider zu spät sein.«

»Man wird Sie fassen, Morgan. Sie kommen in Teufels Küche.«

»Komisch, das hat der Navyleutnant auch gesagt. Ich habe seinen Namen schon wieder vergessen. Wie hieß er noch, Cephus?«

»Sark«, sagte Pepper.

»Nein, der nicht. Der Erste.«

»Masterson?«

»Genau, der war’s! Schwafelte dauernd davon, dass, wenn wir ihn umbringen, die Navy einen Neuen hinterherschicken würde.«

»Haben sie ja auch«, sagte Pepper. »Sie schickten Sark.«

»Und wir alle wissen ja, was mit dem passiert ist!« Morgan grinste Hawkwood an. »Ich vermute, man hat Sie geschickt, um die anderen beiden zu suchen - hab ich Recht? Ich frage mich nur, warum man diesmal einen Runner genommen hat. Na ja, vielleicht gehen der Navy die Leutnants aus. Mein Gott, man sollte doch denken, dass die’s inzwischen gelernt haben, nicht wahr?« Er wandte sich an Lasseur. »Wenn Sie es machen, Captain, dann wäre jetzt der richtige Moment. Erlösen wir das Arschloch doch endlich.«

Lasseur sah Hawkwood an. Sein Gesicht war grau und trostlos wie ein Winterhimmel.

Dann hob er die Pistole und schoss.

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