22

Mit Hawkwoods Ermächtigung gelang es ihnen, die Stadt durch das Zolltor, das vom Militär bewacht wurde, zu verlassen; dann ritten sie südlich die Straße nach Walmer entlang.

Die Pferde waren müde, und obwohl sie sich etwas ausgeruht hatten, wusste Hawkwood, dass man ihnen nicht mehr viel zumuten durfte. Deshalb war er erleichtert, als Lasseur nach etwa zwei Meilen nach Osten abbog und den Weg zum Meer einschlug. Auf einem Wegweiser, der windschief aus der Hecke ragte, stand Kingsdown.

Sie ritten im Schritt durch das schlafende Dorf bis zum Strand am Fuße eines hohen grauen Felsens. Dahinter sah Hawkwood den unregelmäßigen Umriss eines noch höheren Felsens und dahinter einen weiteren, und er wusste, das war der Anfang der Kette weißer Klippen, die sich an der Küste entlang bis nach Dover hinzog.

Ungefähr dreihundert Yards vom Ufer konnte man mit etwas Mühe den Umriss eines dunklen Dreimasters ausmachen, der hier vor Anker lag. Weder auf Deck noch im Schiffsrumpf waren Lichter zu sehen. Wenn sie nicht gewusst hätten, dass das Schiff hier liegen musste, dann hätten sie lange gebraucht, bis sie es bemerkt hätten.

»Ich brauche eine Pistole«, sagte Lasseur.

Jago griff in seine Satteltasche. »Sie ist geladen«, warnte er.

Lasseur holte tief Luft, hielt die Pistole hoch und drückte ab. Das Pulver blitzte auf und der Knall hallte von den Klippen wider. Micah beruhigte die Pferde. Lasseur gab Jago die Pistole zurück, der sie in seinen Gürtel steckte.

Das Wasser sah dunkel und kalt und tief aus. Hawkwood dachte an die Nacht, in der sie Warden im Boot verlassen hatten. Weit draußen im Kanal, hinter dem dunklen Schiff, sah er die Lichter zweier weiterer Schiffe, und er fragte sich, ob eines davon wohl Morgans Sea Witch war.

Tom Gadd hatte für den Privateer Botendienste geleistet. Gleich am ersten Tag, als sie wieder auf der Farm waren und Jess Flynn sich um den fiebernden Hawkwood gekümmert hatte, war Gadd für ihn zu dem Agenten in Ramsgate gefahren. Es war derselbe Mann, den Lasseur zu erreichen versuchte, als er seinen ersten Fluchtversuch machte, noch ehe er ins Gefängnis von Maidstone gekommen war.

Der Agent hatte die Nachricht per Brieftaube an Lasseurs Besatzung in Dünkirchen weitergeschickt, und darin stand, dass ihr Kapitän frei war und auf sie wartete. Sie sollten mit der Scorpion an die Küste von Kent kommen und dort vor Kingsdown jeweils zwei Stunden vor bis zwei Stunden nach Mitternacht vor Anker gehen. Dies sollten sie nach Erhalt der Nachricht fünf Nächte lang machen und auf Lasseurs Signal warten.

»Es kommt darauf an«, hatte Lasseur gesagt, »ob meine Leute die Nachricht rechtzeitig bekommen haben.«

Es sah ganz danach aus.

Hawkwood sah zum Schiff hinüber. Ein kleines Boot löste sich vom Schiffsrumpf und hielt auf sie zu. Langsam kam es näher. Hawkwood sah die gekrümmten Rücken der Ruderer und hörte das Plätschern der Riemen.

Lasseur wurde plötzlich sehr lebhaft. Er trat dicht ans Wasser.

Durch die Dunkelheit kam ein leiser Ruf. »Scorpion!«

Lasseur watete ins Wasser. »C’est moi!«

»Noch mehr verdammte Froschfresser!«, hörte Hawkwood Jago leise murmeln.

Das Ruderboot kam immer näher und lief schließlich am Strand auf. Der dunkelhaarige Mann, der heraussprang, war etwa so alt wie Micah und von ganz ähnlicher Statur. Er trug keine Uniform, sondern war von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, genau wie der Ruderer, der im Heck des Bootes gesessen hatte. Mit strahlenden Augen und einem breiten Lächeln ergriff der dunkelhaarige Mann Lasseurs Arme und hielt ihn fest.

Lasseur grinste. »Das ist mein Erster Offizier, Leutnant Marc Delon.«

Der junge Leutnant nickte zum Gruß, doch er konnte seine Neugier über die drei Fremden nicht verhehlen. Hawkwood nahm an, dass er sie wahrscheinlich alle für geflohene Gefangene hielt.

Lasseur nickte dem Mann im Heck zu. »Henri, comment va cela?«

Der Ruderer brummte eine kaum hörbare Antwort.

Lasseur schlug seinem Leutnant auf die Schulter. »D’accord, allons!«

Delon kletterte wieder ins Boot.

»Kommt, meine Freunde!«, feuerte Lasseur sie an. »Beeilt euch!«

»Hast du noch was in deinen Satteltaschen?«, fragte Hawkwood Jago.

»Nichts, war ich vermissen würde.«

Lasseur kletterte ins Boot. Hawkwood und Jago folgten ihm. Micah blieb zurück. Der vor Freude strahlende Leutnant nahm die Riemen, und das Boot stieß langsam vom Ufer ab.

Micah blieb reglos am Rande des Wassers stehen. Jago hob die Hand. Micah nickte, dann drehte er sich um und ging den steinigen Strand hinauf zu den Pferden. Er sah sich nicht um.

Hawkwood wechselte einen Blick mit Lasseur. »Weiß Jess davon?«

»Nein«, sagte Lasseur niedergeschlagen. Er sah über den Bug aufs offene Meer hinaus und verfiel in bedrücktes Schweigen.


Lasseurs Mannschaft machte kein Geheimnis aus ihrer Freude über seine Rückkehr, sie hatten sich an der Reling entlang aufgestellt, um ihn willkommen zu heißen. Doch nachdem sie erstmal an Bord der Scorpion waren, verlor Lasseur keine Zeit und gab seinem Leutnant Befehl, so schnell wie möglich loszusegeln.

Die Männer machten sich an die Arbeit. Hawkwood sah über die Reling zum Festland. Er sah die Kette der Kreidefelsen hinter sich, noch schienen sie so dicht, dass man glaubte, sie berühren zu können. Von Micah und den Pferden war nichts mehr zu sehen. Er sah über den Bug zum Horizont, doch hier hatte die Dunkelheit alles verschluckt. Die Lichter der Schiffe, die er vorhin gesehen hatte, waren verschwunden.

Als der Anker gelichtet war, drehte sich das Schiff. Die Mannschaft setzte Segel und Lasseur ging mit den Männern unter Deck. Im Kartenraum schaukelte eine Laterne am Deckenbalken, und Lasseur zog eine Karte aus einem Schrank und entrollte sie auf einem Tisch.

»Morgan wird hier hinfahren -«, sagte er und zeigte mit einem Zirkel auf das Ziel. »Gravelines.«

Hawkwood sah auf die Linien und Schnörkel unter den Zirkelspitzen. Der Name stand auf halbem Wege zwischen Dünkirchen und Calais an der Nordküste.

»Warum dahin?«

»Man nennt es la ville des Smoglers. Bonaparte hat diesen Hafen als Anlaufpunkt für Schmuggler und ihre Waren bestimmt. Man hat dort eine besonders geschützte Anlage gebaut, mit Lagerhäusern, Speichern und Unterkünften. Das ganze Areal wird von Kanonen geschützt. Es gibt sogar ein englisches Viertel. Es heißt, dass sich ständig bis zu dreihundert englische Schmuggler hier aufhalten. Der Kaiser hat verschiedenen Händlern Sonderlizenzen erteilt, um Schmuggelware zu importieren und exportieren. Alles, was an Schmuggelware an eurer Südküste ankommt, ist hier verladen worden.«

Lasseur klopfte mit dem Fingerknöchel auf den Kartentisch. »Und hier setzen die Guinea Boats ihre Ladungen ab. Der Handel wird von der Familie Rothschild kontrolliert. Der Kopf der Operation ist Nathan Rothschild, der Bankier; der sitzt in London. Sein Bruder James kümmert sich um den Weitertransport des Goldes von Gravelines nach Paris, wo es wieder in englische Banknoten umgetauscht wird. Und dabei machen die Schmuggler und ihre Helfer ihr Geschäft. Morgan hält auf Gravelines zu, da gehe ich jede Wette ein.«

»Und du denkst, dass wir ihn immer noch abfangen können?«, fragte Hawkwood.

»Wenn es ein Schiff kann, dann dieses.«

»In Deal erwähntest du den Wind. Was hast du damit gemeint?«

»Der Wind kommt von Osten.«

»Ich verstehe nicht«, sagte Hawkwood.

»Ein Grund, warum Morgan den Überfall für diese Zeit angesetzt hatte, war, dass er die Flut nutzen wollte. Kutter haben einen ziemlichen Tiefgang und eignen sich nicht für Arbeiten dicht vor der Küste, also brauchte er Hochwasser, um das Gold zu verladen und fortzukommen.

»Um jedoch nach Gravelines zu kommen, muss er erst nach Süden fahren, um Les Sables zu umgehen - was Ihr in England die Goodwin Sands nennt.« Lasseur klopfte auf die Karte. »Und bei diesem Teil seiner Fahrt hatte er die Gezeiten gegen sich; der Wind wird ihn auf die Küste zugetrieben haben und er wird nur langsam vorangekommen sein. Doch wenn er erst an den Downs vorbei ist und das südliche Ende der Sands erreicht hat, ist der Wasserstand günstiger für ihn, aber solange wir diese Windrichtung haben, wird er nicht so schnell vorwärtskommen. Selbst bei mäßigem Wind wird er dauernd kreuzen müssen. Kutter sind schnell, deshalb benutzen Schmuggler sie gern. Unter normalen Verhältnissen könnte ein Schoner wahrscheinlich mit einem Kutter nicht mithalten, aber bei diesem Gegenwind wird er noch nicht sehr weit gekommen sein. Die Scorpion wird schneller sein, denn sie kann sich dem Wind besser anpassen. Ich denke, wir können ihn noch abfangen.«

»Ich dachte immer, Schiffe können nicht gegen den Wind segeln«, sagte Hawkwood.

»Die Scorpion kann es«, sagte Lasseur zuversichtlich.

»Wie?«

»Sie hat eine besondere Takelage. Die habe ich selbst entworfen. Sie basiert auf der Takelage der Xebecs, das waren die Schiffe der Berberpiraten. Die haben europäische Schiffe ausgeraubt und sind dadurch entkommen, dass sie in den Wind segelten und keiner konnte sie einholen. Ich habe mir das System gut angesehen, als ich im Mittelmeer war. Die Takelage der Scorpion ist so eingerichtet, dass wir dieselbe Technik benutzen können. Hast du die Rahtakelage am Großmast gesehen? Diese Segel sorgen für den Schub, um vorwärtszukommen. Die Segel der Xebecs waren dreieckig und wurden zwischen Bugspriet und Fockmast gesetzt. Ich benutze dasselbe Prinzip, nur dass ich statt eines großen Segels zwei habe, zwischen Fock- und Großmast. Zusammen mit den Klüvern haben sie die Wirkung, das Schiff anzuheben; sobald sie gesetzt sind, wirst du sehen, dass sie flacher sind als normal. Dadurch kann die Scorpion in den Wind segeln und wesentlich leichter über die Wellen gleiten.«

Hawkwood versuchte, ein intelligentes Gesicht zu machen, als hätte er verstanden, wovon Lasseur redete. Er war erleichtert, dass Jago auch nicht klüger schien.

»Was hast du der Mannschaft gesagt?«

»Dass wir den Feind verfolgen. Das tun wir ja auch.«

»Werden sie sich nicht fragen, was Nathaniel und ich hier machen?«

»Wir sind schon sehr lange zusammen. Sie werden an dem, was ich mache, keine Zweifel haben.«

Man hörte ein diskretes Hüsteln. Es war Lasseurs Leutnant, der in der Tür stand.

Lasseur wandte sich um und legte den Zirkel auf die Karte. »Entschuldigung, meine Herren«, sagte er entschlossen. »Ich sollte jetzt an Deck sein. Aber erst zeige ich euch noch meine Kajüte.«

Lasseur führte sie durch das Schiff nach achtern. Der Schoner war klein, fand Hawkwood, verglichen mit der Rapacious war er eine Nussschale. Es war seltsam, denn obwohl er auch hier den Kopf unter den Balken einziehen musste, war die Deckenhöhe doch wesentlich größer, was wohl daran lag, dass es nur ein unteres Wohndeck gab. Mehrere Mitglieder der Mannschaft, die Lasseur oben bereits begrüßt hatten, saßen in der Messe an den Tischen. Ihre Gesichter strahlten, als Lasseur eintrat, und er grüßte im Weitergehen jeden von ihnen mit Namen. Es war nicht zu übersehen, wie beschwingt sein Gang plötzlich war, seit er sich wieder an Bord seines Schiffes befand.

Die Kajüte am Heck war winzig, sie hatte zwei schmale Kojen und unter dem Fenster eine Bank mit einem Tisch davor.

»Macht es euch bequem«, sagte Lasseur. »Ich sage Raoul gleich, dass er euch etwas aus der Galley bringen soll. Es wird später kalt werden an Deck, ich werde euch auch etwas Warmes zum Anziehen besorgen.«

Als Lasseur gegangen war, setzte Jago sich auf die Bank und fuhr mit der Hand über sein kurzes Haar. Er sah Hawkwood an und seufzte.

»Erinnere mich mal daran, warum wir hier sind.«

Hawkwood warf sich in eine der Kojen.

»Weil ich verdammt sein will, wenn ich Morgan das durchgehen lasse. Dies ist meine einzige Chance, ihn noch zu kriegen.«

»Umgebracht zu werden, meinst du wohl! Morgan ist weg. Kannst du dir nicht einfach eingestehen, dass er dir entwischt ist? Man kann doch nicht immer gewinnen.«

»Ich habe ihn aber noch nicht verloren«, sagte Hawkwood.

»Nein, ganz recht, und darum segeln wir jetzt mit’nem Froschfresser von einem Privateer nach Frankreich. Könntest du nicht einfach das kleinere Übel wählen, nämlich den Musjöh an die Obrigkeit ausliefern und dann mit Micah und mir zurück nach London reisen?«

»Ich kann ihn nicht ausliefern, Nathaniel. Denn damit würde ich ihn wieder auf die Hulks schicken. Das würde ich niemandem antun. Würdest du auch nicht, wenn du erlebt hättest, wie es dort zugeht. Er hat mir das Leben gerettet, ich stehe in seiner Schuld. Ich denke, wenn er so weit gekommen ist, sollte man ihm eine Chance geben. Und außerdem glaube ich, dass ich gar keine andere Wahl habe.«

»Du hast immer die Wahl gehabt!«

»Es ist nicht so einfach.«

»Von meinem Standpunkt aus schon«, sagte Jago kurz. »Hast du dich schon mal gefragt, warum Lasseur das hier macht? Wie ich es sehe, ist es doch in seinem Interesse, dass Morgan ungeschoren über den Kanal kommt. Der Kaiser bekommt sein Gold und Lasseur kommt nach Hause. Wir sind doch bloß verdammter Ballast hier! Du weißt doch hoffentlich, dass du das Gold nicht zurückkriegst?«

»Mir ist das Gold scheißegal! Ich will Morgan. Der Schweinehund hat zwei Navyoffiziere auf dem Gewissen, außerdem einen Zollbeamten und mindestens zwei britische Soldaten. Ganz zu schweigen von dem Ärger, den er mir bereitet hat.«

»Und die französischen Gefangenen?«

»Die überlasse ich Lasseurs Gewissen.«

»Ach, hat er eins? Was sollte ihn davon abhalten, uns den französischen Behörden auszuliefern? Vielleicht hast du einfach einen englischen Hulk gegen einen französischen eingetauscht. Wenn sie uns nicht vorher schon als Spione erschießen.«

»Das wird er nicht tun.«

»Wer sagt das?«

»Er sagte es. Er gab mir sein Wort.«

»Und du glaubst ihm?«

»Ja. Außerdem ist es nicht in seinem Interesse, mich auszuliefern.« Hawkwood lächelte. »Ich schulde ihm immer noch viertausend Francs.«

»Na, dann wird es wohl seine Richtigkeit haben. Und ich dachte schon, er ist nur von dem Gedanken an die vier Tonnen Gold angetrieben, die Boneys Schatztruhen wieder füllen werden. Wie naiv kann man sein? Aber ich sehe noch immer nicht, warum er so drauf versessen ist, Morgan abzufangen, ehe er Frankreich erreicht. Warum wartet er nicht, bis Morgan dort ist und denunziert dieses Arschloch erst dann?«

»Weil Morgan, sobald er gelandet ist, in der englischen Exklave verschwinden würde. Das sind alles seine Freunde dort. Außerdem besteht eine gute Chance, dass die Franzosen ihn schützen würden. Schließlich liefert er Bonaparte zwölf Millionen Francs, da könnte es sich doch lohnen, die Hand über ihn zu halten. Vielleicht denken sie, wenn er es einmal schafft, dann schafft er es immer wieder.«

»Er hat acht Franzosen umgebracht. Willst du mir weismachen, das würden sie ihm nicht übelnehmen?«

»Morgan kommt zuerst nach Gravelines, und seine Geschichte wird sein, dass sie beim Ausüben ihrer patriotischen Pflicht gefallen sind - wenn er sie überhaupt erwähnt. Bis Lasseur Zeit hat, seine Version zu erzählen, ist Morgan bereits Schoßhündchen beim Kaiser. Für zwölf Millionen Francs kann man sich viel erkaufen. Und außerdem gibt es keine Beweise dafür, dass er sie umgebracht hat. Wer weiß denn genau, dass sie nicht von unseren Leuten erschossen wurden? Es würde Lasseurs Wort gegen Morgans sein, und Lasseur war nicht dabei.«

»Also plant Lasseur, Morgan auf hoher See einzuholen?«

»So sieht es aus.«

»Und ihn dann selbst zur Rechenschaft zu ziehen?«

Hawkwood antwortete nicht.

»Und wir sollen ihm helfen?«, bohrte Jago weiter.

»Du hättest nicht mitzukommen brauchen«, sagte Hawkwood.

»Natürlich musste ich mitkommen! Herrgott nochmal, wenn du schon diese irrsinnigen Einfälle hast, muss doch einer auf dich aufpassen!«

»Und das bist du?«

»Ja, das bin ich! Immer bin ich’s, verdammt nochmal! Und wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, du hast im Laufe der Zeit schon ziemlich viele verrückte Ideen gehabt, aber das hier ist wohl nicht mehr zu überbieten. Du bist entschlossen, dich in dieses zweifelhafte Abenteuer zu stürzen, bloß damit du einem verfluchten Schmuggler das Handwerk legen kannst?«

»Das Gold ist sowieso weg. Aber so kann ich wenigstens dafür sorgen, dass Morgan nichts davon hat.«

»Und wie steht’s mit der Möglichkeit, es Lasseurs Klauen wieder zu entreißen?«

»Wir zwei allein?«, sagte Hawkwood trocken. »Da hab ich meine Zweifel.«

»Zumindest sollte man mal drüber nachdenken. Also kriegen Lasseur und sein Kaiser zwölf Millionen Francs, und du kriegst einen verdammten Mistkerl von Mörder und Schmuggler?«

»Manche würden das für einen guten Tausch halten.«

»Aber nur, wenn sie nicht ganz dicht sind. Und hast du überhaupt schon drüber nachgedacht, wie wir wieder nach Hause kommen?«

»Lasseur wird dafür sorgen, dass wir zurückkommen.«

»Du hast verdammt viel Vertrauen zu dem Mann.«

»Ich sagte dir doch, er hat Angst, dass er das Geld verliert, was ich ihm schulde.«

Jago schüttelte verzweifelt den Kopf. »Du kannst deine Späße machen, aber wenn Lasseur etwas passiert und wir landen in Verdun oder einem dieser anderen Froschfresser-Gefängnisse, dann sitzen wir wirklich in der Scheiße.«

»Hast du Micah deshalb nach Hause geschickt?«

»Ich wollte, dass dort drüben jemand weiß, wo wir sind.«

»Willst du damit sagen, er würde uns suchen, wenn er von uns nichts hört?«

»Wenn er von mir nichts hört, kommt er.« Jago verstummte, schließlich sagte er: »Mein Gott, ist das eine verrückte Situation. Du musst es wirklich auf diesen Bastard abgesehen haben.«

»Habe ich auch«, sagte Hawkwood. »Aber es hat keine geschäftlichen Gründe. Bei Morgan geht es um persönliche Dinge.«

Es klopfte, dann trat ein Seemann mit einem Tablett ein, mit Brot, kaltem Braten, zwei Bechern, einer Kanne Kaffee und einer Flasche Brandy.

»Avec des compliments de Capitaine Lasseur, messieurs.«

Er stellte das Tablett auf den Tisch und verschwand.

Jago schenkte sich Kaffee ein und versah jeden Becher mit einem großzügigen Schuss Brandy, ehe er Hawkwood einen davon über den Tisch schob. »Hier, trink mal.«

Hawkwood nahm einen Schluck. Der Kaffee war kochend heiß. Er wartete, bis sich seine Kehle wieder beruhigt hatte, dann sagte er: »Erzähle mir, was du über Cephus Pepper weißt.«

Jago verzog das Gesicht. »Er ist Morgans rechte Hand, aber das weißt du bereits. Ich habe gehört, er war Erster Steuermann auf einem Sklavenschiff, das Sklaven zu den Westindischen Inseln brachte. Kam einer britischen Fregatte vor Havanna in die Quere, das war so um’02, glaube ich. Verlor den Arm bei dem Gemetzel auf Deck. Man sagt, er entwischte, indem er über Bord sprang. Kein Mann, den man zum Feind haben sollte, wie du schon gemerkt hast.«

»Wie lange ist er schon mit Morgan zusammen?«

»Etwa acht Jahre. Nimmst du an, dass er heute Nacht mit Morgan zusammen war?«

»Worauf du dich verlassen kannst. Morgan kennst du doch, oder?«

»Wir sind uns nie begegnet, aber ich glaube, ich weiß genug über ihn, dass ich ihn nicht aus den Augen lassen würde. Er erzählt gern, dass er von Henry Morgan abstammt, dem berühmten walisischen Freibeuter, aber das glaube ich nicht. Soweit ich weiß, ist er ein Bauernsohn aus der Gegend von Ruckinge. Die Familie war jahrelang im Geschäft. Morgans Vater gehörte zur Bande von Callis Court. Morgan lief schon als Junge von der Farm weg. Es gibt ein Gerücht, dass er zur See ging, um dem Gesetz zu entkommen, aber vielleicht ist das auch bloß so eine Geschichte, die er selbst in die Welt gesetzt hat. Genau wie die, dass er angeblich Bootsmann auf der Britannia war; obwohl das die Erklärung dafür sein könnte, wie gut er immer alles organisiert und dass viele seiner Leute aus der Navy kommen. Vielleicht sind er und Pepper auch deshalb ein so gutes Team. Er kam zurück, machte weiter, als sein Alter starb, und hat das Geschäft aufgebaut. Nee, der hat kein walisisches Blut in den Adern, es sei denn, man rechnet die Tatsache dazu, dass man seinen Urgroßvater dabei erwischt hat, wie er’s mit’nem Schaf trieb. Hat er dir davon erzählt?«

»Er muss vergessen haben, das zu erwähnen«, sagte Hawkwood. »Hast du seine Dienste schon mal in Anspruch genommen?«

»Sprichst du von meinen Geschäftsinteressen?«

Hawkwood grinste.

Jago zuckte die Schultern. »Schon möglich, vielleicht indirekt, bei dem Einfluss, den er hat. In meiner Branche kann man nicht immer genau wissen, wo die Ware herkommt. Hauptsächlich habe ich aber mit den Geschäftleuten in Sussex zu tun.«

»Darüber will ich lieber nicht so viel wissen«, sagte Hawkwood.

»Ist auch besser so.«

»Und Garvey, arbeitet der für Morgan?«

»Du bist offenbar gar nicht so dumm, wie du aussiehst.« Jago nahm einen Schluck aus seiner Tasse und schmatzte genießerisch.

»Vertreter in dieser Gegend?«, sagte Hawkwood. »Das kannst du erzählen, wem du willst! Er kennt Pepper, er erkannte die Leichen in der Scheune, und er kannte sich offenbar bestens in der Gegend aus. Dazu braucht man kein Genie zu sein.«

Hawkwood lehnte sich an das Schott zurück. Aus irgendeinem Grund fühlten sich seine Glieder plötzlich schwer wie Blei an. Er hatte den überwältigenden Wunsch, die Augen zu schließen. Doch er durfte nicht einschlafen, denn das wäre gefährlich. Wenn er einnickte, würde er womöglich nie wieder aufwachen. Er versuchte, gegen seine Müdigkeit anzukämpfen.

»Also gut«, sagte Jago. »Aber es macht nichts. Er ist einer von Morgans Laufburschen. Er trägt Informationen über neue Ladungen weiter und solche Sachen. Morgan setzt Garvey auch ein, wenn Leute bezahlt werden müssen, dadurch weiß er natürlich, wo ein paar seiner Knochen vergraben sind. Wir sehen uns ab und zu, immer wenn ich in meine alte Heimat komme, nehme ich Kontakt mit ihm auf. Ist auch ganz gut so.«

Er schwieg, nahm einen Schluck Kaffee und sah hinüber zu Hawkwood. Dem fielen die Augen zu. Die Tasse war dabei, ihm aus der Hand zu fallen.

Jago seufzte. Er stellte seine Tasse hin und streckte den Arm aus, gerade noch rechtzeitig, um die fallende Tasse zu retten. »Wird auch Zeit«, murmelte er. Er stellte die Tasse auf den Tisch, nahm die Decke von der Koje und breitete sie über Hawkwood aus, der bereits fest schlief. Er sah hinunter auf das zernarbte, unrasierte Gesicht und runzelte die Stirn beim Anblick der frischen Verletzungen und dem Zustand von Hawkwoods Kleidern. Er schüttelte den Kopf und ging wieder auf seinen Platz. »Manche Leute haben einfach keine Kondition«, sagte er leise zu sich selbst.


Hawkwood fuhr aus dem Schlaf hoch, als er eine Hand auf dem Arm spürte. Er musste einen Augenblick nachdenken, wo er war. Dann hörte er das Ächzen und Knarren und den Ruf eines Seemanns irgendwo oben auf Deck, und sein Gehirn sprang wieder an. Er sah hoch und blickte in Jagos zerfurchtes Gesicht, das sich über ihn beugte. Schnell setzte er sich auf, wobei er sich beinahe eine Beule an einem niedrigen Balken über dem Bett geholt hätte.

»Der Captain sagt, wir sollen an Deck kommen. Auf Starbord am Bug soll ein Segel sein, was immer das heißen mag.«

Hawkwood stand auf und verlor fast das Gleichgewicht, denn das Schiff schwankte jetzt stark. Er fluchte, hielt sich an der Tischkante fest und merkte, wie sich sein Magen umdrehte.

Er folgte Jago die Treppe hinauf an Deck und fühlte sofort den kalten Wind und den Sprühnebel der Gischt im Gesicht. Er hörte das Zischen der Wellen, die der Bug durchschnitt, und das laute Knallen der Segel. Es war noch nicht hell, aber hinter dem Bugspriet zog sich ein rotbraunes Band am Horizont dahin, das immer breiter wurde. An seinem unteren Rand war ein ungleichmäßiger dunkler Streifen, und Hawkwood wusste, das war Land. Es war aber noch zu weit entfernt, um Einzelheiten zu erkennen.

Auf Backbord stand Lasseur vorgebeugt an der Reling und sah durch ein Fernrohr, eine Zigarre zwischen den Zähnen. Er sah aus wie ein Wolf, der Beute gewittert hat; ein Mann in seinem Element.

»Heimat«, sagte er und folgte Hawkwoods Blick. »Meine«, sagte er. »Nicht deine.« Er grinste.

»Wie weit?«

»Zwanzig Meilen, vielleicht etwas weniger.«

Hawkwood sah ihm über die Schulter. Über dem Heck war der Himmel viel dunkler, und es war schwerer, zwischen Meer und Land zu unterscheiden, wenn es dort überhaupt Land gab.

»Du sollst dort ein Segel gesehen haben?«, fragte Hawkwood.

Lasseur nickte. Er reichte Hawkwood das Fernrohr und zeigte geradeaus auf einen weit entfernten Küstenstreifen.

»Zwei Meilen vor dem Bug.«

Hawkwood stemmte sich mit der Hüfte gegen die Reling und versuchte das Wasser zu ignorieren, das über seine Stiefel schwappte. Er hielt das Fernglas ans Auge. Anfangs sah er nichts als blauschwarze Wassermassen. Er setzte das Glas ab, orientierte sich und peilte das helle Band an, das über dem Bug am Himmel zu sehen war, und versuchte es nochmals. Das Glas rutschte ab. Er unterdrückte einen Fluch, aber seine Beharrlichkeit wurde belohnt, denn plötzlich glitt ein dunkler, eckiger Gegenstand in sein Gesichtsfeld. Das Schiff lag tief im Wasser und segelte mit Backbordhalsen dicht am Wind, Fock- und Besansegel waren gebrasst.

»Ich sehe es!« Er spürte, wie eine Welle der Erregung ihn packte.

»Morgan?« Er gab Jago das Fernrohr.

»Es ist ein Kutter«, sagte Lasseur zuversichtlich. »Und Gravelines liegt in fast gerader Linie vor uns. In einer Stunde wird es hell, dann werden wir’s wissen.«

»Sie zeigt keine Flagge«, murmelte Jago, der durchs Fernglas sah. Das Fernrohr sah in seinen Händen sehr klein aus.

»Wir auch nicht«, erinnerte Lasseur ihn und nahm das Fernglas wieder an sich, um nochmals durchzusehen. »Wenn die uns sehen - aber vielleicht haben sie’s noch nicht -, dann werden sie sich fragen, wer wir sind, obwohl sie an unserer Takelage sehen können, dass wir kein britisches Schiff sind. Die Briten haben nicht viele Schoner. Ein paar von denen, die sie besitzen, haben wir erobert, aber die sind nicht so gut wie die Scorpion. Im Moment macht er sich wohl auch noch nicht zu viele Gedanken darüber. Damit sind wir im Vorteil.«

Hawkwood sah nach oben. Genau wie der Schoner schien auch dieser Kutter für ein Schiff seiner Größe außergewöhnlich viele Segel zu haben; das also war Lasseurs Berber-Takelage. Er sah über die Reling auf das Wasser, das am Bug vorbeischoss. Das Schiff schnitt durch die Wellen wie ein Messer. Gischt sprühte über den Bug. Die Geschwindigkeit war berauschend, und während der Himmel im Osten langsam von Rotbraun in Goldorange überging und die Küste immer näher kam, näherte sich die Scorpion unaufhaltsam ihrem Opfer.

Die drei Männer blieben an der Reling stehen. Hawkwood war beeindruckt von der Geschwindigkeit, mit der ihr Schoner den Abstand verkleinerte. In kürzester Zeit, so schien es, war der Kutter nur noch drei Kabellängen von ihnen entfernt. Der Himmel war wesentlich heller geworden. Er sah Menschen an Deck.

»Wenn sie bisher nicht ahnten, dass wir uns für sie interessieren, dann würde ich sagen, jetzt tun sie’s aber«, sagte Lasseur. Er hob das Fernrohr. »Bâtards!«, fluchte er plötzlich und reichte Hawkwood das Glas.

Hawkwoods erster Gedanke war, sie hätten das falsche Schiff verfolgt. Dann glitt ein schwarzer Bug in den Vordergrund und wurde immer größer, wirkte aber immer noch klein im Vergleich zur Größe der Segelfläche. Hawkwood erinnerte sich an Gadds Beschreibung der Sea Witch. Er suchte an der Gillung nach einem Namen, aber die Jolle, die außen an dem schmalen Heck hing, verdeckte ihn. Drei Männer standen auf Steuerbord an der Reling, dicht beim Steuermann, und starrten auf die Scorpion. Zwei von ihnen trugen blaue Jacken und weiße Hosen. Als Hawkwood den dritten Mann erkannte, der zwischen ihnen stand, war ihm der Name des Schiffes nicht mehr wichtig. Groß und graubärtig stand er da und hielt ein Fernglas ans Auge. Er hielt es nur mit der rechten Hand.

Es war Pepper.

Und während Hawkwood und Lasseur ihn noch beobachteten, trennten sich die drei Männer. An Deck des Kutters entwickelte sich plötzlich eine fieberhafte Aktivität.

»Oh Gott, die fahren ihre verdammten Kanonen aus«, rief Hawkwood, als die Mannschaft des Kutters anfing, die Segeltuchplanen von den Kanonen im Heck des Kutters zu entfernen. Soweit er sehen konnte, waren es sechs, auf jeder Seite drei. Er gab Lasseur das Fernrohr.

»Merde!«

»Was für welche sind es denn?«, fragte Hawkwood. Er war nicht sehr bewandert in den Kalibern der Marinegeschütze. Als ob es darauf ankam. Kanonen waren überall verdammte Kanonen.

»Was ihr Sechspfünder nennen würdet, wie es aussieht. Euer Zoll hat die auch. Bei richtiger Höhe sind sie zielgenau bis zu zweihundertfünfzig Yards. Zum Glück sind wir im Vorteil. Wir haben mehr davon.«

An die Möglichkeit, dass die Sea Witch schwere Geschütze an Bord haben könnte, hatte Hawkwood überhaupt nicht gedacht. Er war davon ausgegangen, dass Morgan und seine Leute kleine Waffen hatten, höchstens Drehbassen - er hatte eine davon im Bug des Kutters gesehen -, aber keine Kanonen auf Lafetten, obwohl die kurze Kanone, die sie beim Erstürmen der Admiralität benutzt hatten, ihn eigentlich hätte warnen müssen. Er überlegte, wie geübt sie wohl sein mochten, falls es zu einem Seegefecht kommen sollte. Der Gedanke, dass Morgan unter den ehemaligen Seeleuten in seinen Diensten auch ein paar Kanoniere hatte, war gar nicht so abwegig.

Lasseur war offenbar ebenso überrascht. Im Nu war er weg.

»Tous les marins sur le pont!«

Eine Glocke fing an, laut zu scheppern. Das Deck dröhnte vom Rennen der Männer.

Die Scorpion hob sich aus den Wellen und schoss dahin.

»Preparez les canons!«

Innerhalb von Sekunden war Sand gestreut, waren die Kanonen ausgefahren, persönliche Waffen verteilt und Halstücher um die rechten Arme der Männer gebunden. Lasseur erklärte, dass sich seine Männer zwar kannten, aber jeder, besonders Hawkwood und Jago, musste Freund von Feind sofort unterscheiden können. Selbst ein Zögern um den Bruchteil einer Sekunde konnte den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten.

»Sie wollen tatsächlich entern?«, fragte Jago und fuhr mit dem Daumen über die Klinge seines Entermessers, während Lasseur Hawkwood eine Pistole und einen Tomahawk gab.

»Ich bezweifle, dass Morgan sich auf Zuruf ergeben wird«, sagte Lasseur grimmig.

Schließlich war jedes Mitglied der Mannschaft an seinem Platz, und die Scorpion schoss weiter durchs Wasser.

Der Kutter, der jetzt weniger als eine Kabellänge vor ihrem Bug war, drehte nach Backbord. Seine Segel flatterten, als er aus dem Wind drehte, doch dann wurden sie festgezurrt und füllten sich wieder. Hawkwood fand, dass er ziemlich toplastig aussah.

Lasseur gab mit lauter Stimme Kommandos. Den nautischen Jargon verstand Hawkwood nicht, Lasseur hätte seine Anweisungen ebenso gut auf Chinesisch geben können. Doch als die Männer eilig an den Tauen zogen um die Segelfläche zu verkleinern, und als der Steuermann hart am Ruder drehte, wurde ihm klar, dass der Privateer versuchte, sich den Manövern des Kutters anzupassen. Die Scorpion drehte langsam bei.

In der Ferne hörte man eine Explosion, und auf dem Deck des Kutters sah man eine Rauchwolke, dann stieg fünf Yards vor Steuerbord des Schoners eine Wasserfontäne auf.

Irgendjemand prustete schadenfroh los.

Lasseur schnaubte verächtlich und rief seinem Ersten Offizier zu: »Bei Hub schießen!«

Hawkwood erinnerte sich, dass er mal gehört hatte, dass englische Kanoniere gewöhnlich schossen, wenn der Bug sich senkte, so dass bei einer Verzögerung die Kugel am Wasser abprallen und den Bug des Feindes treffen würde. Französische Geschützmannschaften jedoch zielten in erster Linie auf die Takelage. Was zur Folge hatte, dass die Franzosen meist größere Verluste bei der Besatzung erlitten. Hawkwood wusste, dass Lasseur den Kutter auf keinen Fall versenken wollte, besonders in Anbetracht seiner Ladung, also hielt er sich an die Tradition, indem er auf die Takelage schoss. Hawkwood versuchte, nicht darüber nachzudenken, was danach passieren würde.

Als die Scorpion mit der Steuerbordseite an dem schmalen Heck des Kutters vorbeiflog, senkte Delon den Arm.

Der Kanonier riss an der Schnur und Hawkwood war überrascht von der Explosion. Sie war schärfer und lauter, als er erwartet hatte, eher ein ohrenbetäubender Knall als ein Dröhnen. Der Lärm fühlte sich an wie ein Spieß, der sich in seinen Kopf bohrte, und er sah, wie auch Jago neben ihm zusammenzuckte.

Hawkwood wartete auf den Einschlag, doch er sah nichts. Verdammt, nicht getroffen!, dachte er enttäuscht, und dann sah er, wie die Spitze des Großmasts sich in einem Gewirr von Tauwerk auf die Seite legte.

Die Geschützmannschaft stieß einen lauten Freudenschrei aus und war bereits dabei, das Kanonenrohr für den nächsten Schuss vorzubereiten. Die restliche Mannschaft stimmte in den Jubel ein, als der Mast in einem Durcheinander von Tauen und Spieren umstürzte.

Lasseurs Munition bestand aus jeweils zwei kleinkalibrigen Kanonenkugeln, die durch eine Kette verbunden waren. Wieder schrie er: »Feu!«

Erneut eine Detonation. Diesmal sah Hawkwood den Treffer, der die Gaffel hinwegriss, das Segel beschädigte und den Rest des Masts beseitigte. Ohne Taljen und mit dem Großsegel in Fetzen hatte die Takelage des Kutters ihre Wirksamkeit eingebüßt. Der Mann im Heck kämpfte mit der Ruderpinne, aber das Schiff begann sich hilflos zu wälzen.

Doch ihre Besatzung kämpfte auch.

Ein doppelter Schuss hallte über das Wasser. Hawkwood sah, wie sich die Qualmwolken auf dem Deck verflüchtigten, eine davon kam von der Drehbasse. Instinktiv duckte er sich, als ein Teil der Steuerbordreling des Schoners zertrümmert wurde, hörte ein Pfeifen, als die Kugel an seinem Ohr vorbeiflog, und duckte sich wieder, als Splitter durch die Luft flogen. Er hörte Schreie. Hawkwood sah, wie ein Mann sich zusammenkrümmte, die Hand am Hals, aus dem man Blut zwischen den Fingern herausquellen sah.

Ein trotziges Gebrüll erhob sich unter der Mannschaft der Scorpion.

»Au tribord!«, schrie Lasseur dem Steuermann zu.

Der Steuermann drehte das Ruder und die Scorpion reagierte sofort. Ihr Bug senkte sich. Das Wasser an ihrer Seite kochte und schäumte über ihr stark geneigtes Deck, als sie sich dem Rumpf des Kutters näherte. Ihr Heck hob sich und sie drehte nach Steuerbord. Ein weiterer Kanonenschuss, und Hawkwood sah, wie einer der Männer auf dem Kutter in einem Chaos aus Blut und Rauch und Splittern und taumelnden Gefährten zerrissen wurde. Und die Scorpion lag jetzt in voller Breite mit Backbord neben der Steuerbordseite des Kutters. Die Schiffe waren keine zwei Kanonenlängen voneinander entfernt, als der erste Enterhaken über das Schanzkleid des Kutters geworfen wurde. Es folgte ein wahrer Hagel von Metallklauen. Während ihre Kameraden für Feuerschutz sorgten, holten die Männer die Seile ein. Hawkwood fühlte Jagos starke Hand auf der Schulter, hielt sein Tau mit aller Kraft fest und stemmte die Beine auf den Boden, um den Aufprall abzufangen. Es war nicht sehr anders als der Angriff auf eine Bresche in einer Mauer, dachte er, während der Abstand zwischen den beiden Schiffen sich immer weiter verringerte. Das Prinzip war dasselbe: Immer versuchte jemand, einen umzubringen. Also: Augen auf, Verstand gebrauchen, möglichst nicht hinfallen.

»Es ist möglich, dass sie genau so viel Mann sind wie wir«, hatte Lasseur gesagt. »Aber meine Leute haben das schon ein paarmal gemacht. Achtet auf eure Flanken.«

Pulverblitze beleuchteten die Gesichter an der Reling des Kutters. Der Seemann links von Hawkwood stöhnte laut auf und stürzte nach hinten, auf seiner Brust breitete sich ein Blutfleck aus.

Krachend und unter Ächzen des Holzes stießen die Schiffe aneinander. Sofort sprangen die Männer der Scorpion mit Gebrüll auf das Schanzkleid und warfen sich auf das Deck des Kutters.

Sie wurden mit Kugel und Klinge empfangen.

Als Hawkwood sprang, sah er in der Lücke unter sich das graugrüne Wasser schäumen. Auf der anderen Seite kam das Deck ihm entgegen. Er landete hart, rutschte in einer dunklen Blutlache aus, zog die Pistole und schoss aus nächster Nähe auf jemanden, der mit hoch erhobener Klinge auf ihn zukam. Er sah, wie der Kopf des Angreifers in einem roten Nebel verschwand, dann sackte die Leiche in dem allgemeinen Gewühl aufs Deck. Hawkwood drehte die Pistole um und zog den Tomahawk aus dem Gürtel. Die Luft hallte wider vom Klirren der Stahlklingen und den Schüssen der Pistolen.

Er suchte Morgan, konnte aber weder ihn noch Pepper sehen. In dem Wirrwarr und dem Lärm und dem Pulverdampf, der sich über das Deck wälzte, konnte er nichts erkennen, es war ein unübersichtliches Durcheinander kämpfender Männer. Hawkwood hielt Ausschau nach jemandem, der kein Halstuch um den Arm trug. Er sah Lasseur, der mit Messer und Schwert kämpfte, seine Klinge gegen einen Mann in blauer Jacke schwingen; sein Gesicht war eine wütend verzerrte Maske. Einige von Morgans Leuten trugen noch immer die französische Uniform. Lasseur hatte seine Mannschaft darauf vorbereitet, die diesen Hinweis zu nutzen wusste. Die blauen Jacken boten gut sichtbare Ziele.

Eine riesige Gestalt - offenbar jemand von der Besatzung des Kutters, da er keine Armbinde trug - erschien an Hawkwoods rechter Seite, in den Händen ein Musketoon, mit dem man aus der Nähe schoss. Hawkwood kam es vor, als habe die Mündung der Waffe einen Durchmesser von einem Fuß. Hawkwood dachte, er sähe dem Tod ins Auge, doch dann war Jago da und hieb dem Mann mit dem Entermesser ins Handgelenk, ehe er abdrücken konnte. Hawkwood beendete das Werk mit dem Tomahawk. Er spürte, wie die Klinge in den Knochen drang, nahm die Waffe an sich und kämpfte weiter.

Die Schlacht tobte. Sie war brutal und blutig, und der Boden wurde immer glitschiger. Durch die Überreste der zerstörten Takelage war das Deck schon vorher ein Wirrwarr aus Tauen, zerfetztem Segeltuch und zerbrochenen Spieren gewesen, jetzt war das Chaos durch die Toten und Verletzten, die überall herumlagen, noch größer.

Plötzlich entdeckte Hawkwood in einer Lücke, die zwischen den Kämpfenden entstanden war, Pepper. Morgans Leutnant stand am Heck des Kutters und versuchte, mit dem Entermesser einen Tauknoten am Arm der Winde zu durchschlagen, an dem die Jolle hing. Der Steuermann lag tot zu Peppers Füßen.

Der Bastard will wieder über Bord gehen, dachte Hawkwood. Doch Pepper war nicht allein. Ein zweiter Mann versuchte, das Tau am anderen Arm der Winde durchzuschneiden. Hawkwood erkannte Morgan nicht sofort. Er trug den schwarzen Bart nicht mehr, aber sein Körperbau verriet ihn. Er sah hoch, erkannte Hawkwood und versuchte es trotz seiner Überraschung nur noch verzweifelter. Wie einige seiner Männer trug auch er noch die blaue Uniformjacke und die weiße Hose. Als Morgan den Arm hob, sah Hawkwood die diagonalen Streifen an den Manschetten der Jacke und plötzlich hörte er wieder die Stimme von Leutnant Borden und seine Beschreibung des breitschultrigen Sergeanten, der Korporal Jefford in der Eingangshalle erschossen hatte.

Mit den Augen überflog er das Deck und versuchte, durch den Pulverdampf hindurch etwas zu sehen. Er sah Lasseur, nahm Blickkontakt auf und deutete auf die beiden. Lasseur folgte seinem Blick und man sah, wie sein Gesicht sich veränderte und eine noch größere Anspannung zeigte. Der Privateer stieg über die Haufen aus herabgestürztem Segeltuch, er ignorierte das Gedränge um ihn und kletterte mit entblößten Zähnen weiter in Richtung der Jolle.

Hawkwood merkte, wie Pepper aufsah. Morgans Leutnant hatte bemerkt, dass Lasseur auf ihn zukam. Peppers Züge unter dem Bart waren wie versteinert. Mit dem Entermesser in der Hand bewegte er sich langsam von der Winde weg. Hinter seinem Rücken versuchte Morgan immer noch, das Tau durchzuhauen. Plötzlich gaben die Fasern nach, und die Jolle hing mit dem Bug nach unten. Morgan konzentrierte sich auf den zweiten Arm der Winde.

Hawkwood hörte Jago brüllen. Wieder einer von Morgans Männern, der seinen Arm riskierte, dachte er. Blitzartig drehte er sich um und rammte das stumpfe Ende der Pistole in ein überraschtes Gesicht. Er bemühte sich, auf den Beinen zu bleiben. Während das Kampfgetümmel hinter ihm weitertobte, machte er sich auf zum Heck.

Pepper griff das Entermesser fester und wartete auf Lasseurs Angriff. Er wirkte furchtlos und selbstbewusst. Das Entermesser war eine Waffe, die er beherrschte.

Lasseur stürzte sich auf ihn, und Pepper zielte mit dem Messer auf dessen Schwertarm. Lasseur parierte den Angriff und wehrte ihn mit der flachen Klinge ab. Als er von Peppers Körpergewicht auf die andere Seite gedrückt wurde, ließ Lasseur sich fallen und zog sein Messer durch die Sehnen in Peppers Kniekehlen. Pepper brach zusammen, auf seinem Gesicht eine Mischung aus Verwunderung, Schock und Schmerzen. Den Kopf zurückgebeugt, wollte er aufschreien, kam jedoch nicht mehr dazu, weil Lasseur ihm seinen Säbel in den ungeschützten Hals stieß.

Lasseur stellte seinen Fuß auf Peppers Brust, die sich nicht mehr bewegte, und zog die Klinge wieder heraus.

»Crétin!«, zischte er.

Morgan hatte das letzte Tau fast durchgehauen, als er Pepper fallen sah. Der Anblick von Lasseur und dem Runner am Heck des Schoners war ein riesiger Schock gewesen. Aber was noch schlimmer war, jetzt war auch sein Leutnant plötzlich und mit brutaler Perfektion umgebracht worden. Eben war Cephus noch da und hielt ihm den Rücken frei, im nächsten Moment lag er mit einer klaffenden Wunde im Hals in seinem Blut. Morgan konnte nicht glauben, wie schnell das passiert war.

Aber es war geschehen. Morgan hatte den Ausdruck in Lasseurs Augen gesehen und wusste, was er zu bedeuten hatte.

Also ignorierte er den toten Steuermann und das Blut, das überall in die Deckplanken eindrang, und fuhr fort in seinem verzweifelten Versuch, die Jolle frei zu bekommen, obwohl er wusste, dass es sinnlos war.

Er hörte eine Stimme. »Es ist vorbei, Morgan.« Schwer atmend drehte er sich um.

Lasseur und Hawkwood standen Seite an Seite. Neben ihnen stand ein untersetzter Mann mit hartem Gesicht und eisengrauem Haar, der ein blutiges Entermesser in der Hand hielt.

»Es ist vorbei, Morgan«, sagte Hawkwood wieder. »Du hast verloren. Deine Leute sind erledigt.«

Morgan sah, dass Hawkwood Recht hatte. Die Mitglieder seiner Mannschaft, die noch auf den Beinen waren, legten ihre Waffen hin und ergaben sich, indem sie sich aufs Deck setzten, die Hände auf dem Kopf. Lasseurs Männer gingen zwischen ihnen hindurch und sammelten die Waffen ein. Die meisten der Toten, die auf dem Deck lagen, hatten keine Halstücher an den Armen. Die Mannschaft des Kutters war durch reine Waffengewalt überwältigt worden. Die Speigatten der Sea Witch waren glitschig vom abfließenden Blut.

»So sieht es also aus, wenn Ratten das sinkende Schiff verlassen«, sagte Jago.

Morgan ließ seinen Säbel fallen. Er atmete schwer.

»Es sind noch fünfzehn Meilen bis zur Küste«, sagte Hawkwood. »Hast du wirklich gedacht, du schaffst es?«

»Der Herr liebt Optimisten«, sagte Lasseur.

»Wer kann’s einem verdenken, wenn man’s probiert?«, sagte Morgan.

Hawkwood steckte die Pistole in seinen Gürtel, warf den Tomahawk zur Seite und zog das Messer aus dem Stiefel.

Ein leiser Zweifel erschien auf Morgans Gesicht. Sein Unterkiefer war angespannt. Ohne Bart sah der Mann merkwürdig aus, stellte Hawkwood fest. Sein Gesicht wirkte runder und mindestens fünf Jahre jünger, und auch nicht so aggressiv. Überhaupt war da etwas um Morgan, was anders war. Er wirkte im Ganzen korpulenter, was ein bisschen komisch war, und seine Bewegungen waren irgendwie … gemessen.

Ehe Morgan reagieren konnte, fuhr Hawkwood mit der Messerspitze unter den Saum von Morgans Uniformjacke, und mühelos, wie ein Chirurg, der eine Leiche öffnet, schlitzte er die Jacke bis unter Morgans Kinn auf. Sie klaffte auseinander wie eine aufgeschnittene Frucht.

»Ja, schaut doch mal, was wir hier haben!«, sagte Jago überrascht. »So was habe ich nicht mehr gesehen, seit unser alter König tot ist.«

Es war eine Weste, aber keine, wie Hawkwood sie je gesehen hatte. Ihr Futter bestand aus Taschen, und jede von ihnen war prall gefüllt.

Hawkwood streckte die Hand aus, und mit einer Bewegung des Handgelenks filetierte er auch dieses Kleidungsstück. Der Stoff gab nach, und das Gewicht des Inhalts besorgte das Übrige. Ein Goldbarren schlug aufs Deck.

Hawkwood steckte das Messer wieder in den Stiefel und hob das Gold auf. Es war kein großes Stück, etwa halb so groß wie eine Büchse, in der man Feuerzeug aufbewahrte, aber dennoch schwer. In das stumpfe Metall waren Nummern geprägt sowie ein runder Stempel mit dem Namen Rothschild & Sons.

Nach seinem Körperumfang zu urteilen hatte Morgan auch Taschen im Rücken der Weste, und quer über den unteren Teil seines Rückens war ebenfalls ein Wulst. Lasseur hob den Rücken der Uniformjacke mit der Spitze seines Säbels an, und darunter kam ein Kleidungsstück zutage, das einer Turnüre ähnelte.

»Vielleicht sollten wir in seiner Hose auch noch nachsehen«, sagte Jago. »Ganz früher hatte man doch auch noch Taschen an den Oberschenkeln.«

»Wir wissen Bescheid«, sagte Hawkwood. »Seht mal bei Pepper nach.«

Lasseur ging zu Peppers Leiche.

»Dasselbe«, sagte er. Jetzt wurde ihm auch klar, warum Pepper so schwerfällig gewesen war und unfähig, den Angriff auf ihn abzuwehren.

»In den Westen, die man zum Teeschmuggel trug, konnte man ungefähr dreißig Pfund unterbringen«, sagte Jago.

»Judas bekam Silberlinge. Du hast Gold«, sagte Hawkwood. »Du machst dir all die Mühe, und alles, was dir zum Schluss bleibt, ist eine verdammte Weste. Kaum der Mühe wert.«

»Was willst du mit ihm machen?«, fragte Lasseur. »Entscheide du. Ich schenke ihn dir.«

»Ich lass ihm das Gold«, sagte Hawkwood.

»Was?« Lasseur blieb der Mund offen stehen.

Hawkwood zuckte die Schultern. »Soll er sein Glück versuchen.«

»Verdammt, das ist doch nicht dein Ernst?«, sagte Jago. »Nach allem, was du gesagt hast?«

Morgan hob den Kopf. »Sie nehmen mich nicht fest?«

»Dich festnehmen?« Hawkwood lachte. »Du kommst dir wohl immer noch sehr wichtig vor. Nein, ich habe große Lust, dir deine Weste zu lassen. Ich glaube, das Militär wird die dreißig Pfund Gold nicht vermissen, nicht wahr? Was mich anbetrifft, wenn du’s bis zur Küste schaffst, dann hast du sie auch verdient. Ich stelle nur eine Bedingung …«

»Was für eine?« In den dunklen Augen zeigte sich ein winziger Funken Hoffnung.

»Du musst schwimmen.«

Hawkwood machte eine halbe Drehung und trat Morgan mit dem Stiefel in den Bauch.

Der Tritt warf Morgan fast um, er taumelte nach hinten. Er prallte rückwärts mit den Beinen auf den Rand des Schanzkleides. Der Schwung besorgte den Rest, er flog über Bord. Er landete im Wasser, immer noch mit demselben ungläubigen Gesichtsausdruck. Er versuchte, Atem zu holen, aber das Wasser schloss sich über ihm und sein mit Gold beschwerter Körper sank in die Tiefe.

Es war schnell vorüber. Von Morgan war keine Spur mehr vorhanden.

Hawkwood trat zurück.

»Also, jetzt kann ich wieder aufatmen«, sagte Jago. »Ich hatte mir wirklich schon Sorgen gemacht. Ich dachte, du bist verrückt geworden.«

Auch hinten klatschte es immer wieder im Wasser auf. Unter der Aufsicht von Leutnant Delon und seiner Mannschaft warfen Morgans übrig gebliebene Männer die Leichen ihrer toten Kameraden über Bord.

»Ich glaube, wir können gehen«, sagte Lasseur, indem er sich umdrehte und seinen Säbel einsteckte. Er rief seinen Leutnant.

»Wenn die Toten alle weggeräumt sind, schließ die anderen unten ein. Bringe unsere Männer auf die Scorpion zurück; auch die Verletzten. Behalte ein paar Leute hier, um das Deck aufzuräumen, dann setze ein Segel. Wir begleiten sie hinein. Als Schiff kann man mit ihr zwar keinen großen Staat mehr machen, aber ihre Ladung ist ein Vermögen wert.« Lasseur sah Hawkwood an und grinste.

Hawkwood sagte: »Da wirst du dich beeilen müssen.«

Dabei sah er Lasseur nicht an. Er sah über den Bug. Im selben Augenblick rief Lasseurs Leutnant: »Segel im Nordosten!«

»Britische Fregatte«, sagte Hawkwood. »Aber das ist nur eine Vermutung. Vielleicht ist sie auf Blockade-Patrouille. Sie ist verdammt nahe. An deiner Stelle würde ich mal durchs Rohr gucken.«

Lasseur ging an die Reling.

Die Fregatte kam schnell näher. Sie war der französischen Küste näher als die Scorpion. Sie hatte die Rahe gebrasst und alle Segel gesetzt und segelte dicht am Wind. Lasseur sah sogar schon den Schaum vor ihrem Bug.

»Rette dich oder das Gold«, sagte Hawkwood. »Glaube nicht, dass du Zeit für beides hast. Wenn sie dich kriegen, dann bist du ganz sicher im schwarzen Loch. Und diesmal werden sie vielleicht den Schlüssel wegwerfen, nach dem Chaos, das du hinterlassen hast. Ein interessantes Dilemma.«

»Wirklich’ne beschissene Lage«, sagte Jago.

Lasseur starrte das Kriegsschiff an, das immer näher kam.

Er drehte sich um und sah die Trümmer, die über das Deck des Kutters verstreut lagen, die Leichen, die immer noch über Bord geworfen wurden, sein eigenes Schiff und die Erschöpfung auf den Gesichtern seiner Leute, die ein weiteres Gefecht nicht überstehen würden.

Er kaute an der Unterlippe und fasste einen Entschluss.

»Merde«, sagte er.

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