43 An diesem Ort und diesem Tag

Am nächsten Morgen war Rand bereits lange vor Anbruch der Dämmerung auf den Beinen und angezogen. Tatsächlich hatte er überhaupt nicht schlafen können, und diesmal hatte es nicht an Aviendha gelegen, obwohl sie begonnen hatte, sich auszukleiden, bevor er die Lampen löschen konnte. Sie hatte darauf sofort mit Hilfe der Macht wieder eine entzündet und ihn gescholten, er könne vielleicht im Dunklen sehen, sie aber nicht. Er war zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen, hatte ihr gar nicht erst geantwortet und auch kaum bemerkt, als sie sich um einiges später gut eine Stunde vor ihm erhob, anzog und hinausging. Er hatte sich noch nicht einmal gefragt, wohin sie gehe, und das wollte etwas heißen.

Die Gedankengänge, die ihn die Nacht über schlaflos in die Dunkelheit starren ließen, beschäftigten ihn auch jetzt noch. Heute würden Menschen sterben. Sehr viele Menschen, selbst dann, wenn alles nach Plan ablief. Nichts konnte daran noch etwas ändern, was immer er auch tat. Der Tag würde verlaufen, wie es das Muster vorschrieb. Und doch grübelte er immer wieder über all jene Entscheidungen nach, die er getroffen hatte, seit sie die Wüste erreichten. Hätte er etwas anders machen und diesen heutigen Tag, seine Ereignisse, diesen Ort hier meiden können? Vielleicht beim nächstenmal. Der mit Troddeln verzierte, abgeschnittene Speer lag auf seinem Schwertgürtel und der in der Scheide steckenden Klinge neben seinem Deckenlager. Es würde ein nächstes Mal geben und danach wieder eins und immer wieder.

Es war noch dunkel, als die Häuptlinge auf ein paar letzte Worte kamen. Sie berichteten, daß sich ihre Männer in der vereinbarten Stellung befänden und zum Kampf bereit seien. Nicht, daß er etwas anderes erwartet hätte. Trotz ihrer üblichen steinernen Mienen brach ein wenig Gefühl durch. Es war eine eigenartige Mischung von Erregung, Überschwang und banger Nüchternheit.

Erim brachte tatsächlich ein schwaches Lächeln zuwege. »Ein guter Tag, der das Ende der Shaido bringt«, sagte er schließlich. Er schien auf Zehenspitzen zu gehen.

»So das Licht will«, sagte Bael, dessen Kopf das Zeltdach streifte, »werden wir unsere Speere noch vor Sonnenuntergang in Couladins Blut waschen.«

»Bringt Pech, über Dinge zu reden, die man sich wünscht«, knurrte Han. Bei ihm war der Überschwang wie immer am wenigsten zu spüren. »Das Schicksal wird entscheiden.«

Rand rückte. »Das Licht gebe, daß das Schicksal nicht entscheiden möge, zu viele unserer Männer und Frauen dahinzuraffen.« Es wäre ihm lieber gewesen, er hätte sich nur darum zu kümmern brauchen, daß möglichst wenige starben, denn der Lebensfaden eines Menschen sollte nicht so einfach abgeschnitten werden, doch es würden noch so viele Tage kommen... Er brauchte jeden Speer, um auf dieser Seite der Drachenmauer Ordnung zu schaffen. Das war, wie in so vielen anderen Dingen, der Punkt, der ihn von Couladin trennte.

»Das Leben ist ein Traum«, sagte Rhuarc zu ihm, worauf Han und die anderen zustimmend nickten. Das Leben war nur ein Traum, und alle Träume gingen einmal zu Ende. Die Aiel eilten nicht gerade dem Tod entgegen, aber sie liefen auch nicht vor ihm davon.

Als sie schon im Gehen waren, blieb Bael noch einen Moment stehen. »Seid Ihr sicher, daß Ihr die Töchter des Speers wirklich so einsetzen wollt? Sulin hat deswegen mit den Weisen Frauen gesprochen.«

Deshalb also hatte Melaine Bael so bearbeitet. Und so gespannt, wie Rhuarc sich vorbeugte, um zu lauschen, hatte er von Amys auch einiges zu diesem Thema zu hören bekommen. »Jeder andere tut, was ihm aufgetragen wurde, ohne sich deshalb zu beschweren, Bael.« Das war wohl unfair, aber schließlich handelte es sich hier nicht um ein Spiel. »Wenn die Töchter eine Sonderbehandlung wünschen, kann Sulin zu mir kommen und muß nicht zu den Weisen Frauen rennen.«

Wären sie nicht Aiel gewesen, dann wären Rhuarc und Bael bestimmt kopfschüttelnd hinausgegangen. Rand vermutete, jeder von beiden würde von seiner Frau einiges zu hören bekommen, aber sie würden damit leben müssen. Wenn sich die Far Dareis Mai schon seiner Ehre annahmen, dann würden sie das diesmal dort tun, wo er wollte.

Zu Rands Überraschung tat Lan so, als wolle er ebenfalls schon gehen. Der Behüterumhang hing an seinem Rücken und ließ ihn vor den Augen verschwimmen, sobald er in Bewegung geriet. »Ist Moiraine bei Euch?« Rand hatte erwartet, daß Lan nicht von ihrer Seite wich.

»Sie sitzt besorgt in ihrem Zelt. Heute wird sie noch nicht einmal die am schlimmsten Verwundeten mit Hilfe der Macht heilen können.« So wollte sie an diesem Tage helfen: Sie konnte die Macht nicht als Waffe verwenden, aber sie konnte heilen. »Sie regt sich immer über Verschwendung auf.«

»Wir regen uns alle darüber auf«, fauchte Rand. Wahrscheinlich hatte sie sich auch geärgert, weil er Egwene von ihr wegholte. Wie er wußte, war Egwene allein keine sehr gute Heilerin, aber sie hätte Moiraine unterstützen können. Nun, er brauchte sie eben, und sie mußte ihr Versprechen halten. »Sagt Moiraine, wenn sie Hilfe braucht, soll sie sich an einige der Weisen Frauen wenden, die mit der Macht umgehen können.« Doch nur wenige der Weisen Frauen hatte eine Ahnung von der Heilkunst. »Sie kann sich mit ihnen verknüpfen und so deren Kraft mit einsetzen.«

Er zögerte. Hatte Moiraine je davon gesprochen, sich mit ihm zu verknüpfen? »Ihr seid doch nicht hergekommen, um mir zu sagen, daß Moiraine grübelt«, sagte er gereizt. Es war manchmal schwierig für ihn, auseinanderzuhalten, was von ihr stammte, was von Asmodean und was von Lews Therin in seinem Verstand emporstieg.

»Ich kam, um Euch zu fragen, warum Ihr wieder ein Schwert tragt.«

»Das hat mich Moiraine schon gefragt. Hat sie Euch...«

Lans Gesichtsausdruck änderte sich nicht, aber er unterbrach Rand grob: »Ich will es wissen. Ihr könnt ein Schwert mit Hilfe der Macht erzeugen oder ohne eines töten, doch plötzlich tragt Ihr wieder Stahl an der Hüfte. Warum?«

Unbewußt strich Rand mit einer Hand über die lange Scheide an seiner Seite. »Es ist wohl kaum fair, die Macht auf diese Art zu verwenden. Besonders gegen jemanden, der die Macht selbst nicht benützen kann. Da könnte ich genauso gegen ein Kind kämpfen.«

Der Behüter stand eine Weile lang stumm da und musterte ihn. »Ihr habt vor, Couladin selbst zu töten«, sagte er schließlich mit ausdrucksloser Stimme. »Dieses Schwert gegen seine Speere.«

»Ich habe nicht vor, ihn zu suchen, aber wer weiß schon, was geschehen wird?« Rand zuckte nervös die Schultern. Nicht nach ihm suchen. Aber falls dieses Spiel mit dem Zufall ihm je einmal Vorteile bringen sollte, dann wünschte er sich, daß es ihn Auge in Auge mit Couladin bringen möge. »Außerdem halte ich es nicht für unmöglich, daß er mich sucht. Die Drohungen, die ich von ihm zu hören bekam, waren ziemlich persönlich, Lan.« Er hob eine Faust und schob seinen Arm weit genug aus dem roten Ärmel, daß der vordere Teil des goldmähnigen Drachen deutlich sichtbar wurde. »Couladin wird nicht ruhen, solange ich am Leben bin; solange wir beide diese Drachen tragen.«

Und um der Wahrheit die Ehre zu geben, würde auch er nicht ruhen, bis nur noch ein Mann am Leben war, der die Drachen trug. Es wäre nur recht, wenn er Asmodean gleich mit Couladin in einen Topf würfe. Asmodean hatte schließlich dem Shaido die Male angebracht. Doch nur Couladins ungezügelter Ehrgeiz hatte das überhaupt möglich gemacht. Sein Ehrgeiz und seine Weigerung, sich an Gesetz und Sitte der Aiel zu halten, hatten unvermeidlich zu diesem Tag und diesem Ort geführt. Außer der Trostlosigkeit und dem Bürgerkrieg unter den Aiel mußte man Couladin Taien vorwerfen und Selean und Dutzende in Schutt und Asche liegender Dörfer und Städte seither, von Hunderten niedergebrannter Bauernhöfe ganz zu schweigen. Unbeerdigte Männer und Frauen hatten die Geier gefüttert. Wenn er schon der Wiedergeborene Drache war und ein Recht darauf hatte, daß die Länder bis hin zu Cairhien seiner Führung gehorchten, dann schuldete er ihnen Gerechtigkeit.

»Dann laßt ihn enthaupten, wenn er gefangen ist«, sagte Lan grob. »Nehmt hundert Mann oder tausend, die keine andere Aufgabe haben, als ihn zu suchen und gefangenzunehmen. Aber seid kein solcher Narr, ihm einen Zweikampf zu liefern! Ihr könnt jetzt gut mit der Klinge umgehen — sehr gut sogar —, aber die Aielmänner werden mit Speer und Schild in der Hand geboren. Ein Speer in Eurem Herzen, und alles war umsonst.«

»Also sollte ich den Kampf meiden? Würdet Ihr das, wenn Moiraine Euch nicht in Anspruch nähme? Würde Rhuarc das tun oder Bael oder irgendeiner von ihnen?«

»Ich bin nicht der Wiedergeborene Drache. Das Schicksal der Welt ruht nicht auf meinen Schultern.« Doch die zuvor kurz spürbare Hitzigkeit war aus seiner Stimme gewichen. Ohne Moiraine hätte man ihn immer dort vorgefunden, wo die Schlacht am heißesten tobte. Wenn ihm jetzt überhaupt etwas anzumerken war, dann das Bedauern darüber, daß ihm dies nicht möglich war.

»Ich werde keine überflüssigen Risiken eingehen, Lan, aber ich kann nicht vor jedem davonlaufen.« Der Seanchanspeer würde heute im Zelt bleiben. Er wäre ihm nur im Weg, sollte er auf Couladin treffen. »Kommt. Wenn wir noch lange hier stehen, beenden die Aiel die Schlacht ohne uns.«

Als er sich duckte und hinaustrat, waren nur noch eine Handvoll Sterne zu sehen, und im Osten zeigte sich bereits die hell erleuchtete scharfe Kante des Horizonts. Aber das war nicht der Grund für sein und Lans plötzliches Stehenbleiben. Töchter des Speers hatten einen Kreis um das Zelt gebildet, Schulter an Schulter, die Gesichter nach innen gewandt. Der dichte Kreis zog sich die noch in Dunkelheit gehüllten Hänge hinab, Frauen im Cadin'sor, die sich so eng aneinanderdrängten, daß keine Maus hätte durchschlüpfen können. Jeade'en war nirgends zu sehen, obwohl er einem Gai'schain befohlen hatte, ihn gesattelt bereitzustellen.

Und nicht nur Töchter. Zwei Frauen in der vordersten Reihe trugen bauschige Röcke und helle Blusen. Um das Haar hatten sie zusammengefaltete Schals gebunden. Es war noch zu dunkel, um die Gesichter mit Sicherheit zu identifizieren, aber es war etwas an diesen beiden Gestalten — wie sie mit gefalteten Armen trotzig dastanden —, das ihn sicher sein ließ, es handle sich um Egwene und Aviendha.

Sulin trat vor, bevor er noch den Mund öffnen und fragen konnte, was das zu bedeuten habe. »Wir sind gekommen, um gemeinsam mit Egwene Sedai und Aviendha den Car'a'carn zum Turm zu geleiten.«

»Wer hat Euch das eingeredet?« wollte Rand wissen. Ein Blick auf Lan zeigte ihm, daß er es nicht gewesen war. Sogar im Dunkeln wirkte der Behüter überrascht. Nur einen kurzen Augenblick zuckte sein Kopf empor; länger hielt Überraschung bei Lan niemals an. »Egwene sollte sich bereits auf dem Weg zum Turm befinden, und die Töchter sollten sie dort beschützen. Was sie heute vollbringen soll, ist äußerst wichtig. Sie muß dabei geschützt werden.«

»Wir werden sie schützen.« Sulins Stimme klang vollkommen ausdruckslos. »Und den Car'a'carn, der seine Ehre den Far Dareis Mai anvertraute.« Ein zustimmendes Murmeln durchlief die Reihen der Töchter.

»Das ergibt doch wirklich einen Sinn, Rand«, sagte Egwene aus dem Dunklen. »Wenn eine die Macht benützt und damit die Schlacht verkürzt, dann werden drei noch mehr ausrichten und sie weiter verkürzen. Und du bist stärker als Aviendha und ich zusammen.«

Es klang nicht so, als passe ihr das Gesagte sonderlich. Aviendha schwieg, doch ihre Haltung drückte Zustimmung aus.

»Das ist lächerlich«, grollte Rand. »Laßt mich durch und geht an Euren zugeteilten Platz.«

Sulin wich nicht. »Far Dareis Mai tragen die Ehre des Car'a'carn«, sagte sie ruhig und fest, und die anderen nahmen das Gesagte auf. Nicht lauter, aber so viele Frauenstimmen ergaben eine mächtige Woge: »Far Dareis Mai tragen die Ehre des Car'a'carn. Far Dareis Mai tragen die Ehre des Car'a'carn.«

»Ich sagte, laßt mich durch«, verlangte er im selben Augenblick, als der Frauenchor verstummte. Als sei es eine Aufforderung gewesen, erneut zu beginnen, fingen sie wieder an: »Far Dareis Mai tragen die Ehre des Car'a'carn. Far Dareis Mai tragen die Ehre des Car'a'carn.« Sulin stand nur da und blickte ihn an.

Nach einem Moment beugte sich Lan herüber und murmelte trocken: »Eine Frau ist immer noch eine Frau, auch wenn sie einen Speer trägt. Habt Ihr jemals eine getroffen, die sich davon abbringen ließ, wenn sie etwas wirklich wollte? Gebt nach, oder wir werden den ganzen Tag hier stehen, während Ihr zankt und sie Euch im Chor belagern.« Der Behüter zögerte und fügte dann hinzu: »Außerdem haben sie schon recht.«

Egwene öffnete den Mund, als die Litanei wieder abebbte, doch Aviendha legte ihr eine Hand auf den Arm und flüsterte ihr ein paar Worte zu, und Egwene sagte nichts. Doch er wußte genau, was sie hatte sagen wollen. Sie hatte ihm sagen wollen, er sei ein törichter und sturer Wollkopf oder etwas Ähnliches.

Das Dumme war: er fühlte sich mittlerweile selbst wie ein solcher. Es war wirklich sinnvoll, wenn er sich persönlich zum Turm begab. Er hatte anderswo nichts verloren, denn die Führung der Schlacht lag nun in den Händen der Häuptlinge und des Schicksals, und er konnte ihnen mehr nutzen, wenn er die Macht lenkte, anstatt herumzureiten und zu hoffen, daß er Couladin begegnete. Wenn die Eigenschaften eines Ta'veren Couladin zu ihm führen konnten, dann würden sie ihn genauso zum Turm wie anderswohin locken. Nicht, daß er große Aussichten hätte, den Mann überhaupt zu sehen, nachdem er sämtlichen Töchtern befohlen hatte, den Turm zu bewachen.

Aber wie konnte er einen Rückzieher machen und trotzdem seine Würde bewahren, nachdem er in sämtliche Fettnäpfchen getreten war? »Ich habe beschlossen, daß ich vom Turm aus das meiste ausrichten kann«, sagte er und spürte, wie seine Wangen heiß brannten.

»Wie der Car'a'carn befiehlt«, antwortete Sulin ohne eine Andeutung von Spott gerade so, als sei das von Anfang an seine Absicht gewesen. Lan nickte und schlüpfte davon. Die Töchter öffneten ihm eine schmale Gasse.

Die Lücke schloß sich jedoch gleich wieder hinter Lan, und als sich die Töchter rührten, hatte Rand keine Wahl, als in die gleiche Richtung zu gehen. Er hätte es nicht vermeiden können, und wäre sein Entschluß auch anders ausgefallen. Natürlich hätte er die Macht anwenden, mit Feuer um sich werfen oder sie durch Luft beiseite schleudern können, doch das wäre wirklich keine Art gewesen, mit Menschen umzugehen, die auf seiner Seite standen, ganz abgesehen davon, daß sie Frauen waren. Außerdem war er sich nicht sicher, ob er sie so zum Gehen hätte zwingen können. Wahrscheinlich hätte er sie zuerst umbringen müssen, und ob sie dann gewichen wären? Nun, außerdem war er eben zu der Erkenntnis gekommen, daß er ihnen allen auf dem Turm am meisten nützen konnte.

Egwene und Aviendha waren genauso still wie Sulin, als sie in Richtung Turm schritten, und dafür war er dankbar. Natürlich war zumindest ein Teil ihres Schweigens darauf zurückzuführen, daß sie sich im Dunkeln äußerst vorsichtig den Weg hügelauf und hügelab suchen mußten, um sich nicht das Genick zu brechen. Aviendha knurrte von Zeit zu Zeit leise etwas, das er kaum verstand. Sie regte sich wohl über ihren Rock auf, der sie beim Gehen auf diesem Gelände hinderte. Doch keine machte sich über seinen offensichtlichen Rückzieher lustig. Das konnte allerdings durchaus noch später kommen. Frauen schienen es zu genießen, mit der spitzen Nadel zuzustechen, wenn man die Gefahr längst für abgeklungen hielt. Der Himmel wandelte sich zu einem düsteren Grau, und als der roh gezimmerte Turm über den Bäumen in Sicht kam, brach er schließlich von selbst das Schweigen. »Ich hätte nicht erwartet, Dich auch hier einsetzen zu können, Aviendha. Ich erinnere mich daran, daß du sagtest, die Weisen Frauen nähmen nicht an Kämpfen teil.« Er erinnerte sich ganz deutlich. Eine Weise Frau konnte sich leisten, ungerührt mitten durch eine tobende Schlacht zu schreiten oder in eine Festung oder einen Außenposten eines Clans zu gehen, mit dem ihr eigener eine Blutfehde austrug. Sie nahm auf keinen Fall am Kampf teil und schon gar nicht mit Hilfe der Macht, falls sie die benützen konnte. Bis er die Wüste erreichte, hatten die wenigsten Aiel gewußt, daß einige der Weisen Frauen die Macht zu lenken imstande waren, obwohl es Gerüchte über seltsame Fähigkeiten gegeben hatte, die manchmal dem nahe kamen, was sich die Aiel unter der Anwendung der Macht vorstellten.

»Ich bin noch keine Weise Frau«, erwiderte sie freundlich und rückte ihren Schal zurecht. »Wenn eine Aes Sedai wie Egwene helfen kann, dann kann ich das auch. Ich habe das erst heute morgen abgesprochen, während du noch schliefst, aber daran gedacht habe ich schon, seit du Egwene darum batest.«

Es war nun hell genug, um zu erkennen, wie Egwene errötete. Als sie bemerkte, daß er sie ansah, stolperte sie ohne sichtbaren Grund, und er mußte sie am Arm packen, damit sie nicht stürzte. Sie mied den Blick in seine Augen und riß sich los. Vielleicht würde er sich doch keine Gedanken über mögliche Sticheleien von ihrer Seite her machen müssen. Sie begannen, den spärlich bewaldeten Hang in Richtung des Turms zu erklimmen.

»Sie haben doch nicht etwa versucht, dich davon abzuhalten? Amys meine ich, oder Bair oder Melaine?« Ihm war klar: sie hatten das bestimmt nicht getan. Hätten sie es versucht, dann wäre sie jetzt nicht hier.

Aviendha schüttelte den Kopf und runzelte dann nachdenklich die Stirn. »Sie haben ziemlich lange mit Sorilea gesprochen und mir dann gesagt, ich solle tun, was ich glaubte, tun zu müssen. Für gewöhnlich befehlen sie mir, zu tun, was sie für richtig halten.« Sie blickte ihn von der Seite her an und fügte hinzu: »Ich hörte Melaine sagen, daß du in allem Veränderungen mit dir bringst.«

»Das stimmt«, sagte er und stellte seinen Fuß auf die unterste Sprosse der ersten Leiter. »Licht, hilf mir, aber es stimmt.«

Der Ausblick von der Plattform aus war selbst ohne die Hilfe eines Fernrohrs atemberaubend. Das Land breitete sich unter ihnen in unzähligen bewaldeten Hügeln aus. Die Bäume standen dicht genug, um die Aiel zu verbergen, die sich auf Cairhien zu in Bewegung gesetzt hatten. Die meisten befanden sich sowieso schon in ihren Ausgangspositionen. Die aufgehende Sonne tauchte die Stadt in einen goldenen Lichtschimmer. Ein kurzer Rundblick durch eines der Fernrohre zeigte ihm, daß die kahlen Hügel am Flußufer ruhig und anscheinend unbesetzt waren. Das würde sich schon bald ändern. Die Shaido befanden sich in der Nähe, wenn auch im Moment noch verborgen. Sie würden aber nicht verborgen bleiben, sobald er... Was würde er eigentlich einsetzen? Kein Baalsfeuer jedenfalls. Was er auch tat, mußte die Shaido kräftig aufscheuchen, bevor seine Aiel zum Angriff übergingen.

Egwene und Aviendha hatten sich am anderen Fernrohr abgelöst und sprachen dazwischen leise miteinander, doch nun ließen sie das Fernrohr unbeachtet und unterhielten sich nur noch. Schließlich nickten sie einander zu, gingen vor zum Geländer und standen da, die Hände auf dem rauhen Holz, wobei sie nach Cairhien hinübersahen. Eine Gänsehaut überlief ihn. Eine von ihnen benützte die Macht; vielleicht auch beide.

Es war der Wind, den er zuerst bemerkte. Er hatte sich auf die Stadt zu gedreht. Es war keine leichte Brise, sondern ein kräftiger Wind, wie er ihn in diesem Land zum erstenmal erlebte. Und über Cairhien begannen sich Wolken zusammenzubrauen; die schwärzesten im Süden. Während er zusah, türmten sie sich immer höher und schwärzer. Nur dort über Cairhien und den Shaido. Überall sonst innerhalb seines Gesichtsfeldes war der Himmel klar und blau, und nur wenige weiße, hohe Wolkenfetzen zeigten sich. Und doch grollte nun der Donner lang und mächtig. Plötzlich zuckte ein Blitz nach unten, eine gezackte, silberne Furche, die in einen Hügel unterhalb der Stadt fetzte. Bevor noch das Krachen des ersten Blitzschlags den Turm erreichte, flammten zwei weitere auf. Wilde, grelle Leuchtspuren tanzten über den Himmel, und diese blendenden Lichtlanzen schlugen regelmäßig wie ein Herzschlag unten ein. Mit einemmal bäumte sich der Boden selbst dort auf, wo keine Blitze eingeschlagen waren. Der Erdboden schoß wie eine Fontäne fünfzig Fuß hoch, gleich darauf an einer anderen Stelle und immer wieder und wieder.

Rand hatte keine Ahnung, welche der Frauen gerade etwas verursachte, aber sie schienen in der Tat gewillt, die Shaido allein zu vertreiben. Entweder tat er jetzt selbst etwas, oder er stand nur da und glotzte. So griff er hinaus nach Saidin. Eisiges Feuer überzog die Außenhaut des Nichts, das alles umgab, was Rand al'Thor war. Ungerührt ignorierte er den öligen Schmutz der Verderbnis, der in ihn einsickerte, und jonglierte mit wild tobenden Machtströmen, die drohten, ihn zu verschlingen.

Auf diese Entfernung waren seinen Fähigkeiten allerdings Grenzen gesetzt. Genauer gesagt, es war in etwa die Grenze dessen, was er ohne Hilfe eines Angreal oder Ter'Angreal noch unternehmen konnte. Höchstwahrscheinlich lenkten die Frauen aus dem gleichen Grund immer nur einen Blitz oder eine Explosion zur selben Zeit. Wenn er schon an seine Grenzen stieß, dann hatten sie die ihren bereits überschritten.

Eine Erinnerung glitt über die Leere. Nicht die seine; sie kam von Lews Therin. Ausnahmsweise war ihm das gleich. Einen Augenblick später lenkte er die Macht und ein Feuerball hüllte eine Hügelspitze ein, die beinahe fünf Meilen entfernt war, eine sich aufbäumende, gleißend gelbe Flammenkugel. Als sie verblaßte, konnte er auch ohne Fernrohr erkennen, daß der Hügel nun niedriger war und obenauf schwarz, anscheinend geschmolzen. Wenn sie alle drei im Einsatz waren, könnte vielleicht eine Schlacht der Clans gegen Couladin überflüssig werden.

Ilyena, meine Liebste, vergib mir!

Das Nichts bebte, und einen Moment lang taumelte Rand am Abgrund der Vernichtung. Wogen der Einen Macht schlugen mit der Gischt der Furcht über ihm zusammen. Die Verderbnis schien sich um sein Herz zusammenzuziehen und zu verfestigen wie eine stinkende Mauer.

Er packte das Geländer, bis seine Knöchel schmerzten, und zwang sich wieder zur Ruhe, zwang die Leere, zu widerstehen. Danach weigerte er sich, der Stimme in seinem Kopf zu lauschen. Statt dessen konzentrierte er sich ganz auf das Lenken der Macht und versengte methodisch einen Hügel nach dem anderen.

Mat stand zwischen den Bäumen auf dem Kamm des Hügels verborgen und hielt Pips' Nase unter seinem Arm fest, damit der Wallach nicht wiehern konnte, während er tausend oder mehr Aiel beobachtete, wie sie über die Hügel von Süden her auf ihn zu marschierten. Die Sonne blinzelte gerade über den Horizont, so daß die dahinziehende Menschenmasse lange, wabernde Schatten warf. Die Wärme der Nacht wich bereits der Hitze des nahenden Tages. Sobald die Sonne ein Stück hoch stand, würde die Luft wieder vor Hitze flimmern. Er begann schon jetzt zu schwitzen.

Die Aiel hatten ihn noch nicht bemerkt, aber er hegte keinen Zweifel, daß sie ihn bemerken würden, sollte er weiter hier warten. Es spielte kaum eine Rolle, daß es sich wahrscheinlich um Rands Männer handelte. Falls Couladin hier im Süden ebenfalls Truppen stationiert hatte, wartete eine Überraschung auf diejenigen, die dumm genug waren, sich mitten im Kampfgebiet aufzuhalten. Es war gleich, denn er hatte nicht vor, das Risiko einzugehen, sich von ihnen sehen zu lassen. Er war diesen Morgen schon einem Pfeil durchs Herz zu nahe gekommen, um noch einmal so unvorsichtig zu handeln. Geistesabwesend fühlte er nach dem sauberen Schnitt an der Schulter seiner Jacke. Ein guter Schütze, wenn er ein bewegliches Ziel traf, das er zwischen den Bäumen kaum richtig erkennen konnte. Er hätte ihn ja bewundert, wäre er nicht selbst das Ziel gewesen.

Er wandte den Blick nicht von den sich nähernden Aiel, während er sich vorsichtig mit Pips tiefer in das spärliche Dickicht zurückzog. Falls sie ihn entdeckten und ihren Schritt beschleunigten, wollte er das wissen. Die Leute behaupteten, Aiel könnten einen Berittenen in Grund und Boden rennen, und falls sie das versuchten, wollte er einen ordentlichen Vorsprung haben.

Er beschleunigte seinen Schritt erst dann, als die Bäume ihn vor ihren Blicken verbargen, und führte Pips auf den rückwärtigen Abhang, bevor er sich in den Sattel schwang und sich nach Westen wandte. Ein Mann konnte nicht vorsichtig genug sein, wenn er an diesem Tag und in diesem Gebiet am Leben bleiben wollte. Im Reiten knurrte er einiges in sich hinein. Die Hutkrempe hatte er weit heruntergezogen, um seinem Gesicht Schatten zu spenden, und den Speer mit dem schwarzen Schaft hatte er quer über den Sattelkopf gelegt. Nach Westen. Schon wieder.

Der Tag hatte so gut begonnen, ungefähr zwei Stunden vor dem ersten Tageslicht, als Melindhra weggegangen war, um sich mit den anderen Töchtern zu treffen. Sie hatte geglaubt, er schlafe noch, und ihm keinen Blick zugeworfen. Sie war hinausstolziert und hatte halblaut vor sich hin gesprochen, etwas von ›Rand al'Thor‹ und ›Ehre‹ und ›vor allem Far Dareis Mai‹. Es klang, als sei sie mit sich selbst uneins, aber offen gesagt war es ihm gleich, ob sie Rand nun räuchern oder ihn lieber im Eintopf mitkochen wollte. Sie war noch keine Minute aus dem Zelt, da packte er bereits seine Satteltaschen. Niemand hatte ihn weiter beachtet, als er Pips sattelte und heimlich wie ein Geist nach Süden davonritt. Ein guter Beginn. Nur hatte er nicht mit ganzen Kolonnen von Taardad und Tommanelle und jedem anderen verdammten Clan gerechnet, die in breiter Front nach Süden marschierten. Es tröstete ihn nicht, daß er Lan vorgequatscht hatte, sie genau dies tun zu lassen. Er wollte nach Süden, und diese Aiel hatten ihn gezwungen, in Richtung des Alguenya zu reiten. Dorthin, wo die Kämpfe stattfinden würden.

Eine Meile oder zwei weiter lenkte er Pips vorsichtig einen Hang empor und blieb tief zwischen den verstreuten Bäumen auf dem Kamm verborgen stehen. Dieser Hügel war höher als die meisten anderen, und er hatte von hier aus eine gute Aussicht. Diesmal waren keine Aiel zu sehen, aber die Kolonne, die sich auf der Sohle des gewundenen Tals zwischen den Hügeln dahinschlängelte, war beinahe genauso schlimm. Berittene Tairener führten sie hinter einer Gruppe bunter Flaggen verschiedener Lords an. Ein Stück dahinter folgte eine dicke, stachelbewehrte Schlange von Pikeuren in der Staubspur der Tairener, und wieder ein Stück danach kam die Kavallerie von Cairhien mit ihrem bunten Durcheinander von Flaggen und Wimpeln und Cons. Bei diesen Soldaten aus Cairhien herrschte überhaupt keine Ordnung. Alles ritt durcheinander, die Lords begaben sich mal nach vorn und dann wieder nach hinten, um sich zu unterhalten, aber wenigstens hatten sie nach beiden Seiten zu die Flanken gedeckt. Jedenfalls brauchte er sie nur vorbeizulassen, um dann freien Weg nach Süden zu haben. Und ich werde nicht anhalten, bis ich die Hälfte des Wegs zum verdammten Erinin geschafft habe!

Eine kaum wahrnehmbare Bewegung ein Stück vor der Kolonne unten fiel ihm ins Auge. Er hatte sie nur entdecken können, weil er sich so hoch oben befand. Sie war sicherlich keinem der Reiter drunten aufgefallen. Er kramte sein kleines Fernrohr aus der Satteltasche —Kin Tovere würfelte gern — und spähte in die Richtung, in der er die Bewegung gesehen hatte. Dann pfiff er leise durch die Zähne. Aiel, bestimmt genauso viele wie die Männer im Tal, und falls sie nicht zu Couladin gehörten, wollten sie vermutlich jemandem eine Überraschungsparty zum Namenstag geben, denn sie hatten sich auf den abgestorbenen Blättern unter den kahlen Büschen auf die Lauer gelegt.

Einen Augenblick lang trommelte er nervös mit den Fingern auf seine Hüfte. In kurzer Zeit würde es hier unten eine Menge Leichen geben. Und nicht viele davon wären Aiel. Geht mich nichts an. Ich bin aus allem draußen und ziehe weg von hier nach Süden. Er würde ein wenig warten und dann losreiten, wenn alle anderen zu beschäftigt waren, um ihn zu bemerken.

Dieser Bursche Weiramon — er hatte den Namen des Graubarts gestern erfahren — war ein verbohrter Narr. Keine Vorhut draußen, keine Kundschafter, sonst wüßte er, was sich verdammt noch mal vor ihm zusammenbraut. Was das betraf, konnten auch die Aiel bei diesem gewundenen Weg durch das Tal mit seinen vielen Biegungen die Kolonne nicht sehen: höchstens die dünne Staubspur, die sich hoch in die Luft erhob. Sie hatten auf jeden Fall Kundschafter gehabt, die ihnen die richtige Abfangstellung verrieten, denn bestimmt warteten sie dort nicht auf einen bloßen Zufall hin.

Gedankenverloren pfiff er ›Tanz mit dem Schwarzen Mann‹ vor sich hin, hob dann das Fernrohr wieder an ein Auge und musterte die Hügelkuppen. Ja. Der Befehlshaber der Aiel hatte ein paar Mann dort hinterlassen, wo sie ihre Leute warnen konnten, bevor die Kolonne das Terrain betrat, auf dem sie sterben sollte. Aber im Augenblick war es auch ihnen völlig unmöglich, schon etwas davon zu sehen. In ein paar Minuten würden die ersten Tairener in Sicht kommen, doch bis dahin...

Er erschrak selbst, als er sich dabei ertappte, wie er Pips zum Galopp den Hang hinunter antrieb. Was beim Licht mache ich da? Nun, er konnte nicht einfach so dastehen und sie alle in den Tod marschieren lassen wie die Gänse zur Schlachtbank. Er würde sie warnen. Das war alles. Ihnen sagen, was auf sie wartete, und dann wieder davonreiten.

Die Flankendeckung der Männer aus Cairhien sah ihn natürlich kommen, bevor er die Talsohle erreicht hatte. Sie hörten ja auch das Trommeln von Pips' Hufen. Zwei oder drei senkten die Lanzen.

Mat genoß es nicht gerade, wenn eineinhalb Fuß Stahl auf ihn zeigten, und gleich dreimal dasselbe gefiel ihm noch weniger; aber offensichtlich stellte ein einzelner Mann für sie keine Bedrohung dar, selbst wenn er wie ein Verrückter ritt. Sie ließen ihn passieren, und er zügelte Pips gerade so lange in der Nähe der Führungsgruppe mit ihren Lords, um ihnen zuzurufen: »Haltet hier! Jetzt! Befehl des Lord Drachen! Sonst wird er Euch den Kopf in den Bauch zaubern und Euch die eigenen Füße zum Frühstück vorsetzen!«

Seine Fersen gruben sich in Pips' Flanken und der Wallach galoppierte weiter. Er blickte nur kurz zurück, um zu sehen, ob sie seinem Befehl nachkamen. Und sie taten es, wenn auch unter einiger Verwirrung. Die Hügel deckten sie immer noch gegen die Sicht der Aiel. Sobald sich die Staubwolke gelegt hatte, würden die Aiel nicht mehr wissen, wo sie sich befanden. So beugte er sich tief über den Hals des Wallachs, klatschte seinen Hut auf Pips' Flanke und galoppierte an der Infanterie entlang.

Wenn ich darauf warte, daß Weiramon die Befehle weitergibt, ist es zu spät. Das ist alles. Er würde sie einfach warnen und weiterreiten.

Die Infanterie marschierte in Kolonnen zu je etwa zweihundert Pikeuren mit einem berittenen Offizier an der Spitze und vielleicht jeweils fünfzig Bogen- oder Armbrustschützen hintenan. Die meisten blickten ihm neugierig nach, als er vorbeijagte. Pips' Hufe schleuderten Staub und Erdbrocken hoch, doch keiner von ihnen kam aus dem Schritt. Die Reittiere einiger Offiziere tänzelten nervös, als spürten sie, daß ihre Reiter sich ihm nähern und herausfinden wollten, was ihn zu solcher Eile antrieb, doch auch von ihnen verließ keiner seinen Platz. Gute Disziplin. Sie würden das auch brauchen.

Verteidiger des Steins bildeten den Abschluß der tairenischen Truppen, wie immer mit Brustharnisch und schwarzgolden gestreiften Puffärmeln, und mit Federn in verschiedenen Farben auf den geränderten Helmen, an denen man die Offiziere und Unteroffiziere erkannte. Die anderen waren ebenso gerüstet, trugen aber an den Ärmeln sichtbar die Farben verschiedener Lords. Die Lords selbst ritten mit seidenen Kurzmänteln, kunstvollen Harnischen und langen weißen Federn geschmückt an der Spitze. Hinter ihnen flatterten ihre Flaggen im auffrischenden Wind in Richtung der Stadt.

Mat riß Pips so schnell vor ihnen herum, daß der Wallach sich aufbäumte, und schrie; »Halt, im Namen des Lord Drachen!«

Das schien der schnellste Weg, sie zum Anhalten zu bringen, doch einen Augenblick lang glaubte er, sie würden ihn glatt überreiten. Beinahe im letzten Moment hob ein junger Lord, den er vor Rands Zelt bereits einmal gesehen hatte, die Hand, und dann hielten sie alle in einem Durcheinander geschriener Befehle an, die nach hinten weitergegeben wurden. Weiramon war nicht zugegen. Keiner der Lords war mehr als zehn Jahre älter als Mat.

»Was hat das zu bedeuten?« fragte der Bursche, der die anderen zum Anhalten gebracht hatte. Dunkle Augen blickten arrogant über einen schmalen Nasenrücken; das Kinn hielt er so hoch, daß sein Spitzbart wie ein Dolch stoßbereit wirkte. Der Eindruck wurde nur ein wenig durch den Schweiß gestört, der ihm über das Gesicht rann. »Der Lord Drache selbst hat mir dieses Kommando übergeben. Wer seid Ihr, daß Ihr...?«

Er brach ab, als ihn ein anderer, den Mat kannte, am Ärmel zupfte und ihm eindringlich etwas zuflüsterte. Esteans Kartoffelgesicht wirkte unter seinem Helm hager und erhitzt zugleich. Mat hatte gehört, daß ihn die Aiel in bezug auf Informationen über die Stadt ziemlich in die Mangel genommen hatten. Aber in Tear hatte er immerhin mit Mat Karten gespielt. Er wußte jedenfalls genau, wer Mat war. Nur Esteans Brustharnisch wies Scharten in dem kunstvollen Goldzierrat auf. Keiner der anderen hatte mehr getan, als herumzureiten und hübsch auszusehen. Bisher.

Spitznases Kinn senkte sich beim Zuhören, und als Estean fertig war, sprach er in gemäßigtem Ton: »Nichts für ungut ... äh ... Lord Mat. Ich bin Melanril aus dem Hause Asegora. Wie kann ich dem Lord Drachen dienen?« Bei den letzten Worten wurde aus der Mäßigung ein regelrechtes unsicheres Zögern, und Estean unterbrach ihn dann auch noch ängstlich: »Warum sollten wir anhalten? Ich weiß, daß uns der Lord Drache Zurückhaltung auferlegte, Mat, aber seng meine Seele, es liegt keine Ehre darin, dazuhocken und lediglich den Aiel das Kämpfen zu überlassen. Warum sollen wir aufsatteln, um sie dann doch nur zu hetzen, wenn sie bereits geschlagen sind? Außerdem befindet sich mein Vater in der Stadt, und...« Unter Mats Blick erstarben seine Worte.

Mat schüttelte den Kopf und fächelte sich mit dem Hut Luft zu. Diese Narren befanden sich nicht einmal dort, wo sie eigentlich sein sollten. Und es gab auch keine Möglichkeit, sie wenden und zurückmarschieren zu lassen. Selbst wenn Melanril dazu bereit wäre, und Mat war sich nach einem Blick zu ihm hin nicht sicher, ob das der Fall wäre, und das trotz des angeblichen Befehls des Lord Drachen, gab es keine Möglichkeit dazu. Wie er da im Sattel saß, war er für die Ausguckposten der Aiel deutlich zu erkennen. Sollte die Kolonne plötzlich wenden, würden sie sich entdeckt wissen und höchstwahrscheinlich sofort angreifen, während sich die Tairener und die Infanterie aus Cairhien noch hoffnungslos im Weg stünden. Das ergäbe ein reines Gemetzel, genauso, als rückten sie unwissend weiter vor. »Wo ist Weiramon?«

»Der Lord Drache schickte ihn nach Tear zurück«, erwiderte Melanril bedächtig. »Um sich die illianischen Piraten vorzuknöpfen und die Banditen auf der Ebene von Maredo. Er zögerte natürlich, zu gehen, trotz der großen Verantwortung, die ihm auferlegt worden war, aber... Verzeiht, Lord Mat, aber wenn Euch der Lord Drache sandte, wieso wißt Ihr dann nicht...«

Mat unterbrach ihn. »Ich bin kein Lord. Und wenn Ihr das in Frage stellen wollt, was Rand die Leute wissen läßt und was nicht, dann fragt ihn selbst.« Das rückte den Burschen zurecht. Er würde den verdammten Lord Drachen überhaupt nichts mehr fragen. Weiramon war ein Narr, doch wenigstens alt genug, um einmal in einer Schlacht gekämpft zu haben. Außer Estean, der wirkte wie ein Sack voll Zwiebeln, den man auf ein Pferd geschnallt hat, war alles, was diese Bande hier jemals erlebt hatte, eine Wirtshausschlägerei oder auch zwei. Und vielleicht ein paar Duelle. Das würde ihnen nun wirklich viel nützen. »Jetzt hört mir mal alle zu. Wenn Ihr durch jene Lücke vorn zwischen den nächsten beiden Hügeln reitet, werden Aiel über Euch hereinbrechen wie eine Lawine.«

Er hatte ihnen genauso erzählen können, daß sie auf einen Ball gehen müßten, wo alle Frauen bereits sehnsüchtig auf die kleinen Lords aus Tear warteten. Freudiges Grinsen breitete sich aus, und sie fingen an, ihre Pferde tänzeln zu lassen, klatschten sich gegenseitig auf die Schultern und gaben damit an, wie viele sie töten würden. Estean war die Ausnahme. Er seufzte nur und lockerte sein Schwert in der Scheide.

»Starrt ja nicht dort hinauf!« fauchte Mat. Diese Narren. Noch eine Minute, und sie würden zum Angriff blasen. »Blickt mich an. Mich!«

Seine Freundschaft zu Rand brachte sie zur Ruhe. Melanril und die anderen in ihren schönen, unberührten Harnischen runzelten ungeduldig die Stirn und verstanden nicht, weshalb er sie nicht damit anfangen lassen wollte, die Aielwilden zu töten. Ware er nicht Rands Freund gewesen, hätten sie ihn und Pips möglicherweise glatt überrannt.

Er konnte sie ja lospreschen lassen. Sie würden allein angreifen, die Pikeure und die Kavallerie Cairhiens zurücklassen, obwohl die sich vielleicht anschlossen, sobald ihnen klar wurde, was geschah. Und alle würden sterben. Das Klügste wäre, sie einfach weitermachen zu lassen und selbst in die entgegengesetzte Richtung zu reiten. Das Gefährliche war nur, daß diese Idioten die Aiel möglicherweise wissen ließen, daß sie sie entdeckt hatten. Dann konnten sich die Aiel für eine ganz ausgefallene Taktik entscheiden, fielen vielleicht seitlich aus, umgingen sie im Bogen und griffen die weit verstreuten Narren von der Flanke her an. Falls das geschah, hatte er keine Garantie, daß er selbst sich in Sicherheit bringen könne.

»Was der Lord Drache von Euch will«, sagte er zu ihnen, »ist, daß Ihr weiter langsam vorwärtsreitet, genauso, als gebe es auf hundert Meilen Umkreis keinen Aiel. Sobald die Pikeure durch die Lücke marschiert sind, bilden sie ein Karree, ein hohles Viereck, und Ihr begebt Euch ganz schnell hinein.«

»Hinein!« protestierte Melanril empört. Ärgerliches Gemurmel war von den jungen Lords zu hören. Nur Estean blieb still und blickte nachdenklich drein. »Es liegt keine Ehre darin, sich hinter stinkenden...«

»Ihr werdet verdammt noch mal tun, was ich Euch sage!« brüllte Mat und riß Pips herum, damit er neben Melanrils Pferd zu stehen kam. »Sonst wird Rand Euch umbringen, falls das die verfluchten Aiel nicht besorgen, und was er übrig läßt, werde ich höchstpersönlich zu Wurst verarbeiten!« Das dauerte alles zu lang. Die Aiel würden sich mittlerweile fragen, was sie so lange zu besprechen hatten. »Mit ein wenig Glück seid Ihr bereit, bevor die Aiel zuschlagen können. Falls Ihr Pferdebögen habt, benützt sie. Ansonsten haltet Euch zurück. Ihr werdet Euren verdammten Angriff schon bekommen, und Ihr wißt auch, wann, doch wenn Ihr Euch zu früh rührt...!« Er fühlte beinahe körperlich, wie die Zeit immer knapper wurde.

Er stellte das Ende des Speerschafts wie eine Lanze auf seinen Steigbügel und ließ Pips die Kolonne entlanggaloppieren. Als er sich nach hinten umsah, konnte er erkennen, wie Melanril und die anderen sich unterhielten und ihm nachblickten. Wenigstens eilten sie nicht weiter ihrem Tod entgegen.

Der Befehlshaber der Pikeure erwies sich als ein blasser, schlanker Mann aus Cairhien, einen halben Kopf kleiner als er, dessen grauer Wallach mehr als reif für sein Gnadenbrot schien. Daerids Augen blickten allerdings hart drein, seine Nase war schon mehrmals gebrochen worden, und drei weiße Narben überschnitten sich in seinem Gesicht. Eine davon konnte noch nicht alt sein. Er nahm den glockenförmigen Helm ab, während er mit Mat sprach. Die Vorderseite seines Schädels war kahlgeschoren. Er war bestimmt kein Lord. Vielleicht war er Soldat gewesen, lange bevor der Bürgerkrieg ausbrach. Ja, seine Männer wüßten, wie man einen Igel bildet. Er hatte wohl noch nie Aiel gegenübergestanden, aber zumindest hatte er gegen Briganten und die Kavallerie Andors gekämpft. Er deutete an, er habe auch gegen andere Soldaten aus Cairhien gefochten, wahrscheinlich im Dienst eines der Häuser, die sich um den Thron stritten. Daerid wirkte weder übereifrig noch zaudernd; es klang wie bei einem Mann, der eine Aufgabe ganz professionell anging. Die Kolonne marschierte wieder ab, als Mat Pips wenden ließ. Sie marschierten in gemäßigtem Schritttempo, und ein kurzer Blick nach hinten zeigte ihm, daß die tairenischen Reiter sich auch nicht schneller bewegten.

Er trieb Pips etwas rascher an, aber nicht viel. Es schien ihm, als könne er die Blicke der Aiel auf seinem Rücken spüren, spüren, wie sie sich fragten, was er wohl gesagt habe und wohin und warum er nun weiterritt. Nur ein Kurier, der seine Nachricht überbracht hat und davonreitet. Nichts Beunruhigendes. Jedenfalls hoffte er, die Aiel dächten genau das, aber seine Schultern entspannten sich nicht, bis er sicher war, daß sie ihn nicht mehr sehen konnten.

Die Truppe aus Cairhien wartete immer noch, wo er sie hatte stehen lassen. Auch ihre Flankendeckung befand sich noch draußen. Flaggen und Cons standen wie ein Dickicht dort, wo sich die Lords versammelt hatten. Mindestens jeder zehnte Mann aus Cairhien schien ein Lord zu sein. Die meisten trugen einfach gearbeitete Brustharnische, und wo etwas Vergoldung oder Silberzierrat zu sehen war, da war es eingedellt, als habe ein betrunkener Schmied den Harnisch bearbeitet. Neben einigen ihrer Reittiere hätte Daerids Pferd noch wie ein Streitroß gewirkt. Konnten sie überhaupt vollbringen, was notwendig war? Doch die ihm zugewandten Gesichter waren hart und die Blicke noch härter.

Jetzt konnte er sich ungehindert bewegen, vor den Aiel verborgen. Er könnte auch weiterreiten. Zumindest nachdem er diesen Burschen erklärt hatte, was von ihnen erwartet wurde. Er hatte die anderen vorwärts in die Falle der Aiel geschickt und konnte sie nun natürlich nicht so einfach im Stich lassen.

Talmanes aus dem Hause Delovinde, dessen Con drei gelbe Sterne auf blauem Grund zeigte und der einen schwarzen Fuchs im Banner führte, war noch kleiner als Daerid und höchstens drei Jahre älter als Mat, doch er führte diese Truppe aus Cairhien an, obwohl ältere Männer zugegen waren und Mat sogar einige graue Schöpfe sah. In seinen Augen lag genausowenig Ausdruck wie in denen Daerids, und irgendwie wirkte er wie eine zusammengerollte Peitsche. Sein Harnisch und Schwert wiesen keinerlei Zierrat auf. Sobald er Mat seinen Namen genannt hatte, lauschte er ruhig, als Mat seinen Plan beschrieb. Mat beugte sich etwas vor und ritzte mit der Schwertklinge an seinem Speer Linien in den Boden, um deutlicher zu machen, was er vorhatte.

Die anderen Lords aus Cairhien versammelten sich auf ihren Pferden um sie und sahen zu, aber keiner so konzentriert wie Talmanes. Talmanes betrachtete die Karte, die er in den Schmutz zeichnete, ganz genau und musterte auch ihn von den Stiefeln bis zum Hut und sogar den Speer. Als er fertig war, sagte der Bursche immer noch nichts, bis Mat ihn anfuhr: »Also? Mir ist es gleich, ob Ihr es so macht oder nicht, aber Eure Freunde werden in kürzester Zeit knietief durch Aielmengen waten müssen.«

»Die Tairener sind nicht meine Freunde. Und Daerid ist ... nützlich. Aber bestimmt kein Freund.« Bei dieser Andeutung schmunzelten die zuschauenden Lords leicht. »Aber ich werde die eine Hälfte befehligen, wenn Ihr die andere führt.«

Talmanes zog einen stahlverstärkten Handschuh aus und streckte ihm die Hand hin. Doch Mat starrte diese Hand zunächst nur verblüfft an. Führen? Er? Ich bin ein Spieler und kein Soldat. Ein Frauenheld. Erinnerungen an lange vergangene Schlachten wirbelten durch seinen Kopf, aber er unterdrückte sie. Er mußte doch einfach nur weiterreiten. Doch dann würde Talmanes vielleicht Estean und Daerid und die anderen in der Bratpfanne zurücklassen. An dem Spieß gebraten, auf den Mat sie gesteckt hatte. Trotz dieser Gedankengänge überraschte er sich selbst damit, daß er die Hand des anderen erfaßte und sagte: »Seid nur zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle.«

Statt einer Antwort begann Talmanes damit, kurz und knapp eine Reihe von Namen aufzurufen. Lords und die Söhne von Lords lenkten ihre Pferde zu Mat hin, jeder von einem Bannerträger und vielleicht einem Dutzend Gefolgsleute begleitet, bis etwa vierhundert Männer aus Cairhien bei ihm standen. Talmanes hatte auch hinterher nicht viel zu sagen; er führte einfach die anderen im Trab nach Westen. Sie zogen eine dünne Staubwolke hinter sich her.

»Bleibt auf jeden Fall zusammen«, sagte Mat zu seiner Hälfte. »Greift an, wenn ich es Euch sage, flieht, wenn ich es Euch sage, und macht keinen unnötigen Lärm.« Natürlich hörte er das Knarren der Sättel und das Hufgeklapper, als sie sich ihm anschlossen, aber wenigstens quatschten sie nicht und stellten keine Fragen. Ein letzter kurzer Blick auf die andere Gruppe mit ihrem Gewirr bunter Banner und Cons, und dann waren sie hinter einer Biegung des Tals verschwunden. Wie war er nur in all dies hineingeraten? Es hatte doch so einfach begonnen. Nur die Leute warnen und dann wieder weg. Jeder weitere Schritt danach kam ihm so klein vor, so unbedeutend, wenn auch notwendig. Und nun steckte er bis zur Hüfte im Schlamm und hatte keine andere Wahl, als weiterzumachen. Er hoffte, Talmanes werde auch wirklich auftauchen. Der Mann hatte noch nicht einmal gefragt, wer er sei.

Das Tal wand und teilte sich, als er sie nach Norden führte, doch er hatte einen guten Riecher, was Richtungen anbetraf. Beispielsweise war ihm völlig klar, wo der Süden und damit die Sicherheit lag, doch er ritt eben nicht in diese Richtung. Dunkle Wolken quollen über der Stadt auf, die ersten dieser Art, die er seit langer Zeit zu sehen bekam. Der Regen würde die Dürre beenden — gut für die Bauern, falls es hier noch welche gab — und den Staub am Boden binden, was für Reiter von Vorteil war, wenn sie ihre Ankunft nicht vorzeitig verraten wollten. Vielleicht würde der Regen die Aiel zum Aufgeben bringen und sie nach Hause zurückkehren lassen? Auch der Wind frischte nun erheblich auf und brachte erfreulicherweise ein wenig Kühle mit sich.

Kampfeslärm trieb über die Hügel zu ihnen herüber, Rufe, Schreie von Männern. Es hatte begonnen.

Mat wendete Pips, hob seinen Speer und schwenkte ihn nach rechts und links. Er war beinahe erschrocken, als seine Männer sich tatsächlich zu zwei langen Reihen formierten, eine rechts und eine links von ihm. Sie blickten bergauf. Die Geste war rein instinktiv gewesen und stammte aus einer ganz anderen Zeit, doch diese Männer waren eben kampferprobt. Er trieb Pips in langsamem Schritt zwischen den verstreuten Bäumen hindurch aufwärts, und sie kamen im gleichen Tempo mit. Nur ihr Zaumzeug klimperte gelegentlich.

Sein erster Gedanke, als er die Kammhöhe erreichte, drückte die Erleichterung darüber aus, daß Talmanes und seine Männer gerade auf dem gegenüberliegenden Hügel in Sicht kamen. Dann jedoch fluchte er.

Daerid hatte mit seinen Leuten den Igel gebildet, ein viereckiges Dickicht von Piken, vier Reihen tief, mit dazwischen verteilten Bogenschützen und einem freien Platz im innern. Die langen Piken machten es den Shaido schwer, heranzukommen, so heftig sie auch anstürmten, und die Bogen- und Armbrustschützen schossen ihre Pfeile und Bolzen ebenso hitzig und schnell ab wie jene unter den Aiel. Männer fielen auf beiden Seiten, doch die Pikeure rückten einfach zusammen, wenn einer von ihnen fiel, und machten das Viereck etwas dichter. Natürlich machten auch die Shaido keineswegs den Eindruck, als wollten sie mit ihren Angriffen nachlassen.

Die Verteidiger des Steins befanden sich im Innenraum und waren abgesessen, und dazu kamen etwa die Hälfte der tairenischen Lords mit ihren Gefolgsmännern. Die Hälfte. Das war es, was ihn hatte fluchen lassen. Der Rest trieb sich zwischen den Aiel in Gruppen von fünf oder zehn Mann oder auch allein herum, stach mit den Lanzen zu oder hieb mit dem Schwert nach den Shaido. Der Anblick einiger Dutzend reiterloser Pferde machte deutlich, mit welchem Erfolg. Melanril war bis auf seinen Bannerträger allein und fuchtelte wild mit seinem Schwert. Zwei Aiel huschten heran und schnitten problemlos seinem Pferd die Sehnen durch. Es stürzte, und sein Kopf zuckte von einer Seite zur anderen. Mat war sicher, daß das Tier schrie, doch der Lärm verschluckte alles. Dann verschwand Melanril hinter mit dem Cadin'sor bekleideten Gestalten, die mit ihren Speeren zustießen. Der Bannerträger überlebte nur ein paar Augenblicke länger.

Die wären wir los, dachte Mat grimmig. Er stellte sich in die Steigbügel, hob seinen Speer mit der Schwertklinge als Spitze und deutete dann damit nach vorn, wobei er schrie: »Los! Los caba'drin!«

Er hätte gern diese Worte zurückgerufen, wäre es möglich gewesen, und das nicht nur, weil sie in der Alten Sprache erklungen waren. Drunten im Tal ging es zu wie in einem überkochenden Kessel. Doch obwohl wahrscheinlich keiner der Männer aus Cairhien das Kommando ›Reiter voran‹ in der Alten Sprache verstand, verstanden sie doch die Geste, spätestens, als er sich wieder in den Sattel setzte und Pips die Fersen spüren ließ. Nicht, daß er dazu die geringste Lust gehabt hätte, aber er hatte keine andere Wahl mehr. Er hatte diese Männer dort hinunter geschickt. Vielleicht wären einige entkommen, hätte er ihnen befohlen, davonzulaufen. Nein, es gab keine andere Wahl mehr.

Mit wehenden Flaggen und Cons donnerten die Männer ihm hangabwärts nach und schrien dabei wild. Mit den Schlachtrufen wollten sie zweifellos ihn imitieren, doch was er mittlerweile schrie, hieß lediglich: »Blut und blutige Asche!« Von der anderen Seite her galoppierte Talmanes mit seinen Leuten genauso schnell auf die Shaido zu.

Die Shaido waren sicher gewesen, alle Feuchtländer eingeschlossen zu haben, und so sahen sie die anderen überhaupt nicht kommen, bis sie von beiden Seiten her über sie hereinbrachen. Dann zuckten die ersten Blitze vom Himmel. Und danach ging es erst richtig zur Sache.

Загрузка...