3 Bleiche Schatten

Rand griff nach Saidin, lenkte die Macht und wob damit Stränge aus Luft, die Natael von seinen Kissen hochrissen. Die vergoldete Harfe polterte auf die dunkelroten Fliesen, während der Mann gegen die Wand gepreßt wurde, so daß er seinen Körper vom Hals bis zu den Waden nicht mehr bewegen konnte. Seine Füße hingen einen halben Schritt über dem Fußboden in der Luft. »Ich habe Euch gewarnt! Gebraucht nie die Macht, wenn jemand anders zugegen ist! Niemals!«

Natael hielt den Kopf auf seine typische Weise schräg, als wolle er Rand von der Seite her ansehen oder ihn beobachten, ohne daß es bemerkt wurde. »Wenn sie es gesehen hätte, dann hätte sie doch geglaubt, Ihr wärt es selbst gewesen.« In seiner Stimme lag keine Entschuldigung, keine Unterwürfigkeit, aber auch keine Herausforderung. Er schien es einfach für eine vernünftige Erklärung zu halten. »Außerdem habt Ihr durstig gewirkt. Ein Hofbarde muß seinem Herrn die Wünsche an den Augen ablesen.« Das war eine seiner kleinen Eitelkeiten, die sich immer wieder einschlichen: Wenn Rand schon der Lord Drache war, dann mußte er der Hofbarde sein und nicht nur ein einfacher Gaukler.

Rand war wütend auf sich selbst, genau wie auf den Mann. Er löste das Gewebe auf und ließ ihn fallen. Ihn so hart anzupacken war dasselbe, als provoziere er Streit mit einem zehnjährigen Jungen. Er konnte die Abschirmung nicht sehen, die den anderen Mann von Saidin abschnitt, da sie das Werk einer Frau war, aber er wußte, sie war vorhanden. Jetzt waren die Kräfte Nataels darauf beschränkt, höchstens einmal wie eben einen Becher zum Schweben zu bringen. Glücklicherweise war die Abschirmung auch für die Wahrnehmung von Frauen unsichtbar. Natael bezeichnete so etwas als ›invertieren‹, aber er schien auch nicht in der Lage zu sein, es näher zu erklären. »Und wenn sie mein Gesicht beobachtet hätte und mißtrauisch geworden wäre? Ich war so überrascht, als wäre der Becher plötzlich von allein losgeflogen!« Er steckte die Pfeife wieder in den Mund und paffte drauflos, daß dicke Rauchschwaden seinen Kopf umgaben.

»Sie wird trotzdem nicht draufkommen.« Der andere Mann ließ sich wieder auf seine Kissen sinken und nahm die Harfe auf. Er zupfte eine Melodie, die irgendwie falsch klang. »Wie könnte denn jemand mißtrauisch werden? Ich glaube das alles ja selbst kaum.« Lag da etwas Bitterkeit in seinem Tonfall? Rand konnte es nicht sagen.

Er konnte die ganze Lage ja auch kaum glauben, obwohl er hart genug daran gearbeitet hatte, es soweit kommen zu lassen. Der Mann vor ihm, Jasin Natael, trug eigentlich einen anderen Namen: Asmodean.

Wie er so gelangweilt auf der Harfe klimperte, wirkte Asmodean überhaupt nicht wie einer der gefürchteten Verlorenen. Er sah sogar recht gut aus, und Rand fand, er wirke bestimmt anziehend auf Frauen. Es schien ja oftmals eigenartig, daß Böses äußerlich nicht zu erkennen war. Jedenfalls war er einer der Verlorenen, und anstatt ihn zu töten, verbarg Rand seine wirkliche Persönlichkeit vor Moiraine und allen anderen. Er benötigte einen Lehrer.

Wenn das auch für Männer galt, was für die Frauen zutraf, die von den Aes Sedai als ›Wilde‹ bezeichnet wurden, dann überlebte einer von Vieren den Versuch, den Gebrauch der Macht allein und ohne richtige Anleitung zu erlernen. Und dabei rechnete er die Gefahr des Wahnsinnigwerdens gar nicht mit ein. Sein Lehrer mußte ein Mann sein. Moiraine und andere hatten ihm oft genug erklärt, daß ein Vogel einem Fisch nicht beibringen könne, wie man fliegt, und der Fisch dem Vogel nicht, wie man schwimmt. Und sein Lehrer mußte über Erfahrung verfügen, mußte bereits all das kennen, was er lernen mußte. Da die Aes Sedai jeden Mann einer Dämpfung unterzogen, den man beim Gebrauch der Macht ertappte —und jedes Jahr wurden weniger gefunden —, hatte er keine andere Wahl. Ein Mann, der lediglich diese Fähigkeit zum Gebrauch der Macht an sich entdeckt hatte, wußte auch nicht mehr als er selbst. Ein falscher Drache, der mit der Macht umgehen konnte — falls Rand einen aufspürte, der noch nicht gefangen und der Dämpfung unterzogen war —, würde kaum seine eigenen Träume vom Ruhm für einen anderen aufgeben, der ebenfalls behauptete, der Wiedergeborene Drache zu sein. Was blieb da noch, an wen sollte er sich halten, wenn nicht an einen der Verlorenen?

Asmodean spielte einige freie Akkorde, während sich Rand ihm gegenüber auf ein Kissen setzte. Es war wichtig, sich immer daran zu erinnern, daß der Mann sich nicht geändert hatte, innerlich jedenfalls nicht, seit dem Tag vor so langer Zeit, als er seine Seele dem Schatten verschworen hatte. Was er jetzt tat, geschah nur unter Zwang. Er hatte sich nicht zum Licht bekehrt. »Denkt Ihr gelegentlich daran, zurückzukehren, Natael?« Er achtete immer darauf, diesen Namen zu benützen. Eine Andeutung von ›Asmodean‹, und Moiraine wäre sicher, daß er selbst zum Schatten übergelaufen sei. Moiraine, und andere vielleicht auch. Das würden sowohl er wie auch Asmodean vermutlich nicht überleben.

Die Hände des Mannes an den Saiten erstarrten; sein Gesicht blieb jedoch völlig ausdruckslos. »Zurückkehren? Demandred, Rahvin, jeder von ihnen würde mich jetzt augenblicklich töten. Falls ich Glück habe. Alle außer vielleicht Lanfear, und Ihr werdet verstehen, daß ich sie auch nicht gern auf die Probe stellen möchte. Semirhage könnte einen Felsblock dazu bringen, daß er sie um Gnade bittet und ihr für den Tod noch dankt. Und was den Großen Herrn...«

»Den Dunklen König«, unterbrach ihn Rand in scharfem Ton, ohne die Pfeife aus dem Mund zu nehmen. Die Schattenfreunde nannten den Dunklen König den ›Großen Herrn der Dunkelheit‹. Die Schattenfreunde und die Verlorenen.

Asmodean neigte kurz und gehorsam den Kopf. »Wenn der Dunkle König freikommt...« Vorher war sein Gesicht ausdruckslos gewesen, doch nun zeigte sich vollkommene Niedergeschlagenheit auf seinen Zügen. »Es wird genügen, wenn ich Euch sage, daß ich in diesem Falle Semirhage aufsuche und mich in ihre Hände gebe, bevor ich mich der Strafe des... des Dunklen Königs für meinen Verrat stelle.«

»Dann ist es ja gut, wenn Ihr Euch hier befindet und mich weiter ausbildet.«

Trauermusik erklang von der Harfe, erzählte von Verlust und Tod. »›Der Todesmarsch‹«, erklärte Asmodean beim Spielen, »der letzte Satz des Großen Passionszyklus, der etwa dreihundert Jahre vor dem Krieg um die Macht komponiert wurde, ich glaube, von...«

Rand schnitt ihm das Wort ab: »Ihr unterrichtet mich nicht sehr gut.«

»So gut, wie man es unter diesen Bedingungen erwarten kann. Mittlerweile könnt Ihr jedesmal Saidin erreichen, wenn Ihr es versucht, und auch einen Strang vom anderen unterscheiden und sie auseinanderhalten. Ihr könnt Euch abschirmen, und die Macht tut, was Ihr wollt.« Er hörte mit dem Harfespielen auf und runzelte die Stirn, sah aber Rand nicht an. »Glaubt Ihr, Lanfear wollte, daß ich Euch wirklich alles beibringe? Wenn sie das beabsichtigt hätte, wäre sie hiergeblieben damit sie uns verknüpfen hätte können. Sie will, daß Ihr überlebt, Lews Therin, aber diesmal will sie die stärkere von Euch beiden sein.«

»Nennt mich nicht so!« fuhr ihn Rand an, aber Asmodean schien nicht hinzuhören.

»Falls Ihr das gemeinsam geplant habt — mir eine Falle zu stellen...« Rand spürte, wie etwas in Asmodean anschwoll, als überprüfe der Verlorene die Abschirmung, die Lanfear um ihn gewoben hatte. Frauen, die die Macht lenken konnten, sahen einen Lichtschein um eine andere Frau, die gerade Verbindung mit Saidar hatte, und fühlten auch ganz deutlich, wie sie wob, doch er sah niemals Asmodean etwas an und spürte nur wenig. »Falls Ihr das zusammen geplant habt, dann habt Ihr euch von ihr auf mehr als nur einer Ebene überlisten lassen. Ich habe Euch doch gesagt, daß ich kein sehr guter Lehrer bin, besonders ohne eine Verknüpfung. Ihr habt das doch gemeinsam geplant, oder?« Jetzt blickte er Rand an, wohl von der Seite her, aber doch sehr eindringlich. »An wieviel erinnert Ihr euch? An Euer Leben als Lews Therin, meine ich. Sie behauptete, Ihr erinnert Euch an gar nichts, aber sie könnte auch den Gr... den Dunklen König selbst belügen.«

»Diesmal hat sie die Wahrheit gesagt.« Er setzte sich auf dem Kissen zurecht und ließ mit Hilfe der Macht einen von den Häuptlingen unberührten Silberbecher heranschweben. Selbst eine so kurze Berührung Saidins war ein erhebendes Gefühl — und schmutzig. Und es war schwer, wieder loszulassen. Er wollte nicht von Lews Therin sprechen. Er hatte genug davon, daß Menschen glaubten, er sei Lews Therin. Bei der Pafferei war der Kopf seiner Pfeife ganz heiß geworden, also hielt er sie am Stiel und gestikulierte damit. »Wenn das Verknüpfen Euch dabei hilft, mich zu unterweisen, warum tun wir's dann nicht?«

Asmodean sah ihn an, als habe er ihn gefragt, warum er keine Steine äße, und schüttelte dann den Kopf. »Ich vergesse immer, wie wenig Ihr tatsächlich wißt. Ihr und ich, wir können uns nicht verknüpfen. Nicht ohne eine Frau als Bindeglied. Ihr könntet vielleicht Moiraine darum bitten, schätze ich, oder das Mädchen Egwene. Eine von ihnen findet vielleicht die richtige Methode heraus. Falls Ihr nichts dagegen habt, daß sie herausfinden, wer ich bin.«

»Lügt mich nicht an, Natael«, grollte Rand. Lange bevor er Natael kennenlernte, hatte er erfahren, daß sich das Weben der Macht bei Männern und Frauen so unterschied, wie eben Männer und Frauen unterschiedlich waren, aber er stellte alles, was der Mann sagte, lieber erst einmal in Frage. »Ich habe gehört, wie Egwene und andere darüber sprachen, daß Aes Sedai ihre Kräfte miteinander verknüpfen. Wenn sie das können, warum dann nicht Ihr und ich?«

»Weil wir das eben nicht können.« Asmodeans Tonfall sprach von Frustration. »Fragt einen Philosophen, wenn Ihr wissen wollt, warum das so ist. Warum können Hunde nicht fliegen? Vielleicht gleicht das Muster auf diese Art aus, daß Männer im allgemeinen stärker sind als Frauen? Wir können uns ohne ihre Hilfe nicht verknüpfen, aber sie können es ohne uns. Jedenfalls bis zu dreizehn von ihnen. Ein kleiner Trost, denn darüber hinaus benötigen sie doch wieder Männer, um den Kreis zu erweitern.«

Rand war diesmal sicher, ihn bei einer Lüge ertappt zu haben. Moiraine hatte gesagt, daß im Zeitalter der Legenden Männer und Frauen gleich stark im Gebrauch der Macht gewesen seien, und sie konnte nicht lügen. Das sagte er ihm und fügte noch hinzu: »Die Fünf Mächte sind gleichwertig.«

»Erde, Feuer, Luft, Wasser und Geist.« Natael ließ für jede einen Akkord erklingen. »Sie sind gleichwertig, das stimmt, und es ist auch wahr, daß alles, was ein Mann mit einer davon erreichen kann, auch von einer Frau erreicht werden kann. Jedenfalls Entsprechendes. Aber das hat nichts damit zu tun, daß Männer stärker sind. Was Moiraine für wahr hält, das berichtet sie als Tatsache, ob es nun eine ist oder nicht. Das ist eine von tausend Schwächen an diesen närrischen Eiden.« Er spielte etwas, das wirklich ziemlich närrisch klang. »Einige Frauen haben stärkere Arme als einige Männer, aber im allgemeinen verhält es sich andersherum. Dasselbe gilt für die Stärke im Umgang mit der Macht, und zwar etwa im gleichen Verhältnis.«

Rand nickte bedächtig. Es ergab schon einen Sinn — auf gewisse Weise. Elayne und Egwene hielt man für zwei der stärksten Frauen, die in den letzten tausend Jahren oder mehr in der Burg ausgebildet wurden. Er hatte einmal seine Kräfte an ihnen ausprobiert, und Elayne hatte ihm später gestanden, sie habe sich gefühlt wie ein Kätzchen, das von einem Kampfhund gepackt wird.

Asmodean war noch nicht fertig. »Wenn sich zwei Frauen verknüpfen, verdoppeln sie ihre Kraft, obwohl das Verknüpfen nicht so einfach ist, da man nicht bloß die Kräfte der einzelnen zusammenwerfen kann. Doch wenn sie stark genug sind, können sie es mit einem Mann aufnehmen. Und wenn sie gar einen Kreis von dreizehn bilden, müßt Ihr euch in acht nehmen. Dreizehn Frauen könnten es verknüpft wohl auch mit dem stärksten Mann aufnehmen, selbst wenn sie noch kaum die Macht beherrschen. Die dreizehn schwächsten Frauen in der Burg könnten Euch oder jeden anderen Mann überwältigen und kämen dabei nicht einmal außer Atem. Ich habe in Arad Doman einmal ein Sprichwort gehört: Je mehr Frauen in der Nähe sind, desto unauffälliger verhält sich der weise Mann. Es wäre vielleicht gut, Euch später daran zu erinnern.«

Rand schauderte und dachte zurück an die Zeit, als er sich unter weit mehr als dreizehn Aes Sedai aufgehalten hatte. Sicher, die meisten von ihnen hatten nicht gewußt, wer er war. Falls sie das geahnt hätten... Wenn Egwene und Moiraine sich verknüpften... Er wollte nicht glauben, daß sich Egwene so weit der Burg genähert und sich von ihrer Freundschaft entfernt hatte. Was sie auch tut, unternimmt sie von ganzem Herzen, und sie will eine Aes Sedai werden. Genau wie Elayne.

Er trank lange, doch auch der halbe Becher Wein konnte den Gedanken nicht wegspülen. »Was könnt Ihr mir noch von den Verlorenen berichten?« Er war sicher, diese Frage schon hundertmal gestellt zu haben, aber er hoffte immer, es ergäbe sich noch irgendeine Kleinigkeit, die auszugraben sich lohnte. Besser, als daran zu denken, daß sich Egwene und Moiraine verknüpften, um...

»Ich habe Euch alles gesagt, was ich weiß.« Asmodean seufzte schwer. »Wir waren selbst im besten Fall kaum so etwas wie Freunde. Glaubt Ihr, ich verberge Euch etwas? Ich weiß nicht, wo sich die anderen aufhalten, falls es das ist, was Ihr hören wollt. Außer bei Sammael, und Ihr wußtet bereits, daß er sich in Illian auf den Königsthron gesetzt hat, bevor ich es Euch sagte. Graendal befand sich eine Zeitlang in Arad Doman, aber ich denke, sie wird wohl mittlerweile weg sein. Ihr ist ein bequemes Leben lieber. Ich glaube, daß sich Moghedien ebenfalls irgendwo im Westen aufhält oder zumindest eine Zeitlang dort war, aber niemand kann die Spinne aufspüren, wenn sie sich nicht finden lassen will. Rahvin hat eine Königin unter seinen kleinen Geliebten, aber ich weiß genausowenig wie Ihr, welches Land sie für ihn regiert. Und das ist alles, was ich weiß, um Euch zu helfen, sie ausfindig zu machen.«

Rand hatte das alles schon gehört. Ihm schien, Asmodean habe alles, was er über die Verlorenen wußte, bestimmt schon fünfzigmal wiederholt. So oft, daß es ihm manchmal schien, er habe schon immer gewußt, was ihm der Mann berichtete. Manches davon hätte er lieber gar nicht erfahren, wie beispielsweise die Dinge, die Semirhage amüsant fand, und einiges ergab auch keinen Sinn. Demandred sollte zum Schatten übergelaufen sein, weil er Lews Therin Telamon beneidete? Rand konnte sich nicht vorstellen, daß man jemanden derart beneidete, um etwas dagegen zu unternehmen, und wenn, dann ganz bestimmt nicht ausgerechnet das! Asmodean behauptete, ihn habe der Gedanke an Unsterblichkeit, an endlose Zeitalter voller Musik, dazu verführt. Er sei auch vorher schon ein bekannter Komponist gewesen. Sinnlos. Und doch konnte in dieser Fülle von oftmals grauenhaften Informationen der Schlüssel zu finden sein, wie er Tarmon Gai'don überlebte. Was er auch Moiraine erzählte: Er wußte, er würde sich ihnen spätestens dann, vielleicht aber früher, zum Kampf stellen müssen. So leerte er seinen Becher und stellte ihn auf den Boden. Mit dem Wein konnte er die Wirklichkeit nicht wegspülen.

Der Vorhang aus Perlenschnüren klickte heftig, und er sah sich nach hinten um. Gai'schain kamen herein, in Weiß gehüllt und schweigend, wie immer. Während ein paar begannen, die Speisen und Getränke abzuräumen, die sie für ihn und die Häuptlinge aufgetragen hatten, trug ein anderer, ein Mann, ein großes Silbertablett zum Tisch. Darauf standen bedeckte Schüsseln, ein Silberbecher und zwei große, grüngestreifte Steingutkrüge. Im einen befand sich bestimmt Wein und im anderen Wasser. Eine Gai'schain-Frau brachte eine bereits angezündete vergoldete Lampe herein und stellte sie neben das Tablett. Durch die Fenster sah er, daß der Himmel sich im Sonnenuntergang gelbrötlich färbte. Während dieser kurzen Zeitspanne zwischen Glut und Eiseskälte war die Luft tatsächlich von einer angenehmen Temperatur.

Rand stand auf, als die Gai'schain hinausgingen, ging aber noch nicht hinüber. »Was haltet Ihr von meinen Chancen, wenn die Letzte Schlacht kommt, Natael?«

Asmodean, der gerade rotblaugestreifte Wolldecken hinter den Sitzkissen hervorzog, zögerte und blickte zu ihm auf. Den Kopf hielt er auf seine typische Art etwas geneigt. »Ihr habt... etwas gefunden... auf dem Platz, als wir dort zusammentrafen.«

»Vergeßt es«, sagte Rand mit harter Stimme. Es waren außerdem zwei gewesen und nicht nur einer. »Ich habe es sowieso zerstört.« Er glaubte, Asmodeans Schultern ein wenig herabsacken zu sehen.

»Dann wird — der Dunkle König — Euch lebendig verschlingen. Was mich betrifft, beabsichtige ich, mir in der Stunde, in der ich erfahre, er sei frei, die Pulsadern aufzuschneiden. Ein schneller Tod ist besser als das, was ich sonst finden werde.« Er warf die Decken zur Seite und setzte sich, wobei er trübselig ins Leere starrte. »Besser als wahnsinnig zu werden. Jetzt bin ich dem ja genauso ausgeliefert wie Ihr. Ihr habt die Bande zerrissen, die mich davor bewahrten.« Es lag keine Bitterkeit in seinem Tonfall; nur Hoffnungslosigkeit.

»Was ist, wenn es noch eine andere Möglichkeit gibt, sich gegen die Verderbnis zu schützen?« wollte Rand wissen. »Was, wenn es irgendwie entfernt werden kann? Würdet Ihr euch dann auch noch umbringen?«

Asmodeans hartes Lachen wirkte absolut ätzend. »Der Schatten soll mich holen! Ihr müßt wohl langsam glauben, Ihr wärt der verdammte Schöpfer selbst! Wir sind tot! Beide. Tot! Seid Ihr zu blind vor Stolz, um das einzusehen? Oder seid Ihr einfach zu schwer von Begriff, Ihr hoffnungsloser Schafhirte?«

Rand ließ sich nicht provozieren. »Warum macht Ihr dann nicht zu und beendet Euer Leben?« fragte er mit tonloser Stimme. Ich war nicht so blind, daß ich nicht gemerkt hätte, was du und Lanfear vorhattet. Ich war nicht schwer genug von Begriff, um sie zu überlisten und dich in die Falle zu locken. »Wenn es keine Hoffnung gibt, keine Chance, nicht einmal die kleinste... warum seid Ihr dann noch am Leben?«

Asmodean blickte ihn immer noch nicht an und rieb sich dafür den einen Nasenflügel. »Ich habe einst einen Mann gesehen, der an einer Klippe hing«, sagte er nachdenklich. »Die Kante ist unter seinen Fingern abgebröckelt, und alles, woran er sich festhalten konnte, war ein Grasbüschel, nur ein paar lange Halme, deren Wurzeln sich mühsam an den Felsen klammerten. Das war die einzige Chance, die er besaß, um wieder auf die Klippe hochzuklettern. Also hat er zugepackt.« In seinem plötzlichen leisen Auflachen schwang keinerlei Freude mit. »Er muß gewußt haben, daß sich das Grasbüschel lösen würde.«

»Habt Ihr ihn gerettet?« fragte Rand, doch Asmodean antwortete nicht.

Als Rand zur Tür gehen wollte, erklang hinter ihm wieder die Melodie des ›Todesmarsches‹.

Die Perlenschnüre fielen hinter ihm zu, und die fünf Töchter des Speers, die in dem breiten, leeren Flur gewartet hatten, standen leichtfüßig auf, nachdem sie offenbar die ganze Zeit über auf den hellblauen Fliesen gehockt hatten. Alle bis auf eine waren sehr groß für Frauen, allerdings nicht unbedingt nach Aielmaßstäben. Ihrer Anführerin, Adelin, fehlte kaum mehr als eine Handbreit, um ihm in die Augen sehen zu können. Die Ausnahme, ein feuriger Rotschopf namens Enaila, war nicht größer als Egwene und außerordentlich empfindlich ihrer geringen Größe wegen.

Wie bei den Clanhäuptlingen waren ihre Augen alle blau oder grau oder grün und ihr Haar hellbraun oder blond oder rot. Das Haar hatten sie kurz geschnitten bis auf eine Art von Pferdeschwanz. Auf der einen Seite ihrer Gürtel hingen gefüllte Köcher und auf der anderen lange Messer. Auf dem Rücken trugen sie in Futterale gesteckte Hornbögen. Jede hielt drei oder vier kurze Speere mit langen, blattförmigen Spitzen in der Hand und hatte am Arm einen runden Schild aus Stierleder. Aielfrauen, die Herd und Kinder ablehnten, hatten ihre eigene Kriegergemeinschaft: Far Dareis Mai, die Töchter des Speers.

Er begrüßte sie mit einer leichten Verbeugung, was sie zum Lächeln brachte. Es war keine Aielsitte, jedenfalls nicht auf diese Art und Weise, wie man sie ihm beigebracht hatte. »Ich sehe Euch, Adelin«, sagte er. »Wo ist Joinde? Ich dachte, sie sei vorher bei Euch gewesen? Ist sie krank geworden?«

»Ich sehe Euch, Rand al'Thor«, antwortete sie. Ihr hellblondes Haar erschien noch bleicher da es ein sonnengebräuntes Gesicht umrahmte. Über eine Wange verlief eine dünne, weiße Narbe. »Auf gewisse Weise. Sie hat den ganzen Tag schon Selbstgespräche geführt, und vor nicht einmal einer Stunde ging sie los, um Garan von den Jhirad-Goshien einen Brautkranz vor die Füße zu legen.« Ein paar der anderen schüttelten die Köpfe. Zu heiraten bedeutete auch, den Speer aufgeben zu müssen. »Morgen ist sein letzter Tag als ihr Gai'schain. Joinde gehört zu den Schwarzfelsen-Shaarad«, fügte sie in bedeutungsvollem Tonfall hinzu. Es hatte auch seine Bedeutung, denn obwohl es öfters vorkam, daß Männer oder Frauen heirateten, die als Gai'schain dienen mußten, geschah das nur selten zwischen Clans, die eine Blutfehde ausfochten, auch wenn diese gerade ausgesetzt war.

»Das ist eine Krankheit, die sich im Augenblick ausbreitet«, stellte Enaila hitzig fest. Ihre Stimme klang gewöhnlich so rotglühend, wie ihr Haar war. »Jeden Tag, seit wir nach Rhuidean kamen, flechten ein oder zwei Töchter des Speers Brautkränze.«

Rand nickte und hoffte, sie würden es als Sympathiekundgebung auffassen. Dabei war alles seine Schuld. Doch wenn er ihnen das sagte, müßte er sich fragen, wie viele noch riskieren würden, in seiner Nähe zu bleiben. Vielleicht alle, denn die Ehre verlangte es von ihnen, und Angst hatten sie genausowenig wie die Clanhäuptlinge. Zumindest drohten bisher nur Hochzeiten, und selbst die Töchter des Speers würden eine Heirat dem vorziehen, was andere schon erlebt hatten. Vielleicht —oder? »Ich werde gleich gehen, nur einen Moment noch«, sagte er zu ihnen.

»Wir werden geduldig warten«, sagte Adelin. Es sah aber kaum geduldig aus, wie sie alle dastanden, katzengleich, bereit, im nächsten Augenblick zu springen.

Er brauchte wirklich nur einen Moment, um zu tun, was er sich vorgenommen hatte. Er verwob Stränge von Geist und Feuer um den gesamten Raum herum und nabelte sie ab, damit das Gewebe von allein hielt. Jeder konnte den Raum betreten oder verlassen — außer einem Mann, der die Macht benützen konnte. Wenn er selbst oder Asmodean einträten, wäre das, als durchschritten sie eine massive Flammenmauer. Er hatte dieses Gewebe durch Zufall entdeckt, und auch, daß Asmodean, so abgeschirmt wie er jetzt war, zu schwach war, um sich mit Hilfe der Macht daraus zu befreien. Wahrscheinlich würde niemand die Aktivitäten eines Gauklers in Frage stellen, aber falls doch, dann hatte Jasin Natael es eben vorgezogen, so weit wie in Rhuidean möglich von den Aiel entfernt zu schlafen. Das war etwas, das ihm zumindest Hadnan Kaderes Fahrer und Wächter nachfühlen konnten. Und auf diese Weise wußte Rand genau, wo sich der Mann bei Nacht aufhielt. Die Töchter stellten ihm keine Fragen.

Er wandte sich ab. Die Töchter folgten ihm, bildeten einen schützenden Fächer um ihn, als erwarteten sie jeden Moment einen Angriff, und das sogar hier. Asmodean spielte immer noch seine Totenklage.

Mat Cauthon hatte die Arme nach beiden Seiten ausgestreckt und schritt damit über die breite weiße Umrandung des trockenen Brunnens, wobei er den Männern vorsang, die ihm im schwächer werdenden Tageslicht zusahen.

Wir trinken den Wein, bis der Becher geleert,

und küssen das Mädchen, bis es sich nicht mehr wehrt.

Wir würfeln um alles, was des Würfelns wert, und dann tanzen wir mit dem Schwarzen Mann.

Nach der Hitze des Tages schien die Luft richtig kalt, und er dachte kurz daran, seinen feinen grünseidenen Mantel mit den goldenen Stickereien zuzuknöpfen, doch dieses von den Aiel Oosquai genannte Getränk ließ seinen Kopf schwimmen, und so verflog der Gedanke wieder. Auf einem kleinen Sockel im staubigen Brunnenbecken standen weiße Steinfiguren in Form von drei Frauen, zwanzig Fuß hoch und unbekleidet. Jede hatte eine Hand erhoben, während die andere einen mächtigen Steinkrug auf der Schulter festhielt. Die Krüge waren geneigt, um ihr Wasser in das Becken zu gießen. Bei einer fehlten der Kopf und die erhobene Hand, und bei einer anderen war der Krug zersprungen.

Wir tanzen und unsre Füße sind bloß. Dann springen die Mädchen uns auf den Schoß. Am Morgen erst lassen wir sie wieder los, und dann tanzen wir mit dem Schwarzen Mann.

»Ein schönes Lied, und dann auch noch über den Tod!« rief einer der Wagenfahrer im Lugarder Dialekt. Kaderes Männer hielten sich eng zusammengedrängt an einer Seite des Brunnens auf, so weit wie möglich von den Aielmännern entfernt. Es waren wohl alles kampferprobte Männer mit harten Gesichtern, aber jedem von ihnen war klar, daß jeder einzelne der Aiel ihnen bei einem falschen Blick die Kehle aufschlitzen könne. Und ganz unrecht hatten sie damit nicht. »Ich habe meine alte Großmutter vom Schwarzen Mann erzählen hören«, fuhr der Lugarder mit den abstehenden Ohren fort. »Ich find's nicht richtig, so über den Tod zu singen.«

Mat überlegte mit trunkenem Hirn, wie er auf dieses Lied gekommen war. Er verzog das Gesicht. Keiner hatte ›Tanz mit dem Schwarzen Mann‹ mehr gehört, seit Aldeschar erobert wurde. In seinem Kopf erklang immer noch das trotzige Lied, das die Goldenen Löwen bei ihrem letzten vergeblichen Angriff auf das Heer Artur Falkenflügels gesungen hatten, als sie bereits eingeschlossen waren. Na, wenigstens hatte er nicht wieder in der Alten Sprache geplappert. Er war auch nicht halb so betrunken, wie er nun wirken mochte, aber natürlich hatte er schon ein paar Becher Oosquai zuviel getrunken. Das Zeug sah aus und schmeckte auch wie braunes Wasser, aber man bekam davon einen Schlag, als ob einen ein Maultier vor den Kopf trat. Moiraine wird mich doch noch in die Burg verfrachten, wenn ich nicht vorsichtig bin. Na, das würde mich zumindest von Rand und der Wüste wegbringen. Vielleicht war er doch trunkener, als er selbst glaubte, wenn er das schon für einen guten Tausch hielt. So nahm er sich ein anderes Lied vor, den ›Kesselflicker in der Küche‹.

Kesselflicker in der Küche, schaff nur, schaff geschwind.

Die Hausfrau zieht sich oben aus, denn fort sind Mann und Kind.

Sie tanzt die Trepp herab und löst dabei den Zopf. »Kesselflickerjunge, ach, flickst du mir noch einen Topf?«

Einige von Kaderes Männern grölten mit, während er zu dem Fleck zurücktanzte, an dem er begonnen hatte. Die Aiel sangen nicht mit, denn bei ihnen sangen Männer ausschließlich Schlachtengesänge oder Totenklagen für die Gefallenen, und die Töchter des Speers sangen auch nur, wenn sie allein beieinander waren.

Zwei Aielmänner saßen auf dem Brunnenrand und zeigten keinerlei Anzeichen der Wirkung des Oosquai, den sie konsumiert hatten. Höchstens wirkten ihre Augen ein ganz klein wenig glasig. Er wäre so gern wieder in Gegenden gelangt, wo diese hellen Augen eine Seltenheit waren. Wo er aufgewachsen war, hatte er — von Rand abgesehen — nur braune oder schwarze Augen gesehen.

Ein paar Holzstücke, meist wurmstichige Beine oder Armlehnen von Stühlen, lagen auf den breiten Pflastersteinen herum. Dort standen keine Zuschauer. Ein leeres rotes Tongefäß lag neben dem Brunnenrand, und dazu eines, das noch etwas Oosquai enthielt. Auch ein silberner Becher lag dabei. Diese Dinge dienten einem Spiel. Man mußte in einem Zug trinken und dann mit dem Messer ein in die Luft geworfenes Ziel treffen. Keiner von Kaderes Männern und nur wenige Aiel wollten noch mit ihm würfeln, da er so oft gewann, und Karten spielten sie nicht. Messerwerfen galt dagegen als etwas ganz anderes, besonders, wenn auch noch der Oosquai im Spiel war. Er hatte nicht so oft gewonnen wie beim Würfeln, aber im Becken unter seinem Platz am Brunnenrand lagen ein halbes Dutzend gehämmerter Goldbecher, ein paar Armreifen und Halsketten mit Rubinen, Mondsteinen oder Saphiren, und auch noch ein kleiner Stapel Münzen. Neben seinen Gewinnen lagen noch sein flacher Hut und ein eigenartiger Speer mit einem schwarzen Schaft. Einige der Gegenstände waren sogar von Aiel selbst hergestellt worden, wie man sah. Normalerweise zahlten sie lieber mit Beutestücken als mit Münzen, wenn sie verloren hatten.

Corman, einer der beiden Aiel auf der Umrandung, blickte zu ihm auf, als er mit Singen innehielt. Schräg über seine Nase verlief eine weiße Narbe. »Ihr seid beinahe genauso gut mit dem Messer wie beim Würfeln, Matrim Cauthon. Sollen wir Schluß machen? Die Sonne geht unter.«

»Es ist doch noch hell genug.« Mat blinzelte zum Himmel empor. Bleiche Schatten bedeckten alles hier im Tal von Rhuidean, doch gegen den Himmel konnte man immer noch sehen, wie sich die Gebäude abzeichneten. »Bei dem Licht konnte auch meine Großmutter noch ihr Ziel treffen. Ich könnte es mit verbundenen Augen schaffen.«

Jenric, der andere der beiden Aiel, sah sich nach den Zuschauern um. »Sind hier auch Frauen zugegen?« Er war wie ein Bär gebaut und hielt sich für geistreich. »So redet ein Mann doch nur, wenn er Frauen beeindrucken will.« Die unter den Zuschauern verstreuten Töchter des Speers lachten genauso wie die anderen Männer, wenn nicht noch schallender.

»Glaubt Ihr etwa, ich kann das nicht?« knurrte Mat und zog sich das dunkle Halstuch ab, mit dem er immer die Narbe verbarg, wo man ihn aufgehängt hatte. »Schrei einfach ›Jetzt‹, wenn du es hochwirfst, Corman.« Schnell band er sich das Halstuch über die Augen und zog eines seiner Messer aus dem Ärmel. Das lauteste Geräusch, das er hören konnte, war das schwere Atmen der Zuschauer. Nicht betrunken? Ich muß doch stockbesoffen sein! Und doch fühlte er plötzlich sein Glück aufsteigen, diesen eigenartigen Schwall, wie sonst, wenn er wußte, wie viele Augen die Würfel zeigen würden, sobald sie still lagen. Sein Kopf schien dadurch sogar ein wenig klarer zu werden. »Werf schon«, murmelte er gelassen.

»Jetzt!« rief Corman, und Mats Arm bog sich zurück und schnellte dann nach vorn.

In der Stille klang der wuchtige Aufschlag von Stahl in Holz genauso laut wie das Klappern des Ziels auf das Pflaster.

Keiner sprach ein Wort, als er sich das Tuch wieder um den Hals schlang. Auf der offenen Fläche lag ein Stück von einer Stuhllehne, nicht größer als seine Hand. Sein Messer steckte tief und genau in der Mitte. Corman hatte, wie es schien, auch noch ein viel kleineres Ziel geworfen als üblich. Nun, er hatte ja kein bestimmtes Ziel mit ihm abgesprochen. Mit einem Mal wurde ihm klar, daß er nicht einmal gewettet hatte.

Schließlich stieß einer von Kaderes Männern hervor: »Das Glück des Dunklen Königs war das!«

»Das Glück ist wie jedes andere Pferd. Man kann darauf reiten«, sagte Mat leise, mehr zu sich selbst. Gleich, wo es herrührte. Er hatte ja auch keine Ahnung, wieso er solches Glück hatte, doch ausnützen wollte er es, so gut es überhaupt möglich war.

So leise er auch gesprochen hatte: Jenric sah ihn mit gerunzelter Stirn an. »Was habt Ihr da gesagt, Matrim Cauthon?«

Mat öffnete den Mund, um seine Worte zu wiederholen, doch dann schloß er ihn wieder, als er die Worte klar vor sich sah: Sene sovya caba'donde ain dovienya. Die Alte Sprache. »Ach, nichts«, murmelte er. »Ich führe nur Selbstgespräche.« Die Zuschauer zerstreuten sich nun langsam. »Ich denke, nun ist es wirklich langsam zu dunkel, um weiterzumachen.«

Corman stellte einen Fuß auf das Holzstück, um Mats Messer herauszuziehen, und brachte es ihm zurück. »Irgendwann einmal wieder, Matrim Cauthon.

Irgendwann.« So drückten sich die Aiel aus, wenn sie ›nie‹ meinten, es aber nicht aussprechen wollten.

Mat nickte, als er die Klinge in eine der Scheiden in seinem Ärmel zurücksteckte. Es war das gleiche wie damals, als er dreiundzwanzigmal hintereinander sechs Sechser gewürfelt hatte. Er konnte es ihnen kaum übelnehmen. Aber Glück zu haben war doch noch keineswegs alles. Mit etwas Neid stellte er fest, daß keiner der Aiel auch nur im geringsten schwankte, als er sich der sich zerstreuenden Menge anschloß.

Mat fuhr sich mit der Hand durchs Haar und setzte sich schwerfällig auf den Brunnenrand. Die fremden Erinnerungen, die einst wie die Rosinen im Kuchen in seinem Verstand eingebettet gelegen hatten, verschwammen nun mit seinen eigenen. Mit einem Teil seines Verstands wußte er, daß er vor zwanzig Jahren im Gebiet der Zwei Flüsse geboren worden war, aber andererseits erinnerte er sich auch deutlich daran, wie er den Flügelangriff geleitet hatte, der die Trollocs bei Maighande zurückgeschlagen hatte, oder daran, wie er am Hof von Tarmandewin getanzt hatte, und an hundert, ja tausend andere Dinge. Zumeist an Schlachten. Er erinnerte sich daran, öfter gestorben zu sein, als ihm lieb war. Es gab keine deutlichen Nahtstellen mehr zwischen den Leben. Er konnte nur noch mit äußerster Konzentration die eigenen Erinnerungen von den fremden unterscheiden.

Er faßte nach hinten und setzte sich den breitkrempigen Hut auf. Dann holte er den eigenartigen Speer nach vorn und legte ihn sich über die Knie. Statt einer normalen Speerspitze wies er etwas auf, das wie eine zwei Fuß lange Schwertklinge aussah, mit einem Paar eingravierter Raben darauf. Lan sagte, diese Klinge sei während des Kriegs um die Macht, des Schattenkriegs, mit Hilfe der Einen Macht geschmiedet worden. Der Behüter behauptete, sie müsse niemals geschärft werden und würde nie brechen. Mat hatte nicht vor, darauf zu vertrauen, außer er war dazu gezwungen. Sie hatte ja dreitausend Jahre überdauert, doch er traute der Einen Macht recht wenig. Am schwarzen Schaft zog sich eine kursiv geschriebene Textzeile entlang, die an beiden Seiten jeweils in einem Raben endete. Das Ganze war in einem Metall eingelegt, das noch dunkler als das Holz selbst war. In der Alten Sprache, aber die konnte er natürlich jetzt lesen.

Somit ist unser Vertrag festgelegt und die Vereinbarung geschlossen. Der Gedanke ist der Pfeil der Zeit;

die Erinnerung verblaßt niemals. Was verlangt worden war, wurde gegeben. Der Preis ist bezahlt.

Etwa eine halbe Meile entfernt die breite Straße hinunter befand sich ein Platz, den man in jeder anderen Stadt als groß bezeichnet hätte. Die Aielhändler waren zur Nacht verschwunden, aber ihre Buden standen noch da. Sie bestanden aus einer Art graubrauner Wolle, wie sie die Aiel für ihre Zelte verwendeten. Hunderte von Händlern aus allen Teilen der Wüste waren nach Rhuidean gekommen. So war der größte Markt entstanden, den die Aiel jemals erlebt hatten, und es kamen jeden Tag noch immer mehr an. Die Händler hatten zu den ersten gehört, die sich tatsächlich in der Stadt fest niedergelassen hatten und nun hier wohnten.

In die andere Richtung wollte Mat gar nicht schauen. Dort befand sich der große Platz. Er konnte dort die Umrisse von Kaderes Wagen ausmachen, die morgen weiter beladen würden. Heute nachmittag hatte man in einen davon etwas eingeladen, was wie ein verdrehter Sandstein-Türrahmen wirkte. Moiraine hatte sich besondere Mühe gegeben, ihn so festzurren zu lassen, wie sie es für richtig hielt.

Ihm war nicht klar, was sie darüber wußte, und er würde sie ganz bestimmt nicht danach fragen. Es war besser, sie vergaß, daß es ihn überhaupt noch gab, obwohl er diesbezüglich nicht viel Hoffnung hatte. Was sie auch über den Türrahmen wissen mochte, er wußte jedenfalls mehr darüber. Er war hindurchgetreten — ein Narr, der nach Antworten suchte. Was er statt dessen bekommen hatte, war ein Kopf voll Erinnerungen anderer Männer. Toter Männer. Er zog das Tuch enger um seinen Hals zusammen. Und noch zwei andere Dinge. Ein silbernes Medaillon in Form eines Fuchskopfes, das er unter dem Hemd trug, und die Waffe auf seinen Knien. Eine dürftige Entschädigung. Er fuhr mit den Fingern sanft die Schriftzeichen nach. Die Erinnerung verblaßt niemals. Sie hatten einen Sinn für Humor, der zu den Aiel paßte, die Leute auf der anderen Seite der Tür.

»Schafft Ihr das eigentlich jedesmal?«

Er riß den Kopf herum und erblickte eine Tochter des Speers, die sich gerade neben ihn gesetzt hatte. Sie war selbst für eine Aielfrau groß, möglicherweise größer als er, ihr Haar war wie gesponnenes Gold und die Augen von der Farbe des klaren Morgenhimmels. Sie war älter als er, vielleicht um zehn Jahre, aber das hatte ihn noch nie abgeschreckt. Allerdings war sie eben eine Far Dareis Mai.

»Ich heiße Melindhra«, fuhr sie fort, »und gehöre zur Jumai-Septime. Schafft Ihr das wirklich jedesmal?«

Nun erst wurde ihm bewußt, daß sie vom Messerwerfen sprach. Sie nannte ihre Septime, aber keinen Clan. Das taten die Aiel fast nie. Aber... Sie mußte eine der Shaido-Töchter sein, die gekommen waren, um sich Rand anzuschließen. Er verstand all das Zeug mit den Kriegergemeinschaften nicht so ganz, aber was die Shaido betraf, erinnerte er sich nur zu gut daran, wie sie ihn mit Speeren hatten spicken wollen. Couladin konnte niemanden leiden, der mit Rand irgendwie verbunden war, und was Couladin haßte, haßten auch die Shaido. Andererseits war Melindhra hierher nach Rhuidean gekommen. Eine Tochter des Speers. Und nun lächelte sie ihn leicht an. In ihrem Blick funkelte etwas Einladendes.

»Meistens, ja«, antwortete er wahrheitsgemäß. Auch wenn er es nicht direkt spürte, hatte er noch Glück, und wenn er es aufwallen fühlte, konnte überhaupt nichts schiefgehen. Sie schmunzelte. Ihr Lächeln wurde breiter, als halte sie ihn für einen Angeber. Frauen schienen sich immer schon entschieden zu haben, ob man log oder nicht, bevor sie auch nur einen Beweis gesehen hatten. Auf der anderen Seite war es so: Wenn sie einen mochten, dann war es ihnen entweder egal oder sie fielen ins andere Extrem und hielten dann auch seine dickste Lüge für wahr.

Töchter des Speers konnten unabhängig von ihrem Clan gefährlich werden, doch das traf, wie er aus eigener Erfahrung wußte, auf alle Frauen zu. Jedenfalls hatte Melindhra nicht nur Augen für ihn allein.

Also kramte er in seinen Gewinnen und zog eine Halskette mit vielen Goldspiralen heraus, in deren Zentrum jeweils ein tiefblauer Saphir befestigt war. Der größte hatte immerhin die Größe seines Daumennagels. Er erinnerte sich noch an eine Zeit — diesmal in seiner eigenen Erinnerung —, als ihn der kleinste dieser Steine noch zum Schwitzen gebracht hätte.

»Die passen wunderschön zu Euren Augen«, sagte er und legte das schwere Kollier in ihre Hände. Er hatte wohl noch nie gesehen, daß eine der Töchter Halsschmuck trug, doch seiner Erfahrung nach hatte jede Frau Schmuck gern. Und seltsamerweise gefielen ihnen allen auch Blumen fast genauso wie Schmuck. Er verstand das wohl nicht, aber er gab sowieso zu, daß er Frauen noch weniger verstand als sein Glück oder das, was auf der anderen Seite des verdrehten Türrahmens geschehen war.

»Sehr schöne Arbeit«, sagte sie, als sie es hochgehalten und gemustert hatte. »Ich nehme Euer Angebot an.« Die Halskette verschwand in ihrer Gürteltasche und sie beugte sich herüber, um ihm den Hut aus dem Gesicht zu schieben. »Du hast hübsche Augen. Wie dunkle, hochglänzende Tigeraugen, falls du die Steine kennst.« Sie drehte sich ein wenig um und zog die Beine auf den Brunnenrand empor. Dann schlang sie die Arme um die Beine, saß einfach so da und musterte ihn eindringlich. »Meine Speerschwestern haben mir von dir erzählt.«

Mat rückte seinen Hut wieder zurecht und beobachtete sie mißtrauisch unter der Krempe hervor. Was hatten sie ihr erzählt? Und welches ›Angebot‹? Es war doch nur eine Halskette. Die Einladung war aus ihrem Blick verschwunden. Nun wirkte sie wie eine Katze, die eine Maus betrachtet. Das war eben das Problem bei diesen Töchtern des Speers. Manchmal konnte man kaum unterscheiden, ob sie mit dir tanzen, dich küssen oder dich töten wollten.

Die Straße leerte sich, die Schatten wurden tiefer, aber er erkannte Rand trotzdem, der ein Stückchen weiter unten schräg über die Straße ging, die Pfeife zwischen den Zähnen. Er war der einzige Mann in Rhuidean, der immer mit einem Schwarm von Far Dareis Mai herumlief. Sie sind immer bei ihm, dachte Mat. Sie behüten ihn wie ein Rudel Wölfinnen und springen, sobald er ein Wort sagt. Einige Männer würden ihn deshalb vielleicht beneiden. Nicht so Mat. Wenn es allerdings ein Rudel Mädchen vom Typ Isendres wäre...

»Entschuldige mich einen Moment«, sagte er schnell zu Melindhra. Er lehnte seinen Speer an die niedrige Brüstung vor dem Brunnen, sprang auf und rannte los. In seinem Kopf summte es immer noch, wenn auch nicht mehr so stark, und er wankte nicht. Er machte sich keine Sorgen um seine Gewinne. Die Aiel hatten ganz klare Ansichten in bezug auf das, was erlaubt war und was nicht. Während eines Kriegszugs Beute zu machen war absolut legitim, Diebstahl aber nicht. Kaderes Männer hatten schnell gelernt, die Hände in den Taschen stecken zu lassen, nachdem einer von ihnen beim Stehlen erwischt worden war. Man hatte ihn verprügelt, daß er von den Schultern bis zu den Fersen von Striemen bedeckt war, und dann hatte man ihn weggeschickt. Der einzige Wasserschlauch, den sie ihm mitgegeben hatten, dürfte wohl bei weitem nicht gereicht haben, um die Drachenmauer zu erreichen, selbst in bekleidetem Zustand, doch sie hatten ihn ja nackt davongejagt. Jetzt hoben Kaderes Männer noch nicht einmal eine Münze auf, wenn sie herrenlos auf der Straße lag.

»Rand?« Der andere Mann schritt von seiner weiblichen Eskorte umgeben weiter. »Rand?« Rand war noch nicht einmal zehn Schritt entfernt, doch er zeigte kein Anzeichen des Erkennens. Nur ein paar der Töchter des Speers blickten sich um, nicht aber Rand. Mat fror plötzlich, und das hatte nichts mit dem Einbruch der Nacht zu tun. Er leckte sich die Lippen und sprach noch einmal, aber nicht sehr laut: »Lews Therin.« Und Rand drehte sich um. Mat wünschte fast, er hätte sich auch jetzt nicht umgewandt.

Eine Weile lang blickten sie sich im Zwielicht des Abends schweigend an. Mat zögerte, näher heranzutreten. Er versuchte, sich einzureden, das sei wegen der Töchter des Speers. Adelin war eine von denen gewesen, die ihn ein sogenanntes Spiel gelehrt hatten, das man den ›Kuß der Jungfrau‹ nannte. Das würde er niemals mehr vergessen und auch niemals mehr spielen, soweit es in seiner Macht lag. Und Enailas Blick fuhr ihm wie ein Bohrer in den Schädel. Wer erwartete denn auch, daß eine Frau gleich hochging wie ein Feuerwerkskörper, weil man ihr sagt, sie sei die hübscheste kleine Blume, die man je gesehen hat?

Und dann Rand. Er und Rand waren zusammen aufgewachsen. Sie und dazu Perrin, der Gehilfe des Schmieds zu Hause in Emondsfeld, hatten zusammen gejagt, gefischt, waren gemeinsam durch die Sandhügel gewandert bis zum Rand der Verschleierten Berge, hatten unter dem Sternenzelt kampiert. Rand war sein Freund. Nur war er jetzt ein Freund, der einem vielleicht den Kopf einschlagen würde, ohne es zu wollen. Und Perrin war möglicherweise Rands wegen tot.

Er zwang sich dazu, auf Armeslänge an den anderen Mann heranzutreten. Rand war beinahe einen Kopf größer, und im Zwielicht dieses frühen Abends wirkte er sogar noch größer. Kälter, als er gewesen war. »Ich habe nachgedacht, Rand.« Mat wünschte, seine Stimme klänge nicht so heiser. Er hoffte, Rand werde diesmal auf seinen richtigen Namen reagieren. »Ich war lange von zu Hause weg.«

»Wir beide«, sagte Rand leise. »Lange Zeit.« Plötzlich lachte er auf, nicht laut, doch beinahe wie der alte Rand. »Fängst du an, dich danach zu sehnen, daß du die Kühe deines Vaters melken kannst?«

Mat kratzte sich am Ohr und grinste ein wenig. »Das nicht gerade.« Wenn er niemals mehr eine Scheune von innen sah, war ihm das nur zu recht. »Aber ich dachte daran, mitzufahren, wenn Kadere mit seinen Wagen aufbricht.«

Rand schwieg. Als er wieder sprach, war der Anflug von Heiterkeit vorbei. »Den ganzen Weg nach Tar Valon?«

Nun war die Reihe, zu zögern, wieder an Mat. Er würde mich doch nicht an Moiraine verraten? Oder doch? »Vielleicht«, sagte er, als sei es nebensächlich. »Ich weiß noch nicht. Dort würde Moiraine mich ja sowieso am liebsten hinbringen. Vielleicht finde ich auch eine Möglichkeit, zu den Zwei Flüssen zurückzukehren. Mal sehen, ob zu Hause alles in Ordnung ist.« Nachsehen, ob Perrin noch am Leben ist. Und meine Schwestern und Mutter und Pa.

»Wir alle müssen tun, was sein muß, Mat. Nicht das, was wir gern wollen. Jedenfalls nicht oft. Was wir müssen.«

Für Mat klang das wie eine Entschuldigung, als bitte ihn Rand um sein Verständnis. Nur, daß auch er selbst einige Male getan hatte, was er mußte. Ich kann ihn nicht für Perrin verantwortlich machen, nicht ihn selbst. Und niemand hat mich verdammt noch mal gezwungen, Rand wie ein blutiges Schoßhündchen hinterherzulaufen. Aber auch das stimmte nicht. Er war gezwungen gewesen. Nur eben nicht von Rand. »Du wirst... mich nicht aufhalten, wenn ich weg will?«

»Ich versuche gar nicht erst, dir zu sagen, ob du kommen oder gehen sollst, Mat«, sagte Rand müde. »Das Rad webt das Muster, und nicht ich. Und das Rad webt, wie es will.« Ausgerechnet er sprach schon wie eine verdammte Aes Sedai! Rand wandte sich schon halb zum Gehen, fügte aber dann noch hinzu: »Traue Kadere nicht, Mat. Auf gewisse Art ist er einer der gefährlichsten Männer, die du je kennengelernt hast. Vertraue ihm kein bißchen, oder jemand schneidet dir vielleicht die Kehle durch. Du und ich wären nicht die einzigen, die das bedauern würden.« Damit war er weg, die Straße hinunter in die tiefer sinkende Dämmerung hinein. Die Töchter des Speers umgaben ihn wie ein Rudel Wölfe.

Mat sah ihm nach. Dem Händler vertrauen? Ich würde Kadere nicht trauen, und wenn er gefesselt in einem Sack steckte. Also webte nicht Rand das Muster? Aber er kam dem doch ziemlich nahe! Bevor noch jemals einer von ihnen erfahren hatte, daß die Prophezeiungen ausgerechnet mit ihnen zu tun hatten, hatten sie erfahren, daß Rand ein Ta'veren war, einer jener seltenen Menschen, die nicht willkürlich in das Muster hineingewoben wurden, sondern statt dessen das Muster zwangen, sich um sie herum zu gestalten. Mat wußte wohl, was es hieß, ein Ta'veren zu sein, denn er war selbst einer, wenn auch nicht so stark wie Rand. Manchmal konnte Rand das Leben anderer Menschen beeinflussen, seinen Lauf ändern, nur, weil er sich im gleichen Ort aufhielt. Auch Perrin war ein Ta'veren, oder war es vielleicht gewesen. Moiraine hatte es für bedeutsam gehalten, daß sie gleich drei junge Männer aus dem gleichen Dorf aufgespürt hatte, deren Schicksal sie zu Ta'veren werden ließ. Sie hatte auf jeden Fall vor, sie alle in ihre Pläne einzubeziehen, was sie auch sein mochten.

Es sollte ja angeblich eine ganz tolle Sache sein. Alle Ta'veren, von denen Mat jemals gehört hatte, waren Männer wie Artur Falkenflügel gewesen oder Frauen wie Mabriam en Shereed, von der die Legenden behaupteten, sie habe nach der Zerstörung der Welt den Pakt der Zehn Nationen begründet. Aber keine Legende berichtete, was geschah, wenn sich ein Ta'veren so nahe bei einem anderen und noch dazu so starken wie Rand befand. Man fühlte sich dann wie ein Blatt in einem Mahlstrom.

Melindhra trat an seine Seite und reichte ihm den Speer und einen schweren, grob gewebten Sack, in dem es klapperte. »Ich habe deine Gewinne hineingetan, ja?« Sie war tatsächlich größer als er — eine gute Handbreit. Sie blickte Rand hinterher. »Ich hatte gehört, daß du ein Beinahe-Bruder von Rand al'Thor seist.«

»Wenn man so will«, sagte er trocken.

»Es spielt keine Rolle«, tat sie es ab und konzentrierte sich auf ihn. Die Fäuste hatte sie auf die Hüften gestemmt. »Du hast mein Interesse erregt, Mat Cauthon, noch bevor du mir diese Aufmerksamkeit gabst. Natürlich werde ich deshalb nicht den Speer für dich aufgeben, aber ich habe dich schon seit Tagen im Auge. Du hast ein Lächeln an dir, wie ein Junge, der gleich etwas anstellen wird. Das gefällt mir. Und diese Augen.« Im versagenden Tageslicht schien ihm ihr Lächeln bedächtig und breit — und warm. »Mir gefallen deine Augen wirklich.«

Mat rückte den Hut gerade, obwohl er gar nicht schief gesessen hatte. Vom Verfolger zum Verfolgten, vom Jäger zum Gejagten, und das innerhalb eines Wimpernschlags. Solches konnte einem bei den Aielfrauen passieren. Besonders bei den Töchtern des Speers. »Sagt dir die Bezeichnung ›Tochter der Neun Monde‹ irgend etwas?« Die Frage hatte er schon ein paarmal Frauen gestellt. Die falsche Antwort würde ihn noch heute Abend aus Rhuidean vertreiben, und wenn er zu Fuß durch die ganze Wüste marschieren müßte.

»Nein, nichts«, sagte sie. »Aber es gibt Sachen, die ich gern bei Mondschein unternehme.«

Sie legte ihm einen Arm um die Schultern, nahm seinen Hut ab und begann, ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Nach kurzer Zeit grinste er sehr viel breiter als sie zuvor.

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