2 Die Schwertkämpferin

Forral hätte nie gedacht, daß die Fürsorge für ein Kind sich als so harte Arbeit erweisen würde. Er war in den Lagerraum neben der Küche gezogen, und zwei oder drei glückliche Tage gingen ins Land, während Aurian ihm half, sich dort einzurichten – zwischen Werkzeugen, Saatgut, Kornsäcken und Gartenerzeugnissen, runden, weißen Käsestücken, verschrumpelten Äpfeln, Honigtöpfen und eingekochten Früchten, die Eilin für den Winter beiseite gestellt hatte. Forrals Unterkunft war beengt und spartanisch, aber durchaus ausreichend für die Bedürfnisse eines Soldaten, und Forral hatte keine Einwände gegen die mannigfachen Düfte guten Essens in seiner Schlafkammer. Der Schwertkämpfer nahm sich auch die Zeit, Aurians zerbrochenes Fenster mit Brettern zu vernageln, bis es irgendwann einmal richtig in Ordnung gebracht werden konnte. Als sie sich darüber beklagte, daß die Bretter ihr Zimmer zu dunkel machten, sah er sie nur streng an. »Das ist deine eigene Schuld. Wer hat es denn zerbrochen, hm?« Aurian sah ihn mit offenem Mund an.

Anschließend kam es beinahe täglich zu solchen Kraftproben. Aurian hatte ihr ganzes bisheriges Leben wild herumlaufen dürfen, und obwohl es Forral von Herzen leid tat, streng mit ihr sein zu müssen, wußte er doch, daß es zu ihrem eigenen Besten notwendig war. Als sie sich zum ersten Mal stritten, ging es um die Frage des Badens. Aurian weigerte sich schlichtweg mit der Begründung, daß sie schließlich im Sommer im See badete. War das nicht genug? Forral gab ihr die Seife und ein Handtuch. »Na schön, dann geh und bade im See.«

Aurian blickte mit ungläubig aufgerissenen Augen aus dem Fenster. Dicker Schnee bedeckte den Boden, und die tiefen, dunklen Wasser waren von einem breiten Eisband umgeben. »Aber …«, protestierte sie.

»Na los, mach schon. Du stinkst ja schon«, fügte er gefühllos hinzu.

Aurians Lippen zitterten, dann gewann jedoch ihre typische Maguschsturheit die Oberhand. Sie biß die Zähne zusammen und setzte eine finstere Miene auf. »Also gut!« fauchte sie und stampfte hinaus, wobei sie die Tür hinter sich zuknallen ließ.

Dieser halsstarrige kleine Wicht zwang ihn tatsächlich, Farbe zu bekennen! Entsetzt lief Forral hinter ihr her. Der See war hier an der Insel sehr tief, und bei der herrschenden Kälte hatte er kein großes Zutrauen zu der alten Mär, wonach es unmöglich war, einen Magusch zu ertränken. Er kam gerade rechtzeitig am Ufer an, um Aurian in das eiskalte Wasser springen zu sehen. Mit einem lauten Fluch stürmte der Schwertkämpfer vorwärts und bekam ihr Haar zu fassen, bevor sie sich vom Ufer entfernen konnte. Als er sie herausgefischt hatte, war sie bereits blau. Er wickelte sie in seinen Umhang und trug sie ins Haus, wo er sie augenblicklich in die dampfende Badewanne, die er vor den Ofen gestellt hatte, hineinplumpsen ließ. »So«, sagte er, als ihr Zittern in dem heißen Wasser langsam nachließ, »ist das nicht besser als der See?«

Aurian funkelte ihn wütend an.

»Wenn es dir nicht gefällt, kann ich dich ja wieder rausbringen«, schlug er vor.

Nach einem Augenblick senkte das Kind die Augen. »Vielleicht ist es doch nicht so schlecht«, sagte sie. Forral lächelte und zog ein kleines Holzboot aus der Tasche, das er für sie gemacht hatte.

Nachdem sie sich erst einmal an den Gedanken gewöhnt hatte, entwickelte Aurian schließlich eine solche Vorliebe für heiße Bäder, daß sein Hauptproblem darin bestand, sie anschließend wieder aus dem Zuber herauszubekommen. Aber als noch viel schwerer erwies es sich, sie dazu zu bringen, sich die Haare zu kämmen. Ihre langen, dicken, leuchtendroten Locker waren – Folge jahrelanger Vernachlässigung – völlig verfilzt. Das erste Mal brauchte Forral eine ganze schreckliche Stunde, um den undurchdringlichen Dschungel von Haaren zu entwirren, während er mit der anderen Hand das um sich schlagende, schreiende Kind festhalten mußte. Schließlich warf er, von Schuldgefühlen geplagt, den Kamm fort. Bei den Göttern, ich würde lieber gegen ein Dutzend Krieger kämpfen, dachte er, als er das schluchzende kleine Mädchen in die Arme nahm.

»Du hast mir weh getan!« beklagte sie sich.

»Das tut mir leid, Liebes. Ich weiß, daß ich dir weg getan habe. Aber das lag nur daran, daß sich so lange niemand um dein Haar gekümmert hat. Wenn du es jeden Tag machst …«

»Lieber würde ich sterben!«

»Wie schade«, seufzte Forral, »dabei siehst du jetzt so wunderhübsch aus.«

Aurians Kopf fuhr ruckartig in die Höhe. »Ich? Wunderhübsch? Wie die Prinzessin in deiner Geschichte?«

Forral sah ihr ins Gesicht. Die kindliche Weichheit ihrer Züge war bereits im Schwinden begriffen, und Eilin hatte recht behalten. Sie würde einst das adlerhafte Aussehen ihres Vaters zeigen: kantig, mit hohen Wangenknochen und mit derselben wilden Hakennase, wie sie ihr Vater gehabt hatte. »Du bist das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe«, erklärte er mit ernster Stimme. »Es wäre eine Schande, wenn ein hübscher Prinz vorbeikäme und dich nicht leiden könnte, nur weil du dir nicht die Haare gekämmt hast.«

»Ich will aber keinen dummen Prinzen«, stellte Aurian entschlossen fest. »Ich werde dich heiraten.«

Der Schwertkämpfer erstarrte. Das war eine Komplikation, mit der er nicht gerechnet hatte. »Meinst du nicht, ich bin ein wenig alt für dich?« fragte er betreten.

»Wie alt bist du denn?«

»Dreißig.«

»Das ist nicht alt.« Aurian zuckte mit den Schultern. »Du hast gesagt, mein Vater sei sechsundneunzig gewesen, als er meine Mutter heiratete.«

Forral fiel keine Erwiderung ein. Sie war zu jung, um den grundlegenden Unterschied zwischen Sterblichen und Magusch zu verstehen.

»Möchtest du mich vielleicht nicht heiraten?« Aurian machte ein beleidigtes Gesicht. »Du hast doch gerade gesagt, ich wäre wunderhübsch.«

»Das bist du auch«, versicherte er ihr. »Und ich würde dich schrecklich gern heiraten. Aber du bist noch nicht alt genug. Wir sprechen später noch einmal darüber, wenn du groß bist.«

»Versprochen?«

»Versprochen.« Und obwohl er sich selbst dafür haßte, fügte er hinzu: »Aber nur, wenn du dir das Haar kämmst. Ich kann unmöglich jemanden heiraten, der wie ein Igel herumläuft.«

Aurian seufzte. »Na, also gut.«

Zu Forrals Erleichterung brachte Eilin ihrer Tochter bei, wie sich ihre ungebärdige Mähne zu Zöpfen flechten ließ. Damit war das Problem weitgehend gelöst, und Aurian begann Gefallen daran zu finden, sich um ihr Haar zu kümmern, obwohl die spekulativen Blicke, die sie ihm dabei zuwarf, dem Schwertkämpfer immer wieder Anlaß zur Sorge gaben. Er wußte, wie stur sie sein konnte, wenn sie sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte.

Als Forral etwa in Aurians Alter gewesen war, hatte Geraint ihm das Lesen beigebracht. Erst jetzt wurde ihm klar, wie sehr er damals die Geduld seines Freundes strapaziert haben mußte. Eilin holte Geraints alte Buchbestände wieder hervor, und Forral versuchte Bücher daraus auszuwählen, von denen er glaubte, sie würden dem Kind gefallen. Meist waren es alte Geschichten von Abenteuern und kühnen Taten – und es stellte sich bald heraus, daß er sich für genau dieselben Bücher entschieden hatte wie damals Geraint. Die Wunde seiner Trauer um Geraint öffnete sich von neuem, als er sich an das Gesicht seines alten Freundes erinnerte, wie dieser, tief über die Seiten gebeugt, sich geduldig abmühte, dem verwirrten Jungen, der er damals gewesen war, das Geheimnis der Schrift näherzubringen.

Aurian haßte es. Da sie es nicht gewohnt war, still zu sitzen und sich zu konzentrieren, hielt sie die ganze Angelegenheit für Zeitverschwendung. Schließlich machte sie es sich zur Gewohnheit, zur Unterrichtszeit zu verschwinden, und Forral war zutiefst dankbar für seine Fertigkeiten als Spurenleser. Wenn er sie gefunden hatte, zog er sie hinter sich her zurück zum Turm, wobei Aurian den ganzen Weg über bitteres Protestgeschrei von sich gab und sich so heftig wehrte, daß Forral schon befürchtete, ihre Freundschaft würde irreparablen Schaden nehmen.

Am Ende suchte der Schwertkämpfer Zuflucht bei einer List, indem er so tat, als gebe er nach. »Na schön«, sagte er schulterzuckend, »wenn es zu schwierig für dich ist, brauchen wir uns wirklich keine solche Mühe mehr damit zu machen.« Aurian blickte ihn unter zusammengerunzelten Augenbrauen argwöhnisch an. Sie wußte mittlerweile, daß Forral zu guter Letzt immer seinen Willen bekam. Nun tat er so, als ignoriere er sie, und brühte sich etwas von Eilins Hagebuttentee auf, einem perfekten Gegenmittel gegen das Winterwetter. Während er einen Löffel Honig in seine Tasse einrührte, lehnte er sich zurück, legte seine Füße auf den warmen Herd, öffnete das Buch der Legenden und begann zu lesen.

Nach einer Weile fing Aurian an, ziellos durchs Zimmer zu wandern, auf der Suche nach etwas, womit sie sich beschäftigen konnte. Das Wetter war viel zu schlecht, um hinauszugehen. Draußen heulte ein neuerlicher Schneesturm, und der Wind schüttelte die Rahmen der dicken, kristallenen Fensterflügel. Forral beobachtete das Kind aus den Augenwinkeln. Schließlich kam sie zu ihm. »Können wir nicht etwas spielen?«

»Jetzt nicht«, sagte Forral geistesabwesend. »Ich bin beschäftigt.«

Aurian zog ein langes Gesicht. Dann saß sie eine Weile untätig auf ihrem Stuhl und scharrte mit den Füßen. »Forral, ich langweile mich«, jammerte sie.

»Ich nicht«, erwiderte er selbstgefällig, »dazu ist diese Geschichte hier viel zu interessant.«

Aurian stampfte mit den Füßen auf .»Das glaube ich dir nicht!« rief sie. »Das sagst du nur, um mich dazu zu bringen, dieses blöde Zeug zu lesen!«

Forral krümmte sich innerlich. Das Kind war klüger, als ihm guttat. Nachdem er schnell nachgedacht hatte, setzte er eine verletzte Miene auf. »Meinst du, ich würde lügen? Wenn du mir nicht glaubst, lese ich dir die Geschichte vor.« Aurian wirkte erleichtert und setzte sich zu seinen Füßen.

Es war wirklich eine aufregende Geschichte, Aus eben diesem Grund hatte Forral sie auch ausgesucht. Er blickte hinunter in das verzückte Gesicht des Kindes. Als sie den Höhepunkt des Märchens erreicht hatten – die tapfere junge Heldin war gerade von wilden Kobolden und Trollen auf einem Berg gefangengenommen worden, –, legte er das Buch beiseite und gähnte.

»Nicht aufhören«, drängte Aurian ihn ängstlich und biß sich auf die Lippe. »Was passiert als nächstes?«

Forral zuckte die Achseln. »Ich hab’ jetzt keine Lust mehr, weiterzulesen. Ich glaube, ich mache ein Schläfchen.« Dann legte er das Buch auf den Stuhl, ging aus dem Zimmer und schloß, ungeachtet der wütenden Proteste des Kindes, entschlossen die Tür hinter sich.

Eine Stunde später kehrte der Schwertkämpfer zurück, um Aurian mit Tränen der Enttäuschung in den Augen über das Buch gebeugt zu finden. »Es ergibt keinen Sinn«, jammerte sie. »Es sind einfach nur kleine schwarze Punkte, und ich werde nie herausfinden, was passiert ist!«

Forral legte seinen Arm um sie. »Genau das habe ich zu deinem Vater gesagt, als er mir mit diesem Buch das Lesen beigebracht hat.«

Aurians Augen weiteten sich. »Das hast du gesagt? Und was hat er geantwortet?«

»Das war eine schlimme Sache.« Forral grinste über den verblüfften Ausdruck auf ihrem Gesicht. »Er sagte, wenn ich herausfinden wollte, was passiert ist, dann würde ich hart arbeiten und ihm erlauben müssen, mich zu unterrichten.«

Heiße Wut malte sich auf Aurians Zügen ab. »Du hast mich überlistet! Du hinterhältiges, gemeines Biest!« Sie schleuderte das Buch gegen die Wand und rannte hinaus in ihr Zimmer, wo sie die Tür mit lautem Knall hinter sich zuschlug.

Anschließend schmollte sie zwei Tage lang und weigerte sich, mit ihm zu sprechen. Eilin zog angesichts dieser Veränderungen die Augenbrauen hoch, enthielt sich jedoch jeder Bemerkung. Forral vermißte Aurians fröhliche Gesellschaft mehr, als er es für möglich gehalten hätte, und schließlich begann er sich Vorwürfe zu machen, weil er das Kind zu sehr in die Enge getrieben hatte. Zu guter Letzt konnte er ihr wütendes Schweigen nicht mehr ertragen. »Es tut mir leid«, entschuldigte er sich. »Du hast ganz recht. Ich war hinterhältig und gemein, und ich bitte um Verzeihung. Ich werde dir den Rest der Geschichte vorlesen, wenn du möchtest.«

Aurian schlang ihre Arme um ihn, und ihr Gesicht leuchtete auf. »Ich liebe dich, Forral.«

Forral spürte, wie sich ihm die Kehle zuschnürte. »Ich liebe dich auch«, sagte er heiser. »Warum gehst du jetzt nicht und holst das Buch?«

Sie trat einen Schritt zurück und sah ihn nachdenklich an. »Du möchtest wirklich, daß ich lesen lerne, nicht wahr?«

Er nickte. »Es bedeutet mir viel, Aurian. Du kannst dir nicht vorstellen, wie wichtig es ist.«

Aurian seufzte und machte ein Gesicht wie ein Gefangener, kurz bevor er zum Schafott gezerrt wird. »Dann ist es wohl besser, wir fangen sofort damit an.«

Das Kind brauchte lange, um die Grundlagen des Lesens zu begreifen. Forral vermutete, daß ein Gutteil der Schuld bei ihm lag, denn Aurian war durchaus intelligent, aber er wußte, daß es mit seinen Fähigkeiten als Lehrer nicht zum besten bestellt war. Er konnte nichts tun, als seine mangelnden Fähigkeiten mit Geduld wieder wettzumachen und ihre Unterrichtsstunden möglichst kurz zu halten, so daß Aurian aufhören konnte, bevor sie zu müde wurde oder den Mut verlor. Dann las er ihr etwas vor in der Hoffnung, daß er in ihr auf diese Weise die Lust zum Lesenlernen wecken würde. Und schließlich hatte er auch Erfolg. Am Ende des langen Winters las Aurian alles, was sie in die Finger bekommen konnte, und Eilin mußte aufpassen, daß Geraints Zauberbücher gut versteckt waren.

Forral brachte Aurian in diesem Winter auch viele andere Dinge bei. Er erzählte ihr von Nexis, der Königin der Städte, die im Südwesten lag und Standort der Akademie der Magusch war, wo unter Führung des Erzmagusch Miathan alle magischen Lehren studiert werden konnten. Er erzählte ihr von der Garnison in Nexis, die die großartige Streitmacht der Stadt beherbergte und gleichzeitig die größte Militärschule des Landes war. Aurian erfuhr, was jenseits ihres Tales lag – die nahe gelegenen nördlichen Hügel, in denen die Menschen hauptsächlich von Forstwirtschaft, Vieh- und Schafzucht lebte. Und dann war da noch die Ostküste, die für den Fischfang berühmt war, und schließlich das Land im Süden und Westen, wo der Ton für die Töpferei gewonnen wurde. Außerdem bauten die Menschen dort Korn, Wachs und Wein an. Auf den Markt gebracht wurde das Ganze von der mächtigen Händlergilde in Nexis, die den Handel zwischen Farmern und Fischern auf der einen Seite und den Handwerkern in Dörfern und Städten auf der anderen Seite organisierte.

Viele Stunden brachten sie am Feuer zu, während Aurian verzückt lauschte und Forral ihr Geschichten aus seinem Leben als Söldner erzählte, das ihn auch in die geheimnisvollen Südlichen Königreiche jenseits des Meeres geführt hatte, wo wilde, dunkelhäutige Krieger zu Hause waren. Sie saß zu seinen Füßen, mit weit aufgerissenen Augen und vollkommen entrückt, während er von Schiffen und Stürmen sprach und von den richtigen Walen, die die Herren der Meerestiefe waren. Er erzählte ihr aus dem alten Legendenschatz grauenerregende Geschichten über das untergegangene Volk der Drachen, die auf ihre Art machtvolle Magier waren und deren Augen tödliches Feuer aussenden konnten, und von dem fürchterlichen Geschlecht der Geflügelten Krieger, das angeblich die südlichen Berge bewohnte. Obwohl der Schwertkämpfer kein Gelehrter war, gab er ihr doch das bescheidene geschichtliche Wissen weiter, das er selbst sein eigen nannte, und brachte ihr auch das wenige bei, das man von den Göttern wußte. Da waren einmal die Göttinnen: Iriana, Göttin der Tiere, Thara, Göttin der Felder, und Melisanda, Göttin der Heilenden Hände; und die Götter – Chathak, Gott des Feuers und Schutzpatron der Krieger, Yinze, Gott des Himmels, und Ionor der Weise, Gott des Ozeans, der im Pantheon der Südlichen Königreiche auch als Schnitter der Seelen bezeichnet wurde. Aurian staunte und lernte.

Der Frühling überzog das Land in diesem Jahr wie in einer einzigen herrlichen Explosion von Wärme, die schnell auch die letzten Spuren des schrecklichen Winters verwischte. Die Bäume trieben Blätter und Blüten, und plötzlich blühte und grünte es allerorten. Wieder einmal erfüllte jubilierender Vogelgesang die Wälder um den See herum mit Leben. Aurian und Forral gewöhnten sich an, einen Großteil ihrer Zeit draußen im Sonnenschein zu verbringen, wo sie nach frühem Blattgemüse suchten, um ihre beschränkte Winterkost ein wenig anzureichern. Außerdem halfen sie Eilin beim Auspflanzen ihrer Anzucht und bei den Arbeiten, die sie sich vorgenommen hatte, um das fruchtbare Land über die nähere Umgebung des Sees hinaus auszudehnen.

Jetzt, da überall in den Wäldern das Leben knospte, wäre Forral gern einmal auf die Jagd gegangen. Sie hatten im Winter nur wenig Fleisch gehabt – vor allem das zähe Pökelfleisch der männlichen Zicklein, die Eilins Ziegen im vergangenen Jahr geworfen hatten. Obwohl die Magusch versucht hatte, dem strengen Geruch und Geschmack dieses Fleisches in gut gewürzten Suppen und Eintöpfen etwas von seiner Eigenart zu nehmen, hatte Forral nun mehr als genug von dem Zeug. Ein Kaninchen würde ihnen allen sicher gut schmecken, dachte er, oder vielleicht ein Vogel – alles, nur keine Ziege! Während seiner Tätigkeit als Söldner hatte der Schwertkämpfer sich eine gewisse Fertigkeit mit Fußangeln und Pfeil und Bogen erworben, und ein wenig zögernd sprach er Eilin darauf an. Da die Erdmagusch im Einklang mit dem Land und seinen Geschöpfen lebte, erwartete er eigentlich ärgerliche Zurückweisung. Außerdem rechnete er damit, daß Aurian sich vielleicht aufregte, wenn ein Tier, das sie zu ihren Freunden zählte, auf dem Abendbrottisch angerichtet würde. Daher hatte ihn Eilins Antwort auf seine zaghafte Frage maßlos überrascht. »Unbedingt, Forral. Wenn du jagen willst, wird Aurian dir zeigen, wie wir das hier im Tal machen.«

An einem goldenen Abend führte Aurian Forral durch das Birkenwäldchen und den tiefergelegenen Mischwald dahinter, bis sie an eine wilde Wiese kamen, die mit Strauchwerk von Stechginster und Brombeeren übersät war. Zwischen ihren Wurzeln durchzog eine Vielzahl von Röhren und Löchern die Wiese. »Hier wohnen die Kaninchen«, erklärte Aurian ihm mit leiser Stimme. »Sie werden schon bald herauskommen, um zu fressen.«

Forral nickte und fragte sich, was sie wohl vorhatte. Aurian hatte ihm verboten, seinen Bogen mitzunehmen, und seine Fußangeln als grausam abgelehnt.

»Sei ganz still«, flüsterte das Kind. Dann trat sie aus den Bäumen heraus und wickelte sich ein dickes Stofftuch um ihr Handgelenk. Nun hob sie den Arm und stieß einen schrillen Pfiff aus. Einen Augenblick lang geschah überhaupt nichts. Dann erschien hoch über ihren Köpfen ein winziger Punkt am Himmelsgewölbe. Der dunkle Fleck stürzte herab – wuchs – nahm Gestalt an. Forral hörte Schwingen, die sausend die Luft durchschnitten, und schließlich einen grellen Schrei. Ein geflügeltes Etwas stieß auf Aurians Handgelenk herab und klammerte sich dort fest, während es seine schlanken Flügel ausbreitete, um das Gleichgewicht zu halten. Liebkosend rieb es dann seinen stolzen Kopf und seinen grausamen, gebogenen Schnabel an Aurians Gesicht.

Aurian glühte vor Begeisterung. »Das ist Windschwinge«, sagte sie. »Jedenfalls nenne ich ihn so.« Der Falke bedachte Forral mit einem mißtrauischen Seitenblick aus seinen großen, dunklen Augen, zischte ihm durch seinen geöffneten Schnabel etwas zu und machte sich dann wieder daran, vorsichtig an Aurians Haar zu knabbern. Einen Augenblick lang blieb das Kind reglos stehen, Auge in Auge und in lautloser Zwiesprache mit dem wilden Räuber; dann katapultierte sie ihn mit einer schnellen Aufwärtsbewegung ihres Armes gen Himmel. Er stieg in Spiralen immer höher, um dann schwebend und rüttelnd über ihnen zu verharren. Aurian zog den verwunderten Schwertkämpfer unter das schützende Laubdach der Bäume. »Jetzt heißt es abwarten«, murmelte sie.

Nach einer Weile kamen die Kaninchen langsam unter den Büschen hervor, um zu fressen, und hoppelten zaghaft aus ihrer Deckung heraus. Forral spürte, wie Aurians Hand seinen Arm umklammerte. »Jetzt«, stieß sie atemlos hervor. Über ihnen legte der Falke seine Flügel zusammen und stürzte wie ein Stein zu Boden. Forral stöhnte. Er würde auf der Erde zerschellen …

In der letzten Sekunde riß der Raubvogel seine Flügel wieder auseinander. Nur einen Zoll über dem Boden fing er seinen Sturzflug ab, schlug die Klauen in das Kaninchen, das er sich als Opfer ausgewählt hatte, und verschwand kurz in einer Wolke fliegender Pelzfetzen und kleiner Federchen. Dann strich er in niedrigem Flug über das grasbewachsene Gelände ab und kehrte in einem weiten Kreis wieder zu dem wie leblos daliegenden, braunen Pelzklumpen zurück. Mit ausgestreckten Flügeln ließ er sich auf dem betäubten Tier nieder und besiegelte mit einem einzigen schnellen Schnabelhieb dessen Schicksal.

Forral blinzelte erstaunt und konnte nun auch wieder daran denken, weiterzuatmen. Es war alles so schnell gegangen, daß er gar nicht jede Einzelheit hatte erfassen können. Schließlich folgte er Aurian, die zu dem Falken hinüberlief. »Gut gemacht«, sagte sie zu dem Vogel. »Oh, sehr gut gemacht!« Windschwinge hüpfte von dem Kaninchen herunter und ließ sich im Gras nieder, um zu warten. Aurian seufzte, als sie die tote Kreatur aufhob. »Armes, kleines Ding«, murmelte sie und strich ihm kurz über den Pelz, bevor sie es in ihrer Tasche verstaute.

»Macht es dich nicht traurig, dieses Töten?« fragte der Schwertkämpfer sie neugierig.

»Natürlich tut es das.« Sie drehte sich zu ihm um mit einem Gesicht, das ernst war und irgendwie erwachsener, als er es je zuvor gesehen hatte. »Es ist sehr traurig, Forral, aber es geschieht nun einmal. Windschwinge muß fressen, ebenso wie sein Weibchen und seine Jungen. Kaninchen sind ziemlich groß für ihn – das ist der Grund, warum er sie oft zuerst betäubt – aber er braucht sie als Nahrung genauso wie wir. Wir nehmen nur, was wir brauchen, und er tötet schnell und sauber, nicht wie eine Fußangel.« Sie schenkte dem Falken ein verträumtes Lächeln. »Und er ist so wunderschön …« Einen Augenblick lang fehlten ihr die Worte, aber Forral verstand, denn der reißende, furchtlose Flug des Falken hatte auch sein Herz berührt. »Er gibt mir das Gefühl, als wäre ich mit ihm dort oben, als flögen wir zusammen«, sprach Aurian leise weiter. Dann schüttelte sie sich und rief – plötzlich wieder ganz bei der Sache – Windschwinge mit einem Pfiff zurück auf ihr Handgelenk. »Wir müssen uns Stöcke nehmen und auf die Büsche schlagen, um die Kaninchen wieder herauszutreiben – sie haben jetzt Angst«, sagte sie. »Wenn du denkst, er hat seine Sache gut gemacht, dann warte erst einmal ab, bis du siehst, wie er ein schnelleres Tier auf der Flucht schlägt. Was meinst du, wie viele Kaninchen brauchen wir?«

Forral schüttelte verblüfft den Kopf. Aurian schaffte es doch immer wieder, ihn in Erstaunen zu setzen – und diesmal hatte er etwas von ihr gelernt.

Die warmen Tage verstrichen, und schon bald war es für die Magusch an der Zeit, die Dörfer und Farmen zu besuchen, die in der Nähe des Tales lagen. Jedes Jahr im Frühling hießen die Sterblichen in der näheren Umgebung ihre Hilfe willkommen, wenn sie ihre Erdmagie benutzte, um ihre Felder zu ›segnen‹, um ihnen eine gute Ernte zu versichern. Als Gegenleistung versorgten sie sie mit Korn, Werkzeug, Leinen und anderen Dingen, die sie nicht selbst anbauen oder herstellen konnte. Diesmal benötigte sie vor allem eine neue Scheibe für Aurians Fenster und etwas Federvieh, da ihre eigenen Hühner in den wilden Winterstürmen restlos zugrunde gegangen waren. Der Schwertkämpfer war entsetzt zu erfahren, daß Aurian früher für die Dauer von Eilins Abwesenheit allein im Tal zurückgeblieben war. Dieser neuerliche Beweis für die Vernachlässigung des Kindes erfüllte ihn mit Unverständnis, obwohl sowohl Eilin als auch Aurian mit diesem Arrangement ganz zufrieden gewesen waren. »Ich wollte doch nie mitgehen«, meinte das Kind. »Ich hätte bestimmt Windschwinge und die Tiere vermißt. Mir ging es hier immer prima.«

»Natürlich«, stimmte Eilin ihr zu. »Sie hatte und hat ja die Wölfe, die sie beschützen, und falls doch einmal etwas passiert wäre, hätte Windschwinge oder einer der anderen Vögel mir sofort Nachricht gebracht.«

Forral seufzte und gab auf. Was für ein törichtes, stures, unbelehrbares Paar diese beiden doch waren. Typische Magusch! Er tröstete sich damit, daß zumindest in diesem Jahr jemand da war, der das Kind verantwortungsbewußt im Auge behielt.

Also machte Eilin sich mit ihrem Pferd auf den Weg, einer weißen Stute, die Forral noch nie zuvor gesehen hatte, da die Magusch nur selten Zeit zum Reiten fand. Nach Eilins Abreise stellte Forral fest, daß es für Aurian und ihn im Tal mehr als genug zu tun gab. Manchmal gingen sie mit Windschwinge auf die Jagd. Außerdem mußten die Ziegen gemolken und die Fischfallen, die die Magusch an den Ufern des Sees angelegt hatte, regelmäßig kontrolliert und neu ausgestellt werden. Weit schlimmer war, daß das Unkraut im Garten sich die Abwesenheit der Magusch zunutze zu machen schien und über Nacht in die Höhe schnellte. Noch immer voller Ehrfurcht angesichts der Größe der Aufgabe, die Eilin sich gestellt hatte, fühlte Forral sich verpflichtet, ihr zu helfen, wo er nur konnte. Neben seiner Arbeit im Garten verbrachte er einen Großteil seiner Zeit in der Nähe des Turms, um die schlimmsten Winterschäden zu reparieren.

Aurian wurde das alles schon bald langweilig. Sie begann, ihm in der besten Absicht zu helfen, aber nach einer Weile stahl sie sich unausweichlich davon, angeblich, um ihre Tiere zu besuchen. Aber im Laufe der Zeit bemerkte der Schwertkämpfer, daß das Kind immer häufiger verschwand, und er begann, sich darüber zu wundern. Als er sie fragte, womit sie ihre Tage zubrachte, waren ihre Antworten vage und ausweichend. Da sie im Grunde ein ehrliches Kind war, war sie eine schrecklich schlechte Lügnerin. Es blieb nicht aus, daß Forral an den Tag denken mußte, an dem sie einander zum ersten Mal begegnet waren und er sie dabei erwischt hatte, wie sie auf der kleinen Lichtung mit Feuerbällen spielte.

Der Verdacht, daß sie es wieder tun könnte, erfüllte ihn mit tiefer Sorge. Er wußte bereits, daß sie Eilins Erdmagie geerbt hatte. Sie konnte mit den Tieren sprechen und beherrschte das Kunststück, junge Pflanzen wachsen zu lassen. Das war kein Problem. Eilin konnte ihre Bemühungen überwachen, und in der Erdmagie gab es kaum etwas, womit sie sich hätte verletzen können. Aber Geraints Gebiet war die Feuermagie gewesen, und die schwierige Beherrschung der gewaltigen Energien, die dazu nötig waren, machte die Feuermagie zur gefährlichsten der Maguschdisziplinen. Der Schwertkämpfer war besorgt.

Hatte das Kind auch Geraints Fähigkeiten geerbt? War sie eine jener seltenen Magusch, denen alle Formen der Magie zur Verfügung standen? Wenn ja, dann wäre sie ohne eine ordentliche Ausbildung in ernster Gefahr – sie und alle, mit denen sie in Kontakt kam.

Forral dachte daran, Eilin bei ihrer Rückkehr seinen Verdacht anzuvertrauen, aber irgend etwas ließ ihn zögern. Eilin war besessen von ihrer Trauer um Geraint, und sie würde niemals mit einem Kind leben können, das dessen potentiell zerstörerische Kräfte geerbt hatte. Es wäre tragisch, wenn sie Aurian ablehnte, gerade nachdem sich ihre Beziehung zum Besseren gewendet hatte. Außerdem hatte er keinerlei Beweise. Solange das so war, hatte es keinen Sinn, die Dinge unnötig zu komplizieren. Er würde sich erst einmal selbst darum kümmern.

Als Aurian das nächste Mal davonschlüpfte, folgte Forral ihr. Er fürchtete, daß die Vögel ihn verraten würden, aber sie waren zu sehr damit beschäftigt, ihre gefräßige Brut zu füttern, um an etwas anderes zu denken. Sobald sie den Turm hinter sich gelassen hatte, rief Aurian ihr Pony, und Forral lief fluchend zurück, um sein eigenes Pferd zu holen. Das Tier, das nun meist müßig auf der Weide stand, war fett und verspielt geworden; es kostete ihn keine geringe Mühe, das widerspenstige Tier zu bändigen. Als er dann Aurians Spur wiedergefunden hatte, wurde dem Schwertkämpfer klar, daß sie offensichtlich zu dem Wald jenseits des Kraters wollte, aber nicht auf dem direkten Weg durch den Krater hindurch, sondern im Halbkreis an dessen Rang entlang. Forral runzelte die Stirn. Es war eindeutig, daß sie irgend etwas vor ihm verbarg. Schließlich führte ihre Spur ihn zu eben jener Lichtung, an der sie sich zuerst begegnet waren. Forral spähte durch das dichte Unterholz und hielt die Luft an.

Aurian mußte sich aufs äußerste konzentrieren. Noch nie hatte sie mit mehr als sechs Feuerbällen auf einmal jongliert, und es fiel ihr schwer, sie alle gleichzeitig in der Luft und unter Kontrolle zu halten, ohne sich dabei zu verbrennen. Ihr Gesicht war schweißnaß, und sie wurde schnell müde. Einer der glühenden, bunten Flammenbälle brach plötzlich aus. Er flog direkt auf einen Baum zu, und sie brachte ihn nur mit einer gewaltigen Willensanstrengung, bei der sie sich beinahe ihr Haar versengt hätte, wieder unter Kontrolle. Das war jetzt genug für heute. Mit großer Vorsicht brachte sie die unruhigen Flammen noch in der Luft zum Verlöschen und setzte sich auf einen am Boden liegenden Baumstamm. Sie war erschöpft, aber auch sehr zufrieden mit sich.

Bevor ihre Ohren Zeit hatten, das Krachen im Unterholz wahrzunehmen, spürte Aurian, wie sie an den Schultern gepackt, in die Höhe gerissen und herumgewirbelt wurde, um direkt in Forrals zornsprühende Augen zu blicken. Sie schluckte, und ihr Gesicht brannte schuldbewußt. Sie hatte den großen Mann noch niemals so wütend gesehen.

»Was hast du da gemacht?« rief er. »Sag es!«

Aurian öffnete den Mund, aber kein Laut kam ihr über die Lippen. Er schüttelte sie so heftig, daß ihre Zähne aufeinanderschlugen. »Sag es!« brüllte er.

»Hm – mit Feuerbällen gespielt.« Aurian schaffte es kaum, die Worte herauszubekommen.

»Und was habe ich dir gesagt?«

»Daß – daß ich es nicht soll.«

»Und warum?«

»Weil es sehr gefährlich ist«, erwiderte Aurian mit leiser Stimme. Sie war so verängstigt, daß sie nicht einmal weinen konnte, und die Veränderung ihres stets geduldigen Freundes in einen zornigen Erwachsenen hatte ihr einen Schock versetzt.

»Nun, du wirst gleich herausfinden, wie gefährlich es ist!« Mit grimmigem Gesicht setzte Forral sich auf den Baumstamm, legte sie übers Knie und versohlte sie, bis sie laut aufheulte. Die Schläge waren schon schmerzlich genug, aber was Aurian noch mehr traf, war der Umstand, daß es ihr geliebter Forral war, der sie so hart bestrafte. Es schien mehrere Ewigkeiten zu dauern, bis er endlich damit aufhörte. »Das hast du verdient«, übertönte er mit schroffer Stimme ihr Schluchzen. »Du hast genau gewußt, daß du das nicht durftest, aber du hast es trotzdem getan. Ich dachte, ich könnte dir vertrauen, Aurian. Aber jetzt sehe ich, daß ich mich geirrt habe.« Unsanft setzte er sie auf den Boden. Die Kleine vergrub ihr Gesicht in dem weichen Kompostboden und schluchzte sich das Herz aus dem Leibe. Als sie wieder aufsah, war Forral verschwunden.

Aurian war zutiefst gedemütigt. Sie konnte einfach nicht glauben, daß Forral sie verprügelt hatte. Er hatte sie noch nie geschlagen. Er war doch ihr Freund! Langsam begann es ihr zu dämmern, daß sie wirklich etwas Böses getan haben mußte. Aber es machte doch solchen Spaß! »Ich werde nicht damit aufhören«, murmelte sie rebellisch vor sich hin. »Ich werd’s ihm schon zeigen!« Aber die Stimme ihres Gewissens schaltete sich ein. Forral tat niemals etwas ohne guten Grund, und am Ende stellte sich immer heraus, daß er recht hatte. Plötzlich kam ihr ein neuer Gedanke. Wenn sie ihn nun so wütend gemacht hatte, daß er fortging? Aurian stand mühsam auf und rief ihr Pony. Plötzlich hatte sie es verzweifelt eilig, nach Hause zu kommen. »Oh, bitte, wenn er nur noch da ist«, betete sie. »Ich werde es nie wieder tun, wenn er nur noch da ist.«

Sie konnte nicht reiten. Es tat zu weh. Also rutschte sie wieder von ihrem Pony herunter, wobei sie laute Flüche ausstieß. Dann fuhr sie sich selbst schuldbewußt mit der Hand über den Mund. Mit zusammengebissenen Zähnen machte sie sich auf den Weg, wobei sie sich immer wieder Tränen abwischen mußte, die ihr die Wange herunterliefen. Dunkelheit senkte sich über das Land. Sie wußte, daß ihr im Becken des Kraters nichts geschehen konnte, denn die wilden Geschöpfe dort waren ihre Freunde. Wie alle Magusch hatte sie eine hervorragende Nachtsicht, und wenn sie vorsichtig war, brauchte sie nicht zu befürchten, in eine der versteckten Bodenfalten hineinzufallen. Es bestand auch keine Gefahr, daß sie sich verlaufen würde. Sie mußte lediglich auf das flackernde Licht zugehen, das wie ein Signalfeuer oben auf dem Turm brannte. Aber außer dem einen Mal, als sie sich im Schnee verirrt hatte, war Aurian noch nie bei Nacht draußen in der unendlichen, leeren Dunkelheit des Ödlands gewesen. Sie fühlte sich plötzlich furchtbar niedergeschlagen und einsam, und Forral liebte sie überhaupt nicht mehr. Sie schluckte, um ein Schluchzen zu unterdrücken, und tat sich selbst schrecklich leid. Ihre Füße begannen zu schmerzen, und ihr Hinterteil brannte noch immer. Es war ein trauriges kleines Mädchen, das schließlich über die Brücke schlich, die zum Turm führte.

Erst viele Jahre später erzählte Forral ihr, daß er sich nie weit von ihr entfernt hatte; wie ein Schatten war er ihr gefolgt, bis sie in sicherer Entfernung ihres Zuhauses war, und da er nicht ihre Nachtsicht hatte, war der Weg für ihn viel beschwerlicher gewesen als für sie.

Zu Aurians Erleichterung glühte ein sanftes Licht im Küchenfenster. Forral war also nicht gegangen. Trotzdem dauerte es lange, bis das Kind den Mut aufbrachte, die Tür zu öffnen. Forral saß am Tisch. Er hatte den Kopf auf seine Hände gestützt und sah genauso aufgelöst aus, wie sie sich fühlte. Sie bemerkte, daß seine Kleider an manchen Stellen abgestoßen und schmutzig waren, als sei er irgendwo gestürzt. Er hatte sie nicht eintreten hören – oder vielleicht ignorierte er sie auch. Aurian schlich sich näher an ihn heran. »Forral, es tut mir leid«, sagte sie mit leiser Stimme. Der Schwertkämpfer hob langsam den Kopf und streckte ihr seine Arme entgegen. Aurian, zu erleichtert, um zu sprechen, stürzte auf ihn zu und kletterte auf seinen Schoß. Als er sie fest an sich drückte, begann sie zu weinen – und zu ihrer Überraschung weinte er auch. »Bitte weine nicht«, flehte sie ihn verwirrt an“. »Dich hat doch niemand verhauen«, fügte sie mit einem Anflug von Entrüstung hinzu.

Forrals Mund verzog sich zu einem Lächeln. »Ach, Kind«, sagte er. »Weißt du denn nicht, wie sehr es mir weh getan hat, dich so zu bestrafen?«

Zum ersten Mal erzählte ihr Forral, was genau ihrem Vater zugestoßen war – wie Geraint durch seine eigene Feuermagie zerstört worden war. Als er mit seinem Bericht am Ende war, zitterte Aurian am ganzen Körper. »Das wußte ich nicht«, stieß sie hervor.

»Ich hätte es dir schon früher erzählen sollen«, sagte Forral, »aber ich hatte gehofft, es dir ersparen zu können, bis du etwas älter wärst. Verstehst du jetzt, warum ich so wütend war? Ich hatte solche Angst um dich, Kleines. Wenn du nun versehentlich dasselbe versucht hättest wie er? Ich würde alles tun, um dich davon abzuhalten, selbst wenn das bedeutet, daß ich dir weh tun muß. Ich liebe dich zu sehr, um dich zu verlieren, so wie ich deinen Vater verloren habe.«

»Aber ich kann nicht dagegen an«,– protestierte Aurian. »Wirklich und wahrhaftig, ich kann nicht! Es steckt in mir, und wenn ich nichts zu tun habe, dann – dann kommt es plötzlich über mich. Was soll ich nur machen, Forral?« Sie war jetzt wirklich verängstigt.

»Keine Sorge, Kleines, ich werde mir etwas ausdenken.« Forral hielt sie noch eine Weile schweigend im Arm, während er mit gefurchter Stirn nachdachte. Aurian spürte, wie sie immer müder wurde, aber es widerstrebte ihr, sich aus der tröstlichen Umarmung ihres Freundes zu lösen, um ins Bett zu gehen.

»Forral, erzählst du mir eine Geschichte?« bat sie schläfrig. »Erzähl mir die Geschichte über den größten Schwertkämpfer der Welt. Das ist meine Lieblingsgeschichte.«

»Das ist es!« Forral saß plötzlich kerzengerade da und hätte sie um ein Haar zu Boden geworfen. »Aurian, wie würde es dir gefallen, die berühmteste Schwertkämpferin der Welt zu werden?«

Aurians Gesicht leuchtete in ungläubiger Freude auf. »Könnte ich das?« fragte sie voller Ehrfurcht.

»Ich sehe keinen Grund, warum nicht. Ich werde dich unterrichten – aber ich warne dich, es wird sehr hart werden. Man wird nicht die beste Schwertkämpferin der Welt, indem man nur herumpfuscht. Als ich zu lernen begann, war ich am ganzen Körper grün und blau, jeder Knochen tat mir weh, und am Ende eines jeden Tages war ich so müde, daß ich es kaum noch schaffte, ins Bett zu kriechen. Wenn du möchtest, daß ich dich unterrichte, dann mußt du all das auch ertragen – und es wird zu spät sein, um dann noch deine Meinung zu ändern. Aber zumindest hast du dann nicht mehr eine einzige freie Minute, um dich in Schwierigkeiten zu bringen. Was sagst du dazu?«

Aurian dachte darüber nach. So, wie er es beschrieb, klang es ja nichts besonders lustig, aber auf der anderen Seite war sie jetzt auch grün und blau und furchtbar müde, und einen Tag wie diesen wollte sie nie wieder erleben. Wenn es ihr half, dieser Art Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, dann war sie wirklich dafür. Alle Helden aus Forrals Geschichten marschierten durch ihre Erinnerung und beflügelten ihre Phantasie. »Ja«, rief sie mit plötzlicher Entschlossenheit. »Ich will es!«

Das war der Anfang von Aurians Ausbildung. Schon am nächsten Tag machte Forral ihnen zwei hölzerne Übungsschwerter, und sie suchten sich einen abgelegenen Platz für ihre Unterrichtsstunden – in sicherer Entfernung vom Turm. Als Eilin zurückkehrte, mußte Aurian Forral schwören, daß sie kein Wort sagen würde. »Deine Mutter wäre bestimmt nicht damit einverstanden, und wir wollen ihr doch nicht erklären müssen, warum wir überhaupt damit angefangen haben«, sagte er warnend. Aurian stimmte ihm aus ganzem Herzen zu.

Zuerst war es schrecklich. Forral nahm keine Rücksicht auf ihren Mangel an Körpergröße und Kraft, und sie lernte schnell, daß sie in sehr kurzer Zeit sehr gut werden mußte, wenn sie ohne blaue Flecken davonkommen wollte. Am Anfang konnte sie nichts anderes tun, als sich zu ducken und seine Hiebe abzuwehren, ohne auch nur daran denken zu können, selbst anzugreifen. Jeden Abend ging sie mit schmerzenden Gliedern und dunklen Flecken am ganzen Körper zu Bett, und die erste wertvolle Lektion, die sie lernte, war Durchhaltevermögen. Forral zeigte ihr auch Übungen, um sich beweglich zu halten und die Muskeln aufzubauen. Außerdem brachte er ihr Atemübungen bei und unterwies sie in der Kunst der Meditation, damit sie lernte, ihren Geist für den Kampf zu beruhigen und zu schärfen. Aurian hatte keine Ahnung, welches Glück sie hatte. Forral war zwar zu bescheiden, es zuzugeben, aber er war einfach der Beste von allen. Unter seiner Anleitung erlernte sie schließlich auch die Präsenz der Krieger – den tranceartigen Zustand, in dem sich alle Sinne vereinen, um gemeinsam zu etwas Größerem zu werden als der Summe ihrer Teile – ein einziger Sinn, der zu einer Verlängerung des lebenden Schwertes wird – der das Schwert ist, so daß die Klinge, wenn der Geist den nächsten Schritt ersinnt, bereits dort ist.

Aurian fand am Unterricht immer mehr Gefallen. Sie lebte ganz für ihre Fechterei und ging sommers wie winters mit Forral hinaus, um zu trainieren. Sie litt und plagte sich, schwitzte und erduldete, und als sie zwölf Jahre alt war, hatte sie alle Fähigkeiten, die notwendig waren, um es mit einem durchschnittlichen Schwertkämpfer aufzunehmen, der doppelt so alt und doppelt so groß war wie sie – und zu gewinnen. Ihr Körper war schlank und geschmeidig wie ein Grashalm, und das kam ihr jetzt sehr zugute. Als ihre Brüste sich zu vergrößern begannen, war sie entsetzt. Immer wieder waren sie ihr im Weg. Schließlich beklagte sie sich bei Forral darüber, der zuerst nur unbehaglich grunzte, ihr dann aber eine eng anliegende Lederweste machte, wie sie von den Frauen unter den Kriegern bevorzugt wurde. Die Weste wurde vorne eng zusammengeschnürt und hielt die lächerlichen Dinger sehr wirksam unter Kontrolle.

Einige Wochen vor ihrem dreizehnten Geburtstag verließ Forral aus einem mysteriösen Grund, über den er nicht sprechen wollte, das Tal. Aurian grämte sich sehr, denn sie mochte ihn einfach nicht mehr missen. Während seiner Abwesenheit wuchs auch erneut die Versuchung, ihre Kunststückchen mit den Feuerbällchen wiederaufzunehmen, aber sie war fest entschlossen, das Versprechen, das sie dem Schwertkämpfer gegeben hatte, zu halten. Statt dessen bat sie ihre Mutter, sie weiter in der Erdmagie zu unterweisen.

»Ah, jetzt, wo Forral weg ist, hast du plötzlich Zeit für deine Mutter«, beklagte sich Eilin, aber sie lächelte. Forrals Gegenwart hatte alles verändert, und Mutter wie Tochter kamen in diesen Tagen viel besser miteinander aus als früher. Während jener wenigen Wochen stellte Aurian fest, daß sie Eilins Gesellschaft genoß. Die Magusch nutzte auch die Gelegenheit, ihre Tochter zu lehren, was bald mit ihrem heranreifenden Körper geschehen würde und wie die Maguschfrauen mit dieser Angelegenheit umgingen. Und Aurian arbeitete natürlich hart an Forrals Übungen, denn sie hoffte, ihn bei seiner Rückkehr mit ihren Fortschritten zu beeindrucken.

Forrals Rückkehr entschädigte sie schließlich voll und ganz für seine Abwesenheit. Er hatte ihr ein kostbares Geschenk zu ihrem Geburtstag mitgebracht – ein echtes, eigenes Schwert für sie. Aurian spürte einen Frosch in ihrem Hals, als sie es auspackte und die lange, scharfe Klinge mit einem stählernen Zischen aus der schwarzsilbernen Scheide zog. Sie schlang ihre Arme um Forral. »Oh, ich danke dir«, stieß sie hervor. Das Schwert funkelte leuchtend blau in dem bleichen Licht der Wintersonne, das wie glitzerndes Feuer über seine rasierklingenscharfe Schneide fiel. Auf dem Griff prangte ein einzelner weißer Edelstein. Es war schmaler als Forrals großes Breitschwert, stark, elegant – und tödlich. Aurian hatte noch niemals etwas so Schönes gesehen.

Und es war, als müßte sie noch einmal ganz von vorne anfangen. Das Schwert war für eine erwachsene Aurian gemacht; die Dreizehnjährige konnte die schwere Klinge kaum heben, geschweige denn schwingen. Sie biß die Zähne zusammen und verdoppelte ihre Übungen zum Muskelaufbau. Am Ende einer jeden Lektion taten ihr der Rücken und die Arme weh. Sie machte die Erfahrung, daß ein Kampf mit einer richtigen Klinge eine vollkommen andere Technik erforderte als ein Scharmützel mit dem leichten, hölzernen Übungsschwert, das ihr bisher so gute Dienste geleistet hatte, und so war sie gezwungen, wieder ganz von vorn zu beginnen. Aurian war in der Vergangenheit ziemlich selbstsicher geworden, was ihr überragendes Können betraf, und sah sich bereits als große Schwertkämpferin. Jetzt mußte sie begreifen, daß sie sich geirrt hatte. Die Frage der Sicherheit wurde zu einem wesentlichen Faktor bei ihren Übungen. Nun, da sie und Forral tödliche Stahlklingen benutzten, war das Risiko groß, daß sie einander ernsthafte Verletzungen zufügen konnten, und Aurian mußte lernen, daß sie nicht länger improvisieren konnte, wie sie es früher getan hatte.

Es schien eine ganze Ewigkeit zu dauern, aber ganz allmählich, nachdem sie während des folgenden Frühlings und Sommers hart gearbeitet hatte, kam Aurian immer besser mit ihrem Schwert zurecht. Zumindest gehorchte ihr nun die Klinge so weit, daß ihre Hiebe dort auftrafen, wo sie auftreffen sollten. Das Schwert war wohl ausbalanciert und wunderbar fein gearbeitet, und es war eine Freude, mit ihm zu fechten. Forral lehrte sie, es sorgfältig zu pflegen, und sie sorgte dafür, daß sowohl die Klinge als auch die Scheide stets peinlichst sauber und gut geölt waren. Das Schwert glitzerte in der Sonne, wenn sie es schwang, und es sang, wenn sie die Luft damit zerteilte.

Deswegen gab Aurian ihm den Namen Coronach, was soviel bedeutete wie Totenlied. »Eine gute Klinge verdient einen guten Namen«, pflichtete Forral ihrer Wahl mit ernster Stimme bei.

Das Unglück ereignete sich kurz vor Jahresende, als der erste Schnee den Boden mit einem dünnen, weißen Film überhaucht hatte. Vielleicht war Forral ein wenig vorschnell gewesen und hatte ihr das Schwert zu früh gegeben; vielleicht hatte Aurian auch ein übertriebenes Selbstbewußtsein entwickelt. Was immer auch der Grund gewesen sein mochte, sie machte einen tödlichen Fehler. Sie und Forral kämpften an der gewohnten Stelle, als Aurian aus eigenem Antrieb beschloß, einen neuen Schritt auszuprobieren, den sie sich vor kurzem ausgedacht hatte. Sie wich vor ihm zurück, duckte sich und fuhr herum – in der Absicht, ihre Klinge dann plötzlich hochzureißen und die Deckung ihres Widersachers zu durchbrechen, um auf seine Kehle zu zielen. Aber der Versuch hatte furchtbare Folgen. Als Aurian herumfuhr, rutschte sie auf dem Schnee aus. Sie verlor das Gleichgewicht, und ihr Schlag ging weit daneben, so daß sie Forrals von oben geführtem, tödlichem Hieb schutzlos ausgeliefert war. Er schrie auf und versuchte, die schwere Klinge zur Seite, an Aurian vorbeizureißen, aber der Schwung der stählernen Masse war viel zu groß, als daß ihm das noch hätte gelingen können. Die breite Klinge drang mit übelkeitserregendem Knirschen zerschmetternder Knochen tief in Aurians linke Schulter.

Auf Forrals verzweifelte Hilfeschreie hin kam Eilin die Turmtreppe heruntergestürmt. Am Fuß der Treppe blieb sie mit aschfahlem Gesicht stehen. Forral, dem die Tränen übers Gesicht strömten, trug Aurians leblosen Körper, den er in seinen blutdurchtränkten Umhang gehüllt hatte. Eine Blutspur führte durch die offene Tür hinter ihm; auf den Steinplatten des Küchenbodens bildete sich bereits eine Lache. Er spürte, wie Aurians Blut ihm warm und klebrig durch die Kleider sickerte. »Oh, ihr Götter«, schluchzte er, und sein Gesicht verzerrte sich vor Angst. »Eilin, ich habe sie getötet!«

Eilin zitterte am ganzen Körper, als sie ihm Aurian abnahm und sanft auf den Küchentisch legte. Er hörte ihr Keuchen, als sie die schreckliche Verletzung erblickte. Die Magusch tastete an Aurians Kehle nach einem Pulsschlag. »Den Göttern sei Dank, sie lebt noch«, murmelte sie. Erst da wagte es auch Forral, einen Blick auf das Mädchen zu werfen. Sein Schwert hatte tief in Aurians Schulter geschnitten, ihr Schlüsselbein zerschmettert und ihr um ein Haar den ganzen Arm abgetrennt. Ihr Gesicht war grau von dem Schock und dem Blutverlust.

Forral sackte in sich zusammen. Während er benommen zu seinem Stuhl hinübertaumelte, schien der Raum vor seinen Augen zu verschwimmen. Zu oft hatte er mitangesehen, wie gute Freunde verstümmelt und getötet worden waren, und er hatte seinen Feinden in der Schlacht weit schlimmere Wunden zugefügt, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, aber dies war ein Mädchen, ein Mädchen, das er mehr liebte als das Leben selbst. Es war mehr, als er ertragen konnte. »Es tut mir leid. Es war meine Schuld. Ich …«

»Still!« fuhr Eilin ihn an. Sie legte ihre Hände auf die Wunde, und ihre Augen verengten sich, als sie sich darauf konzentrierte, all ihre Energien zu bündeln. »Ich wünschte nur, ich hätte mich mehr mit dem Heilen beschäftigt«, murmelte sie hilflos. Aber während Forral mit angehaltenem Atem zusah, verkleinerte sich der Blutfluß zu einem Rinnsal und erstarb schließlich ganz. Eilin richtete sich auf und drehte sich mit funkelnden Augen zu ihm um. Forral fiel auf die Knie.

»Eilin, es war ein Unfall …«

»Das ist jetzt gleich! Reite nach Nexis, Forral. Hol die Heilerin aus der Akademie! Beeil dich! Es ist immer noch möglich, daß wir sie verlieren!«

Erleichtert, etwas Sinnvolles tun zu können, machte Forral sich schnellstens auf den Weg; der Anblick von Aurians bleichem, verzerrtem Gesicht stand während des ganzen Ritts vor seinem inneren Auge. Sein Pferd stürmte in einem wuchtigen Galopp davon, voller Angst vor diesem wildäugigen Wahnsinnigen, der ihm den Sattel so roh über den Rücken geworfen hatte. Er hatte ihm eins über die Nase gedroschen und den Sattelgurt unbarmherzig angezogen. Dann war er auf seinen Rücken gesprungen und hatte ihn vorwärts getrieben, daß der Schnee nur so stob, weil er das unwegsame Gelände des Kraters unbedingt noch vor dem Ende der Abenddämmerung hinter sich lassen wollte. Der Ritt nach Nexis dauerte normalerweise fünf Tage. Forral hatte die Absicht, es in nur zwei Tagen zu schaffen.

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