29 Kanalratten

Die alte Bäckerei hatte sich so verändert, daß Anvar, wäre er dort gewesen, das Heim seiner Kindheit kaum wiedererkannt hätte. Nach Rias Tod hatte Torl den Mut verloren. Sein blühendes Geschäft in der Arkade war dem gleichen Feuer zum Opfer gefallen, das auch seine Frau getötet hatte, so daß ihm nur sein altes, kleineres Haus geblieben war. Aber auch dort hatten sich – ohne Ria, die immer alles saubergehalten hatte, und ohne Anvars Arbeit – die Dinge stetig weiter verschlechtert. Trotz Berns Bemühungen, das Geschäft, das er einmal erben würde, zu retten, war die Bäckerei in einem schäbigen Zustand. Der Putz bröckelte ab, und das Dach bedurfte dringend einer Reparatur. Das Innere des Hauses war von Spinnweben überzogen und schmutzig, und es hätte einen neuen Anstrich gebraucht.

Kein Wunder, daß wir unsere Kundschaft verloren haben, dachte Bern angewidert, als er die Brotlaiber für den nächsten Tag aus dem Ofen zog. Torl, der zu einem mürrischen, verbitterten Mann geworden war, machte sich schon längst nicht mehr die Mühe, früh am Morgen aufzustehen, um jeden Tag einen frischen Schub Brot zu backen. Um die Wahrheit zu sagen, wäre das auch kaum der Mühe wert gewesen. Stirnrunzelnd betrachtete Bern den Stapel altbackener Brotlaiber, der auf dem Tisch unterhalb des Fensters lag. Alle hier in der Gegend kannten die Bedingungen, unter denen Torls einstmals berühmtes Brot jetzt gemacht wurde, und niemand wollte es mehr haben.

Gerade in diesem Augenblick kam der Gegenstand von Berns düsteren Gedanken in die Bäckerei marschiert. Die Flammen im Ofen flackerten bei dem starken Zug der geöffneten Tür, und eine wirbelnde Schneewolke folgte Torl in die Stube; die Flocken leuchteten wie kleine Funken im Licht seiner Laterne. Der neue Rat, der im Sold der Magusch stand, hatte befohlen, daß kein Geld mehr für Lampenentzünder verschwendet werden sollte. In den dunklen Straßen gedieh nun das Verbrechen, und die Leute waren gezwungen, ihre eigene Beleuchtung mit hinaus zu nehmen.

»Schreckliche Nacht«, knurrte Tori. »Verdammter Winter!«

»Putz dir die Füße ab, Vater.« Bern wußte schon, bevor er die Worte ausgesprochen hatte, daß es sinnlos war. Tori zuckte mit den Schultern, wie er es immer tat, und begann den Schub altbackener Brotlaiber in einen Sack zu laden, den er aus dem leeren Stall geholt hatte.

»Ich geh’ in die Taverne«, murmelte er. »Harkas will das Brot für seine Schweine.«

»Vater, nicht schon wieder!« protestierte Bern. »Wir können so nicht weitermachen. Wenn du das Geld, das du von Harkas bekommst, nach Hause brächtest, statt es zu vertrinken, könnten wir es uns vielleicht leisten, hier wieder alles soweit in Ordnung zu bringen, daß das Brot auch für Menschen taugt. Außerdem kann er dir auch nicht besonders viel bezahlen. Es ist schon lange her, daß du beschwipst nach Hause gekommen bist, geschweige denn betrunken.«

»Kümmere dich um deinen eigenen Dreck, Bern.«

»Um meinen eigenen Dreck soll ich mich kümmern? Dieser Dreck – dieses Geschäft hier – ist alles, was ich … was wir haben, und du treibst es unaufhaltsam dem Ruin entgegen!«

Tori machte ein finsteres Gesicht. »Und wenn ich das tue? Welchen Sinn hätte es denn, zu arbeiten, wenn diese verdammten Magusch die Stadt ausbluten! Der Zehnte hier, Steuern da … Ich würde lieber das Haus hier abbrennen, als den Magusch auch nur noch ein einziges Kupferstück nachzuwerfen!«

Bern, zutiefst erschrocken, versuchte versöhnlich zu sein. »Sieh mal, Vater, warum nimmst du mich heute abend nicht einfach mit? Ich könnte selbst auch ein Bier vertragen, und vielleicht könnten wir zusammen Harkas etwas mehr Geld für unser Brot abschwatzen. Was hältst du davon?«

»Nein!« Die heftige Antwort seines Vaters überraschte Bern. Tori wandte verschlagen den Blick von seinem Sohn ab. »Nicht heute abend, Bern, hm? Es ist absolut scheußlich da draußen, und du hast heute hart gearbeitet. Du solltest dich nicht durch den Dreck und den Schnee hindurchschleppen, nur um mir Gesellschaft zu leisten. Ruh dich schön aus. Komm lieber ein andermal mit.« Mit diesen Worten war er aus der Tür und verschwunden, bevor sein Sohn auch nur hätte blinzeln können. »Was, zum Kuckuck, hat er vor?« murmelte Bern. Er bedeckte nur noch das Feuer im Ofen mit Asche, dann warf er sich seinen schäbigen Umhang um die Schultern, entzündete eine Laterne und verließ die Bäckerei, um den Spuren, die sein Vater im Schnee hinterlassen hatte, zu folgen.

Torl fror. Da er den Sack in der einen und die Laterne in der anderen Hand hielt, war es ihm unmöglich, seinen Umhang festzuhalten, und er flatterte in dem eisigen Wind wild um seinen Körper. Als er versuchte, den Umhang wieder zusammenzuraffen, ließ er den Sack fallen, und die Brote fielen auf den Boden, so daß er stehenbleiben und sie aufheben mußte. »Dieser verdammte Vannor«, fluchte er. »Ich weiß wirklich nicht, warum ich das hier tue, jetzt, da er kein Gold mehr hat.« In Wahrheit wußte er es natürlich ganz genau. Er half Vannors Rebellen aus purem Haß – um sich an den verfluchten Magusch zu rächen, die seine Familie kaputtgemacht, sein Geschäft ruiniert und sein Leben zerstört hatten. Wenn er daran dachte, schienen ihm einige alte Brote und ein gewisses Risiko ein geringer Preis zu sein.

Vannor hatte sein Hauptquartier in dem raffinierten System von Abwasserkanälen errichtet, und zwar in einer Reihe von Tunneln, die über den Hauptabflußrohren gebaut waren, um die Wassermassen schwerer Regengüsse oder der Schneeschmelze aufzufangen. Sie waren sauberer als die eigentlichen Abwasserkanäle und würden, bis es taute, einigermaßen trocken und bewohnbar bleiben. Die Magusch hatten in diesem nördlichen Teil der Stadt nur wenige Freunde, so daß Verbündete, die oberhalb der Kanäle lebten, die Nahrungsmittel und andere Dinge zu den Rebellen hinunterschmuggeln konnten. Der Abflußkanal unter Torls Haus war ein idealer Standort. Bei seinem bitteren Haß auf die Magusch konnte man ihm unbedingt vertrauen. Außerdem brannte in der Bäckerei für gewöhnlich der Ofen, und etwas von seiner Wärme sickerte durch die Erde hindurch, um die Bedingungen in den eiskalten Kanälen ein wenig zu verbessern. Karlek, der früher bei der Garnison als Offizier für Belagerungstechnik gedient hatte, hatte einen Schornstein in den Rauchfang des Ofens gebrochen, so daß sie ein Feuer entzünden konnten, ohne daß der Rauch Aufmerksamkeit erregte, und außerdem versorgte der Bäcker sie auch regelmäßig mit Brot. Wirklich, dachte Torl, Vannor und seine Männer konnten sich glücklich schätzen, ihn als Verbündeten zu haben.

Es war nicht weit. Torl ging um die Bäckerei herum und bog in eine schmale Gasse ein, die hinter einem mit hohen Mauern umgebenen Stall verlief. Er hielt inne, um sich kurz umzusehen, aber hier in diese Sackgasse hatte sich noch nie jemand verirrt. Dann legte er den Sack auf den Boden und bückte sich mit einem Grunzen, um ein Gitter anzuheben, das ins Pflaster eingelassen war. Der Bäcker nahm Brot und Laterne wieder an sich, ließ sich in den Kanal hinunter und streckte die Hand aus, um das Gitter wieder an Ort und Stelle zu ziehen. Er merkte nicht, daß er beobachtet wurde.

Bern konnte es kaum glauben, als sein Vater in dem Kanal verschwand. Er entfernte sich schnell aus seinem Versteck in den Schatten und lief zu dem Gitter hinüber, gerade rechtzeitig, um aus der Schwärze darunter Torls Flüstern zu hören. »Ich bin es. Hör mal, ich muß unbedingt mit Vannor sprechen. Ich glaube, mein Sohn wird langsam mißtrauisch.«

Bern versteifte sich. Vannor? Die Magusch hatten Vannor zum Geächteten erklärt. Überall in der Stadt gab es Gerüchte, daß er eine Armee gegen die Magusch um sich versammelte. Bern brauchte nur einige Sekunden, um die offensichtliche Schlußfolgerung zu ziehen – und die Lösung für seine Probleme zu finden. Torl würde für seinen Verrat sterben und für alle Zeiten aus dem Wege sein – und natürlich würde es auch eine Belohnung geben. Er konnte das Geschäft wieder aufbauen … Bern rappelte sich auf und rannte los. Sollte er zur Akademie gehen? Nein, die Garnison war näher. Sie konnten die Rebellen überraschen und Torl auf frischer Tat ertappen. Er würde sich allerdings zuerst versichern, daß es auch eine Belohnung gab. Der neue Kommandant, Angos, war ein übellauniger Söldner, der in den Diensten der Magusch stand; ein Mensch, der seine Großmutter für einen Gewinn verkaufen würde. Aber wen kümmerte das, wenn er und seine Soldaten Berns Erbe sicherten? Ungeachtet des Schnees begann Bern, schneller zu laufen.

»Sie lebt noch, ich sage es euch!« Miathans knochige Fäuste hämmerten mit lautloser Gewalt auf die dicke Decke, die über seinem Bett lag. Unter dem Verband, der die Zerstörung seiner ausgebrannten Augen verbarg, war sein Gesicht vor Wut verzerrt.

Bragar trat näher an Eliseth heran, um ihr ins Ohr zu flüstern: »Bist du sicher, daß sie nur seine Augen und nicht auch sein Gehirn versengt hat?«

»Das habe ich sehr wohl gehört!« Miathan wandte sich mit unfehlbarer Genauigkeit zu dem Feuermagusch um und hob die Hand. Ein kühler, nebliger Dunst ergoß sich mit ungeheurer Geschwindigkeit aus seinen Fingern und sammelte sich um Bragars Füße, wo er sich zu der Gestalt einer glänzenden Schlange vereinigte, die sich langsam um die Beine des Magusch nach oben schlängelte. Bragar unterdrückte einen Aufschrei und versuchte, sich mit hektischen, abwehrenden Gesten zu schützen, aber es war bereits zu spät – der grausame Kopf des magischen Wesens hatte sich bereits bis zu seinem Gesicht hinaufgearbeitet. Die Schlange zischte und zeigte messerscharfe Fangzähne, auf denen das Gift glitzerte.

»Miathan, nein!« rief Eliseth hastig. »Er hat es doch nicht so gemeint!«

»Sie hat recht, Erzmagusch! Ich – ich entschuldige mich!« Bragars Stimme war nicht mehr als ein Quieken. Die Schlange verschwand. Miathan stieß ein gehässiges, gackerndes Lachen aus, ein Lachen, das mit schockierender Plötzlichkeit wieder versiegte.

»Was wirst du dagegen tun?«

Die Wettermagusch runzelte die Stirn. »Gegen Bragar, Erzmagusch?«

»Nein, du dummes Weib! Gegen Aurian! Sie ist auf dem Weg hierher! Auf dem Weg zu mir; zu uns allen! Sie sucht meine Träume heim; sie kommt uns immer näher, mit Tod in ihren Augen …«

»Erzmagusch, wie ist das möglich?« protestierte Bragar. »Sie ist in Eliseths Sturm untergegangen. Wir haben es alle gespürt …«

»Es war nicht stark genug!« fuhr der Erzmagusch ihn an. »Nicht so, wie in dem Augenblick, als dieser Kretin von Davorshan es geschafft hat, sich umbringen zu lassen.«

Eliseth stöhnte auf, und Miathan gackerte von neuem los. »Oh, ich habe von Anfang an über dich und Davorshan Bescheid gewußt. Ich mag ja blind sein, aber mir entgeht hier nicht viel, laßt euch das gesagt sein.«

Eliseth drehte sich wütend zu ihm um. »Darum geht es jetzt gar nicht«, sagte sie energisch. »Aurian ist tot! Welchen Unterschied macht es schon, daß wir ihr Dahinscheiden kaum gespürt haben? Das ist doch nicht weiter überraschend, mit dem Ozean zwischen uns – ganz zu schweigen von all der Panik wegen ihres Angriffs auf dich.«

»Eliseth, du bist eine Närrin«, erwiderte Miathan. »Aurian lebt und ist eine Bedrohung für uns alle. Wenn wir behalten wollen, was wir gewonnen haben, dann muß irgend jemand sie aufhalten.« Seine spinnenartigen Hände umklammerten den Kristall an seinem Hals. »Und was ist mit diesem verfluchten Anvar? Ich weiß, daß er deinen stümperhaften Sturm überlebt hat.«

»Wer, zum Kuckuck, ist Anvar?« unterbrach ihn Bragar.

Eliseth sah ihn verständnislos an. »Keine Ahnung.«

»Er war Lady Aurians Diener.« Elewins respektvolle Stimme drang aus der Ecke zu ihnen hinüber. Der Haushofmeister war nun schon so lange dort, um seinen Herrn ergeben zu pflegen, daß sie seine Gegenwart ganz vergessen hatten. »Mein Lord Erzmagusch hat den armen Anvar nie gemocht«, fuhr er fort, »obwohl er der gewissenhafteste Junge war, den ich je gehabt habe –«

»Halt den Mund!« fauchte Miathan. »Ja, er war ihr Diener, und zwar gegen meinen Willen. Ich will, daß er stirbt, habt ihr gehört? Ich will seinen Kopf auf einem Spieß; sein Herz aus seinem lebendigen Körper herausgerissen; seine Leiche in Stücke gehackt und in den Erdboden getreten! Ich will …«

»Seht, Erzmagusch«, murmelte Eliseth und reichte ihm einen Kelch Wein. »Bragar und ich werden uns um Aurian und ihren Diener kümmern, das verspreche ich dir.«

»Nicht Aurian, du Idiotin! Aurian will ich lebend. Ich will sie …« Miathan leckte sich auf unappetitliche Art und Weise die Lippen und versank in eine schmachtende Tagträumerei. Bragar öffnete den Mund, um zu protestieren, aber Eliseth brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.

»Keine Sorge, Erzmagusch«, sagte sie. »Du kannst die Angelegenheit beruhigt in unsere Hände legen. Bleib bei ihm, Elewin!« Dann nahm sie Bragars Hand und zog ihn entschlossen von Miathans Bett weg.

Elewin verbeugte sich respektvoll, als sie das Zimmer verließen. Dann sagte er: »Noch etwas Wein, Erzmagusch?« Er riß den Becher aus Miathans Umklammerung. Dann zog er ein kleines Briefchen aus seiner Tasche und schüttete dessen Inhalt, einen grünlichen Puder, in den Wein, bevor er ihn Miathan zurückgab. »Ist es besser so, Lord Erzmagusch?«

Miathan leerte den Becher. »Ja, es ist gut. Ich erkenne zwar den Jahrgang nicht, aber es ist sehr gut …« Er ließ sich wieder in die Kissen sinken und begann sofort leise zu schnarchen. Elewin nahm ihm den Becher ab und richtete sich auf; all seine Unterwürfigkeit war verschwunden. Dann folgte er den beiden anderen Magusch und schlich nach unten bis zu Eliseths Tür. Dort legte der Haushofmeister ein Ohr auf die Holzpaneele und machte sich bereit, zu lauschen.

Eliseths weißgetünchte Kammer war geräumig und spartanisch eingerichtet. Ihre wenigen Möbelstücke elegant, aber ungemütlich. Bragar wandt sich unbehaglich auf einem harten Holzstuhl hin und her und wünschte, die Wettermagusch würde nicht darauf bestehen, der Welt eine so kühle Fassade zu präsentieren. Er wußte, daß das Schlafzimmer hinter den Türen am anderen Ende des Raumes eine Höhle des Luxus war; ein parfümierter Tempel mit Pelzteppichen und seidenen Wandbehängen, allein der Sinnlichkeit und der Lust gewidmet. Der Gedanke an dieses Zimmer erinnerte ihn auf unerfreuliche Weise daran, daß Eliseth ihm den Zugang zu diesem inneren Heiligtum entschieden verweigert hatte, seit sie begonnen hatte, sich für Davorshan zu interessieren. Wie froh er über den Tod dieses schleimigen Jünglings gewesen war!

»Wein?« Eliseth holte zwei Kelche aus einem Schrank in der Ecke.

»Hast du nichts Stärkeres?«

Die Magusch verdrehte ihre Augen zur Decke. »Du trinkst zuviel, Bragar«, fuhr sie ihn an. »Wie soll ich mich auf dich verlassen, wenn dein Gehirn ständig in Alkohol eingelegt ist?«

»Halt den Mund und gib mir etwas zu trinken!« fauchte Bragar. Warte nur, dachte er. Eines Tages wirst du es mir büßen, daß du mich so behandelt hast. Und wenn ich mit dir fertig bin, wirst du um Gnade bitten – oder um mehr! Der Gedanke daran war zusammen mit dem Glas Schnaps, das sie ihm widerwillig reichte, ein großer Trost.

»Nun, was hältst du davon?« Eliseths Stimme zerstörte seinen Tagtraum. »Nicht, daß es irgendeinen Sinn hätte, dich danach zu fragen«, fügte sie hinzu und setzte sich mit einem Glas Weißwein in der Hand auf einen Stuhl in der Nähe des Feuers.

»Wie schade nur, daß du niemanden sonst hast, mit dem du reden könntest«, gab Bragar zurück, unfähig, dieser Gelegenheit zu widerstehen, sie an Davorshans Tod zu erinnern. Er hatte die Befriedigung, zu sehen, wie ihr Gesicht sich vor Zorn verzerrte. »Was soll ich sagen? Miathans Gehirn ist offensichtlich bei Aurians Attacke in Mitleidenschaft gezogen worden. Wie sollte sie dieses Unwetter überlebt haben?«

Eliseth runzelte die Stirn. »Ich bin mir da nicht so sicher«, sagte sie. »Weißt du noch, wie nah Aurian und der Erzmagusch sich früher gestanden haben? Wenn überhaupt jemand wissen kann, ob sie tot ist oder nicht, dann er.«

»Unsinn! Der alte Narr ist einfach senil, und das weißt du auch. Wir sollten ihn von seinem Elend erlösen und selbst die Macht ergreifen.«

»Bragar, du hast den Verstand eines Ochsen!« fauchte Eliseth. »Wir brauchen den Erzmagusch als Galionsfigur. Dafür hat er gesorgt, als er die Geschichte verbreiten ließ, daß es seine Macht gewesen ist, die die Nihilim zerstört hat. Wir konnten diesen Tölpel Narvish als Repräsentanten der Händler in den Rat hineinmanövrieren, und Angos von der Garnison ist nichts als ein dickköpfiger Söldner, der für einen entsprechenden Preis alles tun wird, was wir sagen. Aber das wird nicht lange so bleiben, wenn Miathan nicht mehr im Spiel ist. Das, was die Stadt in unseren Händen hält, ist lediglich die Angst der Sterblichen vor Miathans Macht und vor dem, was geschehen wird, wenn er sich von ihnen abwendet!«

»Wenn er nur eine Galionsfigur ist, warum müssen wir dann jedesmal springen, wenn er mit den Fingern schnippst?«

Eliseth nahm einen Schluck von ihrem Wein. »Normalerweise müssen wir das nicht – aber wenn eine Chance besteht, daß Aurian überlebt hat, können wir ihre Rückkehr auf gar keinen Fall riskieren. Miathan mag sie ja lebendig wollen, aber ich will das nicht. Ich habe darüber nachgedacht. Wir wissen, daß sie auf See war, und ich kenne die Kraft und die Richtung des Sturms, den ich erhoben habe. Wenn sie überhaupt irgendwo ist, dann muß sie in den Südlichen Königreichen sein.«

»Im Süden? Selbst wenn wir die Leute dazu hätten, könnten wir niemals eine Streitmacht aufstellen, die groß genug wäre, um sie dort zu finden«, protestierte Bragar. »Die Südländer würden es als Invasion auffassen, und ein Krieg ist das letzte, was wir im Augenblick gebrauchen können. Außerdem heißt es doch, die Südländer seien den Magusch feindlich gesinnt. Wenn Aurian dort ist, wird sich das Problem doch sicher von selbst lösen.«

»Warum sollten wir uns darauf verlassen, wenn wir andere Möglichkeiten zu unserer Verfügung haben?« Eliseth sah ihn hinterhältig an. Bragar wußte, daß sie ihn dazu bringen wollte, zu fragen, was sie meinte, damit sie ihn wieder einmal der Dummheit bezichtigen konnte. Er weigerte sich jedoch, ihr Spiel mitzuspielen, und schluckte statt dessen den Inhalt des Glases herunter, bevor er es von neuem auffüllte.

»Du hattest ja immer schon eine hohe Meinung von dir selbst«, sagte er.

»Wie kannst du es wagen!« Eliseth hatte den Köder geschluckt. »Ich bin die einzige Wettermagusch auf der Welt. Wenn ich mit ihnen fertig bin, werden die Südländer sich glücklich schätzen, wenn überhaupt irgend jemand überlebt hat, geschweige denn diese rothaarige Hexe. Ich habe die Landkarten studiert«, fuhr sie nun etwas ruhiger fort. »Die Südlichen Königreiche verfügen über gewaltige Gebirge und riesige Wüsten, und wenn man weit genug nach Süden geht, findet man dort sogar etwas Dschungel. Bei einem solchen Gelände ist es leicht, ein Unwetter zu produzieren. Ein Sandsturm am richtigen Ort oder Schneestürme in den Bergen zur falschen Jahreszeit könnten unser Problem lösen. Auf diese Weise würden die Südlichen Länder außerdem einer möglichen Eroberung zugänglicher gemacht«, fügte sie einschmeichelnd hinzu.

»Das kannst du doch nicht machen, Eliseth!« Die Flasche zuckte in Bragars Händen, und Alkohol ergoß sich auf den weißgetäfelten Boden. »Du wirst das Wetter auf der ganzen Welt verändern. Es könnte Jahrhunderte dauern, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.«

Eliseth zuckte mit den Schultern. »Na und? Wen schert es schon, wenn wir ein paar tausend Sterbliche an Unwetter oder Hungersnöte verlieren? Wenn sich ihre Zahl verringert, sind sie leichter zu kontrollieren. Und was uns betrifft, wir brauchten nicht darunter zu leiden, jetzt, da wir Finbarrs Bannzauber kennen. Wir werden Elewin Nahrungsmittel in den Katakomben lagern lassen, und zwar in unbegrenzten Mengen. Es ist ja nicht so, als hätten wir heutzutage viele Mäuler zu stopfen.«

Bei den Göttern, sie war vollkommen erbarmungslos! Bragar war gleichzeitig beeindruckt und angewidert. Früher einmal war er der Anstifter bei ihren Verschwörungen gewesen, aber jetzt, da es Zeit war zu handeln, statt nur zu reden, stellte er fest, daß er zunehmend ratloser wurde. Es war eine Sache, über negative Magie zu reden, aber das Auftauchen dieser Dinger aus dem Kessel hatte sein Zutrauen zu sich selbst böse angekratzt. Bragar stürzte den Inhalt seines Glases herunter und dachte an das Entsetzen, das die Todesgeister über Nexis gebracht hatten. Wie konnte Eliseth nur so gelassen sein? Ihre schlanke Gestalt wirkte anmutig und kalt, wie ein Speer aus Eis, und doch blühte sie in Situationen, die ihm das Blut gefrieren ließen, erst richtig auf. Sein Bild von ihr, von der unterwürfigen und besiegten Magusch, verflüchtigte sich. Er verlor dieses Spiel; das wußte er jetzt. Seine einzige Hoffnung bestand darin, sich mit ihr zusammenzutun und darauf zu warten, daß sie sich irgendwann übernehmen würde. Dann endlich würde die Reihe wieder an ihm sein. Er beschloß, seine Taktik zu ändern. »Vielleicht hast du recht …« Er unterbrach sich, plötzlich aufmerksam gemacht von einem warnenden Prickeln im Nacken, von einem winzigen Anflug eines Geräuschs draußen vor der Tür. Er stand so hastig auf, daß er den Stuhl hinter sich umwarf, und schoß durch den Raum, um die Tür aufzureißen.

»Bragar, was machst du da?«

Der Feuermagusch spähte in das leere Treppenhaus und schloß dann die Tür, während er verwirrt den Kopf schüttelte. »Ich dachte …«

Elewin, der sich hinter der Biegung der Treppe flach an die Wand preßte, stieß in einem langen Seufzer den Atem aus, den er angehalten hatte. Um Haaresbreite hätte man ihn entdeckt! Einen Augenblick lang dachte er darüber nach, noch einmal zurückzukehren, aber es hatte keinen Sinn, ein solches Risiko einzugehen. Er hatte genug gehört und mußte seine Informationen weitergeben. Also eilte er die Treppe hinunter und schloß die Tür, die aus dem Turm herausführte.

Bei den Göttern! Würde es denn niemals Frühling werden? Dieser verfluchte Winter schien ewig dauern zu wollen. Nach den Stunden in Miathans warmen Gemächern schauderte Elewin in der bitterkalten Luft. Es war wieder Neuschnee gefallen, während er sich um den Erzmagusch gekümmert hatte, aber jetzt war der Nachthimmel klar, und die Temperatur war noch weiter gesunken. Der Schnee, der zu einer harten, scharfen Kruste gefroren war, knirschte laut unter seinen Stiefeln, als er den Hof überquerte, und er blickte nervös hinauf zu dem hell erleuchteten Fenster von Eliseths Zimmer. Wenn sie ihn hörten und hinaussahen … Er würde niemals erklären können, warum er in die Bibliothek ging, und schon gar nicht mitten in der Nacht. Miathan brauchte heutzutage keine Bücher mehr, dachte er trocken.

Seit Finbarrs Tod war die Bibliothek dunkel und leer gewesen. Die Bannzauber, die einer stetigen Erneuerung bedurften, brachen bereits, und als Elewin die schwere Tür aufdrückte, hörte er ein Rascheln wie das von Wind im Herbstlaub, und Mäuse und Küchenschaben huschten über den Boden, um sich zu verstecken. Der Haushofmeister schüttelte traurig den Kopf. Finbarr wäre entsetzt gewesen. Das unwiderbringliche Wissen von Jahrhunderten, um das er sich mit soviel Vorsicht und Geschicklichkeit gekümmert hatte, endete nun als Mistplatz für Ratten! Ich muß irgend jemanden finden, der sich darum kümmert, dachte Elewin, denn der Gedanke, daß Finbarrs kostbare Bände unter einer dicken Schicht aus Spinnweben und Staub langsam zerfielen, war ihm verhaßt. Es war eine Respektlosigkeit gegenüber dem Andenken an den Archivar, sein Lebenswerk einfach der Zerstörung preiszugeben – aber in Wahrheit gab es niemanden, der sich darum hätte kümmern können. Die meisten Diener waren in der ›Nacht des Todes‹, wie die Leute in der Stadt sie nannten, voller Entsetzen geflohen, und kaum jemand war bereit, auch nur in die Nähe der Akademie zu kommen. Elewin mußte sein Äußerstes geben, um überhaupt die allernotwendigsten Dinge getan zu bekommen, und einen Diener abzustellen, der die Bücher abstauben sollte, war ein Ding der Unmöglichkeit.

Da er es nicht wagte, ein Licht zu entzünden, tastete der Haushofmeister sich im Dunkeln durch den langen, modrigen Raum hindurch und fluchte, als er sich an der Ecke eines Tisches stieß und über einen Stuhl stolperte, der dort nichts zu suchen hatte. Wenn doch nur der Mond geschienen und ein wenig Licht durch die hohen Fenster geworfen hätte! Wenn er doch nur die Nachtsichtigkeit der Magusch besäße! Schließlich erwischte er jedoch das andere Ende, und seine suchenden Finger die in die Mauer eingelassene Tür, die hinunter in die Katakomben führte. Als Elewin einen kunstvoll geschmiedeten Schlüssel aus der Tasche zog, lächelte er in der Dunkelheit. Eliseth und Bragar dachten, alle Schlüssel zum Archiv seien sicher in ihrer Aufbewahrung, und es war auch wirklich kein Wunder, daß sie niemanden in den Katakomben haben wollten, wenn man bedachte, was sie da unten aufhoben! Aber sie wußten nicht, daß Finbarr Anvar seinen eigenen Schlüssel gegeben hatte. Elewin hatte ihn nach Anvars Flucht unter dessen wenigen Besitztümern gefunden. Im Archiv angelangt, schloß der Haushofmeister sorgfältig die Tür hinter sich zu.

Die Wände des Korridors fühlten sich eiskalt an, und Elewin hatte alle Mühe, eine Laterne zu entzünden. Der Feuerschein schlüpfte immer wieder durch seine steifgefrorenen Finger und zwang ihn dazu, sich niederzuknien und fluchend den Boden abzutasten. Wie sehr die Dinge sich doch verändert hatten. Früher hatte er jeden Diener, den er in der Akademie beim Fluchen erwischt hatte, verprügelt. Aber das war zu einer Zeit gewesen, bevor er zu einem Spion und einem Verräter der Magusch geworden war. Ihre Veränderung hatte ihn gezwungen, sich ebenfalls zu verändern.

Nachdem es ihm endlich gelungen war, die Laterne zu entzünden, entspannte sich Elewin ein wenig, denn das sanfte Glühen verbannte die Dunkelheit und ließ die kalte Luft in dem Korridor ein wenig wärmer erscheinen. Dank den Göttern! Hier unten in der Dunkelheit mit diesen Todesgeistern zusammenzusein war mehr, als er ertragen konnte. Obwohl die Geister ihrer Fähigkeiten beraubt waren, war es leicht, sich vorzustellen, wie sie sich rührten … wie sie erwachten … Elewin schauderte und begann, sich vorsichtig seinen Weg durch das Labyrinth von Fluren und Treppenhäusern unter der Akademie zu bahnen. Als er an dem Raum vorbeikam, in dem die Todesgeister eingeschlossen waren, hielt er den Atem an und beschleunigte seinen Schritt. Die Klinge schwirrte ohne Vorwarnung aus der Dunkelheit hervor, nur einen Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Elewin machte einen Satz zurück um die scharfe Biegung in dem Korridor, wobei er vor Furcht beinahe seine Laterne fallengelassen hätte. »Ich bin es, du Narr!« zischte er. »Was, zum Kuckuck, hast du hier zu suchen. Du hättest mir um ein Haar die Nase abgeschnitten!«

»Tut mir leid.« Die kleine, drahtige Gestalt Parrics, des Kavalleriehauptmanns, erschien an der Ecke. Er grinste von einem Ohr zum anderen. »Ich scheine langsam einzurosten. Ich habe doch auf deinen Kopf gezielt!«

Elewin konnte das gar nicht komisch finden. »Warum hast du nicht an der gewohnten Stelle gewartet? Was wäre passiert, wenn ich nun einer von den Magusch gewesen wäre?«

Parric zuckte mit den Schultern. »Du hast dich verspätet«, beklagte er sich. »Ich habe mir hier unten fast die Eier abgefroren. Ich mußte mich einfach etwas bewegen, um warm zu bleiben.«

»Schon gut«, seufzte der Haushofmeister. Jetzt war ihm klar, wo er seine unflätige Ausdrucksweise herhatte. »Ich habe Nachrichten für euch. Laß uns weiter runtergehen, wo es sicherer ist, dann können wir reden.«

»Ich weiß nicht, worüber du dich so aufregst«, knurrte Parric. »Niemand, der noch recht bei Verstand ist, würde in einer Nacht wie dieser hier herunterkommen, oder? Ich möchte schwören, daß mir Eiszapfen gewachsen sind an meinem –«

»Parric!«

Der Kavalleriehauptmann kicherte.

Die uralten Teile der Katakomben, die Anvar entdeckt hatte, waren kaum mehr als eine Reihe tief in den Felsen liegender, natürlicher Höhlen. Sie waren mittlerweile ihrer Schätze beraubt worden, und die Schritte der beiden Männer hallten in den kahlen Kammern laut wider. Da der altertümliche Zauber, der ihren Inhalt bewacht hatte, durchbrochen worden war, hatte die Feuchtigkeit von dem nahe gelegenen Fluß sich nun auch hier Zutritt verschafft. Die dunklen Mauern waren von schimmernden Eiskristallen übersät, die das Lampenlicht zurückwarfen, und der Boden war glitschig und trügerisch. Elewin umklammerte seine Laterne, weil er befürchtete, sie könnte seinen tauben Fingern entgleiten. Wie sehr er wünschte, daß Finbarr noch am Leben wäre. In den Tagen des Archivars waren diese Höhlen von Maguschlicht erleuchtet und von einem Zauber warm und trocken gehalten worden.

»Siehst du? Genau wie ich dir gesagt habe. Kälter als das Herz eines Freudenmädchens ist’s hier unten.« Parric zog die Überreste einer zertrümmerten Holztruhe aus einer Ecke und setzte sich, wobei er Elewin bedeutete, sich zu ihm zu gesellen. »Ich nehme nicht an, daß du etwas zu essen mitgebracht hast? Oder eine Flasche?« fragte er hoffnungsvoll.

»Ich hatte keine Gelegenheit dazu. Tut mir leid, Parric. Ich weiß, daß es dort, wo du dich versteckst, nicht viele Annehmlichkeiten gibt. Aber ich habe eine Nachricht für dich, die dir das Herz besser erwärmen wird als jede Flasche.« Elewin grinste und kostete den Augenblick aus. »Die Lady Aurian ist angeblich noch am Leben!«

Er erzielte kaum die Reaktion, die er erwartet hatte. Der sehnige, hartgesottene kleine Kavalleriehauptmann starrte ihn an, und Tränen stiegen ihm in die Augen, die dann unkontrolliert über seine Wangen liefen. Schließlich wandte Parric sich abrupt ab, barg das Gesicht in seinen Händen und begann zu schluchzen.

»Parric!« Ein vollkommen verwirrter Elewin setzte die Laterne ab und legte dem Mann einen Arm um die Schultern.

»Es tut mir leid«, brachte Parric mühsam hervor. Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht und schaute sein Gegenüber verlegen an. »Nicht gerade das, was du von einem zähen alten Bastard wie mir erwartet hättest, wie?« Er schluckte. »Bei den Göttern, habe ich dieses Mädchen gern gehabt! Wir alle haben sie geliebt – sie und Forral. Wir dachten, sie wären beide getötet worden – und dann hat Vannor uns erzählt, daß sie Forrals Kind unterm Herzen trug … Elewin, das ist ja ein Wunder! Ein verdammtes Wunder!« Er drückte dem Haushofmeister den Arm. »Wo ist sie? Wie geht es ihr?«

Es tat Elewin in der Seele weh, Parrics Freude einen Dämpfer zu versetzen. »Du darfst dir nicht zuviel erhoffen, Parric. Es steht noch nicht fest. Aber Miathan besteht darauf, daß sie noch immer am Leben ist, und ihr Diener Anvar ist bei ihr.«

»Was, der junge Anvar? Also wahrhaftig! Forral hat ja immer gedacht, der Junge hätte es in sich.«

»Die schlechte Nachricht ist die, daß sie glauben, sie sei in den Südlichen Königreichen, wenn überhaupt irgendwo.«

»Was? Wie, zum blauen Kuckuck, ist sie denn dahin gekommen?«

Elewin erzählte Parric, was er mitangehört hatte. »Du siehst also, wie ernst die Situation ist«, endete er schließlich. »Wenn Eliseth mit dem Wetter herumpfuscht, würde es nicht nur Aurian in Gefahr bringen, es wäre eine Katastrophe für unser ganzes Volk – schlimmer als irgend etwas, das uns seit der Verheerung widerfahren ist.«

Parric runzelte die Stirn. »Das ändert die Lage vollkommen. Ich werde natürlich mit Vannor darüber sprechen, aber ich glaube, daß wir die Stadt jetzt verlassen werden. Wir können nicht hierbleiben, wenn es taut, und wir sind der Akademie zu nah, um eine wirksame Streitkraft aufzubauen. Aber wenn Aurian zurückkehrt …«

»Du glaubst, daß sie wiederkommen wird?« Elewin war überrascht.

»Aurian? Natürlich kommt sie zurück! Es würde mehr als eines Ozeans bedürfen, um das Mädchen von Miathan fernzuhalten, nachdem er Forral getötet hat. Ich wette, sie ist bereits auf dem Rückweg, um es mit dem Erzmagusch aufzunehmen. Und wenn sie das tut, dann werden wir hier das ein oder andere erleben.«

»Parric! Wir sprechen von den Magusch«, protestierte Elewin. »So einfach wird es nicht sein.«

Der Kavalleriehauptmann wurde wieder nüchtern. »Ich weiß. Das ist auch der Grund, warum wir eine Armee brauchen. Aurian kann es nicht allein schaffen, ebensowenig wie wir ohne eine Magusch. Aber gemeinsam werden wir vielleicht … Aber wie dem auch sei, ich muß diese Nachricht unbedingt Vannor überbringen.« Er zögerte und machte ein nachdenkliches Gesicht. »Elewin, warum kommst du nicht mit mir? Wenn wir irgendwo anders hingehen, werden wir dich als Informanten hier nicht mehr brauchen, und es ist hier zu gefährlich für dich.«

Elewin schüttelte den Kopf, obwohl die Versuchung ungeheuer groß war. »Ich glaube, das wäre falsch. Wenn ich plötzlich verschwinden würde, würden Eliseth und Bragar Verdacht schöpfen und anfangen, nach mir zu suchen, und das könnte euch in Gefahr bringen. Und wenn ihr die Akademie angreifen wollt, werdet ihr jemanden in ihrem Inneren brauchen.«

»Aber es könnte doch Ewigkeiten dauern, bevor wir dazu in der Lage sind.«

»Das kann man nicht ändern. Ich komme schon klar. Außerdem braucht Miathan mich. Ihn so zu sehen, blind und verkrüppelt! Oh, ich weiß, es ist seine eigene Schuld, aber er wirkt so hilflos.«

Parric umklammerte den Arm des anderen Mannes. »Elewin, ich weiß, daß dies eine harte Probe für deine Loyalität ist, und wir sind dir sehr dankbar, aber …«

»Es ist nicht nur das. In der Akademie verändert sich im Augenblick das Gleichgewicht der Macht entscheidend. Sei gewarnt, Parric. Eliseth ist diejenige, vor der man jetzt am meisten Angst haben muß.«

»Ich werde das im Gedächtnis behalten. Aurian hat diese Hexe immer gehaßt. Sieh mal, bist du sicher, daß du nicht mitkommen willst?«

»Ich kann nicht.«

Parric nickte. »Na gut. Du bist ein tapferer Mann, Elewin – tapfer oder dumm. Forral hat immer gesagt, daß es zwischen diesen beiden Dingen keinen großen Unterschied gäbe. Nun lebe wohl, mein Freund. Unsere Gebete gehen mit dir. Vannor wird versuchen, dir ab und zu eine Information zukommen zu lassen.«

»Vannor? Und was ist mit dir?«

»Mit mir? Wenn du mich fragst, verspüre ich plötzlich ein Verlangen, nach Süden zu gehen. Da ist es viel wärmer als hier!« Der Kavalleriehauptmann zwinkerte ihm zu und hob seine Laterne auf, um in dem Schatten im hinteren Teil der Höhle zu verschwinden. Er ließ einen verblüfften Elewin zurück.

Die Abwasserkanäle zogen sich über die ganze Länge und Breite der Stadt, eine demokratische Straße, die die großartige und erhabene Akademie noch mit den niedrigsten Unterkünften verband. Nicht der angenehmste Ort, um sich zu verstecken, aber andererseits verschaffte es den Rebellen auch eine gewisse Befriedigung, sich direkt unter den Nasen der Magusch so frei zu bewegen. Und es war ein Kinderspiel gewesen, den dünnen Stein in dem älteren Teil der Archive zu durchbrechen. Das Loch lag in einer Ecke verborgen, wo ein Felsvorsprung einen Knick in dem Tunnel bildete, so daß die Öffnung im Schatten des vorspringenden Steins lag. Wegen seiner schmalen Gestalt war Parric dazu ausersehen worden, als Mittelsmann zu fungieren. Während er nun die Laterne um Armeslänge von sich hielt, preßte er sich durch das Loch in den schmalen Abwasserkanal, der dahinter lag. Glücklicherweise hatte die augenblicklich so niedrige Anzahl der Magusch im Verein mit dem kalten Wetter den Gestank ein wenig verringert, aber Parric versuchte trotzdem, den Atem anzuhalten. Mit der Zeit konnte man sich ja an die meisten Dinge gewöhnen, aber es hatte doch alles seine Grenzen!

Der schmale Kanal lief für eine gewisse Strecke unter dem Burgfelsen der Akademie hindurch, bevor er sich mit der Hauptkanalisation verband. Die rostigen Stufen einer alten Inspektionsleiter standen scharf und gefährlich von der Mauer ab und markierten den Kreuzungspunkt. Parric hängte sich die Laterne an den Gürtel und zog sich Lederhandschuhe an, um seine Hände vor dem aufgerissenen Eisen zu schützen, bevor er sehr vorsichtig begann, die Leiter hochzuklettern. Jeder Schritt und jede Abschürfung konnte sich hier unten als tödlich erweisen: Die Gefahren einer Infektion waren sehr groß. Sie hatten bereits zwei Männer verloren, einer war an einem giftigen Rattenbiß gestorben, der andere an Wundstarrkrampf.

Der Kanal war ein Tunnel aus schlüpfrigen, verrottenden Steinen, mit Gehwegen, die sich zu beiden Seiten über den stinkenden Kanal erhoben. Parric war froh darüber, daß das Wasser im Augenblick zu niedrig war, um bis zum Eingang des Kanals zu reichen. Manchmal hatte sich, wenn er hier heraufstieg, ein Schwall allen nur erdenklichen Unrates über ihn ergossen, und das war eine Erfahrung, die er nun wirklich nicht unbedingt wiederholen wollte. Nachdem er die Kanalmündung hinter sich gelassen hatte, setzte er seinen Weg über die Gehsteige fort, bis er an sein provisorisches Floß gelangte. Da der Strom derzeit niedrig war, konnte er es zur Rückkehr benutzen. Wenn der Kanal Hochwasser führte, mußte man den Weg über die schlüpfrigen, zerfallenen Gehsteige nehmen – immer mit der Aussicht darauf, beim ersten falschen Schritt in dem mit Abwässern gefüllten Kanal zu ertrinken. Die Laterne, die an seinem Gürtel hing, war die einzige Lichtquelle, und Parric griff nach dem Paddel und begann seinen Rückweg durch das Netz von Tunneln, die zu dem Versteck der Rebellen führten.

Er hatte sein Ziel beinahe erreicht, als er den ersten Kampflärm hörte. Sein Herz machte einen Satz. Großer Chathak, nein! Er lenkte sein Floß zur Seite, und sein Soldatenhirn machte sich daran, die verschiedenen Möglichkeiten abzuwägen. Wer hatte sie verraten? Nein, das war eine Frage, die er sich für später aufheben mußte. Wie lange war der Kampf schon im Gange? Wie stark war der Feind? Die Angreifer hatten den Vorteil der Überraschung auf ihrer Seite, aber sie kannten diesen Tunnel nicht so, wie Parric ihn kannte. Sobald er auf dem Gehsteig war, löschte er seine Lampe. Während seine Augen sich an die Dunkelheit anpaßten, überprüfte er seine Wurfmesser – eins in jedem Ärmel – und zog einen langen Dolch aus seinem Stiefel. Das Schwert ließ er in der Scheide. Das hier war Nahkampf. Mit einer Grimasse ließ er sich in den Kanal gleiten und watete durch die knietiefe, stinkende Brühe weiter, immer mit einer Hand an der Kante des Gehsteigs, damit er auf dem Schlamm, der den Boden des Kanals bedeckte, nicht ausglitt.

Wäre Parric nicht noch auf eine Information aus gewesen, hätte das den sicheren Tod der Wache bedeutet. So, wie die Dinge lagen, hatte sie gerade noch Zeit, die Hand zu spüren, die aus dem Nichts auftauchte und ihren Knöchel umschlang, bevor ein schneller Ruck sie kopfüber in den Kanal beförderte. Noch ehe die keuchende, von panischer Angst befallene Kriegerin wieder auf die Beine kam, war Parric bereits über ihr. Er zerrte sie unsanft hoch und hielt ihr das Messer an die Kehle. »Wie viele seid ihr?« knurrte er. »Antworte mir!«

Er spürte, wie sie in seiner Umklammerung steif wurde. »Großer Chathak, diese Stimme kenne ich doch!« rief sie. »Parric, bist du das wirklich?«

»Und ob ich es bin, verdammt noch mal! Und jetzt beantworte mir meine Frage!«

»Parric, ich bin es doch – Sangra! Die Götter mögen uns vergeben, aber es hieß, du seiest tot. Leg endlich das dumme Messer weg, damit ich dich umarmen kann!«

Das Gefühl in ihrer Stimme war zu stark, um vorgetäuscht zu sein, und Parric spürte eine Woge der Freude. Sangra war eine alte Freundin – ein großes, flegelhaftes, grobknochiges Mädchen mit Vorzügen, die keine Kampfweste verbergen konnte. Ah, die wunderbaren Raufereien, die sie in glücklicheren Tagen miteinander gehabt hatten! Grinsend senkte Parric sein Messer und konnte ihr gerade noch in den Busen kneifen, bevor sie sich umdrehte, um ihn anzusehen.

»Jetzt weiß ich wirklich, daß du es bist!« Tränen und Gelächter lagen in ihrer Stimme, als sie mit einer Kraft, die ihm beinahe die Rippen brach, ihre Arme um ihn schlang, ohne sich auch nur im geringsten um den Schmutz zu kümmern, in dem sie sich gesuhlt hatten.

»Sangra, was ist los?« Parric löste sich nur widerwillig aus ihrer Umarmung.

»Der Bäckerssohn hat euch verraten – oder um genau zu sein, er hat Vannor verraten. Wir hatten ja nicht die geringste Ahnung, daß du hier unten bist. Parric, sind noch andere von uns bei dir?«

»Ja. Eine ganze Menge sogar.«

»O ihr Götter, ich muß unbedingt unsere Leute warnen. Wir werden nicht gegen unseresgleichen kämpfen.«

»Das ist mein Mädchen! Komm – schnell!«

Die Truppe aus der Garnison hatte Vannors kleine Streitmacht in eine Sackgasse gedrängt, und der Kampf war in vollem Gange. Die Soldaten hatten Fackeln mitgebracht, aber die meisten waren mittlerweile verlöscht, und in der Halbdunkelheit war es schwierig, Freund von Feind zu unterscheiden. Sangra vermochte es jedoch. Sie und Parric stießen von hinten auf den Tumult und warfen sich mitten ins Kampfgetümmel. Parric fand es mit seiner schlanken Gestalt nicht weiter schwierig, sich durch das Gedränge der Kämpfenden hindurchzuschlängeln. Seine Methoden waren höchst direkt. Jeden, den er kannte, verschonte er. Jeder Fremde bekam die Klinge seines Messers zu spüren. Sangra umkreiste in der Zwischenzeit das Kampfgetümmel und blieb immer wieder stehen, um jedem von Forrals alten Soldaten, dem sie begegnete, etwas ins Ohr zu flüstern, worauf sich deren Verhalten schlagartig änderte. Erleichterung und Freude breiteten sich auf ihren Gesichtern aus, und sie wandten ihre Waffen nun gegen Angos grausames Söldnerheer.

Es war sehr schnell vorbei. Vannors Rebellen waren, nachdem man sie von dem schlimmsten Druck des Kampfes befreit hatte, in der Lage, die Offensive zu ergreifen, und die Söldner fanden sich bald von beiden Seiten angegriffen. Parric gelang es, sich zu dem Kaufmann durchzuarbeiten, um zu erklären, was geschehen war, und schon sehr bald feierten die Mitglieder von Forrals alter Schar über den Leichen der toten Söldner ein fröhliches Wiedersehen.

Wenn Vannor verwirrt darüber war, daß seine kleine Streitmacht sich plötzlich auf über fünfzig Soldaten verdoppelt hatte, ließ er sich jedenfalls nichts anmerken, und als Parric ihm Sangra vorstellte, begrüßte er sie mit äußerster Höflichkeit, wobei er mannhaft die Tatsache ignorierte, daß sie und der Kavalleriehauptmann sich nach ihrem Bad in der Kanalisation in einem geradezu widerwärtigen Zustand befanden. »Wenn wir gewußt hätten, daß ihr alle hier unten seid«, entschuldigte Sangra sich, »dann wären wir schon lange zu euch übergelaufen. Wir haben eine schreckliche Zeit hinter uns, nachdem Angos seine Söldner herbeigeschafft hat, um unsere Streitmacht zu vergrößern. Aber wir hatten das Gefühl, bleiben zu müssen. Wir dachten, Forral würde es von uns erwarten, weil wir doch der Stadt Treue geschworen haben und weil wir das Volk vor den schlimmsten Ausschreitungen von Angos und den Magusch bewahren wollten.« Sie sah Parric an. »Was machen wir jetzt? Angos wartet mit weiteren Soldaten am Eingang des Kanals.«

»Geht nach Norden«, warf eine entschlossene Stimme ein. »Es sollte nicht schwierig sein, aus der Stadt herauszukommen. Angos kann unmöglich alle Kanäle gleichzeitig beobachten. Die Nachtfahrer werden uns aufnehmen.«

Vannor zog eine Grimasse. »Dulsina, wirst du niemals aufhören, alles und jeden zu organisieren?«

Die große, dunkelhaarige Frau grinste ihn an. »Nicht, solange noch ein einziger Atemzug in meinem Körper ist«, sagte sie fröhlich. »Außerdem hat Zanna dich sehr vermißt, trotz der Botschaften, die wir ihr schicken konnten. Es ist wirklich langsam Zeit, daß du deine Tochter wiedersiehst.«

»Einen Augenblick mal!« unterbrach Parric sie. »Du kennst die Nachtfahrer? Und sogar gut genug, um deine Tochter bei ihnen zu lassen?« Der Kavalleriehauptmann hob fragend die Augenbrauen. »Mögen die Götter mir die Kraft geben! Diese verdammten Schmuggler waren ein stetiger Dorn in Forrals Fleisch. Er hat uns alle zur Verzweiflung gebracht, weil er herausfinden wollte, wo sie sich versteckten, und du hast es die ganze Zeit über gewußt!«

Vannor blinzelte. »Was glaubst du, wie ich zu meinem Vermögen gekommen bin?«

Parric brach in Gelächter aus. »Du Schurke! Du hast sie benutzt, um mit den Südländern zu handeln, um an Juwelen, Seide und solche Sachen heranzukommen, nicht wahr?«

»Ein Mann muß ja irgendwie weiterkommen.« Der Händler zuckte die Achseln. »Außerdem erweist sich meine kriminelle Vergangenheit ja jetzt als höchst nützlich. Kommt, laßt uns gehen.«

Die Rebellen hatten nur wenig Opfer zu beklagen. Aber als sie die Abflußkanäle verließen, entdeckte Parric die Leiche von Torl, der mit dem Gesicht nach unten und einem Messer im Rücken den Kanal hinuntertrieb. Er seufzte. Der alte Mann war zwar eine jämmerliche Erscheinung gewesen, aber er hatte den Rebellen doch stets geholfen. Trotzdem war es besser so. Wenigstens hatte er nie erfahren, daß sein eigener Sohn ihn verraten hatte. Oder vielleicht doch? Bei näherem Hinsehen stellte Parric fest, daß das Messer kein Soldatendolch war, sondern ein langes, gezahntes Brotmesser …

Die Rebellen beschlossen, die Kanäle zu benutzen, um durch die Stadt zu gelangen, und dann den Fluß hinunter nach Norberth zu fahren, auf demselben Weg, den Aurian genommen hatte. Wenn sie erst einmal dort waren, konnten sie Kontakt mit einem von Yanis’ Leuten aufnehmen, der dafür sorgen würde, daß ein Schiff sie zum Versteck der Schmuggler brachte. Es war eine alptraumhafte Reise. Vannors Schar war zwar daran gewöhnt, die schlüpfrigen Gehwege zu benutzen, aber die neuen Gesetzlosen hatten ihre liebe Not damit. Alle paar Augenblicke hörte man ein Platschen, gefolgt von Flüchen, wenn wieder einmal jemand in den Kanal gefallen war und gerettet werden mußte. Obwohl die Soldaten die Sache auf die leichte Schulter nahmen, machte Parric sich doch große Sorgen. Er wußte nur allzugut, wie groß die Gefahr war, seine Leute an eine der Krankheiten zu verlieren, die an diesem Ort wüteten.

Als er an dem Kanal vorbeikam, der die Akademie mit den Katakomben verband, stieß Parric einen Seufzer der Erleichterung aus. Jetzt hatten sie es nicht mehr weit bis zum Ausgang und zu der gesegneten frischen Luft. Da er die Nachhut bildete, wurde er langsam unruhig. Seine Instinkte, die er im Laufe vieler Jahre entwickelt hatte, sagten ihm, daß sie verfolgt wurden. Unsinn, widersprach er sich selbst. Angos kann uns in diesem Labyrinth von Tunneln unmöglich finden. Aber es hatte keinen Sinn. Da er es nicht mehr länger aushalten konnte, ließ er sich zurückfallen.

»Da hab’ ich dich!« Die in einen Umhang gehüllte Gestalt war zwar groß, aber von schmalem Körperbau und kein Krieger. Parric hatte keine Schwierigkeiten, mit seinem Gegner fertig zu werden, und zumindest schien der Bursche allein zu sein. Dann hörte er zu seinem Erstaunen eine Reihe gedämpfter, spitzer Schreie von der Gestalt. Ohne Zweifel war sein Gefangener eine Frau. Er wollte ihr gerade die Kapuze herunterreißen, als er den Klang von Schritten hörte, die sich ihnen auf dem schlüpfrigen Gehsteig näherten, und schließlich erschien Elewin mit einer Laterne in der Hand. Sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln schierer Erleichterung, als er Parrics Gefangenen sah.

»Den Göttern sei dank, daß du sie gefunden hast!« rief er.

»Daß ich wen gefunden habe?« Im Licht der Laterne zog Parric der Frau die Kapuze herunter und keuchte. »Lady Meiriel!«

Die Magusch spuckte ihm ins Gesicht. »Nimm deine Hände von mir!«

»Was ist da los?« Vannor kam in Begleitung von Sangra und Dulsina auf sie zugelaufen. »Parric! Wir haben schon gedacht, wir hätten dich verloren.« Beim Anblick von Meiriel weiteten sich seine Augen. »Was hat sie hier zu suchen?«

»Kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten, Sterblicher!« – »Sie ist aus der Akademie geflohen.« Die Magusch und Elewin hatten gleichzeitig gesprochen und sich dann umgedreht, um einander wütend anzufunkeln.

»Du sagst, sie sei geflohen?« Vannors Augen flackerten von Elewin zu Meiriel. »Würde mir wohl liebenswürdigerweise jemand erklären, was das zu bedeuten hat?«

»Es ist ziemlich einfach«, sagte die Heilerin kalt. »Ich konnte Miathans Augen nicht heilen, und deshalb hat mich Eliseth, diese Nutte, gefangengesetzt.«

Parric stürzte sich auf ihre Worte. »Konntest du nicht – oder wolltest du nicht?«

Meiriel warf ihm einen hochmütigen Blick zu. »Seine Augen waren vollkommen zerstört. Aber selbst wenn ich ihn hätte heilen können, hätte ich es nicht getan. Nicht, nachdem seine Kreaturen meinen Finbarr getötet haben.« Ihre Stimme war voller Haß. »Aber wie dem auch sei, heute abend ist es mir gelungen, zu entkommen. Ich bin Elewin gefolgt und habe gehört, was er zu dir gesagt hat: daß Aurian noch am Leben ist. Ich muß sie finden.«

»Sie lebt? Warum, zum Kuckuck, hast du mir nichts davon gesagt?« Vannor wandte sich an Parric.

»Dazu war keine Zeit«, protestierte er, »nicht mitten im Kampf …«

»Kampf?« Nun war es an Elewin, das Gespräch zu unterbrechen.

Vannor nickte. »Jemand hat uns verraten«, erklärte er.

»Ihr beide müßt jetzt mit uns kommen«, warf Parric ein. »Du kannst jetzt nicht mehr hierbleiben, Elewin, und es wäre nicht sicher genug, wenn wir sie zurückließen.«

»Einen Augenblick mal.« Vannor wandte sich an Meiriel. »Warum mußt du Aurian finden?«

»Sie braucht meine Hilfe«, erwiderte die Maguschfrau. »Miathan hat das Kind mit einem Fluch belegt. Sie trägt ein Ungeheuer unter dem Herzen.«

»Was!« explodierte Parric. »Dieser Bastard! Ich bringe ihn um!«

»Immer mit der Ruhe, Parric.« Vannor mußte seine ganze Kraft aufbieten, um seinen Freund davon abzuhalten, durch den Tunnel zurückzukehren. »Das ist nicht der rechte Augenblick. Wir müssen sehen, daß wir sicher hier wegkommen, bevor wir uns mit dieser Sache beschäftigen können.«

Also machten sie sich auf den Weg, um am Ausgang der Kanalisation zu den anderen Rebellen zu stoßen; Sangra ging mit Parric voran, der immer noch vollkommen außer sich war vor Zorn und Trauer. Dulsina nahm Meiriel unter ihre Fittiche. Im Weitergehen zog Elewin irgendwann Vannor zur Seite, so daß sie außer Hörweite der anderen waren. »Hör gut zu«, sagte er. »Lady Meiriel mag zwar die Wahrheit sagen, aber ich würde euch doch raten, sehr vorsichtig zu sein. Sie scheint im Augenblick ganz klar zu sein, doch seit Finbarrs Tod ist sie nicht mehr sie selbst. Wir haben es mit einer Wahnsinnigen zu tun, Vannor. Was immer du tust, du darfst ihr auf gar keinen Fall vertrauen.«

Загрузка...