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Eva hatte einen braunbeige gestreiften Stoff gewählt.»Etwas Auffallendes kannst du nicht tragen«, hatte die Mutter gesagt,»aber etwas Frischeres, Kräftigeres sollte es schon sein. Schau mal der Rote da, ein ganz modernes Muster,«

«Nein«, hatte Eva beharrt.»Dieser da.«

«Na ja, wie du willst. Er Ist aber ziemlich teuer. «Aber sie hatte ihn gekauft.»Vielleicht hast du Recht. Streifen strecken.«

Bei der Schmidhuber saßen sie dann um den großen Wohnzimmertisch herum und blätterten in Modeheften. Es gab selbst gemachte Kekse und Limo. Die Mutter und die Schmidhuber benahmen sich so aufgeregt, als gingen sie selber zum Tanzen.

«Mein Gott, Renate, weißt du noch, wie wir früher rumgelaufen sind, in was für Fähnchen!«

«Es gab noch nicht so viel«, sagte die Schmidhuber.»Das Geld hat nicht gereicht für viele Kleider.«

«Aber schön war's doch!«

«Hier«, sagte Eva und deutete auf ein einfaches Sommerkleid mit kurzen Ärmeln und rundem Ausschnitt.»So ein Kleid hätte ich gern. Kannst du das machen?«


Aber natürlich, Evachen. Wenn du das willst! Sollen wir nicht noch weiter suchen?«

«Nein. So eines hätte ich gern.«

Eva half der Schmidhuber beim Tischabräumen. Die Schmidhuber legte den Schnittmusterbogen mit dem Gewirr von Linien auf den Tisch und ein durchsichtiges Papier darüber.»Dass du dich da zurechtfindest!«, sagte Eva.

Die Schmidhuber lachte.»Gelernt ist gelernt«, sagte sie.

Bevor sie den Schnitt auf den Stoff übertrug, verglich sie Evas Maße mit den angegebenen und zeichnete an der Hüfte noch ein paar Zentimeter dazu. Eva war ihr dankbar, dass sie nicht wie sonst gesagt hatte: Du bist ja wieder dicker geworden.

«Wenn ich noch mal so jung wäre«, sagte die Mutter,»würde ich alles anders machen.«

«Wie denn?«, fragte Eva.

«Ich weiß nicht«, antwortete die Mutter.»Anders. Ich würde nicht mehr so früh heiraten.«

«Aber du hast es doch ganz gut getroffen«, warf die Schmidhuber ein und fing an, den Stoff zu zerschneiden.»Dein Mann ist fleißig und häuslich und schaut nicht nach anderen Frauen. Und zwei gute Kinder hast du.«

Eva biss die Zähne zusammen.

«Ja. Ja. Man muss dankbar sein dafür«, sagte die Mutter.»Da hast du Recht. Aber trotzdem…! Die Tage gehen vorbei, und ehe du dich versiehst, ist wieder ein Jahr um. «Sie wischte sich mit der Hand über die Augen.

Freiheit, dachte Eva. Freiheit, Freiheit, Freiheit! Und sie steckte sich noch einen selbst gebackenen Keks in den Mund. Er schmeckte sehr gut.

«Evachen, wenn du auf mich hörst, dann lernst du so einen Beruf, dass du nie auf einen Mann angewiesen bist. Auf sein Geld, mein ich«, sagte die Schmidhuber.

Eva lachte.»Das mach ich, Tante Renate«, sagte sie. Die Mutter warf ihr einen erstaunten Blick zu. Eva grinste. Die Mutter lächelte ein bisschen traurig.»Tante Renate hat ganz Recht, Eva.«

Als das Vorderteil und der Rücken zusammengeheftet waren, musste Eva anprobieren. Schnell schlüpfte sie aus Rock und Bluse und schnell zog sie das neue Kleid über. Sie hatte den beiden Frauen den Rücken zugedreht.

Dann steckte und heftete die Schmidhuber an ihr herum, mit Stecknadeln zwischen den Zähnen und der Nähnadel mit dem Reihfaden an ihrer Bluse festgesteckt.

«Arme hoch, Evachen.«

«Ja, so ist's recht.«

«Dreh dich mal um.«

«Schau, Marianne, ich mach da am Rücken noch zwei Abnäher rein. Da sieht sie von der Seite schlanker aus.«

Dann legte sie die Stecknadeln zurück in die Schachtel.»So!«, sagte sie.»Jetzt kannst du in den Spiegel gucken.«

Im Flur war ein großer Spiegel mit Goldrahmen. Zu beiden Seiten des Spiegels hingen zwei Engel, nackt, nur mit einem kleinen Tuch um den Bauch und mit kleinen, goldenen Flügeln. Sie stammten noch von der Oma der Schmidhuber. Der Linke hieß Eva.»So hast du ausgesehen, als du noch ein Baby warst«, sagte die Schmidhuber immer wieder.»Genau so.«

Eva betrachtete den Engel jedes Mal, wenn sie herkam, versuchte, in dem pausbäckigen, lachenden Gesicht die Spuren ihres früheren Aussehens zu finden. Der dicke Bauch und die runden Beine stimmten sicher, dachte sie, obwohl sie auf ihren Kinderfotos gar nicht besonders dick aussah. Natürlich auch nicht dünn, das nicht, aber fett war sie damals nicht gewesen. Trotzdem, der Engel sah hübsch aus und Eva freute sich über ihn.

So war ich, dachte sie. Und wann habe ich aufgehört, so zu sein?

Sie drehte sich langsam vor dem Spiegel hin und her. Das Kleid gefiel ihr und sie sah wirklich nicht gar zu fett darin aus. Besser jedenfalls als in Rock und Bluse. Sie öffnete den Pferdeschwanz und schüttelte den Kopf, bis die Haare locker über ihre Schultern fielen. Die Schmidhuber war hinter sie getreten und legte ihre runden Arme um sie.


«Gut siehst du aus, Eva. So solltest du die Haare immer tragen.«

«Zu Hause trau ich mich nicht. Du kennst Papa ja. «Die Schmidhuber lachte.»Eine richtige Löwenmähne hast du, Eva. «Sie fasste hinein in die Haare und zauste sie spielerisch.»Lass dir nicht alles gefallen. Lass dir ja nicht alles gefallen!«

«Also, was ist mit morgen Abend?«, fragte der Vater am Freitag beim Essen. Eva senkte den Kopf über den Teller mit dem Linseneintopf und fischte mit dem Löffel ein Speckstückchen heraus.»Du kannst mich abholen«, sagte sie.

«Gut. «Der Vater war zufrieden.»Wann soll ich kommen?«

«Um zehn ist es aus. Aber Michel hat gesagt, dass es meistens ein bisschen länger dauert. Wenn du vielleicht um halb elf kommst?«

«Ich werde pünktlich sein. «Er war wirklich besonders freundlich.

Kunststück, dachte Eva, wo er doch seinen Willen durchgesetzt hat.

Michel hatte es nicht schlimm gefunden, dass ihr Vater sie abholen wollte.»Ich verstehe dich nicht«, hatte er gesagt,»ich an deiner Stelle wäre froh, wenn ich abends nicht mehr mit der Straßenbahn fahren müsste.«

«Und wo ist das eigentlich?«, fragte der Vater.


«Staufenerstraße«, antwortete Eva.»Staufenerstra-ße 34.«

Der Vater schaute hoch. Eva hatte das erwartet. Sie suchte mit unbewegtem Gesicht weiter nach Speckstückchen. Es waren keine mehr da.»Kann ich ein bisschen Essig haben?«

Berthold gab ihr den Essig.»Wo gehst du denn hin?«, fragte er.

«Bis du mal etwas mitkriegst, kann die Welt untergehen. Ich gehe morgen Abend tanzen, m ein Freizeitheim.«

«Ach so. «Berthold war nicht weiter daran interessiert, er fuhr fort, seine Suppe zu essen.

Es klirrte laut, als der Vater seinen Löffel auf den Teller legte.»Hast du gewusst, dass es da ist, Marianne?«

Er dehnte das» a «in» da «sehr lang, sehr von oben herab, fand Eva. So wie er das sagte, klang es so, als wäre es mindestens die Vorhölle. Eva hatte gewusst, dass es so sein würde. Die Mutter warf ihr einen Blick zu, einen von diesen Schulmädchen-Verschwörungsblicken, einen von diesen Kumpelblicken, die Eva nicht leiden konnte. Sie wurde nervös davon.

«Ja«, sagte die Mutter.»Natürlich habe ich das gewusst.«

Eva ärgerte sich.»Sie hat es nicht gewusst«, sagte sie.

«Warum sollte es nicht dort draußen sein?«, fragte die Mutter schnell und sammelte die leeren Teller ein.»Gleich bringe ich den Nachtisch.«

Der Vater schwieg. Er ist böse, dachte Eva. Er würde mir am liebsten verbieten hinzugehen, aber jetzt traut er sich nicht mehr.

Der Schokoladenpudding war dunkelbraun, die Pfirsichhälften aus der Dose sehr gelb, fast orange, und oben drauf prangten Schlagsahnehäufchen, mit Schokostreuseln verziert.»Das Auge isst immer mit.«

Eva schob einen Löffel Schlagsahne in den Mund und ließ ihn auf der Zunge zergehen. Das neue Kleid war auch fertig geworden, die Schmidhuber hatte es heute gebracht.»Viel Spaß, Eva«, hatte sie gesagt.»Und vergiss nicht: Nichts gefallen lassen!«

Eva dachte an das Kleid. Streifen streckten wirklich. Das Kleid war schön und stand ihr gut. Sie schob den Glasteller mit dem Nachtisch weg.

«Ich bin satt. «Ein bisschen Schlagsahne hatte sie gegessen, sonst nichts. Der Vater nahm den Teller und \J stellte ihn vor Berthold hin. Nur nichts verkommen lassen.

Eva lag in der Badewanne und formte aus dem Schaum kleine Bällchen, kleine weiße Schaumbällchen, völlig ohne Gewicht, die auf ihrer Haut kitzelten. Wenn sie tiefer in die Wanne hineinrutschte, konnte sie den Schaum knistern hören. Es klang sehr laut, sehr beeindruckend. Kaum zu glauben, dass dieses körperlose Zeug diese Geräusche verursachte. Eva liebte Schaumbäder, Fichtennadelschaumbäder. Es roch nach Pinien und Urlaub. Sie musste nur die Augen zumachen. Ka-rola hatte ihr mal erzählt, dass man in Südfrankreich Lavendel am Straßenrand pflücken könnte. Frankreich.»Dieses Jahr klappt es nicht mit dem Urlaub«, hatte der Vater gesagt.»Aber nächstes Jahr fahren wir nach

Frankreich. Und in zwei Jahren nach Griechenland.«

Und danach, hatte Eva gedacht, danach fahre ich nicht mehr mit.

Sie ließ ihre Hände über die Schaumhügel gleiten, streichelte den Schaum, bis er zerging unter ihren Handflächen. Schön war das warme Wasser, und schön war die Schaumdecke, die ihren Körper verbarg. Im Sand hatte sie sich eingegraben, vor zwei Jahren, in Grado, im warmen Sand. Berthold hatte sie voll geschaufelt, und als sie schon unter einer dicken Sandschicht lag, nur ihr Kopf schaute noch heraus, hatte er weiter Sand auf sie geworfen, bis sie das Gefühl bekam, zu ersticken unter der Last, wirklich begraben zu werden in der flimmernden Hitze, allein zwischen so vielen Menschen. Berthold hatte ihr Sand ins Gesicht geschaufelt und Vater, mit auffallend dünnen Beinen für seinen mächtigen Körper, hatte gelacht. Er hatte laut gelacht, als Eva plötzlich anfing zu weinen und sich mit hastigen Händen Sand vom Körper schob, ungeduldig mit den sandigen Fingern über die Augen wischte, noch mehr Sandkörner in die tränenden Augen brachte. Eva war wütend gewesen, wütend über den Vater, wütend über Berthold, hatte sich auf den Bruder gestürzt und sein Gesicht so lange in den Sand gedrückt, bis er wild um sich schlug. Der Vater hatte gelacht dazu. Mit seinen dünnen Beinen hatte er dagestanden und gelacht.

Der Schaum war weniger geworden. Er bildete nur noch schwimmende Inseln auf dem hellgrünen Wasser. Eva konnte wieder ihren Bauch sehen und ihren Busen. Die Konturen ihres Körpers verschwammen, wenn sie mit der Hand im Wasser plätscherte.

Der Vater klopfte an die Tür.»Mach schnell, Eva. Ich muss mal.«

Eva trocknete sich ab und zog ihr Nachthemd an. In ihrem Zimmer nahm sie das Kleid, das über ihrem Bett lag, und hängte es sorgfältig auf einen Kleiderbügel.

Michel.

Sie strich sich die nassen Haare aus der Stirn. Morgen um vier Uhr würden sie sich am Brunnen treffen. Eva hängte den Kleiderbügel an den Schrank und ließ sich auf ihr Bett fallen. Es war schwül

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