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Eva drückte auf den Knopf der Nachttischlampe. Nun war es fast ganz dunkel. Nur ein schwaches Licht drang durch das geöffnete Fenster. Der Vorhang bewegte sich und dankbar spürte sie den leichten Luftzug. Endlich war es ein bisschen kühler geworden. Sie zog das Leintuch über sich, das ihr in heißen Nächten als Zudecke diente, und kuschelte sich zurecht. Sie war zufrieden mit sich selbst, war richtig stolz auf sich, weil sie es geschafft hatte, das Gerede der Eltern beim Abendessen zu überhören und wirklich nur diesen einen Joghurt zu essen. Wenn sie das zwei oder drei Wochen durchhielte, würde sie sicher zehn Pfund abnehmen. Ich bin stark genug dazu, dachte sie. Bestimmt bin ich stark genug dazu. Das hab ich ja heute Abend bewiesen.

Glücklich rollte sie sich auf die Seite und schob ihr Lieblingskissen unter den Kopf. Eigentlich brauche ich überhaupt nicht mehr so viel zu essen. Heute die Schokolade war absolut unnötig. Und wenn ich dann erst einmal schlank bin, kann ich ruhig abends wieder etwas essen. Vielleicht Toast mit Butter und dazu ein paar Scheiben Lachs.

Das Wasser lief ihr im Mund zusammen, als sie an diese rötlich gemaserten, in Öl schwimmenden Scheiben dachte. Sie liebte den pikanten, etwas scharfen Geschmack von Lachs sehr. Und dazu warmer Toast, auf dem die Butter schmolz! Eigentlich mochte sie scharfe Sachen sowieso lieber als dieses süße Zeug. Man wurde auch nicht so dick davon. Geräucherter Speck mit Zwiebeln und Sahnemeerrettich schmeckte ebenfalls ausgezeichnet. Oder eine gut gewürzte Bohnensuppe!

Nur ein einziges, kleines Stück Lachs könnte nicht schaden, wenn sie morgen früh sowieso anfing, richtig zu fasten. Aber nein, sie war stark! Sie dachte daran, wie oft sie sich schon vorgenommen hatte, nichts zu essen oder sich wenigstens zurückzuhalten, und immer wieder war sie schwach geworden. Aber diesmal nicht! Diesmal war es ganz anders. Mit der größten Ruhe würde sie zusehen, wie ihr Bruder das Essen in sich hineinstopfte, wie ihre Mutter die Suppe löffelte und sie gleichzeitig laut lobte. Es würde ihr nichts ausmachen, wenn ihr Vater in seiner pedantischen Art dicke Scheiben Schinken gleichmäßig auf das Brot verteilte und es dann noch sorgfältig mit kleinen, in der Mitte durchgeschnittenen Cornichons verzierte. Das alles würde ihr diesmal nichts ausmachen. Diesmal würde sie nicht mehr auf dem Heimweg nach der Schule vor dem Delikatessengeschäft stehen und sich die Nase an der Scheibe platt drücken. Sie würde nicht mehr hineingehen und für vier Mark Heringssalat kaufen, um ihn dann hastig und verstohlen im Park mit den Fingern in den Mund zu stopfen. Diesmal nicht!

Und nach ein paar Wochen würden die anderen in der Schule sagen: Was für ein hübsches Mädchen die Eva ist, das ist uns früher gar nicht so aufgefallen. Und Jungen würden sie vielleicht ansprechen, so wie andere Mädchen, und sie einladen, mal mit ihnen in eine Diskothek zu gehen. Und Michel würde sich richtig in sie verlieben, weil sie so gut aussah. Bei diesem Gedanken wurde ihr warm. Sie hatte das Gefühl zu schweben, leicht und schwerelos in ihrem Zimmer herumzuglei-ten. Frei und glücklich war sie.

Eine kleine Scheibe Lachs wäre jetzt schön. Eine ganz kleine Scheibe nur, lange hochgehalten, damit das Öl richtig abgetropft war. Das könnte doch nicht schaden, wenn sowieso jetzt alles gut würde, wenn sie sowieso bald ganz schlank wäre.

Leise erhob sie sich und schlich in die Küche. Erst als sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, drückte sie auf den Lichtschalter. Dann öffnete sie den Kühlschrank und griff nach der Dose Lachs. Drei Scheiben waren noch da. Sie nahm eine zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt sie hoch. Zuerst rann das Öl in einem feinen Strahl daran herunter, dann tropfte es nur noch, immer langsamer. Noch ein Tropfen. Eva hielt die dünne Scheibe gegen das Licht. Was für eine Farbe! Die Spucke sammelte sich in ihrem Mund und sie musste schlucken vor Aufregung. Nur dieses eine Stück, dachte sie. Dann öffnete sie den Mund und schob den Lachs hinein. Sie drückte ihn mit der Zunge gegen den Gaumen, noch ganz langsam, fast zärtlich, und fing an zu kauen, auch noch langsam, immer noch genüsslich. Dann schluckte sie ihn hinunter. Weg war er. Ihr Mund war sehr leer. Hastig schob sie die beiden noch verbliebenen Scheiben Lachs hinein. Diesmal wartete sie nicht, bis das Öl abgetropft war, sie nahm sich auch keine Zeit, dem Geschmack nachzuspüren, fast unzerkaut verschlang sie ihn.

In der durchsichtigen Plastikdose war nun nur noch Öl. Sie nahm zwei Scheiben Weißbrot und steckte sie in den Toaster. Aber es dauerte ihr zu lange, bis das Brot fertig war. Sie konnte es keine Sekunde länger mehr aushaken. Ungeduldig schob sie den Hebel an der Seite des Gerätes hoch und die Brotscheiben sprangen heraus. Sie waren noch fast weiß, aber sie rochen warm und gut. Schnell bestrich sie sie mit Butter und sah fasziniert zu, wie die Butter anfing zu schmelzen, erst am Rand, wo sie dünner geschmiert war, dann auch in der Mitte. Im Kühlschrank lag noch ein großes Stück Gorgonzola, der Lieblingskäse ihres Vaters. Sie nahm sich nicht die Zeit, mit dem Messer ein Stück abzuschneiden, sie biss einfach hinein, biss in das Brot, biss in den Käse, biss, kaute, schluckte und biss wieder.

Was für ein wunderbarer, gut gefüllter Kühlschrank. Ein hartes Ei, zwei Tomaten, einige Scheiben Schinken und etwas Salami folgten Lachs, Toast und Käse. Hingerissen kaute Eva, sie war nur Mund.

Dann wurde ihr schlecht. Sie merkte plötzlich, dass sie in der Küche stand, dass das Deckenlicht brannte und die Kühlschranktür offen war.

Eva weinte. Die Tränen stiegen ihr in die Augen und liefen über ihre Backen, während sie mit langsamen Bewegungen die Kühlschranktür schloss, den Tisch abwischte, das Licht ausmachte und zurück ging in ihr Bett.

Sie zog sich das Laken über den Kopf und erstickte ihr Schluchzen im Kopfkissen.

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