Ein Brief wird geschrieben

Flink und geräuschlos schlüpfte das kleine Gespenst in den Garten hinaus und versteckte sich hinter dem nächsten Fliederstrauch. Von dorther rief es die Apothekerskinder leise und freundlich an:

„Pst - Kinder! Erschreckt nicht vor mir! Ich habe euch etwas zu sagen, etwas sehr Wichtiges. Aber ihr dürft nicht davonlaufen und nicht schreien, ich werde euch nichts zuleide tun."

Herbert, Günther und Jutta blickten verwundert im Garten umher. Sie konnten sich nicht erklären, wer da zu ihnen gesprochen hatte. Jutta stieß einen kleinen Schrei aus, als sie die schwarze Gestalt mit den weißen Augen entdeckte, die langsam hinter der Fliederhecke hervorgeschwebt kam und ihnen zuwinkte.

„Ui, seht doch - der Schwarze Unbekannte!"

„So nennt man mich leider in Eulenberg", sagte das kleine Gespenst. „Und ich weiß leider auch, daß mich alle Leute im Städtchen fürchten. Dabei bin ich weiter nichts als ein unglückseliges kleines Gespenst, und es tut mir entsetzlich leid, daß ich gestern beim Festspiel dazwischengefahren bin. Aber ich habe es nicht aus Bosheit getan, sondern weil ich gedacht habe, daß der Torstenson und die Schweden echt seien ..."

Die Apothekerskinder wußten nicht, was sie tun sollten: schreien und weglaufen - oder bleiben und zuhören.

„Sie sind also - ein Gespenst?" meinte Herbert mißtrauisch.

„Ja, wenn du nichts dagegen hast."

„Und warum sind Sie schwarz?" wollte Günther wissen. „Ich dachte immer, Gespenster sind weiß ..."

„Nur die Nachtgespenster", seufzte das kleine Gespenst.

„Und Sie?" fragte Jutta. „Zu welcher Gespenstersorte gehören denn Sie?"

„Ich bin leider seit vierzehn Tagen ein Taggespenst, und das Sonnenlicht hat mich schwarz gemacht. Aber zuvor, als ich noch ein Nachtgespenst war, bin ich blütenweiß gewesen, weißer als eine Wolke Schneestaub . . . Übrigens hause ich eigentlich auf der Burg oben, auf dem Eulenstein."

„Aber seit einiger Zeit", meinte Herbert, „sind Sie hier unten und machen das Städtchen unsicher."

„Das hat sich rein zufällig so ergeben", sagte das kleine Gespenst.

Es blickte die Apothekerskinder verlegen an. Dann erzählte es ihnen seine Geschichte, wobei es ausführlich auf das gestrige Mißverständnis zu sprechen kam, das ihm äußerst peinlich sei und wofür es sich immer wieder entschuldigte.

„Ihr ahnt nicht", beteuerte es, „wie leid mir dies alles tut -und wie sehr mir daran gelegen wäre, den Leuten in Eulenberg klar zu machen, daß ich nichts Böses gewollt habe. Aber wie soll ich das anstellen?"

„Schreiben Sie doch einen Brief an den Bürgermeister!" schlug Günther vor.

„Einen Brief? Das ist ausgeschlossen!" sagte das kleine Gespenst und gestand, daß es niemals lesen und schreiben gelernt habe.

„Macht nichts", entgegnete Jutta, „dafür können wir es!"

Sie eilte ins Haus und holte aus ihrem Zimmer den Füller und einen Briefblock. Die Gartenbank war ihr Schreibtisch, sie kniete nieder und schraubte den Füller auf.

„Bitte, diktieren Sie!"

Da diktierte das kleine Gespenst, und Jutta schrieb:

Es wurde ein ziemlich langer Brief. Als er fertig war, ließ das kleine Gespenst ihn sich vorlesen. Danach mußte Jutta ihm etwas Tinte auf den rechten Daumen tropfen, und feierlich unterzeichnete es den Brief:

Gleich darauf fiel ihm ein, daß es etwas vergessen hatte.

„Könntest du, bitte, noch eine Kleinigkeit unten drunterschreiben?" fragte es Jutta. „Zwei Sätze bloß

„Aber gern", sagte Jutta.

Sie ließ nach der Unterschrift eine Zeile frei, wie sich das gehört, und das kleine Gespenst diktierte ihr in die Feder:

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