Nur nicht verzweifeln

Jutta steckte den Brief in den Umschlag und schrieb die Adresse darauf.

„Sie kehren vermutlich zurück auf den Eulenstein, wenn Sie das Städtchen morgen verlassen?" fragte sie.

„ Selbstverständlich."

„Und dann", meinte Günther, „- dann werden Sie ebenso selbstverständlich wieder zu einem Nachtgespenst - oder?"

Das kleine Gespenst warf ihm einen traurigen Blick zu. „Ich wollte, du hättest recht . . . Aber leider habe ich keine Hoffnung mehr, daß ich jemals wieder ein Nachtgespenst werden könnte. Damit, fürchte ich, ist es aus für mich."

Das kleine Gespenst fing zu weinen an. Dicke weiße Tränen tropften ihm aus den Augen und fielen zu Boden wie Hagelkörner, tip, tip, tip, tip.

Die Kinder blickten betroffen drein.

„Aber, aber!" rief Herbert, „was haben Sie denn?" Günther kratzte sich hinter den Ohren und sagte gar nichts. Bloß Jutta hatte verstanden, worum es ging; sie versuchte das kleine Gespenst zu trösten.

„Nur nicht verzweifeln!" sagte sie. „Denken wir lieber nach, ob man Ihnen nicht helfen kann!"

Das kleine Gespenst winkte ab.

„Mir ist nicht zu helfen!" schluchzte es. „Hätte ich bloß auf den Uhu Schuhu gehört, er hat mich gewarnt!"

Plötzlich kam ihm ein guter Gedanke. Ja richtig der Uhu Schuhu! Daß es nicht früher darauf gekommen war!

„Man müßte den Uhu Schuhu fragen!" rief es. „Wenn überhaupt jemand Rat weiß in meiner Sache, dann er ... Er weiß zwar nicht alles, aber er weiß eine ganze Menge, was andere nicht wissen. - Wenn ihr mir wirklich helfen wollt, Kinder - dann müßt ihr den Uhu Schuhu fragen!"

„Warum fragen Sie ihn nicht selbst?" wollte Günther wissen.

„Das geht nicht! Ich bin ja ein Taggespenst, und er ist ein Nachtvogel. Aber er ist mein Freund. Er wohnt in der hohlen Eiche hinter der Burg, sie ist leicht zu finden ..."

Auf dem Eulenstein waren die Kinder manchmal mit ihren Eltern spazieren gegangen. Deshalb brauchte das kleine Gespenst sich nicht lang damit aufzuhalten, ihnen den Weg zu beschreiben. Auch meinten die Kinder, es sei nicht besonders schwierig für sie, sich nachts aus dem Haus zu schleichen, das ließe sich einrichten.

„Aber wie kommen wir durch die Burg?" fragte Herbert. „Es gibt keinen anderen Weg, der zur Eiche führt. Und die Burgtore werden am Abend bekanntlich abgeschlossen."

Günther und Jutta machten bestürzte Gesichter, aber das kleine Gespenst wußte Rat.

„Ich leihe euch einfach den Schlüsselbund mit den dreizehn Schlüsseln", sagte es und erklärte den Kindern, was für eine Bewandtnis es damit hatte. „So kommt ihr am leichtesten in die Burg hinein und am leichtesten wieder heraus."

Nun versprachen die Apothekerskinder dem kleinen Gespenst, in der nächsten Nacht zu der hohlen Eiche zu gehen und den Uhu Schuhu um Rat zu fragen.

Das kleine Gespenst war sehr glücklich darüber und dankte ihnen. Dann reichte es Herbert den Schlüsselbund mit den dreizehn Schlüsseln.

„Macht eure Sache gut - und vergeßt nicht: Der Uhu Schuhu legt größten Wert darauf, daß man ihm immer höflich kommt und ihn niemals duzt, sondern immer mit ,Sie' und ,Herr Schuhu' anredet. Das wollte ich euch nur sagen, damit ihr Bescheid wißt... Und noch etwas! Würdet ihr, bitte, den Brief an den Bürgermeister heute noch nicht zur Post bringen?"

„Wie Sie wünschen", versicherte Herbert. „Aber warum eigentlich?"

„Weil ich dem Bürgermeister versprochen habe, morgen für immer aus Eulenberg zu verschwinden", sagte das kleine Gespenst. „Und es könnte doch sein, daß ich morgen noch gar nicht weg kann, nach alledem, was wir eben besprochen haben."

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