Nun schwebte das kleine Gespenst nach Hause: über die Dächer des schlafenden Städtchens hinweg zum Rathaus, vom Rathaus über den Grünen Markt nach dem Oberen Tor und vom Oberen Tor zu der Burg hinauf.
„Lebt wohl da unten, ihr Bürger von Eulenberg! Ihr habt in den beiden letzten Wochen allerlei Ärger mit mir gehabt, doch nun seid ihr mich endlich los, und das ist die Hauptsache. Jedenfalls habe ich nicht die geringste Absicht, mich jemals wieder im Städtchen zu zeigen. Ich bleibe von nun an dort, wohin ich gehöre.
Von meiner Burg soll mich nichts mehr weglocken, nicht einmal meine eigene Neugier!"
Dreimal umkreiste das kleine Gespenst die Mauern des Eulensteins, dreimal den Burgturm und dreimal das Herrenhaus mit dem Rittersaal. Alles war unverändert, obwohl es ihm vorkam, als sei es seit einer Ewigkeit nicht mehr hier gewesen.
„Ob ich dem General meine Aufwartung mache?" dachte es. „Aber nein, das hat Zeit bis zur nächsten Regennacht. Heute habe ich etwas sehr viel Wichtigeres zu erledigen ..."
Der Uhu Schuhu saß im Geäst der hohlen Eiche und wunderte sich kein bißchen, als plötzlich das kleine Gespenst heranschwebte und sich an seiner Seite niederließ.
„Sie gestatten, Herr Schuhu?"
„Ich wüßte nicht, was ich lieber gestattete."
Eine Zeitlang hockten die beiden Freunde nebeneinander und schwiegen.
„Man hat Ihnen also geholfen?" fragte der Uhu schließlich.
, Man hat, wie Sie sehen", sagte das kleine Gespenst. „Der Rat, den Sie Jutta und ihren Brüdern gestern gegeben haben, war Gold wert. Ich danke Ihnen, dafür!"
„Bitte, bitte, mein Lieber!" Der Uhu plusterte sein Gefieder auf. „Es war, unter uns gesagt, reiner Eigennutz."
„Eigennutz ...?"
„Reiner Eigennutz!" wiederholte der Uhu und nickte dabei zur Bekräftigung mit dem Kopf. „Ich fand es allmählich langweilig ohne Sie. Das Leben gefällt mir bedeutend besser, wenn jemand da ist, der einem Gesellschaft leistet. Sie haben gewiß eine ganze Menge erlebt in Eulenberg. Bitte, erzählen Sie!"
„Wie Sie wünschen", sagte das kleine Gespenst.
Es wollte gerade anfangen, seine Abenteuer im Städtchen zum besten zu geben: wie es den Schutzmann erschreckt und die Marktweiber auf dem Grünen Markt verscheucht hatte, seinen Auftritt im Rathaus und die Geschichte mit Torstenson und den Schweden, die keine waren - da geschah etwas Unerwartetes, etwas, wodurch es am Weitererzählen gehindert wurde, bevor es noch richtig damit begonnen hatte.
Auf einmal trat nämlich hinter dem dichten schwarzen Gewölk, das den Himmel bedeckte, der Mond hervor, groß und rund, eine Scheibe von blankem Silber.
Und einer der silbernen Mondstrahlen traf das kleine Gespenst.
Und dem kleinen Gespenst wurde unsäglich wohl zumute. Es fühlte sich leicht und frei, viel leichter und freier, als es sich je gefühlt hatte.
Und dann merkte es plötzlich: Ich bin ja auf einmal kein schwarzes Gespenst mehr, ich leuchte ja wieder, ich bin ja weiß!
„Ich bin weiß!" rief es staunend und glücklich aus. „Ich bin weiß, ich bin weiß, ich bin weiß, weiß, weiß, weiß!"
Da lachte der Uhu Schuhu und meinte:
„Das wundert Sie wohl? Aber eigentlich ist es ganz einfach und selbstverständlich, mein lieber Freund. Die Sonne war schuld daran, daß Sie schwarz wurden - und der Mond hat Sie wieder weiß gemacht.
So ist das nun mal, und ich finde, Sie sollten sich langsam wieder beruhigen."
Aber das kleine Gespenst war vor Freude ganz außer Rand und Band. Es hörte nicht auf den Uhu Schuhu, es konnte und konnte sich nicht beruhigen.
Bis zum Ende der Geisterstunde tanzte es auf den Mauern der Burg umher.
Es hüpfte im Mondschein von Zinne zu Zinne und freute sich.
Es freute sich unbeschreiblich darüber, daß es nun wieder weiß war wie früher.
Blütenweiß. Weißer als eine Wolke Schneestaub.