Die Sache mit Torstenson

Wenn das Wetter es halbwegs zuließ, begab sich das kleine Gespenst vom Dachboden schnurstracks ins Freie hinaus. Wie köstlich die kühle Nachtluft schmeckte, wie leicht und frei es sich atmete unter dem weiten Himmel!

Besonders liebte das kleine Gespenst die Mondnächte.

Hoch auf den silbrigen Mauern von Zinne zu Zinne zu hüpfen, wenn einen die Strahlen des Mondes aufleuchten ließen, weißer als eine Wolke Schneestaub: ja, das war herrlich! Da fühlte das kleine Gespenst sich so glücklich und wohl, daß es immerzu vor sich hin kichern mußte:

„Hi-hi-hi-hiii! Wie schön ist es auf Burg Eulenstein, wenn der Mond scheint! Hi-hi-hi-hmiii!"

Manchmal spielte das kleine Gespenst mit den Fledermäusen, die des Nachts aus ihren Schlupfwinkeln hervorkamen und die Türme der Burg umflatterten; manchmal sah es den Mäusen und Ratten zu, wie sie bei den Kellerfenstern aus und ein huschten; und manchmal lauschte es auch den Katzen bei ihrem Konzert, oder es fing einen taumelnden Nachtfalter in der hohlen Hand.

Aber am liebsten besuchte das kleine Gespenst seinen alten Freund, den Uhu Schuhu. Er hauste in einer hohlen Eiche am äußersten Rand des Burgberges, wo die Felsen steil nach dem Fluß hin abfielen.

Der Uhu Schuhu freute sich jedesmal, wenn ihn das kleine Gespenst besuchen kam. Auch er schlief bei Tag und erwachte erst gegen Mitternacht.

Er war alt und sehr weise und achtete streng darauf, daß man ihm stets mit der nötigen Ehrerbietung begegnete. Selbst von dem kleinen Gespenst ließ er sich nicht duzen, was ihrer Freundschaft jedoch keinen Schaden tat.


Gewöhnlich setzte sich das kleine Gespenst neben den Uhu Schuhu auf einen Ast, und dann erzählten sie sich zum Zeitvertreib Geschichten: lange Geschichten und kurze, alte und neue, Geschichten zum Lachen, zum Weinen oder zum Nachdenken, wie sie ihnen gerade einfielen.

Eines Nachts, als das kleine Gespenst wieder einmal zu der hohlen Eiche gekommen war, meinte der Uhu Schuhu:

„Sie wollten mir, wenn ich mich recht erinnere, einmal die Sache mit diesem schwedischen General erzählen. Hieß er nicht Borstensohn?"

„ Torstenson", sagte das kleine Gespenst. „Torsten Torstenson."

„Und wie war das mit dem?"

„Ach, das war eigentlich furchtbar spaßig, wissen Sie. Es ist ja nun dreihundertvierundzwanzig - nein, warten Sie, dreihundertfünfundzwanzig Jahre ist das nun her. Nächsten Monat, am 27. Juli, da jährt es sich. Damals kam dieser Torstenson eines Tages mit seinen Schweden hier angerückt. Fußvolk, Kanonen und Reiterei, viele tausend Soldaten und Offiziere. Die haben rund um die Burg und das Städtchen ihre Zelte aufgeschlagen, und dann haben sie Laufgräben ausgehoben und Schanzen gebaut. Und natürlich haben sie ihre verdammten Kanonen aufgefahren und haben die Burg und das Städtchen beschossen."

„Ich stelle mir vor, das war wenig angenehm", meinte der Uhu Schuhu.

„Nicht angenehm?" sagte das kleine Gespenst. „Einfach ekelhaft war es! Es bummste und krachte den ganzen Tag und die halbe Nacht lang. Ich habe ja glücklicherweise keinen empfindlichen Schlaf, mich bringt nichts so leicht aus der Ruhe. Doch damals?! Es war nicht zum Aushalten, sage ich Ihnen! Dieser Kanonendonner in einem fort und das Krachen und Splittern im Mauerwerk, wenn die Kugeln einschlugen! Eine halbe Woche lang habe ich diesen Höllenlärm über mich ergehen lassen, dann bekam ich es satt!"

„Und haben Sie etwas dagegen tun können?" fragte der Uhu Schuhu.

„Gewiß doch! Ich habe mir diesen Torstenson einmal vorgeknöpft. Gleich in der nächsten Nacht bin ich zu ihm hin, in das Generalszelt, und habe ihm meine Meinung gesagt."

„Standen denn keine Wachen vor seinem Zelt?"

„Und ob da Wachen gestanden haben! Ein Leutnant mit zwanzig Mann, oder lassen Sie's fünfundzwanzig gewesen sein. Sie haben mich aufhalten wollen und haben mit ihren Säbeln und Spießen nach mir gestochen, und der Leutnant hat sogar die Pistole gezogen und einen Schuß auf mich abgefeuert. Aber Sie wissen ja: Säbel und Spieße können mich nicht verletzen, und Kugeln fügen mir keinen Schaden zu; das geht alles durch mich hindurch wie durch Rauch und Nebel. Man hat mich nicht hindern können, ich bin in das Generalszelt hineingehuscht."

„Und als Sie drin waren?" fragte der Uhu.

„Da habe ich diesem Torstenson ordentlich eingeheizt. ,Wenn dir dein Leben lieb ist', habe ich ihm gedroht und dabei mit den Armen gefuchtelt und schrecklich herumgefaucht, ,wenn dir dein Leben lieb ist, dann brich die Belagerung auf der Stelle ab und verschwinde mit deinen Soldaten auf Nimmerwiedersehen!'" „Und der Herr General?"


„Der hat dagestanden, barfuß, im spitzenbesetzten Nachthemd, und hat mit den Zähnen geklappert und gräßliche Angst gehabt. Und dann ist er vor mir auf die Knie gefallen und hat um Gnade gebettelt. (Verschone mich!' hat er gerufen, .verschone mich! Ich will alles tun, was du von mir forderst!' Da habe ich ihn beim Kragen gepackt und ein bißchen gebeutelt. ,Das möchte ich aber auch hoffen!' habe ich ihm geantwortet. .Morgen früh rückst du ab von hier! Und laß es dir ja nicht einfallen, jemals wiederzukommen, verstanden? Laß dir das ja nicht einf allen!1"

„Donnerwetter! - Und Torstenson?"

„Torstenson hat pariert. Am nächsten Morgen, dem Morgen des 27. Juli, ist er mit seiner Armee davongezogen. Hals über Kopf sind sie abgerückt, Reiterei, Kanoniere und Fußsoldaten, er selber mit seinem Feldherrnstab vorneweg."

„Und - er ist tatsächlich nie mehr wiedergekommen?" wollte der Uhu wissen.

„Tatsächlich nie mehr", sagte das kleine Gespenst und kicherte.

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