KAPITEL ACHT




Der Jetlag hatte seinen Tribut von Dave gefordert; als er es endlich schaffte, aus dem Bett zu kriechen, war es bereits elf Uhr. Er nahm eine Dusche, zog sich an und ging in den Speiseraum.

»Haben Sie kolumbianischen Kaffee?« fragte er die Kellnerin, als er seine Bestellung aufgab.

»Ich weiß nicht. Ich werde nachfragen«, antwortete sie, offenbar nicht daran gewöhnt, daß jemand Kaffee aus einem bestimmten Land verlangte.

»Kenianischen«, sagte sie, als sie zurückkam, »oder normalen.«

»Und was zum Teufel ist ›normaler‹? Instant? Verdammt, vermutlich kenianischer«, schimpfte er, um sich gleich darauf zu entschuldigen: »Tut mir leid, ist nicht Ihre Schuld.«

»Wahrscheinlich bekommen Sie im Coffee Shop kolumbianischen Kaffee«, sagte sie.

»Es ist nicht so wichtig«, log er, »bringen Sie mir den kenianischen. Und etwas getoastetes Focaccia-Brot.«

»Fo… was?«

»Vergessen Sie’s.«

In diesem Augenblick gesellte sich ein triefäugiger Danny zu ihm, der wahrscheinlich schlimmer aussah, als er sich fühlte.

»Was lief denn gestern abend so bei dir?« fragte Dave unschuldig. »Hast du auch genügend Schlaf bekommen?«

Dannys Kopf fuhr hoch, während er sich setzte. »Natürlich! Weshalb fragst du? Was willst du wissen?«

Dave blinzelte und schüttelte den Kopf. »Nichts«, sagte er. »Ich habe nur gefragt, wie du geschlafen hast, mehr nicht. Aber wen interessiert das schon?«

Danny wirkte erschöpft. »Okay, okay, wenn du es wissen willst: Ich habe eine schlimme Nacht hinter mir. Ich bin um drei Uhr wach geworden und konnte nicht wieder einschlafen. Was gibt’s zum Frühstück?«

»Auf jeden Fall keinen kolumbianischen Kaffee«, brummte Dave.

»Wen interessiert das, solange er stark und schwarz ist?« sagte Danny und lächelte die Kellnerin an.

»Ein Mann nach meinem Herzen«, sagte sie.

»Kaffee und Toast«, bestellte Danny.

»Braunes oder weißes Brot?« fragte sie, um Dave zu beweisen, daß der Gast auch in diesem Hotel die Wahl zwischen exotischen Genüssen hatte.

»Braunes. Danke«, sagte Danny, und wurde mit einem strahlenden Lächeln belohnt.

»Du scheinst es mit den Frauen hier ja gut zu können«, sagte Dave. »Gestern abend die junge Lady, und jetzt die Kellnerin.«

»Was weißt du über gestern abend?« schnappte Danny.

»Nichts«, erwiderte Dave. »Aber wenn du weiter so kurz angebunden bist, beginne ich etwas zu ahnen.«

Dave vermutete, daß Danny ausgegangen war und sich ein Callgirl angelacht hatte. Danny hatte nie viel Erfolg bei Frauen gehabt und, soweit er wußte, seine sexuellen Bedürfnisse stets bei Huren gestillt. Er hatte sogar einmal Liebe dort gefunden, bei Rita, die er später heiratete. Rita war in einem brennenden Wagen umgekommen, ein weiteres Opfer des Engels, der 1996 in San Francisco aus dem Stand der Gnade fiel.

»Und – wirst du heute zur Beichte gehen?« fragte Dave.

Danny, ein Katholik, der jedesmal schreckliche Schuldgefühle hatte, wenn er mit einer Prostituierten sündigte, sagte: »Nein, werde ich nicht, falls dich das etwas angeht, Lieutenant. Was bist du, mein Vater?«

Danach frühstückten sie schweigend, bis Lloyd Smith sich zu ihnen gesellte.

»Letzte Nacht gab es einen weiteren Mord«, sagte Lloyd. »Ein Mann wurde erwürgt und verstümmelt. Arme und Beine waren über die Straße verstreut, sein Kopf stak auf einer der Spitzen eines Eisengeländers.«

»Das sagen Sie uns nicht ohne Grund. Ich bin sicher, daß es mehr als einen Mord gegeben hat. Wie sah das Opfer aus?«

»Als es noch lebte? Wahrscheinlich groß und schlank; aber es besaß eindeutig ein kantiges Kinn.«

Danny und Lloyd starrten Dave an, der unbehaglich mit den Schultern zuckte. »Könnte Zufall sein«, sagte er.

»Nein«, erwiderte Lloyd, »alle Opfer dieses Serienmörders ähneln entweder Ihnen, Lieutenant Peters, oder Ihnen, Sergeant Spitz.«

»Ich wünschte, Sie würden ›Lootenant‹ sagen – ›Leftenant‹ ärgert mich«, sagte Dave. »Also, was denken Sie? Glauben Sie, Manovitch tötet diese Menschen, weil er sie mit mir verwechselt?«

»Nein«, sagte Lloyd erneut. »Ich glaube, er tötet sie, gerade weil sie nicht Sie sind. Ich denke, er will Sie unbedingt haben. Doch falls er einen von Ihnen beiden in die Finger bekommt, wird er ihn so lange am Leben lassen, bis er auch den anderen hat, wobei er seine Geisel als Köder benutzt. Das glaubt wenigstens Petra, und es hört sich für mich logisch an. Ich glaube, er tötet diese Menschen in einem Wutanfall, wenn er feststellt, daß er wieder an die Falschen geraten ist.«

»Hat jemand etwas beobachten können?« fragte Dave.

»Ja, es gibt einen oder zwei Zeugen. Einer steht noch unter Schock – die Frau des ermordeten Mannes. Sie sagte, der Täter sei ein großer, sehr gut aussehender, schlanker junger Mann gewesen. Nach der Tat sei er wie eine Spinne eine Hauswand hochgeklettert und über die Dächer davongelaufen. Wir brauchten eine Weile, um diese Information von ihr zu bekommen – nach der Einlieferung ins Krankenhaus schrie sie mindestens eine Stunde lang.«

»Scheiße«, sagte Dave. »Nun, das hört sich nicht nach Manovitch an, eher nach unserem Freund, dem Engel.«

»Laut Petra, die, wie Sie wissen, in direktem Kontakt mit dem Erzengel steht, entscheiden sich alle Dämonen – und toten Seelen – dafür, auf Erden wunderschöne junge Menschen zu sein. Weshalb nicht? Ich würde es auch tun, wenn ich die Möglichkeit hätte. Sie nicht?«

»Ich glaube, ich würde gern wie Clint Eastwood in High Plains Drifter aussehen und nicht wie Rudolph Valentino in The Sheik«, sagte Danny.

»Sie sprechen natürlich für sich selbst«, erwiderte Lloyd. »Mir persönlich würde es gefallen, wie Valentino auszusehen.«

»Also«, sagte Danny, »Sie glauben, dieser Serienmörder, der seine Opfer erst erwürgt und dann verstümmelt, sei Manovitch?«

»Petra ist dessen fast sicher.«

»Wo ist sie übrigens?« fragte Dave.

Danny wurde rot und murmelte: »Sie wird jeden Augenblick hier sein.«

Eine Zeitlang herrschte Stille, dann pfiff Dave langsam vor sich hin. »Willst du damit sagen, daß sie in deinem Zimmer ist? Kein Wunder, daß du so mitgenommen aussiehst. Ihr müßt euch die ganze Nacht die Köpfe heiß geredet haben.«

»Sei nicht albern«, sagte Danny zu Dave, dann nickte er und schenkte dem Erzdiakon ein träges Grinsen. »Sie mag mich. Können Sie das verstehen?«

»Sie, eh, scheinen ein netter Mensch zu sein.«

»Ja, nett, aber häßlich. Aber Petra sagt, sie könne meine innere Schönheit sehen. Sie sagt, ich sei der schönste Mann, den sie jemals kennengelernt habe…«

»Das ist sehr unprofessionell«, wandte Dave ein.

»Ach, komm schon«, erwiderte Danny. »Es wird niemandem weh tun. Wenn sie einen Freund hätte, würdest du keinen zweiten Gedanken daran verschwenden. Nun, verflucht, ich bin ihr verdammter Freund. Du kannst darauf herumkauen, bis sie kommt. Da ist sie.«

Petra trug ein Kleid im afrikanischen Stil und einen Turban. Dave fand, daß sie phantastisch aussah. Er konnte nicht glauben, daß sie etwas mit seinem schlampigen alten Kumpel Bruder Tuck hatte. Was zum Teufel sah sie nur in ihm – in seinem Inneren? Danny war das Salz der Erde, aber es gab nur wenig, das vom Aussehen oder von der Persönlichkeit her für ihn sprach. Natürlich gab es häßliche Kerle mit wunderschönen Frauen, aber die besaßen noch etwas anderes: Charisma oder Geld oder Macht. Doch Danny besaß nichts von alldem. Normalerweise ließ ein netter Charakter die Antennen der Frauen nicht vibrieren.

»Morgen«, sagte Dave zu Petra.

»Guten Morgen«, erwiderte Petra.

»Haben Sie auch so schlecht geschlafen, wie mein kleiner Kumpel hier?« fragte Dave.

»Das reicht, Dave«, sagte Danny. »Wenden wir uns der Arbeit zu. Petra, Lloyd hat uns gerade mitgeteilt, daß ein weiterer Mord geschehen ist. Er sagte, du hättest ein paar Theorien darüber, was dort draußen in den Straßen abläuft.«

»Das sind keine Theorien«, sagte sie. »Ich weiß, daß Manovitch frustriert ist. Er tötet Menschen, weil er euch beide nicht in die Finger bekommt und weil sie gerade da sind.«

»Und wie sieht die heutige Tagesordnung aus?« fragte Dave Lloyd.

»Zuerst möchte ich Ihnen die von uns entwickelte Waffe zeigen. Sie werden alle eine brauchen, also werden wir ein wenig üben. Falls Sie schon einmal einen Revolver benutzt haben, und ich bin sicher, das haben Sie – möglicherweise Sie noch nicht, Petra? –, wird es kaum Schwierigkeiten damit geben. Die neue Waffe ist einem Revolver sehr ähnlich. Sollen wir gehen?«

Sie fuhren zu einem Schießstand im Norden der Stadt, wo man ihnen die stumpfnasige Waffe zeigte. Dave durfte sie als erster ausprobieren. Er zielte auf einen Heuballen am Ende der Bahn und drückte ab. Der Revolver ging los, und das Heu fing sofort Feuer. Dave war beeindruckt. Ein Mann löschte die Flammen mit Wasser.

»Hey«, sagte er. »Womit hat man das Heu getränkt? Mit Benzin?«

»Mit nichts«, erklärte Lloyd. »Es war nur ein einfacher, trockener Heuballen. Würden Sie ihn jetzt gern ausprobieren, Sergeant?«

»Aber das Heu ist doch noch feucht.«

»Richten Sie einfach nur die Waffe darauf, und drücken Sie ab, wenn ich bitten darf«, erwiderte Lloyd. »Aber schießen Sie zwei- oder dreimal.«

Danny zuckte mit den Schultern und drückte dreimal hintereinander ab. Wieder ging das Heu in Flammen auf, zwar nicht so heftig wie zuvor, aber es brannte. Es sah so aus, als könne man mit den Feuerkugeln auch feuchte Ziele in Brand setzen.

»Ein guter Revolver«, sagte Danny, während er sich mit der Trommel über die Wange strich. »Ich möchte ihn behalten.«

Schließlich waren sie ausgerüstet und bereit für die Straßen.

»Und jetzt«, sagte Lloyd, »kommt die altmodische Suche.

Ich habe die Stadt in Planquadrate eingeteilt; ein Quadrat pro Tag. Sie werden von kompetenten Fahrern in getrennten Wagen langsam herumgefahren – Sergeant Spitz und Petra in einem, und Lieutenant Peters im anderen Wagen. Wir benutzen Road Rover ohne Verdeck; dadurch sitzen sie höher als die meisten anderen Autofahrer und können über den Verkehr hinwegschauen.«

»Sie meinen, damit Manovitch uns sehen kann.« Lloyd Smith zuckte mit den Schultern. »Es ist die einzige Möglichkeit, ihn dazu zu bringen, sich zu zeigen. Vergessen Sie nicht, er muß ihnen sehr nahe kommen, um seine Hände einzusetzen – im Augenblick seine einzige Waffe. Sie sind also im Vorteil.«

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