KAPITEL SIEBZEHN




Daphne hatte über eine Stunde lang in der Schule gewartet. Die Kinder waren bereits nach Hause gegangen. Sie fühlte sich erschöpft und schlecht behandelt und fing an, die Politiker zu hassen. Am Morgen war der Bildungsminister im Fernsehen aufgetreten. Er hatte die Lehrer angegriffen, ihnen vorgeworfen, sie würden in den Klassenzimmern nicht für Disziplin sorgen; es versäumen, den Kindern eine anständige Erziehung zukommen zu lassen und nicht früh genug durchgreifen. Nun, eigentlich hatte er die Lehrer für die meisten Übel auf dieser Welt verantwortlich gemacht. Wenigstens kam es Daphne so vor.

Der Minister hatte, wie die meisten Menschen seiner Art, eine private Erziehung genossen, und auch seine Kinder besuchten Privatschulen. Dieser Mann wußte nichts, aber auch gar nichts über die Grund- und höhere Schulbildung junger Menschen in einer multikulturellen Gesellschaft. Dennoch hatte er sich weiter über die ›Werte der alten Welt‹ ausgelassen, was immer das auch sein mochte, und den Lehrerberuf kritisiert, ihn vor der übrigen Gesellschaft herabgesetzt. »Heutzutage«, hatte er getönt, »verlassen die Kinder die Schule, ohne buchstabieren zu können. Und diese analphabetischen Kinder werden, der Himmel stehe uns bei, unsere künftigen Industriebosse…«

Daphne seufzte. Sie hackten immer auf dem Buchstabieren herum, als wäre es das größte Verbrechen des Universums, nicht buchstabieren zu können. Sie bezweifelte, daß der Minister gut buchstabieren konnte. Aber er brauchte es nicht zu beweisen, mit seinem Heer von Staatsbeamten, die zwischen ihm und der Öffentlichkeit standen.

»Fickt euch doch alle ins Knie«, murmelte sie, während sie zum Beweis dafür, daß sie ihre Arbeit tat, jene Formulare ausfüllte, die von den Verwaltungsbeamten für jedes Kind gefordert wurden.

Die Frösche trugen nicht gerade zur Verbesserung ihrer Stimmung bei. Nach Daphnes Meinung grenzte es fast an ein Wunder, daß der Minister nicht die Lehrer für die Froschplage verantwortlich gemacht hatte. Sie grinste, als sie sich daran erinnerte, wie der Interviewer die Plage erwähnte und der Bildungsminister geantwortet hatte: »Schrecklich, schrecklich… aber wir müssen da durch. Die Kinder müssen unter allen Umständen unterrichtet werden. Die nächste Plage steht uns noch bevor, nicht wahr? Die Fliegenschwärme…«

Ihre Schüler hätten den Minister sofort korrigiert. Nach den Fröschen wurden keine Fliegen, sondern Läuse erwartet.

Der Mann war nicht nur bigott, sondern auch unwissend, wie die meisten seiner Vorgänger. Sie mischten sich ins Schulleben ein, ohne es auch nur um ein Jota zu verbessern. »Hoffentlich fressen ihn die Läuse bei lebendigem Leib, während er nach Fliegen Ausschau hält, die er erschlagen kann«, murmelte Daphne.

Sie hörte eine Polizeisirene.

Ich hoffe für dich, daß du es bist, Rajeb, dachte sie, als sie ihre Sachen einpackte.

Es war Rajeb, der sich über eine Stunde verspätet hatte. Er zog die Schultern hoch, während sie durch die Masse von Fröschen hindurch zum Wagen watete. Er versuchte, wie ein kleiner Junge auszusehen, sie zu entwaffnen, bevor sie ihm Vorwürfe machen konnte. Und obwohl sie sich ärgerte, konnte sie ihm nicht böse sein.

»Widerliche kleine grüne Dinger«, sagte er, als sie in den Wagen stieg.

»Die Frösche sind mir egal, ich hasse die Menschen«, erklärte sie ihm.

Sie sah an seinem Gesicht, daß er den Satz auf sich bezog, und fuhr rasch fort: »Ich spreche von Politikern – falls man bei ihnen überhaupt von Menschen sprechen kann.«

»Oh«, sagte er, und sein Gesicht entspannte sich sichtlich, während er durch die mit Fröschen übersäten Straßen fuhr. »Du hast recht, Liebes. Es sind verdammte Idioten, nicht wahr?«

»Genau«, antwortete Daphne.

»Weißt du, was heute passiert ist?« fragte Rajeb. »Du wirst es nicht glauben, aber es ist auch ein Politiker darin verwickelt.«

»Nein, ich weiß es nicht. Aber du wirst es mir bestimmt gleich erzählen«, sagte sie. »Ich sehe es in deinen Augen. Und es wird eine blutrünstige Geschichte, das spüre ich.«

Er grinste sie an. »Ganz recht. Du kennst doch den Boß, Smith? Er wurde im Atelier eines Fotografen vergewaltigt.«

Daphne lief es kalt den Rücken hinunter, aber etwas in ihr versteifte sich. »Das ist doch nichts Besonderes; Frauen werden jeden Tag vergewaltigt.«

Er warf ihr einen Seitenblick zu. »Ich weiß, was du meinst, Liebes, und ich stimme dir zu. Die Sache wird nicht bedeutender, nur weil es ein Mann war – aber bei dem Opfer handelte es sich um Lloyd Smith, den Erzdiakon. Und wenn man Jessica Jameson, die Gesundheitsministerin, vergewaltigt hätte, wäre das immer noch eine starke Nachricht, oder?«

»Nehme ich an. Aber dahinter steckt noch mehr, nicht wahr? Sonst würdest du nicht wie eine Katze auf dem heißen Blechdach herumspazieren.«

»Elizabeth Taylor und Paul Newman – ausgezeichnet«, sagte er.

»Eigentlich Tennessee Williams.«

»Nein, jetzt mal im Ernst. Du hast recht. Laß mich dir erzählen, was ich gehört habe. Du kennst Stan Gates?«

»Ich habe von Stan Gates gehört; du hast von ihm gesprochen.«

»Genau. Nun, Smith rief Stan vom Studio seines Neffen aus an. Er hätte genausogut mich anrufen können…«

»Komm endlich zur Sache, Rajeb.«

Er warf ihr einen beleidigten Blick zu. »Ich habe nur nachgedacht. Nun, als Stan im Studio ankam, stellte er fest, daß Smith von seinem Neffen vergewaltigt worden war. Mußte die Tür eintreten, um reinzukommen. Überall Blut. Der Neffe versuchte, durchs Dachfenster zu fliehen. Stan hat ihn erschossen.«

»Er hat ihn getötet?« fragte Daphne entgeistert.

Rajeb rutschte unruhig auf seinem Sitz hin und her, während er um einen parkenden Lastwagen herumfuhr.

»Weißt du, wir haben da diese Spezialwaffen, mit denen wir Dämonen und ähnliches verbrennen können.«

»Verschießen sie normale Patronen?«

»Nun, eigentlich nicht. Sie verschießen Feuerkugeln. Stan sagte, der Typ sei im Nu in Flammen aufgegangen. Er – Stan, meine ich – erzählte, der Knabe sei weitergeklettert, wie ein Feuerball vom Dach gerollt, auf dem Rücken in einer Gasse gelandet und dort zu Asche verbrannt.«

Daphnes Magen revoltierte. »Das ist ja furchtbar.«

Rajeb warf ihr einen Blick zu. »Vergiß nicht – er hat einen Kerl vergewaltigt.«

»Ihr tötet doch auch keine Männer, die Frauen vergewaltigen«, sagte sie bestimmt. »Und bis vor kurzem wurde kaum ein Vergewaltiger verurteilt, und wenn, dann brummte man ihnen nur ein paar Jahre auf.«

»Ich verstehe, was du damit sagen willst, Liebes, und stimme dir zu, aber Stan sagte, dieser Kerl würde ihn angegriffen und getötet haben, hätte er sich nicht geschützt. Der Typ schmiß eine Schieferplatte nach Stan, die wie ein Messer in der Tür stecken blieb – muß ein richtig kräftiger Bastard gewesen sein. Stan hat nur reagiert. Jedenfalls hat Smith gesagt, Stan hätte richtig gehandelt.«

»Nun, wird er wohl, oder?«

»Ich nehme an. Wenn jemand das bei mir versuchte, würde ich ihm den Kopf abreißen und durch den Rinnstein rollen. Smith hatte auch Angst, daß sein Neffe sich eine ansteckende Krankheit eingefangen hatte. Erklärte, sein Schwanz hätte wie die Nelson-Säule ausgesehen – ein verdammt massives Ding, geschwollen und formlos.«

»Vielen Dank, Raj, aber ich möchte wirklich nicht alle Einzelheiten wissen.«

Er nickte. »Widerlich, nicht?«

»Ekelhaft. Können wir jetzt nach Hause fahren und eine Tasse Tee trinken?«

Daphne kratzte sich gedankenlos an der Leiste, ertappte sich dabei und hielt verlegen inne.

»Ich frage mich, wodurch ein Schwanz so anschwellen kann«, sagte Rajeb. »Ich habe noch nie von einer solchen Krankheit gehört; du vielleicht? Auf jeden Fall ist es keine Geschlechtskrankheit. Die lassen einen normalerweise verfaulen, oder sie töten einen. Glaubst du, es war Elephantiasis oder etwas Ähnliches? Ich habe Fälle davon in Indien gesehen. Menschenbeine, so dick wie Baumstämme. Verdammt grausig.«

»Ich möchte wirklich, wirklich nicht über übermäßig große Penisse reden, falls du nichts dagegen hast.«

»Ich weiß, was du meinst, Liebes. Morbide, nicht wahr?«

Daphne seufzte und schüttelte den Kopf. »Nein, das habe ich eigentlich nicht gemeint. Vergiß es. Es hört sich schrecklich an. Ich bin sicher, daß Lloyd Smith nicht wollte, daß man seinen Neffen tötete, obwohl er ihm das angetan hat.«

»Da irrst du dich. Er wollte es. Er rief Stan zu: ›Erschießen Sie ihn!‹ Aber er war nicht glücklich, als er feststellen mußte, daß sein Neffe zu einem Haufen Kohle verbrannt war. Er hätte ihn gern untersuchen lassen – er wollte wissen, weshalb sein Schwanz…«

»Ja, ja. Ich hatte auch einen schönen Tag. Und jetzt laß uns reingehen und Tee trinken.«

Sie waren zu Hause angelangt.

Daphne kratzte sich den Kopf, als sie aus dem Wagen stieg, und schaute gen Osten, auf die riesige Halbkugel aus Licht, die der Erzengel war. Und während sie schaute, dachte sie darüber nach, wie sehr sich das Leben seit der Ankunft des Erzengels verändert hatte, und dennoch, wie wenig. Es gab Flüsse voller Blut und Frösche; Dämonen, die frei in der Stadt herumliefen und Ödland, wo Banken und Kirchen hätten sein sollen – so vieles hatte sich geändert –, aber Minister tönten immer noch herum, Vergewaltiger vergewaltigten immer noch, und Rajeb beharrte immer noch darauf, ihr die unerquicklichen Seiten seines Berufes nahezubringen.

Vielleicht war letzteres notwendig. Möglicherweise spielte sie für ihn die Rolle des Beraters und half ihm dabei, sich von der häßlichen Seite seines Jobs zu befreien. Sie wußte nicht, ob das gesund war. Vielleicht sollte er damit zu einem richtigen Therapeuten gehen… Scheiße, ihre Leiste juckte genauso stark wie ihr Kopf, und sie kratzte beides verbissen. Hatte sie sich in Rajebs Wagen einen Floh eingefangen, der von einem Verbrecher gehüpft war?

»Hast du jemanden im Wagen zur Wache gebracht?« fragte sie.

»Ich? Nein, warum?« fragte er, während er die Stufen hochstieg.

Sie sah, wie er sich unter dem linken Arm kratzte.

»Warum machst du das?« fragte sie.

»Was?«

»Dich kratzen.«

»Ich?« fragte er. Er wirkte überrascht. »Tut mir leid, aber es ist sehr arbeiterklassenmäßig, sich zu kratzen, nich?« neckte er sie.

»Aber ich tu es doch auch, du Idiot«, brummte sie, während sie sich wie rasend kratzte.

Er schaute sie an. »Verdammt, es hat angefangen. Die dritte Plage. Läuse.«

Sie stürzten in ihre Wohnung und rissen sich die Kleider vom Leibe.

»Kannst du mal schauen, was da unten los ist?« schrie sie.

Er ging auf die Knie und untersuchte ihre Leistengegend. Nach ein oder zwei Sekunden sah er ein winziges, graues Geschöpf in ihrem Schamhaarwald umhertrippeln, emsig mit den ruchlosen Aktivitäten einer Filzlaus beschäftigt.

»Rasieren«, rief er und stand auf. »Wir müssen uns rasieren.«

»Aber ich werde mir nicht den Kopf rasieren«, schrie Daphne gequält. »Ich möchte nicht mit einer Glatze herumlaufen.«

»Dann müssen wir uns ein Mittel gegen Läuse holen. Geh zur Apotheke und hol was.«

»Geh du.«

Er blieb unentschlossen stehen. Sie rief: »Weshalb reden wir eigentlich drumherum? Alle werden Läuse haben. Geh, solange die Apotheke noch einen Vorrat hat.« Sie kratzte sich den Kopf wie eine Wahnsinnige. »Um Himmels willen, beeil dich.«

Rajeb zog sich an und stürzte davon. Daphne sehnte sich verzweifelt nach einer Dusche, aber sie wußte, daß sie erst die Behandlung über sich ergehen lassen mußte, worin auch immer diese bestand. Sie hoffte, es wäre nicht dieses purpurfarbene Zeug, das sie auf den Köpfen einiger Kinder entdeckt hatte. Es war so auffällig. »Oh, Gott«, stöhnte sie. »Ich hasse das alles.«

Dann ging sie zum Bücherregal und holte den betreffenden Band des Konversationslexikons heraus. »Pediculus humanus capitis, Pediculus humanus corporis, Phthirus pubis«, las sie laut. »Die drei Läusearten, die den menschlichen Körper heimsuchen. Oh, Scheiße, ich hoffe, Rajeb bringt ein Mittel mit, das bei allen dreien wirkt. Ich halte es nicht mehr aus.«


Auf dem Weg zur Apotheke kam Rajeb an weiteren Menschen vorbei, die sich kratzten. Offenbar brachten die Läuse am stärksten die verwöhnten, anspruchsvollen Menschen aus der Fassung; und jene mit einem obsessiven Wesen litten am meisten. Rajeb sah einen Mann, der über und über von Läusen bedeckt war. Sie liefen über sein Gesicht, die Handrücken, den Hals. Ein Polizist schaute entsetzt zu, wie ein Geschäftsmann sich mit seinen langen Nägeln zu kratzen begann, um den Juckreiz loszuwerden. Kratzspuren erschienen auf seinem Gesicht, Blut rann ihm von den Backenknochen ins Hemd.

»Aaahhh«, schrie er, während er sich immer fieberhafter kratzte. »Ich kann es nicht ertragen, ich kann es nicht ertragen. Bastarde. Bastarde.«

Er riß sich das Hemd auf und kratzte sich die Haut von der Brust.

»Um Himmels willen, Mann«, sagte Rajeb, »Sie werden verbluten.«

Aber seine Worte trafen auf taube Ohren. Der Mann wollte nur eins: von den Läusen befreit werden. Seine Nägel tropften von Blut. Er rieb sich Rücken und Brust an einer rauhen Wand, und schabte sich so noch mehr Haut ab. Schließlich stürzte er, immer noch schreiend, eine Seitenstraße hinunter.

Aber das war nur der erste Fall von Selbstverstümmelung, den Rajeb sehen sollte. Als er in der Apotheke angelangt war, quälten ihn die Läuse unerträglich, aber er besaß genügend Disziplin, um sich nicht zu kratzen.

Als er aus der Apotheke trat, stieg gerade eine gutgekleidete Frau mit angewiderter Miene aus einem Wagen. Sie hätte Model für die Vogue sein können, wäre ihr Gesicht nicht so verzerrt gewesen. Den Tüten nach zu urteilen, die aus dem Wagen fielen, schien sie einen Einkaufsbummel durch die eleganten West End-Läden gemacht zu haben. Sie stolperte ein Paar Schritte, kratzte sich und holte mit einem Ausdruck äußersten Abscheus etwas aus ihrer Handtasche. Rajeb erkannte eine Flasche Feuerzeugbenzin.

Sie goß den Inhalt über sich und zog ein goldenes Feuerzeug aus der Tasche.

Rajeb lief schreiend zu ihr: »Nein!«

Doch bevor er sie erreichen konnte, brannte sie bereits lichterloh. Sie rannte davon; der Wind entfachte die Flammen. Auch sie schrie, sehr hoch, sehr schrill, wie eine Ratte, die unter Schmerzen starb. Am Ende der Straße geriet sie unter einen Truck, dessen Fahrer wahnsinnig geworden war, und wurde barmherzig unter seinen Rädern zermalmt.

Rajeb lief die ganze Strecke bis nach Hause. Er hoffte, daß Daphne sich noch nicht in diesem Stadium befand.

Daphne war gerade dabei, sich die Haut blutig zu kratzen, als er mit Flaschen voller Flüssigkeit, Pudern und Tabletten beladen zurückkam, die über den Blutkreislauf wirkten und den Lebenszyklus der Läuse unterbrachen. Sie schluckten die Tabletten sofort, da sie wußten, daß es Tage, vielleicht sogar Wochen dauern würde, ehe sie eine Wirkung zeitigten.

Einer behandelte den Körper des anderen mit Tinkturen und Pudern; ein außergewöhnlicher, vollständiger Kahlschlag. Als sie damit fertig waren, fühlte sich Daphne ein wenig besser. Während sie zu ihrem Kleiderschrank ging, um sich etwas Frisches anzuziehen, verstreute sie das weiße Puder gleich einem Schneesturm in der Wohnung. Sie öffnete den Schrank, nahm eine weiße Bluse heraus und kreischte, als sie die unzähligen Läuseeier entdeckte. Sie feuerte die Bluse in die Ecke.

»Sie sind auf all meinen Sachen!« schrie sie.

Rajeb lief zu ihr und inspizierte erst ihre, dann seine Kleider, nur um festzustellen, daß sie alle voller Läuse waren.

Wie die Bettlaken und die Überdecke.

Und bei näherer Betrachtung auch der Teppich.

Die Läuse waren überall: in den Wandrissen, hinter den Fußleisten, in den Küchenschränken, ja sogar in den Schlössern.

»Womit haben wir das verdient?« stöhnte er. »Wir werden bei lebendigem Leib aufgefressen.«


In ganz London hörte man den Satz: ›Wir werden bei lebendigem Leib gefressen.‹ Experten wurden vor die Kamera geholt, um zu erklären, daß nur wenige Läuserassen wirklich zubissen, daß die meisten von ihnen nur Blut saugten. Aber seltsamerweise beruhigte die Erklärung die Bevölkerung nicht sehr. Und sie senkte kaum die Zahl der grauenhaften Selbstmorde, die hauptsächlich von heiklen älteren Gentlemen und pedantischen alten Ladys verübt wurden, die Läuse als die höchste Schande ansahen und die sich über alle Maßen schämten.

Dann tauchten Experten auf, die andere, tröstliche Gedanken äußerten. »Nun, wie Sie wissen, werden Katzen und Hunde ihr ganzes Leben lang von Läusen geplagt. Wir versuchen natürlich, ihnen den Garaus zu machen, aber man kann sie nicht völlig ausrotten. Vielleicht sollten wir, soweit es Parasiten betrifft, es so machen wie unsere Haustiere. Einige Naturschützer halten dies für eine gute Sache – schließlich sind Läuse auch Lebewesen –, und wir wollen doch nicht, daß sie ausgerottet werden wie die Elefanten, oder?« Der Interviewer starrte den Experten an, während er eines jener winzigen Geschöpfe zwischen Zeigefinger und Daumen zermalmte, wobei er verdammt noch mal hoffte, daß es auf der Liste der gefährdeten Arten ganz oben stand.

In dem verzweifelten Versuch, der Plage zu entfliehen, flohen Menschen aus der Stadt und nahmen dabei die Läuse mit sich. Eine schreckliche Zukunft stand ihnen bevor, und sie wußten es. Chemiekonzerne würden ein Vermögen verdienen. Jeder in finanziellen Angelegenheiten Beschlagene hatte bereits Aktien gekauft.

Ganz London kribbelte.

Ein umherziehender Schauspieler aus Glasgow wurde von der Straße weg vors Mikrofon gezerrt, um im nationalen Radio Burn’s ›To a Louse‹ vorzulesen. Doch nur sehr wenige Menschen verstanden ihn, besonders, da er sich vor der Vorstellung gründlich betrunken hatte, aber sie erfaßten den Sinn des Gedichtes. Die Menschen begannen sich so zu sehen, wie die anderen sie sahen, und der Anblick war eher lustig als häßlich.

Die einzigen, die sich keine Sorgen machten und weiter so lebten wie bisher, waren die Obdachlosen, die Penner, die Landstreicher, die am Flußufer herumlungerten. Für sie hatte sich nichts verändert, und sie verstanden die ganze Aufregung nicht. Die meisten von ihnen wurden von Läusen, die für sie schon fast zu Haustieren geworden waren, begleitet, seit sie auf der Straße lebten.

Und natürlich kümmerte die Affen im Londoner Zoo die Läuseplage nicht im geringsten. Auch ihnen wäre der Aufstand seltsam vorgekommen. Schließlich förderte es den gesellschaftlichen Kontakt, seinen Partner oder Freund zu entlausen, ihm bedachtsam die Läuse aus dem Haar zu picken, während man mit ihm plauderte. Es war eine großartige Möglichkeit, eine oder zwei müßige Stunden miteinander zu verbringen, und es war fast so therapeutisch wirksam wie eine kollektive Umarmung.

Während er an diesem Abend ihren Schädel von Läusen befreite, sagte Rajeb etwas in dieser Art zu Daphne, worauf sie ihm einen Schlag auf die befallenen Körperteile versetzte.

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