16. KAPITEL


Die Zahl der Tempelritter war gestiegen. Als sie Safet verlassen hatten, waren sie siebzig gewesen. Jetzt waren es an die zweihundert Männer, die im Kreis um Odo von Saint-Amand niedergekniet waren und mit ehrfürchtig gesenkten Häuptern seinen Worten lauschten. Auch Robin kniete mit gebeugtem Nacken und gefalteten Händen da, aber sie lauschte nicht, und als die Männer rings um sie herum zu singen begannen, bewegten sich zwar ihre Lippen, doch sie hätte nicht einmal sagen können, welches Lied es war.

Robin war noch immer vollkommen verwirrt. Dariusz’ Worte hatten einleuchtend geklungen, und sie hatte seine Wut gespürt, sich einem Befehl beugen zu müssen, der ihm so zuwider war - und doch spürte sie zugleich, dass etwas an seiner Geschichte nicht stimmte. Dariusz war kein Mann, der sich so ohne weiteres erpressen ließ oder zu irgendetwas zwingen. Aber warum sollte ausgerechnet er dafür sorgen wollen, dass ihr nichts geschah?

Sosehr sie sich auch den Kopf über diese Frage zerbrach, sie fand keine Antwort, und sie war so sehr in ihre Gedanken versunken, dass sie nicht einmal merkte, als die Prima zu Ende ging und der Großmeister die Krieger Gottes mit seinem Segen entließ. Sie war die Letzte, die sich erhob, und selbst das nur, weil sie die missbilligenden Blicke der anderen rings um sich herum spürte. Rasch sprang sie auf, rief sich in Gedanken zur Ordnung und spürte selbst, wie wenig dieser Versuch fruchtete; ganz im Gegenteil schien ihre Nervosität eher noch anzuwachsen, und als sie sich umdrehte und die Hände dabei weiter gefaltet vor der Brust hielt, tat sie es nicht, um stumm weiterzubeten, wie manche der Männer hier, sondern einzig, damit man ihr Zittern nicht sah.

Verstohlen suchte sie nach Rother. Er war ganz in ihrer Nähe niedergekniet, um zu beten, und er folgte ihr auch jetzt in nur wenigen Schritten Abstand, doch er wich ihren Blicken so beharrlich aus, dass Robin den Gedanken verwarf, ihn anzusprechen.

Bruder Dariusz wartete am Rande des freigebliebenen Platzes im Herzen des Lagers, auf dem sie sich zum Gebet versammelt hatten. Robin zerbrach sich einen Moment lang fast panisch den Kopf darüber, wie sie ausweichen könnte, ohne dass es auffiel oder er Gelegenheit fand, sie zurückzurufen, aber natürlich ließ Dariusz es gar nicht erst so weit kommen. Sie war noch gute zehn oder zwölf Schritte von ihm entfernt, als er auch schon die rechte Hand hob und sie zu sich befahl; in der anderen hielt er etwas Kleines, Weißes, das Robin im noch immer schwachen Licht des Morgens nicht richtig erkennen konnte; wahrscheinlich die Nachricht, von der er gesprochen hatte. Robin bezweifelte, dass auf dem eng zusammengerollten Pergament irgendetwas von Wichtigkeit stand, falls überhaupt etwas. Gerade wollte er sie ansprechen, als hinter ihr eine scharfe, leicht verärgert klingende Stimme ihren Namen rief.

Robin zögerte, und aus ihrem unguten Gefühl wurde etwas anderes, als sie den halb erschrockenen, halb auch verärgerten Ausdruck auf Dariusz’ Gesicht gewahrte, als auch dieser den Blick hob und nach dem Rufer Ausschau hielt. Mit klopfendem Herzen drehte sie sich um.

Niemand anderes als Odo von Saint-Amand und der Ordensmarschall selbst kamen mit raschen Schritten auf sie zu. Odo sah müde aus. In seinem ohnehin abgespannt wirkenden Gesicht waren neue, tiefe Linien erschienen, und seine Schritte wirkten ein ganz kleines bisschen schleppend, als trüge er eine unsichtbare Last auf den Schultern. Vermutlich hatte er in dieser Nacht nicht besonders viel geschlafen. Auch Ridefort wirkte auf die gleiche Art erschöpft, viel mehr jedoch noch verärgert.

»Bruder Robin«, begann der Ordensmarschall. »Was ist das? Eine Herausforderung oder nur Nachlässigkeit?«

Robin verstand nicht einmal, wovon er sprach, doch sie wäre auch nicht dazu gekommen, zu antworten, denn Ridefort blieb zwei Schritte vor ihr stehen, machte eine herrische Handbewegung und fuhr in noch schärferem, lauterem Ton fort: »Wo sind Euer Schwert und Helm? Wieso erscheint Ihr barhäuptig und ohne Waffen zur Messe?«

Robin drehte sich verwirrt zu Dariusz um. Erst jetzt, im Nachhinein, fiel ihr auf, dass sie tatsächlich die Einzige unter allen Männern hier war, die weder ihren Helm noch ihre Waffen mitgebracht hatte. Sie warf Dariusz einen fast flehenden Blick zu - schließlich war er es gewesen, der sie angewiesen hatte, beides in ihrem Zelt zurückzulassen, wenn auch nicht mit Worten -, den der grauhaarige Tempelritter jedoch ignorierte. Um ein Haar hätte sie das, was sie nur dachte, laut ausgesprochen, schluckte die Worte jedoch im letzten Moment herunter. Dariusz die Schuld an ihrem Fehler zu geben (auch, wenn es die Wahrheit war) hätte es nur schlimmer gemacht.

Unsicher drehte sie sich wieder zu Ridefort und dem Großmeister um. In Rideforts Augen brodelte die blanke Wut, eine Wut, von der Robin schwerlich glauben konnte, dass ihr Grund einzig die kleine Verfehlung war, deren sie sich schuldig gemacht hatte, während Odo sie kalt, aber auf eine Art maß, die fast schlimmer erschien als die Blicke, mit denen Ridefort sie aufzuspießen versuchte.

»Mir scheint, Ihr seid mit Euren Gedanken nicht ganz bei der Sache, Bruder Robin«, sagte der Marschall. »Ihr werdet Euch nach der Schlacht bei mir melden, um Eure gerechte Strafe in Empfang zu nehmen.«

»Ich bitte Euch, seid nicht zu streng mit Bruder Robin.«

Robin drehte sich abermals überrascht zu Dariusz um, und sie bemerkte aus den Augenwinkeln, wie auch Ridefort den Kopf wandte und fragend die Stirn in Falten legte. Anscheinend war sie nicht die Einzige, die es immer noch zutiefst verwirrte, ausgerechnet von Dariusz in Schutz genommen zu werden.

»Es war wohl meine Schuld«, fuhr Dariusz fort. »Ich bin vor der Messe in Bruder Robins Zelt gewesen, um eine wichtige Angelegenheit mit ihm zu besprechen. Bei allem muss er vergessen haben, sein Schwert umzubinden. Ich hätte es merken müssen. Wenn Ihr jemanden für dieses Versäumnis bestrafen wollt, dann mich.«

»Und was gab es so Wichtiges zu besprechen, dass Bruder Robin darüber sogar seine Pflichten vergisst?«, fragte Ridefort.

»Ich habe Bruder Robin gebeten, für mich einen wichtigen Botenritt zurück nach Safet zu erledigen«, antwortete Dariusz.

»Einen Botenritt?«, wiederholte Ridefort, als wäre er nicht sicher, Dariusz tatsächlich richtig verstanden zu haben. »Zurück nach Safet? Einen Tagesritt? Jetzt?«

»Es handelt sich um eine Nachricht von äußerster Dringlichkeit«, antwortete Dariusz und wedelte mit einem zusammengebundenen Pergament, an dem Robin jetzt ein schmales Samtband und ein Siegel aus rotem Wachs erkannte, das im blassen Licht der heraufziehenden Dämmerung wie geronnenes Blut aussah.

»Bruder Robin hat sich schon einmal als verlässlicher Bote erwiesen, und von allen hier ist er aufgrund seiner Jugend vielleicht der, den wir am leichtesten entbehren können.«

Robin schien in diesem Moment nicht die Einzige hier zu sein, der es schwer fiel, diese Erklärung zu glauben. Ridefort schwieg eine geraume Weile, in der er das Papier in Dariusz’ Hand so durchdringend anstarrte, dass Robin fast sicher war, er würde im nächsten Augenblick die Hand ausstrecken und fordern, die Botschaft lesen zu können. Schließlich jedoch schüttelte er nur den Kopf, und ein dünnes, fast abfälliges Lächeln erschien auf seinen Lippen. »Ich fürchte, ich muss Eure Bitte abschlägig bescheiden, Bruder. Auch wenn der König in seiner unermesslichen Weisheit entschieden hat, uns heute aus dem Schlachtgeschehen herauszuhalten, so weiß man doch nie, was der Tag bringt. Es mag sein, dass wir doch kämpfen müssen, und sollte es dazu kommen, so kann es sehr wohl sein, dass wir jedes einzelne Schwert brauchen, selbst das eines so jungen Ritters. Zumal man mir berichtet hat, was für ein ausgezeichneter Kämpfer Robin trotz seiner Jugend bereits ist.«

»Aber ...«, protestierte Dariusz, doch diesmal war es Odo selbst, der ihn zum Schweigen brachte.

»Bruder Dariusz«, sagte er. »Ihr habt den Ordensmarschall gehört. Wollt Ihr mich zwingen, aus seiner Erklärung einen Befehl zu machen? Schickt einen anderen Mann mit Eurer Nachricht zurück nach Safet. Oder überbringt sie selbst, sobald die Schlacht vorüber ist. Spätestens beim nächsten Sonnenaufgang werden die Heiden besiegt und wir schon wieder auf dem Rückweg sein.«

Dariusz’ Gesicht schien für einen Moment zu Stein zu erstarren. Seine Finger schlossen sich so fest um die Pergamentrolle, dass er sie zerknitterte, und Robin wäre nicht besonders überrascht gewesen, hätte er selbst dem Großmeister widersprochen. Dann aber deutete er nur ein Nicken an und trat respektvoll einen Schritt zurück. »Ganz, wie Ihr wünscht, Bruder.«

»Es ist schon erstaunlich, wie viele sich um das Wohl dieses jungen Ritters sorgen«, stellte Ridefort fest. »Vor allem solche, von denen man das am allerwenigsten erwartet hätte.«

»Was ... wollt Ihr damit sagen?«, erkundigte sich Dariusz.

»Nun, Ihr seid nicht der Erste, der an diesem Morgen mit dem Wunsch zu uns gekommen ist, Bruder Robin aus dem Schlachtgeschehen herauszuhalten«, antwortete Ridefort. Er machte eine unwillige Handbewegung hinter sich, und Robins Blick folgte der Geste. Im ersten Moment sah sie nichts außer Tempelrittern in weißen Mänteln, die sich rasch in alle Richtungen entfernten, dann gewahrte sie jedoch eine einzeln stehende Gestalt, die ganz am Rande des Gebetsplatzes stand und in ihrem schwarzen Mantel nahezu mit der Dunkelheit der Nacht verschmolz. Ihr Herz schlug schneller, als ihr klar wurde, um wen es sich handelte.

»Wer ist das?«, fragte Dariusz. Er klang verstört.

Ridefort lachte leise. »Einer unserer Verbündeten vom Berg Masyaf«, sagte er verächtlich.

»Ein ... Assassine?«, vergewisserte sich Dariusz.

»Ein Bote des Alten vom Berge, ja«, bestätigte Ridefort. Odo schwieg noch immer, doch obwohl Robin es sorgsam vermied, auch nur in seine Richtung zu blicken, konnte sie spüren, wie durchdringend er sie anstarrte. Salim? Salim war gekommen, um mit dem Großmeister selbst zu sprechen? Er musste den Verstand verloren haben!

»Leider ist er nicht gekommen, um die versprochenen Krieger zu schicken«, fuhr Ridefort fort, »sondern um etwas von uns zu verlangen.«

»Was?«, fragte Dariusz.

»Sheik Raschid Sinan fordert sein Eigentum zurück«, spie Ridefort regelrecht heraus. Er deutete anklagend auf Robin.

»Unser junger Bruder hier muss ihn über die Maßen beeindruckt haben, als er sein Gast war. Er verlangt, dass er unverzüglich ausgeliefert und zurück nach Masyaf gebracht wird.«

»Mit welchem Recht?«, fragte Dariusz scharf. War das ein Unterton von Panik, den sie in seiner Stimme wahrnahm?

Ridefort lachte. »Mit keinem. Jedenfalls mit keinem, das für uns Gültigkeit hätte.«

»Vielleicht sollten wir nicht zu vorschnell mit unserem Urteil sein, Bruder«, wandte Odo ein. Seine Stimme klang so müde, wie sein Gesicht aussah, doch als Robin ihren Blick endlich von Salims schattenhafter Gestalt auf der anderen Seite des Platzes losriss und sich vollends zu ihm und dem Marschall umwandte, erkannte sie nicht die geringste Spur von Schwäche in seinen Augen.

»Ihr wollt doch dieser unverschämten Forderung nicht etwa nachgeben?«, fragte Ridefort.

»Natürlich nicht«, antwortete Odo. Er maß Robin mit einem raschen, seltsamen Blick. »Auf der anderen Seite sollten wir nicht vergessen, dass die Assassinen seit vielen Jahren unsere treuen Verbündeten sind. Überaus wichtige Verbündete. Vielleicht wäre es unklug, sie unnötig zu verärgern.« Er seufzte. »Sinan betrachtet Bruder Robin noch immer als sein Eigentum. Schließlich hat er ihn von einem Sklavenhändler gekauft.«

»Kein Christenmensch kann das Eigentum eines Heiden sein«, antwortete Dariusz zornig. »Und erst recht keiner, der das Kreuz unseres Ordens trägt. Ihr könnt nicht ernsthaft in Erwägung ziehen, einen der Unseren auszuliefern wie ein Stück Vieh, das dieser Heide auf dem Markt gekauft hat!«

Odos Gesicht verdüsterte sich, und auch Ridefort wirkte verärgert von dem übertrieben scharfen Ton, den Dariusz angeschlagen hatte; nur noch einen Deut davon entfernt, tatsächlich zu schreien. Trotzdem wandte er sich nach einem Moment mit einem zustimmenden Nicken an Odo.

»Ich hätte es vielleicht in andere Worte gefasst als Bruder Dariusz«, sagte er, »aber er hat Recht. Was würden die anderen dazu sagen, wenn sie davon erführen? Wir können keinen der Unseren in die Sklaverei ausliefern. Fragt diesen Heiden, welchen Preis sein Herr für Bruder Robin bezahlt hat, und gebt ihm das Doppelte, bevor Ihr ihn zurückschickt.« Odo wirkte unentschlossen. Auch er drehte sich um und musterte die dunkle Gestalt auf der anderen Seite des Platzes nachdenklich, bevor er einen leisen, aber fast resignierend klingenden Seufzer ausstieß. »Ja, so soll es geschehen«, sagte er. »Aber erst, wenn alles vorbei ist. Ich traue diesen Assassinen nicht. Sie sind nicht umsonst für ihre Verschlagenheit und Heimtücke bekannt.« Er seufzte noch einmal und fuhr dann mit finsterer Stimme und direkt an Dariusz gewandt fort: »Nehmt Euch einige Männer und setzt diesen Assassinen gefangen. Krümmt ihm kein Haar, aber tragt Sorge dafür, dass er das Lager nicht verlässt, bevor wir zurück sind. Danach gebt ihm, was seinem Herrn zusteht. Ich werde ihm einen persönlichen Brief an den Alten vom Berge mitgeben, in dem ich ihm meinen Standpunkt erkläre, und ich bin sicher, er wird ihn verstehen.«

Dariusz starrte ihn und Ridefort einen Moment lang abwechselnd und mit steinernem Gesicht an, doch dann wandte er sich mit einem gehorsamen Nicken um und eilte davon, um Odos Befehl auszuführen.

Robin sah ihm mit klopfendem Herzen nach. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, als sie beobachtete, wie er auf Salim zuging und dabei Rother und drei weiteren Rittern mit einer Geste bedeutete, ihm zu folgen, und plötzlich spürte sie, wie kalt der Morgen noch immer war. Sie hatte Angst. Entsetzliche Angst.


Obwohl die Schlacht meilenweit entfernt war, ließ ihr Echo die Erde erzittern und dröhnte wie Donnerhall in Robins Ohren. Der Tag war so heiß geworden wie alle anderen zuvor, und obwohl Hunderte von Pferdehufen und Tausende von Füßen den Staub rings um sie herum in dichten Wolken hochwirbeln ließen, schien die Luft zugleich von einer seltenen Klarheit, sodass der Blick zumindest von Robins erhöhter Position aus ungehindert meilenweit reichte - oder es jedenfalls getan hätte, wäre er nicht kurz vor der Spitze des Heereszuges von den steil emporstrebenden, mit kränklich aussehendem, dürrem Gras und vereinzelten, sonderbar verbrannt wirkenden Bäumen bewachsenen Hängen des Tales aufgehalten worden. Trotz des Schlachtenlärms, der über die Hügel heranwehte, schien gleichzeitig eine fast unheimliche Stille zu herrschen, als wären alle anderen Laute einfach erloschen, um dem Dröhnen der aufeinander prallenden Heere, dem Klirren von Stahl, den Todesschreien von Mensch und Tier Platz zu machen.

Robin fuhr sich müde mit dem Handrücken über das Gesicht und versuchte den Schweiß wegzublinzeln, der ihr immer wieder in die Augen lief und sie brennen ließ. Es war ein unheimlicher, fast bizarrer Anblick, der sich ihr und den anderen Tempelrittern bot, die auf Balduins Befehl hin in diesem schmalen Tal nordwestlich des eigentlichen Schlachtfelds Aufstellung genommen hatten. Ihr Auftrag - so hatte ihr Dariusz erklärt - lautete, den Truppen Faruk Schahs den Rückweg abzuschneiden, sobald es dem Hauptheer der Barone und Grafen sowie den Johannitern gelungen war, ihren Widerstand zu brechen und sie in die Flucht zu schlagen. Wäre es nach Dariusz’ vollmundigen Worten gegangen, so hätte dies schon längst passiert sein müssen. Die Schlacht tobte jetzt seit einer guten Stunde, und obwohl immer wieder Reiter mit Nachrichten von der Schlacht über die Hügel zu ihnen gekommen waren, die nichts anderes besagten, als dass es genau so kam wie von Balduin und den Johannitern vorausgesehen. Die Sarazenen waren an allen Fronten geschlagen worden, aber trotzdem waren ihre Reihen offensichtlich doch noch nicht ganz zusammengebrochen. Trotz der schrecklichen Verluste, von denen Dariusz mit leuchtenden Augen berichtete, hatten sie sich zumindest bisher noch immer nicht zur Flucht gewandt, sondern hielten dem christlichen Heer wider aller Erwartung stand.

Während der letzten Zeit war Dariusz zusehends unruhiger geworden. Seine Finger spielten immer nervöser abwechselnd mit den Zügeln seines Pferdes und dem Schwertgriff in seinem Gürtel, und er bewegte sich unruhig im Sattel. Sein Blick wanderte unstet zwischen den Hängen rechts und links und dem schmalen Ausgang des Tales eine halbe Meile vor ihnen hin und her, und auf seinem Gesicht hatte sich ein Ausdruck zwischen Nervosität und Ungeduld ausgebreitet, der mit jedem Moment stärker wurde. Hätte irgendein anderer Mann als Dariusz neben ihr auf dem gewaltigen Schlachtross gesessen, Robin wäre sicher gewesen, dass er einfach unter der Hitze litt. Aber es war Dariusz, und Robin wusste, dass er eher sterben würde, bevor er sich anmerken ließ, dass ihm die Hitze ebenso sehr zu schaffen machte wie allen anderen hier. Was es ihm unmöglich machte, still im Sattel sitzen zu bleiben, das war das Wissen um die Schlacht, die auf der anderen Seite der Hügel tobte und an der er nicht teilhaben durfte. Sein Schwert gierte nach dem Blut der Feinde, und der bloße Gedanke, dass kaum mehr als eine Meile entfernt in diesem Moment eine Schlacht geschlagen wurde, die möglicherweise das Schicksal der gesamten Christenheit entscheiden konnte und er nicht daran teilhaben durfte, musste für ihn vollkommen unerträglich sein.

Robin hatte sich gehütet, noch einmal auf das Thema einzugehen, doch je länger sie Dariusz betrachtete, desto sicherer war sie, dass er sie am Morgen mit der Behauptung angelogen hatte, die Angst vor einem Waffengang ebenfalls zu kennen. Wenn Dariusz überhaupt wusste, was das Wort Angst hieß, so hatte es für ihn eine vollkommen andere Bedeutung als für sie und jeden einzelnen Mann hier.

Das Tal wurde vor ihnen schmaler, zugleich wuchsen seine Wände weiter an, sodass es auf den letzten fünfzig Schritten beinahe zu einer lotrechten Schlucht wurde, ganz ähnlich der, hinter deren Biegung sie damals auf die vermeintlichen Plünderer gestoßen waren. Nach weiteren zwanzig oder dreißig Schritten machte der Canyon einen scharfen Knick, sodass sie nicht sehen konnten, was dahinter lag, und vielleicht war das der simple Grund, aus dem sie der Anblick mit einem so unguten Gefühl erfüllte. Die Bilder waren sich zu ähnlich und die Erinnerung an die Beinaheniederlage, die sie an einem fast identischen Ort erlitten hatten, noch zu frisch in ihrem Gedächtnis.

Robin versuchte sich selbst damit zu beruhigen, dass es diesmal anders kommen würde. Sie waren keine Hand voll Reiter, die unter dem Kommando eines heißblütigen Fanatikers einfach lospreschen würden, sondern eine ganze Armee, wenn auch nur einen Bruchteil so stark wie das Hauptheer des Königs, das auf der anderen Seite der Hügel mit den Sarazenen focht, so doch das gewaltigste Heer, das Robin jemals gesehen hatte. Zu den gut zweihundert berittenen Templern hatte sich ein vielfach größeres Kontingent weltlicher Ritter unter dem Befehl Graf Raimunds gesellt, und dazu kamen Hunderte und Aberhunderte von Fußtruppen, deren Speere wie ein Wald aus scharf geschliffenem eisernem Schilf über die Wolke aus flirrendem Staub emporragten, durch den sich der Tross langsam weiter auf das Ende des Tales zubewegte.

Odo, der Ordensmarschall, und Dariusz bildeten die Spitze der Templer, die sich zu so etwas wie einer kleinen Armee innerhalb einer Armee zusammengeschlossen hatten, und nicht nur zu Robins Verwunderung hatte Dariusz darauf bestanden, dass auch sie selbst und Bruder Rother direkt neben ihm Aufstellung nahmen; eine Position, die weder ihr noch dem jungen Ritter aufgrund ihrer Stellung innerhalb des Ordens zukam. Dariusz hatte jedoch darauf bestanden, und da weder der Großmeister noch Ridefort - obwohl sie einen überraschten Blick getauscht hatten - Einwände erhoben hatten, hatte es Robin nicht gewagt, diese Entscheidung zu hinterfragen. Vermutlich musste sie sich aber keine Sorgen machen. Wenn die Schlacht tatsächlich so lief, wie die Meldereiter berichteten, würde Raimunds Ersatzheer erst gar nicht zum Einsatz kommen.

Der grauhaarige Tempelritter neben ihr drehte plötzlich den Kopf und beschattete die Augen mit der linken Hand, um in Richtung eines einzelnen Reiters zu blinzeln, der in scharfem Tempo über die flachen Hügel zur Rechten herangesprengt kam. Der zweifarbige Wimpel an seiner Lanze identifizierte ihn als Meldereiter, und obwohl er direkt aus der Sonne herauskam und somit kaum deutlicher denn als schwarze Silhouette zu sehen war, glaubte Robin Wappenrock und Mantel eines Johanniters zu erkennen.

Ein so hochrangiger Ritter, der die einfache Aufgabe eines Boten übernahm?, dachte Robin überrascht. Das bedeutete entweder etwas ganz besonders Gutes oder etwas außergewöhnlich Schlechtes.

Sowohl Dariusz als auch Ridefort und der Großmeister schienen wohl zu demselben Schluss gelangt zu sein, denn die drei Ritter setzten sich wie ein Mann in Bewegung, um dem Boten entgegenzureiten, und auch Robin und Rother schlossen sich ihnen an, obwohl es unter normalen Umständen ein schweres Vergehen war, seinen Platz in der Schlachtordnung ohne ausdrücklichen Befehl zu verlassen. Aber Dariusz hatte sie schließlich strengstens angewiesen, immer und unter allen Umständen in seiner Nähe zu bleiben, selbst - und sogar ganz besonders! - wenn es wider Erwarten doch zum Kampf kommen sollte.

Nicht zum ersten Mal fragte sich Robin, warum eigentlich. Sie fand auch nicht zum ersten Mal keine Antwort darauf, aber die Frage beunruhigte sie jedes Mal, wenn sie sie sich stellte, ein wenig mehr. Dariusz tat nichts ohne Grund, und es fiel Robin ziemlich schwer, etwa daran zu glauben, dass er sein ungerechtes Verhalten ihr gegenüber bedauerte und die plötzliche Besorgnis vielleicht seine Art war, ihr Abbitte zu tun. Vielleicht hoffte er insgeheim ja immer noch, dass sie in die Schlacht eingreifen würden. Wenn es dazu kam, würde sich Robin zweifellos im Zentrum der schwersten Kämpfe wiederfinden, und sie war ganz und gar nicht sicher, ob sie dem Geschehen in ihrem Rücken dann nicht ebenso viel Aufmerksamkeit schenken musste wie dem, was vor ihr geschah ...

Sie dachte einen Moment lang ernsthaft darüber nach, ob sie Dariusz einen heimtückischen Mord zutraute, und kam fast zu ihrem eigenen Erstaunen zu dem Ergebnis: nein. Trotz allem war Dariusz ein Mann, dem seine Ehre wichtiger war als sein Leben, möglicherweise sogar wichtiger als sein Glaube. Aber dieser Gedanke war nicht wirklich beruhigend. Dariusz würde sie niemals hinterrücks ermorden, aber er würde ohne Mühe einen Weg finden, sie zu beseitigen, der zu seinen verqueren Begriffen von Ehre und Gottesfurcht passte. Besser, sie blieb auf der Hut.

Robin schrak aus ihren Gedanken hoch, als die drei Reiter vor ihr plötzlich langsamer wurden und sie einen Deut zu spät reagierte. Um ein Haar wäre sie mit Dariusz zusammengeprallt, dem ihr Missgeschick natürlich nicht entging, der es aber erneut bei einem bloßen, ärgerlichen Blick bewenden ließ. Entweder, dachte Robin, er sammelte Punkte für eine lange Liste von Verfehlungen, die er ihr nach der Schlacht präsentieren würde, oder mit dem grauhaarigen Tempelritter war etwas geschehen, was ihn tatsächlich vollkommen verändert hatte. Robin konnte sich allerdings nichts Geringeres als das Erscheinen der Heiligen Jungfrau Maria persönlich vorstellen, was in der Lage gewesen wäre, das zu bewerkstelligen.

Die drei Tempelritter vor ihr waren langsamer geworden, um Platz für zwei weitere Berittene zu machen, die sich ihnen dabei anschlossen, dem Boten entgegenzureiten. In einem von ihnen erkannte Robin überrascht niemand anderen als Graf Raimund selbst, den anderen kannte sie nicht, doch er trug eine prachtvolle Rüstung und einen mit goldenen und silbernen Motiven bestickten Mantel in königlichem Rot, woraus sie schloss, dass es sich ebenfalls um einen hochrangigen Adeligen handeln musste. Odo tauschte nur ein kühles Kopfnicken mit dem Grafen aus, während es Ridefort und Bruder Dariusz vorzogen, so zu tun, als hätten sie die beiden Neuankömmlinge gar nicht bemerkt; ein Verhalten, das mehr über die wahren Gefühle der Tempelritter aussagte, als ihnen vielleicht selbst bewusst war.

»Sieg! Sieg!«, schrie der näher kommende Reiter. Er hatte die Zügel seines Pferdes losgelassen, schwenkte die Lanze mit dem flatternden Wimpel an der Spitze und riss nun auch die andere Hand in einer triumphierenden Geste über den Kopf. »Sieg!«

Graf Raimund zügelte sein Pferd, und Robin konnte sehen, wie er überrascht den Kopf auf die Seite legte, als müsse er sich lauschend davon überzeugen, tatsächlich richtig gehört zu haben. Der Bote kam noch immer näher, wurde aber nun deutlich langsamer. Obwohl die Männer vor ihm hastig auseinander zu weichen versuchten, um ihm Platz zu machen, standen sie doch einfach zu dicht gedrängt, um schnell genug zurückzuweichen. Er schrie noch immer seine Botschaft, die aus einem einzigen Wort bestand, und nach und nach nahmen immer mehr Stimmen dieses Wort auf, bis das ganze Tal von Triumphgebrüll aus Tausenden Kehlen widerzuhallen schien.

Graf Raimund drehte sich halb im Sattel um und machte eine Geste mit der linken Hand. »Wartet hier«, sagte er, sowohl an seine Begleiter als auch an die drei Tempelritter gewandt. Praktisch gleichzeitig ließ er die Zügel knallen und sprengte los, sodass sich etliche Männer vor ihm gerade noch mit hastigen Sprüngen in Sicherheit bringen oder ihre Pferde mit einer fast entsetzten Bewegung herumreißen mussten, um nicht einfach niedergeritten zu werden. Ridefort und der Großmeister tauschten einen zornigen Blick aus, und Robin konnte Dariusz ansehen, dass er den Befehl des Grafen einfach ignoriert hätte, wäre es nach ihm gegangen. Auch Odo und Ridefort fiel es sichtbar schwer, zu tun, was Raimund ihnen befohlen hatte, doch sie beherrschten sich.

Während sich Graf Raimund und der Botenreiter - von dem Robin nun sah, dass es sich tatsächlich um einen Johanniter handelte - mit immer mehr Mühe durch das Gewühl von Männern und Pferden aufeinander zubewegten, sah sich Robin mit einer Mischung aus vorsichtiger Erleichterung und einem absurderweise gleichzeitig immer intensiver werdenden, unguten Gefühl um. Die Aufregung, die von dem näher kommenden Johanniter ausging, erfasste das Heer wie die Wellen eines ins Wasser geworfenen Steines. Jubelrufe wurden laut, hier und da hatten Männer sogar ihre Posten verlassen oder ihre Speere gesenkt, um sich jubelnd zu umarmen oder gegenseitig auf die Schultern zu klopfen. Robin hatte es längst aufgegeben, die Zahl der Männer zu schätzen, inmitten derer sie sich befand. Es mussten Tausende sein, die Fußtruppen, Waffenknechte und freiwilligen Kämpfer mitgerechnet, die sich ihnen auf dem Weg ins Tal von Mardsch Ayun, dem Tal der Quellen zwischen dem Litanifluss und dem oberen Jordan, angeschlossen hatten. Obwohl sie sich von ihrer Position an der Spitze des Heeres entfernt hatten, waren es noch immer größtenteils Tempelritter, die sie umgaben, so weit ihr Blick reichte, und wieder ertappte sie sich dabei, nach einem ganz bestimmten Gesicht in der Menge zu suchen. Da der Kampf bisher nicht unmittelbar bevorgestanden hatte und der Tag unerträglich heiß war, hatten nur die wenigsten ihrer Ordensbrüder ihre Helme aufgesetzt, und Robin hatte auf dem Weg hierher jede Gelegenheit genutzt, einen Blick in ihre Gesichter zu werfen. Das, nach dem sie suchte, war nicht dabei. Vielleicht, dachte sie, hatte sie sich ja wirklich getäuscht. Vielleicht war Bruder Abbé tatsächlich nicht hier.

Statt endlich das Gesicht ihres alten Mentors zu gewahren, begegnete sie dem Blick Bruder Rothers, der sein Pferd nur eine halbe Manneslänge hinter ihr angehalten hatte. Auch er war bleich vor Anstrengung und Müdigkeit, sein Gesicht glänzte vor Schweiß, aber ihn schien weder der näher kommende Bote noch seine Siegesnachricht zu interessieren. Robin verspürte ein kurzes, eisiges Frösteln, als sie den Ausdruck in seinen Augen bemerkte. Mit einem leichten Schenkeldruck brachte sie ihr Pferd dazu, einen Schritt zurückzugehen, sodass sie nun unmittelbar neben ihm stand. Selbst wenn die Männer in ihrer Nähe nicht voll und ganz damit beschäftigt gewesen wären, dem Johanniter zuzujubeln und ihre Freude herauszuschreien, hätte jetzt niemand mehr ihre Worte hören können. »Ich habe dir noch gar nicht gedankt«, sagte sie.

Sie hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass Rother ihr antworten würde, und er tat es auch nicht. In seinem Gesicht rührte sich kein Muskel. Er starrte sie nur kalt und mit einem Ausdruck von Verachtung in den Augen an, der vielleicht mehr schmerzte, als jedes Wort es gekonnt hätte. Trotzdem fuhr sie nach einem Moment und mit einem angedeuteten Lächeln fort:

»Beantwortest du mir eine Frage?«

Rother reagierte immer noch nicht, aber sie deutete sein Schweigen als Zustimmung. »Warum hast du nichts gesagt?«

»Worüber?«, fragte er. Sein Blick wurde womöglich noch kälter.

»Über das, was du heute Morgen gesehen hast«, antwortete sie.

»Woher willst du das wissen?«, gab Rother kalt zurück. »Vielleicht habe ich es ja gesagt.«

Robin schüttelte entschieden den Kopf. »Ich wäre jetzt nicht mehr am Leben, hättest du es getan, Rother. Und auch wenn ich weiß, dass du mir wahrscheinlich nicht glaubst: Ich schwöre dir, dass du nicht das gesehen hast, das gesehen zu haben du glaubst.«

Rothers Antwort bestand nur aus einem verächtlichen Verziehen der Lippen, das sich wie ein dünner, heißer Schmerz in ihre Brust bohrte. Aber was hatte sie erwartet?

»Ich weiß nicht, warum ich Bruder Dariusz nichts gesagt habe«, antwortete er schließlich. »Vielleicht, weil ...« Er brach ab, biss sich auf die Unterlippe und schien einen Moment krampfhaft nach Worten zu suchen. Sein Blick ging dabei geradewegs durch sie hindurch, und in seinen Augen erschien ein Ausdruck von Qual, der Robin fast noch unerträglicher war als die Verachtung, die sie gerade darin gelesen hatte. Schließlich hob er die Schultern und fuhr in verändertem, noch kälterem Tonfall fort. »Was immer du angeblich getan hast, Bruder, während ich etwas anderes gesehen habe - mach es mit deinem Gewissen und mit Gott aus. Ich bin sicher, sie werden die gerechte Strafe dafür finden.«

»Rother, ich ...« Robin sprach nicht weiter, nicht nur weil Rother mit einem demonstrativen Ruck den Kopf zur Seite drehte und sie auf diese Weise spüren ließ, dass er nichts mehr hören wollte. Sie hätte es gar nicht mehr gekonnt. Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Rother war viel mehr als irgendein beliebiger Ordensbruder für sie, und unendlich schlimmer als das, was er gesagt hatte, schmerzte sie die Verachtung, die sie in seinen Augen las. Für einen Moment musste sie mit aller Macht gegen die Tränen ankämpfen, die plötzlich ihre Augen füllten.

Sie verlor diesen Kampf und hob rasch den Arm, um sich mit dem Handrücken über das Gesicht zu fahren. Niemand bemerkte es, denn es war eine Geste, die jeder einzelne Mann hier an diesem Tag schon zahllose Male gemacht hatte; die Mittagsstunde war längst vorbei, doch die Hitze schien mit jeder Minute, die sich die Sonne auf ihrem Weg zum Horizont dem Abend näherte, noch zuzunehmen. Einzig Dariusz sah sie einen Moment lang nachdenklich an, drehte sich dann aber wieder im Sattel nach vorne, ohne sich irgendeine Reaktion anmerken zu lassen, und Robin blinzelte noch einmal, presste die Augenlider für einen Moment so fest zusammen, dass bunte Lichtblitze über ihre Netzhäute huschten, und wandte sich dann ebenfalls demonstrativ wieder im Sattel nach vorne.

Graf Raimund hatte den Boten mittlerweile erreicht. Robin sah, wie er sich gestenreich mit ihm unterhielt und er und der Johanniter dabei abwechselnd mit dem Arm zum vorderen Teil des Tales deuteten; dorthin, wo sich die sanften Hänge plötzlich in eine steilwandige Schlucht verwandelten, hinter der sich der Ausgang zum Flusstal des Jordan auftat. Es vergingen nur wenige Augenblicke, bis der Johanniter das Gespräch mit einem abschließenden Nicken beendete, von dem Robin selbst über die große Entfernung hinweg sehen konnte, wie wenig echter Respekt in dieser Bewegung lag, sein Pferd auf der Stelle herumzwang und dann, schneller werdend, wieder in die gleiche Richtung zurückritt, aus der er gekommen war. Auch Raimund machte kehrt und kam zurück.

»Was ist geschehen?«, begrüßte ihn Odo. »Wir haben gesiegt? Ist Faruk gefallen?«

»Seine Truppen wurden geschlagen«, antwortete Raimund.

»Was von ihnen noch übrig ist, befindet sich in wilder Flucht. Balduin und das Heer verfolgen sie. Der König ist sicher, sie am Flussufer stellen und endgültig aufreiben zu können.«

»Dann müssen wir ihnen zu Hilfe eilen«, sagte Dariusz.

»Unsere Befehle lauten ...«

»... genau hier zu warten und dafür Sorge zu tragen, dass keiner von Faruk Schahs Männern entkommt«, unterbrach ihn Raimund.

Für einen Moment wirkte nicht nur Dariusz völlig verstört. Auch Odo und der Marschall sahen nicht nur überrascht, sondern nach einem Herzschlag der Verblüffung regelrecht wütend aus.

»Aber der Schlachtplan des Königs sah vor ...«, begann Ridefort, wurde jedoch sofort wieder von Raimund und in diesmal schärferem Ton unterbrochen.

»Offensichtlich wurde der Plan geändert«, sagte Raimund.

»Der Johanniter hat einen direkten Befehl des Königs überbracht, und es steht weder mir noch Euch zu, ihn zu kritisieren. Einen sehr klugen Befehl, wie ich hinzufügen möchte.«

»Was ist klug daran, wie Feiglinge dazustehen und auf ein paar Versprengte zu warten, die uns in die Speere laufen?«, fragte Dariusz.

In Raimunds Augen blitzte es kurz und wütend auf, aber seine Stimme klang erstaunlich beherrscht, als er antwortete.

»Faruk Schah mag der Neffe Saladins sein, aber das gleiche Blut zu teilen bedeutet nicht, auch automatisch ein ebenso begnadeter Feldherr zu sein. Faruk Schah hat den entscheidenden Fehler gemacht, Balduins Truppen viel zu lange trotzen zu wollen. Sein Heer existiert praktisch nicht mehr. Was noch davon übrig ist, ist verwundet oder befindet sich in wilder Flucht. Balduins Reiter treiben sie vor sich her und werden sie am Ufer des Jordan in die Zange nehmen. Dieses Tal stellt den einzigen Fluchtweg dar, den es noch für sie gibt. Ihr werdet Euren Kampf bekommen, Tempelherr, keine Sorge. Balduins ausdrücklicher Befehl lautet, keinen der Sarazenen entkommen zu lassen. Wir machen keine Gefangenen. Faruk Schahs Heer soll nicht geschlagen, sondern bis auf den letzten Mann aufgerieben werden.« Er schüttelte den Kopf und schwieg einen winzigen Moment, doch was in diesem Augenblick auf seinem Gesicht vorging, machte wohl nicht nur Robin klar, was er von diesen Befehlen hielt.

Dennoch klang seine Stimme vollkommen ungerührt, als er fortfuhr: »Man mag davon halten, was man will, doch auf die Sarazenen - und vor allem die Männer, die Saladin anführt - wird diese Nachricht eine vernichtende Wirkung haben.« Er hob müde die Hand. »Und nun sollten wir alle auf unsere Posten zurückkehren. Es wird nicht mehr lange dauern, bis die ersten Sarazenen hier auftauchen, und Ihr wollt doch nicht den Anfang der Schlacht versäumen, mein Freund, oder?«

Dariusz’ Lippen wurden zu einem dünnen, blutleeren Strich, doch er fing im allerletzten Moment einen warnenden Blick aus Odos Augen auf und schluckte alles hinunter, was ihm so sichtbar auf der Zunge gelegen hatte. Statt zu antworten, zwang er sein Pferd mit einem schon fast brutalen Ruck herum und ritt los. Robin, aber auch Rother und die beiden anderen Tempelritter hatten fast Mühe, mit ihm Schritt zu halten, als sie ihre Positionen an der Spitze des kleinen Templerheeres wieder einnahmen.

Robin war entsetzt von dem, was sie gerade gehört hatte. Ihre vorsichtige Erleichterung, der Hölle der bevorstehenden Schlacht vielleicht doch noch entrinnen zu können, begann dem dumpfen Begreifen zu weichen, dass nun nicht nur das genaue Gegenteil der Fall sein würde, sondern ihnen auch noch der allerschlimmste Teil in diesem grässlichen Geschehen zugedacht worden war. Sie konnte kaum glauben, was Raimund berichtet hatte. Sie wollte es nicht glauben.

Robin wusste wenig über König Balduin und noch weniger über die Johanniter, und doch konnte sie sich einfach nicht vorstellen, dass er tatsächlich den Befehl erteilt haben sollte, das Heer der Sarazenen bis auf den letzten Mann auszulöschen. Keine Gefangenen? Das widersprach nicht nur allem, was selbst Dariusz über Gnade und die ritterlichen Tugenden immer wieder sagte, das war auch schlichtweg dumm. Selbst Robin, die herzlich wenig von Taktik und militärischen Dingen verstand, war klar, wie Saladin darauf reagieren musste - nämlich keineswegs voller Schrecken, sondern schlichtweg indem er dasselbe tat. Krieger, die sich auf der Flucht befanden oder sich gar ergeben wollten, wie Vieh zu schlachten, würde den Krieg nur auf eine neue, noch blutigere Stufe heben.

Sie hatten ihre Positionen an der Spitze des Heeres wieder erreicht. Raimund und sein Begleiter sprengten in scharfem Tempo an ihnen vorbei und schwenkten dann nach links, um sich ihren eigenen Truppen anzuschließen, während Dariusz streng darauf achtete, dass sie ihre Positionen in der vorderen der beiden aus je gut hundert Reitern bestehenden Reihen aus weiß und rot gepanzerten Tempelrittern exakt wieder einnahmen. Der Schlachtenlärm, der bisher wie ferner Donner über die Hügel herangerollt war, schien Robin nun deutlich näher gekommen zu sein. Nervös blickte sie nach vorne. Vorhin, als sich das Heer langsam auf den Ausgang des Tales zubewegt hatte, hatte ein Trupp von gut fünf- oder sechshundert Lanzenträgern die Spitze der Armee gebildet, der traditionelle, lebende Schutzschild, den jede Reiterarmee in einer offenen Feldschlacht vor sich herschob, um den verwundbarsten Teil eines Ritterheeres - die Schlachtrösser, wie Robin vor einigen Tagen schmerzhaft selbst in Erfahrung hatte bringen müssen - zu schützen. Nun wichen die Männer rasch nach rechts und links auseinander, sodass die beiden Reihen aus Tempelrittern tatsächlich die Spitze des Heeres bildeten.

»Euer Helm, Bruder Robin«, sagte Dariusz scharf.

Robin fuhr leicht zusammen, als ihr klar wurde, dass sie tatsächlich mittlerweile die Einzige war, die ihren Helm noch nicht aufgesetzt hatte. Hastig holte sie das Versäumte nach und hatte eine Sekunde lang das Gefühl, unter dem schweren eisernen Topfhelm ersticken zu müssen. Das trockene Stroh, mit dem er ausgestopft war, stach wie ein Kissen aus dünnen, heißen Nadeln in ihre Kopfhaut, und das Eisen selbst schien zu glühen. Die Welt vor ihren Augen schrumpfte zu einem kaum fingerbreiten Strich aus gleißender Helligkeit zusammen, und die Luft, die sie atmete, verwandelte sich in ihrer Kehle zu geschmolzenem Blei, an dem sie zu ersticken glaubte. Robin musste drei- oder viermal tief und langsam ein- und wieder ausatmen, bis sie wieder zu sich kam, und ihr Herz begann wie verrückt zu schlagen. Trotzdem senkte sie die Hand auf das Schwert, zog sie dann - um ein Haar hätte sie schon wieder einen Fehler gemacht - hastig wieder zurück und löste die leichte Angriffslanze mit der doppelseitig geschliffenen Eisenspitze vom Sattelgurt. Am Morgen, als sie die Waffe befestigt hatte, hatte sie ihr Gewicht kaum gespürt. Nun schien sie eine Tonne zu wiegen.

Dariusz beugte sich leicht im Sattel zur Seite, und Robin war sicher, dass er ihr einen neuen, scharfen Verweis erteilen würde. Den sie verdient hätte. Was war nur mit ihr los? Einen guten Teil ihres Lebens hatte sie mit nichts anderem zugebracht als damit, genau das, was sie nun tat, immer und immer wieder zu üben. Odo hatte ihr keineswegs schmeicheln wollen, als er noch am Morgen gesagt hatte, wie gut sie trotz ihrer Jugend bereits mit ihren Waffen umzugehen verstand. Nun schien es, als würde sie alles falsch machen, was sie nur falsch machen konnte, als hätte sie alles vergessen.

Sie erlebte eine Überraschung. Dariusz wollte sie keineswegs maßregeln. »Du weichst keinen Schritt von meiner Seite, Robin«, drang seine Stimme dumpf und verzerrt unter dem schweren Helm hervor. »Was immer auch geschieht, du bleibst bei mir. Hab keine Furcht. Ich werde darauf achten, dass dir nichts geschieht.«

Robin starrte ihn fassungslos an. Wollte sich Dariusz über sie lustig machen, sie verhöhnen?

»Sollte ich verwundet oder wir getrennt werden«, fuhr Dariusz fort, »dann fliehst du. Versuche nicht, mich zu retten oder den Helden zu spielen. Bring dich in Sicherheit und warte später im Lager auf mich.«

»Aber ...«, begann Robin verwirrt, doch Dariusz fiel ihr sofort in noch schärferem Ton ins Wort: »Das ist ein Befehl. Du wirst gehorchen.«

Er beendete das Gespräch, indem er sich wieder aufrichtete und seine eigene Lanze vom Sattelgurt löste, um sie mit einer tausendfach geübten Bewegung unter den rechten Arm zu klemmen und anzulegen. Neben ihm kam für einen kurzen Moment Unruhe in die ansonsten wie erstarrt dastehenden Reihen aus weiß gekleideten Rittern, als sich ein weiterer Reiter zu ihnen gesellte, der eine deutlich längere Lanze mit einem großen, in schlichtem Schwarz und Weiß gehaltenem Wimpel trotzig in die Luft reckte, dem Baussant, dem heiligen Banner des Templerordens, unter dem sie in jede Schlacht zogen.

Robin überkam ein sonderbares Gefühl von Ehrfurcht, als sie das schlichte Banner betrachtete, ein Gefühl, das sie im ersten Moment zutiefst verwirrte, weil sie es niemals bei sich selbst erwartet hätte. Ihren Ordensbrüdern war dieses Banner heilig. Dem Ritter, der es in die Schlacht tragen durfte, wurde eine besondere Ehre zuteil, und es war ihm bei schwerer Strafe verboten, die Fahne zu senken, um sie etwa im Angriff wie eine Lanze zu verwenden, obgleich auch sie von einer messerscharf geschliffenen Klinge gekrönt wurde. Tat er es doch, verlor er für ein Jahr und einen Tag den weißen Mantel des Ritters und damit alle seine Privilegien, musste im Speisesaal auf dem nackten Boden sitzen, um zu essen, und war nicht nur gezwungen, die niedersten Arbeiten zu verrichten, sondern auch die Verachtung und den Hohn und Spott seiner Brüder zu ertragen. Robin hatte Geschichten von unglaublichen Heldentaten gehört, die vollbracht worden waren, nur um diese Fahne zu retten, und sie hatte sie nie wirklich verstanden. Für sie war das Baussant bis jetzt nichts weiter als ein Fetzen Stoff gewesen, ein Zeichen, unter dem sich die Ritter versammelten oder an dem sie sich orientierten, aber nicht mehr. Doch plötzlich glaubte sie zu verstehen, was hinter diesen Geschichten steckte. Es war nichts Heiliges an diesem Stoff. Was sie für einen Moment fast vor Ehrfurcht erschauern ließ, das war der Gedanke daran, was im Namen dieses Banners getan worden war und wozu sein bloßer Anblick und das Wissen darum, wofür es stand, Männer befähigt hatte.

Mühsam riss sie ihren Blick von der schwarzweißen Fahne los und sah wieder nach vorne. In dem schmalen Ausschnitt des Tages, zu dem der Sehschlitz ihres Helmes die Welt verwandelte, kam ihr der Ausgang aus dem Tal plötzlich dunkler vor, gefährlicher und vor allem schmaler. Ihr Herz klopfte noch immer so hart, dass sie jeden einzelnen Schlag in der Kehle spürte, und sie versuchte vergeblich, sich selbst einzureden, dass es nur an der Hitze lag, unter der sie immer noch litt.

Wieder ließ sie ihren Blick über die Reihen der wie erstarrt dastehenden Tempelritter schweifen; weiße Gespenster, deren Mäntel mit Blut bemalt waren und die sich in der hitzeflimmernden Luft des Nachmittags aufzulösen schienen. Nichts rührte sich. Es war fast unheimlich still. Sie hatte entsetzliche Angst.

Dann, nach einer schieren Ewigkeit, wie es ihr vorkam, erschienen die ersten Reiter hinter der Biegung des schmalen Tales. Es waren nicht viele; eine Hand voll, fünf oder sechs, und es waren genau die Männer, die sie erwartet hatten: Gestalten mit Turban und in langen, dunklen Mänteln, die Speere und Rundschilde trugen und die hier typischen kleinen, zähen Pferde ritten, aber sie benahmen sich nicht so, wie sie sollten. Robin konnte den Unterschied nicht in Worte fassen - jedenfalls nicht sogleich -, und doch wusste sie sofort und mit unerschütterlicher Sicherheit, dass dies nicht die Reiter Faruk Schahs waren, die sich auf der verzweifelten Flucht vor dem nachrückenden Heer des Königs befanden. Die Sarazenen ritten schnell, aber sie flohen nicht.

Robin beobachtete am linken Rand des schmalen Ausschnittes der Welt, den sie durch den Sehschlitz ihres Helmes überblicken konnte, wie Raimund den linken Arm hob; nicht zu einer Geste des Angriffes, sondern dem genauen Gegenteil. Niemand rührte sich. Irgendwo schnaubte unruhig ein Pferd, ein anderes Tier scharrte nervös mit den Hufen über den steinigen Boden, als wäre es genau wie sein Reiter begierig darauf, sich endlich dem Feind entgegenzuwerfen. Die Sarazenen galoppierten noch ein kurzes Stück in scharfem Tempo weiter auf sie zu, als würden sie vom Schwung ihrer eigenen Bewegung mitgerissen, zügelten aber dann ihre Pferde und wurden langsamer, kurz bevor sie den schmalen Teil der Schlucht hinter sich gebracht hatten.

Sie waren viel zu weit entfernt, als dass ihre Gesichter mehr als helle Flecke unter den schwarzen Turbanen gewesen wären, und trotzdem glaubte Robin für einen Moment den Ausdruck maßlosen Entsetzens zu erkennen, der von ihren Zügen Besitz ergriff. Plötzlich wurde ihr klar, wie erbärmlich ihre eigene Angst war. Diese Männer dort vorne waren gerade dem sicheren Tod entkommen, und nun, als sie im buchstäblich allerletzten Moment und wahrscheinlich gegen alles, was sie selbst zu hoffen gewagt hatten, einen Ausweg gefunden zu haben glaubten, sahen sie sich einer zweiten, noch dazu ausgeruhten Armee von Feinden gegenüber. Sie konnte das Entsetzen des halben Dutzend Reiter fast körperlich nachempfinden.

Odo machte eine schnelle, weit ausholende Geste mit dem linken Arm, der den Schild hielt, und eine rasche Bewegung lief durch die Reihen der Tempelritter. Robin war nach wie vor nicht in der Lage, sich zu rühren. Ihre Gedanken drehten sich immer schneller im Kreis. Sie hatte all das hundertfach geübt, kannte jedes Manöver, jeden Befehl wie im Schlaf, und doch wusste sie plötzlich nicht mehr das Geringste. Es war ihr Pferd, das reagierte, nicht sie, als sich die Templer in einer raschen, fast spielerisch anmutenden Bewegung umgruppierten. Aus zwei Reihen gepanzerter Schlachtrösser wurden vier, als die Männer ihre Aufstellung änderten, denn das Tal vor ihnen war viel zu schmal, um hundert Reitern nebeneinander Platz zu bieten. Die Reiter hielten jeweils einen Abstand von gut drei Pferdelängen zueinander, damit die nachrückenden Reiter Zeit hatten, zu reagieren, wenn der Mann vor ihnen stürzte oder ein anderes, unvorhergesehenes Manöver machte. Sie standen jetzt so dicht beieinander, dass sich ihre Knie berührten. Robin roch den scharfen Schweiß der Pferde, lauschte dem Klopfen ihres eigenen, immer schneller schlagenden Herzens und versuchte ruhiger zu atmen. Es ging nicht. Unter dem Helm war es so heiß, dass sie hecheln musste, um überhaupt noch Luft zu bekommen.

Die Sarazenen hatten ihre Tiere mittlerweile vollkommen zum Stehen gebracht, und Robin sah, wie sie sich heftig gestikulierend miteinander unterhielten. Seltsam - sie hatte nicht den Eindruck, dass sie Angst hatten. Jedenfalls nicht so viel, wie sie haben sollten.

Rechts von ihnen hob Odo abermals den linken Arm mit dem Schild, und auf der anderen Seite sagte Raimund rasch und mit scharfer, weithin verständlicher Stimme: »Bleibt, wo Ihr seid, Odo! Ihr kennt den Befehl des Königs!«

Der Großmeister des Templerordens senkte langsam, widerwillig, wie es Robin erschien, den Arm, und erneut lief eine kaum spürbare Welle der Bewegung durch die nun vier Reihen in Eisen und strahlendem Weiß gepanzerten Reiter. Ein winziger Teil der Anspannung, den Robin bisher gefühlt hatte, wich. Aber nicht viel.

»Was tut dieser Feigling?«, murmelte Dariusz neben ihr. Er sprach nicht laut, und sein Helm dämpfte und verzerrte seine Worte zusätzlich, aber Robin war ihm nahe genug, um sie trotzdem zu verstehen. »Wir können sie ... sie nicht einfach entkommen lassen.«

»Niemand rührt sich!«, rief Graf Raimund noch einmal und noch lauter. Seine Stimme bebte vor Anspannung, auch wenn Robin ganz und gar nicht sicher war, wem diese Anspannung tatsächlich galt.

Die Sarazenen saßen noch immer gute hundertfünfzig oder zweihundert Schritte vor ihnen reglos in den Sätteln ihrer Pferde. Sie hatten aufgehört, miteinander zu debattieren, und starrten für endlose Sekunden einfach nur zu ihnen hin. Dann, so präzise, als beobachtete Robin einen tausendfach eingeübten Tanz, rissen sie alle im gleichen Bruchteil eines Lidschlages ihre Pferde herum und sprengten in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren.

Vielleicht war es gerade diese eine, eigentümliche Bewegung, die die Katastrophe auslöste. Robin sollte noch oft und vergebens darüber nachdenken, was es gewesen war, Absicht, ein blinder Reflex, vielleicht der Wille des Schicksals oder einfach nur Dummheit ... alles ging unglaublich schnell, und nachdem es einmal begonnen hatte, wäre vielleicht niemand mehr in der Lage gewesen, es noch aufzuhalten.

»Nein«, sagte Dariusz mit zitternder Stimme. »Das wird nicht geschehen!« Und damit riss er seine Lanze in die Höhe, schwenkte sie so mühelos wie ein anderer Mann sein Schwert hoch über dem Kopf in der Luft und schrie mit vollem Stimmaufwand: »Gott will es!«

Gleichzeitig sprengte er los. Robin bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Graf Raimund beinahe entsetzt mit beiden Armen zu gestikulieren begann, und sie glaubte auch seine Stimme zu hören, wie sie sich schrill und beinahe überschlagend vergebens bemühte, gegen den Lärm von achthundert Pferdehufen anzukommen, die praktisch gleichzeitig losgaloppierten.

Nichts davon zeigte irgendeine Wirkung. Auch Robins Pferd setzte sich vollkommen ohne ihr Zutun in Bewegung und fiel in den schnellen, kräftesparenden Trab, den Dariusz und die anderen einschlugen, und falls Odo und Ridefort vorgehabt hatten, ihren übereifrigen Bruder zurückzuhalten, so gingen ihre Befehle im Dröhnen der Hufschläge und dem Gott will es! unter, das die zweihundert Reiter aufnahmen und wie einen lauter und lauter werdenden Schlachtruf wiederholten, als sie, allmählich schneller werdend, auf den schmalen Ausgang des Tales zuritten. Die senkrecht aufstrebenden Felsen hallten wider vom Dröhnen der Pferdehufe, dem Klirren von Stahl und dem an- und abschwellenden Schlachtruf.

Plötzlich schien für Robin alles unwirklich zu werden. Die Hitze unter dem Helm wurde immer unerträglicher, ihr Herz hämmerte wie verrückt, und sie verspürte eine Furcht wie niemals zuvor im Leben, und dennoch erschien ihr all dies plötzlich sonderbar irreal, als wäre sie unversehens in einen Traum geraten, der sie einfach mit sich riss und aus dem aufzuwachen ihr vollkommen unmöglich war. Die Wände des Tales flogen nur so an ihnen vorüber, obwohl die Pferde noch längst nicht ihr volles Tempo entwickelt hatten, dann hatten sie die Biegung erreicht, preschten herum - und aus dem Albtraum wurde etwas anderes, viel, viel Schlimmeres.

Nur ein Dutzend Schritte vor ihnen erweiterte sich der schmale Spalt im Felsen zu einer weiten, zum Flussufer hin sanft abfallenden Ebene, auf der es keine Felsen, sondern nur dürres, von der Sonne verbranntes Gras und ein wenig kärgliches Buschwerk gab.

Sie war schwarz von Reitern.

Robin hätte vor Entsetzen beinahe laut aufgestöhnt. Sie hatte eine Hand voll sich in kopfloser Flucht befindender, geschlagener Männer erwartet, doch was sich da vor ihnen befand, das war ein gewaltiges, nach Tausenden zählendes Reiterheer, und es befand sich nicht in kopfloser Aufregung und auf der Flucht, sondern ganz im Gegenteil in militärisch präziser Ausrichtung und bewegte sich direkt auf sie zu! Ihre Anzahl musste das Zehnfache ihrer eigenen betragen, wenn nicht mehr.

Hinter ihnen wurde eine schrille Stimme laut. Ohne langsamer zu werden, drehte Robin den Kopf und gewahrte einen einzelnen Reiter, der weit im Sattel nach vorne gebeugt herangeprescht kam und wie von Sinnen mit dem linken Arm gestikulierte. Es war Graf Raimund.

»Odo von Saint-Amand!«, schrie er. »Ich befehle Euch, haltet ein! Zieht Euch zurück!«

Robin glaubte nicht, dass der Großmeister den Befehl des Grafen absichtlich missachtete. Viel mehr war sie nahezu sicher, dass er Raimunds Worte so wenig gehört, wie er ihn gesehen hatte, zumal Dariusz genau in diesem Moment eine weitere, befehlende Geste mit seiner Lanze machte, woraufhin die Templer abermals ihre Formationen änderten und nun wieder in zwei hintereinander gestaffelten Reihen ritten und gleichzeitig schneller wurden. Raimund gestikulierte immer verzweifelter mit den Armen, versuchte mit aller Gewalt, schneller zu werden und wäre um ein Haar von der sich auseinander faltenden Schlachtreihe der Templer niedergeritten worden. Das Letzte, was Robin von ihm sah, war sein nervös zur Seite tänzelndes Pferd, das ihn um ein Haar abgeworfen hätte.

»Gott will es!«, brüllte Dariusz und senkte seine Lanze.

Gleichzeitig wechselten die Pferde von schnellem Trab in einen rasenden Galopp, und das Reiterheer der Sarazenen schien ihnen regelrecht entgegenzuspringen.

Vielleicht einen halben Atemzug, bevor die beiden ungleichen Heere aufeinander prallten, sah Robin noch etwas anderes: Von rechts, aus der Richtung, aus der seit einer Stunde der Kampflärm zu ihnen gedrungen war, näherten sich weitere Reiter. Es waren viele, wenn auch nur ein Bruchteil der gewaltigen Armee, der sie sich entgegenwarfen, und sie befanden sich in kopfloser panischer Flucht, verfolgt von einer ungleich größeren Anzahl bunt gekleideter, gepanzerter Reiter, die unter den wehenden Fahnen und Bannern der Christenheit heranstürmte. Balduins Heer, das Faruk Schahs geschlagene Truppen vor sich herjagte. Wer aber waren die Krieger, auf die sie gestoßen waren?

Robin kam nicht dazu, sich diese Frage noch einmal zu stellen. Sie hatten die Sarazenen erreicht. Instinktiv senkte sie ihre Lanze und hielt sie mit aller Kraft fest, während sie gleichzeitig den linken Arm mit dem Schild höher hob, die Füße in die Steigbügel stemmte und sich gegen den erwarteten Anprall wappnete.

Irgendetwas traf ihren Schild und prallte mit einem hässlichen Geräusch, das sich als vibrierender Schmerz durch ihren Arm bis in die Schultern hinauf fortpflanzte, von dem harten Holz ab. Gleichzeitig spürte sie, wie ihre Lanze auf Widerstand stieß, mit solcher Kraft, dass sich das harte Holz durchbog und den Bruchteil eines Atemzuges später einfach zersplitterte.

Um ein Haar hätte sie schon dieser allererste Zusammenprall aus dem Sattel geworfen. Es war einzig ihr Pferd, das sie weiterriss, und kaum mehr als schieres Glück, dass die Schlacht für sie nicht schon in den ersten Sekunden zu Ende war.

Fast hätte sie sich gewünscht, sie wäre es.

Das Templerheer war auf breiter Front in die Flanke der Sarazenen geprallt, und es war, als wäre der Sturm in ein Kornfeld gefahren. Die Reihen der Sarazenen wankten nicht - sie zerbarsten einfach wie der aus Pergament gefertigte Spielzeugschild eines Kindes unter dem Hieb eines Panzerhandschuhs. Im ersten Moment nahm nicht einmal ihr Tempo merklich ab. Die kaum gepanzerten Sarazenen auf ihren kleineren und leichteren Pferden hatten keine Chance gegen die Tempelritter auf ihren gewaltigen Schlachtrössern. Sie wurden einfach niedergeritten. Rings um sie herum bäumten sich Pferde auf, stürzten Männer aus den Sätteln oder brachen mit ihren Tieren zusammen, und mehr als ein Sarazene wurde einfach unter den Hufen der gewaltigen Schlachtrösser zu Tode getrampelt.

Und während die Speerspitze der christlichen Reiter tiefer und tiefer in das muselmanische Heer eindrang und dabei immer noch nicht spürbar an Tempo verlor, ging eine fast unheimliche Veränderung mit Robin vonstatten.

Ihr linker Arm schmerzte noch immer, und ihr Herz schlug schneller und härter als zuvor, aber plötzlich hatte sie keine Angst mehr. Überall rings um sie herum tobten erbitterte Kämpfe, schlug Stahl auf Stahl oder Fleisch, starben Männer und Tiere, und sie war sich vollkommen der Gefahr bewusst, in der sie schwebte, und dennoch fühlte sie sich zugleich auf eine sonderbare Weise fast unverwundbar. Es war, als wäre sie nicht mehr allein nur noch sie selbst, sondern zugleich Teil von etwas anderem und Größerem. Sie waren die Speerspitze des Christentums, die Faust Gottes, die die Feinde der Christenheit zerschmettern würde, ganz gleich, wie fanatisch sie sie auch zu bekämpfen versuchten.

Dann traf ein furchtbarer Schlag ihren Schild und ließ sie vor Schmerz aufschreien. Robins Pferd bäumte sich auf, und ein zweiter, noch härterer Schlag traf ihren Schild und spaltete ihn, ohne dass er tatsächlich in Stücke brach. Aus dem Schmerz, der ihren Arm ergriffen hatte, wurde ein Gefühl dumpfer Betäubung, das alle Kraft aus der linken Seite ihres Körpers zu saugen schien, und prompt und selbstverständlich im unpassendsten aller nur denkbaren Augenblicke meldete sich eine gute alte Bekannte zurück: die Übelkeit. Robin wankte im Sattel, sah einen verschwommenen, riesigen Umriss neben sich aufragen und wartete auf den dritten Hieb, der alles beenden würde. Tödlicher Stahl zuckte in einer rasend schnellen Bewegung auf sie herab. Irgendwie gelang es ihr trotz allem noch einmal, den linken Arm in die Höhe zu reißen, aber sie wusste auch, dass der zerbrochene Schild sie nicht mehr schützen konnte.

Und dann war plötzlich ein zweiter, riesiger Reiter neben ihr. Stahl prallte auf Stahl. Funken stoben, als Dariusz’ Schwert gegen die Klinge des Sarazenen prallte und sie beiseite schlug. Praktisch im gleichen Augenblick stieß er auch mit dem linken Arm zu. Sein Schildschlag schleuderte den Angreifer aus dem Sattel und war sogar noch wuchtig genug, selbst sein Pferd straucheln zu lassen.

»Alles in Ordnung, Bruder Robin?«

Robin brachte nicht mehr als ein angedeutetes Kopfschütteln zustande, aber das schien Dariusz vollkommen zu genügen, denn er zwang sein Pferd mit einem brutalen Ruck herum und stürzte sich mit hoch erhobenem Schwert erneut in den Kampf, und auch Robin schüttelte ihre Benommenheit mühsam ab. Selbst die Übelkeit legte sich, auch wenn sie nicht ganz verschwand, und ein bitterer Geschmack nach Galle und Blut blieb auf ihrer Zunge zurück.

Mittlerweile hatte der Angriff der Templer doch an Schwung verloren, und überall waren erbitterte Einzelgefechte ausgebrochen, bei denen sich ihre Ordensbrüder nur zu oft gegen zwei, drei oder gar vier Feinde gleichzeitig verteidigen mussten, und es wären wahrscheinlich noch mehr gewesen, hätte der Platz dazu nur gereicht. Dennoch gewannen die Tempelritter nahezu jedes Duell. Ihre Gegner kämpften ebenso verbissen wie tapfer, aber ihre Krummsäbel und Speere schienen fast wirkungslos von den schweren Rüstungen der christlichen Ritter abzuprallen, während die breiten Klingen der Templer grausam unter ihren Feinden wüteten, deren einfache Mäntel und Burnusse ihnen praktisch keinen Schutz vor den mächtigen Schwertern der Templer boten; ebenso wenig wie ihre runden Schilde, die meist schon unter dem ersten ernst gemeinten Hieb zerbrachen. Robin gewahrte nur ein einziges, reiterloses Pferd im Weiß und Rot der Tempelritter.

Und dennoch: Ihr Vormarsch war zum Stehen gekommen, und ihre Brüder fielen möglicherweise nur vereinzelt unter den Hieben der Sarazenen - aber sie fielen, und die Übermacht der Feinde war gewaltig.

Irgendetwas prallte gegen ihr Bein. Es war kein Angriff, sondern nur ein hochgewirbelter Stein oder Erdbrocken. Es tat nicht einmal weh, aber der Schlag riss Robin endgültig in die Wirklichkeit zurück. Obwohl sie sich noch immer fast an vorderster Front des Templerheeres befand, hatte sie doch in den letzten Augenblicken niemand angegriffen - zu ihrem Glück. Wäre es geschehen, wäre sie jetzt tot.

Aber das würde nicht mehr allzu lange so bleiben, wie sie voller Entsetzen begriff. Der Angriff der Templer war nicht nur zum Stillstand gekommen. Die Sarazenen griffen nun ihrerseits an, und obwohl die Schwerter der Kreuzritter weiter grauenhaft unter ihnen wüteten, stürmte doch Welle auf Welle heran, und die Reihen der Templer begannen allmählich unter dem unbarmherzigen Druck zu wanken. Noch hielten sie stand - aber wie lange noch?

Robin ließ die zerbrochene Lanze fallen, die sie nach wie vor in der rechten Hand hielt, und zog stattdessen das Schwert. Die Waffe kam ihr doppelt so schwer vor wie noch am Morgen, als sie sie eingesteckt hatte, und die Luft unter dem Helm war so heiß, dass sie zu ersticken glaubte. Die Atemnot schürte ihre Angst noch. Wieder griff Panik nach ihrem Herzen. Sie wollte nicht kämpfen. Sie wollte nicht töten, und sie wollte auch nicht getötet werden. Wo war Dariusz? Warum war Salim nicht hier, um sie zu beschützen?

Sie sah keinen von beiden, doch dafür gewahrte sie nicht weit von sich entfernt das flatternde schwarzweiße Baussant, und unmittelbar daneben Marschall Ridefort, der wie ein Berserker focht und sich gegen eine erdrückende Übermacht von Angreifern hielt. Von Odo war keine Spur zu sehen, und auch Dariusz war irgendwo im Kampfgewühl verschwunden. Dafür schienen immer mehr und mehr Sarazenen auf Ridefort und seinen Begleiter einzudringen, als hätten sie das heilige Banner der Templer erkannt und versuchten nun, es um jeden Preis zu erobern.

Und schließlich kam es, wie es kommen musste. Das schwarzweiße Banner wankte, als der Reiter unter dem Anprall von gleich zwei Feinden erzitterte. Ridefort löste sich von dem Gegner, mit dem er gerade focht, und schlug einen der Männer mit einem wuchtigen Hieb aus dem Sattel. Der andere senkte seine Lanze und rammte sie mit aller Gewalt gegen die Brust des Bannerträgers. Der Wappenrock des Ritters hing schon lange in Fetzen, doch das schwere Kettenhemd, das er darunter trug, fing den tödlichen Stoß ab. Der Reiter wankte im Sattel, aber die Lanze vermochte das engmaschige Kettengeflecht nicht zu durchdringen. Stattdessen brach ihre Spitze ab. Der Speer schrammte mit einem hässlichen Laut über das Kettenhemd nach oben, fand - ob gezielt oder durch einen grausamen Zufall - den schmalen Spalt zwischen Kettenhemd und Helm und bohrte sich hinein. Der Reiter kippte im Sattel nach hinten. Ein Sturzbach von sonderbar hellrotem Blut ergoss sich unter dem Rand seines Helmes hervor und besudelte sein zerrissenes Gewand. Einen Moment lang klammerte sich seine Hand noch im Todeskampf an das Sattelhorn, dann verließen ihn seine Kräfte, er kippte zur Seite und ließ das Banner fallen.

Ridefort schrie auf, als hätte der Speer ihn selbst durchbohrt, und warf sich mit einer fast verzweifelt wirkenden Bewegung vor, um das stürzende Banner aufzufangen, und beinahe hätte er es sogar geschafft. Seine Finger verfehlten die Lanze, die der Hand des sterbenden Ritters entglitt, nur um Haaresbreite, aber sie verfehlten sie. Die Lanze stürzte, und das Baussant flatterte noch einmal wie ein Fanal des Untergangs und verschwand dann hinter dem plötzlich reiterlosen Pferd seines bisherigen Trägers.

Ridefort schrie noch einmal und noch gellender auf, war mit einem gewaltigen Satz aus dem Sattel und auf der anderen Seite des bockenden Pferdes und fiel auf die Knie, um das Banner aufzuheben, doch der Zwischenfall war nicht unbemerkt geblieben. Plötzlich drangen von überall her Sarazenen auf ihn ein, um ihm die heilige Fahne des Templerordens zu entreißen. Ridefort verschaffte sich mit zwei, drei wuchtigen Schwerthieben Luft, und auch einige andere Templer ließen von ihren Gegnern ab, um dem Marschall und vielmehr noch dem Baussant zu Hilfe zu eilen, doch das Banner flatterte ein zweites Mal zu Boden, bevor Ridefort es endgültig ergreifen und festhalten konnte, und aus den Reihen der Sarazenen erhob sich ein tausendstimmiges Triumphgeheul.

Später sollte Robin klar werden, dass dies der Moment war, in dem der Angriff endgültig zusammenbrach. Es gab keinen Grund dafür. Ridefort hatte das Banner längst wieder ergriffen und reckte es trotzig in die Höhe, aber die Sarazenen hatten es zweimal fallen sehen, und dieser Anblick schien sie mit neuer, wilder Kraft zu erfüllen. Robin konnte spüren, wie der Ansturm des Templerheeres erlahmte wie eine Welle, die sich unversehens an einem Felsen brach, und das gesamte Heer dann wie ein einziger, riesiger Körper erzitterte, als sich die Sarazenen zu Tausenden gegen sie warfen. Wieder hielten die gewaltigen Schwerter der Tempelritter furchtbare blutige Beute unter den Angreifern, doch die feindliche Übermacht war einfach zu groß. Ein Ritter nach dem anderen fiel aus dem Sattel oder wurde mitsamt seinem Pferd niedergeworfen, und für jeden Gegner, den sie erschlugen, schienen drei neue wie aus dem Nichts aufzutauchen.

»Haltet stand«, schrie Ridefort und schwenkte fast verzweifelt seine Fahne. »Für Gott und den König! Weicht nicht zurück! Gott will es!«

Aber vielleicht hätte nicht einmal mehr Gott selbst die Niederlage abwenden können. Wenn er tatsächlich in diesen Kampf eingriff, dann tat er es auf der falschen Seite. So unaufhaltsam, wie die stählerne Faust der Tempelritter vor wenigen Augenblicken unter die Sarazenen gefahren war, so unaufhaltsam wurden sie nun zurückgetrieben. Und als hätte das Schicksal entschieden, dass ihre Atempause schon viel zu lange gewährt hatte, fand sich auch Robin plötzlich im schlimmsten Kampfgetümmel wieder.

Vielleicht überlebte sie die folgenden Minuten nur, weil es eben kein ritterlicher Kampf Mann gegen Mann war, wie sie ihn erwartet hatte, sondern ein brutales, blutiges Gemetzel ohne Regeln oder Plan, ein wüstes Hauen und Stechen, bei dem jeder gegen jeden kämpfte und Hiebe, Stiche und Stöße nahezu ziellos austeilte. Robin erinnerte sich hinterher nicht mehr wirklich an Einzelheiten, und sie hätte es auch nicht gewollt. In ihrer Erinnerung verschmolzen die Minuten, in denen der Angriff des Templerheeres endgültig zusammenbrach und aus dem Stolz der Christenheit ein zerschlagener Haufen flüchtender, verzweifelter Männer wurde, der ums nackte Überleben kämpfte, zu einem einzigen Albtraum aus Lärm und Schmerz und Gestank und Furcht, aus tanzenden Schatten und blitzendem Metall, aus sterbenden Männern und zusammenbrechenden Pferden und dem Gestank von Blut.

Robin schlug und hackte verzweifelt um sich, traf und wurde getroffen. Etwas schrammte an ihrem Rücken entlang und konnte ihr Kettenhemd zwar nicht durchdringen, hinterließ aber dennoch eine Linie aus brennendem Schmerz, der ihr die Tränen in die Augen trieb. Ein harter Schlag warf sie um ein Haar aus dem Sattel. Robin fing sich im letzten Moment wieder, zwang ihr Pferd herum und sah sich unversehens einem riesigen Krieger mit wehendem Mantel und einem blitzenden kupferfarbenen Pickelhelm gegenüber, dessen Krummsäbel auf ihren Hals zielte. Verzweifelt versuchte sie, ihr eigenes Schwert in die Höhe zu reißen, und spürte, dass sie nicht schnell genug sein würde, aber im allerletzten Moment kam irgendwo aus dem Kampfgetümmel hinter ihr ein Speer herangeflogen und durchbohrte den Sarazenen. Der Krieger warf die Arme in die Luft und kippte rücklings aus dem Sattel, und Robin riss ihr Pferd herum und sprengte los, ohne weiter als ein halbes Dutzend Schritte zu kommen.

Erneut prallte irgendetwas so hart gegen sie, dass sie sich nur noch mit verzweifelter Kraft im Sattel halten konnte. Ihr Pferd bäumte sich auf und hätte sie zusätzlich beinahe abgeworfen. Die tobende Gewalt, die überall rings um sie herum explodierte, die Schreie und der Gestank nach Blut und Tod machten das Tier fast wahnsinnig. Überall wurde gekämpft und starben Menschen, aber sie wusste nicht mehr, wer gegen wen kämpfte oder warum, wer Freund oder Feind war. Plötzlich war alles sinnlos geworden. Sie wollte nicht mehr kämpfen. Sie konnte nicht mehr kämpfen. Sie wollte kein Ritter mehr sein. Sie wollte nur noch hier weg. Panik griff nach ihren Gedanken und fegte auch noch den allerletzten Rest von Vernunft davon. Sie sprengte blindlings los und prallte so wuchtig gegen einen Sarazenen, dass dessen Tier strauchelte und seinen Reiter abwarf. Er stand nicht wieder auf, sondern wurde zu Tode getrampelt, und auch Robin hätte um ein Haar den Halt verloren und wäre gestürzt, was auch für sie einem sicheren Todesurteil gleichgekommen wäre. Wer in diesem Zusammenprall zweier gewaltiger Reiterheere vom Pferd fiel, bekam nie wieder Gelegenheit aufzustehen.

Aber auch so rechnete sie sich kaum noch Chancen aus, das Schlachtfeld lebend zu verlassen. Warmes Blut lief über ihren Rücken und ihre Schulter. Sie war verletzt, sie wusste nicht, wie schlimm, und seltsamerweise hatte sie keine Schmerzen, aber sie spürte, wie ihre Kräfte immer mehr und mehr schwanden. Wenn sie das nächste Mal angegriffen wurde, würde sie vielleicht nicht einmal mehr die Kraft haben, ihr Schwert zu heben. Sie wusste nicht einmal, ob sie es wollte. Vielleicht war der Tod die schnellste Möglichkeit, dieser Hölle zu entkommen. Das war nicht die heroische Schlacht, die sie sich vorgestellt hatte. Es war einfach nur Wahnsinn. Ihre Angst war so schlimm geworden, dass sie körperlich wehtat. Es musste doch irgendwann einmal vorbei sein!

Doch es war nicht vorbei. Robin wurde ganz im Gegenteil wieder angegriffen, und diesmal von zwei Reitern zugleich. Fast zu ihrem eigenen Erstaunen gelang es ihr, das Schwert hochzureißen und nicht nur den Speer beiseite zu schlagen, mit dem einer der Männer nach ihr stocherte, sondern ihn auch aus der gleichen Bewegung heraus schwer genug zu treffen, um ihm die Lust auf einen weiteren Angriff zu nehmen, aber praktisch im gleichen Moment landete der andere einen fürchterlichen Schwerthieb gegen ihren Hinterkopf. Die Klinge vermochte den schweren Eisenhelm nicht zu durchdringen, aber der Schlag war so gewaltig, dass Robin nach vorne geworfen wurde und ihr das Blut aus Nase und Mund schoss. Sie hatte noch immer keine Schmerzen, doch ihr Schädel dröhnte, als wolle er zerplatzen, und auch der letzte Rest von Kraft wich aus ihren Gliedern. Hilflos brach sie über dem gepanzerten Hals ihres Pferdes zusammen. Das Schwert entglitt ihren Fingern und fiel zu Boden, und alles begann vor ihren Augen zu verschwimmen. Dennoch sah sie, wie der Sarazene zu einem zweiten und diesmal mit Sicherheit tödlichen Hieb ausholte. Sie hatte keine Kraft mehr, sich zu wehren, aber sie war trotz allem zu stolz, um die Augen zu schließen und auf den Tod zu warten.

Gerade als sie sicher war, mit dem nächsten Atemzug die Antwort auf die Frage zu bekommen, ob es Gott nun gab oder nicht, tauchte ein weiterer Sarazene hinter dem Angreifer auf und stieß ihm sein Schwert in den Rücken. Der Mann kippte wie vom Blitz getroffen aus dem Sattel, und Robin starrte aus fassungslos aufgerissenen Augen zu der vollkommen in Schwarz gekleideten Gestalt hoch, die sie im allerletzten Moment gerettet hatte. Sie verstand nicht, was sie sah. Es war unmöglich, und es machte keinen Sinn.

Der Reiter verharrte einen Moment vollkommen reglos und starrte auf sie herab, dann zwang er sein Pferd mit einem raschen Schenkeldruck herum und ritt an ihre Seite. Noch immer vollkommen verständnislos sah Robin zu, wie er sich im Sattel vorbeugte und das Schwert aufhob, das sie fallen gelassen hatte.

»Das war jetzt das zweite Mal, kleines Mädchen«, sagte er, während er ihr die Waffe mit dem Griff voran reichte. »Vielleicht gestehst du dir allmählich ein, dass ein Schlachtfeld kein Spielplatz ist. Ich werde vielleicht nicht immer da sein, um dir das Leben zu retten.«

Robin griff ganz instinktiv nach der Waffe, aber sie registrierte die Bewegung kaum. Ihr Blick saugte sich am schmalen Ausschnitt des Gesichtes des Sarazenen fest, den sie erkennen konnte; ein kaum fingerbreiter Streifen über Nasenwurzel und Augen. Augen, die ...

Aber das war doch unmöglich! »Salim?«, murmelte sie. »Aber wie ...?«

»Verschwinde endlich!«, unterbrach sie Salim. »Ich versuche, dich zu decken, aber selbst den Zauberkräften eines Assassinen sind Grenzen gesetzt.«

Robin richtete sich taumelnd im Sattel auf und versuchte ganz instinktiv, sich mit dem Handrücken über das Gesicht zu fahren, um das Blut wegzuwischen, das noch immer aus ihrer Nase lief, doch ihr Kettenhandschuh scharrte nur nutzlos über den eisernen Helm. »Salim?«, murmelte sie abermals. »Aber wieso ...«

Sie richtete sich mit einem Ruck endgültig auf. »Komm mit mir!«

Salim lachte rau. »Was für eine großartige Idee. Damit wir uns aussuchen können, welche von beiden Seiten uns umbringt?« Er machte eine zornige Handbewegung. »Jetzt reite endlich! Wir treffen uns im Lager. Falls genug von euch übrig bleiben, um ein Lager aufzuschlagen, heißt das.«

Robin verstand das so wenig wie das meiste andere, was er ihr in den letzten Augenblicken gesagt hatte, doch Salim ließ ihr keine Zeit, eine weitere Frage zu stellen, sondern riss sein Pferd herum und war im nächsten Moment im Schlachtgetümmel verschwunden. Robin starrte ihm noch einen Herzschlag lang wie gelähmt nach, aber dann zwang sie ihr Pferd herum und tat, was er ihr geraten hatte.

Sie floh.

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