2. KAPITEL


Robin erwachte vom Duft frisch gebackenen Fladenbrotes. Noch bevor sich ihre Gedanken vollends klärten und sie die letzten Fesseln des Schlafes abstreifte, der ihre Erinnerungen festzuhalten versuchte wie klebriger Altweibersommer, der sich auf das Gesicht eines Spaziergängers niedergelassen hat und sich beharrlich weigert, sich wegwischen zu lassen, lief ihr das Wasser im Munde zusammen, und sie hörte, wie ihr Magen leise knurrte. Das Gefühl war mit einem leichten Erschrecken verbunden, das ihr im ersten Moment grundlos erschien, doch dann lauschte sie in sich hinein und stellte mit einem deutlich stärkeren Gefühl von Erleichterung fest, dass sowohl die Schwäche als auch die latente Übelkeit, mit der sie eingeschlafen war, nicht mehr da waren.

Behutsam setzte sie sich auf, blinzelte aus noch immer leicht schlaftrunkenen Augen in das Halbdunkel des kleinen Zimmers, das sie umgab, und nahm erneut und dieses Mal mit spürbarem Hunger den Duft frisch gebackener Brote wahr. Gleich drei davon lagen auf einem hölzernen Teller, den Saila hereingebracht haben musste, während sie schlief. Daneben stand ein einfacher Tonkrug und ein ebenso schmuckloser Becher.

Robins Lippen verzogen sich zu einem flüchtigen, aber sehr warmen Lächeln, während sie aufstand und zu dem kleinen Tisch neben der Tür ging, um sich Wasser einzugießen und einen großen Schluck davon zu trinken. Ihrem Ansehen und Stand wären Krüge und Trinkgefäße aus Gold oder anderen, edlen Metallen angemessen gewesen, und wenn sie sich mit Salim oder seinem Vater zu einem offiziellen Anlass zusammenfand, pflegte sie solcherlei auch zu benutzen, aber Saila kannte sie mittlerweile gut genug, um zu wissen, wie zuwider Robin derartige Standessymbole waren.

Sosehr sie das Leben in Luxus und Sicherheit auch genoss, das sie an Salims Seite auf der Burg seines Vaters führte, hatten sie die Jahre bei den Tempelrittern und noch viel mehr ihre Jugend in der Armut eines einfachen Fischerdorfes Demut und die Vorzüge eines einfachen Lebens gelehrt. Es war nichts dagegen zu sagen, Wasser aus einem goldenen, mit Edelsteinen verzierten Becher zu trinken; aber es schmeckte nicht besser als aus einem einfachen irdenen Krug, und sie war zu vielen begegnet, die irgendwann darauf bestanden hatten, von goldenen Tellern zu essen und aus silbernen Bechern zu trinken, und die zu spät begriffen hatten, welche Gefahr in einem solchen Leben lauerte. Manche hatten es erst gespürt, als einfacher, geschmiedeter Stahl in ihr Fleisch schnitt.

Robin verjagte den Gedanken. Einen Teil von ihr haderte offensichtlich immer noch mit dem Schicksal und vor allem mit ihrer eigenen, vermeintlichen Schwäche. Sie brach ein Stück des kleinen Brotes ab, kaute genießerisch darauf herum und spülte es mit einem Schluck des eiskalten, ganz leicht nach Anis schmeckenden Wassers herunter, als ihr etwas auffiel.

Etwas stimmte nicht.

Robin ließ den Becher sinken, sah sich - von einer plötzlichen Unruhe ergriffen - aufmerksam im Halbdunkel des Zimmers um und lauschte.

Sie hörte nichts.

Aber gerade das war es, was nicht stimmte.

Es war nicht der Duft der Fladenbrote gewesen, begriff sie, der sie geweckt hatte. Es war zu still. Nichts rührte sich. Keine Stimme war zu hören, nicht der mindeste Laut, abgesehen vom monotonen Rauschen der Brandung, die durch das einzige, schmale Fenster hereindrang, und dem Wispern des Windes in den dürren Ästen des Aprikosenbaums im Innenhof.

Fast behutsam, als wäre etwas in ihr plötzlich über die Maßen darauf bedacht, ja kein verräterisches Geräusch zu verursachen, stellte sie den Becher auf den Tisch zurück, ging zum Fenster und blickte hinaus. Das grelle Sonnenlicht des Nachmittags stach ihr im allerersten Moment schmerzhaft in die Augen, sodass sie blinzeln musste und sich mit dem Handrücken die Tränen fortwischte, aber auch nachdem sie sich an den unbarmherzigen Schein gewöhnt hatte, sah sie nichts Auffälliges. Zumindest auf dem schmalen Abschnitt des Strandes, den sie von hier aus überblicken konnte, regte sich nichts. Robin blieb fast eine Minute so stehen, blickte auf das Meer hinaus, das von der allmählich tiefer sinkenden Sonne in einen riesigen, azurblau und kupfern schimmernden Spiegel verwandelt wurde, und lauschte angestrengt.

Nichts. Und genau das war es.

Es war tatsächlich zu still.

Robin ließ noch einen weiteren, allerletzten Moment verstreichen, dann aber drehte sie sich rasch um, verließ das Zimmer und eilte leichtfüßig die Treppe hinunter. Sie wartete darauf, dass Saila ihr entgegenkam oder dass sie Nemeths glockenhelles Lachen aus einem anderen Teil des Gebäudes hörte, vielleicht auch die Stimme ihrer Mutter, die sie wieder einmal wegen irgendeiner Kleinigkeit schalt; aber die Stille hielt an und bekam etwas Bedrohliches.

Auch der große Raum unten war leer. Saila hatte ihre Kleider ordentlich zusammengefaltet auf die Bank neben der Tür gelegt. Rasch schlüpfte Robin in ihr Kettenhemd - es kam ihr jetzt noch schwerer vor als vorhin, so als hätte sich das Kleidungsstück gleich ihrem Ordensrock und dem schwarzen Mantel mit Wasser voll gesogen -, wollte ganz automatisch auch das weiße Templergewand überziehen und zog die Hand dann, einem Gefühl folgend, wieder zurück. Stattdessen band sie sich den Schwertgurt um und zog nur den schwarzen, zerfetzten Mantel darüber, den Saila, so gut es ging, vom gröbsten Schmutz befreit hatte. Flickzeug, um die Risse zu flicken, hatte sie nicht mitgebracht. Als Letztes raffte sie ihre Haare zu einem Knoten zusammen und band, so gut es ging, den schwarzen Turban um ihren Kopf.

Sie eilte zur Tür, machte dann noch einmal kehrt und verschenkte eine weitere Minute, die sie brauchte, um in die Stiefel zu schlüpfen. Bevor sie das Haus endgültig verließ, überzeugte sie sich davon, dass unter dem Mantel weder von ihrem Schwertgurt noch von dem Kettenhemd etwas zu sehen war. Die Risse bereiteten ihr ein wenig Sorge. Aber auch das musste sie riskieren. Alt und matt, wie das Kettenhemd war, mochte es zumindest beim flüchtigen Hinsehen nicht auffallen.

Während sie das Haus verließ, wunderte sie sich ein wenig über sich selbst. Ihre Umsicht war nur zu verständlich, hätte sie sich auf einen Kampf vorbereitet. Was aber nicht der Fall war. Sie lebten in gefährlichen Zeiten und in einem noch gefährlicheren Landstrich, doch dieses kleine Dorf stellte - ebenso wie eine Hand voll anderer Dörfer und Ansiedlungen im Umkreis eines halben Tagesrittes - eine Ausnahme dar. Niemand, der nicht entweder vollkommen verrückt oder lebensmüde war, würde es wagen, die Hand gegen einen seiner Bewohner zu erheben. Mochten die Assassinen unter Sheik Sinans Führung auch überall in der Welt gefürchtet und berüchtigt sein, hier war die unmittelbare Nähe ihrer Burg der sicherste Garant für das Wohlbefinden und die Freiheit ihrer Bewohner. Der Letzte, der es gewagt hatte, gegen dieses ungeschriebene Gesetz zu verstoßen, war Omar gewesen, der Sklavenhändler, der letzten Endes auch Robin gefangen und verschleppt hatte zusammen mit den Bewohnern genau dieses Dorfes; und er hatte einen so furchtbaren Preis dafür bezahlt, dass es seither nicht einmal mehr die gefürchteten türkischen Piraten gewagt hatten, sich der Küste auch nur auf Sichtweite zu nähern.

Nein, es musste eine andere Erklärung geben, dachte Robin, während sie mit schnellen Schritten die schmale Gasse zwischen den ärmlichen Hütten zum Dorfplatz hinabeilte.

Es gab sie nicht.

Obwohl Robin instinktiv so gehandelt hatte, als hätte sie gewusst, was sie zu sehen bekommen würde, verblüffte sie der Anblick doch so sehr, dass sie mitten im Schritt verhielt und fast ungläubig die Augen aufriss.

Auf dem kleinen Dorfplatz schienen sämtliche Bewohner zusammengekommen zu sein. Aber allem Anschein nach nicht freiwillig, und sie waren auch nicht allein. Inmitten des lockeren Kreises, den das knappe Hundert Männer, Frauen und Kinder bildete und der sie plötzlich auf unbehagliche Weise an den improvisierten Kampfplatz weiter unten am Strand erinnerte, auf dem Salim und sie vorhin so spielerisch ihre Kräfte gemessen hatten, hatte ein Trupp Bewaffneter Halt gemacht. Robin zählte sie hastig und kam auf elf; abgerissene Gestalten, die drei elende, halb verhungerte Klepper als Lasttiere mit sich führten. Sowohl die Pferde als auch ihre Herren wirkten heruntergekommen und verwahrlost; unter den viel zu schwer beladenen Satteltaschen der Pferde stachen deutlich die Rippen durch die Haut, und in die Gesichter der Männer hatten Hunger, Entbehrungen und überstandene Strapazen ihre Spuren gegraben. Sie waren in wenig mehr als Lumpen gekleidet, und etliche von ihnen trugen Kleidungsstücke, die ihnen zu groß oder auch zu klein und ganz offensichtlich nicht für sie angefertigt worden waren.

Doch so abgerissen und verdreckt die Kleider und Waffenröcke der Männer auch sein mochten - ihre Waffen und Rüstungsteile waren gut gepflegt. Hinter Robins Stirn begann sofort eine Alarmglocke zu läuten. Sie hatte Männer wie diese oft genug gesehen, um zu wissen, womit sie es zu tun hatte. Söldner, wahrscheinlicher aber die Plünderer, von denen Salim vorhin gesprochen hatte.

Sie überwand endlich ihre Verblüffung und ging weiter. Ihre Hand wollte fast ohne ihr Zutun unter den Mantel und zum Griff des Schwertes gleiten, doch dann brach sie die Bewegung im letzten Moment ab und versuchte stattdessen, möglichst unauffällig wenigstens den schlimmsten Riss in dem schwarzen Stoff zuzuhalten. Irgendeinem unbedarften Reisenden, dem sie begegnete, mochte das Kettenhemd vielleicht nicht auffallen, das sie unter dem schlichten, schwarzen Mantel trug. Diesen Männern aber würde es nicht entgehen, sobald sie ihr mehr als nur einen flüchtigen Blick zuwarfen.

Robin näherte sich dem Dorfplatz und der versammelten Menge langsam, aber auch ganz bewusst nicht so langsam, dass es aufgefallen wäre. Irgendetwas Ungutes ging hier vor, und niemand wäre in dieser Situation gemächlich herangeschlendert, als hätte er gerade nichts Besseres zu tun. Einen Moment lang überlegte sie sogar, umzukehren und sich erst einmal aus sicherer Entfernung einen Überblick zu verschaffen, aber es war zu spät. Einer der Fremden hob gerade in diesem Moment den Kopf und blickte genau in ihre Richtung; nicht lange genug, als dass sie dieser Blick beunruhigt hätte, aber eindeutig zu lange, als dass sie nicht aufgefallen wäre, hätte sie plötzlich wieder kehrtgemacht. Sie beschleunigte ihre Schritte um eine Winzigkeit, hütete sich aber, zu schnell zu werden.

Als Robin näher kam, drehte sich einer der Dorfbewohner um, vielleicht durch den Blick des Fremden aufmerksam geworden, und ein eisiger Schrecken durchfuhr sie, als sie sah, wie er dazu ansetzte, etwas zu sagen; und ein noch größerer Schrecken, als sie den unübersehbaren Ausdruck von Erleichterung in seinen Augen gewahrte. Hastig signalisierte sie ihm mit Blicken, still zu sein, senkte ein wenig das Haupt und drängte sich zwischen den dicht an dicht stehenden Männern und Frauen hindurch, so unauffällig sie konnte.

Gerade als sie den Platz erreichte, stieß einer der Männer einen Speer in den Boden und zog dann mit der Spitze seines Schwertes einen Strich in den Sand. »Wenn der Schatten des Speeres die Linie erreicht«, sagte er, »dann habt ihr hundert Silberstücke aufgetrieben und die anderen Waren, die wir euch genannt haben.«

»Niemand hier hat so viel Geld, Herr«, sagte eine Stimme. Sie klang leicht hysterisch.

Der Mann sah mit einem Ruck auf und suchte mit finsterem Gesicht nach dem Sprecher, konnte ihn aber offensichtlich nicht entdecken, und dessen Mut reichte auch nicht aus, die Worte zu wiederholen. Robin wusste, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Nicht einmal das ganze Dorf zusammen wäre in der Lage gewesen, auch nur einen Bruchteil dieser Summe aufzubringen.

»Dann werden sich meine Männer wohl jedes Haus vornehmen müssen«, sagte der Plünderer, »und glaubt mir - sie werden bestimmt nicht nur in Kisten und Töpfen nach Schätzen suchen, sondern auch unter den Röcken eurer Frauen oder Töchter.«

Robin musste sich beherrschen, um nicht vorzutreten und etwas zu tun oder zu sagen, was sie bestimmt bereuen würde. Sie blieb weiter mit leicht gesenktem Kopf stehen, eine in unauffälliges Blauschwarz gekleidete Gestalt zwischen zahlreichen anderen, die ihnen auf den ersten Blick zum Verwechseln ähnelte, und versuchte sich unter halb geschlossenen Lidern hervor unauffällig einen genaueren Eindruck von den Männern zu verschaffen. Sie war jetzt sicher, dass ihr allererster Gedanke richtig gewesen war und sie somit auch richtig gehandelt hatte. Diese Männer mochten heruntergekommen und halb verhungert sein, doch allein die Art, wie sie die Dorfbewohner musterten und viel mehr noch die vollkommene Abwesenheit von Furcht oder auch nur übertriebener Vorsicht machten ihr klar, dass diese Männer nicht nur mit ihren Waffen umzugehen wussten, sondern sich ihrer Stärke auch bewusst waren. Und dass sie sie rücksichtslos einsetzen würden, wenn es sein musste.

Vielleicht auch, wenn es nicht sein musste.

Robins Gedanken begannen sich zu überschlagen. Sie traute sich ohne weiteres zu, es mit einem oder auch zwei dieser abgerissenen Gestalten aufzunehmen, aber ganz gewiss nicht mit nahezu einem Dutzend. Was sollte sie tun?

So bitter Robin der Gedanke in diesem Moment auch selbst erschien, sie wusste, dass es im Grunde nur eine einzige Möglichkeit gab: Sie musste versuchen, möglichst unauffällig von hier zu verschwinden und das Dorf zu verlassen, um nach Salim und seinen Begleitern zu suchen. Salim und das halbe Dutzend Assassinen, das er anführte, würden es mit Leichtigkeit mit diesem Haufen Verlorener aufnehmen. Allein hatte sie keine Chance.

Sie zerbrach sich den Kopf darüber, wie sie ebenso unauffällig das freie Stück zwischen dem Marktplatz und den ersten Häusern überwinden konnte, doch es war bereits zu spät. Plötzlich drängte sich der Mann, der sie gerade schon erkannt hatte, unmittelbar neben ihr hindurch, verschränkte herausfordernd die Arme vor der Brust und funkelte den Anführer der Plünderer an. »Ihr solltet euch lieber davonmachen, solange ihr es noch könnt«, sagte er.

Nicht nur durch die Reihen der Männer und Frauen ging ein ebenso erschrockenes wie ungläubiges Murmeln und Raunen, auch der Anführer der Plünderer riss verblüfft die Augen auf und starrte den Sprecher an, als könne er nicht glauben, was er da gerade gehört hatte. »Was hast du gesagt?«, fragte er.

»Ihr könnt uns nicht einschüchtern«, beharrte der Mann. Robin verdrehte innerlich die Augen. Sie hätte ihm den Hals umdrehen können. Wenn sie diesen Moment überlebte (was ihr mit jedem Herzschlag, der verging, weniger wahrscheinlich erschien), würde sie sich eingehend mit diesem dummen Schwätzer unterhalten.

»Wir sind keine wehrlosen Fischer und Bauern«, fuhr der Bursche fort. »Verschwindet von hier, oder ihr werdet es bereuen.«

Obwohl Robin wusste, wie sinnlos es war, versuchte sie noch einmal, möglichst unauffällig einen Schritt zurückzuweichen, aber der Mann schien nicht der einzige Dummkopf unter den Dorfbewohnern zu sein. Vielleicht machte es ihnen auch nur die Angst unmöglich, kühl abzuwägen. Zwei oder drei weitere Männer, die sie erkannt hatten, wandten ihre Blicke in ihre Richtung, und der Anführer der Banditen hätte schon blind und dumm auf einmal sein müssen, um nicht zu begreifen, was diese Blicke bedeuteten.

»Ach, so ist das«, murmelte er. Er schob das Schwert, mit dem er die Linie in den Sand gezeichnet hatte, mit einer demonstrativ beiläufigen Bewegung in die zerschrammte Lederscheide zurück, die an seinem Gürtel hing, starrte einen Moment den Sand vor seinen Stiefelspitzen an und sah ihr dann ganz langsam und mit einem Ausdruck ins Gesicht, der Robins Unbehagen augenblicklich in blanke Furcht umschlagen ließ, was sich wohl auch ganz deutlich auf ihrem Gesicht abzeichnete.

»Ich verstehe«, sagte er. »Dieses Dorf hat einen Beschützer. Nun - warum trittst du nicht vor und wirst deiner Rolle gerecht, mein Freund?«

Einen einzigen, aber quälend langen Atemzug lang war Robin der Panik nahe. Ganz ernsthaft erwog sie den Gedanken, einfach herumzufahren und davonzurennen, so schnell sie nur konnte, verwarf ihn aber auch fast augenblicklich wieder. Selbst wenn es ihr gelungen wäre, den Männern zu entkommen - was sie bezweifelte -, so würden die Dorfbewohner dafür bezahlen müssen. Und abgesehen von einem einzigen gönnte sie das keinem.

Vielleicht war es ja auch ihre eigene Schuld; wenigstens zum Teil. Schließlich hatte sie in den letzten Monaten keine Gelegenheit verstreichen lassen, allen hier zu demonstrieren, dass sie mit dem Schwert ebenso gut umzugehen verstand wie jeder Mann.

Entschlossen trat sie zwei Schritte vor, hob den Kopf und musterte den Anführer der Plünderer kühl. Es war ein hoch gewachsener, sehr schlanker junger Mann, bei dessen Anblick Robins Unbehagen noch weiter stieg. Er war nicht annähernd in so guter Verfassung, wie etwa Salim es war, doch allein seine Bewegungen machten Robin klar, wie gefährlich es wäre, ihn zu unterschätzen. Sein Gesicht wurde von schwarzen Bartstoppeln beherrscht, und als er sie herausfordernd angrinste, entdeckte sie hinter seinen Lippen nichts als bräunlich verfaulte Zahnstummel. Er stank nach Schweiß, säuerlichem Wein und Zwiebeln. In seinen Augen war keine Spur von Furcht zu erkennen, aber sehr wohl mehr als nur eine Spur von Vorsicht. Ohne Robin länger als einen Sekundenbruchteil aus den Augen zu lassen, suchte sein Blick gleichzeitig die Häuser in ihrem Rücken ab, als erwarte er dort das verräterische Blitzen blank gezogener Waffen.

Robin beschloss, alles auf eine Karte zu setzen - welche andere Wahl hatte sie auch schon? Rasch, aber ohne Hast ging sie auf den Räuber zu, trat so wuchtig vor den Speer, dass er umfiel und mehrere Schritte weit davonschlitterte, und zwang das verächtlichste Lächeln auf ihre Lippen, das sie zustande brachte. »Du hast Recht«, sagte sie. »Dieses Dorf hat einen Beschützer.«

Auf dem Gesicht ihres Gegenübers machte sich ein Ausdruck ehrlicher Verblüffung breit. »Du ... du bist ja noch ein halbes Kind«, murmelte er. Dann verdüsterte sich sein Blick. »Ich weiß nicht, was dieses Spiel soll, mein Junge. Aber ich habe heute meinen großmütigen Tag. Wenn du sofort verschwindest und dich hinter den Rockschürzen deiner Mutter versteckst, dann lasse ich dich am Leben. Wenigstens«, fügte er nach einer winzigen Pause hinzu, »genauso lange wie die anderen.«

Robin zuckte mit den Schultern, öffnete ihren Mantel, sodass man das Kettenhemd darunter erkennen konnte, und zog in der gleichen Bewegung ihr Schwert. Die Augen des Plünderers wurden ein winziges bisschen größer, aber Robin vermochte nicht einmal genau zu sagen, ob sein Erstaunen nun der Tatsache galt, dass sie bewaffnet und ganz offensichtlich auch willens war, sich ihm zu stellen, oder dem Anblick der Waffe selbst. So, wie sie allen Einwänden und Argumenten Salims zum Trotz ihr Templergewand behalten hatte, trug sie auch nicht den in diesem Teil der Welt allgemein verbreiteten Krummsäbel, sondern eine Waffe, die der nachempfunden war, wie sie in ihrer Heimat auf der anderen Seite des Meeres üblich war. Auch wenn die Klinge so schwer aussah wie das wuchtige Bastardschwert, das sie von Bruder Abbé erhalten hatte, so war es doch ungleich leichter und vor allem auch schärfer.

»Auch ich habe heute meinen großmütigen Tag«, antwortete sie. »Mir ist nicht nach Blutvergießen. Deshalb will ich euch Gelegenheit geben, euren unverschämten Auftritt zu entschuldigen und zum Zeichen eures guten Willens eines eurer Maultiere zurückzulassen - o ja, und alles Gold und Silber, das ihr bei euch tragt, versteht sich.«

Robin wünschte sich, sie hätte das weiß-rote Templergewand doch übergestreift, bevor sie das Haus verließ. Möglicherweise hätte allein der Anblick des gefürchteten Tatzenkreuzes der Tempelritter die Männer eingeschüchtert. Ihre herausfordernden Worte und die Waffe in ihrer rechten Hand allein würden es bestimmt nicht tun.

Ihr Gegenüber antwortete fast zu ihrer Überraschung nicht auf diese Provokation, sondern leckte sich unruhig die Lippen. Sein Blick huschte immer noch nervös über die Häuser rings um den Platz. Er argwöhnte ganz offensichtlich eine Falle. Robin hätte in diesem Moment ihre rechte Hand dafür gegeben, wäre es so gewesen. Aber die einzige Falle, die es hier gab, war die, in die sie sich selbst hineinmanövriert hatte.

Sie sah aus dem Augenwinkel, wie sich einer der Plünderer ein wenig umdrehte. Ihr Mut sank, als sie die gespannte Armbrust erblickte, mit der er wie beiläufig auf sie zielte. Salim hatte ihr gezeigt, wie man selbst auf kürzere Entfernung noch einem heranfliegenden Pfeil ausweichen oder ihn zur Not beiseite schlagen konnte; bei dem viel schnelleren Armbrustgeschoss war das nicht möglich, und gegen die heimtückischen, mit furchtbarer Wucht abgeschossenen Bolzen würde ihr auch das Kettenhemd nichts mehr nutzen.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, wurde das hässliche Grinsen des Anführers der Plünderer noch breiter. »Aber dein Vorschlag gefällt mir, Junge. Dein Kettenhemd und die prachtvolle Waffe, die du da trägst, sollten uns als Tribut für dieses Dorf genügen. Mehr hat dieses arme Pack wahrscheinlich ohnehin nicht zu bieten.« Sein Lächeln erlosch wie abgeschaltet und machte einer nur umso größeren Härte Platz, die in seinen Augen erschien. »Der Bastard ist allein. Erschieß ihn, Marco.«

Vielleicht war es einzig dieser letzte Befehl, der Robin letztendlich das Leben rettete. Und ein schier unglaubliches Glück. Die Armbrust bewegte sich noch ein winziges Stückchen weiter nach oben, und Robin stürmte warnungslos vor, schlug im allerletzten Moment einen Haken und sprang auf den Armbrustträger zu. Der Mann war für den Bruchteil eines Lidschlages irritiert, und die heimtückische Waffe in seiner Hand zitterte ganz leicht. Dann drückte er ab.

Aber Robin war bereits nahe genug. Was sie tat, war der pure Wahnsinn, aber vielleicht gerade deshalb ihre einzige Chance, am Leben zu bleiben. Blitzschnell riss sie das Schwert hoch und herum, brachte die breite Klinge in eine Linie mit der Armbrust, die jetzt genau auf ihr Gesicht zielte, und schrie im nächsten Moment vor Schmerz auf, als ein peitschendes Geräusch erklang und ihr Schwertarm mit grausamer Wucht zurückgerissen wurde. Die Klinge entglitt ihren Fingern, die plötzlich - ebenso wie ihr ganzer Arm - so taub und nutzlos waren wie ein Stück Holz. Aber das Schwert stürzte nicht zu Boden. Noch bevor es fallen konnte, griff Robin mit der anderen Hand zu, war mit einem blitzschnellen Ausfallschritt ganz bei dem Armbrustschützen, der sie mit offen stehendem Mund und vollkommen fassungslos anstarrte, und zersplitterte den hölzernen Bogen der Armbrust mit einem einzigen, wuchtigen Hieb.

Der Mann taumelte mit einem Schrei zurück, und Robin drehte sich, die Wucht ihres eigenen Schlages ausnutzend, auf der Stelle um und war mit einem zweiten, noch schnelleren Schritt wieder bei dem Stoppelbärtigen. Ihre Schwertspitze schlitzte den schmuddeligen Gambeson des Anführers auf und kam einen Fingerbreit unter seinem stoppelbärtigen Kinn zum Stehen. Eine feine, blutrote Linie, aus der in fast regelmäßigen Abständen winzige, hellrot schimmernde Tröpfchen quollen, markierte die Spur, die die Schwertspitze von seiner Brust über den Hals und seine Kehle bis unmittelbar hinauf unter sein Kinn genommen hatte. Ein einzelner, hellrot schimmernder Tropfen rann die Blutrinne des Schwertes hinab und blieb in der Delle liegen, die der abprallende Armbrustbolzen in die Klinge geschlagen hatte. Robin starrte auf die Waffe in ihrer Hand und begriff erst jetzt, was für ein unvorstellbares Glück sie gehabt hatte. Ihr rechter Arm bis hinauf zu Schulter war noch immer taub.

»Beim Kopf des Täufers«, keuchte der Stoppelbärtige. »Wer bist du, Kerl? Der Teufel?«

»Nein, aber du wirst ihm vielleicht gleich begegnen.« Robin drückte die Schwertspitze noch ein wenig fester unter das Kinn des Plünderers, sodass er gezwungen war, den Kopf noch weiter in den Nacken zu legen, wollte er sich nicht selbst die Kehle durchschneiden, und ein weiterer, größerer Tropfen lief durch die Blutrinne der Klinge. Aber es war nicht nur bloße Grausamkeit, die Robin den Druck auf die Waffe sogar noch einmal verstärken ließ, sodass der Mann mittlerweile in fast grotesk zurückgebeugter Haltung dastand und all seine Muskeln anspannen musste, um nicht hintenüber zu fallen. Sie wollte nicht, dass irgendjemand sah, wie stark ihre Hand zitterte. Das Schwert kam ihr mit jedem Atemzug schwerer vor, und ihre rechte Hand begann allmählich zu kribbeln, als das Leben in ihre Glieder zurückkehrte.

»Ich erkläre dich hiermit zu meinem Gefangenen«, sagte sie, so fest sie konnte. Gleichzeitig schickte sie ein Stoßgebet zum Himmel, dass sie die Einzige hier war, der das Zittern ihrer Stimme auffiel. »Danke Gott oder Allah - oder an wen auch immer du glaubst - dafür, dass ihr bisher kein Blut vergossen habt.«

»Was nicht ist, kann ja noch werden«, presste der Plünderer mühsam hervor. Robin war nicht ganz sicher, ob sie seinen Mut bewundern oder über seine Dummheit den Kopf schütteln sollte. Sie verstärkte den Druck auf ihre Klinge noch einmal um eine Winzigkeit, und aus den vereinzelten Tropfen, die bisher durch die kleinfingerbreite Rinne des Schwertes gelaufen waren, wurde ein dünner, aber fast beständiger Strom. »So etwa?«, fragte sie.

Neben ihr ließ der Armbrustschütze seine nutzlos gewordene Waffe fallen und wich instinktiv einen Schritt zurück, aber ein anderer Räuber zog sein Schwert und kam mit langsamen Schritten näher. Er hatte langes, verfilztes blondes Haar, und sein Gesicht war vermutlich einmal recht hübsch gewesen, bevor jemand versucht hatte, es mit einer Axt oder einem ähnlich groben Instrument in zwei Hälften zu teilen. »Du wirst mehr als ein Wunder brauchen, Bursche, um diesen Tag zu überleben«, sagte er. »Du kannst ja offensichtlich ganz gut mit dem Schwert umgehen, aber hat man dich auch das Zählen gelehrt? Wir sind elf!«

»Lass den Unsinn, Berengar«, keuchte der Stoppelbärtige. Sein Blut hatte mittlerweile die kleine Delle in Robins Schwert gefüllt und tropfte an beiden Seiten am Griff der wuchtigen Klinge herab und besudelte ihre Hand.

Der Blonde lächelte fast sanft. »Du warst ein guter Anführer, Guy. Wir werden auf dich trinken - und wenn es dir ein Trost ist, dann verspreche ich dir, dass ich den Schädel dieses frechen Burschen als Becher benutzen werde.« Der Blondschopf machte eine rasche Geste, und die übrigen Männer begannen Robin einzukreisen.

Ein Stein verfehlte nur knapp den Kopf des neuen Wortführers und landete mit einem dumpfen Laut im Sand. Der Blonde fuhr wütend herum und suchte aus tückischen Augen nach demjenigen, der den Stein nach ihm geworfen hatte, und ein zweites, besser gezieltes Geschoss flog heran und prallte so wuchtig von seiner Schulter ab, dass er zurücktaumelte und um ein Haar seine Waffe fallen gelassen hätte. Sein Gesicht verzerrte sich vor Schmerz und Wut.

Und plötzlich wurde es totenstill. Die Plünderer hatten ihre Waffen gehoben und sich zu einem engen Kreis um Robin und ihren Anführer zusammengeschlossen, aber niemand regte sich, niemand sagte auch nur ein Wort. Die Spannung war fast mit Händen zu greifen. Robin sah, dass immer mehr und mehr Dörfler sich bückten, um Steine aufzuheben, und einige wenige hatten auch Knüppel oder lange Messer unter ihren Gewändern hervorgezogen, mit denen sie normalerweise die gefangenen Fische ausnahmen.

»Es ist immer noch nicht zu spät, Guy«, sagte Robin. Ihre rechte Hand schmerzte mittlerweile fast unerträglich. »Gib deinen Männern Befehl, die Waffen zu senken, und niemand muss sterben.«

Ganz im Gegenteil richteten sich mindestens zwei Schwerter und eine Speerspitze nun direkt auf sie, aber es blieb bei dieser Drohgebärde. Die Männer zögerten. Robin konnte ihre plötzliche Unsicherheit spüren. Ihnen war ebenso klar wie ihr selbst, dass sie sie binnen eines Herzschlages töten konnten, und spätestens die Worte des Blonden hatten ihr gezeigt, die wenig Rücksicht sie auf ihre Geisel nehmen würden - aber sie mussten auch wissen, dass ein Kampf danach fast unvermeidlich war und dass vielleicht nicht alle von ihnen ihn überleben würden.

»Verdammtes Pack!«, zischte Berengar, der noch immer die Hand gegen die rechte, schmerzende Schulter presste. »Ihr wollt Blut? Ihr könnt es bekommen!«

Und damit fuhr er mit einer unglaublich schnellen Bewegung herum, riss das Schwert in die Höhe und ergriff es noch in der Drehung mit beiden Händen, um einen Hieb auszuführen, der Robin enthaupten und vermutlich auch noch seinen bisherigen Anführer treffen musste.

Ein Pfeil zischte heran, durchbohrte seinen Hals und riss ihn mitten in der Bewegung hintenüber. Zwei, drei Plünderer prallten erschrocken zurück, und einer von ihnen machte Anstalten, Robin seinen Speer in die Seite zu stoßen, und ein zweiter, mit ebenso tödlicher Präzision gezielter Pfeil bohrte sich in seinen Rücken und ließ ihn mit einem gurgelnden Laut zusammenbrechen. Das alles geschah in weniger als einem Herzschlag.

Robin atmete innerlich auf. Salim war gekommen! Doch so unendlich dankbar sie ihm auch war, sie nahm sich fest vor, ein ausgiebiges Gespräch über sein Zeitgefühl und sein Empfinden für Dramatik mit ihm zu führen, sobald sie wieder zurück in der Burg waren. Er hätte wirklich keinen Atemzug später eingreifen dürfen!

Unendlich erleichtert trat sie zurück, ließ das Schwert sinken und drehte sich herum. Die Plünderer wichen erschrocken vor ihr zurück, und ihr Anführer taumelte zwei Schritte nach hinten, sank auf die Knie und schlug beide Hände gegen den blutenden Hals.

Robin blieb aufmerksam, denn sie wusste, wie unberechenbar Menschen in Panik waren, wandte sich aber trotzdem weiter um und suchte den Dünenkamm hinter dem Dorf mit Blicken ab. Eine flirrende Staubwolke hatte sich über der Wüste erhoben, und jetzt hörte sie auch den dumpfen Hufschlag rasch näher kommender Pferde. Sehr vieler Pferde, dachte sie verwirrt. Oben auf dem Hügelkamm erhoben sich drei nur schattenhaft gegen die grelle Sonne zu erkennende Reiter, doch irgendetwas an ihnen erschien ihr nicht so, wie es sein sollte. Dann tauchte eine wehende Fahne über der Düne auf, und Robins Augen wurden groß, als sie das blutrote Tatzenkreuz auf weißem Grund erkannte.

Es war nicht Salim, der gekommen war.

Die drei Reiter wichen zur Seite, um der Spitze einer ganzen Kolonne Platz zu machen, die über die Düne herangesprengt kam und in scharfem Tempo auf das Dorf zuhielt. Immer mehr und mehr von ihnen erschienen über dem Hügelkamm, schwer gepanzerte Reiter in langen Kettenhemden, Turkopolen - leichtere Reiter in Gambesons - und Männer in schlichten, weißen Gewändern, die ihre Pferde mit nur einer Hand lenkten und Bögen mit schussbereit aufgelegten Pfeilen in der anderen hielten. Der Mann neben dem Banner machte eine winkende Geste, und der Trupp teilte sich und begann das Dorf einzukreisen.

Nicht nur Robin war beunruhigt - auch wenn sie der Anblick der Fahne noch immer viel zu sehr verwirrte, als dass sie dieses Gefühl wirklich gespürt hätte -, und unter den Dorfbewohnern begann sich eine immer stärkere Unruhe breit zu machen. So unendlich erleichtert sie alle über diese Rettung im letzten Moment auch gewesen sein mochten, der Anblick der neu aufgetauchten Reiter konnte diese Männer und Frauen nicht wirklich beruhigen.

Es waren Templer. Angehörige des wohl gefürchtetsten Kreuzfahrerordens, der dieses Land jemals heimgesucht hatte. Es mochte sein, dachte Robin beunruhigt, dass sie den Teufel gegen den Beelzebub eingetauscht hatte. Etliche Männer ließen ihre improvisierten Waffen fallen und wichen in ihre Häuser zurück, die anderen drängten sich instinktiv enger zusammen, und auch Robin trat den Reitern zwar entgegen, behielt das Schwert aber fest in der Hand und blieb auf der Hut. Die Männer mussten die Szene zweifellos beobachtet haben, und die beiden Pfeile hatten bewiesen, dass sie die Situation wohl auch richtig eingeschätzt hatten. Aber der Feind ihres Feindes musste nicht automatisch ihr Freund sein. Letzten Endes trug sie immer noch die Kleidung der Einheimischen.

Robin warf einen raschen, beruhigenden Blick in die Runde und wechselte das Schwert von der linken wieder in die rechte Hand, die zwar immer noch kribbelte und wehtat, die sie jetzt aber wieder einigermaßen benutzen konnte. Gleichzeitig machte sie mit dem frei gewordenen Arm eine entsprechende Geste zu den Dörflern.

Langsam, aber mit festen Schritten ging sie dem Anführer des Reitertrupps entgegen, der sein Tier nun endlich zügelte und sich ihr auf dem letzten Stück in gemäßigtem Tempo näherte, statt in wildem Galopp heranzupreschen. Zwei Schritte vor ihr brachte er sein Tier endgültig zum Stehen, und auch Robin hielt an, legte den Kopf in den Nacken und beschattete die Augen mit der freien Hand. Der Reiter hatte genau so angehalten, dass er die Sonne im Rücken hatte und sie ihn eigentlich nur als großen, sonderbar verzerrten und bedrohlich wirkenden Umriss erkennen konnte, was zweifellos kein Zufall war. Dennoch konnte sie sehen, dass er eine geraume Weile vollkommen reglos im Sattel sitzen blieb und mit schräg gehaltenem Kopf auf sie herabblickte.

»Du hast dich tapfer geschlagen«, sagte er schließlich. Seine Stimme drang nur verzerrt und dumpf unter dem schweren Topfhelm hervor, der sein Gesicht auch dann vor ihren Blicken verborgen hätte, wäre nicht der grelle Feuerball der Sonne in seinem Rücken gewesen, und dennoch kam sie Robin auf eine sonderbare Weise bekannt vor. Auf eine sonderbar unangenehme Weise.

Sie nickte, wenn auch mit einiger Verspätung, und der Reiter ließ sich mit jenen gleichzeitig bedächtig wie auch irgendwie unaufhaltsam wirkenden Bewegungen aus dem Sattel gleiten, wie sie wirklich starken Männern zu Eigen sind. Er machte einen Schritt zur Seite, sodass Robin jetzt nicht mehr geblendet die Augen zusammenkneifen musste, um ihn anzusehen, hob dann beide Hände an den Kopf und streifte den klobigen Helm ab. Das Gesicht, das darunter zum Vorschein kam, trug die Spuren fast ebenso großer Entbehrungen, wie sie sie in denen der Plünderer gelesen hatte, war aber weitaus beeindruckender und wurde von grauem Haar und einem kurz geschnittenen, ebenfalls grau melierten Bart beherrscht.

Robins Atem stockte, als sie es erkannte. »Bruder ... Dariusz?«, murmelte sie fassungslos.

Der hoch gewachsene, grauhaarige Tempelritter nickte. In seinen Augen erschien etwas, von dem Robin nicht ganz sicher war, ob es sich wirklich um ein Lächeln handelte. »Ich war nicht ganz sicher, ob du mich noch erkennst, Bruder Robin«, sagte er. In ganz leicht verändertem, unangenehmerem Ton fuhr er fort: »Um offen zu sein, war ich auch nicht ganz sicher, was Euch anging. Ihr habt Euch verändert, Bruder. Aber mit dem Schwert könnt Ihr offensichtlich immer noch so gut umgehen wie früher. Wenn nicht besser.«

Er wartete einen Moment lang vergeblich auf eine Antwort, dann runzelte er kurz die Stirn, fuhr sich mit dem schweren Kettenhandschuh müde über das Gesicht und machte aus der gleichen Bewegung heraus eine fragende Geste in Richtung der Plünderer. »Wer ist der Anführer dieser Bande?«

Robin deutete mit einer knappen Kopfbewegung auf Guy, der immer noch auf den Knien lag und die Hände an seinen blutenden Hals presste. Sie musste ihn schwerer verletzt haben, als sie es wollte, denn zwischen seinen Fingern sickerte hellrotes Blut in einem beständigen Strom hervor.

Dariusz winkte zwei seiner Turkopolen heran. »Hinrichten!«, sagte er knapp.

Die beiden Männer wollten sich gehorsam entfernen, um Dariusz’ Befehl auszuführen, doch Robin hielt sie mit einer raschen Geste zurück. »Das ist nicht nötig«, sagte sie hastig.

»Mir ist der Anblick von Anführern solcherart Diebespacks zuwider«, antwortete Dariusz verächtlich, gab den beiden Männern aber zugleich einen Wink, noch einen Moment zu warten. Sein Blick wurde fast lauernd, als er sich wieder zu Robin umdrehte. »Gerade hätte Euch dieser Bursche noch, ohne zu zögern, die Kehle durchgeschnitten, Bruder«, sagte er. »Woher diese plötzliche Sympathie?«

Robin schüttelte heftig den Kopf und bedauerte die Bewegung fast augenblicklich wieder, als sie spürte, wie ihr nur nachlässig gebundener Turban zu verrutschen drohte. Erst jetzt, als sie den ersten Schrecken überwunden hatte, kam ihr zu Bewusstsein, wie gefährlich die Situation war, in der sie sich befand. Möglich, dass das unübersehbare Misstrauen in Dariusz’ Augen einen gänzlich anderen Grund hatte, als sie annahm. Sie kannte Bruder Dariusz nicht nur als fanatischen Tempelritter und gnadenlosen Kämpfer, er war auch Bruder Abbés eingeschworener Feind - und somit ganz automatisch auch der ihre. Wenn er ihr Haar sah, das in den letzten beiden Jahren lang bis über ihre Schultern hinuntergewachsen war, würde er begreifen, was sie wirklich war. Und das wäre ihr sicheres Todesurteil und vermutlich noch nicht einmal nur das ihre.

»Für heute ist schon genug Blut geflossen, meine ich«, sagte sie. »Braucht das Königreich Jerusalem nicht jeden kämpfenden Mann? Nehmt sie mit und gebt ihnen Gelegenheit, sich im Kampf für die Christenheit zu bewähren. Hinrichten könnt Ihr sie immer noch, wenn sie Euch enttäuschen sollten.«

Ein lauernder Ausdruck erschien in Dariusz’ Blick. Unschlüssig sah er abwechselnd die Plünderer, deren Anführer und Robin an, dann rang er sich ein widerwilliges Nicken ab und machte eine entsprechende Geste zu seinen Männern. Mittlerweile waren gute zwei Dutzend Templer von ihren Pferden gestiegen und hatten die Plünderer entwaffnet und bereits sicher ergriffen. Einer nach dem anderen wurden sie nun auf die Knie gezwungen und ihre Hände hinter den Rücken gefesselt. Robin fragte sich, ob sie nicht gerade einen schweren Fehler begangen hatte. Diese Männer waren zweifellos Mörder und Diebe, die keinen Moment zögern würden, einem anderen für ein Stück Brot, eine Silbermünze oder auch nur so die Kehle durchzuschneiden, und wären Dariusz und seine Männer nicht im allerletzten Moment aufgetaucht, dann wäre sie jetzt tot und vermutlich auch eine Menge anderer - und doch sträubte sich etwas in ihr dagegen, einfach tatenlos zuzusehen, wie sie hingerichtet wurden. Es war genau so, wie sie gerade gesagt hatte: Für heute war hier genug Blut geflossen.

Trotzdem hatte sie das Gefühl, ihre Entscheidung noch bedauern zu müssen.

»Ich werde heute Abend besonders inbrünstig zu Gott dem Herrn beten und eine Kerze zum Dank anzünden, Euch lebend wiedergesehen zu haben«, sagte Dariusz, schüttelte dabei aber den Kopf und musterte sie nur mit noch größerem Misstrauen.

»Manchmal lässt der Herr Zeichen und Wunder geschehen. Ich ging davon aus, dass Ihr seinerzeit in der Seeschlacht ertrunken wärt. Wir alle haben das geglaubt.«

Robin rettete sich in ein angedeutetes Schulterzucken. Wollte er ihr eine Falle stellen? Sie überlegte, dass die überzeugendsten Lügen stets die waren, die sich so dicht an der Wahrheit hielten, wie es gerade noch ging. Mit wenigen, betont beiläufigen Worten erzählte sie, wie sie während der Kämpfe über Bord gegangen und später von den Fischern aus genau diesem Dorf hier aus dem Meer gezogen worden war. Wenig später, berichtete sie - und auch das war die Wahrheit, wenigstens bis zu einem gewissen Punkt -, war der Ort von Sklavenhändlern überfallen worden und sie selbst in Gefangenschaft geraten und an einen reichen Tuchhändler verkauft worden. Als ihr neuer Herr dann erkannte, wer sie war, habe er Kontakt zu den Assassinen aufgenommen, von denen bekannt war, dass sie ein Bündnis mit den Tempelrittern hatten, und so sei sie schließlich freigekauft worden.

Dariusz blieb misstrauisch. »Und dann seid Ihr hierher zurückgekommen?«, fragte er, wobei er wenig Zweifel daran ließ, für wie unglaubwürdig er ihre Erklärung hielt. »Nur aus reiner Dankbarkeit, weil diese Heiden Euch das Leben gerettet haben?«

Robin schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht allein hergekommen«, sagte sie. »Es war Sheik Sinan selbst, der mich aus der Sklaverei freigekauft hat.«

»Der Alte vom Berge?«, entfuhr es Dariusz. Es gelang ihm nicht ganz, den sachten Schrecken zu verhehlen, mit dem ihn die Erwähnung dieses Namens erfüllte.

»Seine Burg ist nicht sehr weit entfernt von hier«, bestätigte Robin. »Wir waren auf der Suche nach diesen Männern.« Sie machte eine Kopfbewegung auf die Plünderer. »Leider haben wir wohl in der falschen Richtung gesucht. Aber Gott hat Eure Schritte ja noch im richtigen Moment hierher gelenkt.«

»Ja, Gottes Wege sind manchmal wundersam«, erwiderte Dariusz lauernd. »Wundersam genug, einen einzelnen Ritter sein Leben riskieren zu lassen, nur um ein paar Heiden zu retten. Ihr müsst den Leuten hier wirklich sehr dankbar für Eure Errettung sein, Bruder Robin.«

Abermals schüttelte Robin heftig den Kopf. »Wo immer ein Templer ist, gilt auch das Recht des Tempels«, sagte sie. »Und das Recht des Tempels reicht so weit, wie seine Schwerter reichen.«

Dariusz wirkte überrascht, aber dann begann er zu lachen.

»Bruder Robin, Ihr seid wahrlich der Letzte, von dem ich eine solche Antwort erwartet hätte«, bekannte er. »Mir scheint, Ihr habt Euch sehr verändert, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.«

Er trat einen Schritt zurück, befestigte den Helm am Sattel seines Pferdes und hob in einer raschen, befehlenden Geste die Hand. Überall rings um sie herum begannen Templer und Turkopolen aus den Sätteln zu steigen, Bogenschützen ließen ihre Waffen sinken und steckten die Pfeile in die Köcher zurück, Schwerter wurden eingesteckt, Speere gesenkt. Die Stimmung begann sich spürbar zu entspannen. »Tränkt die Tiere«, befahl er.

»Aber sattelt sie nicht ab. Wir reiten in einer Stunde weiter.«

Robin nutzte die Gelegenheit, sich die Männer in Dariusz’ Begleitung genauer anzusehen. Der Trupp bestand aus sicherlich hundert, wenn nicht mehr Berittenen, und ein überraschend großer Anteil davon trug die Kettenhemden und Wappenröcke der Templer. Sie führten schwer beladene Maultiere und Esel mit sich, und als Robin genauer hinsah, fiel ihr auf, dass es unter der bunt gemischten Begleittruppe der Templer etliche Verletzte gab, Männer mit schmutzigen Verbänden um Kopf und Glieder, einer mit einem geschienten Bein und mindestens zwei oder drei weitere, die sich nur noch mit Mühe im Sattel zu halten schienen. Abgesehen von Dariusz selbst, der schon immer einen fast übertrieben großen Wert auf seine Kleidung und deren Sauberkeit gelegt hatte, wirkten sowohl die Templer als auch die weltlichen Ritter und ihre Waffenknechte kaum weniger heruntergekommen und mitgenommen als das knappe Dutzend Plünderer, das zwischen ihnen im Sand kniete. Sie fragte Dariusz nicht, woher er kam, aber es war klar, dass er und seine kleine Armee Schlimmes hinter sich hatten.

Ihr Blick löste sich von den Tempelrittern und ihren Begleitern und irrte wieder die Düne hinauf. Mehr denn je wünschte sie sich, Salim käme zurück. Aus ihrer anfänglichen Erleichterung, dem schon sicher geglaubten Tod doch noch entkommen zu sein, war längst wieder Sorge geworden, vielleicht sogar so etwas wie Angst. Die Situation war keinen Deut besser geworden, und die Gefahr, in der sie schwebte, vielleicht nicht mehr ganz so unmittelbar, dafür aber eher noch größer. Der grauhaarige Tempelritter hatte gerade den Tod eines Menschen befohlen, einfach nur, weil ihm Anführer zuwider waren; hätte er auch nur eine Ahnung, wer Bruder Robin wirklich war, dann wäre ihr nicht nur der Tod gewiss, sondern auch allen, die um ihr Geheimnis wussten und sie in den letzten Jahren durch ihr Schweigen geschützt hatten. Robin war sicher, dass nicht einmal mehr Salim und sein Vater sie vor dem heiligen Zorn des Tempelritters und seiner Brüder beschützen konnten, sollte ihr Geheimnis jemals aufgedeckt werden.

Und diese Gefahr war entsetzlich groß. Jedermann hier im Dorf wusste, wer sie war. Was sie war. Ein einziges unbedachtes Wort, eine winzige Nachlässigkeit, eine falsche Geste, und alles war vorbei. Vielleicht, dachte sie, sollte sie sich nicht einmal wünschen, dass Salim zurückkam. Er und das halbe Dutzend Assassinen in seiner Begleitung waren dieser kleinen Armee von Templern und ihren Hilfstruppen nicht gewachsen, und doch würde er keine Sekunde zögern, ihr beizustehen, und damit auch sein eigenes Leben verwirken.

Hinter ihr wurden plötzlich aufgeregte Stimmen laut, dann der Lärm eines kurzen, aber heftigen Kampfes. Robin fuhr herum und sah, dass sich Guy und zwei oder drei seiner Begleiter loszureißen versucht hatten. Natürlich hatten die Templer sie sofort niedergerungen, und sie waren dabei offensichtlich nicht übermäßig sanft vorgegangen, denn einer der Plünderer lag reglos am Boden und blutete heftig aus dem Kopf, doch zumindest ihr Anführer bäumte sich noch immer wütend auf und schrie und trat um sich, obwohl er von gleich drei Männern niedergehalten wurde.

Robin warf Dariusz einen raschen Blick zu und registrierte ohne Überraschung, dass der Tempelritter der Szene mit einem leicht amüsierten Lächeln auf den Lippen und einem dafür umso grausameren Lächeln in den Augen folgte. Er sagte auch dann noch nichts, als sich einer der Turkopolen auf Guys Brust kniete und langsam und auf eine fast mechanisch anmutende Weise mit den Fäusten in sein Gesicht zu schlagen begann.

»Hört auf damit!«, rief sie.

Es war unmöglich, dass der Mann ihre Worte nicht gehört hatte. Aber er schlug dem Plünderer trotzdem abwechselnd und mit großer Kraft die rechte und die linke Faust ins Gesicht, und Guys verzweifelte Gegenwehr wurde immer schwächer. Er würde ihn töten, wenn er nur auch noch ein paar Augenblicke so weitermachte. Aber Dariusz rührte immer noch keinen Finger, um ihn zurückzuhalten.

»Aufhören, habe ich gesagt!« Robin war mit zwei, drei schnellen Schritten bei dem Turkopolen, packte seinen zum Schlag erhobenen Arm und riss ihn mit solcher Kraft zurück, dass der Mann das Gleichgewicht verlor und von Guy herunter und auf den Rücken fiel. Mit einem wütenden Knurren und einer unglaublich fließenden Bewegung kam er praktisch sofort wieder auf die Füße und fuhr mit leicht ausgebreiteten Armen herum, wie um sich auf sie zu stürzen. Erst im allerletzten Moment schien er sie zu erkennen und ließ die Arme wieder sinken, wenn auch mit allen Anzeichen von Widerwillen. Robin nahm an, dass er es nur tat, weil er einen entsprechenden Blick von Dariusz aufgefangen hatte, widerstand aber dem Impuls, sich zu dem Templer umzudrehen. Stattdessen wandte sie sich mit einer befehlenden Geste an die drei anderen Turkopolen, die Guy immer noch niederhielten. »Lasst ihn los, habe ich gesagt!«

Wieder vergingen endlose Augenblicke, bevor die Männer reagierten, und diesmal war Robin sicher, dass Dariusz ihnen hinter ihrem Rücken einen entsprechenden Wink gegeben hatte. Sie drehte sich auch jetzt nicht zu ihm um, sondern ließ sich neben dem halb bewusstlosen Plünderer auf ein Knie herabsinken und sah fast besorgt in sein Gesicht. Obwohl es vollkommener Unsinn war, fühlte sie sich irgendwie für das verantwortlich, was ihm zugestoßen war.

»Ist alles in Ordnung mit dir?«, fragte sie.

Sie hatte kaum damit gerechnet, aber der stoppelbärtige Mann drehte mühsam den Kopf und blickte aus blutunterlaufenen Augen zu ihr hoch, von denen eines bereits zuzuschwellen begann.

»O ja, vielen Dank«, presste er hervor. »Ich habe mich selten besser gefühlt, edler Ritter.« Offensichtlich war ihm das, was Dariusz und sie miteinander geredet hatten, nicht verborgen geblieben. In seinen Augen blitzte ein Ausdruck auf, den Robin nicht beschreiben konnte, der ihr aber einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen ließ. »Und das alles habe ich nur dir zu verdanken, du verdammter ...«

Sein Angriff kam selbst für Robin zu schnell. Unbeschadet der Tatsache, dass ihn die Männer halb tot geschlagen hatten, stemmte er sich blitzartig hoch, grub die Hände in Robins Mantel und warf sich mit solcher Kraft auf sie, dass sie nach hinten stürzte und sich plötzlich unter ihm wiederfand. Die Luft wurde ihr aus den Lungen gepresst, und ein grässlicher Schmerz durchzuckte ihren Rücken, als sie genau auf einen Stein fiel.

Dennoch reagierte sie blitzartig: Guy war trotz seines Zustandes noch immer viel stärker als sie, viel schwerer, und die Mischung aus Verzweiflung, Todesangst und blanker Wut, die sie in seinen Augen las, verlieh ihm noch zusätzliche Kräfte. Sie versuchte nicht, sich gegen seinen Angriff zu stemmen, sondern grub ganz im Gegenteil selbst die Hände in den gesteppten Stoff seines Gambeson, zerrte darüber hinaus noch zusätzlich an ihm und wandte Guys eigene Kraft gegen ihn selbst, indem sie blitzartig die Knie anzog und den Schwung seiner eigenen Bewegung benutzte, um ihn über sich hinwegzuschleudern, sodass plötzlich er es war, der mit einem keuchenden Laut und so wuchtig auf dem Rücken landete, dass man meinen konnte, seine Knochen knirschen zu hören.

Robins Hände hielten sein Kleid eisern fest, und sie wurde herum und in die Höhe gewirbelt, und nur einen halben Herzschlag später war sie es, die auf seiner Brust kniete und ihn niederhielt. Ihre Knie pressten ihm die Luft aus den Lungen, und Robin mobilisierte all ihre Kräfte, um seine Schultern gegen den Boden zu drücken. Bisher hatte keiner der anderen Ritter in den Kampf eingegriffen, aber das würde gewiss nicht lange so bleiben. Ganz egal, wie Dariusz persönlich zu ihr stand - er war ein Templer, und wenn er sah, dass ein anderer Templer in Gefahr war, würde er kompromisslos und mit aller Härte eingreifen.

»Hör endlich auf, du verdammter Narr!«, zischte sie, so leise, wie sie es gerade noch für möglich hielt, damit er die Worte überhaupt verstand. »Willst du unbedingt sterben?«

Wie zur Antwort bäumte sich Guy abermals auf, aber Robins Knie pressten seine Rippen weiter unbarmherzig zusammen. Ihre Fäuste verkrampften sich so im Klammergriff um den Kragen seines Gambesons, dass ihre Knöchel ihm zusätzlich den Atem abschnürten. Vielleicht keine sehr ritterliche Art, einen Gegner niederzuhalten, dafür aber eine umso wirkungsvollere. Guy keuchte und schnappte so verzweifelt wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft. In einer schwächlichen Abwehrbewegung hob er die Arme und presste die Hände gegen ihre Brust, um sie von sich herunterzustoßen. Seine Kraft reichte nicht einmal annähernd - aber plötzlich weiteten sich seine Augen, und ein neuer, ungläubig-überraschter Ausdruck trat in seinen Blick.

Robin hatte das Gefühl, die Zeit wäre stehen geblieben, als sie begriff. Guy presste beide Hände gegen das graue Eisengeflecht ihres Kettenhemdes, und trotz des harten Metalls, trotz seiner Erschöpfung und Furcht musste er einfach erkennen, dass das, was er darunter spürte, nicht die gestählte Brust eines Mannes war!

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