5. KAPITEL

Robins Magen knurrte vernehmlich, und der Mann, der neben ihr ging, warf ihr einen raschen, spöttischen Blick zu, in dem sie aber auch eine schwache Spur von Mitgefühl zu erkennen glaubte, das er für den jungen Ritter zu empfinden schien. Sie war ihm sehr dankbar dafür, auch wenn sie so tat, als hätte sie seinen Blick nicht einmal bemerkt. Nach allem, was sie verloren hatte, erschienen ihr solche kleinen Gesten, denen sie zuvor vermutlich nicht einmal Beachtung geschenkt hätte, mit einem Male ungeheuer kostbar. Zugleich war sie zornig auf ihren eigenen Körper, der ihre Schwäche so überdeutlich verriet. Sie war es gewohnt, bis nach Sonnenaufgang zu schlafen, in einem weichen, nach Rosenwasser und anderen kostbaren Essenzen duftenden Bett zu erwachen und eine gedeckte Frühstückstafel vorzufinden, die in ihrer Heimat eines Königs würdig gewesen wäre. Die erste Mahlzeit, die sie an diesem Tag bekommen würde, lag noch Stunden entfernt, und sie würde aus nichts anderem als dem warmen Wasser aus ihren Schläuchen und vielleicht einem Stück Brot und, mit viel Glück, einem schmalen Streifen gesalzenen Fleisches bestehen; gerade genug, um ihren Hunger richtig anzufachen, aber keinesfalls, um ihn zu stillen. Aber das war keineswegs ihre größte Qual. Obwohl der Tag noch nicht einmal begonnen hatte, war sie schon jetzt durstig. Ihre Lippen waren längst spröde geworden und aufgeplatzt, und ihre Kehle fühlte sich so rau und ausgedörrt an wie der Boden, über den sie seit fünf Tagen ritten. Zumindest die Mühe, die Pferde zu satteln, wurde ihnen abgenommen. Ihre Waffenknechte hatten die Tiere bereits fertig aufgezäumt und standen bereit, ihnen in die Sättel zu helfen, und nur wenige Augenblicke später übernahm Bruder Dariusz auf seinem prachtvollen, strahlend weißen Hengst die Führung des Dutzend weiß gekleideter Reiter, das sich wie eine Abteilung zorniger Engel in Richtung des Stadttores in Bewegung setzte, um sich mit dem draußen lagernden Heer zu vereinen. Selbst der kühle Hauch, der sie beim Verlassen des Turms begrüßt hatte, kam ihr mittlerweile stickig und schwül vor; er brachte keine Linderung mehr, sondern erschien ihr jetzt mehr wie eine Drohung, die ihr klarzumachen versuchte, dass der bevorstehende Tag noch heißer werden würde als die zurückliegenden. Zu allem Überfluss wurde ihr wieder übel; wobei es vor allem das wieder war, das ihr zu schaffen machte. In den letzten Tagen hatte sie sich an die Hoffnung geklammert, sich binnen kurzer Zeit an das entbehrungsreiche Leben unter ihren ehemaligen Ordensbrüdern zu gewöhnen, aber ihr Körper hatte sie rasch eines Besseren belehrt.

Statt sich an die Strapazen zu gewöhnen, reagierte er immer heftiger darauf. Der Moment, in dem sie es gar nicht mehr in den Sattel schaffen würde, war abzusehen. Vor allem die ersten ein oder zwei Stunden am Morgen waren schlimm. Manchmal schlug die Schwäche mit solcher Gewalt über ihr zusammen, dass sie sich nur noch mit letzter Kraft auf dem Rücken ihres Pferdes halten konnte, und gestern war ihr vor Erschöpfung so übel geworden, dass sie sich um ein Haar übergeben hätte und den bitteren Geschmack der Galle, die sie heruntergeschluckt hatte, den ganzen Tag über nicht mehr losgeworden war. Wenn sie Safet irgendwann erreichten und es tatsächlich zu der großen Schlacht gegen Saladins Truppen kam, auf die Dariusz so zu brennen schien, dachte sie spöttisch, würde es keiner feindlichen Krieger mehr bedürfen, um sie aus dem Sattel zu werfen.

Sie mussten sich noch eine kleine Weile gedulden, bis auch die letzten Nachzügler eingetroffen waren, aber schließlich brach das kleine Heer auf, um in einen neuen Tag voller Gluthitze und Entbehrungen hineinzureiten. Das Dutzend Templer unter seiner wehenden weiß-roten Fahne bildete wie immer die Spitze des Heereszuges; die Spitze des eigenen Speeres, der auf das Herz von Saladins Heer zielte, wie Bruder Dariusz es ausgedrückt hatte. Robins Meinung nach war es allerdings ein Speer, der mit jedem Tag ein wenig mehr an Durchschlagkraft verlor. Der Sand der Wüste, durch die sie zogen, schmirgelte seine Klinge stumpf, und die endlosen Meilen, die sie Tag für Tag zurücklegten, ließen ihn immer mehr an Schwung verlieren.

Hinter Tyros schwenkten die Reiter nach Osten ab und bewegten sich in Richtung der letzten Ausläufer des Libanongebirges. Es war immer noch dunkel; der silbergraue Streifen, mit dem der neue Tag sein Nahen ankündigte, ließ die schroffen Gipfel und Grate der Berge wie präzise Scherenschnitte erscheinen, spendete darüber hinaus aber kein Licht, sodass alles, was davor lag, nur noch dunkler erschien; ein Meer aus Schwärze, das bereitlag, das kleine Häuflein ebenso unerschrockener wie närrischer Krieger zu verschlingen, das sich anmaßte, es durchqueren zu wollen.

Ohne Vorwarnung und mit solcher Wucht, dass sie sich wie unter einem Hieb krümmte, wurde ihr übel. Robin biss die Zähne zusammen, um ein Stöhnen zu unterdrücken, aber sie sank nach vorn und brach beinahe über dem Hals des Pferdes zusammen, ehe sie sich wieder weit genug in der Gewalt hatte, sich hochzustemmen und - wenn auch deutlich sichtbar hin und her schwankend - gerade im Sattel zu sitzen. Alles drehte sich um sie.

»Ist alles in Ordnung mit Euch, Bruder?«

Es dauerte ein paar Sekunden, bis Robin überhaupt begriff, dass die Worte ihr galten, und mindestens noch einmal so lange, bis ihr Sinn durch den Nebel aus Schwäche und Übelkeit drang, der sich um ihre Gedanken gelegt hatte. Mühsam drehte sie den Kopf und fuhr leicht erschrocken zusammen, als sie in dem Mann, der sie angesprochen hatte, nicht mehr denjenigen ihrer Ordensbrüder erkannte, neben dem sie losgeritten war. Vielmehr hatte Dariusz seinen Platz mit ihm getauscht, ohne dass sie es auch nur gemerkt hatte.

»Sicher«, antwortete sie ganz instinktiv. Mit ihr war alles in Ordnung. Hitze und Kälte jagten abwechselnd und in immer rascherer Folge über ihren Rücken, jeder einzelne Knochen im Leib tat ihr weh, und ihr war noch immer so übel, dass sie Mühe hatte, überhaupt zu antworten, aber sonst war alles in Ordnung mit ihr. Trotzdem fügte sie hinzu: »Warum fragt Ihr?« Und was ist an meiner Befindlichkeit so enorm wichtig, dass Ihr deswegen Euer Schweigegelübde brecht?

»Weil Ihr nicht so ausseht, als wäre alles in Ordnung«, antwortete Dariusz im scharfen Tonfall eines Verweises. »Ihr seht im Gegenteil so aus, als hättet Ihr alle Mühe, Euch im Sattel zu halten, Bruder Robin.«

Es war keine Einbildung, dass er das Wort Bruder auf so sonderbare Weise betonte, dachte Robin schaudernd. Und wenn sie es recht bedachte, war es auch nicht das erste Mal.

Sie sah ihn einen Moment lang prüfend an und hob dann in einer gespielt verständnislosen Bewegung die Schultern. Wenn es etwas gab, was Bruder Abbé in den Jahren ihrer Ausbildung nicht müde geworden war, ihr immer und immer wieder einzuhämmern, dann, dass Angriff die beste Verteidigung war. »Die letzten Tage waren nicht leicht«, sagte sie kühl, »für uns alle. Warum betont Ihr das Bruder so seltsam, Bruder Dariusz?«

Einen Moment lang war sie sicher, den Bogen überspannt zu haben. In Dariusz’ Augen loderte die blanke Wut. Aber er beherrschte sich. Für drei, vier in der Dunkelheit sonderbar lang widerhallende Hufschläge der gemächlich dahintrabenden Pferde sagte er gar nichts, sondern starrte sie nur aus brennenden Augen an, dann drehte er den Kopf und sah für einen Atemzug in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren.

»Weil ich mich zu fragen beginne, ob Ihr es noch seid, Robin«, sagte er leise.

Plötzlich war sie sehr froh, dass es noch zu dunkel war, um Dariusz erkennen zu lassen, wie bleich sie wurde. »Wie ... meint Ihr das?«, fragte sie mühsam.

»Ihr wart lange Zeit auf der Burg der Assassinen, Bruder Robin«, antwortete er. »Ich beginne mich zu fragen, ob es nicht zu lange war.«

»Was soll das heißen?«, fragte Robin scharf. »Ich habe weder meine Gebete noch meine Exerzitien vernachlässigt, wenn Ihr das meint! Ganz im Gegenteil: Es war nur mein fester Glaube an Gott, der mir die Kraft gegeben hat, diese Zeit überhaupt zu überstehen.«

»Das glaube ich Euch gern, Bruder«, antwortete Dariusz unerwartet sanft. Im nächsten Augenblick wurde seine Stimme dafür umso härter. »Ihr seid verweichlicht, Bruder. Als ich Euch im Kampf mit den Plünderern am Strand sah, da war ich beeindruckt von Eurer Fertigkeit mit dem Schwert. Aber ein Schwert zu führen ist nicht alles! Manchmal ist es das Wenigste.« Er schüttelte zornig den Kopf, als Robin etwas sagen wollte. »Nein, unterbrecht mich nicht! Ich beobachte Euch jetzt seit fünf Tagen, und ich fürchte, ich bin nicht der Einzige, dem es auffällt: Seht Euch doch nur selbst an! Ihr sitzt nicht im Sattel wie ein Soldat Gottes, sondern wie ein Mädchen, das zum ersten Mal auf einem Pferd hockt! Die Brüder, die neben Euch schlafen, berichten mir, dass Ihr im Schlaf wimmert und stöhnt! Würden wir jetzt angegriffen, Ihr hättet nicht einmal die Kraft, Euer Schwert zu ziehen, geschweige denn, zu kämpfen!« Er ballte die rechte Hand zur Faust. »Wir sind nicht nur hier, um zu beten und den Heiden den wahren Glauben zu bringen, Bruder Robin! Die Fratres Militiae Templi sind die Faust Gottes! Ich kann und werde nicht zulassen, dass auch nur ein Glied dieser Faust schwach wird!«

Das Schlimme war, dachte Robin, dass er Recht hatte. Sie war schwach. Es hatte eine Zeit gegeben - und sie lag noch gar nicht so lange zurück -, da hätte sie trotz ihrer Jugend und der unwesentlichen Kleinigkeit, dass sie eine Frau war, spielend mit den meisten dieser Männer mitgehalten, aber die letzten Tage hatten ihr klargemacht, was Salim ihr damals am Strand wirklich zu sagen versucht hatte. Sie befand sich in einem erbärmlichen Zustand.

Trotzdem straffte sie demonstrativ die Schultern und funkelte Dariusz herausfordernd an. »Das weiß ich, Bruder«, sagte sie kühl. »Und Ihr habt Recht: Ich bin in keinem guten Zustand. Der Weg macht mir zu schaffen, und es vergeht keine Stunde, in der ich Gott nicht anflehe, ihn endlich enden zu lassen. Aber so wie mir«, fuhr sie mit leicht erhobener Stimme und rascher fort, als Dariusz antworten wollte, »ergeht es mindestens der Hälfte unserer Brüder, und fast allen anderen Männern in unserer Begleitung. Selbst die Faust Gottes kann zerbrechen, wenn man ihr nicht dann und wann eine Erholungspause gönnt.«

»Ihr wünscht Euch eine Rast, Bruder Robin?«, fragte Dariusz spöttisch. »Vielleicht einen Tag in einer schattigen Oase, mit kühlem Wein und frischen Datteln? Oder vermisst Ihr Eure entzückende Dienerin?«

Es fiel Robin schwer, die scharfe Antwort herunterzuschlucken, die ihr auf der Zunge lag. Bedachte sie den strengen Ehrenkodex des Templerordens, waren Dariusz’ Anspielungen in einem Gespräch wie diesem weit mehr als die kleinen Sticheleien, für die ein Außenstehender sie möglicherweise gehalten hätte, sondern eine Ungeheuerlichkeit. Dennoch verzichtete sie auf jede entsprechende Antwort. Vielleicht war es ja ganz gut, wenn sie Dariusz weiter einen Verdacht verfolgen ließ, den er niemals würde beweisen können.

»Ihr habt es selbst gesagt«, antwortete sie, so ruhig sie konnte. »Wir reiten in eine Schlacht. Ich habe noch nie gegen Saladins Truppen gekämpft, aber ich habe von ihnen gehört, und ich habe die Assassinen kämpfen sehen.«

»Ihr fürchtet sie«, vermutete Dariusz.

»Ich respektiere sie«, verbesserte Robin ihn ruhig, »denn ich habe gesehen, wozu diese Männer fähig sind. Ihr wart beeindruckt von meiner Fertigkeit mit dem Schwert? Dann lasst Euch sagen, dass ich eine Menge davon von den Männern gelernt habe, die Ihr so verachtet, Bruder Dariusz. Wir werden die Schlacht verlieren, wenn Ihr die Männer weiter so schindet. Noch ein paar Tage wie die, die hinter uns liegen, und ich bin nicht mehr der Einzige, der nicht mehr die Kraft hat, sein Schwert zu ziehen.«

Sie rechnete mit einem scharfen Verweis, zumal sie so laut gesprochen hatte, dass auch die beiden Männer vor und hinter ihnen ihre Worte gehört haben mussten; und vielleicht nicht nur sie. Umso überraschter war sie, als sich Dariusz’ Gesicht plötzlich immer mehr verdüsterte und er mit leiser, fast um Verständnis bittender Stimme antwortete: »Glaubt Ihr denn, das wüsste ich nicht? Auch ich habe Augen im Kopf. Und glaubt mir, ich weiß, wozu diese heidnischen Teufel fähig sind!«

»Und trotzdem geht Ihr das Risiko ein, mit einem Heer aus halb toten Männern auf Safet zuzupreschen?«, fragte Robin. Der überraschte Ton in ihrer Stimme galt weit mehr Dariusz’ unerwartet sanfter Reaktion als dem, was er gesagt hatte, aber er antwortete trotzdem: »Es ist vor allem eine Frage der Schnelligkeit, Bruder Robin. Ihr seid noch jung, und so trefflich Ihr auch mit dem Schwert umgehen mögt, gibt es doch Dinge, von denen Ihr noch nichts versteht - und es auch nicht müsst.« Robin überhörte den sanften Tadel in seiner Stimme keineswegs, aber sie nickte ihm nur auffordernd zu. »Schlachten werden nicht nur durch das Schwert gewonnen. Manchmal zählen Schnelligkeit und Taktik mehr als die Anzahl der Krieger. Auch Saladin zieht seine Truppen vor Safet zusammen. Es ist von enormer Wichtigkeit, dass wir vor ihm dort sind.«

»Auch wenn die Hälfte der Männer mehr tot als lebendig dort ankommt?«, fragte Robin.

»Gott wird uns die nötige Kraft geben«, versicherte Dariusz. Robin hätte gern über diese Worte gelacht, aber Dariusz sprach mit der Eindringlichkeit von jemandem, der tatsächlich an das glaubte, was er sagte. Mit einem angedeuteten Lächeln fügte er hinzu: »Und je eher wir dort sind, desto eher können die Männer rasten. Und Ihr auch, Bruder Robin.« Und damit ließ er die Zügel knallen und setzte sich wieder an die Spitze der kleinen Kolonne.

Robin sah ihm ebenso verwirrt wie beunruhigt nach. So erleichtert sie war, Dariusz’ Misstrauen zumindest für den Moment anscheinend zerstreut zu haben, so sehr beunruhigte sie die bloße Tatsache, dass sie dieses Gespräch überhaupt geführt hatten. Dariusz nahm es mit den Regeln des Ordens sehr genau; und vor allem mit denen, die er selbst aufgestellt hatte. Er hatte sein Schweigegelübde nicht gebrochen, um sich mit einem kleinen Schwätzchen die Zeit zu vertreiben.

Aber warum dann?

Robin zerbrach sich eine Weile den Kopf über diese Frage und fand so wenig eine Antwort darauf wie auf so viele andere. Schließlich verscheuchte sie den Gedanken und sah wieder zu dem Streifen blasssilberner Helligkeit hin, der im Osten heraufdämmerte. Er war weder heller noch merklich breiter geworden, allenfalls, dass sich ein zarter Hauch von Rosa hineingemischt hatte. Seltsam - sie war sicher gewesen, dass ihr Gespräch mit Bruder Dariusz viel länger gedauert hatte, aber es konnten in Wahrheit nur wenige Augenblicke gewesen sein.

Sie schüttelte auch diesen Gedanken ab, fuhr sich mit der Zungenspitze über die rissigen, aufgeplatzten Lippen und versuchte in Gedanken abzuschätzen, wie lange es noch bis Sonnenaufgang war; vermutlich eine Stunde, wenn nicht mehr. Dariusz ließ die Truppe nicht jeden Tag zur selben Stunde losziehen, sondern machte den Zeitpunkt ihres Aufbruches abhängig von der Strecke, die das Heer bis zu seinem nächsten sicheren Lagerplatz zurücklegen musste. Am vergangenen Abend hatte ihnen Dariusz sogar gesagt, wie viele Meilen heute vor ihnen lagen, aber Robin hatte die Zahl vergessen; wie so vieles.

Bis die Sonne wirklich aufging, verging noch beinahe eine Stunde, und eine weitere, bis sie das erste Mal anhielten, um ein karges Frühstück einzunehmen: lauwarmes schales Wasser aus ihren Schläuchen, eine Hand voll Dörrobst, mit dem sie nicht gerechnet hatte, und ein schmaler Streifen gesalzenen Fleisches, das ihren Hunger nicht stillte, ihrem Durst aber neue Nahrung gab. Sie widerstand nur mit Mühe dem Wunsch, mehr zu trinken. Schon eine Stunde nach Sonnenaufgang war es unerträglich heiß, und der Tag war noch lang und ihre Wasservorräte begrenzt. Nach einer viel zu kurzen Rast befahl Dariusz ihnen, wieder aufzusitzen, und sie setzten ihren Weg nach Osten fort.

Sie durchquerten ein sanftes Hügelland, aus dem einzelne graubraune Felsriffe aufragten. Im Norden sah man die Gipfel der höheren Berge, doch bereits hier machten Hügel und Talsenken das Land unübersichtlich. Es gab viele kleine Bäche, zum Teil nur schmale Rinnsale in Betten aus Felstrümmern, an deren Ufern üppiges Grün wuchs und an denen man Pappeln und dichtes Buschwerk, aber auch hohes Gras fand, wie Robin es noch nie gesehen hatte. Immer wieder sahen sie kleine Herden aus Schafen oder Ziegen über die Hügel ziehen, ohne dass sie allerdings auch nur eine Spur ihrer Hirten gewahrten, die vermutlich vor dem heranziehenden Heer geflohen waren.

Die Templer ritten schweigend. Dariusz klopfte sich ständig den Staub aus seinem weißen Umhang, während die anderen Ritter in dieser Beziehung etwas großzügiger waren. Das Weiß ihrer Mäntel und Wappenröcke strahlte schon längst nicht mehr so wie am Morgen; und nicht mehr annähernd so sehr wie an dem Tag, an dem sich Robin Dariusz und seinen Begleitern angeschlossen hatte. Den Rittern folgten leicht bewaffnete Reiter, die lediglich einen Gambeson und Hosen aus Leinen trugen. Einige wenige hatten Helme, die meist nach orientalischer Art mit einem Tuch umwickelt waren; eine kleine Eigenmächtigkeit der Männer, die ganz gewiss nicht Dariusz’ Beifall fand, die Hitze unter den Helmen aber wahrscheinlich ein bisschen erträglicher machte. Die meisten Männer waren mit Schwertern und Bögen bewaffnet, nur einige wenige besaßen zusätzlich auch einen Speer. Ihre Gambesons waren von einem schmutzigen Weiß, mit einem roten Tatzenkreuz über dem Herzen.

Auch ein Trupp Ritter in bunten Waffenröcken und mit langen, tropfenförmigen Schilden hatte sich ihnen beim Aufbruch in Tyros angeschlossen. Sie sangen und lachten und hielten alles andere als eine feste Marschordnung. Der Unterschied zu den schweigsamen Templern war so gewaltig, wie er nur sein konnte.

Schon lange vor der Mittagsstunde flimmerte die Luft über dem Hügelland vor Hitze, und Robin kämpfte wieder gegen die Übelkeit. Streng genommen hätte es heißen müssen: immer noch. Sie war nie vollkommen verschwunden, sondern hatte die ganze Zeit am Rande ihrer Empfindungen gelauert wie ein geduldiges, lautloses Raubtier, das auf seine Chance wartet, sie anzuspringen, um sie in einem Moment der Schwäche oder auch nur der Unaufmerksamkeit zu überwältigen. Robin würde ihr diese Gelegenheit nicht geben, aber allein ihre Anwesenheit bereitete ihr immer größere Sorgen. Während der beinahe zwei Jahre, die sie auf Sheik Sinans Burg gelebt hatte, hatte sie weit mehr gelernt als nur die Kampfkunst der Assassinen. Gerade von Saila hatte sie viel über den menschlichen Körper und seine Funktion gelernt, und so war ihr auf beunruhigende Weise klar, was mit ihr geschah: Sie war nicht nur am Ende ihrer Kräfte, sie lief Gefahr, unter ihrer schweren Kleidung und dem zentnerschweren Kettenhemd einen Hitzschlag zu erleiden - was sie zweifellos in äußerste Bedrängnis bringen würde. Wenn sie aus dem Sattel fiel oder gar das Bewusstsein verlor, bestand durchaus die Gefahr, dass ihre Brüder ihr die Rüstung auszogen, um ihr Linderung zu verschaffen, und dann ...

Nein, daran wollte sie lieber nicht denken.

Zur Mittagsstunde machte der Trupp Rast bei einer Ruine, die auf einem schroffen Hügelkamm lag. Robin fiel mehr aus dem Sattel, als sie vom Pferd glitt, und taumelte halb blind in den nächstbesten Schatten. Erschöpft sank sie zu Boden und griff mit zitternden Händen nach ihrem Wasserschlauch.

Sie hatte ihn kaum an die Lippen gesetzt, als Dariusz vor ihr auftauchte. »Ihr seid an der Reihe, Wache zu halten«, sagte er knapp. »Ihr seid Bruder Rother zugeteilt.«

Robin sah müde zu dem grauhaarigen Tempelritter hoch. Dariusz stand mit dem Rücken zur Sonne, sodass sie heftig blinzeln musste und den Ausdruck auf seinem Gesicht trotzdem nicht erkennen konnte. Seine Stimme jedenfalls war frei von jeglicher Emotion. Dennoch war sie ziemlich sicher, dass sie jetzt die Quittung für ihre despektierlichen Worte vom Morgen bekam.

Sie ersparte sich jede Antwort, sondern stemmte sich stattdessen mühsam wieder in die Höhe. Dariusz streckte die Hand aus, um ihr aufzuhelfen, aber Robin spürte die Falle im letzten Moment und stemmte sich aus eigener Kraft auf die Beine. Prompt wurde ihr wieder schwindelig, aber sie biss die Zähne zusammen, antwortete nur mit einem knappen Nicken und wandte sich mit einer erschöpften Bewegung zu dem schlanken Ritter um, der neben Dariusz stand.

Bruder Rother konnte nicht viel älter als Salim sein, auch wenn ein Leben voller Entbehrungen und Leid deutliche Spuren in seinem Gesicht hinterlassen hatte. Aber er hatte freundliche Augen, deren unerschütterliche Lebensfreude selbst die Jahre im Weiß und Rot des Templergewandes nicht vollkommen hatten auslöschen können. Sein Blick schien Robin etwas signalisieren zu wollen, was sie nicht verstand, worauf sie aber trotzdem reagierte: Ohne ein weiteres Wort in Dariusz’ Richtung wandte sie sich um und ging mit schleppenden Schritten in Richtung der Ruine los, auf die der Templer gedeutet hatte.

»Ihr müsst durstig sein, Bruder«, sagte Rother - leise und erst, nachdem sie sich zuverlässig aus Dariusz’ Hörweite entfernt hatten. Er hielt ihr seinen Wasserschlauch hin, und Robin unterdrückte im letzten Moment den Impuls, danach zu greifen. Sie waren aus Dariusz’ Hör-, aber bestimmt nicht aus seiner Sichtweite, und der Umstand, dass sie selbst vor lauter Erschöpfung einfach vergessen hatte, ihren eigenen Wasserschlauch mitzunehmen, war ihr einfach peinlich. Gerade nach dem Gespräch, das sie am Morgen mit Dariusz geführt hatte, wollte sie sich in seiner Gegenwart nicht mehr das mindeste Zeichen von Schwäche erlauben.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, wiederholte Rother sein Angebot nicht. Der Rhythmus seiner Schritte änderte sich, und Robin glaubte zuerst, er würde schneller gehen, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Trotzdem hatte sie immer noch Mühe, mit ihm Schritt zu halten, und als sie endlich die Ruine erreichten und sich im Schutz des kümmerlichen Schattens zusammenkauerten, den die abbröckelnden Mauern warfen, war sie dem Zusammenbruch nahe.

»Hier.« Rother hielt ihr den Wasserschlauch hin und machte ein ärgerliches Gesicht, als Robin immer noch zögerte, danach zu greifen. »Nehmt schon. Bruder Dariusz sieht es nicht. Und ich werde es ihm nicht sagen.«

Robin zögerte - vollkommen widersinnigerweise - noch einmal, aber dann griff sie mit beiden Händen zu, riss Rother den Schlauch regelrecht aus den Fingern und trank so gierig, dass ihr das Wasser am Kinn hinablief und auf ihr Gewand tropfte. Die ersten Schlucke schienen ihren Durst eher noch anzustacheln, und sie trank fast noch schneller weiter, achtete aber jetzt darauf, nichts mehr von dem kostbaren Nass zu verschwenden. Trotzdem war Rothers Schlauch mehr als zur Hälfte geleert, als sie ihn endlich absetzte und mit schlechtem Gewissen zurückgab. »Danke«, seufzte sie. »Ich hatte das Gefühl zu verdursten.«

»Was nicht zu übersehen war.« Rother machte Anstalten, seinen Schlauch wieder zu verschließen, deutete aber dann nur ein Schulterzucken an, forderte Robin mit einer entsprechenden Geste auf, mit den Händen eine Schale zu formen, und goss ihr das lauwarme Wasser hinein, als sie gehorchte. Robin schöpfte sich das Wasser ins Gesicht und rieb sich den Rest in den Nacken und auf die Schläfen. Es tat unglaublich gut.

»Danke«, sagte sie noch einmal.

»Ihr hattet es nötig«, antwortete Rother.

»Das stimmt - aber jetzt habt Ihr kein Wasser mehr«, sagte Robin mit einer Kopfbewegung auf Rothers Schlauch, der nun tatsächlich so gut wie leer war, »und die heißesten Stunden des Tages stehen uns erst noch bevor.«

»Das ist nicht das Problem«, antwortete Rother mit einer wegwerfenden Handbewegung. »An Wasser herrscht hier kein Mangel.«

»Aber Bruder Dariusz will nicht, dass wir unsere Schläuche auffüllen«, sagte Robin. Das entsprach der Wahrheit. Dariusz bestand darauf, dass sie mit dem Vorrat an Wasser auskamen, den sie in ihren Schläuchen mit sich führten; gleich, ob sie nun durch glühende Wüste oder durch nasses Sumpfland ritten. Zweifellos hatte er seine Gründe dafür, aber Robin argwöhnte, dass sie nicht die Einzige war, die das einfach nur als unnötige Schikane betrachtete.

»Bruder Dariusz«, antwortete Rother ruhig, aber betont, »ist ein Leuteschinder.« Er lächelte knapp. »Und er ist weit weg.« Vorsichtshalber warf er einen raschen Blick über die Schulter zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren, wie um sich im Nachhinein davon zu überzeugen, dass seine Worte auch den Tatsachen entsprachen; eine winzige Geste, die ihn Robin schlagartig noch sympathischer werden ließ. »Wenigstens weit genug. Ich fülle meinen Schlauch auf, bevor wir zu den anderen zurückgehen - vorausgesetzt, Ihr verratet mich nicht«, fügte er mit einem übertrieben verschwörerischen Blinzeln hinzu.

»Ich denke darüber nach«, sagte Robin.

Rother lachte, nicht einmal besonders laut, aber es war ein so ehrliches, befreites Lachen, dass Robin nicht anders konnte, als darin einzustimmen. Es war das erste Mal, seit sie das Fischerdorf verlassen hatte, und ihr wurde auch sofort wieder schmerzlich bewusst, warum sie sich das Lachen selbst verboten hatte. Sie rettete sich in einen nicht einmal vollkommen geschauspielerten Husten und ballte die rechte Hand vor dem Gesicht, aber der Schaden war möglicherweise schon angerichtet. Rother lächelte weiter, aber in seinen Augen erschien plötzlich ein neuer Ausdruck, der Robin einen eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ.

»Ist auch wirklich alles in Ordnung mit Euch?«, fragte er.

»Ja.« Robin nickte mühsam und verfluchte sich in Gedanken für das geschauspielerte Husten, zu dem sie Zuflucht gesucht hatte und das sich mittlerweile zu einem echten Hustenanfall gesteigert hatte. »Ich bin einfach nur ...«

»Erschöpft?«, schlug Rother vor, als sie den Satz nicht zu Ende brachte, sondern abermals in ein qualvolles Husten ausbrach. Er nickte. »So wie wir alle.«

»Ich falle Euch zur Last, nicht wahr?«, murmelte Robin.

»Wie alt seid Ihr, Robin?«, fragte Rother, statt ihre Frage zumindest der Höflichkeit halber zu verneinen.

»Ich weiß es nicht genau«, gestand Robin - was der Wahrheit entsprach. Zeit hatte in dem kleinen friesischen Dorf, in dem sie geboren und aufgewachsen war, nicht annähernd eine so große Rolle gespielt wie hier; vielleicht, weil die Zeit eben dieses Dorf auch fast vergessen hatte. Es war ihr peinlich, das zuzugeben, aber Rother schien keinen sonderlichen Anstoß daran zu nehmen; vielleicht, weil es auf der anderen Seite auch nicht so außergewöhnlich war.

»Auf jeden Fall noch sehr jung«, fuhr er mit einem neuerlichen, angedeuteten Lächeln fort. Auch dazu sagte Robin vorsichtshalber nichts, obwohl sie es gekonnt hätte. Der dunkelhaarige Tempelritter konnte nicht sehr viel älter sein als sie. Allenfalls in Salims Alter, wenn überhaupt. »Man erzählt sich, Ihr hättet die letzten beiden Jahre in der Gefangenschaft der Assassinen verbracht?«

Robin überlegte sich ihre Antwort sehr genau, und allein um Zeit zu gewinnen, fuhr sie sich mehrmals mit der Zungenspitze über die Lippen, die noch immer rissig und aufgeplatzt, zum ersten Mal seit Tagen aber nicht mehr so rau wie sonnenverbrannter Stein waren. Schweigegelübde hin oder her - natürlich war ihr klar, dass die Männer hinter ihrem Rücken über sie redeten. Sie wusste bloß nicht, was. Ganz instinktiv wollte sie Rother vertrauen, einfach seiner kleinen, menschlichen Geste von gerade wegen, und weil er ihr sympathisch war, doch sie war schon zu oft auf ein freundliches Gesicht und ein zuvorkommendes Wort hereingefallen, um sich einem Fremden öffnen zu können. »Ich war bei den Assassinen«, antwortete sie ausweichend.

»Aber nicht als ihr Gefangener?«, vermutete Rother.

Wieder richtete sich Robin ein wenig auf, drehte sich halb um und deutete in die Richtung zurück, in der Dariusz und die anderen Ritter in gut einhundert Schritten Entfernung lagerten, und wieder diente diese Geste einzig dem Zweck, Zeit zu gewinnen.

»Ihr wisst, dass ich zusammen mit Bruder Dariusz in dieses Land gekommen bin, Bruder Rother?«

Der Templer antwortete mit einer Mischung aus einem Nicken und einem Kopfschütteln. »Rother reicht«, erklärte er lächelnd.

»Dann habt Ihr vielleicht auch davon gehört, dass wir von Piraten überfallen worden sind«, fuhr Robin fort, die eine Hälfte seiner Bewegung als Zustimmung deutend. »Es ist eine lange Geschichte, aber sie läuft darauf hinaus, dass ich in Gefangenschaft geriet und als Sklave verkauft wurde. Der Herr der Assassinen hat mich freigekauft, und vielleicht bin ich tatsächlich noch so etwas wie sein Sklave. Immerhin hat er den Preis für mich bezahlt. Aber behandelt haben sie mich wie einen Gast.«

»Ihr wart auf seiner Burg?« Rothers Augen wurden groß.

»Auf der Burg des Alten vom Berge?«

Robin gemahnte sich innerlich zu noch größerer Vorsicht.

»Ja«, sagte sie. »Aber bevor Ihr fragt Bru ... Rother«, korrigierte sie sich rasch. »Ich habe nichts von all den Wundern und himmlischen Freuden gesehen, die es dort angeblich geben soll. Aber auch nichts von den Schrecken der Hölle. Vielleicht hat man mir nicht alles gezeigt, doch soweit ich es erlebt habe, ist es nichts als eine ganz normale Burg. Wenn auch die gewaltigste, die ich jemals zu Gesicht bekommen habe.«

»Dann habt Ihr Akkon noch nicht gesehen«, gab Rother zurück. »Oder Kerak. Aber das ist nicht der Punkt ... Ihr wart fast zwei Jahre lang Gefangener der Assassinen, und auch wenn sie Euch als Gast behandelt haben, so seid Ihr doch in diesen zwei Jahren nicht mit uns geritten. Was Dariusz von Euch verlangt, ist unmöglich.«

Robin wollte widersprechen, aber Rother schnitt ihr mit einer raschen Bewegung das Wort ab und sah noch einmal über die Schulter zurück, bevor er weitersprach. »Ich habe gehört, was Ihr heute Morgen zu Dariusz gesagt habt, Robin. Und nicht nur ich. Wir alle haben es gehört.«

»Oh«, machte Robin betroffen. Sie sah Rother fast ängstlich an, aber der junge Tempelritter schüttelte nur abermals den Kopf und zwang ein rasches, beruhigendes Lächeln auf seine Lippen, das seine Wirkung zwar hoffnungslos verfehlte, dessen gute Absicht Robin aber spürte. »Ihr habt Recht, Robin«, sagte er.

Robin blinzelte. »Wie?«

»Ihr seid nicht der Einzige hier, der so denkt«, bestätigte Rother. Seine Stimme wurde eine Spur leiser und unsicherer.

»Bruder Dariusz verlangt Unmögliches, nicht nur von Euch. Wir haben noch Tage vor uns, und das schlimmste Stück erwartet uns erst noch. Wenn es so weitergeht, wird die Hälfte der Männer sterben, bevor wir Safet auch nur erreichen.«

»Und warum sagt ihm das niemand?«, fragte Robin.

»Weil keiner von uns den Mut hatte, so mit ihm zu sprechen wie Ihr, Robin«, antwortete Rother.

»Mut?«, wiederholte Robin mit einem dünnen, schmerzerfüllten Lächeln. »Ich glaube, es war eher Dummheit.«

»Manchmal liegt beides dicht beieinander«, widersprach Rother. »Und manchmal entscheidet erst der Ausgang einer Geschichte, ob eine Tat unglaublich mutig oder unglaublich dumm war.«

Robin setzte zwar zu einer Antwort an, besann sich aber dann eines Besseren. Sie war mittlerweile fast sicher, Rother vertrauen zu können, aber eben nur fast. Robin war weit davon entfernt, sich bereits damit abgefunden zu haben, Salim zu verlieren, aber sie konnte - und wollte - keine Gefühle mehr investieren; nicht in einen Menschen, nicht in das Schicksal, nicht einmal in sich selbst. Sie schwieg nur und rettete sich schließlich in ein neuerliches, nur angedeutetes Achselzucken, als Rother sie weiter fragend ansah.

Der junge Tempelritter wirkte enttäuscht, aber er sagte nichts mehr, und er versuchte auch nicht, weiter in sie zu dringen, sondern stützte die flachen Hände auf die Oberschenkel und stemmte sich ächzend in die Höhe. Robin wollte es ihm gleichtun, aber Rother winkte ab. »Bleibt hier im Schatten sitzen und ruht Euch noch ein wenig aus. Dieser Landstrich ist sicher. Es wäre wahrscheinlich nicht einmal notwendig, Wachen aufzustellen. Ich kann auf uns beide aufpassen.«

»Ihr habt schon genug für mich riskiert«, wandte Robin ein.

»Dann kommt es auf eine Kleinigkeit mehr oder weniger ja nicht an«, erwiderte Rother lächelnd. »Aber wenn es Euer Gewissen erleichtert, könnt Ihr mich gerne später ablösen. Ich gebe Euch Bescheid. Und keine Sorge«, fügte er augenzwinkernd hinzu, »ich werde Euch warnen, wenn Bruder Dariusz oder einer der anderen herkommt. Ich huste einfach zweimal.«

Robin warf ihm noch einen kurzen, dankbaren Blick zu, dann ließ sie Kopf und Schultern wieder gegen den rauen Stein der Wand sinken und schloss die Augen, während Rother sich endgültig umwandte und zum anderen Ende des verfallenen Gebäudes ging. Dahinter erstreckte sich eine trostlose, rotbraune Einöde, nur gelegentlich von einem Flecken kränklichen Grüns oder verdorrten Brauns gesprenkelt, und darüber ein schon fast unnatürlich blauer Himmel, der so makellos war, dass schon die bloße Vorstellung, es hätte hier jemals eine Wolke vorbeiziehen können, geradezu absurd erschien.

Robin versuchte sich zu entspannen, gleichzeitig aber auch sorgsam darauf acht zu geben, dass sie nicht etwa einschlief und auf diese Weise Rothers Warnung überhörte, was schlechterdings unmöglich war. Sie schlief nicht ein, aber sie fand natürlich auch keine wirkliche Ruhe. Gerade, als sie die Ruine betreten hatten, war es ihr im Schatten kühl und angenehm vorgekommen, fast schon kalt, aber nun begann sie die Hitze, die sich unter ihrem Kleid, dem schweren Kettenhemd und dem rot-weißen Wappenrock angestaut hatte, immer qualvoller zu spüren. Obwohl sie reglos dasaß und sich darauf konzentrierte, möglichst ruhig ein- und wieder auszuatmen, begann ihr Herz wieder zu klopfen, und auch ihre alte Freundin, die Übelkeit, war wieder da. Sie war nicht schlimm, und das würde sie auch nicht werden, solange sie sich nicht bewegte, aber sie hielt an; gerade intensiv genug, um sich in Erinnerung zu bringen.

Was hatte Rother gesagt? Das schwerste Stück liegt erst vor uns? Robin versuchte sich vorzustellen, was denn noch schlimmer werden könnte, aber es gelang ihr nicht. Auch wenn es zweifellos nicht an ihrer mangelnden Fantasie lag, sondern eher daran, dass sie es sich nicht vorstellen wollte.

Ihre Glieder wurden schwer. Plötzlich fand sie die Hitze, die ihr noch vor einem Moment den Atem genommen hatte, als wohltuend wie die Umschließung unsichtbarer, schützender Arme, und sie konnte selbst spüren, wie ihre Gedanken langsamer und träger wurden. Sie spürte auch die Gefahr, doch plötzlich erschien es ihr als viel zu mühsam - und warum auch? -, dagegen anzukämpfen. Selbst die Vorstellung, Dariusz könne unvermittelt neben ihr auftauchen und sie schlafend während der Wache vorfinden, schreckte sie in diesem Moment nicht mehr wirklich (auch wenn ein Dutzend Stockschläge auf den nackten Rücken zu Dariusz’ bevorzugten Strafen gehörte, was unzweifelhaft bedeuten würde, dass man sie vorher ausziehen und so ihrer blanken Brust ansichtig werden würde - eine Katastrophe, die ihren und den Tod aller Eingeweihten zur Folge haben musste). Unbeschadet von allem, was sie sich in den zurückliegenden Tagen immer und immer wieder selbst eingeredet hatte, hatte ein Teil von ihr bereits resigniert. Ihr Verstand klammerte sich noch immer an das Versprechen, das sie Saila gegeben hatte, und ersann einen verwegenen Fluchtplan nach dem anderen, den sie ebenso schnell auch wieder verwarf, und ein kleiner Teil von ihr war trotz Erschöpfung, Müdigkeit und Mutlosigkeit stets hellwach und hielt nach der besten Gelegenheit Ausschau, sich zu entfernen und die Flucht zu ergreifen, aber da war noch ein anderer, leiserer und stillerer Teil, der längst aufgegeben hatte.

Es war die reine Logik, die ihr sagte, wie vollkommen unmöglich eine Flucht war. Obwohl es eigentlich gar nicht ging, ließ Dariusz sie nicht eine Minute des Tages aus den Augen, und des Nachts war sie zusammen mit einem Dutzend Männer in einem Raum eingesperrt, in dem schon ein Husten oder eine unvorsichtige Bewegung ausreichte, sie alle zu wecken - ganz davon abgesehen, dass vor der Tür stets eine Wache postiert war - und selbst, wenn sie das Unmögliche möglich gemacht hätte und irgendwie entkommen wäre ... Dariusz würde wortwörtlich Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um ihrer wieder habhaft zu werden. Sie wusste nicht, warum, aber sie spürte ganz genau, dass er selbst seinen Heerzug nach Safet abbrechen würde, um sie wieder einzufangen. Eine einzelne Frau, in einem von Krieg, fremden Besatzern, Räubern und plündernden Banden heimgesuchten Land würde keine fünf Stunden überleben, geschweige denn fünf Tage. Nein, sie musste auf eine Gelegenheit warten, bei der Dariusz und die anderen hinlänglich und für mehr als nur ein paar Minuten abgelenkt waren, und mit jeder Meile, die sie sich weiter nach Osten bewegten, erschien es ihr unwahrscheinlicher, dass sich eine solche Gelegenheit überhaupt noch ergeben könnte.

Salims Gesicht tauchte vor ihr auf. Seine dunklen Augen schienen ihr zuversichtlich zuzulächeln, aber sie verscheuchte das Bild fast erschrocken, riss die Augen auf und straffte fast trotzig die Schultern. Man hätte meinen können, dass ihr der Gedanke an Salim Kraft gab, aber das genaue Gegenteil war der Fall. Wenn sie an ihn dachte, schloss sich eine kalte Hand aus Furcht um ihr Herz. Furcht um ihn. Salim würde schwerlich die Hände in den Schoß legen und gar nichts tun, aber gerade das war es, was ihr Angst machte.

Mit einem Male hatte sie das Gefühl, die Untätigkeit nicht mehr auszuhalten. Obwohl ihr jede Bewegung noch immer große Mühe abverlangte, hatte ihr die kurze Erholungspause doch spürbar gut getan. Ihre Knie zitterten leicht, als sie aufstand und zu Rother hinüberging, aber zumindest die Übelkeit war größtenteils verflogen.

Der junge Tempelritter hatte die Arme vor der Brust verschränkt und lehnte in nachlässiger Haltung an einem Mauerrest, hinter dem der Hügel wie abgeschnitten aufhörte und gute sechs oder acht Meter weit senkrecht in die Tiefe stürzte. Er wirkte nicht besonders aufmerksam, sondern schien im Gegenteil eher mit offenen Augen vor sich hinzudösen, aber mehr war nach Robins Meinung auch nicht nötig. Wenn sie jemals einen Platz gesehen hatte, der sich nicht für einen Hinterhalt eignete, dann diesen. Von der Kuppe des Hügels aus fiel ihr Blick über Meilen ungehindert über das weite Land mit seinen ausgedörrten Hügelrücken und den fruchtbaren, flachen Tälern. Ab und zu gewahrte Robin zwar eine Bewegung, aber es waren nur die üblichen Herden, deren Hirten sich vor dem näher kommenden Heer versteckt hatten. Nur ein Stück unterhalb ihres improvisierten Aussichtsturms suchte sich ein schmales Rinnsal seinen Weg zwischen Felsen und verbranntem Erdreich hindurch, und der bloße Anblick allein reichte schon, Robins Durst erneut zu wecken.

»Warum nutzt Ihr die Gelegenheit nicht und ruht Euch noch ein wenig aus?«, fragte Rother. Er wirkte fast verärgert, auf jeden Fall aber ertappt; möglicherweise hatte er tatsächlich stehend und mit offenen Augen geschlafen, eine Fähigkeit, die viele ihrer ehemaligen Ordensbrüder im Laufe der Jahre zu wahrer Meisterschaft entwickelt hatten.

»Ihr habt schon ...« Robin verbesserte sich: »DU hast schon genug für mich getan, Rother. Und Dariusz würde nur misstrauisch, wenn ich zu ausgeruht von der Wache zurückkehre.«

Rother sah sie an, als wisse er nicht genau, was er von diesen Worten zu halten habe, hob aber dann nur die Schultern und löste sich mit einem leisen Seufzen von seinem Halt. Er nahm die Arme herunter, während er sich umdrehte und aus eng zusammengekniffenen Augen zu Dariusz und den anderen Rittern zurücksah. »Wenn du schon einmal da bist ...«

»Ja?«

Rother deutete mit einer Kopfbewegung auf den Wasserschlauch zu seinen Füßen, und Robin verstand. »Geh ihn ruhig auffüllen«, sagte sie. »Ich halte inzwischen Wache.«

Der junge Tempelritter lächelte flüchtig, als hätte sie einen guten Scherz zum Besten gegeben, bückte sich nach dem Schlauch und begann mit erstaunlichem Geschick die nahezu lotrechte Abbruchkante hinunterzuklettern. Robin folgte seinen Bewegungen aufmerksam, drehte sich zwischendurch aber auch immer wieder um und sah zu Dariusz und dem Rest des Heeres zurück. Die Hand voll Templer lagerte ein Stück abseits der Haupttruppe. Die meisten Männer hatten sich erschöpft zu Boden sinken lassen und redeten leise miteinander; etliche stierten auch einfach nur ins Leere oder hatten versucht, sich unauffällig in den kümmerlichen Schatten zu setzen, den ihre eigenen Pferde warfen.

Robin fragte sich, warum Dariusz die Hand voll Männer nicht alle hier auf die Ruine geführt hatte. Das winzige Geviert aus zerfallenen Steinen war zwar nicht groß, doch die Schatten hätten gereicht, ihnen wenigstens die Illusion von Linderung zu vermitteln. Er gewann nichts, wenn er seine Männer dort draußen ungeschützt in der Gluthitze lagern ließ. Vielleicht war es einfach wieder eine seiner verrückten Übungen, mit denen er die Krieger abzuhärten meinte. Je länger sie über den hochrangigen Tempelritter nachdachte, desto weniger verstand sie, warum er so war, wie er war. Dariusz war gewiss kein guter Mensch, er war niemand, dessen Nähe sie gesucht oder dessen Freundschaft sie auch nur gewollt hätte, aber er war auch kein Dummkopf. Robin hatte es nie endgültig herausgefunden - es hatte sie auch nicht wirklich interessiert -, aber sie wusste, dass Dariusz in der komplizierten Hierarchie des Ordens noch ein gutes Stück über ihrem Mentor Abbé rangierte, und er wäre nicht so schnell und weit aufgestiegen, wäre er nichts weiter als ein einfältiger Leuteschinder.

Dennoch war ihr schon auf dem Schiff während der Überfahrt von Genua aus aufgefallen, wie unbarmherzig er seine Leute antrieb und was für übermenschliche Ansprüche er an sie stellte. Der Fairness halber musste sie zugeben, dass Dariusz bei sich selbst keine anderen Maßstäbe anlegte oder wenn, dann allenfalls noch strengere. Aber das machte es eher schlimmer. Auch er musste mit seinen Kräften längst am Ende sein. Sie verstand längst nicht mehr, was ihn antrieb und warum er immer mehr und mehr von sich und den Seinen verlangte, obwohl ihm sein Verstand ganz zweifellos sagen musste, dass Willenskraft und Entschlossenheit allein nicht ausreichten, eine Schlacht zu gewinnen, wenn der Arm einfach nicht mehr die Kraft hatte, das Schwert zu führen. Und was sie gerade in Rothers Augen gelesen und zwischen seinen Worten gehört hatte, ließ sie zu der Überzeugung kommen, dass sie mit ihrer Einschätzung nicht allein war.

Nachdem sie sicher war, dass niemand zu ihnen kommen würde und sie auch vor Dariusz’ neugierigen Blicken halbwegs geschützt waren, wandte sie sich um und sah zu Rother hinab. Der Ritter hatte den halb ausgetrockneten Bachlauf mittlerweile erreicht und war auf ein Knie gesunken, um seinen Wasserschlauch zu füllen. Er drehte langsam den Kopf nach links und rechts und wieder zurück, um seine Umgebung dabei aufmerksam zu studieren, und irgendetwas schien dabei sein Misstrauen zu erregen. Sorgfältig füllte er seinen Schlauch und legte ihn neben sich auf den Boden, schöpfte sich dann ein paar Hand voll Wasser ins Gesicht und stand auf, kehrte aber nicht sofort zurück, sondern drehte sich noch einmal langsam um sich selbst, wobei Robin selbst auf die große Entfernung erkennen konnte, wie misstrauisch und aufmerksam sein Blick den Boden abtastete. Schließlich entfernte er sich ein paar Schritte, kniete erneut nieder und fuhr mit den Fingerspitzen über das ausgedörrte Braun und Ocker der Erde. Dann hob er den Kopf und blickte fast eine Minute lang reglos nach Osten.

Robin fragte sich, ob er etwas entdeckt hatte, und wenn ja, was. Auch sie sah in die entsprechende Richtung, aber das Bild hatte sich nicht geändert: Hier und da graste eine Ziege, und in vielleicht zwei oder drei Meilen Entfernung trottete eine einsame Schafherde dahin, und nahezu am Horizont, gerade an der Grenze der Entfernung, ihn überhaupt noch sehen zu können, schwebte ein dunkler Punkt am Himmel; vielleicht ein einsamer Falke, dessen scharfes Auge die Wüste unter ihm nach Beute absuchte.

Endlich wandte sich Rother um, hob seinen Schlauch auf und kam zurück. Am Fuße des Felsabsturzes blieb er stehen, warf Robin den Schlauch zu - sie fing ihn geschickt auf, aber er war so prall gefüllt und unerwartet schwer, dass sie einen Schritt zurücktaumelte und ihre liebe Mühe hatte, nicht zu stürzen - und begann dann mit einem Geschick, das in Robin ein heftiges Gefühl absurden Neids hervorrief, die Wand wieder heraufzuklettern.

»Hast du irgendetwas ... entdeckt?«, fragte Robin zögernd. Rothers Gesicht hatte einen beunruhigend ernsten Ausdruck angenommen.

Er griff nach seinem Schlauch, warf ihn sich mit einer geschickten Bewegung über die Schulter und drehte sich in dieselbe Richtung, in die er gerade so gebannt geblickt hatte, bevor er antwortete. »Ich bin nicht sicher«, sagte er, mehr zu sich selbst gewandt als wirklich an Robin. »Da ... waren Spuren.«

»Reiter?«, fragte Robin beunruhigt.

Wieder vergingen etliche Augenblicke, bevor Rother antwortete. »Ja. Aber sie könnten alt sein. Einen Tag oder auch zwei.« Er hob fast hilflos die Schultern, eine Bewegung, die durch den prall gefüllten Schlauch auf seinem Rücken sonderbar unbeholfen wirkte. »Ich bin nicht besonders gut im Spurenlesen, um ehrlich zu sein.«

»Aber hier ist doch nichts«, antwortete Robin nervös. »Ich meine: Niemand könnte sich hier ...«

»Die Sarazenen sind Meister im Verstecken und Anschleichen«, unterbrach sie Rother. Sein Blick tastete misstrauisch über das Muster aus Braun und blassem Grün, das sich unter ihnen ausbreitete wie ein zu groß geratener Flickenteppich. »Zwischen diesen Dünen kann sich eine ganze Armee verstecken.« Er warf Robin einen flüchtigen Blick zu, wie um sich davon zu überzeugen, dass sie seine Worte auch verstanden hatte, dann wandte er sich wieder nach Osten, und seine Hand deutete auf die Schafherde, die Robin gerade schon beobachtet hatte; über die große Entfernung hinweg waren es nicht mehr als einige Dutzend heller Punkte, die immer wieder mit dem fleckigen Braun der Wüste zu verschmelzen schienen oder manchmal auch wie aus dem Nichts daraus auftauchten. »Man muss die Herden beobachten«, fuhr Rother fort, noch leiser und jetzt in einem Ton, von dem Robin nicht mehr sagen konnte, ob er nachdenklich, besorgt oder vielleicht schon alarmiert klang. »Wenn sie die Hänge hinauf fliehen, könnte das ein Hinweis sein.«

So wie diese Herde?, dachte Robin unbehaglich. Die Tiere waren gerade ein Stückchen zu weit weg, als dass sie sicher sein konnte. Aber gerade, als sie schon einmal zu ihnen hingesehen hatte, waren sie ihr irgendwie ... ruhiger erschienen.

»Siehst du die Staubwolke dort hinten?«, fragte Rother plötzlich. Seine Hand deutete jetzt auf einen Punkt ein kleines Stückchen links neben der Schafherde. Robin strengte ihre Augen an, und tatsächlich, da war etwas - aber sie konnte beim besten Willen nicht sagen, ob es tatsächlich die Staubwolke war, für die Rother es zu halten schien, oder nur das Flimmern heißer Luft über dem Sand.

»Besser, wir sagen Dariusz Bescheid«, entschied Rother.

Nebeneinander verließen sie die Ruine wieder und kehrten zu den anderen Rittern zurück. Als Robin aus den Schatten heraustrat, war es wie ein Schlag. Die Hitze schien sich verdoppelt zu haben, und sie hatte das Gefühl, geradewegs in einen Backofen hineinzutreten. Augenblicklich brach ihr der Schweiß aus, und ihre Hände begannen zu zittern. Die Gestalten der anderen Tempelritter und ihrer Pferde schienen sich in weiße Schemen aufzulösen, die sich in eine Richtung zu bewegen versuchten, die es gar nicht gab. Ihr Herz hämmerte, als sie die Reiter erreichten und Dariusz sich mit einer fließenden Bewegung erhob, um ihnen entgegenzutreten.

»Was ist geschehen?«, fragte er unwillig. »Wieso verlasst ihr euren Posten?«

Rother setzte zu einer Antwort an, aber Dariusz schnitt ihm mit einer herrischen Geste das Wort ab, bevor er auch nur einen Ton herausbringen konnte. Sein Gesicht verfinsterte sich noch weiter, während sein Blick über den gefüllten Schlauch über Rothers Schulter tastete und schließlich - für Robins Geschmack gerade einen Moment zu lange - an den dunklen Wasserflecken auf seinem Gewand hängen blieb.

»Ihr habt Wasser gefunden, wie ich sehe«, sagte er.

»Ein kleiner Bach, nicht weit von hier«, bestätigte Rother.

»Und dabei ...«

Abermals brachte Dariusz ihn mit einer zornigen Handbewegung zum Schweigen. Ohne ein weiteres Wort trat er auf Rother zu, nahm ihm den Schlauch von der Schulter und goss das Wasser langsam vor seinen Füßen aus. Es versickerte so schnell, dass der Sand sich nicht einmal richtig dunkel färbte.

»Jetzt berichtet«, sagte er kühl.

Rother starrte den leeren Schlauch vor seinen Stiefelspitzen einen Herzschlag lang finster an, doch als er wieder zu Dariusz aufsah, war ihm nicht mehr die geringste Regung anzusehen.

»Ich habe Spuren gefunden«, sagte er ruhig, »nur ein kleines Stück hinter der Ruine. Reiter. Zwei, vielleicht drei. Aber ich kann nicht sagen, ob sie frisch sind.«

»Und eine Staubwolke«, fügte Robin hinzu. »Im Osten.«

»Eine Staubwolke, so«, wiederholte Dariusz. »Mehr nicht?«

Robin tauschte einen unsicheren Blick mit Rother. »Es könnte immerhin bedeuten ...«, begann sie, wurde aber ebenfalls und fast sofort von Dariusz unterbrochen: »Ich weiß sehr wohl, was es bedeuten könnte, Bruder Robin. Aber das muss es nicht, oder?« Ganz offensichtlich erwartete er keine Antwort auf seine Frage, denn er fuhr mit einem Kopf schütteln und praktisch sofort fort: »Dieser Landstrich ist sicher. Alles, was es hier gibt, sind ein paar Banden von Räubern und Halsabschneidern. Sie müssten verrückt sein, sich mit uns anzulegen.«

»Vielleicht sollten wir trotzdem Späher vorausschicken«, schlug Robin vor.

»Was für eine hervorragende Idee«, antwortete Dariusz sarkastisch. »Abgesehen von der Kleinigkeit, dass es der sichere Tod dieser Männer wäre, sollten dort vorne tatsächlich Saladins Truppen auf uns warten.« Er schüttelte noch einmal und heftiger den Kopf. »Sollen wir uns wie ein Haufen jammernder Feiglinge benehmen, nur weil dort vorne vielleicht ein Dutzend Plünderer auf uns wartet?«

»Ein Dutzend Plünderer«, widersprach Robin, »würde es wohl kaum wagen, einem Heer wie dem unseren aufzulauern.«

Dariusz’ Augen wurden fast schwarz vor Wut, als er sich vollends zu Robin umdrehte, aber seine Stimme klang überraschend ruhig, als er antwortete: »Vorausgesetzt, sie sind sich darüber im Klaren, mit wem sie es zu tun haben, ja.«

Im allerersten Moment verstand Robin nicht, was er damit meinte - ging sein Fanatismus mittlerweile schon so weit, dass er sich einbildete, Gott hätte ihre Gegner allesamt mit Blindheit geschlagen? -, aber dann drehte sie sich in dieselbe Richtung, in die sein ausgestreckter Arm deutete.

Die Templer hatten auf der Kuppe des Hügels Halt gemacht, unweit der Ruine, die ihnen gerade als Aussichtspunkt gedient hatte, der Großteil des Heeres aber an seinem gegenseitigen Fuß; bestimmt zwei- oder dreihundert Schritte entfernt. Für jeden, der sie aus sicherer Entfernung beobachtete, musste es tatsächlich aussehen, als handele es sich lediglich um ein kleines Grüppchen versprengter Ritter, ein Dutzend Männer, das sich durch die glühende Mittagshitze schleppte und ein leichtes Opfer für jeden entschlossenen Gegner abgab. Und ganz plötzlich war Robin fast sicher, dass auch das kein Zufall war. Bruder Dariusz fürchtete einen Überfall nicht nur nicht - eher suchte er den Kampf und schien alles in seiner Macht Stehende zu tun, um ihn zu provozieren.

»Aber gut, Bruder Robin«, fuhr Dariusz fort, nunmehr in eindeutig spöttischem Ton und mit ganz leicht erhobener Stimme, gerade genug, um sicherzugehen, dass auch alle anderen Ritter seine Worte hörten. »Wenn Ihr so sehr einen Hinterhalt fürchtet, dann wäre es fahrlässig, sich nicht darauf vorzubereiten. Macht euch kampfbereit!« Die drei letzten Worte hatte er mit lauterer Stimme gerufen.

Während sich die Ritter, ohne zu murren, und schnell, dennoch aber mit erschöpft wirkenden, mühsamen Bewegungen erhoben und noch mühevoller in die Sättel ihrer Pferde stiegen, wandte sich Dariusz mit einer befehlenden Geste an Rother.

»Kehrt zu den anderen zurück«, befahl er. »Die Männer sollen uns in einigem Abstand folgen. Aber ich will nicht, dass man sie sieht.«

Rother eilte davon, und auch Robin wandte sich um und ging mit hängenden Schultern zu ihrem Pferd. Es schnaubte protestierend, als sie sich in den Sattel hinaufzog, wie um sich über die viel zu kurze Rast zu beschweren, und als sie den schweren Topfhelm überstülpte, hatte sie im ersten Moment das Gefühl, ersticken zu müssen. Die Hitze war grausam, und ihr eigener Atem, den sie unter dem Helm einatmete, roch so schlecht, dass ihr allein davon übel wurde.

Dariusz stieg als Letzter in den Sattel, befestigte mit einer raschen Bewegung den großen, dreieckigen Schild mit dem roten Tatzenkreuz der Templer am linken Arm und schloss die rechte Faust um seine Lanze, an deren Ende der weiß-rote Wimpel mit dem Symbol des Ordens flatterte. Ohne ein weiteres Wort sprengten sie los und verfielen fast sofort in scharfes Tempo. Robin wandte mühsam den Kopf und sah, dass eines der Pferde zurückgeblieben war. Ihr Tempo nahm noch zu, als sie die gegenüberliegende Flanke des Hügels herabsprengten und jetzt direkt auf die Staubwolke weit vor ihnen Kurs nahmen. Robin gab die ohnehin nicht sehr realistische Hoffnung auf, dass es eine vollkommen harmlose Bedeutung für die Staubwolke geben könnte.

Dafür begann sie allmählich ernsthaft an Dariusz’ Verstand zu zweifeln. Wenn der Templer tatsächlich annahm, dass dort vorne zwischen den Dünen mehr als eine Herde versprengter Schafe war, die ein bisschen Staub aufwirbelten, so musste er sich und seine Begleiter wohl als Köder ansehen, der den Feind aus dem Versteck hervorlocken und binden sollte, bis die Hauptmacht heran war. Doch was nützte ein Köder, wenn die Falle, zu der er gehörte, noch gar nicht aufgestellt war? Rother würde endlose Minuten brauchen, um das Lager des Hauptheeres zu erreichen und Dariusz’ Befehle zu überbringen, und es würde noch einmal und noch länger dauern, bevor sich die Männer in Bewegung setzten und ihnen folgten, und das noch dazu deutlich langsamer als sie selbst. Robin maßte sich nicht an, irgendetwas von Strategie oder Kriegsführung zu verstehen, - aber das, was Dariusz nun tat, hatte nichts mit einem von beidem zu tun. Es war reine Tollkühnheit; allerdings jene ganz besondere Art von Tollkühnheit, durch die Schlachten nicht gewonnen wurden, sondern im Allgemeinen in einer Katastrophe endeten und über die auch keine Heldenlieder gesungen oder Geschichten am Lagerfeuer erzählt wurden.

Nachdem sie den Hügel hinter sich gebracht hatten und ihnen das Gefälle noch mehr Schwung verlieh, fielen die Tiere in einen schnellen, gleichmäßigen Galopp. Der Boden begann unter den Hufen der Pferde zu dröhnen, und die Luft war vom aufgewirbelten Staub erfüllt, den sie wie eine gewaltige Schleppe hinter sich herzogen. Der kleine Trupp überquerte zwei weitere felsige Hügel und sprengte durch einen Bach, dessen Wasser bis zu den Oberkörpern der Reiter hinaufspritzte. Robin hatte mit dem Gegenteil gerechnet, aber ihre Übelkeit war verflogen, und so absurd ihr das selbst beinahe vorkommen mochte, spürte sie, wie neue Kraft ihre Glieder durchströmte und sich eine sonderbare, fast erschreckende Zuversicht in ihr breit zu machen begann. Vielleicht war es dasselbe, was sie schon am Morgen gestört hatte: eine fast schon euphorische Stimmung, die sie glauben ließ, ihre Feinde auf jeden Fall besiegen zu können, und die sie wegen ihrer Absurdität erschreckte, ohne aber verhindern zu können, dass sie selbst davon mitgerissen wurde. Tatsächlich galt ihre einzige Sorge in diesen Augenblicken der Frage, ob ihre Pferde, die ebenso erschöpft und ausgelaugt sein mussten wie ihre Reiter, die Kraft für eine längere Verfolgung aufbringen würden.

Während sie auf die allmählich deutlicher erkennbare Staubwolke zusprengten und es mehr oder weniger den Pferden überließen, ihren Weg auf dem mittlerweile von Steinen und Geröll übersäten Boden zu finden, fühlte sich Robin fast nicht mehr wie sie selbst, sondern nur noch als Teil dieses gewaltigen, unsichtbaren Heeres, dem nichts auf der Welt standhalten konnte. Das Donnern der Hufe, das Klirren der Waffen, die wehenden weißen Umhänge der Männer, all das riss sie einfach mit. Vielleicht war die Zeit, die sie in Abbés Komturei verbracht hatte, doch nicht so spurlos an ihr vorübergegangen, wie sie bisher gemeint hatte. Sie hatte ihr Leben gedanklich zumindest damals der Aufgabe gewidmet, ein Ritter zu werden, und sie hatte dieses Ziel gegen alle Vernunft, gegen jede Logik und gegen alle noch so gewaltigen und unverbindlich erscheinenden Hindernisse erreicht, und nun lag ihre erste richtige Schlacht vor ihr. Das Massaker auf der Sankt Christophorus während der Hinfahrt in dieses Land unglaublicher Gegensätze, in der bittere Armut und verschwenderischer Luxus, Grausamkeit und Großherzigkeit oft erschreckend nah beieinander lagen, hatte sie niemals als ein solches gewertet - vielleicht, weil es so gar nicht ihren Vorstellungen eines ritterlichen Kampfes entsprochen hatte, und auch den Überfall auf die Sklavenkarawane hatte sie nur als nahezu unbeteiligtes, wehrloses Opfer miterlebt. Nun würde sie dem Gewand, das sie trug, zum ersten Mal wirklich Ehre machen können.

Sie überquerten einen weiteren Hügel, danach schwenkte die ganze Kolonne scharf nach links durch einen gut fünffach mannshohen Spalt zwischen den Felsen, und als die Wände wieder vor ihnen zurückwichen, lag ein lang gestrecktes, schmales Tal vor ihnen, zwischen dessen grün gewachsenen Flanken sich die Häuser eines kleinen Dorfes erhoben. Ganz flüchtig empfand Robin so etwas wie ein sachtes Bedauern, den Krieg nun auch in dieses kleine Dorf zu tragen, dann sah sie genauer hin und erkannte, dass er es bereits erreicht hatte.

Aus etlichen der kleinen, braun verputzten Häusern aus unterschiedlich großen Bruchsteinen schlugen Flammen. Was sie von weitem für eine Staubwolke gehalten hatte, war Rauch, der Rauch eines Feuers, das nur deshalb noch nicht den gesamten Ort verzehrt hatte, weil es in den einfachen Steinbauten und ihrer Einrichtung nicht genug Nahrung fand. Große Rußflocken trieben ihnen entgegen wie schwarzer Schnee aus den Abgründen der Hölle. Es stank nach brennendem Holz und Öl, nach verschmortem Haar und anderen, schlimmeren Dingen, die sie nicht identifizieren wollte (obwohl etwas in ihr es sehr wohl tat), und trotz des Trommelns der Pferdehufe, das von den Wänden des schmalen Tales zurückgeworfen und noch verstärkt zu werden schien, glaubte sie ein fernes Weinen und Wehklagen zu hören, vielleicht das Wimmern eines Kindes.

Ohne langsamer zu werden, sprengte der Trupp zwischen den Häusern dahin. Nirgendwo war ein Zeichen von Leben zu sehen.

Vor der gemauerten Ölpresse, die sich in der Mitte des Dorfes erhob, lag ein erschlagener Esel unter seinem Joch, und nur wenig dahinter entdeckte sie drei tote, große Hunde, die mit Pfeilen niedergestreckt worden waren, als wäre, wer immer dieses Dorf angegriffen und niedergebrannt hatte, in Raserei verfallen, die es ihm unmöglich gemacht hätte, auch nur eine Spur von Leben zurückzulassen.

Doch dann wurden das Wehklagen und die Schreie lauter, und plötzlich senkte Dariusz, der noch immer an der Spitze des kleinen Heeres dahinpreschte, seinen Speer und deutete auf eine einfache Moschee, die das letzte Gebäude des Ortes war und kein Minarett, wohl aber die typische, halbrunde Kuppel auf dem Dach hatte. Jemand hatte ein großes Holzkreuz auf dieser Kuppel errichtet und vermutlich damit das Todesurteil über das Dorf und all seine Bewohner gesprochen. Das Kreuz war noch vorhanden, aber es stand in hellen Flammen, und auch aus dem Inneren des kleinen Gebäudes drang schwarzer, fettiger Rauch, in dem es dann und wann dunkelrot zuckte und drohend aufblitzte. Robins Herz zog sich zusammen, als ihr Verstand ihr sagte, dass nichts und niemand in dieser Kirche überlebt haben konnte, aber die Schreie kamen eindeutig von dort.

Erst als sie fast heran war, entdeckte sie die Frau, die an der Wand der ausgebrannten Moschee lehnte. Ihr Gesicht war blutüberströmt. Schleier und Kopftuch waren heruntergerissen, und aus ihrer Schulter ragte der Schaft eines abgebrochenen Pfeils. Ein in blutgetränkte Tücher gewickeltes, regloses Kind lag in ihren Armen. Als sie die heransprengenden Ritter gewahrte, versuchte sie sich kraftlos aufzurichten, aber es gelang ihr nicht. Zitternd sank sie abermals zurück und stieß einen schrillen, gepeinigten Schrei aus, deutete aber zugleich mit den Armen auf das jenseitige Ende des Tales. Robins Blick folgte der Geste, und für einen winzigen Moment glaubte sie wehende Mäntel, Turbane und bunte Burnusse nach Art der Heidenkrieger zu erkennen, dann waren sie verschwunden, aufgesogen von dem wirbelnden Staub, der ihren Weg markierte.

Sie war nicht die Einzige, die die Männer gesehen hatte. Dariusz’ Lanze stieß mit einer befehlenden Geste nach vorne.

»Tötet sie alle!«, schrie er. »Gott will es!«

Noch einmal schneller werdend, setzten die Ritter den fliehenden Sarazenen nach. Auch Robin beugte sich tiefer über den Hals ihres Pferdes und versuchte, es noch einmal zu größerer Schnelligkeit anzuspornen. Als sie an der brennenden Moschee vorbeikam, brach die junge Frau endgültig zusammen. Das leblose Bündel entglitt ihren Armen und rollte über den Boden, und ihr Kopf schlug schwer gegen den harten Stein des Türrahmens. Der schwarze Rauch, der aus dem Inneren des Gebäudes drang, griff wie eine riesige Hand nach ihrem Gesicht, und Robins Herz zog sich zu einem harten Ball aus Eis zusammen. Sie lenkte ihr Pferd ein winziges Stück zur Seite, wie um möglichst weit an der sterbenden Frau und ihrem toten Kind vorüberzugaloppieren, und ein Gefühl von Kälte und Entschlossenheit machte sich in ihr breit, das sie selbst erschreckte. Wenn schon nicht wegen allem anderen, was hier geschehen war, so würde sie die feigen Mörder allein um ihretwillen büßen lassen.

»Gott will es!«, schrie Dariusz noch einmal, und diesmal stimmten alle anderen Ritter in seinen Schlachtruf ein. Rasch fielen die Häuser des geschändeten Dorfes hinter ihnen zurück, und im gleichen Maße schien der Abstand zwischen den Templern und der braungrauen Staubwolke, die noch immer das Ende des Tales verhüllte, zusammenzuschrumpfen. Wenn die Sarazenen überhaupt vor ihnen flohen - und Robin war plötzlich gar nicht mehr so sicher, dass es tatsächlich so war -, dann nicht besonders schnell.

Dann hatten sie die Staubwolke erreicht und waren hindurch, und Robin hätte um ein Haar aufgeschrien, als sie die Feinde erblickte. Sie begriff sofort, dass sie nicht auf einen Teil von Saladins Heer gestoßen waren, sondern dass Dariusz Recht gehabt hatte: Es war nicht mehr als eine Bande von Plünderern. Allerdings eine Bande von erschreckender Größe.

Die Zahl der Männer, die größtenteils auf kleinen, sonderbar zierlich wirkenden Pferden oder auch Maultieren saßen, musste die ihres gesamten Heeres erreichen, wenn nicht übertreffen. Kaum einer von ihnen trug eine Rüstung, einen Helm oder auch nur einen Schild, doch so weit Robin das erkennen konnte, waren sie ausnahmslos - und ausnahmslos gut! - bewaffnet, und viele von ihnen führten zusätzliche Packpferde und Mulis mit sich, deren Sättel schwer von der Last der erbeuteten Nahrungsmittel, Kleider und anderer Schätze waren. Sie bewegten sich schnell - sogar schneller als sie. Der Staub hatte sich hier, zwischen den Felsen am schmalen Ausgang des Tales, gefangen und so den Eindruck erweckt, dass der Trupp nicht nennenswert von der Stelle käme, aber ihr Abstand war mittlerweile noch weiter angewachsen, und vor ihnen lag nun ein weites, nahezu ebenes Gelände, in dem sie das überlegende Tempo ihrer schlanken Tiere noch besser ausspielen konnten.

Dariusz schien das wohl im gleichen Moment zu begreifen wie sie, denn er ließ zum dritten Mal sein fanatisches Gott will es! erschallen und versuchte zugleich, sein Pferd zu noch größerer Schnelligkeit anzutreiben, doch es gelang ihm nicht, so wenig wie irgendeinem der anderen Ritter. Die Tiere waren an den Grenzen ihrer Kraft angelangt. Robin verfluchte Dariusz dafür, die Reiter auf dem Weg hierher so angetrieben zu haben, dass die Pferde bereits erschöpft waren, noch bevor sie den Feind stellen konnten, aber aller Zorn half ihr in diesem Moment nicht. Der Abstand zwischen den Sarazenen und den Rittern auf ihren großen, schwerfälligen Schlachtrössern wuchs unerbittlich weiter.

Schließlich hob Dariusz seine Lanze und gab damit das Zeichen, die sinnlos gewordene Verfolgung abzubrechen. In diesem Moment geschah etwas Überraschendes, das sich allem Anschein nach nicht nur Robin im ersten Moment nicht erklären konnte: Der Hauptteil der Sarazenen hielt weiter und in scharfem Tempo auf das offene Land zu, aber mindestens anderthalb oder zwei Dutzend von ihnen schwenkten plötzlich nach rechts und links weg und begann in einem großen Bogen wieder auf sie zuzureiten. Dariusz wirkte irritiert. Sie konnte sein Gesicht unter dem Helm nicht erkennen, aber sein Kopf bewegte sich immer hektischer von rechts nach links und wieder zurück, während er versuchte, die beiden etwa gleich großen Reitertrupps gleichzeitig im Auge zu behalten.

Einer nach dem anderen hielten die Templer an. Auch Robin starrte die nur langsam näher kommenden Sarazenen an und fragte sich vergeblich nach dem Sinn dieses Manövers. Der gesamte feindliche Trupp wäre ihnen mit Sicherheit überlegen gewesen, aber zwei Dutzend Sarazenen ohne Rüstung oder gar Schilde gegen zwölf schwer gepanzerte Tempelritter auf ihren riesigen Schlachtrössern, das wäre kein fairer Kampf, sondern der pure Selbstmord.

Doch die Sarazenen hatten auch nicht vor, sich zum Kampf zu stellen. Jedenfalls nicht auf die Art, die Dariusz erwartet zu haben schien. Als sie auf vielleicht fünfzig Schritte heran waren, beschleunigten sie ihre Pferde wieder und sprengten plötzlich auf sie zu, schwenkten dann aber im letzten Moment nach rechts und links, und erst jetzt gewahrte Robin die kurzen, geschwungenen Bögen, die die Männer in den Händen hielten.

Ihre Reaktion wäre um ein Haar zu spät gekommen. Im buchstäblich allerletzten Moment riss Robin den Schild in die Höhe und duckte sich dahinter. Ein harter Schlag traf ihren linken Arm und ließ sie im Sattel wanken, dann schrammte ein zweiter Pfeil an ihrer Brust entlang und verletzte sie nur deshalb nicht, weil er in einem Winkel aufgeprallt war, in dem ihn das engmaschige Eisengeflecht des Kettenhemdes ablenkte.

Der Ritter neben ihr hatte weniger Glück. Zufall oder nicht - auch er wurde von zwei Pfeilen nahezu gleichzeitig getroffen. Wie Robin wehrte auch er das erste Geschoss mit seinem Schild ab, der andere Pfeil aber bohrte sich tief in den Hals seines Pferdes. Der Hengst stieg mit einem schrillen Schmerzensschrei in die Höhe, schlug mit den Vorderhufen aus und brach dann zusammen. Sein Reiter konnte sich im letzten Moment zur Seite werfen, um nicht unter dem stürzenden Pferd begraben zu werden.

Dann waren die Sarazenen vorbei. Robin beobachtete mit einer Mischung aus Entsetzen und widerwilliger Bewunderung, wie sich zwei der Männer trotz des rasenden Galopps im Sattel umdrehten und auf die nahezu wehrlosen Ritter schossen. Sie sah nicht, ob sie trafen oder nicht, doch was sie sah, reichte aus, ihr einen Schauer des blanken Entsetzens über den Rücken laufen zu lassen.

Der Reiter neben ihr war nicht der Einzige, der getroffen worden war. Mindestens vier oder fünf Pferde lagen am Boden und wanden sich vor Qual oder rührten sich gar nicht mehr, und der Reiter, der den Abschluss der kleinen Kolonne gebildet hatte, war nach vorne gesunken und hing reglos über dem Hals seines Pferdes. Der gefiederte Schaft eines Pfeils ragte aus seinem Rücken.

Und es war noch nicht vorbei. Noch während die Templer versuchten, ihren Schrecken zu überwinden und sich zu einer neuen, engeren Schlachtformation aufzustellen, machten die beiden Reitertrupps hinter ihnen kehrt und sprengten erneut und womöglich noch schneller heran.

Diesmal waren die Templer vorbereitet - aber es nutzte ihnen nichts. Keiner der Männer wurde getroffen, denn sie duckten sich geschickt hinter ihre großen Schilde oder wurden von ihren schweren Rüstungen geschützt, aber Robin begriff plötzlich und mit kaltem Entsetzen, dass die Angreifer auch gar nicht auf sie und ihre Ordensbrüder zielten. Vielmehr schossen sie auf ihre Pferde, und ihre Pfeile trafen ihr Ziel mit schon fast unheimlicher Präzision. Als die Reiter das zweite Mal an ihnen vorübergaloppiert waren, waren Robin, Dariusz und ein weiterer Ritter die Einzigen, die noch im Sattel saßen. Alle anderen Pferde waren zusammengebrochen, und mehr als eines hatte seinen Reiter dabei unter sich begraben.

Die Luft war so voller Staub, dass Robin unter dem schweren Helm kaum noch atmen konnte und qualvoll zu husten begann. Sie sah nichts mehr als wirbelnden Staub und ein Chaos aus reiner Bewegung. Irgendetwas traf ihre Seite, hart genug, um ihr auch noch das allerletzte bisschen Luft aus den Lungen zu pressen, aber nicht hart genug, um sie aus dem Sattel zu werfen.

Robin hustete noch einmal und noch qualvoller, riss sich den schweren Helm vom Kopf und rang fast verzweifelt nach Luft. Im ersten Moment schien es nichts zu nutzen. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und ihr Herz hämmerte immer schneller. Wäre sie in diesem Moment angegriffen worden, sie wäre vollkommen hilflos gewesen.

Aber niemand griff sie an. Der Reitertrupp hatte in einiger Entfernung angehalten und wieder kehrtgemacht, eine doppelte Reihe lautloser schwarzer Gespenster, die mit dem braungrauen Staub zu verschmelzen schienen, als hätte die Wüste selbst dämonische Gestalt angenommen, um die Eindringlinge zu vernichten, aber die Männer zögerten aus einem unerklärlichen Grund, ein drittes Mal anzugreifen und ihren Gegnern endgültig den Todesstoß zu versetzen. Mit ziemlicher Sicherheit, dachte Robin bitter, war der nächste Angriff ihr Ende. Die Männer würden sich nicht auf einen Nahkampf einlassen, den sie verlieren mussten, sondern sie aus sicherer Entfernung mit ihren Bögen erledigen.

Nur, dass sie es nicht taten.

Загрузка...