8. KAPITEL


Die Chance, auf die sie gewartet hatte, kam eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang. Sie hatten trotz allem ein scharfes Tempo vorgelegt und einen deutlich größeren Teil der Strecke nach Safet zurückgelegt, als Robin auch nur zu hoffen gewagt hätte - oder zu fürchten, je nachdem. Rother ritt mittlerweile wieder fast direkt neben ihr, und sie hatten seit dem verunglückten Beginn ihres Gespräches am Morgen keine drei Sätze mehr miteinander gewechselt. Robin behielt den jungen Tempelritter dennoch aufmerksam im Auge, und so war ihr nicht entgangen, dass er sich schon seit einer geraumen Weile immer unbehaglicher im Sattel hin und her bewegte. Schließlich ließ er sein Pferd anhalten und deutete mit einer Kopfbewegung nach rechts. Links und hinter ihnen erstreckte sich das Land flach und nahezu vollkommen eben bis zum Horizont, rechterhand jedoch erhoben sich gleichförmige, gelbbraune Sanddünen, die gute fünf oder auch sechs Meter hoch sein mussten. Dahinter erhoben sich die Kämme weiterer, höherer Dünen, und dahinter wiederum höhere, eine zu Sand erstarrte Brandung, die vom Landesinneren kommend gegen die Ebene anrannte und sie vielleicht in gar nicht allzu ferner Zukunft verschlingen würde.

»Ich fürchte, ich muss kurz hinter dieser Düne verschwinden«, begann er unbehaglich, »um ...«

»Dann hast du heute Morgen wohl mehr getrunken, als du ausschwitzen konntest«, bemerkte Robin. »Ich verstehe. Geh ruhig. Ich halte so lange dein Pferd.« Sie streckte auffordernd die Hand aus und schickte gleichzeitig ein stummes Stoßgebet zum Himmel, dass Rother ihr ihre Erleichterung nicht zu deutlich ansehen mochte. Wenn sie die verbliebene Entfernung richtig überschlagen hatte, konnten es allerhöchstens noch zwei oder drei Stunden bis Safet sein, und sie hatte sich schon zu fragen begonnen, ob der junge Ritter eigentlich nie ein menschliches Bedürfnis verspürte.

»Wenn du zurück bist, machen wir es anders herum«, fügte sie hinzu, als Rother aus irgendeinem Grund zögerte. Offensichtlich war sie nicht die Einzige gewesen, der Dariusz’ sonderbare Worte zu denken gegeben hatten.

Rother zögerte auch jetzt noch, rang sich aber schließlich zu einem - widerwilligen - Nicken durch, kletterte steifbeinig aus dem Sattel und reichte Robin die Zügel. Sie wich seinem Blick aus, während sie sie entgegennahm, und obwohl sie innerlich jubilierte, meldete sich zugleich ihr schlechtes Gewissen heftig zu Wort. Möglicherweise würde Dariusz Rother hart bestrafen, wenn er zurückkam und ihm beichten musste, dass ihm Robin abhanden gekommen war. Aber darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen. Sobald ihr Vorsprung groß genug war, würde sie sein Pferd freilassen und darauf hoffen, dass das Tier mit ein bisschen Glück zu seinem Herrn zurückfand. Mehr konnte sie nicht für ihn tun.

Rother versuchte die Düne hinaufzueilen, hatte dabei aber unerwartet große Schwierigkeiten, denn der lockere Sand gab immer wieder unter seinen Füßen nach, sodass er ein paar Mal fast um die gleiche Distanz zurückrutschte, die er gerade mühsam erklommen hatte, und einmal sogar auf Hände und Knie hinabfiel. Oben angekommen, richtete er sich mühsam auf und warf ihr ein verlegenes Grinsen zu, bevor er auf der anderen Seite der Düne verschwand.

Robin musste sich beherrschen, um nicht auf der Stelle loszugaloppieren. Sie hatte hinlänglich Zeit. Rother würde einige Augenblicke brauchen, um auf der anderen Seite wieder hinabzuklettern, und wenn sie Glück hatte, dann drückte ihn ja nicht nur das Wasser, das er am Morgen getrunken hatte - die Ordensbrüder waren untereinander nicht so schamhaft, dass er das nicht einfach in ihrer Gegenwart erledigt hätte, wodurch sie schon mehr als einmal in eine peinliche Situation geraten war. Sie hatte Zeit genug, das Pferd lautlos umzudrehen und sich ebenso lautlos ein paar Dutzend Schritte zu entfernen, statt einfach loszusprengen und ihn durch den Hufschlag frühzeitig zu alarmieren.

Im allerersten Moment weigerte sich das Pferd, ihr zu gehorchen, und warf nicht nur den Kopf zurück, sondern versuchte sogar nach ihr zu beißen, dann aber beruhigte es sich schlagartig und ließ sich gehorsam in einem engen Halbkreis herumführen. Robin atmete innerlich auf. Es hätte ihr zutiefst widerstrebt, dem Pferd die Kehle durchzuschneiden, aber sie hätte es tun müssen, denn auf ein Wettrennen mit Rother konnte sie sich auf keinen Fall einlassen - und schon gar nicht auf einen Kampf. Sie war sehr erleichtert, das Tier nicht töten zu müssen, dessen einziges Verbrechen darin bestand, seinem Herrn treu ergeben zu sein.

Bei diesem Gedanken musste sie an Guy denken, und ein so intensives Gefühl von Schuld ergriff von ihr Besitz, dass es fast körperlich wehtat. Sie schüttelte die Erinnerung mit einiger Mühe ab und ergriff den Zügel fester, und auf dem Dünenkamm über ihr rief Rother: »Robin!«

Robin hätte vor Enttäuschung am liebsten laut aufgeschrien. Jetzt würde sie doch mit Rother kämpfen müssen. Sie wusste, dass sie ihn ohne Mühe besiegen konnte, aber sie wollte ihn nicht verletzen. Ihn von allen Männern aus Dariusz’ Begleitung am allerwenigsten. Dennoch ließ sie den Zügel los und senkte die Hand auf den Schwertgriff, während sie sich langsam im Sattel umdrehte.

Rother sah jedoch noch nicht einmal in ihre Richtung, sondern hatte sich halb in die Hocke sinken lassen und deutete mit ausgestrecktem Arm nach Westen, in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Mehr überrascht als erleichtert folgte Robins Blick der Geste. Sie nahm die Hand nicht vom Schwert.

Es vergingen noch einige Augenblicke, aber dann sah sie es auch: Über der Ebene war eine Anzahl winziger Punkte erschienen, die sich in der hitzeflimmernden Luft in beständiger zitternder Bewegung zu befinden schienen. Es war schwer, ihre genaue Anzahl zu schätzen; es konnte ein halbes Dutzend sein, aber auch doppelt so viele. Wäre Rother nicht auf die Düne hinaufgestiegen, hätte er sie wohl kaum bemerkt.

»Ich sehe sie auch«, sagte sie. »Kannst du erkennen, wer es ist?«

Rother beschattete die Augen mit der Hand und konzentrierte sich, schüttelte aber dann nur den Kopf und begann wortlos die Düne wieder herunterzulaufen. Er sah besorgt aus, und Robin erging es nicht viel anders. Auch wenn die Gebiete von hier bis Akkon unter christlicher Verwaltung und der Herrschaft der verschiedenen christlichen Orden standen, so befanden sie sich doch de facto in Feindesland, wie der Vorfall von gestern nur zu deutlich bewiesen hatte. Fremde waren hier mit äußerster Vorsicht zu genießen.

»Wir reiten besser weiter«, sagte Rother. Er hatte sie mittlerweile schon fast erreicht, verhielt einen Moment im Schritt und runzelte fragend die Stirn, als er sah, in welche Richtung sie die Pferde gedreht hatte, ging jedoch nicht weiter darauf ein, sondern stieg mit einer raschen Bewegung in den Sattel und deutete nach Osten. Ohne ein weiteres Wort sprengten sie los.

Rother legte von Anfang an ein scharfes Tempo vor, was seine Behauptung, er wisse nicht, um wen es sich bei ihren vermeintlichen Verfolgern handelte, in einem anderen Licht erscheinen ließ. Sie ritten zu schnell, als dass sie eine entsprechende Frage stellen konnte, aber Robin machte sich ihre Gedanken; und vor allem auch über die Frage, wieso Rother eigentlich so schnell zurück gewesen war. Die Antwort, auf die sie kam, gefiel ihr nicht.

Sie ritten eine geraume Weile weiter geradeaus in östlicher Richtung. Ihre Pferde griffen kräftig aus, sodass sie zügig von der Stelle kamen und die Schemen ihrer Verfolger schon nach kurzer Zeit hinter ihnen zurückfielen, aber Robin machte sich nichts vor: Die Staubwolke, die sie hinter sich herzogen, musste über viele Meilen hinweg zu sehen sein, und ihre Pferde würden das Tempo nicht mehr lange durchhalten. Es waren kräftige, zähe Tiere, aber die zurückliegenden Tage waren auch an ihnen nicht spurlos vorübergegangen. Von den Lefzen ihrer Stute tropfte bereits flockiger weißer Schaum, und ihr Atem ging scharf und rasselnd, und auch Rothers Tier befand sich in keinem wesentlich besseren Zustand. Auf diese Weise würden sie ihre Verfolger ganz bestimmt nicht abschütteln können.

Rother musste wohl zu demselben Schluss gekommen sein, denn er sprengte zwar noch einige weitere Minuten in unverändertem Tempo dahin und versuchte sogar, es noch einmal zu steigern, gab es aber schließlich auf und hielt an. Sein Pferd tänzelte nervös auf der Stelle, und Robin hätte nicht sagen können, wessen Atem schneller ging - seiner oder der seines Reiters.

»Das hat keinen Zweck«, sagte er, nachdem auch Robin ihr scheuendes Tier neben ihm zum Stehen gebracht hatte. »Wir brauchen ein Versteck.«

»Es kann nicht mehr weit sein bis Safet«, antwortete Robin nervös. »Vielleicht eine Stunde oder zwei.« Sie drehte sich im Sattel um und suchte nach ihren Verfolgern, aber alles, was sie sah, war hitzeflimmernde Luft und eine Sonne, die so grell war, dass es fast in den Augen schmerzte, auch nur in ihre Richtung zu sehen.

»Eher drei«, antwortete Rother ernst und schüttelte zugleich den Kopf. »So lange halten die Pferde nicht mehr durch. Wir brauchen ein Versteck.« Er sah sich suchend um und deutete schließlich auf einen verschwommenen Schatten irgendwo vor ihnen. »Dort vorne scheint ein Wald zu sein oder eine Oase.«

»Und genau dort werden sie uns zuerst suchen«, antwortete Robin.

Rother hob die Schultern. »Wir haben keine Wahl. Hier auf der Ebene haben wir gar keine Chance.«

Robin fragte sich flüchtig, warum Rother eigentlich so selbstverständlich davon ausging, dass die Reiter hinter ihnen ihre Feinde waren, aber sie kam nicht dazu, den Gedanken weiterzuverfolgen, denn Rother ließ die Zügel knallen und ritt weiter. Robin folgte ihm, aber nicht ohne sich noch einmal in Richtung ihrer Verfolger umgedreht zu haben. Irgendwo hinter ihnen schien eine größere Reitergruppe näher zu kommen, aber sie war nicht sicher.

Sie galoppierten weiter. Ihre Pferde gaben ihr Bestes, aber die Kräfte der Tiere ließen spürbar nach; Robins Stute stolperte mehr dahin, als sie lief, und auch Rothers Tier geriet mehr als einmal aus dem Tritt; und je mühsamer sich ihr Vorwärtskommen gestaltete, desto weiter schien sich ihr Ziel von ihnen zu entfernen. Endlich aber wurden aus Schatten Umrisse und aus Schemen klar erkennbare Konturen. Rother hatte Recht gehabt: Vor ihnen lag ein ausgedehnter Zypressenhain, durch dessen Unterholz es hell und silbern aufblitzte. Dort vorne waren nicht nur Bäume, sondern auch Wasser.

Die Tiere schienen die Nähe des Wassers zu spüren, denn sie verfielen auf dem letzten Stück ganz von selbst in einen schnelleren Trab, auch wenn Robin das Gefühl hatte, dass dies Rother gar nicht so recht war. Die letzten dreißig oder vierzig Schritte flogen sie regelrecht dahin, und auch als sie den kleinen Zypressenhain erreichten, wurden sie nicht merklich langsamer, sondern fielen ganz im Gegenteil auf dem letzten Stück in einen leichten Galopp; vielleicht einfach, weil sie die Nähe des Wassers spürten. Robin rechnete fest damit, dass Rother den kleinen See im Herzen des Haines einfach ignorieren und so schnell daran vorübergaloppieren würde, wie er nur konnte, aber er brachte sein Tier ganz im Gegenteil mit einem vollkommen überflüssig harten Ruck am Zaumzeug unmittelbar am Ufer des kleinen Sees zum Halten - er war so erbärmlich, dass er diesen Namen eigentlich gar nicht verdiente; mehr eine schlammige Pfütze, von der ein nicht besonders einladender Geruch aufstieg - und glitt mit einer fließenden Bewegung aus dem Sattel, noch bevor das nervös tänzelnde Tier vollends zum Stehen gekommen war. Hastig gestikulierte er ihr zu, es ihm gleichzutun, und griff sogar nach ihrem Arm, als sie der Aufforderung für seinen Geschmack ganz offensichtlich nicht schnell genug nachkam.

»Was soll denn das?«, beschwerte sich Robin lautstark, wurde aber sofort und mit einer noch energischeren Geste von Rother zum Schweigen gebracht. Während er mit der linken Hand vor ihrem Gesicht in der Luft herumfuchtelte, griff seine andere bereits nach dem Schwert und zog es.

»Dafür ist jetzt keine Zeit!«, fuhr er sie an. »Wir müssen uns verstecken! Lauf in die Dünen!«

Robin starrte ihn im ersten Moment nur verständnislos an, aber dann fuhr sie trotzdem auf dem Absatz herum und lief mit wehendem Mantel auf die ockergelbe, haushohe Wand zu, die das kümmerliche Wäldchen an einer Seite begrenzte. Sie verstand den Grund für Rothers unübersehbare Furcht nicht, doch was sie in seinen Augen gelesen hatte, das machte ihr klar, dass er es ernst meinte. Wer immer die Reiter waren, die sie verfolgten, Rother wusste ganz offensichtlich mehr über sie, als er bisher zugegeben hatte. Die Erkenntnis ärgerte Robin, aber jetzt war auch gewiss nicht der richtige Moment, ihn zur Rede zu stellen.

So schnell sie konnte, durchquerte sie das kleine Wäldchen, nutzte ihren eigenen Schwung, um die erste der Sanddünen zu erklimmen und begann lauthals zu fluchen, als der lockere Sand unter ihren schweren Stiefeln nachzugeben begann und sie mehr und mehr Kraft darauf verwenden musste, ihr Gleichgewicht zu bewahren und nicht etwa schneller zurückzurutschen, als sie die Düne erklomm. Dennoch legte sie das letzte Stück auf Händen und Knien kriechend zurück, und oben angekommen, war sie nicht nur schon wieder in Schweiß gebadet, sondern auch vollkommen und hoffnungslos außer Atem. Erschöpft sank sie auf dem Kamm der Düne zusammen, tat eine geschlagene halbe Minute nichts anderes, als wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft zu schnappen und dem rasenden Hämmern ihres eigenen Herzens zu lauschen, und brachte erst dann die Energie auf, sich wieder aufzurichten und in der gleichen Bewegung halb umzudrehen.

Was sie sah, war auch nicht gerade dazu angetan, sie in irgendeiner Art fröhlicher zu stimmen. Die Reiter waren noch ein gutes Stück entfernt - sicher zehn Minuten, selbst wenn sie ihre Tiere erbarmungslos antrieben -, doch sie konnte sie von ihrer erhöhten Position aus nun weitaus besser erkennen. Sie hatte sich nicht getäuscht, was ihre Zahl anging: Es mussten zwischen acht und zehn sein, und sie waren ausnahmslos dunkel gekleidet und trugen ausnahmslos Turbane, und ganz offensichtlich waren sie ebenso ausnahmslos bewaffnet, denn das Sonnenlicht spiegelte sich immer wieder auf blankem Stahl und ließ grelle goldfarbene und silberne Lichtblitze über die näher kommenden Gestalten tanzen. Plötzlich verstand sie Rothers Besorgnis um einiges besser. Wenn ihnen diese Männer tatsächlich feindselig gesinnt waren, dann taten sie wirklich gut daran, ihnen aus dem Weg zu gehen. Rother war ein hervorragender Schwertkämpfer, und auch sie hatte es bislang mit nahezu jedem Gegner aufnehmen können, auf den sie getroffen war, doch diese Übermacht war einfach zu groß; und vermutlich auch die Verlockung, die von den beiden Tempelrittern ausging, die leichtsinnig genug gewesen waren, sich ganz allein von ihrem Heer zu entfernen.

Mit einiger Mühe riss sie ihren Blick von dem näher kommenden Reitertrupp los und suchte nach Rother, konnte ihn zu ihrer Überraschung aber nicht mehr entdecken.

Von hier oben aus betrachtet wirkte der Zypressenhain noch kleiner und erbärmlicher. Er bestand aus kaum zwei Dutzend der Robin immer noch fremdartig anmutenden Bäume, von denen mindestens die Hälfte nicht so aussah, als würden sie nach dem nächsten Sandsturm noch stehen. Es gab kaum Unterholz, und der See sah nicht einmal mehr aus wie eine Pfütze, sondern allenfalls wie etwas, das ihre Stute im Sand hinterlassen hatte. Weder von Rother noch von den beiden Pferden war noch etwas zu sehen. Robin konnte ihre Spuren noch ein kurzes Stück weit verfolgen, bevor sie sich auf der anderen Seite des Wäldchens wieder im Sand der Wüste verloren.

Dafür sah sie ihre eigenen Spuren umso deutlicher.

Ihr Herz zog sich vor Schrecken zusammen, als sie die breite Spur erblickte, die sie bei ihrer ungeschickten Kletterpartie die Düne hinauf im Sand hinterlassen hatte. Ihre Verfolger mussten wahrlich keine geübten Fährtenleser sein, um sie hier oben aufzuspüren. Ganz im Gegenteil, dachte Robin finster: Sie hätten schon mit Blindheit geschlagen sein müssen, um sie nicht zu sehen.

Robin blickte noch einmal zu den näher kommenden Reitern hin - die Distanz zwischen ihnen und dem Hain schien sich halbiert zu haben, seit sie das letzte Mal zu ihnen hingesehen hatte, und dass sie sich selbst sagte, dass dieser Eindruck nur von ihrer eigenen Nervosität kam, machte es keinen Deut besser - und kam dann zu einem Entschluss. Mit ausgebreiteten Armen auf ihrer eigenen Spur zurückbalancierend, schlitterte sie die Düne wieder hinab, riss sich den Mantel von den Schultern und sank in die Hocke. Indem sie den Mantel mit regelmäßigen Bewegungen nach beiden Seiten über den Sand gleiten ließ, versuchte sie ihre Spuren zu verwischen, während sie abermals, diesmal rückwärts und in der Hocke gehend, ihrer eigenen Spur zum Hügelkamm hinauf folgte.

»Eine interessante Technik«, sagte eine Stimme hinter ihr.

Robin hätte um ein Haar laut aufgeschrien. Sie fuhr in der Hocke herum und griff in der gleichen Bewegung nach dem Schwert, aber das einzige Ergebnis dieser viel zu hastigen Bewegung war, dass sie das Gleichgewicht verlor und hintenüber die Düne hinabgestürzt wäre, hätte Rother nicht blitzschnell zugegriffen und sie am Arm festgehalten.

»Lernt man so etwas bei den Assassinen?«, griente er, während er sie mit einem kraftvollen Ruck endgültig auf den Dünenkamm hinauf- und auf der anderen Seite ein kleines Stück wieder an sich heranzog.

Robin landete unsanft auf dem Bauch, schlitterte ein gutes Stück die Düne hinab und bremste ihren Sturz mit mehr Glück als wirklichem Geschick ab. Sie setzte zu einer wütenden Entgegnung an, bekam prompt den Mund voller Sand und hatte einige Augenblicke lang das Gefühl, ersticken zu müssen. Statt Rother zu sagen, was sie von seinem Sinn für Humor wirklich hielt, spuckte sie den Sand aus, hustete qualvoll und widerstand mit einiger Mühe der Versuchung, den restlichen Sand in ihrer Kehle herunterzuschlucken, was alles nur noch viel schlimmer gemacht hätte. Stattdessen konzentrierte sie sich auf die speziellen Atemübungen, die Salim ihr beigebracht hatte, und nach einigen Sekunden wurde es tatsächlich besser; das quälende Brennen in ihrer Kehle verschwand nicht ganz, sank aber auf ein halbwegs erträgliches Maß herab. Sie hatte nicht mehr das Gefühl, Glassplitter zu atmen, sondern nur noch glühenden Sand.

Mühsam richtete sie sich auf, wischte sich mit dem Handrücken den Sand aus den Augen und kroch auf Händen und Knien zu Rother zurück. Sie konnte sogar selbst spüren, wie finster ihr Gesichtsausdruck war, was Rother aber nicht daran hinderte, sie nur umso breiter und mit unverhohlener Schadenfreude anzugrinsen. Robin ersparte sich jeden Kommentar, kroch neben ihn und riss mit einer zornigen Bewegung ihren Mantel an sich. Rothers Grinsen wurde noch breiter, während sie sich neben ihm im Sand ausstreckte und mit klopfendem Herzen über den Dünenkamm blickte.

Zu ihrem großen Verdruss musste sie sich eingestehen, dass Rothers Spott nicht so unberechtigt war, wie sie es gerne gehabt hätte. Sie hatte ihre Spur tatsächlich verwischt, aber nicht annähernd gut genug. Man sah jetzt vielleicht nicht mehr, dass ein Mensch die Düne hinaufgelaufen war, sehr wohl aber, dass etwas hier heraufgekommen war, und das vor noch nicht allzu langer Zeit. Immerhin, dachte sie spöttisch, mussten ihre Verfolger jetzt nicht mehr blind sein, um ihre Spuren zu übersehen. Es reichte vollkommen, wenn sie schlecht sahen. Ziemlich schlecht.

Ihr Blick suchte die Reiter. Sie waren näher gekommen, und diesmal war es kein böser Streich, den ihr ihre Nerven spielten.

»Wo sind die Pferde?«, fragte sie.

»Du hast geglaubt, dass ich dich im Stich lasse, wie?«, fragte Rother, ohne ihre Frage zu beantworten - und übrigens auch, ohne sie dabei anzusehen. Sein Blick war wie gebannt nach Süden gerichtet.

»Nein«, antwortete Robin wahrheitsgemäß. »Wo sind die Pferde?«

»Fort«, antwortete Rother. »Ich habe sie weggejagt.« Er hob rasch die Hand, als sie auffahren wollte. »Keine Angst. Mein Hengst ist gut trainiert. Er wird eine Weile herumlaufen und genug Spuren hinterlassen, um jeden zu verwirren, und dann zurückkommen.«

»Wie schön, wenn dein Hengst zurückkommt«, sagte Robin sarkastisch, und Rother fuhr in unverändertem Ton fort: »Und deine Stute wird ihm folgen. So ist das. Stuten folgen immer dem Hengst.«

Robin schenkte ihm einen giftigen Blick, verbiss sich aber jeden Kommentar und sah stattdessen wieder zu den Reitern hin. Sie waren mittlerweile nahe genug herangekommen, um Robin erkennen zu lassen, dass die Männer nicht nur alle in Schwarz gekleidet waren, sondern auch ausnahmslos nachtschwarze Pferde ritten. Das war nicht das einzig Außergewöhnliche an ihnen. Robin konnte nicht genau sagen, was es war - aber irgendetwas kam ihr an dieser Reitertruppe auf ebenso unheimliche Weise vertraut vor, wie es sie zugleich erschreckte. Wer waren diese Männer?

»Das müssen dieselben sein, die das Dorf überfallen haben«, murmelte Rother, fast nur zu sich selbst gewandt, aber dennoch so, als hätte sie ihre Frage laut ausgesprochen und nicht nur gedacht.

»Wie kommst du darauf?«, gab Robin zurück. Sie wusste, dass Rother sich irrte. Sie wusste nicht, wer diese Männer waren; aber etwas in ihr wusste ganz genau, was sie nicht waren.

»So viele Räuberbanden gibt es hier nun auch wieder nicht«, antwortete Rother achselzuckend. »Vielleicht haben sie uns sogar die ganze Zeit über beobachtet, um sich an uns zu rächen.«

Robin sah ihn zweifelnd an, und Rother zuckte mit den Schultern und fügte, nach ein paar Augenblicken und in fast entschuldigendem Tonfall, hinzu: »Dariusz hat eine entsprechende Vermutung geäußert.«

»Wann?«, fragte Robin.

»Gestern Abend«, antwortete Rother.

»Und trotzdem hat er uns allein vorausgeschickt?«, fragte sie.

Der junge Tempelritter hob abermals die Schultern. »Es war ja nur eine Vermutung.« Sein Blick blieb weiter unverwandt auf die näher kommenden Reiter gerichtet. »Außerdem hätte ich nicht geglaubt, dass sie den Mut haben würden, uns offen anzugreifen.«

Robin fragte sich, was Rothers Meinung nach so mutig daran war, wenn acht oder zehn Männer Jagd auf zwei einzelne Ritter machten. Aber sie stellte diese Frage nicht laut, sondern warf Rother nur noch einen weiteren, unsicheren Blick zu, bevor sie ihre Aufmerksamkeit wieder nach Süden wandte, den schwarz gekleideten Reitern zu. Im nächsten Moment riss sie ungläubig die Augen auf und fragte sich, wie sie nur so blind hatte sein können.

Es war nicht weiter verwunderlich, dass ihr etwas an diesen Männern so vertraut erschienen war.

Es waren Assassinen.

»Still jetzt«, flüsterte Rother, obwohl sie nicht den geringsten Laut von sich gegeben hatte. »Und keine Bewegung!«

Robin hätte nicht einmal etwas sagen können, wenn sie es gewollt hätte. Ihr Herz hämmerte plötzlich, als wollte es im nächsten Moment zerspringen. Ihre Hände begannen zu zittern. Assassinen! Das waren Assassinen! Salims Männer waren gekommen, um sie zu retten! Endlich!

»Da stimmt doch etwas nicht«, murmelte Rother. »Das sind ...« Er brach mit einem erschrockenen Laut ab, und obwohl Robin nicht einmal in seine Richtung sah, konnte sie hören, wie heftig er zusammenfuhr.

Sie selbst hatte immer größere Mühe, ihre Erregung unter Kontrolle zu halten. Alles in ihr schrie danach, einfach aufzuspringen und diesen Männern zuzuwinken, loszustürmen und den Reitern entgegenzurennen. Es war nicht Salim. Natürlich war Salim selbst nicht bei ihnen. Obwohl die Gesichter der Männer hinter schwarzen Tüchern verborgen und sie alle auf die gleiche Weise gekleidet waren, hätte sie ihn erkannt. Aber es waren seine Männer, und es konnte kein Zufall sein, dass sie ausgerechnet jetzt und ausgerechnet hier erschienen!

Die Reiter kamen ganz allmählich näher. Sie wurden tatsächlich langsamer, je mehr sie sich dem kleinen Zypressenhain näherten, und hielten schließlich ganz an. Robin presste sich fester gegen den heißen Sand der Düne, und sie konnte spüren, wie sich auch Rother neben ihr spannte. Ihr Herz hämmerte immer schneller. Warum sprang sie nicht auf? Warum gab sie sich nicht zu erkennen? Salims Männer waren endlich gekommen, um ihr Martyrium zu beenden. Sie musste nur den Arm heben und winken, und der Albtraum würde ein Ende haben.

Stattdessen glitt sie behutsam ein weiteres Stück zurück, presste sich noch fester gegen den Boden und hielt schließlich sogar den Atem an, während sich die Reiter wieder in Bewegung setzten und ganz langsam auf sie zurückten. Ein Teil in ihr wollte nichts mehr, als aufzuspringen und den Männern zuzuwinken, sich ihnen zu erkennen zu geben, um dem Albtraum ein Ende zu machen und endlich wieder in Salims Umarmung zurückzukehren. Doch sie tat nichts von alledem. Sie lag nur wie gelähmt da, starrte den Reitern mit klopfendem Herzen entgegen und war vollkommen unfähig, auch nur einen Finger zu rühren.

Nur zwei der Reiter saßen ab, als sie den See erreichten, der Rest blieb nicht nur in den Sätteln, sondern nahm auch in einem lockeren Dreiviertelkreis Aufstellung, die Hände locker auf den Waffen und in vermeintlich entspannter Haltung, die Robin aber keinen Moment lang täuschte. Die Männer waren wachsam und angespannt. Ihnen entging nichts. Schon gar nicht die Spur, die sie auf der Düne hinterlassen hatte ...

Neben ihr bewegte sich Rother unruhig. Obwohl ihr Blick die schwarz gekleideten Reiter keinen Moment losließ, bemerkte sie doch aus den Augenwinkeln, wie Rothers Hand zum Gürtel glitt und sich um den Schwertgriff darin schmiegte. Sein Atem ging plötzlich schneller. Sie spürte seine Erregung - seine Furcht! -, und sie spürte ebenso deutlich, wie dicht er davor stand, etwas wirklich Dummes zu tun. Erschrocken wandte sie den Kopf und setzte dazu an, ihm warnend zuzuwinken, doch dann erstarrte sie mitten in der Bewegung.

Sie hatte sich getäuscht. Rothers Hand war zum Gürtel geglitten, aber seine Finger hatten sich nicht um den Griff des Schwertes geschlossen, sondern um den des schmalen Dolches, den er daneben trug. Und sein Blick war nicht auf die Assassinen unter ihnen gerichtet, sondern auf sie. Und was Robin darin las, das ließ ihr einen eisigen Schauer über den Rücken laufen.

Für einen Moment war es, als wäre die Zeit stehen geblieben. Sie konnte die eisige Entschlossenheit in seinem Blick sehen, aber sie spürte auch die Qual, die sich dahinter verbarg, und den stummen, verzweifelten Kampf, den er nicht erst seit diesem Moment mit sich ausfocht. Seine Finger hatten sich so fest um den Griff des Messers geschlossen, dass das Blut aus ihnen wich und seine Haut so bleich wie die eines Toten aussah, und der Schweiß, der auf seinem Gesicht und seiner Stirn perlte, hatte seine Ursache nicht nur in der glühenden Sonne am Himmel über ihnen.

»Warum wartest du nicht einfach noch einen Moment, Rother?«, fragte sie leise. »Vielleicht bemerken Sie uns ja gar nicht.«

Rother starrte sie weiter mit diesem sonderbar gequälten Ausdruck an. Er sagte nichts, aber er bewegte sich auch nicht und machte auch keine Anstalten, seine Waffe endgültig zu ziehen, und schließlich ließ Robin seinen Blick los und wandte sich wieder den Reitern unter ihnen zu. Wenn Rother jetzt sein Messer zog und das tat, was Bruder Dariusz ihm mit Sicherheit aufgetragen hatte, dann war sie vollkommen wehrlos. Er war stärker als sie, hatte seine Waffe praktisch schon gezogen und befand sich in einer viel vorteilhafteren Lage; sie würde vermutlich nicht einmal merken, was geschah, bevor es zu spät war. Robin wusste das alles, und sie glaubte Salims tadelnden Blick regelrecht zu sehen und seine besorgt-spöttische Stimme zu hören, die ihr klar zu machen versuchte, dass sie zu vertrauensselig war und ihr unerschütterlicher Glaube an das Gute im Menschen sie irgendwann einmal das Leben kosten würde. Sie wusste auch, dass er Recht hatte. Und doch sah sie nicht einmal mehr in Rothers Richtung. Sie war des Kämpfens müde. Vielleicht nicht einmal so sehr des Kämpfens. Sie war es müde, Menschen zu misstrauen. Sie wollte nicht mehr hinter jedem freundlichen Gesicht einen Verräter, hinter jedem belanglosen Wort eine Falle und hinter jeder großzügigen Geste Verrat wittern.

Die beiden Reiter, die aus dem Sattel geglitten waren, hatten sich mittlerweile zum Ufer des kleinen Wasserloches begeben. Einer hatte sich auf die Knie herabsinken lassen und tastete mit den Fingerspitzen über die Spuren, die Rother, sie selbst und ihre Pferde im aufgeweichten Boden am Ufer hinterlassen hatten, der andere stand hoch aufgerichtet da und schien reglos ins Leere zu starren. Schließlich, nach einer kleinen Ewigkeit, wie es Robin vorkam, wandte er den Kopf nach links, dann nach rechts, und Robins Herz machte einen erschrockenen Sprung und hämmerte doppelt schnell und hart weiter, als sein Blick über die Sanddüne glitt und schließlich an der nur unzureichend verwischten Spur hängen blieb, die sie darin hinterlassen hatte.

Neben ihr sog Rother scharf die Luft zwischen den Zähnen ein, und Robin konnte hören, wie die Messerklinge aus ihrer ledernen Scheide glitt. Robin schloss die Augen, zählte in Gedanken langsam bis drei und stand auf.

»Bruder Robin ...!«, sagte Rother gequält.

»Tu einfach, was du glaubst, tun zu müssen«, antwortete Robin. Sie sah Rother bei diesen Worten nicht an, sondern hob den linken Arm und winkte den Männern unter ihnen zu. Nur einer von ihnen reagierte überhaupt auf ihre Geste, die anderen blieben sorglos wie lebensgroße Statuen in den Sätteln sitzen. Sie zeigten keinerlei Überraschung über ihr plötzliches Auftauchen. Sie hatten die ganze Zeit über gewusst, wo Rother und sie waren.

»Bruder Robin, bitte!«, flehte Rother. »Ich muss ...«

»Tun, was du tun musst«, unterbrach ihn Robin. »Ja, ich weiß.« Sie nickte dem Assassinen unter sich langsam, aber mit schon fast übertriebener Gestik zu und wandte sich dann ebenso langsam zu Rother um. Auch er hatte sich auf die Knie erhoben, aber er saß in einer Haltung da, als müsse er sich gegen unsichtbare Ketten stemmen, die ihn zurückzuhalten versuchten. Seine Hand umklammerte noch immer den Dolch, und sein Gesicht war ein einziger Ausdruck von Qual, während sein Blick abwechselnd über Robins Gesicht und das hinter schwarzem Tuch verhüllte Antlitz des einzelnen Assassinenkriegers glitt, der sich von seinem Platz am Ufer des kleinen Tümpels gelöst hatte und nun langsam, aber ebenso leichtfüßig wie zielstrebig zu ihnen heraufkam.

Robin hob die Hand, und der Krieger hielt mitten im Schritt inne und blieb auf halber Strecke stehen. Rothers Kiefer begannen zu mahlen. Unter der Sonnenbräune verlor sein Gesicht auch noch das allerletzte bisschen Farbe, und seine Hand schloss sich jetzt so fest um den Dolch, dass tatsächlich Blut unter seinen Fingernägeln hervorquoll. Und dann - endlich - ließ er den Dolch los und stieß ein halblautes, fast gequält klingendes Seufzen aus.

»Nein«, flüsterte er. »Ich kann es nicht.«

»Ich weiß«, antwortete Robin ernst. »Und ich bin froh, dass du dich so entschieden hast. Um deinetwillen.«

Rother sah sie fragend an, und Robin deutete mit einer Kopfbewegung auf einen Punkt hinter dem jungen Tempelritter. Rother starrte sie noch einen Atemzug lang verständnislos an, dann stemmte er sich umständlich vollends in die Höhe und drehte sich erst dann und ebenso umständlich herum, um ihrem Blick zu folgen.

Er wirkte nicht einmal wirklich erschrocken. Vielleicht war er nicht mehr in der Verfassung, ein so komplexes Gefühl wie Schrecken zu empfinden. Eine kleine Ewigkeit lang stand er einfach nur da und starrte die drei in der Farbe der Nacht gekleideten Gestalten an, die auf dem Kamm der nächsten Düne standen und mit ihren kurzen, geschwungenen Bögen auf ihn zielten, und schließlich drehte er sich ebenso langsam wieder zu Robin um und maß sie mit einem Blick, von dem sie nicht genau wusste, ob sie ihn deuten konnte oder es auch nur wollte.

»Also doch«, murmelte er.

»Nein«, antwortete Robin. »Ich glaube nicht, dass du es wirklich verstehst. Aber ich bin froh, dass du dich richtig entschieden hast. Bitte mach jetzt keinen Fehler.«

Rother schwieg, aber der Blick, mit dem er sie nun maß, traf Robin härter als alles, was er hätte sagen können. In seinen Augen waren weder Zorn noch Verachtung oder gar Hass - das alles kannte sie zur Genüge, und sie hatte in ihrem kurzen Leben so viel davon erfahren, dass es sie nicht mehr wirklich zu verletzen vermochte. Was sie dagegen in seinen Augen las und was sich wie die Klinge eines dünnen, aber glühenden Dolches in ihr Herz bohrte, das waren Enttäuschung und Trauer.

Robin brach den Gedanken mit einiger Anstrengung ab und wandte sich wieder dem Assassinen zu. Der Krieger ging im gleichen Moment weiter, in dem sich ihre Blicke trafen, und blieb zwei Schritte unter dem Dünenkamm stehen; ganz gewiss nicht durch Zufall gerade so, dass sich sein Gesicht eine Winzigkeit unter dem ihren befand und sie auf ihn hinabsehen konnte. Zu ihrer Erleichterung sagte er kein Wort, sondern bekundete ihr seine Ehrerbietung nur durch ein angedeutetes Nicken. Aber selbst das war schon fast mehr, als ihr in Rothers Gegenwart recht war.

Sie erwiderte seinen stummen Gruß auf die gleiche Art und wandte sich noch einmal um. Zwei der drei Assassinen auf dem anderen Dünenkamm hatten ihre Bögen sinken lassen, und auch der dritte hatte seine Sehne entspannt, und der Pfeil deutete nur noch nachlässig in Rothers Richtung, wovon sich Robin aber keine Sekunde lang täuschen ließ. Sie wusste, wie perfekt diese Männer ihre Waffen beherrschten. Das waren keine dahergelaufenen Plünderer wie die Männer, mit denen sie es gestern zu tun gehabt hatten, und selbst diese hatten schon hervorragend mit Pfeil und Bogen umzugehen verstanden. Die Assassinen aber waren nicht nur in der Lage, auf eine größere Entfernung ein Pferd zu treffen, sondern ihm auch mit einem gezielten Schuss ein Auge auszuschießen, wenn es sein musste. Wenn Rother auch nur die winzigste falsche Bewegung machte, würde er nicht einmal mehr lange genug leben, um das Geräusch der Bogensehne zu hören. Sie betete, dass er sich ruhig verhielt, doch sie sah ihn ganz bewusst nicht an, sondern drehte sich mit einer abrupten Bewegung wieder um und wandte sich an den Assassinen.

»Schickt dich Salim?«, fragte sie.

Der Mann nickte. Er schwieg, beinahe als hätte er ihre Gedanken gelesen, und Robin begann vorsichtige Hoffnung zu schöpfen. Entweder Salim hatte ihn ausgezeichnet instruiert, oder es war in diesem Moment tatsächlich so leicht, in ihrem Gesicht zu lesen. Das Ergebnis blieb sich gleich. Vielleicht hatte Rother doch noch eine Chance, am Leben zu bleiben.

»Welche Befehle hat er euch gegeben?«, fragte sie.

Der Mann zögerte einen winzigen Moment, nicht weil er die Antwort auf ihre Frage nicht kannte, sondern viel mehr, weil er sich zu wundern schien, warum sie sie überhaupt stellte.

Robin versuchte sein Gesicht zu erkennen, aber alles, was davon sichtbar war, war ein schmaler Streifen über Nasenwurzel und Augen. Dennoch trafen sich für einen Moment ihre Blicke, und Robin las die stumme Frage in den Augen des Assassinen und beantwortete sie auf die gleiche, lautlose Art. Sie fragte sich, ob Rother das stumme Zwiegespräch bemerkte.

»Wir sollen Euch zu ihm bringen«, antwortete der Krieger.

Ein Teil von ihr jubilierte. Es war vorbei. Der Albtraum hatte ein Ende. Salims Männer waren gekommen, um sie zu holen, und alles war - endlich! - vorbei. Sie würde zurückkehren auf die Burg seines Vaters, zurück in ihre stillen, kühlen Gemächer, in denen es stets nach Rosen und kostbaren Essenzen roch, zurück in seine Umarmung und den Schutz, den seine bloße Nähe verhieß. Alles war vorbei. Bruder Dariusz, die Hitze, der Krieg und die Entbehrungen, das alles gehörte von diesem Moment an der Vergangenheit an.

Ebenso wie Rother.

»Wo ist er jetzt?«, fragte sie.

Sie las Verwirrung in den Augen des Mannes, aber auch eine Spur von Ärger. Dann erkannte sie ihn. Sie erinnerte sich nicht an seinen Namen, aber es war ein Mann aus Salims persönlicher Leibwache - und somit auch ihrer -, und Robin spürte ihr schlechtes Gewissen; immerhin lebte sie nicht nur seit annähernd zwei Jahren mit diesen Männern zusammen, sondern hatte es bisher auch als ganz selbstverständlich hingenommen, dass jeder einzelne dieser Männer, ohne zu zögern, sein Leben hingegeben hätte, um sie zu beschützen.

»Salim erwartet Euch in seinem Zelt vor Safet«, antwortete der Assassine endlich. »Wir sollen Euch zu ihm bringen.«

»Nach Safet?«, wiederholte Robin überrascht. »Salim ist in ...?«

»Safet«, bestätigte der Assassine, als sie nicht weitersprach, sondern ihn nur überrascht ansah. »Er erwartet Euch in seinem Zelt.«

Zwei, drei, schließlich zehn endlose, schwere Atemzüge lang blickte der Assassine sie ebenso durchdringend wie erwartungsvoll an, während Robins Gedanken sich wie durch zähen Teer bewegten. Was er gesagt hatte, war nicht das, was seine Worte bedeuteten. Sie hätte nicht einmal in die dunklen Augen über dem schwarzen Tuch blicken müssen, um das zu begreifen.

»Ich verstehe«, sagte sie leise. »Dann reitet voraus und sagt meinem Herrn, dass ich zu ihm kommen werde, sobald ich meinen Auftrag erfüllt habe.«

Der Assassine zog - leicht verstört, wie es ihr vorkam - die Augenbrauen zusammen. Ihm war nicht entgangen, auf welch sonderbare Weise sie die Worte meinem Herrn betont hatte, und Robin konnte nur hoffen, dass er begriff, was sie ihm damit hatte sagen wollen. Einen winzigen Augenblick lang blickte er fragend in Rothers Richtung, und Robin schüttelte kaum merklich den Kopf. Etwas im Ausdruck der dunklen Augen änderte sich. Sie hätte nicht genau sagen können, was es war, aber sie hatte das Gefühl, dass sie für diesen Moment (der Schwäche?) noch würde bezahlen müssen.

»Der Auftrag unseres Herrn lautete ...«, begann der Krieger dann auch prompt.

»Ich weiß, wie sein Auftrag lautet«, unterbrach ihn Robin kühl. »Doch im Moment diene ich einem höheren Herrn. Ich bin sicher, Salim wird das verstehen. Also reitet weiter und richtet ihm aus, dass er sich keine Sorgen um mich zu machen braucht. Ich werde mich bei ihm melden, sobald es mir möglich ist.«

Vielleicht war dies der gefährlichste Moment überhaupt. Robin versuchte vergeblich, in den Augen ihres Gegenübers zu lesen. Der Mann war zutiefst verwirrt, aber das war es nicht allein. Zweifellos hatte Salim ihm und den anderen ganz klare Befehle erteilt, und ebenso zweifellos widersprach das, was sie gerade gesagt hatte, diesen Befehlen. Robin wagte nicht vorherzusagen, was er tun würde. Diese Situation war neu, sowohl für sie als auch für ihn. Trotz all der Zeit, die sie nun mit diesen Männern verbracht hatte, trotz all der - vermeintlichen - Vertrautheit, die sich zwischen ihnen entwickelt hatte, hatte es niemals einen Augenblick wie diesen gegeben, in dem sie sich zwischen dem Gehorsam ihrem Herrn gegenüber und dem Respekt vor seiner Gemahlin entscheiden mussten.

Robin glaubte den inneren Kampf zu spüren, den der Assassine ausfocht, und sie fragte sich ganz flüchtig, ob sie wirklich ermessen konnte, was sie von ihm verlangte. Diese Männer hatten Salim und seinem Vater Treue und Gehorsam bis in den Tod geschworen, doch sie war Salims Frau, und somit wog ihr Wort fast ebenso schwer wie das seine. Wie sich seine Entscheidung - ganz gleich, wie sie ausfallen mochte - für ihn auswirken musste, das vermochte sie nicht einmal zu erahnen, aber vielleicht war sie ja dramatischer, als sie bisher angenommen hatte. Es war so viel, was sie bisher als ganz selbstverständlich hingenommen hatte, obwohl es sich in Wahrheit vielleicht um die Entscheidung über Leben und Tod oder doch zumindest das Schicksal eines ganzen Menschenlebens handelte.

»Und richtet Salim Folgendes aus«, fügte sie hinzu, wobei sie versuchte, gerade Verständnis heischend genug zu klingen, ohne den Unterschied im Rang zwischen ihnen vollkommen zu verwischen. »Ich will weder seinem Befehl trotzen noch das Wort meines neuen Herrn über das seine stellen. Doch es wäre unklug, meinen Auftrag nicht zu Ende zu führen. Seine Erfüllung ist auch in Salims Sinne und in dem seines Vaters.«

»Bitte ... verzeiht«, antwortete der Assassine; leise, erst nach einer geraumen Weile und in fast gequältem Tonfall. »Aber der Auftrag unseres Herrn lautete ganz eindeutig ...«

»Mich sicher und unversehrt zu ihm zu bringen«, unterbrach ihn Robin, nunmehr eine Spur lauter und in ganz leicht schärferem Ton; längst noch nicht in dem eines Befehls oder gar Verweises, doch auch nicht mehr um Verständnis bettelnd. »Du kannst ja einen Mann vorausschicken und Salim meine Worte ausrichten lassen. Und wenn du dich so um unsere Sicherheit sorgst, dann folgt uns meinetwegen in gebührendem Abstand.«

Der Blick ihres Gegenübers machte ihr klar, was er von dem Wort unsere in ihrer Antwort hielt, und noch einmal, für einen allerletzten, winzigen, aber schlimmen Moment war Robin fast sicher, dass er nunmehr zu dem Entschluss gekommen war, ihre Weigerung zu ignorieren und wortwörtlich das zu tun, was Salim ihm aufgetragen hatte. Doch dann senkte er fast demütig den Blick und machte einen einzelnen Schritt rückwärts die Düne hinab, bevor er tief das Haupt beugte und flüsterte: »Wie Ihr befehlt.«

Robin atmete innerlich auf. Sie wagte es nicht, sich ihre Erleichterung zu deutlich anmerken zu lassen, doch sie wusste, wie schmal der Grat gewesen war, auf dem sie sich bewegt hatte. Sie hatte möglicherweise mehr von diesem Mann verlangt, als ihr zustand. Dennoch wurde ihre Stimme eher noch kühler, als sie nach einigen Augenblicken fortfuhr: »Es ist gut. Jetzt nimm deine Kameraden und geh. Richte Salim meine Botschaft aus.«

Der Mann entfernte sich rückwärts gehend und mit gesenktem Haupt, und Robin sah ihm ebenso wort- wie reglos nach, bis er am unteren Ende der Düne angekommen war, wo er sich umdrehte und mit schnellen Schritten zu den anderen Männern zurückging. Sie rührte sich auch dann noch nicht, sondern blieb schweigend und reglos stehen, bis der Mann wieder im Sattel saß und sich zusammen mit seinen Kameraden in dieselbe Richtung entfernte, aus der sie gekommen waren. Als sie sich umdrehte, war auch der Kamm der gegenüberliegenden Düne leer. Die drei Assassinen waren ebenso lautlos und schnell wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht waren; wie schwarze Gespenster, die die Nacht ausgespien und im nächsten Lidschlag wieder in ihr schweigendes Reich zurückgeholt hatte. Mit einem Gefühl, von dem sie selbst nicht genau sagen konnte, ob darin nun Verwirrung oder Furcht überwog, stellte Robin fest, dass sie nicht einmal Spuren im Sand hinterlassen hatten.

Rother starrte sie aus großen Augen an, als sie sich wieder zu ihm umdrehte. Robin verstieß bewusst gegen ihre eigene, eiserne Regel, indem sie ihm beruhigend zulächelte, aber er schien es nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen. In seinen Augen war etwas, das weit über bloße Verwirrung und Furcht hinausging.

»Also doch«, murmelte er.

»Also doch - was?«, fragte Robin. Der sonderbare Unterton in seiner Stimme verwirrte sie im ersten Moment, dann ärgerte er sie. Begriff dieser Dummkopf eigentlich nicht, dass sie ihm gerade das Leben gerettet hatte?

Verletzt durch seine vermeintliche Undankbarkeit wandte sie sich brüsk ab und starrte einen Moment lang in die Richtung, in der die Reiter verschwunden waren, bevor sie ihre Frage noch einmal und in hörbar schärferem Ton wiederholte: »Also doch was, Rother?«

»Das waren ... Assassinen, nicht wahr?«, entgegnete der junge Tempelritter. »Die Männer des Alten vom Berge.«

»Und wenn?«, fragte Robin spröde und noch immer, ohne ihn anzusehen. Ihr Blick tastete unstet über die Ebene, auf der die Reiter verschwunden waren. Seit ihrem Aufbruch waren erst - sehr wenige - Augenblicke vergangen, und es gab weit und breit nichts, was den Männern als Versteck hätte dienen können. Sie hätte sie unbedingt sehen müssen - aber sie waren ebenso spurlos und schnell verschwunden wie die Assassinen hinter ihnen. Robin verspürte ein kurzes, aber eisiges Frösteln. Obwohl sie nun schon so lange mit diesen Männern zusammen war, versetzte sie ihre Fähigkeit, sich so lautlos und schnell wie Schatten zu bewegen, immer noch in Erstaunen; und zugleich machte sie ihr auch ein wenig Angst. Sie hatte Salim einmal gebeten, sie in dieser Kunst zu unterrichten, die auch er perfekt beherrschte, doch das hatte er rundheraus abgelehnt, und er hatte dabei so erschrocken und zugleich fast zornig geklungen, dass Robin es nicht gewagt hatte, ihre Bitte noch einmal zu wiederholen.

Nach einer Weile fiel ihr auf, dass Rother nicht auf ihre Frage geantwortet hatte. Erzwungen und deutlich langsamer, als ihr zumute war, drehte sie sich wieder zu ihm um, aber die scharfen Worte, die ihr auf der Zunge lagen, kamen ihr nicht über die Lippen. Rother starrte sie noch immer auf eine Art an, die sie einfach nicht deuten konnte oder wollte. In seinem Blick war alles oder auch nichts zu lesen, vor allem aber eine bestürzte Verwirrung, die in Robin etwas auslöste, dem sie einfach nicht erlauben durfte, Gestalt anzunehmen.

»Du hast noch niemals einen von Sheik Raschids Männern gesehen?«, vermutete sie.

»Ich habe von ihnen gehört«, antwortete Rother.

»Und ich kann mir ungefähr vorstellen, was«, sagte Robin düster. »Du solltest vielleicht nicht alles glauben, was man sich abends an den Lagerfeuern erzählt. Die Hälfte dieser Geschichten ist sicherlich hoffnungslos übertrieben.« Und über die andere Hälfte werde ich dir bestimmt nichts erzählen, fügte sie in Gedanken hinzu.

»Man sagt, sie wären mit dem Teufel im Bunde und verstünden sich auf die schwarzen Künste«, antwortete Rother.

»Unsinn!«, erwiderte Robin. »Sie sind sicherlich fähige Krieger und wahrscheinlich die schlimmsten Gegner, die du dir nur vorstellen kannst. Aber sie sind weder mit dem Teufel im Bunde, noch können sie zaubern, glaube mir.«

Rother sah sie auf eine Art an, die ihr unzweifelhaft klar machte, dass er ihr nicht glaubte. Er starrte sie nur an. Nicht der geringste Laut kam über seine Lippen, doch in seinem Gesicht arbeitete es, und als Robin eine winzige Bewegung machte, wie um auf ihn zuzutreten, sog er scharf die Luft ein und prallte ein kleines Stück zurück. Allmählich wurde Robin wütend. Sie hatte kaum erwartet, dass Rother ihr vor lauter Dankbarkeit um den Hals fiel, aber er führte sich auf, als stünde er dem Teufel persönlich gegenüber! »Was hat dir Dariusz über mich erzählt?«, fragte sie scharf.

»Über dich?« Rother wich ihrem Blick aus. »Nichts«, behauptete er. »Nur, was jedermann weiß.«

»Und was wäre das?«, beharrte Robin.

Es war zumindest mehr als nichts, wie sie deutlich auf Rothers Gesicht ablesen konnte. Es fiel ihm immer schwerer, ihrem Blick standzuhalten, und schließlich gab er auch auf, es überhaupt versuchen zu wollen. Robin, die immer ärgerlicher wurde, setzte dazu an, ihn in scharfem Ton zur Rede zu stellen, besann sich aber dann im allerletzten Moment eines Besseren und drehte sich stattdessen mit einem Ruck weg. Ein unbehagliches, lastendes Schweigen begann sich zwischen ihnen auszubreiten.

Schließlich räusperte sich Rother unecht und wartete, bis Robin ihren gekränkten Stolz so weit überwunden hatte, sich zu ihm umzudrehen und ihn anzusehen. »Wir sollten ... nach den Pferden suchen«, sagte er unbehaglich. »Es ist noch ein schönes Stück Weg bis Safet. Und ... danke«, fügte er nach einer hörbaren Pause hinzu.

»Wofür?«

Rother begann sich unter ihrem Blick immer unbehaglicher zu fühlen, was Robin ihm in diesem Moment jedoch von Herzen gönnte. »Du ... hast mir das Leben gerettet«, gestand er fast widerwillig.

»Ach? Habe ich das?«

»Die Assassinen hätten mich getötet, wenn du mit ihnen gegangen wärst«, vermutete Rother.

Robin schwieg. Sie hätte ihm gerne widersprochen, aber sie musste sich eingestehen, dass Rother die Lage durchaus richtig eingeschätzt hatte: Salims Männer pflegten keine Spuren zu hinterlassen; weder im Sand noch solche auf zwei Beinen. Sie hob nur die Schultern. Ihr Blick tastete über seine Gestalt und blieb für einen winzigen Moment am Griff des Dolches hängen, der aus seinem Gürtel ragte. Rother fuhr leicht zusammen und sah sie - nun eindeutig schuldbewusst - an, dann fragte er: »Warum hast du es nicht getan?«

»Was?«

»Sie begleitet«, antwortete Rother. Robin suchte einen Moment nach Worten, doch Rother hob die Hand, machte eine erklärende Geste in die Richtung, in der die Reiter verschwunden waren, und fuhr fort: »Sie hätten dich mitgenommen. Du wärst frei.«

»Frei?«, wiederholte Robin überrascht. »Was bringt dich auf die Idee, dass ich zu ihnen zurück will?«

»Nichts«, sagte Rother ernst. »Ich weiß nicht, ob du dich wieder den Assassinen anschließen willst. Aber ich weiß, dass du nicht bei uns sein willst.«

»Du ...«

»Mach mir nichts vor«, unterbrach sie Rother kopfschüttelnd.

»Und vor allem dir selbst nicht. Ich habe dich beobachtet, Robin. Ich weiß, du gibst dir Mühe, es dir nicht anmerken zu lassen. Die anderen mögen darauf hereingefallen sein, aber ich sehe dir an, dass du unglücklich bist.« Er schüttelte den Kopf. »Warum tust du dir das an, Bruder Robin?«

»Was?«, fragte Robin.

»Du gehörst nicht zu uns«, sagte Rother geradeheraus.

»Ja, der Meinung ist Bruder Dariusz auch«, sagte Robin mit einem gequälten Grinsen, aber Rother blieb ernst.

»Das meine ich nicht«, sagte er. »Du bist nicht glücklich bei uns. Vielleicht fällt es den anderen nicht auf, aber ich sehe dir an, wie du leidest.«

»Du bist ein guter Beobachter, wie?«, fragte Robin. Zumindest, was mich angeht, fügte sie in Gedanken hinzu. Rother schwieg, und Robins Blick suchte erneut nach dem Dolch in seinem Gürtel. »Hat Dariusz dir aufgetragen ...?«

»Darauf zu achten, dass du in Safet ankommst - oder nirgendwo?« Rother nickte. »Ja.«

Robin war nicht überrascht. »Und warum hast du seinen Befehl nicht befolgt?«

Rother hob nur die Schultern. Er schwieg.

»Dann sind wir ja quitt«, sagte Robin achselzuckend. »Was mich angeht, müssen Dariusz und die anderen nichts von diesem Treffen erfahren.«

»Ich verstehe«, sagte Rother. »Ich soll nicht nur seinen Befehl missachten, sondern ihn auch noch belügen.«

»Etwas nicht zu sagen ist nicht unbedingt eine Lüge«, stellte Robin richtig, aber sie hatte die Worte noch nicht einmal ganz ausgesprochen, als ihr auch schon klar wurde, dass auch sie schon wieder falsch gewesen waren.

»Eine Lüge wegzudiskutieren macht sie noch lange nicht zur Wahrheit«, widersprach Rother.

Er klang traurig; irgendwie verletzt, fand Robin. Sie verzichtete darauf, irgendetwas von alledem zu sagen, was sie zu diesem Thema - vor allem im Zusammenhang mit Bruder Dariusz - hätte sagen können, sondern sah Rother nur noch einen Moment lang schweigend an und balancierte dann mit vorsichtig ausgebreiteten Armen die Düne hinunter, um sich auf die Suche nach ihren Pferden zu begeben.

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