Juni

«Fish and chips. «Und ja.»Mushy peas. «Der Koch hinter der Essensausgabe stellte den Teller auf die Glasvitrine und wandte sich Hazel zu. Hazel hatte sich hinter ihr angestellt. Hazel nahm Brokkoliauflauf und Pommes frites. Sie stellte ihren Teller auf das Tablett. Schob das Tablett weiter. Die Colaflasche fiel um. Sie hielt der Kassiererin ihre Sicherheitskarte hin. Die scannte sie. Gab sie zurück. Sie zahlte ihre Cola. Ging an Tisch 43. Ned und Bennie waren gerade mit ihrem Essen fertig. Sie hatten ihre Papierservietten zusammengeballt und auf ihre Teller geworfen. Sie kauten beide auf Zahnstochern. Zigarettenersatz, sagten sie zu den Zahnstochern. Nach jedem Essen sagten sie das.

Sie stellte ihr Tablett auf den Tisch. Sie setzte sich. Sie setzte sich langsam. Genau. Sie musste sich davon abhalten, den Teller und die Colaflasche vom Tablett zu nehmen und auf den Tisch zu stellen und dann vom Tisch zu essen. Niemand machte das hier. Man aß vom Tablett und ließ alles so stehen. Das wäre die effizienteste Methode, hatte Hazel ihr erklärt. Hazel hatte sie am Arm festgehalten. Als sie, vor dem Tisch stehend, mit dem Aufdecken beginnen hatte wollen. Am ersten Tag. Hazel hatte sie am Arm geführt und sie hingesetzt. Das System käme durcheinander.»Middle class luxuries«, hatte Hazel das genannt. Sich das Essen auf den Tisch zu stellen und nicht über den hohen Rand des Tabletts in das Essen stochern zu müssen und die Hände neben den Teller legen zu können. Es war peinlich gewesen. Sie hatte sich geschämt. Sie hatte sich für alles genieren müssen, was ihre Person ausmachte. Jetzt. Beim Hinsetzen. Sie hätte sich krümmen können. Vor Scham. Die Erinnerung an diesen Augenblick ließ ihre Wangen heiß werden. Aber jetzt. Sie wusste es besser. Mittlerweile. Sie stützte jetzt auch die Arme am Ellbogen auf und stach in das Essen von oben. Wie alle anderen. Sie trank jetzt aus der Flasche und legte die leere Flasche neben den Teller. Wie alle anderen. Sie legte ihre Serviette immer noch auf ihren Schoß und dann neben den Teller. Das war den Insassen gleichgültig, die die Tabletts abservieren mussten. Das brachte das System nicht durcheinander.

Hazel kam an den Tisch. Sie begannen zu essen. Hazel schaute auf die Uhr über der Speisenausgabe. Sie folgte dem Blick und schaute dann wieder auf ihr Essen. Sie hätte gerne etwas gesagt. Gefragt. Geredet. Ned und Bennie kauten auf ihren Zahnstochern und starrten vor sich hin. Was jeder so am Nachmittag machen werde. Sie hatte nur die lange Pause füllen wollen. Hazel trennte die Brokkoli vom Gratin und schüttete HP-Sauce über das Gemüse. Dann nahm sie die Ketchupflasche und schüttelte sie. Sie lächelte. Das wäre eine der wenigen Vorteile dieser Kantine. Es gäbe die condiments noch auf dem Tisch. Irgendetwas sollte der Zugriff auf die Arbeitskräfte hier einbringen. Bennie nahm zum Sprechen den Zahnstocher aus dem Mund. Er schaute Ned an. Der nickte.»I don’t expect any Damascene moments this afternoon, if you know what I mean. «Die beiden standen auf. Sie führen noch zu» Starbucks«. Sie warfen ihre Zahnstocher auf die Tabletts und gingen. Hazel winkte einem der Insassen in der weißen Cafeteriauniform. Der Mann kam. Er nahm die Tabletts. Er sah Hazel an. Lächelte scheu. Hazel lächelte zurück und wandte sich wieder ihrem Essen zu.

Sie war erstaunt. Warum hatte Hazel zurückgelächelt. Sie hätte erwartet, Hazel würde eine solche Vertraulichkeit zurückweisen. Ihr Erstaunen war deutlich erkennbar. Hazel grinste sie an. Sie musste lachen. Sie würde es nicht lernen. Was, fragte Hazel. Sie zuckte mit den Achseln. Sie spießte chips auf und steckte sie in den Mund. Weich. Holzig und fett. Kalt. Wann würde sich dieses schlechte Essen auf ihre Haut auswirken. Die Müdigkeit am Nachmittag von den fetten Kohlehydraten war schlimm genug. Die Frage nach dem Nachmittag. Das wäre doch wieder einer ihrer middle class luxuries gewesen, sagte sie. Sie konnte spüren, wie ihre Schultern nach unten hingen. Wie die Niederlage sich ausdrückte. Sie machte die Augen zu. Dachte sich vollkommen nach innen und hob von da ihre Schultern wieder an. Nur ein bisschen. Keine Gegenbewegung. Das war zu viel. Es war immer zu viel bei ihr. Sie musste glatter werden. Smooth.

«Amy. You are too tense. «sagte Hazel. Sie zuckte wieder mit den Achseln und aß weiter. Sie füllte den Mund mit den chips und trank Coca-Cola darüber. Hazel lachte leise. Sie würde das schon lernen. Camouflage. Jede Cafeteria habe doch ihre eigenen Regeln. Es ginge aber doch nicht darum, diese Regeln zu lernen. Das würde doch nur Kraft kosten. Kostbare Kraft. Es ginge doch darum, in jeder Cafeteria zu funktionieren. Nicht mehr und nicht weniger. Es ginge längst nicht mehr darum, die Regeln zu lernen. Imitieren. Das wäre es. Schauspielern. Und jeden Auftritt improvisieren. Das wäre die Herausforderung. The challenge. Ned und Bennie hielten sich nicht an diese Philosophie, sagte sie. Sie schaute Hazel ins Gesicht. Hazel konnte zurückschauen. War das ein Teil der camouflage. In England war es unhöflich, eine Person direkt anzusehen. Hazel senkte den Blick aber dann doch. Ned und Bennie hätten andere Ziele als sie, sagte sie zu den Brokkoli auf ihrem Teller. Ned und Bennie. Die machten ihre Rechtskurse für den Innendienst. Sie würde meinen, Ned wäre ein sehr guter Vertreter für die company. In PR-Angelegenheiten und so. Und Bennie in der Buchhaltung. Sie selbst. Sie hatte immer andere Ziele gehabt.»More romantic. «sagte sie. Und sie hätte gedacht, dass Amy auch das Drama des wirklichen Lebens bevorzuge.»Real life drama. «sagte sie. Real life adventures. Und für die. Da brauche man eben diese camouflage. Invisibility. Nur wenn man unsichtbar wäre, könne man als operator einen guten Job machen.

Hazel sprach während des Essens. Hazel saß ruhig und sprach, und das Essen verschwand von ihrem Teller. Ihr eigener Teller war noch fast voll. Sie würde nicht genug Zeit haben, aufzuessen. Sie war froh, dass Coca-Cola so viele Kalorien hatte. Sie konnte dieses Essen nicht so schnell essen. Das war schon in der Moira House Girls School ein Problem gewesen. 20 Minuten für das Essen, das nicht hinunterzuwürgen gewesen war. Damals hatte sie noch kein Coca-Cola bekommen, das Essen hinunterzuspülen. Und wie damals. Es wurde kommentiert. Alles. Der Gang. Der Stand. Das Sitzen. Wie sie am Tisch saß. Wie sie das Essen trug. Wie sie sich über das Essen beugte. Sie war eine Ausländerin. Alle schauten ihr dabei zu, eine Ausländerin zu sein. Hazel hatte ihr beigestanden, mit ihrer Hand auf dem Arm und der Verhinderung ihrer middle class luxuries. Relax. Das war das Zauberwort. Hazel hatte sie gemustert und gewusst, dass ihr das schwerfallen würde. Sie hatte das kühl gesagt. Bedauernd. Hazel hatte das Ideal schon erreicht. Hazel war mittelblond. Mittelgroß. Mitteldünn. Unauffällig. Dabei war Hazel hübsch. Sehr hübsch. Aber man konnte Hazel das nicht ansehen. Man konnte Hazel eigentlich überhaupt nicht sehen. Wahrnehmen. Wenn sie in der Reihe an der Essensausgabe stand. Wenn sie über den Platz zwischen dem Hostel und dem Essenspavillon ging. Es ging irgendjemand. Hazels Bewegungen waren ruhig und bestimmt, und ihr Blick richtete sich nach außen und ließ nichts in sie hinein. Wenn sie mit Hazel aß, schaute Hazel sie an, und sie wusste, dass Hazel sie durchschaute und alles von ihr wusste. Sie wusste von Hazel nur, dass es Hazel gab, weil sie mit Hazel und Ned und Bennie an Tisch 43 essen musste. 13.00 bis 13.30 Uhr. Und bei jeder Mahlzeit ein neues Detail zur Osama-bin-Laden-action.

Sie schaute Hazel genau an. Sie musste nicken. Hazel konnte sich in alles verwandeln. In jede andere Person. Musste man dazu ohne Person sein. Sie wollte Hazel fragen. Aber die trank ihr Wasser schon im Stehen und stellte das Glas dann ab.»See you. «sagte sie und lief zum Ausgang des Speisesaals. Sie drehte sich an der Tür noch einmal zur Uhr an der Wand um und verglich die Zeit mit der Uhr an ihrem Handgelenk.

Der Insasse strich um ihren Tisch. Er war jung. Orientalisch. Indien. Pakistan. Sie kannte sich da nicht aus. Hier wussten alle voneinander, woher jemand kam. Sie wurde als Schwedin geführt. Eine Wienerin. Eine Österreicherin. Da wusste keiner genau, was das bedeutete. Sie wurde dann als Deutsche behandelt. Das war ein Vorteil. Jeder dachte dann, sie käme von der Sicherheitsakademie in Lübeck, und wollte ihre Meinung zur Ausbildung hier in Nottingham hören. Natürlich wollte niemand wirklich etwas wissen. Das war in den Unterrichtsstunden gefragt worden. Da war es notwendig, genaue Auskunft zu geben. Sie sagte mittlerweile, dass sie kein Urteil abgeben könne. Sie wäre noch nicht lang genug hier. Zwei Wochen gäben keine Grundlage für Beurteilungen ab. Das schien das Richtige zu sein. Alle nickten und schauten an ihr vorbei. Sie konnte sich auch wieder erinnern. Das mit dem Schauen. Das machte jedes Mal Probleme. Niemand sah eine andere Person an. Dafür fühlten sich die meisten dann auch ungesehen, und deshalb gab es so viele Paare, die es in aller Öffentlichkeit. Die miteinander schmusten und einander ohne jede Zurückhaltung zwischen die Beine griffen. Die fühlten sich sicher vor jedem Blick. Sie war neidisch. Auf diese Ungeniertheit.

Sie trank die Cola aus. Sie legte die Flasche neben den Teller. Sie faltete die winzige Papierserviette der Länge nach und legte sie rechts vom Teller. Das war zur Erinnerung. Das Mammerl hatte von jeher darauf bestanden, dass die unbenutzte Serviette rechts vom Teller lag und am Ende des Essens links locker gefaltet hingelegt wurde. Bei den Schottolas war es umgekehrt gewesen.»Kleinbürger. «hatte das Mammerl dazu geseufzt. Das hätte sie Hazel sagen sollen. Dass das low class luxuries waren. Da, wo sie herkam. Lowest middle class war das wahrscheinlich. Der Insasse zog das Tablett weg und stellte es auf den Servierwagen, den er herumschob.

Sie stand auf. Sie nahm ihre Umhängetasche von der Sessellehne. Rundherum. Die anderen brachen auch alle auf. Sesselgeschiebe. Zurufe. Schritte. Tellerklappern. Die automatische Tür. Sicherheitskarte. Gleich in der Halle war der Geruch besser. Sie ging ins Freie. Sommerluft. Dunstig. Die Sonne hinter Wolken. Es konnte auch regnen. Sie ging zum Hauptgebäude. Von da musste sie zum Gebäude G. Infirmary. Der medical check. Sie hatte eine SMS bekommen. Man hatte einen Termin für sie einschieben können. Pünktlichkeit war angeordnet worden. Sie schaute auf ihr handy. Es war noch Zeit. Sie ging nach rechts. Die Gebäude ab D waren rechts vom Hauptgebäude. Sie waren in einem Bogen an der Straße angeordnet. Parknatur dazwischen. Die eigentlichen Gefängnisbauten hinter dem Essenspavillon. Die Mauer den Straßenbogen rechts entlang. Laufgänge über dem Gelände. Über das ganze Gelände führten Laufgänge auf Stelzen. Zwischen den Bäumen durch. Beobachtungstürme an der Mauer zum Gefängnistrakt. Hinter der Mauer. Keine Bäume oder Wiesen. Alles betoniert. CCTV überall. Überall Kameras. Jeder Zentimeter im Freien wurde aufgenommen. Hier. Auf der Campusseite. Es waren CCTV-Kameras auch in den Bäumen befestigt.

Sie atmete tief. Ging dahin. Sie wollte das nicht. Eigentlich wollte sie das nicht. Untersucht werden. Es hatte etwas Viehisches. Was wurde da festgestellt. Ihre Tauglichkeit. Wofür. Sie war hier für eine Kurseinheit. Warum wollten die einen medical check. Das musste ein Versehen sein. Bürokratie. Wer konnte Interesse an ihrem Gesundheitszustand haben. Und da gab es nichts. Das mit der Fehlgeburt. Das ging nur sie etwas an. Das war auch nicht mehr festzustellen. Das war alles lang vorbei. Oder war es diese dumme Geschichte. Behauptete Marina immer noch, sie wäre magersüchtig. Aber das war damals gewesen. Deswegen war sie dann nach Wien zurückgeschickt worden und zu den Schottolas gekommen. Dann. Ihre Aufpäppeleltern. Sie musste e-mailen. Sie musste der Tante Trude e-mailen, und sie sollte ihr eine Freude machen und ihr eine Postkarte schicken. Aber der Unterricht dauerte von 9.00 bis 18.00 Uhr. Danach noch eine Runde laufen oder ins gym. Es ging sich gerade aus, die Haare regelmäßig zu waschen. Sie hielt ihre Sicherheitskarte an den Türöffner und lächelte dabei in die Kamera. Die Tür klickte auf. Sie schob die Tür auf. Die Rezeptionistin erwiderte ihr Lächeln in die Kamera. Sie habe einen Termin bei Dr. Scarsdale. Ground floor. Room 14. Sie solle warten, bis sie aufgerufen werde.

Ein breiter Gang von der Rezeption nach hinten. Rechts und links schmale Gänge. Zimmer 14 war im dritten Seitengang nach rechts. Bänke standen im breiten Gang an der Wand. Alles weiß. Die Wände. Die Türen. Die Bänke. Sie fand die Tür mit der Nummer 14 und ging auf den breiten Gang zurück. Sie setzte sich. Es war angenehm. Sie war müde. Sie war wach. Das war die Cola. Unter der Wachheit war sie müde. Es war auch nicht mehr so wichtig, was da auf sie zukam. Was konnte schon passieren. Wahrscheinlich ging es um Drogen. Das war denen das Wichtigste. Clean. Sie streckte die Beine aus. Clean. Das war sie. Eine Urinprobe. Das konnte sie denen lassen. Sie trank ja nicht einmal mehr. Die Lust daran vorbei. Alkohol. Es gab keine Lust mehr dafür. Das gehörte zur Müdigkeit. Sie lehnte sich zurück. Legte den Kopf gegen die Wand. Die Person, die sie werden wollte. Die Person, die so in die Welle schnitt, dass sie unter dem Wellenkamm entlangsurfte. Die Person hatte auch keine Lust dazu. Diese Person war eine Hazel. Oder besser. Diese Person versuchte, eine Hazel zu werden.

Der Mann stand vor ihr. Ob sie Amy Schreiber sei. Er sprach es Skriber aus. Sie musste etwas mit ihrem Namen machen. Sie stand auf. Der Mann. Jung. Schlank. Brünett. Burschikos. Er strich sich durch die Haare. Er habe ein Problem. Er ging ihr in das Zimmer voraus. Eine Liege an der Wand. Schreibtisch. Ein Sessel davor. Einer dahinter. Milchglasscheiben im Fenster. Er habe da ein Problem. Er müsse weg. Eine emergency. Bei» emergency «krallte er seine Hand in die Haare und zog an den Haaren, als gelte er sie hinauf. Er wisse nicht, was er tun solle. Er könne sie nicht allein hierlassen. Health and safety. Sie dürfe nicht allein gelassen werden. Das Sicherheitsprotokoll. Die Sicherheitsfragen. Sie könne in der Rezeption hier die Stunde abwarten. Mit wem habe sie denn Kontakt. Hier.»Hazel. «sagte sie.»Hazel Nikolaev. «Der Mann nickte. Er schaute auf einer Liste. Wählte eine Nummer auf seinem handy. Er ging auf den Gang hinaus und sprach dort. Er kam zurück. Sie solle in der Rezeption warten. Hazel werde sie da abholen. Das sei alles nicht regulär. Er habe aber keine andere Möglichkeit. Er nahm eine Arzttasche und drängte sie aus dem Raum hinaus. Er warf die Tür ins Schloss. Er schob sie den breiten Gang hinunter und rief der Rezeptionistin von weitem zu, dass diese Person da auf Hazel Nikolaev warten solle. Er lief davon. Ein schwarzer Mini stand vor dem Eingang. Der Mann stieg ein, und der Wagen fuhr mit quietschenden Reifen davon. Die Rezeptionistin nickte ihr zu. Sie stellte sich zur Tür. Ob sie sich nicht setzen wolle. Es standen zwei Sessel in der Ecke vor dem Lift. Sie lehnte ab. Sie wollte durch die Tür hinaus. Sie wollte sagen, dass sie lieber an der frischen Luft warten wollte. Sie habe den Auftrag, hier in der Lobby zu warten. Die Frau sagte das bestimmt. Sie sah nicht von ihrem Computerbildschirm auf. Aber natürlich hatte sie die Bilder von der Sicherheitskamera und konnte sehen, dass sie hinausgehen hatte wollen.

Sie blieb an der Tür stehen und schaute hinaus. Sie schaute durch die breite Glasfront auf den Gefängniskomplex hinaus und war selber festgehalten. Sie holte tief Luft. In ihrem Bauch. Knapp über dem Nabel. Sie griff auf ihren Bauch. Tat so, als müsse sie den Gürtel ihrer Jeans zurechtziehen. Sie rieb sich den Bauch. Rieb über das Krabbeln im Bauch. Sie ließ die Arme wieder hängen. Das Krabbeln wurde wieder stärker. Sie musste gehen. Sie ging auf und ab. Sie ging vor der Tür auf und ab. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ging. Die Umhängetasche schwer gegen die rechte Hüfte. Sie nahm die Tasche ab und stellte sie auf den Boden. Sie ging um die Tasche. Beim Gehen blieb die Unruhe gleich hoch. Beim Gehen konnte sie tiefer atmen. Sie konnte nicht an der Tür stehen und Atemübungen machen. Beim Gehen konnte sie die Atemübungen verstecken. Sie ließ den Kopf hängen. 1-2-3 einatmen. 1-2-3 ausatmen. Sie schaute wieder auf. Der Abstand zur Gefängnismauer war wieder normal. Kein Vor- und Zurückweichen mehr wie vorhin. Sie konnte sich auch die vielen Personen dahinter nicht mehr vorstellen. Das war nur einen Augenblick lang so gewesen. Wie in einem Kinderbuch hatte sie durch die Wände hindurch die Personen in den Gebäuden sehen können. Es waren 1600 Insassen in diesem Komplex untergebracht. Es wurden 20 Prozent der Kosten gegenüber den staatlichen Gefängnissen eingespart. Die Institution war Teil der Praxisausbildung der Trisecura Academy. Eine zusätzliche Nutzung. Zusätzliche Effizienz. In der Ausbildung war jeder Augenblick in diesem Komplex zusätzliche Sicherheitspraxis. Die Nähe der Insassen war eine stete Aufforderung, die Algorithmen zu beachten. Ernst zu nehmen. Durchzuführen. Anzuwenden. Die Rezeptionistin hier. Sie hatte alles perfekt befolgt. Der Arzt. Alles perfekt befolgt. Sie musste nicken. Es war vollkommen richtig, dass sie hier nicht einfach hinausgehen durfte. Das gewährleistete ihre Sicherheit und bewahrte Trisecura vor Forderungen, falls ihr etwas geschah. Hier. Auf dem Campus und im Gefängniskomplex galten ausschließlich die Regeln der Trisecura. Sie war in Trisecura. Trisecura lag in England. Aber Trisecura war ein eigenes Territorium mit eigenem Hausrecht, und alle unterlagen dem. Dafür war man sicherer als dann in England. Man musste das alles nur befolgen. Damit man es später organisieren konnte. Man musste wissen, wie es sich anfühlen musste. Sicherheitsfachpersonen sollten alle Stufen durchlaufen. Immer von unten nach oben. Eine Sicherheitsfachperson musste die Praxis kennen.

Sie nahm sich zu wichtig. Solche Vorstellungen. Solche Erscheinungen. Die Personen hinter den Mauern. Das waren Straftäter. Die hatten sich entschieden. Die hatten das Spiel gespielt. Sie hatte damit nichts zu tun. Das hier war eine Ausbildung. In Krems war das Gefängnis auch neben der Fachhochschule, und niemand studierte deshalb nicht mehr Pädagogik oder Psychologie, weil gleich nebenan die äußersten Auswirkungen der Pädagogik oder der Psychologie vorzufinden gewesen wären. Warum ließen die es auch dazu kommen. Warum vermieden diese Männer es nicht, hierherzukommen. Es gab immer die Möglichkeit der Entscheidung. Diese Männer hatten sich für hier entschieden, und die hatten das gewusst, und jetzt mussten sie versorgt werden. Sie hasste diese Typen. Sie zwangen sie, ihr Mitleid wegzubrennen. Sie hätte diesen Insassen im Speisesaal nicht anlächeln können. Sie hätte das Gefühl gehabt, ihn wegführen zu müssen. Retten zu müssen. Aber er hatte sicherlich etwas getan, was ihn hierhergebracht hatte, und hier wurden keine leichten Verbrechen abgebüßt. Middle class luxuries. Sie wünschte sich, sie hätte an die Tante Trude geschrieben. Sie schaute auf die Mauer hinaus. Ein breiter Betonweg bis zur Straße. Rasen links und rechts. Rundkronige Bäume. Was machte sie hier. Es war nicht ihre Aufgabe, darüber zu entscheiden, wer Täter war und wer nicht. Sie hatte Allmachtsphantasien. Sie hatte Allmachtsphantasien, damit sie eine heilige Weltretterin bleiben konnte. Sie hatte diese Allmachtsphantasien, damit sie nicht zur Kenntnis nehmen musste, dass es böse Personen gab. Sie glaubte nicht an die Gerichte, die diese Männer hierherschickten. Sie glaubte an eine Unschuld, die sie selbst noch nie erlebt hatte. Sie hatte Allmachtsphantasien, damit sie nicht zugeben musste, wie man an ihr gehandelt hatte. Sie sollte sich hassen dafür. Sie sollte sich zuerst dafür hassen. Sie sollte sich für diese Wehrlosigkeit hassen. Für diese Dummheit. Ignoranz. Und wenn sie das konnte, dann sollte sie anfangen, die zu hassen, die ihr Böses angetan hatten. Ihr war elend. Sie war in einem Loyalitätskonflikt. Middle class luxuries. Middle class misery. Sie hatte Angst, alles zu verlieren. Sie hatte Angst davor, hart zu werden. Sie sollte sich das zugeben. Sie hob ihre Tasche vom Boden auf. Sie ging zur Rezeptionistin. Sie wollte hinaus. Sie musste hinaus. Ins Freie. Sie musste weg. Sie musste nachdenken.

Quietschende Bremsen. Draußen. Sie drehte sich zur Tür herum. Ein silbergrauer Kleintransporter. Sie ging zur Tür zurück. Sie sah nur Silhouetten in dem Wagen. Das Telefon der Rezeptionistin läutete. Sie nahm ab. Redete kurz. Die Glastür glitt auf. Sie ging hinaus. Die Schiebetür des Transporters stand offen. Sie ging hin. Hazel saß hinten und winkte ihr. Deutete ihr, sie solle einsteigen. Sie kletterte in den Wagen. Kam neben Hazel zu sitzen. Ein Mann schob die Tür wieder zu. Der Fahrer fuhr rückwärts aus der Zufahrt zu Gebäude G hinaus. Fuhr am Hauptgebäude vorbei die Straße weiter.

Hazel hatte einen grauen overall an. Alle hatten solche overalls an. Es waren noch 4 Männer im Auto. Athletische Typen. Kurze Haare. Alle schauten nach vorne. In sich gekehrt. Niemand sprach. Sie saß hinten neben Hazel. Sie fand keinen Anfang für Fragen. Sie schaute auch nach vorne.

Sie fuhren in den Gefängniskomplex hinein. Das Haupttor. Eine Straße zwischen Gebäuden. Heller Beton. Hohe, schmale Fenster. Hohe Mauern. Die Wachtürme. Ein Tor. Wieder Straße. Noch ein Tor. Vor den Toren musste angehalten werden. Dann gingen die Tore auf. Es war niemand zu sehen. Die Fensterscheiben neben den Einfahrten getöntes Glas. Nach dem dritten Tor fuhren sie in eine Garage hinunter. Alle sprangen aus dem Wagen. Gingen zu einem Lift. Im Lift sagte Hazel:»This is Amy. She is a trainee from Germany. «Die anderen nickten. Sie fuhren nur kurz hinauf. Erdgeschoss. Eine Halle. Sie gingen hinaus. Lagerhallen. Container. Ein Mann hatte einen Hund mit. Sie hatte den Hund nicht bemerkt. Das Tier lief an diesen Mann geschmiegt. Der Mann hatte keinen einzigen Befehl gegeben. Bisher. Stumm gingen sie. Schauten nach vorne. Vor einer Halle blieben sie alle stehen. Hazel deutete ihr zu warten.

Sie blieben draußen. Es war heiß. Kein Schatten. Die Sonne noch hoch. Der Boden betoniert. Die Halle eine Metallkonstruktion. Der Mann stand in der Sonne. Sonnenbrillen. Der Hund an seiner Seite. Bewegungslos. Ruhig. Militärstiefel. Hoch hinaufgeschnürt. Mit solchen Schuhen stand man so ruhig. Sie schaute weg. Wegen der Sonnenbrille wusste sie nicht, ob der Mann sie ansah. Wohin er schaute. Flugzeuge zogen am Himmel vorbei. Man konnte Autos hören. Lastwagen. Rundherum keine hohen Gebäude mehr. Der Himmel weit. Sie bemühte sich, so ruhig zu stehen wie der Mann. Professionell. Das schien professionell zu sein.

Plötzlich war aus der Halle Lärm zu hören. Es begann mit einzelnen Ausrufen. Dann wurde Geschrei daraus. Lautes Geschrei. Und immer noch lauter. Sie schaute ihre Schuhe an. Hellblaue Timberlands. Rauleder. Sie wünschte sich, die braunen Timberlands gekauft zu haben. Das Geschrei hielt an. Sie hatte zu schwitzen begonnen. Das Geschrei kam näher an die Tür. Bewegte sich wieder weg. Sie konnte nicht mehr ruhig stehen. Eine Tür an der Seite ging auf. Ein anderer Mann im grauen overall winkte heraus. Der Mann mit dem Hund ging zur Tür. Sie schaute den Mann in der Tür fragend an. Der reagierte nicht. Sie machte einen Schritt hinter dem Mann mit dem Hund her. Dann wandte sie sich wieder weg und stand still. Sie hörte die Tür zufallen. Das Geschrei war erstorben. Dann setzte es wieder ein. Hörte mit einem Schlag auf. Der Hund bellte. Ein einzelner Schrei. Ein langgezogener Schrei. Das Geschrei bisher war wütend gewesen. Eindringend. Der einzelne Schrei. Der Hund bellte wild. Sie konnte sonst nichts hören. Der Hund knurrte und bellte. Wütend. Laut. Gefährlich. Ein Kommando. Der Hund war still. Ein Winseln. Nach langem ging die Tür vorne auf. Hazel kam heraus. Sie richtete sich die Haare. Strich sich die Haare zurecht. Sie war rot im Gesicht. Der overall verrutscht. Sie richtete den Gürtel im Gehen. Sie lächelte. Amy solle jetzt mitkommen. Das wäre nur eine Unterstützungsaktion gewesen. Wenn jemand gestresst werden musste, da müssten alle mithelfen. Aber der Hund. Der mache immer den Trick. Hazel ging voraus. Sie gingen um die Halle herum. Container waren gestapelt. Beige Container. Kleine Stiegen führten zu den oberen Containern hinauf. Die Stiegen waren rot gestrichen. Die Türklinken waren rot. Sie kamen zu einer Baracke. Eine langgezogene Betonbaracke. Nur ein Stockwerk. Hazel führte sie in dieses Gebäude. Hier war alles grün. Grüne Stahltüren. Die Wände grasgrün. Ein schmaler Gang diese Türen entlang. Kameras an den Türen. In den Ecken.

Hazel machte eine Tür auf. Ein Mann kam heraus. Das sei die Person, fragte er Hazel.»Ja. «sagte Hazel. Das sei Amy. Amy wandte sich ihr zu. Sie bekäme jetzt einen Knopf fürs Ohr. Wie im Film, fragte sie. Ja, sagte der Mann. Wie im Film. Er reichte ihr das Mikrophon. Sie steckte es ins linke Ohr. Der Mann grinste. Niemand wolle im rechten Ohr etwas hören. Sie verstand ihn nicht gut. Er sprach einen Dialekt. Ihr Englisch war dafür nicht gut genug. Sie sagte das auch.»My english …«Hazel unterbrach sie. Nein. Nein. Ihr Englisch wäre fabulous. Auf jeden Fall würde es reichen. Hazel steckte ihr den Akku zum Mikrophon in die Brusttasche ihrer Bluse. Schön, dass Amy eine weiße Bluse trüge. Hazel nahm ihr ihre Tasche ab. Dann schob sie sie durch eine Tür hinten in einen Raum. Die Tür ging zu.

Sie stand in einem kleinen Raum. Im Ohr knackte es. Ob sie sie verstünde, fragte Hazel. Sie drehte sich nach der Stimme um. Kameras in allen Zimmerecken. Es war kühl im Zimmer. Kalt. Hell. Sehr hell. Die ganze Decke nur Licht. Die Wände. Der Boden. Weißer Bodenbelag. Der Mann war auf einer Liege in der Mitte des Raums festgeschnallt. Er lag auf dem Rücken. Ein Ledergurt über der Brust. Einer über den Hüften. Die Hände. Sie ging hin. Seine Hände waren in Handschuhen. Fäustlingen. Über der Brust gekreuzt. Die Liege zu schmal. Kein Platz, die Hände neben den Körper zu legen. Seine Füße waren in Socken. Weißwattig. Der Mann hatte eine Unterhose an. Es war eine dicke Windel. Es stank. Der Mann lag da. Er hatte die Augen zu. Sie stand über ihm. Im Ohr sagte Hazel, sie solle den Mann ansprechen. Sie sagte» Hello. «und» You.«. Eine Männerstimme sagte, sie könne ruhig in der Sprache sprechen, in der sie zu sprechen gewohnt sei. Also sagte sie:»Sie. Hallo. Sie. Ich soll Sie ansprechen. «Der Mann auf der Liege reagierte nicht. Sie richtete sich auf und schaute sich um. Sie sagte zu der Kamera in der Ecke neben der Tür, der Mann reagiere nicht. Sie müsse lauter sein. Sie müsse den Mann dazu bringen, ihr zuzuhören. Sie schaute auf den Mann hinunter. Es bewegten sich nicht einmal seine Augenlider. Die Haut rund um die Augen dunkelbraun im hellen Braunbeige seiner Haut. Keine Haare. Der Mann hatte keine Haare. Der Kopf glatt. Im Gesicht stoppelige Barthaare.»Geben Sie ein Zeichen. Show us that you hear me. «sagte sie. Der Mann reagierte nicht.»Hey. «rief Hazel in ihrem Ohr.»Action.«»It stinks. «sagte sie. Hazel fragte» So?«. Sie schaute den Mann an. Seine Rippen zeichneten sich scharf unter der Haut ab. Die Haut braun. Hellbraun. Ledrig.»Tell him a story and make him think he is in heaven. «sagte der Techniker ihr ins Ohr.»In whatever language you choose.«

Sie ging zur Tür. Die Tür hatte keine Klinke. Die Tür war eine weiße Platte. Weißgestrichenes Metall. Alles war weiß. Das Licht. Die Kameras in den Ecken. Es zog sie hinauf. Das Licht und die Linsen der Kameras zogen ihr Gehirn in die Höhe. An die Decke. Sie stand vor der Tür und machte die Augen zu. Die Helligkeit blieb.

«Amy. «hörte sie Hazel.»I am not very good at this. «sagte sie. Sie sprach mit der Kamera in der Ecke über der Tür.»Obviously.«»And obviously that is not the point here. «sagte Hazel zurück. Fröhlich. Es kam ihr fröhlich vor, und sie wandte sich von der Kamera ab. Sie ging an den Liegenden heran.»Jetzt bin ich in Ihre Scheiße hineingezogen. «sagte sie. Sie ging wieder weg. Sie ging zurück. «Verstehen Sie. «Sie sagte das. Dann rief sie es.»Verstehen Sie das. «Dann beugte sie sich über den Mann und schrie ihm das ins Gesicht.

Sie richtete sich auf und wandte sich an die Kamera in der rechten Ecke von der Tür. Sie wartete auf eine Reaktion. Sie schob das Mikrophon im Ohr zurecht. Ein dumpfes Gefühl. Das stille Mikrophon in der Stille. Plötzlich kam ihr der Mann bekannt vor. Sie schaute ihn aufmerksam an. Aber im Liegen. Leute sahen im Liegen so anders aus. Sie ging wieder zur Tür. Sie ging an die Wand gegenüber der Tür. Ihr Gehen. Sie konnte davon nichts hören. Sie schaute auf ihre Füße hinunter. Der weiche Bodenbelag. Die Wand hinauf. Sie dachte kurz, wie sie auf diesem Bodenbelag an der Wand weitergehen sollte und dann, auf der Decke stehend, das Licht unter sich haben würde. Man konnte diesen Raum sicher drehen. Wahrscheinlich war das einer von diesen Räumen, in denen auch Erdbeben simuliert werden konnten. Sie konnte sich vorstellen, wie der Raum gekippt wurde. Gerüttelt. Herumgeworfen. Wie sie dabei auf diesen Mann fallen würde. Der war ja festgeschnallt. Dem würde nichts passieren. Der würde dann von der Decke hängen. Aber wie sollte sie die Drehung überstehen. Sie musste wenigstens wissen, in welche Richtung gedreht werden würde. Damit sie in diese Richtung gehend ihr Gewicht verlagern konnte. Sie lehnte sich gegen die Wand neben der Tür. Falls das mit der Drehung passieren sollte. Oder der Raum geschüttelt würde. Es konnte ja sein, dass die Tür aufging. Durch die Veränderungen. Und dann war sie gleich bei der Tür. Was wäre das für eine Tragödie, wenn sie da gerade an der anderen Wand herumkroch und nicht an die offene Tür kommen konnte.

Sie stieß sich von der Wand ab. Es täte ihr leid, sagte sie auf das Gesicht des Manns hinunter. Sie hätte keine Ahnung, was hier abliefe. Sie wäre so hilflos wie er. Ja. Sie gäbe zu, sie wäre nicht festgeschnallt. Aber in gewisser Weise doch. Es täte ihr alles schrecklich leid. Sie habe sich das alles anders vorgestellt. Sie habe immer gehört, dass es nicht anders ginge. Dass es nur so ginge. Sie wäre bereit, seine Unschuld zu glauben. Aber es hätte diese Attentate gegeben. Es gäbe sie. Das müsste er zugeben. Diese Attentate. Die wären eine Tatsache. Und dass er nun verdächtigt würde. Das wäre eine Folge dieser Tatsachen. Tatsachen, die viel Leid gebracht hätten. Und wenn Leid wiederum keine Folgen hätte, dann gäbe es nur noch die Tatsachen. Und wie solle das gehen. Die einen machten Attentate, und die anderen ließen sie machen. Wenn es um dieses extreme Leid ginge. Wenn Arme und Beine oder das Leben verlorengingen. Dann könne man das nicht so einfach geschehen lassen. Das müsste er doch verstehen.

Sie hatte vor sich hin geredet. Ohne Pause. Ohne Unterbrechung. Sie hatte vor sich hin gestrudelt. Nur ihre Stimme war immer höher geworden. Der Mann zeigte keine Reaktion.

Wenn sie nur glauben könnte, dass er es nicht machen würde. Dass er nicht seinen Gegner festschnallen würde und jedes sinnlichen Reizes berauben. Wenn sie das nur glauben könnte, sie würde ihn befreien. Sie würde hier toben und schreien und alles tun, dass sie herausgeholt werden würde. Sie wäre die Großnichte einer Aktionärin. Sie könne nicht so einfach verschwinden. Sie sprach ruhig. Langsam. Deutlich. Sie sagte das wieder auf Englisch. Damit es alle mitverstehen konnten. Sie stockte. Ging wieder an die Tür.

«Go on. «Hazels Stimme. Sachlich.»He is coming around and you don’t have to do anything. Your voice alone is hurt enough.«

Sie stellte sich wieder an die Liege. Ihr Kopf war leer. Sie wusste nichts zu sagen. Ihr Mund war trocken. Die Kehle rau. Die Wiener Sängerknaben fielen ihr ein. So, wie sie zur Kamera hinaufschaute. Wie sie den Kopf gehoben hatte. So sangen die. Sie legte die Hände auf dem Rücken ineinander und schaute in die Kamera. Ja. So standen die und sangen. Ihr fiel aber kein Lied ein.

«Es waren einmal zwei Kinder. Ihr Name war Hänsel und Gretel. Die lebten mit ihrem Vater und ihrer Stiefmutter im Wald. Eines Nachts sagte die Stiefmutter zum Vater. Du. Mann. Wir müssen die Kinder in den Wald führen und dort aussetzen. Wir haben kein Essen mehr. Der Vater wollte das nicht zulassen, aber die Stiefmutter überzeugte ihn. Am nächsten Morgen gaben die Eltern den Kindern das letzte Stück Brot.«

Die Augenlider des Manns flatterten auf. Er behielt sie geschlossen. Aber auch sein Mund bewegte sich. Er krächzte. Fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Die zu befeuchten.

Sie begann zu schreien. Sie begann zu schreien. Sie lief zur Tür und schlug gegen die Tür.

«Think that this is the man who abandoned your mother. Think this is the man who treated your grandmother so badly. Think he is all the men who abandon pregnant women and hurt their children so much. «Hazel flüsterte in ihrem Ohr.

Sie hatte Angst vor diesem Mann. Wenn er sie ansah. Sie wollte nicht von ihm gesehen werden. Das war alles Wahnsinn. Sie schrie nach Hazel. Nach dem Techniker. Im Ohr war kein Laut. Plötzlich war da kein Ton mehr. Die hatten sie abgeschaltet. Vergessen. Eine Welle Hass. Sie hasste diesen Mann. Sie stellte sich wieder an seine Seite. Sie trat gegen die Beine der Liege. Der war schuld an allem. Sie riss an den Gurten. Sie trat gegen die Liege. Sie schlug gegen die Wände. Sie hätte diesem Mann weh tun wollen. Sie konnte fühlen, wie sie auf ihn einstach. Sie fühlte, wie die Stiche durch seine Haut. In den Körper. Wie sie immer wieder. Der nächste Stich vom Solarplexus her befohlen. Ein Drang zuzustechen. Zuzuschlagen. Reißen. Immer noch etwas hinzufügen. Geräte dafür. Messer. Nadeln. Am liebsten Nadeln. Nein. Doch Messer. Stanley-Messer. Jeder Stich den nächsten auslösend. Schnitte. Sie fand sich das sagen. Sie zischte diesem Mann zu, wie sie ihn zerfleischen wollte. Zerschneiden. Wie sie ihm die Augen. Den Mund. Wie sie ihm das Gesicht. Zerstören. In die Ohren. Das besonders. In die Ohren. Die hier nichts hörten. In dieser Stille. Was für ein Vergnügen, genau in so einer Stille das Gehör zu zerstören. Sie fand sich wieder ruhig. Sie stand an die Tür gelehnt und sprach vor sich hin. Sinnierend. Wie richtig es wäre, in der Stille so eine ewige Stille, und wenn sie schon so allein gelassen waren. Sollten sie dann nicht etwas Sinnvolles daraus machen.

Sie fiel nach hinten. Die Tür wurde aufgemacht. Sie fiel nach draußen. Sie schaute sich nicht um. Sie stolperte weg. Der Techniker nahm ihr das Mikrophon ab. Sie schaute ihn nicht an. Er sagte nichts. Sie ging hinaus. Die Schatten lang. Niemand. Sie ging an der Halle vorbei. Sie hörte ein Auto. Der Kleintransporter.

Der Wagen blieb neben ihr stehen. Sie stieg ein. Vorne. Auf dem Beifahrersitz. Sie schaute nach vorne hinaus. Der Mann, der fuhr. Er sagte kein Wort. Die Tore. Wieder das Warten. Hinausstarren. Dann die langsam aufgehenden Tore. Alle Tore gleich. Mattgraue Metallplatten. Die Tore wurden seitlich weggeschoben. Die Tore rollten auseinander. Der Fahrer fuhr los, sobald genug Platz war. Er wartete nicht, bis die Tore ganz offen waren. Sie konnte beim Vorbeifahren noch sehen, wie die Tore immer noch weiter auseinanderrollten, während sie schon durch waren. Sie fuhren in Richtung Hauptgebäude. Vor dem Hauptgebäude bog der Fahrer nach rechts ab und hielt vor dem Eingang zum Speisesaal. Sie stieg aus. Sie hielt die Sicherheitskarte an den scanner. Ging in das Gebäude. Sie ging zur Speisenausgabe. Tablett. Sie nahm eine Kanne Tee. Milch. Zucker. Ein cucumber sandwich. Einen Früchtekuchen. Tasse. Löffel. Kuchengabel. Serviette. Zur tea time gab es kein Personal an der Kasse. Es gab keine Getränke, die selbst bezahlt werden mussten. Sie nahm das Tablett und ging zu Tisch 43.

Ned und Bennie saßen da und kauten an ihren sandwiches. Hazel schaute auf und deutete auf ihren Sessel. Sie habe ihre Tasche vergessen. Sie stellte ihr Tablett hin. Sie nahm ihre Tasche und hängte sie an die Sessellehne. Setzte sich. Sie goss Milch in die Tasse. Warf den Zucker in die Milch. Dann goss sie den Tee darüber. So machte man das hier. Der Tee war heiß, aber sie war sehr durstig.

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