Für Milly, Hugo und Hilding,
drei sehr bedeutende Hunde
Henry hatte immer nur einen einzigen Wunsch gehabt und das war – ein Hund.
Er hatte sich zu seinem letzten Geburtstag einen Hund gewünscht und zum Geburtstag davor und zu jedem Weihnachtsfest. Und nun, da sich sein Geburtstag erneut jährte, wünschte er sich einen Hund sehnlicher denn je. Er hatte alles über Hunde gelesen. Er wusste, wie man sie füttern und wie man sie abrichten musste. Doch jedes Mal, wenn er seine Mutter um einen Hund bat, meinte die nur: »Sei nicht albern. Was sollen wir mit einem Hund? Denk nur an die Unordnung, überall hat man Haare auf dem Teppich und Kratzer an der Tür. Und erst der Geruch … von den Pfützen auf dem Boden ganz zu schweigen.« Albina Fenton konnte an Hunde nur mit einem Schaudern denken.
Und wenn Henry dann entgegnete, dass er dafür sorgen wollte, dass der Hund nicht roch, dass er ihn ständig ausführen würde, damit er keine Pfützen auf den Boden machen müsste, sah sie ihren Sohn gekränkt an.
»Du hast so ein schönes Zuhause. Ich hätte dich für dankbarer gehalten.«
Das mit dem schönen Zuhause stimmte ja auch, irgendwie. Henrys Eltern waren reich, sie wohnten in einem Vorort von London in einem großen modernen Haus, das mit seidenen Vorhängen ausgestattet war und mit Teppichen, die so dick waren, dass die Füße darin versanken. In der Garage standen drei funkelnagelneue Autos – eins für Henrys Mutter, eins für Henrys Vater und eins für Henrys Kindermädchen, damit brachte sie ihn in die Schule. Es gab fünf Badezimmer mit goldenen Wasserhähnen und Regenduschen und eine Sauna. In der Küche summten und brummten die neuesten technischen Geräte und die Diele war mit Marmorfliesen aus Italien ausgelegt.
Doch im ganzen Haus gab es nichts Lebendiges, nicht den kleinsten Käfer, nicht die zarteste Spinne, nicht die scheueste Maus. Albina und die Hausangestellten achteten peinlichst genau darauf. Im Garten gab es natürlich auch keine Blumen, nur geharkten Kies, denn Blumen bedeuteten Erde und damit Dreck.
Obwohl er wusste, dass es sinnlos war, länger zu hoffen, wollte Henry es noch ein letztes Mal versuchen. Zehn Tage vor seinem zehnten Geburtstag stand er früh auf und trat auf den dunkelblauen Teppich, den seine Mutter in der kommenden Woche auswechseln wollte, denn Blau war nicht mehr modern. Henry hatte erwidert, dass er Blau schön fände, doch seine Mutter hatte ihn nur mit diesem mitleidigen Lächeln bedacht, das sie jedes Mal für ihn hatte, wenn er etwas sehr Dummes sagte.
Nun knipste er sein Nachtlicht aus, das aussah wie eine fliegende Untertasse, und überlegte, warum er genauso schlecht mit einer Lampe schlief, die wie eine fliegende Untertasse geformt war, wie mit einer, die die Form eines Wolkenkratzers hatte.
Er ging ins Badezimmer hinüber und wusch sich ganz besonders gründlich, sogar hinter den Ohren, dann putzte er ausgiebig seine Zähne mit der elektrischen Zahnbürste, bevor er den Hochdruck-Atemerfrischer benutzte, der an der Wand hing.
Er wollte, dass alles in Ordnung war, bevor er den Zettel für seine Mutter schrieb, denn der war wichtig. Wenn sie ihn bemerkte, würde alles gut werden, wenn nicht …
Er setzte sich an seinen ergonomisch geformten Schreibtisch, nahm einen Füllhalter und einen Bogen von seinem feinen Briefpapier, denn seine Eltern hassten Schlampigkeit, und schrieb in Schönschrift:
Bekomme ich einen Hund zum Geburtstag? Bitte, Bitte!
Er schrieb es dreimal, denn er wollte, dass es richtig gut aussah – seine Eltern hatten ihn von seiner letzten Schule genommen, weil sie meinten, er mache dort nicht genug Fortschritte – und dann tappte er über den Flur und schob den Briefbogen unter der Schlafzimmertür seiner Mutter durch. Seinem Vater zu schreiben war sinnlos, denn sein Vater war in Dubai, oder etwa in Hongkong? Henry wusste es nie genau, obwohl er sich alle Mühe gab, sich zu merken, wo sein Vater sich gerade befand. Sein Vater war ein »Vielflieger« und befand sich mehr in der Luft als auf der Erde.
Albina war gerade in ihrem begehbaren Kleiderschrank und überlegte, was sie anziehen sollte.
»Also wirklich, das sind doch alles nur Lumpen«, murmelte sie, während sie eine Reihe schimmernder Abendkleider abschritt und dann zurück an einer Reihe eleganter Kostüme entlangging, sie öffnete Schubladen mit Rüschenblusen und Spitzenschals.
»Ich werfe den Plunder weg und kaufe alles neu. Höchste Zeit für einen ausgiebigen Einkaufsbummel.«
Als sie aus der Garderobe kam, sah sie, dass jemand einen Zettel unter ihrer Tür durchgeschoben hatte, und ihr Herz wurde schwer. Er war bestimmt von Henry. Nicht dass sie seinen Geburtstag vergessen hatte, im Gegenteil. Sie hatte ein Geschenkset im Kaufhaus Hamleys und ein zweites bei Harrods in Auftrag gegeben. Dort stellte man Passendes für einen Jungen in Henrys Alter zusammen und lieferte es pünktlich am Abend vorher. Bisher hatte das immer wunderbar funktioniert. Ein stadtbekannter Partyservice würde das Essen bringen, aber was die Party selbst betraf, so tat sich Henry schwer damit, in der neuen Schule, die für ihn in jeder Hinsicht die bessere war, auch Freunde zu finden.
Sie hob den Zettel auf. Hoffentlich geht es nicht wieder um das eine, dachte sie.
Doch, das tat es und sie würde ihm wieder erklären müssen, wie unmöglich das war, und müsste dann sehen, wie er sich wegdrehte und auf seiner Unterlippe herumbiss und dabei aussah wie ein armes Waisenkind und nicht wie ein Junge, der alles auf der Welt hätte haben können.
»Es ist so ungerecht«, sagte sie zu ihren Freundinnen, als die sie am Vormittag auf einen Kaffee besuchten und Henry vom Kindermädchen in seinen Freizeitclub gebracht worden war. »Ich tue wirklich alles für den Jungen, aber meint ihr, er wäre mir dankbar?«
Ihre Freundinnen, deren Namen alle mit G begannen – Glenda, Geraldine und Gloria –, waren wie immer voller Mitgefühl. »Aber er sieht ziemlich blass aus«, sagte Gloria. »Ich sag dir mal was, ich hab gelesen, dass es Leute gibt, die Kindern Grußbotschaften an ihrem Geburtstag überbringen. Die sind dann als Affe oder irgendein anderes Tier verkleidet, singen ein lustiges Lied und gratulieren. Vielleicht findest du jemanden, der als Hund verkleidet kommt?«
Nachdem ihre Freundinnen gegangen waren, rief Albina im Büro ihres Mannes an und bat die Sekretärin, ihm in Dubai eine Nachricht zu hinterlassen. »Erinnern Sie ihn bitte daran, dass Henry am Freitag Geburtstag hat. Vielleicht kann er ein Geschenk für ihn im Duty Free besorgen.«
Mehr konnte sie nun wirklich nicht tun, dachte Albina und griff nach einer der Wohnzeitschriften, die in einem großen Stapel auf dem Couchtisch lagen. Es hieß, die angesagteste Farbe in diesem Jahr wäre Beige, sie musste unbedingt den weißen Teppich im Esszimmer loswerden … obwohl es sich eigentlich nicht mehr lohnte. Es war doch wirklich eine Schande, dass sie noch immer in einem Haus ohne Swimmingpool wohnten.
Bis zur letzten Minute hoffte Henry auf ein Wunder. Er stellte sich vor, wie er am Morgen die Augen öffnete und vor der Tür wäre ein Schnüffeln zu hören und dann käme auch schon der Hund in sein Zimmer gestürzt … Manchmal war der Hund braun und flauschig, manchmal weiß mit glattem Fell. Aber eigentlich war es Henry egal, wie der Hund aussah, Hauptsache, er war lebendig und gehörte ihm und würde da sein, wenn sein Vater in Dubai war, seine Mutter unterwegs mit ihren Freundinnen und er allein im Haus mit einem Kindermädchen, das praktisch jeden Monat wechselte und immer nur Heimweh hatte und traurig war.
Aber der Hund in seiner Fantasie blieb ein Phantom. Niemand kratzte am Geburtstagsmorgen an seiner Tür und das Bellen, bei dem Henrys Herz heftig zu schlagen begann, kam von einem Hund auf der Straße.
Henry zog sich an und ging hinunter, wo seine Mutter schon neben dem mit Geschenken überladenen Frühstückstisch auf ihn wartete. Hamleys war nicht umsonst der bekannteste Spielzeugladen von ganz London, sie hatten die aktuellste Spielkonsole geschickt, das neueste Brettspiel, eine Laserpistole und ein ferngesteuertes Auto mit eingebautem Metalldetektor. Von Harrods stammte ein iPod, ein riesiger Chemiekasten und ein Spielzeugroboter …
»Na, freust du dich?«, fragte seine Mutter, während sie ihm dabei zusah, wie er die Pakete öffnete, und Henry nickte. »Ja, ich freue mich.« Sie sagte, dass am Abend sein Vater zurückkommen und ihm etwas vom Flughafen mitbringen würde.
»Ist etwas von Opa und Oma gekommen?«, fragte Henry, woraufhin Albina seufzte und ihm ein kleines, in braunes Papier gewickeltes Päckchen reichte.
Die Eltern ihres Mannes waren nicht reich, sie lebten im Norden Englands in einem kleinen Häuschen an der Küste. Als Henry noch klein gewesen war, waren sie einmal zu Besuch gekommen. Schon der Koffer war eine Zumutung gewesen, abgeschabt und mit einer Strippe zugebunden, wie peinlich! Sie waren nie mehr wiedergekommen, aber dafür schickten sie Henry zu Weihnachten und zum Geburtstag sehr seltsame Dinge. Wenn man schon kein Geld für ein anständiges Geschenk hatte, war es doch besser, man schickte überhaupt nichts statt einer ordinären Muschel oder einem Stück Felsen, dachte Albina.
Und doch schien sich Henry jedes Mal über die Geschenke seiner Großeltern zu freuen. Nun schaute er verzückt auf ein kleines, braunes, schrumpliges Etwas, das ihm mehr zu bedeuten schien als die anderen Geschenke.
»Das ist ein Seepferdchen«, sagte er und las die beigefügte Karte. »Es ist auf einen der Felsen gespült worden. Die Fischer glauben, dass es Glück bringt.«
Dann nahm Henry seine Geschenke mit nach oben und spielte mit ihnen.
Am Nachmittag erschien dann der Wagen vom Partyservice mit einer Geburtstagstorte, die wie ein Paar Turnschuhe aussah. Alles, was Albina bestellte, musste eine andere Form haben als die natürliche. Eine Torte, die wie eine Torte ausgesehen hätte, wäre schließlich langweilig gewesen. Henrys Freunde kamen, aber eigentlich waren es keine richtigen Freunde, die hatte er an der alten Schule zurücklassen müssen. Sie spielten mit seinen neuen Spielsachen, zerbrachen das ferngesteuerte Auto mit dem Metalldetektor und kippten den Inhalt des Chemiekastens auf den Boden.
Nachdem sie Tee getrunken und Kuchen gegessen und einem Zauberer zugeschaut hatten, kam die Überraschung.
Ein Lieferwagen fuhr vor, die Türglocke schellte, die Tür öffnete sich und ein … ein Wesen … stürzte ins Zimmer. Es war groß, in gelbes Fell gehüllt, hatte schwarze Schlappohren, einen Schwanz und eine rosa Zunge, die ihm seitlich aus dem Maul hing.
Das Wesen stellte sich auf die Hinterbeine, dann ließ es sich wieder auf alle viere fallen und gab seltsame Geräusche von sich, die wie »Wuff! Wuff!« klangen.
Es krabbelte zu Henry, ließ eine Glückwunschkarte vor ihm auf den Boden fallen und begann mit heiserer Stimme zu singen:
»Ich bin dein Geburtstagshündchen,
dein Hündchen für ein Stündchen,
streichel mich, dann werde ich …«
Doch der Gesang brach mit einem gurgelnden Laut ab, denn Henry zerrte am Kopf des vermeintlichen Hundes und schrie: »Aufhören! Raus hier!« Endlich hatte er den Kopf abgerissen und das verschwitzte rote Gesicht des Mannes von der Grußbotschaft-Agentur starrte ihn an.
»Wie können Sie so tun, als wären Sie ein Hund?« Henry trat dem Mann gegen das Schienbein. »Sie sind widerlich. Verschwinden Sie. Gehen Sie weg!«
Doch Alfred Potts, der Mann in dem Hundekostüm, hatte an dieser Vorstellung hart gearbeitet. Er hatte seit einer Stunde keine mehr geraucht und das Bier hatte er sich auch verkneifen müssen, da würde er sich von so einem verzogenen Bengel doch nicht treten lassen!
»Nun halt mal die Luft an«, sagte er und griff nach Henrys Arm. »Deine Mutter wollte dir eine Freude machen und du undankbarer kleiner …«
Aber bevor er den Satz beenden konnte, entwand sich Henry seinem Griff und lief schluchzend aus dem Zimmer.
Und damit war die Party beendet.
Es war bereits sehr spät, als der große Mercedes die Auffahrt hochkam und dann in der Tiefgarage verschwand.
Ein paar Minuten später betrat Donald Fenton das Haus, wo ihn seine Frau bereits erwartete.
»Hast du ein Geschenk für Henry?«, begrüßte sie ihn. »Du hast doch nicht etwa seinen Geburtstag vergessen?«
Donald schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. Er hatte ihn vergessen. »Ich steckte bis eine Stunde vor Abflug in einem Meeting. Ich hätte fast die Maschine verpasst.«
»Du meine Güte! Er hat die ganze Zeit gefragt, wann du kommst. Dann geh wenigstens hoch und sag ihm Gute Nacht, er ist sehr schlecht drauf.« Und Albina erzählte ihm die Geschichte von dem als Hund verkleideten Mr Potts.
Donald ging langsam die Treppe hinauf. Er hätte Henrys Geburtstag nicht vergessen dürfen, aber er hatte den Tag über nicht eine Minute zum Nachdenken gehabt. Außerdem hatte Albina bestimmt dafür gesorgt, dass der Junge tonnenweise Geschenke bekommen hatte. Als er in Henrys Alter war, war sein einziges Geschenk eine selbst gemachte Angel gewesen.
Henry saß aufrecht in seinem Bett, er hatte die ganze Zeit gewartet. Klein und blass sah er aus, dunkle Schatten lagen unter seinen Augen.
»Ich komme direkt vom Flugplatz«, sagte sein Vater. »Leider hab ich es nicht geschafft, noch ein Geschenk für dich zu besorgen. Aber wir gehen morgen zusammen einkaufen, ich kann früher Schluss machen. Gibt es etwas, das du dir wünschst?«
Henry schüttelte den Kopf. »Das Einzige, das ich mir immer gewünscht habe, ist ein Hund.«
Aber er sagte es völlig teilnahmslos, es war vorbei. Dieser schreckliche Mann, der nach Zigaretten und Bier gestunken hatte, hatte es geschafft, seinen Traum endgültig zu zerstören.
Donald Fenton schaute seinen Sohn nachdenklich an und plötzlich hatte er eine Idee. »In Ordnung, Henry. Wir gehen morgen zusammen los und holen einen. Versprochen.«
Unten hörte Albina Fenton einen Freudenschrei aus Henrys Zimmer.
»Was ist passiert?«, fragte sie ihren Mann, als er die Treppe herunterkam. »Was ist los?«
Donald lächelte, er war sehr zufrieden mit sich.
»Ich hab ihm gesagt, dass wir morgen einen Hund holen.«
»Einen Hund! Du musst verrückt sein, Donald. Ich hab es dir und Henry schon tausendmal gesagt: Ich will nicht, dass mein Haus von einem Tier zerstört wird.«
»Es ist doch nur für das Wochenende, Albina. Länger verleihen sie sie auch nicht.«
»Wer ist ›sie‹? Wovon sprichst du?«
»Die Leute von Rent-a-Dog. Das ist ein Laden, wo man Hunde mieten kann, er ist um die Ecke von meinem Büro. Meine Sekretärin hat mir davon erzählt. Du kannst jeden Hund bekommen, den du willst, für eine Stunde oder einen Tag. Die Leute leihen sie aus, um ihre Freunde damit zu beeindrucken oder um einen Ausflug zu machen. Die Hunde sind sorgfältig ausgewählt, stubenrein und alles.«
»Gut, aber was ist, wenn wir den Hund wieder zurückbringen müssen? Erzählst du Henry, dass es nur für ein Wochenende ist?«
»Lieber Himmel, natürlich nicht! Das ist auch nicht nötig. Wenn der Hund zurückmuss, wird Henry ihn sowieso längst überhaben, du weißt doch, wie schnell Kinder sich mit den Dingen, die man ihnen schenkt, langweilen. Erinnerst du dich an den Space Projektor, den wir ihm zu Weihnachten geschenkt haben? Mit dem hat er auch nur ein paarmal gespielt und das Ding hat uns ein Vermögen gekostet.«
»Hoffentlich hast du recht, ich kann wirklich keinen weiteren Ärger ertragen.«
»Ich habe recht«, sagte Donald bestimmt.
Und selbst wenn nicht, an dem Tag, an dem der Hund zurückgebracht werden musste, würde er schon auf dem Weg nach New York sein.