13. Kapitel Montgomerys Privatdetektei

Curzon Montgomery saß in seinem Ledersessel und blätterte einen Hochglanzkatalog mit Segeljachten durch. Er hatte ein Auge auf eine 30-Meter-Jacht geworfen. Der Preis war horrend, aber wenn sein Termin heute Morgen wie gewünscht verlief, dann könnte er ein Angebot abgeben. Nicht dass er gern segelte, schon beim Gedanken an Wind und Wellen wurde er seekrank, aber es gab einfach keinen besseren Ort, um rauschende Partys zu feiern, als eine Jacht.

Curzons Büro sah überhaupt nicht aus wie ein Büro, es war ausgestattet wie ein teures Wohnzimmer mit weich gepolsterten Sofas, einem dicken Teppich und der Art von Bildern an den Wänden, auf denen man rein gar nichts erkennen konnte. Und doch führte Curzon von diesem Raum aus seine Privatdetektei.

Curzon akzeptierte nicht jeden Kunden, das machte er unmissverständlich klar. Nur besondere Kunden konnten sich seine Honorare leisten. Nicht, dass er besonders geldgierig gewesen wäre, überhaupt nicht, aber Lord Featherpool, Curzons Onkel, hatte sehr viel Geld in die Detektei investiert und erwartete, dass sich das auch rentierte.

Curzon läutete nach seiner Empfangsdame und kurz darauf stakste ein hübsches Mädchen mit einem bandagierten Knöchel ins Zimmer. Fiona Enderby-Beescombe war mit der Nichte von Lord Featherpool zur Schule gegangen. Sie hatte einen Job gesucht und Curzon hatte sie mit Freuden eingestellt. Ihre Vorliebe für hohe Absätze führte zwar oft dazu, dass sie sich irgendwas verstauchte, außerdem lackierte sie sich ständig die Nägel und konnte dann den Telefonhörer nicht abnehmen, doch wenn sie den Mund aufmachte, wussten die Leute sofort, dass sie aus guter Familie kam, und das machte alles wett.

»Um zehn Uhr erwarte ich einen wichtigen Klienten, Fiona. Einen Mr Fenton. Bring uns bitte Kaffee. Und setz am besten den Infrarotdetektor und das digitale Dekodiergerät und das andere Zeug in Betrieb. Das macht einen guten Eindruck. Und vor allem: Sag Sprocket, er darf sich hier nicht blicken lassen.«

Zehn Minuten später läutete es und Fiona führte Donald Fenton in Curzons Büro.

Donald und Albina hatten eine schlaflose Nacht verbracht. Die Entführer hatten sich nicht gemeldet und die Polizei tappte im Dunkeln.

Doch der Chef von Montgomerys Privatdetektei war ein beruhigender Anblick. Sein Büro lag in einer der teuersten Gegenden der Stadt, das goldene Firmenschild war so klein und diskret, dass Donald eine Weile gebraucht hatte, um es zu finden. Das war alles ein gutes Zeichen.

Curzon erhob sich von seinem Stuhl. Sein rundes, gerötetes Gesicht war vertrauenerweckend. Er schüttelte Donald die Hand und sagte: »Nun, wie kann ich Ihnen helfen? Soweit ich weiß, wird Ihr Sohn vermisst.«

»Ja, das stimmt.«

Donald Fenton bot einen erbärmlichen Anblick. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, seine Hände zitterten.

»Wir sind ganz sicher, dass man ihn entführt hat, aber bisher hat noch niemand Lösegeld verlangt. Die Polizei besitzt die Frechheit zu unterstellen, dass Henry weggelaufen sein könnte, aber das ist völliger Blödsinn. Er hat alles, was er sich wünscht. Meine Frau und ich lesen ihm praktisch jeden Wunsch von den Augen ab. Sie sollten mal sein Kinderzimmer sehen.«

»Ich glaube Ihnen, Mr Fenton, aber nun erzählen Sie mir bitte die ganze Geschichte.«

Curzon stellte das Aufnahmegerät an und Donald berichtete von der Nacht, in der sie Henry bei seinem Freund glaubten, und von der schrecklichen Entdeckung, dass er dort nie aufgetaucht war. Curzon nickte zu allem sehr verständnisvoll.

»Ich habe natürlich Fotos von Henry mitgebracht und …«, an dieser Stelle stockte Donalds Stimme und er musste sich abwenden, »… und seine Zahnbürste für DNA-Proben sowie ein paar Anziehsachen von ihm …«

»Sehr gut, das ist ausgezeichnet«, sagte Curzon. »Vielleicht möchten Sie sich erst einmal von Miss Enderby-Beescombe unser Labor zeigen lassen. Sie werden sehen, dass wir über die neuesten Geräte verfügen. Ich werde mich inzwischen mit meinem Team besprechen.«

Obwohl Miss Enderby-Beescombe nur sehr vage über die einzelnen Geräte Auskunft geben konnte, war Donald von dem Summen und Surren und den blinkenden Lichtern in dem angrenzenden Raum sehr beeindruckt. Doch am meisten beeindruckte ihn das Honorar, das die Detektei verlangte.

Es waren 600 Pfund die Stunde, dazu kam ein Erfolgshonorar von 50 000 Pfund, wenn der Junge auch gefunden wurde.

Als Donald nach Hause kam, gelang es ihm, Albina zu beruhigen. Bei diesen Preisen war Montgomerys Privatdetektei nicht nur gut, sie war die beste Detektei überhaupt.

Als Donald gegangen war, griff Curzon zum Telefon.

»Sprocket?«, bellte er in den Hörer.

»Ja, Sir, ich bin’s«, sagte eine hohe Stimme.

»Natürlich sind Sie es, Sie Schwachkopf«, sagte Curzon. »Wer denn sonst?«

Das Team, mit dem Curzon vor Donald Fenton so angegeben hatte, bestand in Wirklichkeit nur aus Sprocket.

»Hören Sie gut zu. Wir haben den Fall von einem verschwundenen Jungen. Ich brauche hundert Flyer und Fotos in allen Tageszeitungen. Es gibt eine Belohnung von 20 000 Pfund für Nachrichten von dem Jungen. Fiona bringt Ihnen gleich alles runter.«

»Jawohl, Sir, ich werde mich gleich darum kümmern.«

Milton Sprocket war ein dünner, blässlicher junger Mann, der im Untergeschoss des Gebäudes arbeitete. Oben im Büro durfte er sich nicht blicken lassen, weil er einen nicht gerade feinen Akzent hatte und auch nur auf eine ganz gewöhnliche Schule gegangen war.

Sprocket nahm seine Arbeit sehr ernst. Nachdem er eine traurige Kindheit verlebt hatte, in der Schule gehänselt wurde und durch sämtliche Prüfungen gefallen war, hatte er sich in einem Fernstudium alles angeeignet, was man als Detektiv wissen musste, und ein Diplom in Ermittlung und Spurenverfolgung erlangt.

Sprocket arbeitete schwer und gründlich. In seinem Büro im Keller gab es einen Schrank mit ordentlich beschrifteten Schubladen, in denen er seine Verkleidungen aufbewahrte. Da gab es eine Schublade, auf der stand: Bärte, Augenbrauen, Nasenhaare. In einer anderen befanden sich: Schorf, Wunden, Pickel und Eiterbeulen und wieder in einer anderen: Brillen, Monokel und Hörrohre.

In einer Ecke gab es Ständer mit Perücken darauf und einen Kasten mit falschen Zähnen. Aufgereiht im Regal standen Flaschen mit Spucke, Blut und Nasenschleim. Letzteres war ein Sonderangebot aus dem Internet gewesen.

Am liebsten verfolgte Sprocket seine Opfer ganz klassisch in unterschiedlichen Verkleidungen, doch den meisten Platz in dem Raum nahm die neueste Technologie ein. Die blinkenden und brummenden Apparaturen neben Curzons Büro waren nur zum Angeben gedacht. Die richtigen Geräte befanden sich hier unten im Keller. Da gab es Fiberglasfernrohre, zum Um-die-Ecke-Gucken, Unterwasserkameras mit Flossen und Navigationsgeräte, die einem sagten, wo man sich befand, wo man hinwollte und wo man gewesen war. Nicht zu vergessen Nachtsichtgeräte und ultraviolette Wärmebildkameras … und da viele dieser Dinge gar nicht so leicht zu bedienen waren, hatte Sprocket einen ganzen Stapel von Bedienungsanleitungen, über denen er stundenlang brütete, um herauszufinden, was wie funktionierte.

Doch damit nicht genug, Sprocket war auch ein Dichter. In der Garage der Agentur stand ein weißer Lieferwagen, den er bei seinen Erkundigungen benutzte und auf dessen Seite er einen Werbespruch angebracht hatte:

Was verlegt oder verloren? Nur die Ruh:

Kommen Sie zu uns, wir finden es im Nu!

Wenn Sprocket sich auf einer geheimen Mission befand und nicht sofort als Detektiv erkannt werden wollte, konnte er diesen Spruch gegen einen anderen austauschen. Manchmal gab er sich zum Beispiel als Gemüsehändler aus und dann stand auf seinem Wagen:

Ist Ihr Hunger groß und mächtig?

Unser Obst ist reif und prächtig!

Außerdem arbeitete er an einem ganz neuen Vers, den er benutzen wollte, wenn er sich als Klempner ausgab, aber das war gar nicht so einfach. Der Spruch sollte stark und wirkungsvoll sein, aber es sollten auch keine unappetitlichen Wörter darin vorkommen.

Er drückte auf die Wiederholungstaste an seinem Telefon und hörte noch einmal Curzons letzte Worte.

»Das ist ein ganz großes Ding, Sprocket. Wehe, du vermasselst es! Mach dich sofort an die Arbeit.«

Sprocket lächelte und rieb sich die Hände. Er war gerade in der rechten Stimmung für einen großen und komplizierten Fall.

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