Albina hockte auf allen vieren auf dem Boden und gab seltsame Geräusche von sich. Sie gurrte, sie lockte, sie bettelte. Der Boden, auf dem sie da kauerte, war nicht der teppichbedeckte ihres Londoner Hauses, sondern der raue Dielenboden des Hauses am Meer.
»Bitte, Fleck, bitte! Es tut mir leid. Ich hab’s nicht so gemeint. Bitte komm raus und lass uns Freunde sein.«
Henrys Eltern waren vor einer Stunde angekommen. Henry hatte sich nicht dagegen gewehrt, dass sie ihn umarmten, aber nur aus Höflichkeit.
Sobald Fleck Albina gesehen hatte, knurrte er ängstlich und verschwand unter dem Sofa.
»Gib’s auf«, sagte Henry zu seiner Mutter. »Er wird nie vergessen, was du gemacht hast.«
»Kannst du ihn nicht dazu bringen, herauszukommen?«, bat Albina.
»Nein, und selbst wenn, würde ich es nicht tun.«
Donald war mit Henrys Großeltern am Strand, um sich das Boot anzuschauen, und Henry war mit seiner Mutter allein im Haus.
Albina versuchte es noch einmal. Marnie hatte ihr einen Knochen gegeben und sie schwenkte ihn vor dem Sofa hin und her, doch Fleck reagierte nicht.
Dann fuhr sie mit der Hand unter das Sofa und zog sie mit einem Schrei zurück, denn Fleck hatte sie in den Finger gebissen.
»Was soll ich denn machen?«, jammerte sie, als sie sich erhob. »Guck dir meine Strümpfe an, die sind hin. Und mein Rock erst.« Sie setzte sich an den Küchentisch, ließ ihren Kopf auf ihre Hände fallen und begann jämmerlich zu schluchzen.
Henry, der ihr gegenübersaß, ließ sie einfach weinen. Doch dann geschah etwas Schreckliches. Die Wut auf seine Eltern wurde schwächer und schwächer. Fast vermisste er diese Wut, die ihn zu diesem Abenteuer angetrieben hatte. Aber er konnte nichts dagegen machen, sie war weg. Seine Mutter hatte etwas sehr Böses getan, sie war nicht die Schlaueste und sah die Dinge oft falsch, aber schließlich und endlich war sie seine Mutter.
Er legte ihr einen Arm um die Schulter.
»Ist ja gut«, sagte er. »Es ist vorbei. Alles ist gut.«
Und da kam auch Fleck unter dem Sofa hervor und trottete zum Tisch. Anscheinend war jetzt Verzeihen angesagt. Er ließ sich zwischen Albina und Henry nieder, gähnte und schlief ein.
Später am Tag machte Henry einen Spaziergang mit seinem Vater in den Dünen. Die schreckliche Woche, in der er nicht wusste, ob sein Sohn tot oder lebendig war, hatte Donald Fenton verändert. Durch die Liebe Henrys zu seinen Großeltern begann auch Donald sein altes Zuhause wieder so zu sehen, wie er es als Junge gesehen hatte. Er rümpfte nicht länger die Nase über das schäbige Haus oder das alte Boot mit dem launischen Motor. Er hatte seinem Vater geholfen, die Hummerfallen auszuleeren und die Pumpe auf dem Boot zu reparieren. Was ihm nun hinter dem Ohr steckte, war ein Schraubenzieher und kein Headset, das ihn mit New York verband.
»Dir gefällt es hier, nicht wahr?«, fragte er seinen Sohn.
»O ja, und Fleck gefällt es auch.«
Donald seufzte. Fleck würde bleiben, aber das machte die Dinge nicht einfacher.
»Und was ist mit Okelands? Es war nicht leicht, dich da unterzubringen.«
»Ich gehe auf kein Internat«, sagte Henry. »Ich hab euch doch gesagt, dass ich mich nie von Fleck trennen werde. Am liebsten würde ich hier bei meinen Großeltern leben. In Seaville gibt es eine Schule.«
»Ich weiß, ich bin dort sieben Jahre lang hingegangen.«
Henry sah zu seinem Vater hoch, der schaute hinaus aufs Meer und sah ernst aus – oder traurig?
»Es gefällt dir hier also besser als bei uns? Besser als in deinem Zuhause?«, fragte Donald und Henry hörte die Verletztheit in seiner Stimme.
»Es ist ja nicht so, dass ich nie wieder nach Hause will«, sagte Henry. Er dachte an das blonde Mädchen im Park und an seinen Schulfreund Joel, und dann war da natürlich auch Pippa. Und seine Eltern, die so viel falsch gemacht hatten und sich jetzt Mühe geben wollten, es besser zu machen.
»Könnte ich nicht noch einen Monat hierbleiben? Dann hätte ich genug Zeit, um Fleck abzurichten.«
Donald lächelte erleichtert. Es würde keinen Kampf geben, Henry würde nach Hause kommen.
»Warum nicht?«, sagte er. »Wenn ich dich dann abholen komme, bleibe ich ein paar Tage. Es ist höchste Zeit, dass ich mal ausspanne.«
Aber Menschen ändern sich nicht vollständig, sosehr sie sich auch Mühe geben mögen.
»Ich möchte dir was wirklich Schönes schenken, Henry. Du darfst dir was wünschen, egal, was es kostet.«
»Alles, was ich mir je gewünscht habe, war ein Hund«, sagte Henry.
Doch als er sah, wie sich das Gesicht seines Vaters verdüsterte, hatte er eine Idee.
»Es gibt da etwas, das ich mir wünsche. Sehr sogar. Aber nicht für mich. Es ist für Pippas Familie. Ohne Pippa wäre ich nie bis hierher gekommen. Wenn du der Familie helfen könntest, dann könnten sie sich vielleicht etwas Eigenes aufbauen und Kayley müsste nicht länger für Mr Carker arbeiten. Er ist grässlich. Aber sie dürften nie erfahren, von wem das Geld kommt. Wäre das möglich?«
Donald nickte.
»Schon erledigt«, sagte er und sie kehrten zurück zum Haus.