25. Kapitel Ein Zuhause für Queen Tilly

Kayley saß in ihrem Büro von Rent-a-Dog. Seit sieben Uhr morgens prüfte sie eine Liste mit Namen und war völlig erschöpft. Eine Woche nachdem sie Pippa aus Northumberland zurückgeholt hatte, war sie ganz normal zur Arbeit erschienen und musste feststellen, dass die Carkers fort waren. Sie hatten die verschwundenen Hunde so hoch versichert, dass das Finanzamt aufmerksam geworden war und sich Rent-a-Dog genauer angeschaut hatte. Dabei stellte sich heraus, dass die Carkers jahrelang Steuern hinterzogen hatten.

Also war das reizende Pärchen nach Spanien geflohen, die Hunde blieben ohne Futter und Kayley ohne Lohn.

Glücklicherweise hatte eine Wohltätigkeitsorganisation, die sich um Tiere in Not kümmerte, Kayley dabei geholfen, neue Besitzer für die Hunde zu finden. Das war auch nicht weiter schwer, denn die Hunde von Rent-a-Dog waren Rassehunde und außerdem gut gepflegt, sodass viele Leute kamen, um sich einen auszusuchen. Kayley hatte jedoch darauf bestanden, sich jedes einzelne Zuhause anzuschauen, ob es auch geeignet war für die Hunde, um die sie sich so lange gekümmert hatte. Nun musste sie nur noch einmal die Liste mit all den Namen der neuen Besitzer durchgehen und ihre Arbeit war beendet.

Nun ja, fast beendet. Alle Hunde waren glücklich vermittelt worden, alle bis auf einen. Niemand hatte Queen Tilly haben wollen. Sie hockte auf ihrer Wärmflasche und kreischte und zuckte und war sehr schlecht gelaunt. Sie war der einzige Hund in dem riesigen Gebäude, in dem noch vor einer Woche so viel Leben herrschte.

»Was, um alles in der Welt, soll ich denn bloß mit dir machen?«, fragte Kayley sie.

Wenn nicht ihr Vermieter gewesen wäre, der alle Haustiere verbot, hätte sie Queen Tilly mit zu sich genommen. Sie hatte sogar mit einem hässlichen und unangenehmen Hund wie diesem Mitleid.

Kayley stand gerade vor Queen Tillys Käfig, als es an der Tür läutete.

Draußen vor dem Eingang stand ein ziemlich verloren aussehender junger Mann.

»Mein Name ist Sprocket«, sagte er.

Sprocket hatte einiges mitmachen müssen, seit er Darth und Terminator über das Moor gefolgt war und in einem Polizeiwagen landete.

Es war schon schlimm genug für einen Detektiv, in die Hände der Polizei zu fallen, aber noch schlimmer war es gewesen, mit den zwei Hunden eingepfercht zu sein.

Darth und Terminator zeigten nur zu deutlich, dass Otto sie zwar aufgehalten hatte, dass sie aber immer noch Killermaschinen waren. Und jedes Mal, wenn Sprocket versuchte, eins seiner eingeschlafenen Glieder zu lockern, zeigten sie ihm ihre schrecklichen Zähne und ließen ein bedrohliches Grollen hören.

Obwohl Sprocket schnell wieder freigelassen worden war und in seinem Lieferwagen zurück nach London fahren konnte, hatte er ein schlimmes Trauma zurückbehalten.

Er hatte von Stund an nicht nur Angst vor gefährlichen Hunden, sondern vor allen. Selbst wenn er einen Hund auf der anderen Straßenseite sah, bekam er Panik und zitterte am ganzen Leib.

Für einen Detektiv ist das natürlich äußerst unpraktisch. Wenn ein Mann nicht nur einen falschen Bart trägt, sondern dabei auch noch zittert wie Espenlaub, erregt das ganz bestimmt Aufsehen. Was nun Sprockets tragische Reimblockade betraf, so war dagegen kein Kraut gewachsen, aber vielleicht konnte er jemanden finden, der ihm half, seine Angst vor Hunden zu überwinden. Also hatte Sprocket einen Arzt aufgesucht, der hatte ihn zu einem anderen geschickt und der hatte ihm gesagt, die einzige Lösung wäre, sich selbst einen Hund anzuschaffen.

Sprocket hatte Hunde noch nie gemocht. Doch es musste etwas passieren, denn seine Arbeit fing an zu leiden. Und wenn er sich einen Hund nur auslieh? Für eine Stunde oder zwei. Sollte er einen Panikanfall bekommen, konnte er ihn schnell wieder zurückbringen.

Das war eine gute Idee, und als er über Leihhunde nachdachte, fiel ihm ein, dass er auf seiner Fahrt in den Norden an einem Hundeverleih vorbeigekommen war. Rent-a-Dog, hatte er geheißen.

Das Mädchen, das ihm die Tür öffnete, war hübsch und freundlich. Sie gefiel Sprocket auf Anhieb, doch sie hatte eine schlechte Nachricht für ihn.

»Wir haben leider geschlossen. Die Besitzer sind weg und wir mussten für alle Hunde ein neues Zuhause finden. Ich würde Ihnen ja gern helfen, aber …« Sie zeigte auf die leeren Käfige.

»So ein Pech, dann muss ich eben woanders mein Glück versuchen.«

Sprocket wollte gerade gehen, da durchbrach ein hohes, ärgerliches Kläffen die Stille.

»Sie ist die Letzte«, sagte Kayley. »Keiner wollte sie haben. Ich weiß nicht, was ich mit ihr machen soll.«

Sie führte Sprocket in Raum A, wo der Mexikanische Nackthund in seinem Käfig vor Einsamkeit und Wut kreischte und zuckte und zitterte.

»Herrje!« Sprocket hatte noch nie so einen hässlichen Hund gesehen.

»Ruhig, Queen Tilly«, sagte Kayley. »Sei doch nicht immer so verstimmt.«

Sprocket starrte Kayley mit offenem Mund an, denn etwas absolut Wundervolles war geschehen. Die fürchterliche Blockade, die ihn am Dichten gehindert hatte, war plötzlich verschwunden. Es war das Wort »verstimmt«. Jetzt hatte er den perfekten Reim!

Ist dein Klo mal kurz verstimmt

Hilft der Klempner ganz bestimmt

Der Spruch war prägnant, treffend und selbst seine Mutter hätte darin nichts Anstößiges finden können.

In ihrem Käfig zuckte und zitterte und jaulte Queen Tilly immer noch.

Sprocket holte tief Luft. Er konnte das nicht tun. Es war unmöglich.

Aber in seinem Kopf hatte er es längst beschlossen. Immerhin hatte ihm diese kleine abscheuliche Kreatur seine Dichtkunst wiedergegeben. Vielleicht würde sie ihm ja auch sonst Glück bringen.

Erleichtert darüber, für Queen Tilly ein Herrchen gefunden zu haben, machte sich Kayley auf den langen Heimweg.

Doch die Erleichterung hielt nicht lange an. Als sie zu Hause ankam, ließ sie sich aufs Sofa fallen. Sie fühlte sich schrecklich. Sie hatte nicht nur ihre Arbeit verloren, sondern auch die Hunde, die sie lieb gewonnen hatte, außerdem fiel ihr Lohn weg und für die Familie würde es dadurch noch schwieriger werden.

»Mach dir keine Sorgen, mein Liebling«, sagte Kayleys Mutter. »Ich hab ja noch meine Näharbeiten für Mrs Naryan und du wirst auch wieder etwas finden.«

Aber eine neue Arbeit zu finden würde nicht einfach sein, denn Kayley hatte keine Zeugnisse. Als sie sich in einer Hundepension nach einer freien Stelle erkundigt hatte, hatte man sie gefragt, ob sie ein Diplom in Haushundemanagement besaß. Ohne das würde sie nicht einmal die Käfige saubermachen, geschweige denn die Hunde ausführen dürfen.

Pippa und die Zwillinge kamen aus der Schule und versuchten, Kayley zu trösten, aber was mit Rent-a-Dog passiert war, hatte sie alle zutiefst erschüttert.

Sie saßen gerade beim Abendbrot, als sie aus dem Fenster sahen, dass ein schwarzes Auto vor ihrem Haus hielt. Ein teures Auto. Der Mann, der nun ausstieg, war elegant gekleidet und hatte eine Aktentasche unter dem Arm.

»Was mag der von uns wollen?«, fragte Mrs O’Brian besorgt. »Wir haben die Miete bezahlt.« Die Türglocke ging.

»Ich möchte bitte mit Miss Kayley O’Brian sprechen«, sagte der Mann mit der Aktentasche. »Sie wohnt doch hier?«

»Ja«, sagte Pippa, die geöffnet hatte. »Kommen Sie bitte herein.«

Albina war shoppen. Das war ihre liebste Freizeitbeschäftigung und sie war rundum glücklich. Ihre drei Freundinnen begleiteten sie. In einer Woche sollten Henry und Fleck nach Hause kommen und Albina wollte vorbereitet sein.

Das Geschäft hieß »Der elegante Hund« und es gab dort alles, was ein Hund von Welt nur brauchen konnte. Eine Kollektion von Jäckchen und Stiefelchen in Schottenkaro für den Nachmittagsspaziergang zum Beispiel. Natürlich von einem berühmten Modedesigner entworfen. Auf seidenen Kissen lagen diamantbesetzte Halsbänder aus und es gab aufblasbare Knochen, die »Stille Nacht« ertönen ließen, wenn man draufbiss. Hundekörbchen in Form eines Dampfers oder eines riesigen Stiefels standen da und die Regale waren angefüllt mit Schaumbädern und Düften und Deodorants speziell für den anspruchsvollen Hund.

»Du meine Güte, ich weiß gar nicht, womit ich anfangen soll«, sagte Albina. »Es ist einfach zu viel. Glaubt ihr, Fleck würde sich über ein Kissen in Form eines Wiener Würstchens freuen?«

Geraldine hatte ein Mützchen aus Kaschmir entdeckt und Gloria hatte sich in eine Decke verliebt, die »Schlafe, mein Hündchen, schlaf ein«, spielte, wenn man sie hochhob.

Die Damen rannten hin und her und wurden immer aufgeregter.

»Schaut doch mal, das Halsband hier hat Nieten aus echtem Gold«, sagte Glenda. »Ich glaube, Gold würde ihm stehen, meint ihr nicht auch?«

»Und hier gibt es Hunde-Wimperntusche«, sagte Geraldine. »Ich erinnere mich, dass seine Wimpern etwas blass waren.«

Sie rafften ihre Einkäufe zusammen und wollten gerade damit zur Kasse gehen, als sie etwas sahen, das ihnen die Sprache verschlug, so schön und ausgefallen war es. Eine Kotschaufel aus Platin mit Opalen und Amethysten besetzt.

Albina hob sie mit zitternden Händen hoch.

»Das ist eine originalgetreue Kopie der Schaufel, die die Zarenfamilie immer benutzt hat«, las sie vom Etikett ab. »Ich muss sie haben. Auf jeden Fall.«

Doch gerade, als sie die Schaufel zu den anderen Dingen in ihren Einkaufskorb legte, geschah etwas Seltsames. Albina straffte sich, eine Art Schauder fuhr durch ihren Körper, ein Zucken … und dann legte sie langsam, sehr langsam all die Sachen wieder zurück, die Decke, die »Schlafe mein Hündchen, schlaf ein« spielte, das Halsband mit den Goldnieten und schließlich mit schmerzverzerrtem Gesicht auch die Kotschaufel aus Platin.

»Nein«, sagte Albina, die über sich selbst hinauswuchs. »Ich habe mich entschieden. Ich werde nichts kaufen, bis Henry kommt. Ich werde warten, er muss es aussuchen.«

Und mit Gloria, Glenda und Geraldine im Gefolge marschierte sie aus dem Laden.

Henry saß am Ufer auf dem Kiel eines umgedrehten Bootes und las einen Brief. Die Sonne schien und die Nordsee zeigte sich von ihrer besten Seite. Vom Ufer bis zum Horizont verliefen die Farben von Silber über ein blasses Türkis bis hin zu einem dunklen Blau.

Fleck saß zu Henrys Füßen und sah abwartend zu ihm hoch, aber der Brief war lang.

»In Ordnung, Fleck«, sagte Henry. »Du darfst ein wenig herumstromern.« Fleck erhob sich und trottete dann den Strand entlang.

Der Brief stammte von Pippa, und Henry musste beim Lesen grinsen, denn sein Vater hatte genau das getan, worum er ihn gebeten hatte.

… Es ist einfach unglaublich, denn es ist genau passiert, als Kayley bei Rent-a-Dog aufhören musste und sich total mies gefühlt hat deswegen. Anscheinend hat jemand von den Kunden gemerkt, wie gut Kayley mit Tieren umgehen kann, und hat dafür gesorgt, dass sie von einer Stiftung, die sich um Tiere kümmert, eine große Summe Geld bekommt. Ich hab nicht alles genau verstanden, aber es bedeutet, dass Kayley das tun kann, was sie immer tun wollte, einen Platz für Tiere einrichten, um die sie sich kümmert und die nicht eingeschläfert werden, auch wenn sie alt sind oder kein Zuhause finden. Wir haben schon ein passendes Grundstück gefunden, bei uns in der Nähe. Es gibt da auch ein kleines Haus. Es ist im Moment nicht mehr als eine Hütte, aber wir packen alle an und werden es bewohnbar machen. Ist das nicht fantastisch? Du kannst auch gern kommen und helfen. Und vielleicht das nette Küchenmädchen Olga, von dem du mir erzählt hast. Wir werden das Haus Fillongley nennen, nach dem Hof, der unserer Familie mal gehört hat. Großvater ist außer sich vor Freude …

Henry blickte auf. Er würde seinen Vater anrufen und sich bei ihm bedanken.

Doch wo war Fleck? Auf dem ganzen langen verwaisten Strand war er nirgendwo zu sehen. Für einen Moment überfiel Henry Panik. War er verloren gegangen, ertrunken oder gestohlen worden? Es sah dem Hund gar nicht ähnlich, so weit wegzulaufen.

Er steckte zwei Finger in den Mund und pfiff – und ein weißes Fleckchen erschien am Horizont, wurde größer und ließ sich auf Henrys Füße fallen. Flecks Zunge hing ihm aus dem Maul, sein Schwanz klopfte auf den Sand. Es sah aus, als würde er lächeln …

Ein Hund, der weiß, zu wem er gehört, ist ein freier Hund.

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