Die Rent-a-Dog-Agentur gehörte Myron und Mavis Carker. Die Carkers waren gierig und gemein und liebten nichts mehr auf der Welt als Geld.
Aber sie waren auch schlau. Sie hatten begriffen, dass die Menschen von heute nichts so sehr schätzten wie Abwechslung. Ständig wechselten sie ihre Häuser und Autos, sie wechselten die Schulen ihrer Kinder und die Orte, an denen sie ihre Ferien verbrachten, ja sie wechselten sogar ihre Ehepartner, wenn die anfingen, langweilig zu werden.
Warum sollte man sich also an einen Hund hängen? Der Slogan »Hunde sind nichts für Weihnachten, Hunde sind fürs Leben« galt für die meisten Menschen nicht. Hunde, genau wie Kinder, waren eine Fessel. Wer einen Hund daheim hatte, konnte nicht machen, was er wollte.
Andererseits waren Hunde aber auch nett. Sie waren lustig und manche sogar richtig schön. Sich mit einem eleganten Windhund oder einem fröhlich herumtollenden Foxterrier im Park sehen zu lassen, das hatte schon was. Was lag also näher, als einen Hund zu mieten, für eine Stunde, einen Nachmittag oder sogar für ein ganzes Wochenende? Natürlich mussten diese Hunde reinrassig sein, mit langem Stammbaum versehen. Man könnte sie sogar farblich passend zur Kleidung auswählen: Ein roter Setter würde perfekt zu einem rostroten Herbstoutfit passen und ein schneeweißer Pyrenäenberghund zu einem Mann oder einer Frau, die gern Weiß trugen.
Natürlich wäre es kein billiges Vergnügen, einen derartigen Hund auszuleihen, schließlich mussten die Hunde gepflegt und entwurmt und von einem Tierarzt untersucht werden. Ein Hundefriseur musste sie regelmäßig scheren und trimmen. Aber die Leute würden das bezahlen, da waren die Carkers sich sicher und sie behielten recht. Ein Jahr nach Eröffnung von Rent-a-Dog waren sie auf dem besten Weg, sehr reich zu werden. Und weil sie so viele Spezialisten bezahlen mussten, achteten sie darauf, dass diejenige, die die Käfige säuberte und die Hunde fütterte, umso weniger verdiente.
Es war ein junges Mädchen namens Kayley, das jeden Morgen mit der U-Bahn aus Tottenham kam und, ohne zu murren, den ganzen Tag arbeitete, weil sie Hunde liebte, und natürlich – wie konnte es anders sein? – liebten die Hunde auch sie.
Das Gebäude von Rent-a-Dog befand sich in einer eleganten Straße mitten in London in der Nähe einer Reihe exklusiver Geschäfte. Im hinteren Bereich gab es ein Freigehege, in dem die Hunde schliefen, und eine Grünfläche, auf der das Training abgehalten wurde.
Früh am Morgen weckte Kayley die Hunde und tröstete die, die schlecht geträumt hatten. Wie zum Beispiel den riesigen Mastiff, der aus Versehen seinem Frauchen den kleinen Finger abgebissen hatte, als sie ihn mit einer Wurst füttern wollte. Er war dafür nie bestraft worden und keine Strafe zu bekommen, wenn man sie eigentlich verdient hat, ist für einen Hund das Allerschlimmste und der Mastiff litt noch immer darunter, vor allem nachts.
Nach dem Wecken ließ Kayley die Hunde sich auf dem Rasen ein wenig austoben, bevor sie ihnen ihr Frühstück gab.
Danach wurden sie gebadet und gebürstet und frisiert, die Krallen wurden poliert und die Zähne geputzt. Zum Schluss wurden sie mit einem speziellen Duft eingesprüht, denn der Geruch ist nicht unbedingt das, was reiche Leute an einem Hund schätzen. Für jeden Hund war ein eigenes Parfüm komponiert worden. Das des Bernhardiners hieß Mountain Glory, die Pudel wurden mit Dark Dancer eingesprüht und die Collies mit Heather Mist.
Die Hunde konnten diese Duftsprays nicht leiden, der Geruch eines Hundes gehört schließlich genauso zu ihm wie sein Bellen oder die Art, mit dem Schwanz zu wedeln, und sie leckten sich das Fell oder rollten sich auf dem Boden, aber es war nicht möglich, das ekelhafte Zeug wieder loszuwerden.
Waren sie dann endlich fix und fertig, wurden sie zu einer Reihe von Räumen geführt, in denen elegante Käfige standen. Dort gab es sanftes Licht und weiche Teppiche. Über jedem Käfig stand der Name des Hundes und darüber der des Züchters.
Gummibälle und Quietschtiere zum Spielen oder Plastikknochen, auf denen die Hunde hätten herumkauen können, waren verboten. Um die Kunden zu beeindrucken, mussten die Käfige sauber und ordentlich sein. Die Hunde durften nur eins: still dasitzen und möglichst gut aussehen.
Wenn sie zu Rent-a-Dog kamen, waren die Hunde noch voller Hoffnung. Wenn jemand den Laden betrat und sie auswählte, glaubten sie, es wäre für immer. Sie dachten, derjenige würde ihnen ein Heim geben und sie würden zu ihm gehören. Hoch erhobenen Hauptes und mit vor Freude wedelndem Schwanz waren sie mitgegangen, doch jedes Mal waren sie zurückgebracht worden, manchmal nach einer Stunde, manchmal nach einem Tag … und das Warten begann von Neuem.
Immerhin hatten die Hunde sich und sie hatten Kayley. Sie versuchten das Beste daraus zu machen, aber das war nicht immer leicht.
In Raum A lebten fünf Hunde. Es war der kleinste Raum, er lag direkt neben der Kammer, in der Kaley arbeitete, wenn sie sich nicht draußen aufhielt. Im Laufe der Zeit waren die fünf Hunde in Raum A Freunde geworden.
Der größte war Otto, ein Bernhardiner mit einem weiß und hellbraun gefleckten Gesicht und tief liegenden traurigen Augen. Otto war klug und stark, dabei trotzdem sanft. Sein Leben hatte tragisch begonnen. Seine Mutter, die selbst für eine Bernhardinerhündin sehr groß und schwer gewesen war, hatte sich im Schlaf aus Versehen auf ihre Jungen gerollt und sie zerquetscht. Nur Otto hatte überlebt.
Er war in den Schweizer Alpen aufgewachsen, in einem Kloster, das berühmt gewesen war für seine Bernhardinerzucht. Seit Hunderten von Jahren lernten die Hunde dort, Menschen, die im Schnee verschüttet waren, aufzuspüren und in Sicherheit zu bringen.
Wenn einem so etwas zustößt wie Otto, verschwendet man keine Zeit, sich über Nichtigkeiten aufzuregen.
Otto war zu einem tapferen und nützlichen Rettungshund herangewachsen. Und als ein reicher junger Engländer ihn unbedingt kaufen und mit nach England nehmen wollte, hatte Otto versucht, das Beste daraus zu machen, obwohl er viel lieber bei den Mönchen geblieben wäre. Selbst nachdem der junge Mann feststellen musste, dass man einen Bernhardiner schwerlich in einem Londoner Apartment halten konnte, und ihn an Mr Carker verkauft hatte, war Otto würdevoll und ruhig geblieben und hatte sogar die anderen Hunde beruhigt, wenn die sich über das schlechte Essen oder das ekelhafte Parfüm oder die Langeweile beklagten.
Im Käfig neben Otto befand sich ein Hund, der so klein war wie Otto groß, ein winziger Pekinese mit dem Namen Li-Chee. Li-Chee hatte goldenes Haar, das bis zum Boden reichte, und ein schwarzes Knautschgesicht.
Li-Chee betete Otto an und jede Nacht, wenn er im Gehege seinen Platz zum Schlafen suchte, schmiegte er sich so eng an Otto, wie er nur konnte.
Pekinesen sind ursprünglich Palasthunde und waren früher ausschließlich dem chinesischen Kaiser vorbehalten, den sie bewachen durften. Li-Chee war so kämpferisch und aufbrausend wie Otto friedfertig und gelassen.
Der Käfig daneben war besetzt von einer schwarzen Pudelhündin. Francines Fell war auf diese alberne Weise zurechtgestutzt worden, die man von Pudeln kennt. An den Beinen und am Schwanz trug sie flauschige Pompons, ihr Rücken hingegen war kurz geschoren. Normalerweise wurde sie von Schauspielerinnen oder anderen Leuten aus dem Showgeschäft ausgeliehen, die etwas zum Angeben haben wollten. In Wirklichkeit war Francine eine praktisch veranlagte Hundedame, darüber hinaus auch noch überaus klug. Sie entstammte einer Familie von Zirkushunden, die seit Generationen die schwierigsten Kunststücke vollführt hatte: steile Leitern hinaufklettern, durch brennende Reifen springen, Bälle auf der Nase balancieren …
Francine hatte das Zirkusleben geliebt – die Kameradschaft, das Herumreisen im Wohnwagen, die täglichen Auftritte. Doch dann hatte es geheißen, es sei grausam, Tiere zu dressieren und sie Kunststücke vorführen zu lassen, und der Zirkus war geschlossen worden und nun saß Francine den ganzen Tag im Käfig und wartete darauf, von irgendjemandem für ein paar Stunden ausgeliehen zu werden.
In dem Käfig gegenüber von Otto, Francine und Li-Chee saß eine Colliehündin. Honey war sehr schön mit ihrem langen seidigen Behang in schwarz, weiß und sandfarben und den sanften vertrauensvollen Augen. Trotzdem war sie schwer zu vermitteln, weil immer und ständig der Hütehund in ihr durchkam. Da es aber in London keine Schafe gab, trieb Honey alles Mögliche zusammen. Einmal hatte sie eine ganze Kindergartenschar in einen Konzertpavillon gescheucht oder ein Dutzend quakende Enten in einem Bushäuschen festgehalten.
Bevor sie zu Rent-a-Dog kam, war Honey eine gut ausgebildete Hütehündin gewesen, aber der Bauer, dem sie gehörte, hatte seinen Hof aufgeben und Honey verkaufen müssen. Alle Hunde leiden darunter, wenn sie nicht mehr nützlich sein können, aber für einen Collie ist das Fehlen von Arbeit eine Katastrophe. Die anderen Hunde machten sich Sorgen. Mr Carker wurde nämlich jedes Mal sehr ärgerlich, wenn Honey früher als geplant zurückgebracht wurde. Alle wussten, was mit Hunden geschah, die Mr Carkers Unwillen erregten, sie verschwanden von einem Tag auf den anderen und waren nicht mehr gesehen.
Die letzte Bewohnerin von Raum A war Queen Tilly. Sie lag die meiste Zeit auf einem Kissen mit einer Wärmflasche unter dem Bauch. Bei Queen Tilly handelte es sich um einen mexikanischen Nackthund, eine besonders hässliche Rasse mit haarloser, fleckiger Haut und stockdürren Beinchen. Mexikanische Nackthunde sind äußerst selten und die meisten von ihnen sind nett, wenn auch sehr empfindlich, ständig zittern sie vor Kälte. Queen Tilly zitterte zwar auch, aber sie war alles andere als nett. Bevor sie zu Rent-a-dog kam, hatte sie einer reichen Erbin gehört und von silbernen Tellern gegessen und auf den seidenen Kissen ihres Frauchens geschlafen und nun war ihr alles nicht gut genug.
Zuerst hatten die anderen Hunde versucht, freundlich zu ihr zu sein, aber Queen Tilly schüttelte nur unwillig den Kopf und gähnte. Sie reagierte nur, wenn ihre Wärmflasche kalt wurde, dann jaulte und quiekte sie, bis Kayley erschien und sie wieder mit heißem Wasser füllte. Sie war von allen Leihhunden der teuerste, aber eigentlich keinen Penny wert.
Es gab noch einen Käfig in Raum A, aber der war zurzeit leer.
Es hatte aufgehört zu regnen und Otto, dessen Käfig am Fenster stand, konnte sehen, wie die Leute ihre Schirme zusammenklappten, und das bedeutete, dass bald Kundschaft erscheinen würde. Er setzte sich in Positur und die anderen Hunde folgten seinem Beispiel.
Um zehn Uhr führte Kayley eine Dame herein, die einen eleganten schwarzen Rock und eine lila Bluse trug. Ihre Absätze waren so hoch, dass sie wie auf Stelzen ging.
»Ich glaube, Francine ist die Richtige für Sie«, sagte Kayley und ging zu dem Käfig mit der Pudeldame. »Sie ist eine besonders intelligente Hündin und außerdem an Restaurantbesuche gewöhnt.«
»Sie passt auf jeden Fall zu meinem Outfit«, sagte die Dame. »Es ist ein wenig heikel, müssen Sie wissen. Ich habe gestern Abend auf einer Party einen interessanten Mann kennengelernt. Er erzählte mir, er würde Hunde lieben, also hab ich gesagt, ich fände Hunde ebenfalls großartig, und da hat er mich zum Essen eingeladen. Jetzt hab ich gedacht, ich nehme einen Hund mit und tue so, als wäre es meiner. Eine gute Idee, finden Sie nicht?«
Nein, das fand Kayley ganz und gar nicht. Sie hielt es für eine absolut idiotische Idee, aber sie war an die verrückten Einfälle der Kunden gewöhnt, also lächelte sie nur und streichelte Francines Kopf durch die Gitterstäbe des Käfigs.
»Bestimmt könnte ich bei Ihnen auch einen kleineren Hund bekommen, aber den müsste ich dann womöglich auf den Schoß nehmen und hätte überall Hundehaare oder ein Kellner würde aus Versehen auf ihn drauftreten.«
»Francine wird Ihnen gefallen«, sagte Kayley noch einmal. »Sie ist daran gewöhnt, unter dem Tisch zu liegen. Es gibt da nur eins: Francine ist sehr musikalisch, wenn es sich um ein Restaurant mit Livemusik handelt, wird sie sehr unruhig, vor allem wenn ein Walzer gespielt wird.«
Aber die Dame sagte, dass es ein sehr teures Restaurant wäre, in dem die Gäste nur ganz leise miteinander sprechen würden, gewöhnlich übers Essen.
Francine wurde weggebracht, um ein mit Kristallen besetztes Halsband zu bekommen, außerdem wurde ihre Schleife ausgetauscht gegen eine, die besser mit der Bluse der Dame harmonierte. Und dann gingen die beiden miteinander fort.
Als Francine bereits eine Stunde weg war, erschien eine dünne, ängstlich aussehende Frau, um einen besonders großen Hund auszuleihen, denn sie wollte ihren Sohn besuchen, der in einem Teil der Stadt lebte, in dem es viele Ausländer und arme Leute gab. Sie befürchtete, überfallen zu werden.
Kayley, die selbst in einem solchen Viertel lebte, lag es auf der Zunge zu sagen, dass Menschen, nur weil sie arm oder fremder Herkunft waren, nicht deswegen häufiger alte Damen überfielen, aber sie wollte, dass jemand mit Otto Gassi ging, also schwieg sie und holte seine Leine und sein Halsband.
Auch ein paar Hunde aus den anderen Zimmern wurden ausgeliehen, nur nicht Honey oder Li-Chee, die den Nachmittag in ihren Käfigen verdösten, während Queen Tilly eine Körpermassage mit Olivenöl erhielt, weil ihre hässliche Haut schuppte.
Am nächsten Tag kam eine alte Dame, die den Pekinesen zu einer noch älteren Dame mitnehmen wollte, aber dieser Besuch war eine einzige Enttäuschung.
Im Prinzip ist gegen alte Damen nichts einzuwenden, aber wenn deine Vorfahren dazu erzogen wurden, auf den Sätteln der Kaiser zu sitzen, wenn diese in den Krieg zogen, hat man wenig Lust zu hören, dass man ein süßes kleines Hündchen sei. Und obwohl bisher noch keiner der Hunde von Rent-a-Dog jemanden gebissen hatte, knurrte Li-Chee und zeigte seine spitzen Zähne. Die alte Dame brachte ihn auch ziemlich schnell zurück.
Honey wurde von einem Mann ausgeliehen, der als kleiner Junge sämtliche Lassie-Filme gesehen hatte. Er wollte sich mit ihr vor seinem Haus fotografieren lassen.
Francine wurde noch einmal von der eleganten Dame abgeholt, die ihrer Partybekanntschaft weisgemacht hatte, der Pudel gehöre ihr.
Alles war wie immer, doch am Tag darauf geschah etwas Ungewöhnliches.
Als Kayley am Morgen mit den Futtereimern zu den Hunden kam und ihnen Guten Morgen sagte, war sie nicht allein. Neben ihr trottete mit einem provisorischen Halsband und einer Schnur als Leine ein Hund.
Ein Hund, dessen Rasse keiner kannte. Er war weiß mit einem braunen Fleck über einem Ohr und einem zweiten braunen Fleck auf dem Schwanz. Nicht größer als ein Foxterrier, aber mit den fledermausartigen Ohren eines Corgi, wohingegen sein heftig wedelnder Schwanz eher dem eines Beagles glich. Der Hund war etwas, das noch niemand bei Rent-a-Dog je gesehen hatte: ein Mischling.
Kayley ließ ihn von der Leine und er stürzte sich munter und vergnügt auf den nächstbesten Hund, das war glücklicherweise Otto. Für den Mischling war es so, als habe man ihm dreißig neue Freunde zum Geschenk gemacht, und er wusste nicht, ob er vor Begeisterung bellen, hin- und herrollen oder sich auf den Rücken werfen und die Beine in die Luft strecken sollte, also machte er alles gleichzeitig.
Kayley nahm Otto und Francine beiseite und sagte zu ihnen: »Seid bitte nett zu ihm.«
Kayley sprach immer mit den Hunden, als wären es Menschen, und natürlich wurde sie von ihnen auch verstanden.
»Er ist ein Streuner. Ich hab ihn letzte Nacht bei uns vor dem Haus gefunden und er scheint niemandem zu gehören.«
Kayley lebte mit ihrer Familie in einem kleinen Haus in Tottenham. Kayleys Familie hatte wenig Geld und der Hausbesitzer war ein schrecklicher Mann, der es ihnen niemals erlauben würde, einen Hund zu halten. Als sie am Abend Essen von einem Imbiss holen wollte, hatte das kleine Wesen völlig durchnässt und vor Kälte zitternd auf der Treppe gehockt.
Die Hunde scharten sich um den Neuankömmling und beschnupperten ihn. Er roch wirklich nach Hund und nicht nach diesen grässlichen Parfüms, mit denen sie besprüht wurden, und obwohl er sich ein wenig zu ungestüm und welpenhaft benahm, begrüßten sie ihn doch freundlich. Nur Li-Chee knurrte, denn Otto war sehr nett zu dem Mischling und der Pekinese war eifersüchtig.
»Ich hab mir was ausgedacht«, sagte Kayley zu den Hunden. »Keine Ahnung, ob es funktioniert, aber ihr könnt in der Zwischenzeit mit ihm spielen und so tun, als gehöre er dazu.«
Sie ließ die Hunde hinaus in den Garten und lief mit ihnen herum und natürlich stand der kleine Streuner nicht lange abseits.
Als es Zeit für die Hunde war, in ihre Käfige zu gehen, steckte Kayley den Mischling in den leeren Käfig in Raum A. Nun musste sie nur darauf warten, dass Mr Carker seinen täglichen Rundgang machte, und das Beste hoffen.
Er erschien in dem weißen Kittel, den er nur trug, um seine Kunden zu beeindrucken, und mit einem Klemmbrett, auf dem er sich Notizen machte. Mr Carker notierte so ziemlich alles: Wie oft ein bestimmter Hund ausgeliehen wurde, ob der Kunde zufrieden gewesen war oder nicht und wie viel er an ihm verdient hatte. Für Mr Carker waren Hunde nichts anderes als Maschinen, mit denen man Geld verdienen konnte, und jedes Tier, das seinen Unterhalt nicht wieder einbrachte, wurde auf der Stelle abgeschafft.
»Nun, wie sieht’s heute Morgen aus?«, fragte Mr Carker. Kayley sagte, dass alles bestens wäre und die Direktorin einer Grundschule angerufen habe, um Otto für einen ganzen Tag auszuleihen, als Belohnung für die Kinder am Ende des Schuljahres.
Mr Carker blieb nun an dem Käfig mit dem kleinen Streuner stehen. Sein Gesicht verfärbte sich vor Wut. »Was, um alles in der Welt, geht hier vor? Bist du wahnsinnig geworden, Mädchen? Das ist ein Mischling. Wer hat ihn angeschleppt und was macht er hier?«
»Bitte entschuldigen Sie, Sir, ich hab ihn mitgebracht, aber er ist kein Mischling.«
Normalerweise war Kayley ein wahrheitsliebendes Mädchen, aber wenn mit einer Lüge ein Leben gerettet werden konnte, musste eine Ausnahme gemacht werden. »Das ist eine neue Rasse. Er ist nur noch nicht beim Hundezuchtverband eingetragen. Ich habe ihn zum Geburtstag geschenkt bekommen, aber unser Hausbesitzer duldet keine Hunde.«
Mr Carker schaute den Neuankömmling finster an, der ihn schwanzwedelnd und fröhlich bellend begrüßte.
»Es stimmt wirklich. Ehrlich, das ist ein …« Kayley stockte, »… ein Tottenham-Terrier. Sie kommen gerade sehr in Mode. Ich hab einen auf einer Hundeschau in Brighton gesehen.«
Mr Carker zögerte. Kayley kannte sich mit Hunden sehr gut aus und er wollte nicht zeigen, dass er nichts von einer neuen Züchtung wusste, trotzdem war er misstrauisch.
»Ich habe seinen Stammbaum zu Hause«, sagte Kayley. »Wollen wir es nicht wenigstens mit ihm versuchen? Wir könnten ja etwas weniger für ihn nehmen, weil er noch neu ist.«
»Hm, vielleicht.« Tottenham-Terrier. Das klang gar nicht schlecht. »Aber denk dran, wenn er bis Ende der Woche nicht ausgeliehen ist, muss er weg. Wenn du ihn nicht behalten kannst, kommt er eben ins Tierheim. Hast du mich verstanden?«
»Jawohl, Sir.«
An der Tür drehte sich Mr Carker noch einmal um. »Du solltest ihm möglichst schnell einen Namen geben und an seinem Käfig anbringen.«
»Jawohl, Sir«, sagte Kayley noch einmal.
Aber sie hatte bereits einen Namen. Als sie dem Mischling das erste Mal in die Augen geschaut hatte, wusste sie ihn. Seine Augen waren dunkel, vertrauensvoll und klug, aber sie waren ungleich. In einem Auge hatte er einen kleinen goldenen Fleck.
»Er heißt Fleck«, sagte sie.
Doch Mr Carker hörte es nicht mehr.