Kapitel 9

Kris hatte durch die Wucht unseres letzten Aufpralls das Bewußtsein verloren und lag, vom Sicherheitsgurt gehalten, halb über dem Steuer. Ich selbst hatte ein heftiges Vor- und Zurückschnappen in der Brust gespürt, das mir zwar einen Moment lang die Orientierung, aber nicht das Bewußtsein nahm, so daß ich, als ich mich wieder zurechtfand, versuchte, die Tür zu öffnen, sie aber nicht aufbekam, da sie offenbar verbogen war.

Das warf mich auf vage Gedanken wie» Feuer «oder» Verdammt, diesmal haben wir zwei volle Treibstofftanks «und andere erbauliche Überlegungen ähnlichen Inhalts zurück, aber die Rettungsmannschaften draußen stemmten die Tür auf, hoben uns so vorsichtig wie zügig aus unserer vornübergekippten Kanzel heraus und neutralisierten die Treibstofflachen um sich und uns herum sofort mit Schaum.

Kris kam stöhnend zu sich, verstummte verblüfft, als er sein Stöhnen hörte, und grinste schwach. Kurz darauf, als die erste Pressekamera plus Mikrofon sich einen Weg durch die Uniformierten bahnte, galt sein Interesse schon nicht mehr dem Leben, sondern seinem demolierten Prachtstück, an das ihn niemand heranlassen wollte.

Ich hätte ihm sagen können, daß der sichtbare Schaden in gebrochenen Streben des Bugfahrwerks, drei geplatzten Reifen und rechtwinklig abgeknickten Propellerblättern bestand.

Jemand legte mir freundlich eine Decke um die Schultern, während ich da fröstelnd auf dem Rasen stand, und ich sah zu, wie Kris im Kampf gegen Krankenträger und andere Leute, die wohlmeinend seinen Tatendrang bremsten, unterlag.

Wahrscheinlich lag es in der Natur der Sache, daß die Frage, die sich zuallererst stellte, nämlich, wieso das Öl ausgelaufen war, so ziemlich als letzte geklärt werden konnte.

Aus irgendeinem Grund war ich gerade, wenn alles drunter und drüber ging, manchmal besonders klar im Kopf, und so fiel mir jetzt siedend heiß Kris’ Bekannter in White Waltham ein, der eigens für uns die dortige Landebahn ausgeleuchtet hatte. Unser nach unten gekommener Retter vom Kontrollturm Luton versprach netterweise, den Mann zu verständigen, was natürlich auch bedeutete, daß sich die schlechte und die gute Nachricht um so schneller herumsprechen würden und kein Dementi mehr etwas nützte. Jeder in White Waltham würde es weitererzählen, und alle würden sich einig sein, daß die Wetterfrösche neun, wenn nicht neunundzwanzig Leben hatten.

Als ihn die Sanitäter gegen seinen Willen davontrugen, legte mir Kris ans Herz, unbedingt (und sei es bis zum Schrottplatz) bei der Cherokee zu bleiben, denn nie und nimmer habe er bei seinen Sicherheitschecks das Öl übersehen; dann luden sie ihn, sosehr er auch protestierte, zum Weitertransport in einen Krankenwagen, aber ich wußte ja wirklich selbst, daß auf unserem Flug nach Doncaster vor wenigen Stunden mit dem Öl noch alles in Ordnung gewesen war.

Ich nahm die Decke von den Schultern, legte sie zusammen und gab sie den Rettungsleuten mit Dank zurück, dann schirmte ich mein allzu bekanntes Gesicht mit der Hand ab und wurde zu einem gaffenden Zuschauer unter anderen. Nicht nur Kris wollte Bescheid wissen, ich war auch selbst mehr als neugierig. Ohne die Funkpeilung und den Lotsen im Lutoner Tower und ohne die mit letztem Einsatz bewerkstelligte Bruchlandung von Kris hätte die BBC endgültig zwei Wetteransager verloren, noch dazu an einem klaren, wolkenlosen Abend.

Unweigerlich wurden Kris und ich schließlich namentlich bekanntes Nachrichtenfutter, aber ich blieb bei der Cherokee, bis der Kran kam, und dafür schenkte mir der aus dem Krankenhaus wieder entlassene Kris am nächsten Tag ein zerstreutes» Danke, Junge«, bevor er fragte, was ich herausbekommen hätte.

Ich sagte:»Als wir, ehm… gelandet sind, war kein Ölmeßstab im Motor.«

Er starrte mich grimmig an. Wir waren in meiner Mansarde, umgeben von den Sonntagszeitungen, die er mitgebracht hatte. Alle bis auf die Frühausgaben hatten uns auf der Titelseite plaziert, mit Bildern von der kopfüber gelandeten Kiste und unseren besten BBC-Gesichtern, und gingen bei der Gelegenheit ausführlich, aber nicht eben schmeichelhaft auf unseren kürzlich erst heil überstande-nen Hurrikanflug ein. Zwei Brüche in zwei Wochen waren übertrieben.

«Das war kein Pilotenfehler«, stellte Kris klar und ließ das heikle Thema Treibstofftanks von vornherein beiseite.

«Gestern morgen vorm Abflug hab ich den Ölstand geprüft, du warst dabei. Ich hab den Meßstab abgewischt, ihn in die Wanne gehalten, und sie war voll. Dann hab ich den Meßstab festgedreht, und auf dem Flug nach Doncaster lief kein Öl aus.«

«Stimmt«, gab ich zu.

«Und in Doncaster hab ich nicht noch mal nach dem Öl gesehen. Das hab ich nicht gemacht, weil’s von Waltham nur ein Katzensprung ist — als wir damals von Newmarket heim sind, hab ich mir das ja auch gespart. Nach so einem kurzen Flug prüft man den Ölstand nicht.«

Ich sagte:»Jedenfalls hast du in Doncaster nicht den Meßstab rausgenommen und ihn dann vergessen.«

«Schwörst du’s?«

Ich hatte in Doncaster halb geschlafen, aber für seine Sorgfalt hätte ich meine Hand ins Feuer gelegt… wie ich es beim Hurrikan Odin getan hatte… und da wäre ich beinah ertrunken.

In Doncaster hatte er nicht unter Druck gestanden. Wert Null auf der Panikskala. Er hätte keinen elementaren Fehler gemacht.

Was blieb also übrig? Jemand anders, nicht Kris, hatte den Ölmeßstab in Doncaster herausgenommen und ihn nicht wieder eingesetzt.

Zu Robin Darcy wollte Kris nichts sagen, aber er raffte gutgelaunt seine Zeitungen zusammen und nahm die Treppe nach unten etwas langsamer als sonst, da ihn die Ärzte vor Schwindelgefühlen und einer möglichen Gehirnerschütterung gewarnt hatten, und ich gestand mir nach einem neuerlichen stechenden Schmerz beim Atemholen schließlich ein, daß ich mir in Luton vielleicht doch ein, zwei Rippen gebrochen hatte.

Ich war dort gut behandelt worden, zweifellos, weil ich vom Wetterstudio kam, und wir hatten, wie ich sah, wirklich ein Mordsglück gehabt, denn die große, breite Rollbahn und der Flughafen selbst lagen auf einer Anhöhe über der Stadt. Die Leute im Kontrollturm hatten entgeistert mitangesehen, wie der erste harte Aufsetzer die Cherokee aus ihrer Richtung warf, und wir waren querfeldein auf einen steilen, abschüssigen Hang zugerast, als Kris sich zu seiner dramatischen Vollbremsung entschloß.

Sie würden Kris’ Cherokee in ihrem Hangar unter Verschluß halten, sagten sie, bis die Unfallsachverständigen kamen, um sich des Falls anzunehmen. Bis dahin möchte ich bitte kein Wort über den fehlenden Ölmeßstab verlieren. Nur Pilze sind stummer, sagte ich.

Ich rief meine Großmutter an und vertrieb eine Legion schlimmster Befürchtungen. Man könne schon einiges erleben als fliegender Zeitgenosse, beschwichtigte ich sie, aber jetzt hätte ich doch wieder festen Boden unter den Füßen. Sie hörte jedoch die gewaltige Erleichterung in meiner Stimme und machte sich unfehlbar ihren Reim darauf.

«Du wirst auch nicht immer heil davonkommen«, sagte sie besorgt.»Kauf dir eine schußsichere Weste.«

Montag früh gaben wir die Titelseite an eine durchgebrannte Erbin ab, und meine gebrochenen Rippen waren nicht mehr zu leugnen. Zwei vielleicht, mehr nicht. Und keine durchstoßene Lunge, das Schlimmste, was dabei passieren konnte.

Auf einer Bergtour in Wales hatte ich mich schon einmal ganz ähnlich verletzt. Damals riet mir der Arzt:»Lächeln, Zähne zusammenbeißen, Aspirin. «Ein besseres Rezept wußte ich nach Luton auch nicht, außer daß ich mir zur Zerstreuung noch die Schneeverhältnisse in Europa ansah.

Zu meiner Überraschung hatte Glenda offenbar recht. Wenn ihr mackerhafter George von ehelicher Treue so weit entfernt war wie sein angeblich eisiges Reisewetter von der Wahrheit, dann war er alles andere als treu.

Ich schrieb die tatsächlichen Lufttemperaturen und Schneeverhältnisse für die betreffenden Orte heraus, und nichts stimmte mit den Angaben, die ich bekommen hatte, überein. Entweder Glenda oder George oder beide spielten Winterspielchen.

In der Annahme, sie nach getaner Morgenarbeit beim Frühstück zu erwischen, rief ich Belladonna an, und wie es sich traf, aß sie gerade mit Loricroft und Glenda Cornflakes in der Küche der Loricrofts. Trainer verbrachten anscheinend die halbe Zeit in der Küche. Dort sei es im Winter warm, erklärte Bell.

Kris wolle nicht krankfeiern, sagte sie, er werde wie vorgesehen auf Radio 4 das Wetter ansagen und habe ihr auch schon erzählt, daß ich ab heute, Montag, an den nächsten fünf Werktagen das Fernsehwetter im Anschluß an die 18- und 21-Uhr-Nachrichten präsentieren würde.

«Mhm«, stimmte ich zu.»Du und Glenda, hättet ihr morgen früh vielleicht Zeit für mich, wenn ich vorbeikäme?«

«Hast du was Gutes für Glenda? Möchtest du sie sprechen? Kommst du mit Kris?«

Ich sagte:»Eventuell. Vielleicht. Und nein.«

«Warte«, sagte Bell und hielt vermutlich die Sprechmuschel zu, während sie die Reaktionen ihres Chefs und seiner Frau einholte, denn kurz darauf sagte sie:»Perry? Wie wär’s Mittwoch? George sagt, wenn du zeitig kommst, kannst du dann seine Springer an den Trainingshürden sehen.«

Das hörte sich nach einer ziemlichen Ehre an, die abzuschlagen unhöflich sein konnte — ich sagte für Mittwoch halb neun zu, obwohl ich lieber einen Tag früher gekommen wäre.

Bis dahin… Bis dahin zählte vor allem Jett van Els, deren dritte Woche bei meiner Großmutter an diesem Montagmorgen abgelaufen war. Um zehn hatte ein anderes» liebes Kind «ihren Platz bei Großmutter eingenommen, und um eins traf sie mich in einer Sandwich-Bar zum Mittagessen.

Sie erschien nicht in der mir vertrauten Schwesternuniform, sondern in schwarzen Hosen, dickem weißen Pullover und einem gerade geschnittenen knallroten Mantel mit schwarzgoldenen Knöpfen. Ich begrüßte sie mit unverhohlener Bewunderung, und das erste, was sie sagte, war:»Dir geht’s nicht gut.«

Ich küßte sie trotzdem.

«Ich bin ja Krankenschwester«, meinte sie,»und da weiß man, was ein blasses Gesicht ist.«

Sie hielt sich aber nicht weiter dabei auf, sondern hängte ihren Mantel an den nächsten Haken und überflog die Speisekarte.

«Wo arbeitest du denn als nächstes?«fragte ich und entschied mich für Käse und Chutney auf braunem Brot, aber aufs Essen kam es mir nicht so an.

«Ich nehme eine Woche Urlaub, und nächsten Montag gehe ich wieder zu Mrs. Mevagissey. «Das sagte sie vollkommen gelassen, als wäre das so üblich. Normalerweise kam eine Schwester allenfalls nach einem Monat wieder.

«War sie damit einverstanden?«fragte ich mit hochgezogenen Augenbrauen.

Jett lächelte über mein Erstaunen.»Deine Großmutter hat mir nahegelegt, dich nicht ins Herz zu schließen, denn du seist die Unbeständigkeit in Person, so ungefähr.«

«Sie möchte nicht, daß du verletzt wirst.«

«Werde ich denn?«

Das war kein Dialog, wie ich ihn aus Erfahrung kannte.

«Ist noch zu früh, um das zu sagen«, meinte ich schwach.

«Ich werde Abseilbedingungen aushandeln.«

Wir bestellten. Sie nahm ein Thunfischbrötchen, was ich noch nie gemocht hatte, und ich saß da und hoffte, ihre Zukunftspläne führten sie nicht zu weit weg. Belgischer Vater hin oder her, Jett van Els würde wohl eher Perry Stuart das Herz brechen als umgekehrt.

«Mal im Ernst«, sagte sie, als das Sandwich mit gesundem Appetit verputzt war,»was hast du?«

«Liebespein?«

Sie schüttelte lächelnd den Kopf.»Ich hab bei deiner Großmutter gestern die Zeitung gesehen. Es ist erstaunlich, daß du und dein Freund Kris da überhaupt lebend rausgekommen seid.«

Ich sagte, ich hätte mir wahrscheinlich ein paar Rippen gebrochen, was der körperlichen Liebe einige Tage abträglich sein könne.

«Sagen wir eher ein bis zwei Wochen«, riet Miss van Els,»oder ein bis zwei Monate. «Sie lächelte gefaßt.»Die erste Abseilregel heißt, laß dir Zeit mit dem Anseilen.«

«Essen wir dann morgen wieder zusammen?«

«Gern«, sagte sie.

Auch wenn ich erst nach sechs vor die Kameras mußte, war ich immer schon längst im Büro, wenn um zwei die Nachmittagskonferenz zur Weltwetterlage begann.

Man mußte die Luftschicht, die um den kreisenden Planeten wirbelte, als Ganzes betrachten und abzusehen versuchen, ob der Druck in den tropischen Regionen so weit fallen würde, daß daraus Stürme entstanden.

Mich hatte es immer gewundert, wie unbeliebt Physik als Schul- oder Studienfach war, wenn sie im allgemeinen auch allmählich an Ansehen gewann. Physik ist die Lehre von den ungeheuer starken unsichtbaren Kräften, die unser Leben bestimmen. Physik ist Schwerkraft, Magnetismus, Elektrizität, Hitze, Schall, Luftdruck, Radioaktivität und Wellen; sie umfaßt die geheimnisvollen Kräfte, die es offenkundig gibt, deren Wirkung allgegenwärtig, deren Macht grenzenlos ist und die man doch nicht sieht. Tag für Tag ging ich mit diesen Kräften wie mit Freunden um.

Niemand im Büro verlor viele Worte über meine Samstagseskapade mit Kris; offenbar war die Freudentanzbereitschaft unserer Mitarbeiter nach Odin erschöpft. Ihre Zurückhaltung paßte mir gut, nur für das geheimnisvolle Verschwinden eines gewissen Ölmeßstabs in Nordengland, fand ich, hätten sie sich ein wenig mehr interessieren können. Mir wollte man am Telefon nicht sagen, ob es da schon etwas Neues gab, da es nicht mein Ölmeßstab sei. Als auf meine Bitte hin dann Kris anrief, erreichte er auch nicht mehr; um darüber Auskunft zu erhalten, hieß es, müsse er schon zu einem persönlichen Gespräch nach Nordengland kommen.

«Ruf Luton an, sie sollen nachhören«, schlug ich vor, aber Luton erhielt lediglich die Empfehlung, Kris selbst noch einmal eingehend zu befragen.

«Was soll das denn heißen?«wollte Kris von mir wissen.

«Das heißt, die haben da oben keinen Ölmeßstab gefunden. Es heißt, daß du ihrer Meinung nach den Ölmeßstab nicht richtig eingedreht hast, und damit wäre es deine Schuld, daß das Öl ausgelaufen ist.«

Kris machte ein finsteres Gesicht, aber zumindest John Rupert, den ich am Dienstag morgen in meiner Eigenschaft als» Sachbuchautor «in Kensington aufsuchte, sah das auslaufende Öl als einen handfesten Versuch an, Kris und mich unter die Erde zu bringen.

«Ich fliege selbst«, sagte John Rupert.»Seit zwanzig Jahren bin ich Wochenendpilot, aber eine Blindlandung würde ich möglichst vermeiden. Vor einem Jahr ist eine Maschine mit vier Personen, die auf dem Rückflug von Frankreich waren, wegen einer öl verschmierten Windschutzscheibe an der Steilküste von Kent abgestürzt. Ihr Ölmeßstab lag noch da, wo sie vor dem Abflug das Öl erneuert hatten. Das ging durch alle Zeitungen.«

«Arme Teufel«, sagte ich.»Ich erinnere mich.«

«Niemand«, bemerkte John Rupert nachdrücklich,»hätte wohl erwartet, daß Sie unversehrt wieder Ihrem Job nachgehen könnten.«

Die Tür schwang auf, und Geist kam herein. Mit sehniger Klaue drückte er mir die Hand und verspeiste den einen Pfefferkuchen, den John Rupert übersehen hatte.

«Neuigkeiten?«fragte Geist knapp, leise kauend.»Irgendeine Idee?«

«Abgesehen von Mordanschlag per Motoröl«, erläuterte John Rupert.

«Weil Sie beide überlebt haben«, meinte Geist trocken,»wird es niemand als Anschlag ansehen…«Er brach ab und fragte mich rundheraus:»Könnte es eventuell ein Unfall gewesen sein?«

«Höchstens wenn man von einem dummen Streich ausgeht, Sachbeschädigung durch Unbekannt, wie es die Ermittler vor Ort anscheinend tun.«

«Aber Sie glauben nicht daran?«

«Nein.«

«Und sind Sie deshalb wieder zu uns gekommen?«

Ich kniff die Augen zusammen.»Kann sein«, sagte ich.

Geist lächelte: ein Gesichtsausdruck zum Fürchten, der den Bösen viele Jahre Vorhölle versprach.

«Ich weiß nicht genau, wer den Ölmeßstab stibitzt hat«, sagte ich,»aber ich habe Ihnen eine Verdächtigenliste mitgebracht.«

Sie lasen sie.»Alle aus Newmarket«, stellte Geist fest.

«Bis auf den letzten, Robin Darcy.«

«Ich glaube nicht, daß er es war«, sagte ich.

«Wieso nicht?«

«Er hat uns beiden die Hand gegeben. Jedem für sich, meine ich.«

«Sie sind altmodisch«, sagte Geist.»Shakespeare ist aktuell. Man kann lächeln und lächeln und doch ein Schurke sein.«

«Ich möchte nicht, daß es Darcy ist«, sagte ich.

«Ah. «Geist schien zufrieden.»Instinkt… das lasse ich gelten.«

John Rupert betrachtete die Liste.»Erzählen Sie uns von den Leuten«, sagte er.»Was wissen Sie über Caspar Harvey? Und Belladonna, seine Tochter?«

Ich war erstaunt, wieviel ich über sie alle erfahren hatte, und brauchte eine gute Stunde, um ein Bild vom zittrigen Oliver Quigley zu zeichnen (alter und neuer Eindruck) und von George Loricroft, dem Macho, der sich anmaßte, seine blondgefärbte bessere Hälfte zu unterdrücken, die viel klüger war, als ihr Mann wahrhaben wollte, und deshalb, ohne es zu wissen, eine Gefahr für sich selbst darstellte.

«Ich glaube nicht, daß der Ölmeßstab auf Glendas Konto geht«, erläuterte ich und holte Luft.»Ich glaube nicht, daß sie uns tot sehen wollte. Sie wollte, daß wir leben, nach dem Wetter schauen und prüfen, ob ihr Mißtrauen berechtigt ist.«

Ich erzählte von den Eis- und Schnee-Unstimmigkeiten auf Loricrofts tatsächlichen und angeblichen Reisen. Geist war ganz Ohr. John Rupert sagte lediglich:»Und weiter?«

«Nun…«Ich besann mich kurz.»Als ich zu Ihnen kam… um mich auszusprechen… da kannte ich die Namen von drei Unified Tradern, und ich habe sie Ihnen nicht gesagt, weil.«

«Weil«, unterbrach Geist mißbilligend mein Schweigen,»Sie sie aus einer Gefühlsregung heraus vor Strafverfolgung schützen wollten, nachdem sie Ihr Leben geschont hatten, obwohl sie Sie hätten töten können. Richtig?«

«Wahrscheinlich.«

«Und?«

«Und das war eine Tatsache, aber jetzt kann ich Ihnen nur Annahmen und Mutmaßungen liefern.«

«Besser als nichts«, meinte John Rupert mit gespielter Förmlichkeit.»Schießen Sie los.«

«Sie halten es vielleicht für Blödsinn.«

«Überlassen Sie das uns.«

«Die Unified Trader«, sagte ich langsam.»Also mir scheinen diese Leute eher Amateure als Profis zu sein. Das heißt, sie haben zwar unlautere Absichten, sind aber nicht hart oder konsequent genug in der Umsetzung. Zum Beispiel war es einfach blöd, einen Hefter mit derart wichtigen Informationen so lange herumliegen zu lassen, und genauso blöd war es, Kris damit zu beauftragen, ihn ranzuschaffen. Auch wenn das vordergründig nach einer annehmbaren Gegenleistung aussah, denn für die Gelegenheit, durch einen Hurrikan zu fliegen, hätte Kris alles getan.«

John Rupert nickte.

«Caspar Harvey und Robin Darcy sind alte Geschäftsfreunde, und abgesehen von Harveys Gerste und Darcys Rasenfarm sind beide an den Umgang mit Kleinmengen gewöhnt. Harvey verkauft Vogelfutter und Darcy vakuumverpackte exotische Pilze. Darcy hat eine kleine Pilzzucht auf Trox aufgemacht, aber ich habe mir von ein paar gestandenen Pilzhändlern sagen lassen, daß die Geschichte auf Trox sich gar nicht rentiert haben kann. Letztlich diente sie wie schon gesagt dazu, die Inselbevölkerung zu vertreiben. Aber ich nehme an, es war ihre Fähigkeit, in kleinen Umfangen zu denken, die sie darauf gebracht hat, zwischen den Käufern und Verkäufern winziger Mengen radioaktiven Materials als Vermittler aufzutreten.«

«Wenn man genug Kleinmengen zusammenbringt«, meinte John Rupert,»kann eine Unmenge draus werden.«

«Oder eine Bombe«, sagte Geist.

«Oder so viel von einer Bombe«, wandte ich ein,»daß man einen Bombenpreis dafür verlangen kann. Wobei ich nicht glaube, daß die Trader selbst mit dem Uran oder dem Plutonium hantieren. Das Zeug ist sehr gefährlich. Aber sie haben das Organisationstalent.«

Ich schwieg, doch die beiden Männer wollten mehr.

«Ich glaube«, sagte ich,»oder vielmehr, ich könnte mir denken, daß Caspar Harvey von Darcy als Trader angeworben wurde und daß Harvey wiederum Oliver Quigley und George Loricroft an Land gezogen hat. Eine Zeitlang lief das Vermittlungsgeschäft dann sehr einträglich und im besten Einvernehmen mit den drei Tradern auf der anderen Seite des Atlantiks, weil jeder der sechs nach der alten Musketierdevise gehandelt hat: alle für einen, und einer für alle.«

Geist, die Augen listig zusammengekniffen, fragte:»Wieso brauchten denn die Firmengründer Zuwachs? Warum haben Darcy und Harvey den Gewinn nicht unter sich aufgeteilt?«

«Ich glaube…«Meine Gedanken, merkte ich, waren nur noch Mutmaßungen.»Ich glaube, Harvey fand heraus, daß Loricroft eine gute Nase fürs Geschäft hat. George Loricroft ist in ganz Europa — besonders in Deutschland — herumgereist und hat seiner Frau Märchen über das jeweilige Wetter erzählt, um zu erklären, warum er nicht da war, wo er angeblich hin wollte. Er hat sie wie ein dummes Schaf behandelt, und es kann durchaus sein, daß die Orte, über die er gelogen hat, Handelsposten waren. Sie lagen fast alle in Deutschland, und für Loricroft als international bekannten Trainer gibt es kaum einen geeigneteren Ort, um unauffällig Geschäfte abzuschließen oder Informationen auszutauschen, als die Rennbahn.«

Ich sah auf meine Schuhe nieder, um mich ihrer Skepsis und ihrem Unglauben nicht auszusetzen, aber für einen Rückzieher war es jetzt zu spät.

«Ich habe Ihnen gesagt, ich hätte nur das Wort Hippostat aus einem der Briefköpfe behalten, aber ich weiß noch eins. Das fiel mir ein, als ich an nichts Bestimmtes dachte… es kam so aus dem Unbewußten hoch.«

«Nämlich?«fragte Geist ungeduldig.

«Nun…«:, ich blickte auf,»das deutsche Wort für Rennbahn. Rennbahn Baden-Baden.«

John Rupert lächelte lebhaft.»Und das ist eine Pferderennbahn?«

«Genau«, sagte ich.»Rennbahn Baden-Baden. Das stand auf deutsch über einem Brief, der in einer mir unbekannten anderen Sprache abgefaßt war.«

«Wir haben deutsche Wörterbücher unten und alles, was es überhaupt an Wörterbüchern gibt«, sagte John Rupert.

«Meinen Sie, Ihnen fällt noch mehr ein, wenn Sie, ehm… schmökern?«

«Ich weiß es nicht«, zweifelte ich.

«Wir können es versuchen.«

«Aber erst mal«, sagte Geist,»erzählen Sie uns bitte von den anderen beiden Tradern in Florida, Robin Darcys Kollegen.«

«Die sind auf den Cayman-Inseln, nicht in Florida«, erklärte ich und beschrieb Michael und Amy Ford.»Möglicherweise sind sie aus Idealismus oder aus politischen Motiven dabei… ich weiß es nicht, aber sie können auch die Firma mitgegründet haben. Jedenfalls dürften sie die Reichsten von der Bande sein.«

«Wie kommen Sie darauf?«wollte Geist wissen.

«Ich war bei ihnen zu Gast… und Amys Flugzeug, die Maschine, die wir in dem Hurrikan verloren haben, das war ein echtes Juwel. Angeblich hatte Amy es an Darcy verkauft.«

«Was Sie bezweifeln?«fragte John Rupert.

«Ja, schon. Das ist aber nur so ein Eindruck. Niemand schien sich über den Verlust groß aufzuregen. Ich weiß nicht, wie es mit der Versicherung stand. Davon war keine Rede.«

Es wurde still. Dann sagte John Rupert:»War es das?«und wollte aufstehen, aber ich meinte zögernd:»Eins vielleicht noch.«

«Ja?«Unvermindert aufmerksam lehnte er sich zurück.

Ich spielte mit meinen Fingern.»Also… mir fällt einfach auf, daß die Unified Trading Company keinen Chef hat. Da gibt es keine Rangordnung.«

«Sind Sie sicher?«fragte John Rupert zweifelnd.»Bis jetzt hat noch jede Organisation, die mir begegnet ist, eine Hierarchie gehabt.«

«Eben«, nickte ich.»In einer normalen Firma sind die unteren Ränge den oberen unterstellt und erhalten Wei-sung von oben. Bei der Unified Trading Company hingegen handelt jeder nach seiner Fasson und teilt hinterher mit, was er getan hat. Sie handeln, bevor sie es den anderen sagen. Das führt dazu, daß sie manches doppelt moppeln und anderes dafür ganz vergessen, und das gibt ein Kuddelmuddel.«

John Rupert und Geist sahen immer skeptischer drein.

«Wenn Sie beide es seit langem gewohnt wären zu bestimmen«, sagte ich,»wer von Ihnen würde dann die Entscheidungen treffen?«

Prompt antworteten sie wie aus einem Mund:»Ich.«

«Wer?«fragte ich.»Wer von Ihnen würde befehlen?«

«Ich«, antworteten sie wieder einstimmig, wenn auch langsamer, und machten dann nachdenkliche Gesichter.

«Die bis jetzt bekannten Trader«, hielt ich fest,»haben alle eine eigene Firma betrieben und waren ihr eigener Chef. Michael Ford war Eigentümer und Betreiber einer Kette erfolgreicher Fitneßcenter. Seine Frau Amy hat ein Vermögen mit Videotheken verdient. Robin Darcy baut Rasen an, das ist in Florida, als ob man Gold pflanzt. Auch Caspar Harvey ist Farmer, aber daneben macht er Millionen mit Vogelfutter. George Loricroft und Oliver Quigley haben Rennställe und verstehen es, ihre Arbeitskräfte zu führen, nur deshalb sind sie erfolgreich. Alle sechs sind es gewohnt, Entscheidungen zu treffen, und nicht, daß ihnen jemand sagt, was zu tun ist. Sie lassen sich das auch gar nicht sagen, lieber tut jeder für sich, was er für richtig hält. Und aufs Ganze gesehen geht das schief.«

«Eine interessante Theorie«, meinte Geist.

«Zum Beispiel«, sagte ich,»nahm Robin Darcy an, Kris käme problemlos an den Hefter heran, den er in einem Schreibtisch verwahrt hatte, aber jemand anders hatte ohne sein Wissen den Schreibtisch entfernt und einen Tresor aufgestellt, der sich mit Darcys privatem Kennwort öffnen ließ. Wie gesagt, es kommt zu Mißverständnissen, und deshalb konnte Kris den Hefter nicht finden.«

Ich fühlte mich plötzlich ausgepumpt, und meine geschundenen Rippen machten sich bemerkbar. Im Geiste schon draußen, sagte ich:»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun? Wenn nicht…«

Sie schüttelten unschlüssig die Köpfe.»Höchstens die Wörterbücher«, aber nach einem kursorischen Blättern in fremden Wortschätzen, bei dem ich nichts mit Bestimmtheit wiedererkannte, raffte ich mich endlich auf zu gehen und traf mich mit Jett in ihrem knallroten Mantel zum Lunch.

«Du bist krank«, sagte sie, während wir unseren Eiersalat mit Curry aßen, und ich hatte nicht die Energie, es abzustreiten.

«An deiner Stelle würde ich krankfeiern.«

«Es sind doch nur die Rippen. Morgen geht’s schon wieder.«

«Dann fahr ich dich aber morgen früh nach Newmarket.«

Ich hatte ihr gesagt, daß ich nach Newmarket wollte, um mir anzusehen, wie George Loricrofts Pferde eingesprungen wurden. Sie hatte ohnehin mitkommen wollen, und obwohl ich es unvorsichtig fand, nahm ich ihr Angebot dankend an.

Irgendwie überstand ich den Tag im Büro, aber als Jett am anderen Morgen um halb sieben vor meiner Tür stand, meinte sie, ich sei überhaupt nicht reisefähig und müsse zum Arzt gehen.

Wir hatten vereinbart, mit ihrem Auto zu fahren, da sie sich nicht so gern ans Steuer meiner kleinen Schachtel setzen wollte. Sie sagte, sie kenne einen guten Arzt, und ich sagte, nein, wir fahren nach Newmarket, und zum vielleicht letzten Mal ließ Miss van Els mir meinen Willen.

Bei George Loricroft zu Hause begrüßte mich Bell mit einem Kuß und blickte an mir vorbei, um zu sehen, wie Jett diese Zärtlichkeit aufnahm. Nichts da. Jett war cool.

Glenda schlang voll Überschwang die Arme um mich, so daß ihr Mund an meinem Ohr zu liegen kam.

«Sagen Sie George nichts…«, es war kaum mehr als ein Flüstern. Lauter schob sie nach:»Wundervoll, daß Sie gekommen sind, mein Lieber. «Und George selbst, dem ich so schnuppe war wie nur was, lebte richtig auf, als ihm Jett vorgestellt wurde. Ein ganz schön sexbewußter Begrüßungsreigen, dachte ich, und mir war so flau, daß ich beim Frühstück keinen Bissen hinunterbrachte.

Glenda und Bell feierten noch einmal die glückliche Landung von Kris am Samstag, und George, der ungeduldig auf die Uhr sah, meinte mürrisch, seiner Ansicht nach habe Kris vor lauter Eifer, noch im Hellen von Doncaster wegzukommen, den Ölmeßstab am Boden liegengelassen und die Motorhaube geschlossen, ohne ihn wieder einzudrehen.

«Alles schon vorgekommen«, sagte er.»Auf, Mädchen, es wird Zeit. «Und er stiefelte hinaus zu seinen Pferden, ohne sich noch einmal umzuschauen.

George schien mir in seiner ganzen Schroffheit von seiner Frau weit weg zu sein, und sie hatte ihm hin und wieder Blicke zugeworfen, in denen sich Angst mit Bosheit mischte. Beide bemühten sich nicht einmal mehr, Zuneigung vorzutäuschen, so peinlich das für andere auch sein mochte.

Als ihr Mann einen Augenblick außer Sicht war, gab ich Glenda die Liste der Austragungsorte zurück, wo er den kalten Fakten zum Trotz gewesen sein wollte, und ich sah, wie sich ihre Wangen röteten — nicht nur, weil sie recht bekommen hatte, sondern, wie mir schien, auch vor Enttäuschung und Ernüchterung darüber, ihren Verdacht bestätigt zu sehen.

Bell legte einen Arm um Glendas absinkende Schultern und ging mit ihr ins Haus, kam allein wieder, bestieg im Stallhof ein Pferd, während Jett und ich uns in Georges Jeep setzten, um uns zu dem versprochenen Sprungtraining führen zu lassen. Ich war froh, daß Jett ehrlich interessiert zu sein schien und daß Bell, obwohl sie selbst einen hektischen Hitzkopf über drei klapprige Hürden bringen mußte, sich die Zeit nahm, mir und der belgischen Florence Nightingale alias Jett van Els, die einen graubraungrünen Hosenanzug zu dem weißen Pullover trug, vorweg den Trainingsablauf zu erklären. Jett und ich gingen von dem Jeep zu einem Beobachtungspunkt an den Hürden, um die Arbeit, die da mit vollem Einsatz geleistet wurde, hautnah mitzuerleben.

Nach dem Einspringen, noch ganz außer Atem von der Geschwindigkeit, kam Bell mit ihrem Pferd zu uns getrabt, sprang herunter und meinte überraschend, mit einem Lächeln:»Wir kennen uns zwar noch nicht lange, Perry, aber ich weiß, wann ich’s mit einem klugen Kopf zu tun habe, und du und deine Jett van Els, ihr habt ganz schön was auf der Pfanne.«

Sie begann ihr Pferd ein paar Meter entfernt im Kreis zu führen, damit es sich abkühlte, und ich versuchte mit ihr Schritt zu halten und dabei zu reden.

«Wie Robin Darcy?«tippte ich an.

Zehn Sekunden lang durchforstete sie stumm ihr Gedächtnis, dann war ihr die Lunchparty ihres Vaters wieder präsent.»Ich sagte dir, du solltest dich von seinem gemütlichen Äußeren nicht täuschen lassen.«

«Ja.«

«Und ich wollte Kris klarmachen, daß Darcy ein paar Nummern zu groß für ihn ist, aber selbst wenn ich der Erzengel Gabriel gewesen wäre, hätte er an dem Tag nicht auf mich gehört.«

Kris hatte an dem Tag und seit dem Tag vor allem auf Robin gehört.

«Kris und Robin haben sich auch in Doncaster lange unterhalten«, sagte ich.

Bell nickte.»Sie sprachen miteinander, als ich zur Toilette ging. Darcy wollte, daß Kris noch mal bei ihm und Evelyn Urlaub macht und daß er mich mitbringt!«

«Zur Hochzeitsreise?«

«Manchmal glaube ich, aus unserer Hochzeit wird nie was. «Sie schien mir selbst unentschlossen und sagte dann ohne Überleitung:»Nimm mein Pferd am Halfter und bleib hier bei Jett, ich hole euch Georges Jeep. Ehrlich, du siehst ganz schön grau aus.«

Ich konnte mir das zwar nicht erklären, denn die gebrochenen Rippen von Wales hatten mir nur Unbehagen bereitet und keine Übelkeit verursacht, aber ich nahm Bells Angebot an und wartete bei ihrem dampfenden Pferd, freute mich an der Nähe dieses großen urtümlichen Geschöpfes unter dem weiten, kalten, wolkenlosen Himmel von Newmarket.

Sie kam mit dem Jeep, und wir tauschten die Transportmittel; Bell ritt das Pferd, und ich fuhr mit Jett langsam zu Georges Hof zurück und fühlte mich gräßlich.

In der warmen Küche standen sich George und Glenda steif gegenüber und starrten sich so böse an, als wären sie zu allem fähig, und das Hinzukommen Dritter nahm dem Haß kaum etwas von seiner Schärfe.

George, Mitte Vierzig, wirkte immer ausgesprochen resolut, aber in diesem Moment unterstrich die Eleganz der gutgeformten Schultern, des dichten, glattgekämmten dunklen Haars, der schlanken, geschmeidig sich öffnenden und schließenden Finger nur seine offensichtliche Böswilligkeit.

Georges Zorn hätte sich wohl schon in Tätlichkeiten gegenüber seiner Frau entladen, dachte ich, wäre nicht der unsichtbare und undurchdringliche Panzer gewesen, den diese zu tragen schien.

Jett und ich zogen uns still zurück, und gleich versuchte Bell sich mit bedrückter Miene zu entschuldigen:»Es tut mir leid, wirklich…«

«Du kannst nichts dafür«, sagte ich, aber trösten konnte ich sie auch nicht, nicht mit ein paar kurzen Worten.

Wir gingen über den Parkplatz und blieben vor Jetts Wagen stehen. Ich drehte mich zu Loricrofts Villa um und sah nur Wohlstand und Frieden. Seidenpapier über einem Abgrund, dachte ich.

«Bell…«, sagte ich besorgt,»geh weg aus Newmarket und zieh zu Kris nach London.«

Sie schüttelte den Kopf, bevor ich ausgeredet hatte.

«Ich kann nicht weg. Und wozu auch? Kris braucht mich nicht, das hat er mir gesagt.«

Weder Bell noch Jett spürten etwas von der Dringlichkeit, die mir die Eingeweide zusammenzog und mich kribbelig werden ließ. Meine Großmutter hätte dieses starke Unbehagen sicher als böse Vorahnung aufgefaßt, aber ich wußte nicht, ob mein Empfinden auf Vernunft oder Instinkt oder schlicht auf einem flauen Magen beruhte.

Ich sagte so eindringlich, wie ich es hinbekam:»Bell, es ist mir Ernst. Geh aus Newmarket weg. Ich habe ein ungutes Gefühl. eine Vorahnung, könnte man sagen. nenn es, wie du willst, aber geh weg von hier.«

Jett sagte:»Du bist krank.«

«Kann sein… Aber krank hin oder her, Bell, du mußt aus Newmarket weg.«

Zwar verstanden weder Bell noch Jett mein Drängen, doch beide wurden unsicher. Ich konnte Bell unmöglich erklären, daß ihr Vater und ihr Arbeitgeber und Quigley und Robin Darcy sich zusammengetan hatten, um an verschiedene Gruppen und Verbände in verschiedenen gesetzlosen Teilen der Welt Informationen zu liefern, die den Erwerb winziger Mengen hochgradig spaltbaren Materials für den Bau von Atomwaffen ermöglichten. Winzige Mengen, mit Fleiß zusammengetragen, ergaben eine Gefahr, ein Aggregat… eine Bombe.

Diese vier Männer, und zweifellos wußten sie es, machten Geschäfte mit dem Tod.

Einer oder zwei von ihnen waren selbst eine tödliche Gefahr.

Loricroft, der Sucher und Sammler des gewinnversprechenden Materials, der von seiner Überlegenheit so überzeugt war und dem seine Frau dennoch auf die Schliche zu kommen drohte, war sicher näher als alle anderen daran, zu explodieren.

Ich hielt ihn für gefährlich, traute ihm so gut wie irgendeinem seiner kaltblütigen Kunden zu, rücksichtslos zu wüten.

«Wenn Glenda weg möchte«, sagte ich zu Bell,»nimm sie mit.«

Bell schüttelte den Kopf.

«Ich komme in einer Stunde wieder«, sagte ich und bat Jett, mich mit ihrem Wagen ans andere Ende der Stadt zu fahren.

«Ins Krankenhaus?«fragte sie hoffnungsvoll.

«Fast«, sagte ich.

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