Kapitel 10

Das Krankenhaus, zu dem ich wollte, war eine Pferdeklinik.

Ich hatte vorher angerufen und wurde am Haupteingang des Instituts zur Erforschung von Pferdekrankheiten von einer Frau empfangen, die auf den Namen Zinnia hörte. In allen Sparten der tiermedizinischen Forschung zu Hause, stellte sie sich als Spezialistin für Giftpflanzen und davon verursachte Vergiftungserscheinungen bei Pferden vor.

In ihre Hände war das Leben von Caspar Harveys Stute gelegt worden, und sie sollte herausfinden, was dem Tier überhaupt fehlte.

Zinnia hatte die Fünfzig bereits überschritten, nahm ich an, und trug einen weißen Ärztekittel über einem grauen Flanellrock. Kein Hauch von Lippenstift zu ihrem blumigen Namen; sie hatte kurzes graues Haar, trug Schuhe mit flachen Absätzen und wirkte abgespannt, was aber, wie ich herausfinden sollte, eine persönliche Eigenart war und kein Ausdruck von Schlafmangel.

«Dr. Stuart?«Sie musterte mich unbeeindruckt von Kopf bis Fuß und sah mit hochgezogenen Augenbrauen zu Jett, die keine Lust gehabt hatte, draußen im Wagen zu warten. Mein Hinweis auf Jetts beruflichen Hintergrund ließ die Augenbrauen wieder sinken, und wir durften der Blume in ein Labor folgen, das mit einer Phalanx von Mikroskopen, Zentrifugen, Meßgeräten und einem Gaschromatographen ausgestattet war. Wir setzten uns auf hochbeinige Laborstühle, und ich fühlte mich immer noch lausig.

«Mr. Harveys Stute«, sagte Zinnia mit gleichmütiger Stimme,»wurde mit Symptomen einer schweren Störung der Darmfunktionen hier eingeliefert. Als ich am späten Sonntagnachmittag hinzugezogen wurde, war sie zusammengebrochen. «Sie schilderte ihre damaligen Überlegungen und Maßnahmen, die — da Pferde von Natur aus über keine Antiperistaltik verfügen, oder einfacher gesagt, sich nicht übergeben können — hauptsächlich darin bestanden, der Stute Abführmittel zu geben und reichlich Wasser anzubieten, das sie zum Glück dann auch trank.

«Ich war mir sicher, sie müsse ein in gehäckselter Form unter ihr Heu gemischtes pflanzliches Gift gefressen haben, denn ganze Halme oder Stengel waren in dem Heunetz, das mit ihr kam, nicht zu finden. Ich nahm an, sie würde sterben, und dann hätte ich natürlich den Mageninhalt untersucht, aber da sie zäh am Leben festhielt, mußte ich mit dem anfallenden Mist vorliebnehmen. Ich hatte den Verdacht, sie könnte Jakobskraut verzehrt haben, das hochgiftig und für Pferde oft tödlich ist. Es greift die Leber an und führt meist zu chronischen Vergiftungen, aber auch akute Vergiftungserscheinungen wie bei Harveys Stute kommen vor.«

Sie schwieg, blickte von meinem zu Jetts Gesicht und sah in beiden bare Unkenntnis.

«Ist Ihnen Senecio jacobaea ein Begriff?«fragte sie.

«Ehm«, sagte ich.»Nein.«

«Besser bekannt als Jakobskraut. «Sie lächelte dünn.»Es gedeiht vorwiegend auf Brachland und gilt nach dem Wildpflanzengesetz von 1959 als schädlich, man muß es also ausreißen, wenn man es sieht.«

Wenn sie gesagt hätte, daß weder Jett noch ich eine Vorstellung davon hatten, wie das Kraut in freier Wildbahn aussah, hätten wir ihr recht geben müssen. Wir fragten, und sie beschrieb es uns.

«Es hat gelbe Blüten und gelappte Blätter…«Sie brach ab.»Jakobskraut enthält zyklische Diester, das sind die giftigsten pyrrolizidinen Alkaloide, und es ruft die bei der Stute beobachteten Symptome hervor, die Störungen der Verdauungsfunktion, die Leibschmerzen und die Ataxie, also Koordinationsstörungen.«

Wir hörten respektvoll zu. Ich fragte mich, ob ich selbst Jakobskraut gegessen hatte.

«Die Blätter können getrocknet werden und bewahren ihren Giftgehalt leider eine Ewigkeit, so daß man sie um so besser zerkleinern und mit anderem Trockenfutter mischen kann wie etwa Heu.«

Jett sagte zu Zinnia:»Sie haben im Mist der Stute also Jakobskraut gefunden?«

Zinnia blickte von ihr zu mir.»Nein«, sagte sie ohne Umstände.»Im Kot der Stute ließ sich kein Jakobskraut nachweisen. Wir haben sie mit verschiedenen Antibiotika behandelt für den Fall, daß eine Infektion vorlag, und sie hat sich nach und nach erholt. Dann haben wir sie im Auftrag des Besitzers, Caspar Harvey, zu George Loricroft geschickt. Bei Oliver Quigley, wo die Stute vorher trainiert worden war, haben wir das gesamte Personal befragt, zuallererst natürlich den Futtermeister, aber es wurde entschieden bestritten, daß irgend jemand sich am Heunetz der Stute zu schaffen gemacht haben könnte. Kein anderes Pferd dort hat Symptome wie die Stute gezeigt, verstehen Sie?«

«Was fehlte ihr denn nun?«fragte Jett.»Haben Sie das herausbekommen?«

«Es gibt wohl andere Theorien«, sagte sie in einem Ton, als seien Theorien, die irgend jemand anderes vorbrachte, per se schon falsch.»Aber die Stute ist ja nicht mehr hier. Falls Sie das Blut auf Antikörper untersuchen lassen möchten, Dr. Stuart, dazu haben wir Caspar Harvey bereits geraten, doch bisher lehnt er das ab.«

Zinnia spielte auf ihre penible Art hier darauf an, daß einmal von einem Organismus zum Schutz gegen bestimmte Erreger oder Fremdstoffe gebildete Antikörper bei Pferden wie bei Menschen die Tendenz hatten, auf Dauer im Blut zu bleiben. Im Blut nachgewiesene Antikörper gegen bestimmte Krankheitserreger bewiesen also, daß der Organismus von dieser Krankheit befallen gewesen war.

«Um Antikörper geht’s mir nicht«, sagte ich,»aber… haben Sie noch etwas von dem Mist? Ist davon noch was hier im Labor?«

Zinnia sagte steif:»Ich kann Ihnen versichern, daß wir den Kot auf alle erdenklichen Erreger und Toxine untersucht haben, Dr. Stuart, und wir haben nichts gefunden.«

Schweiß stand mir auf der Stirn. Viel schlechter konnte es der Stute auch nicht gegangen sein. Noch nie hatte ich gehört, daß ein Rippenbruch jemandem so auf den Magen geschlagen war.

Zinnia sah mich verwundert an und gab widerwillig zu, daß das Institut tatsächlich etwas von der fraglichen Substanz zurückbehalten habe, da das Rätsel um die Erkrankung der Stute noch nicht gelöst sei.

«Vielleicht besinnt sich Caspar Harvey ja noch«, sagte Zinnia.

Ich hielt es für äußerst unwahrscheinlich, daß Caspar Harvey Licht in das Leiden der Stute gebracht haben wollte, aber ohne Rücksicht auf seine Gefühle sagte ich zu Zinnia:

«Ist das Institut zur Erforschung von Pferdekrankheiten zufällig auch mit einem Geigerzähler ausgestattet?«

«Einem Geiger…«Das Wort blieb Zinnia im Hals stecken.

«Ich habe gehört«, sagte ich ohne Nachdruck,»daß hier jemand glaubt, die Stute sei strahlenkrank.«

«Ach was!«Zinnia schüttelte entschieden den Kopf.

«Dann wäre sie dahingesiecht und eingegangen, aber nach der antibiotischen Behandlung hat sie sich doch innerhalb von wenigen Tagen erholt. Die Strahlentheorie hat eine unserer Forscherinnen hier wohl hauptsächlich deshalb vertreten, weil der Stute die Haare ausgegangen sind. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen, wir haben auch einen Geigerzähler irgendwo, nur war bei der Stute kein erhöhter Wert festzustellen, als sie uns verlassen hat.«

Stille trat ein. Mir lag nichts daran, sie zu verärgern oder ihr zu widersprechen, und nach einer Weile schwang sie sich zu einem halbwegs freundlichen Lächeln auf und sagte, sie werde die betreffende Kollegin holen gehen. Innerhalb von fünf Minuten kam sie mit einer anderen weiß be-kittelten Frau zurück, deren Wissen über Radioaktivität eine Auffrischung hätte vertragen können.

Ihr Name sei Vera, sagte sie; sie war ernst, kompetent und bei schweren Fällen von Kolik ein As mit dem Skalpell.

«Ich bin Tierchirurgin, keine Physikerin«, erklärte sie,»aber da Zinnia keine Spuren von Gift fand — und glauben Sie mir, wo sie nichts findet, findet keiner was —, habe ich andere Möglichkeiten in Betracht gezogen und die Strahlenkrankheit aufs Tapet gebracht — worauf natürlich gleich die Angst umging, aber wir haben einen Strahlenexperten herangezogen, und der hat Tests gemacht und uns beruhigt, die Stute sei weder strahlenkrank noch mit etwas Ansteckendem infiziert. Ich wünschte, ich wüßte noch, was er alles gesagt hat.«»Dr. Stuart ist Physiker«, ließ Zinnia elegant einfließen.

«Er sagt im Fernsehen das Wetter an«, widersprach die Kollegin glatt und unbeeindruckt.

«Stimmt beides«, versicherte ihr Jett,»und Dozent ist er auch.«

Ich sah sie überrascht an.

«Das hat mir deine Großmutter erzählt«, lächelte sie.

«Sie sagte, du hältst Vorträge über Physik im allgemeinen und Strahlung im besonderen. Hauptsächlich für junge Leute, Teenager und so.«

Vera, der zweite Weißkittel, zeigte nichts von Zinnias gleichbleibender Müdigkeit, ganz im Gegenteil. Auf einmal sah sie mich als anderen Menschen.

«Wenn Sie mir eine Kostprobe Ihrer Vortragskunst geben, leih ich Ihnen meine Unterlagen über den Stutenmist.«

«Das darf doch nicht wahr sein«, rügte Zinnia.»Das kommt überhaupt nicht in Frage.«

Ihre Freundin nickte unerschrocken.

«Versprochen?«sagte ich.

«Klar.«

Ich dachte, es würde mich vielleicht von meinem Magengrimmen ablenken, und griff auf einen Vortrag zurück, den ich so oft gehalten hatte, daß ich ihn auswendig konnte.

«Da hätte ich was über Uran«, sagte ich.»Und zwar aus einem Vortrag, den ich normalerweise vor Sechzehn- bis Siebzehnjährigen halte.«

Der zweite Weißkittel war einverstanden.»Gut. Fangen Sie an.«

Im Gesprächston entsprach ich ihrer Bitte.

«Ein einziges Gramm Uranerz enthält mehr als zwei Trilliarden Atome; das ist eine Zwei mit einundzwanzig Nullen dahinter. Unvorstellbar viel. Natürliches Uran ist im Vergleich zu einigen wirklich gefährlichen anderen Stoffen gar nicht mal besonders radioaktiv, aber schon ein, zwei Gramm, es braucht noch kein halber Teelöffel voll zu sein, geben pro Sekunde etwa dreißigtausend Alphastrahlen ab und hören noch in Millionen Jahren nicht damit auf. Wenn man ein paar Tage lang eine Dosis von dreißigtausend Alphastrahlen pro Sekunde abbekäme, würde man sich definitiv krank fühlen, aber ich denke, man würde sich definitiv wieder davon erholen.«

Ich brach ab. Ich fühlte mich definitiv krank, aber soweit ich wußte, war ich nicht mit Uran in Berührung gekommen. Jett sah mich erschrocken an, und Vera, die meinen Teil des Handels offenbar als erfüllt betrachtete, verschwand kurz und kam mit einem lederbraunen Hefter wieder, der mir haargenau so aussah wie derjenige, der bei den Unified Tradern für Aufregung gesorgt hatte.

Sein Inhalt bestand jedoch nicht aus zwanzig brieflichen Kauf- oder Verkaufsangeboten für eine angereicherte Form des Erzes, von dem ich gerade gesprochen hatte, sondern aus einem wissenschaftlichen Gutachten inklusive Diagramm über die radioaktiven Ausscheidungen einer zweijährigen Stute während ihrer mehrtägigen Rekonvaleszenz.

Zu der Zeit, als Vera auf die Idee mit der Strahlenkrankheit kam, waren die Meßwerte bereits rückläufig. Den Auslöser hatte die Stute wahrscheinlich sehr früh ausgeschieden, vielleicht schon mit der Diarrhöe an jenem ersten Sonntagnachmittag, als sie stöhnend am Boden ihrer Box in Quigleys Stall lag.

Als liebenswürdige Geste überreichte Vera mir noch ein Päckchen von der Größe eines Schuhkartons, mit der Bitte, es nicht in kultivierter Gesellschaft zu öffnen. Zinnia wies immer noch mißbilligend darauf hin, daß der Kartoninhalt Eigentum des Forschungsinstituts oder allenfalls Caspar Harveys oder womöglich auch der Stute sei, auf keinen, auf gar keinen Fall aber mir gehöre.

Ich stand unvermittelt auf und fragte, wo es zur Toilette ging, hörte durch die hinter mir zufallende Tür, wie Jett den beiden Weißkitteln dankte und auf Wiedersehen sagte, und bald darauf saß ich immer noch mitgenommen neben ihr im Auto, auf der Rückfahrt zu Loricrofts Stall.

«Ist es das, was mit dir los ist?«fragte Jett besorgt.

«Strahlenkrankheit? «

«Du hast die Symptome.«

«Ich weiß es nicht.«

Sie hielt auf Loricrofts Kieseinfahrt. Es war niemand zu sehen.

«Keine Widerrede«, sagte sie.»Ich gehe mit dir ins Haus.«

Ich fühlte mich ohnehin zu mies, um Einwendungen zu machen. Jett und ich stiegen aus, gingen entschlossen über den Kies und tippten nur kurz an den Türklopfer, bevor wir in die Küche traten.

George Loricroft selbst war zu meiner großen Erleichterung nicht da. Ich hatte mich schon darauf eingestellt, mich körperlich mit ihm auseinandersetzen zu müssen, und von meiner schlauchenden, anhaltenden Übelkeit ganz abgesehen, war George größer, kräftiger und hatte schon einmal versucht, mich loszuwerden.

Die einzige Anwesende, Glenda, saß nervös zitternd an dem großen Eßtisch und war blaß und grau im Gesicht. Sie atmete sichtlich auf, als sie sah, wer gekommen war.

«George ist nicht da«, sagte sie.»Er wollte noch mit dem zweiten Lot zum Training auf die Heide.«

Ihre Stimme klang matt, leblos.

«Und Bell?«fragte ich.

Glenda saß regungslos da, nicht einmal ihre steifen Wimpern bewegten sich. Sie trug zwar noch die Sexfallenstaffage wie den zu engen Pullover, klappernde hohe Hacken und das voluminöse blonde Glitzerhaar, aber sie schien eine andere zu sein. Die Frau, die Oliver Quigley in Rage gebracht und ihm die Maske des Nervenbündels abgerissen hatte, hielt jetzt die Zügel in der Hand, nur war sie an die Rolle noch nicht ganz gewöhnt.

«Bell ist nach Hause, einen Koffer packen«, sagte sie schließlich.»Sie will dann wiederkommen und mich mitnehmen.«

Nach einer Pause fragte ich Glenda, ob sie mit George über die frostigen Unstimmigkeiten auf meiner Liste gesprochen habe.

«Gesprochen!«Sie lachte beinah.»Das hatte überhaupt nichts mit Frauen zu tun, wissen Sie. «Laut und bitter, als wünschte sie, es wäre anders.»In Baden-Baden ist seit September kein Pferderennen abgehalten worden.«

Ich nickte. Ich hatte es nachgesehen.

«George hat sein Land verraten«, erklärte sie, und ich meinte leise:»Dramatisieren Sie da nicht ein wenig?«

«Er weiß, daß ich so denke. Ich fahre mit Bell nach London, weil ich nicht hier sein möchte, wenn er wiederkommt. Sie haben ganz recht, wenn Sie glauben, ich hätte Angst vor ihm, und jetzt erzähle ich Ihnen was, wovon ich nie gedacht hätte, daß es über meine Lippen kommt.«

Sie schluckte, schwieg, nahm ihren Mut zusammen.

«Er hat mich nicht in jeder Stadt mit einer Frau betrogen, sondern er hat Atomgeheimnisse gekauft und verkauft.«

Fairerweise sei gesagt, daß sie sich ehrlich empört anhörte.

«Und einmal«, noch entrüsteter,»einmal brachte er ein schweres kleines Päckchen mit nach Hause, und weil ich dachte, es sei Gold — Goldschmuck für eine Frau —, war ich außer mir…«

Sichtlich aufgebracht zog sie die Luft ein.»Wie konnte er nur… wir hatten immer guten Sex… Ich habe das Päckchen aus seiner Aktentasche genommen und aufgemacht, und es war nur ein schweres graues Kästchen drin. Das hab ich dann auch aufgemacht und unter lauter Styroporkugeln ein grobes graues Pulver entdeckt, ein winziges bißchen, aber es war in Seidenpapier eingeschlagen, und das hab ich nicht mehr so hingekriegt, wie es war, und dann kam George ins Zimmer.«

«Und er hat gemerkt, daß Sie an dem Päckchen gewesen waren?«fragte ich, als sie einen Moment Luft holte.

«Nein, aber ich hatte Angst, er würde es merken, weil er sich da rumdrückte, und das Zeug war noch nicht wieder im Kasten, also hab ich’s schnell in meine Handtasche gesteckt, mit dem Seidenpapier, und da war es noch, als wir am Tag vor Caspar Harveys Lunch auf dem Weg zum Pferderennen in Nottingham bei Oliver Quigley vorbeifuhren. Das Seidenpapier… fiel mir aus der Tasche, als ich meinen Lippenstift suchte, und das Pulver landete in einem Futtermaß voll Hafer, das da für eins von Olivers Pferden am Boden bereitstand. Das war keine Absicht von mir, und ich wußte nicht, daß das Pferd davon krank wird. Aber ich hab George nichts gesagt, weil ich Angst vor ihm hatte. Ich hab das auf sich beruhen lassen.«

«Und«, fragte ich restlos verblüfft, aber überzeugt, daß sie die Wahrheit sagte,»haben Sie gesehen, welches Pferd das Maß bekam?«

Sie sah mich mit großen Augen an und sagte:»Nein.«

«Glenda!«protestierte ich.

«Na schön, Sie haben’s erraten. Ich habe gesehen, an welche Box es ging, aber ich wußte nicht, daß es die Box von Caspar Harveys Stute war. Darauf kam ich erst, als Bell meinte, die Stute sei vielleicht strahlenkrank, und da ging mir dann auch auf, was George wahrscheinlich trieb auf seinen Reisen. Zeug zum Bombenbauen kaufte er, deshalb bat ich Sie zu prüfen, was an seinen Geschichten dran war. Und jetzt wünschte ich wirklich, Bell würde sich beeilen.«

Das wünschte ich auch.

«Wußte George in Doncaster, daß ich vorhatte, die Wetterdiskrepanzen zu prüfen?«fragte ich Glenda.

«Und ob. Das hatte ich ihm gesagt. Wenn er wußte, daß ihn noch jemand anders verraten konnte, war ich vor ihm sicher.«

Glenda war auch in der neuen, nicht so gelackten Version immer noch viel zu naiv. Ich verspürte immer weniger Lust, bei George im Haus zu sein, wenn er zurückkam, aber schließlich erschien Bell und sagte, sie habe gepackt, mit ihrem Vater gezankt und Kris per Anruf überredet, sie bei sich einziehen zu lassen.

Ohne Eile verfrachtete sie Glenda ins Auto und wunderte sich, warum wir eine solche Hast an den Tag legten.

«Damit es keine Szene gibt«, meinte ich nur, und endlich rollte die Zweiwagenkarawane los in Richtung London.

Jett warf mir einen Blick zu:»Wie geht’s dir?«

«Frag nicht.«

«Ich hab nicht alles verstanden, was Glenda da gesagt hat.«»Du bist erst mitten im Film dazugekommen.«

«War das Pulver Uran?«

«Wenn man davon ausgeht, daß es in Seidenpapier und Blei verpackt war — das schwere Kästchen hört sich nach Blei an —, dann würde ich mal an einfaches Uranerz denken, aber es könnte auch irgendein anderer radioaktiver Stoff gewesen sein, der Alphastrahlen abgibt.«

«Und George kauft und verkauft Uran?«fragte Jett.

«Hat Glenda recht?«

«Halbwegs. Er bringt Leute, die wissen, wo man angereichertes Uran beziehen kann, mit Leuten zusammen, die es kaufen wollen. Das graue Pulver war aber zum Bombenbauen nicht geeignet, da die Stute sich erholt hat.«

Ich erzählte Jett, wie die Unified-Trading-Leute die Bewohner von Trox verscheucht hatten, und sie meinte, nun verstehe sie auch, wieso meine Großmutter neuerdings ihre manikürten Nägel kaue.

«Dann wollen wir sie nicht noch mehr ängstigen… aber was den Ölmeßstab angeht…«Ich zögerte und schwieg.

«Weißt du, wer ihn weggenommen hat?«fragte Jett.

«Erinnerst du dich, was George Loricroft beim Frühstück dazu meinte?«

Sie zog die Stirn in Falten.»Na ja, daß Kris den Stab wahrscheinlich in Doncaster am Boden habe liegen lassen, als er die hochgeklappte Motorhaube schloß.«

«Haargenau, aber Kris hat die Motorhaube weder geöffnet noch hochgeklappt, also kann George das auch nicht gesehen haben. Dazu kommen noch ein paar andere Sachen, zum Beispiel, daß Georges Wagen in der Nähe von Kris’ Privatflugzeug stand. Glenda hatte ihm gerade gesagt, daß ich Nachforschungen über ihn anstellen würde. Er wußte zwar, daß ich auf Trox gewesen war, aber nicht, was ich da herausgefunden hatte. Und er könnte gewußt haben, daß Öl auf der Windschutzscheibe tödlich sein kann, denn so ein Fall ging voriges Jahr hier durch die Zeitungen.«

«Erdrückende Argumente«, meinte Jett.

«Aber alles nur Indizien. Er könnte die Motorhaube aufgeklappt und den Ölmeßstab herausgenommen haben. Aber er muß nicht.«

Ein Weilchen später erst fragte ich, warum wir nicht auf der richtigen Londoner Straße seien.

«Wart’s ab«, antwortete Miss van Els gelassen, und bald darauf parkte sie den Wagen in einer Querstraße der breiten, belebten Marylebone Road.

«Folge mir… in Krankheit und Gesundheit«, scherzte Jett, und ich landete im Wartezimmer eines Facharztes im Anbau einer kleinen Privatklinik, die ich mir gewiß nicht leisten konnte. Dem Türschild nach war der Arzt Dr. Ravi Chand, Bürger von Uttar Pradesh.

«Ich hab nicht viel Zeit«, gab ich zu bedenken.»Um halb drei muß ich im Studio sein.«

Jett antwortete nicht, beschwor aber anscheinend irgendwelche Zauberkräfte, denn kurz darauf sah ich mich von einem kompetenten indischen Arzt mit einem strahlenden Lächeln und fabelhaften Zähnen zügig abgetastet, abgehorcht und auf Herz und Nieren geprüft. Das überraschende Ergebnis wurde Jett als der mich begleitenden Pflegeperson in elegantem Neu-Delhi-Englisch mitgeteilt.

«Meine liebe Jett, Ihr ungeduldiger Dr. Stuart leidet mitnichten an Strahlenkrankheit oder an den Auswirkungen gebrochener Rippen. Er hat mit einem Ausschlag zu kämpfen, der noch unter der Haut liegt, aber in ein, zwei Tagen, vielleicht auch heute schon offen ausbrechen wird. Er hat sich eine Krankheit zugezogen, die ich so nicht bestimmen kann. Ich muß Kulturen anlegen und das Blut untersuchen. Vorerst sollte er nicht zur Arbeit gehen, aber ich kann ihm etwas verschreiben, das der Übelkeit ein wenig abhilft. Sie werden es vielleicht nicht gern hören, meine liebe Jett — wie nett es doch ist, Sie wiederzusehen —, aber ich würde Ihnen raten, nicht mit diesem jungen Mann zu schlafen, bis wir heraushaben, wie ansteckend die Sache ist.«

«Er hat mich noch nicht gefragt«, sagte sie züchtig.

«Das ist unfair«, widersprach ich.»Wer hat denn gesagt, wir sollten es langsam angehen? Betrachte dich als gefragt.«

Ravi Chand lächelte, überlegte, inspizierte seine Fingernägel, die heller waren als das Braun seiner Haut, und empfahl mir, in der Klinik nebenan mindestens einen Tag (allein) das Bett zu hüten, bis er sagen könne, was mir fehlte.

«Das kann ich mir nicht leisten«, meinte ich, ein Argument, das Dr. Chand mit dem Hinweis, Gesundheit sei wichtiger als Geld, beiseite fegte. Er selbst rief bei der BBC an und stürzte sie in Sorge um mein Wohlergehen. So erlebte ich dann einen spritzen- und pillenreichen Nachmittag mit Röntgenaufnahmen, CTS, peinlichen inneren Untersuchungen und notierte auf einem Blatt Papier, wo ich mich in den vergangenen zwei Monaten aufgehalten hatte. Mitten bei dieser Aufzählung dämmerte mir, was mir fehlen könnte, und mein indischer Befrager war über den Verdacht, den ich ihm mitteilte, reinweg entzückt.

«Kühe!«rief er aus.»Dachte ich’s mir doch. Unpasteuri-sierte Milch! Paratuberkulose!«Er legte die Stirn in Falten.

«Eine echte Tb haben Sie aber nicht. Das konnte ich nach den ersten Tests schon ausschließen.«

Er hastete davon, mager, gutgelaunt, ein Rätsellöser aus Passion.

In einem Zimmer, dessen Komfort einem Hotel zur Ehre gereicht hätte, schaute ich mir an, wie jemand anders im Fernsehen kaltes Regenwetter für den nächsten Tag ankündigte, und registrierte dankbar, daß ich nicht mehr auf dem Zahnfleisch ging und mich schon deutlich besser fühlte. Jett, die mich am Abend kurz besuchte, trug einen antiseptischen Mundschutz, und nachdem sie mich unvorsichtigerweise gefragt hatte, was sie für mich tun könne, verzog sie das Gesicht über die lange Liste meiner Wünsche.

«In Krankheit und Gesundheit«, erinnerte ich sie neckend.

«In guten und in schlechten Zeiten«, nickte sie.»Ich habe Ravi versprochen, deine Rechnung hier zu bezahlen, Punkt eins auf der Liste, >Bring mir meine Kreditkarten«, kannst du also streichen. Die brauchst du nicht.«

«Soweit kommt’s noch«, sagte ich.»Bring sie mir bitte mit.«

«Ich zahle deine Rechnung von dem Geld, das ich mit der Pflege deiner Großmutter verdient habe. Und das«, erklärte Jett,»stammt doch aus deinem BBC-Gehalt, oder? Ich weiß es.«

Ich schüttelte den Kopf.»Nach den gräßlichen Untersuchungen heute mußt du mir wenigstens ein bißchen von meinem Stolz lassen.«

«Ach so. «Sie kniff die Augen zusammen.»Männer wie dich bin ich nicht gewohnt. Überlebenskünstler, die für sich selber sorgen, kenne ich nicht. Ich bin erwachsene kleine Jungen gewohnt, die tapfer sind, aber Unterstützung brauchen. Trost brauchen. Jemanden, der Händchen hält. Warum brauchst du das nicht?«

Ich werd’s irgendwann mal ausprobieren, dachte ich.

«Bring mir bitte meine Karten mit«, sagte ich einstweilen.

Der Spiegel bestätigte am Donnerstagmorgen die Prognose des Arztes. Ich hatte drei rötliche Knötchen am Mund, und mehrere kleine Vorposten des gleichen Übels verteilten sich zwischen Stirn und Kinn, Kinn und Hüfte und auch noch andernorts. Der findige Mann aus Neu-Delhi schien davon aber ganz angetan und schickte mir gutgeschützte, behandschuhte Schwestern mit diversen Tabletten, Spritzen und Tupfern vorbei.

Gegen Mittag, um die Essenszeit, wenn mir danach gewesen wäre, platzte er selbst herein und rasselte mit sichtlichem Vergnügen seine Diagnose herunter.

«Die gute Nachricht ist und bleibt, daß Sie, wie wir gestern schon feststellen konnten, keine richtiggehende Tuberkulose haben«, sagte er.»Die andere Nachricht ist, mein lieber Dr. Stuart, daß wir bei Ihnen eine Variante einer an sich schon seltenen, komplizierten Mycobacteriumparatuberculosis-Infektion festgestellt haben.«

Er wartete verschmitzt auf eine Reaktion von mir, aber ich dachte nur dumpf, daß die große Zeit der langen, unverständlichen medizinischen Termini und sonstigen Unwörter für mich gekommen zu sein schien.

«Die Sache ist die«, vertraute mir Chand mit wohlartikulierten Worten an,»daß man für eine ganz schlüssige Kultur vielleicht Wochen braucht, denn dieses Bakterium läßt sich nur schwer in einer Petrischale ziehen.«

«Ich kann nicht wochenlang krankfeiern«, sagte ich entsetzt.

«Nein, nein, natürlich nicht. Wir haben Sie ja schon auf

Antibiotika gesetzt, und wie es bis jetzt aussieht, haben Sie weder den Morbus Crohn — sehr gut — noch die John-esche Krankheit — auch gut —, die bei Rindern mehr oder minder endemisch auftritt. Die beste Nachricht überhaupt ist die, daß Sie sich nach dem derzeitigen Stand wieder vollständig erholen dürften. «Er schwieg nachdenklich und meinte dann:»Die Infektion, die Sie da haben, diese ungewöhnliche Variante des Mycobacterium paratuberculosis, die stammt von Kulturen, die ursprünglich entwickelt wurden, um festzustellen, wie viel oder wie wenig Wärme erforderlich ist, damit es trotz Pasteurisierung zu einer Infektion kommt. Ich würde sagen, Sie haben vielleicht rohe Milch von einer Kuh mit einer ganz neuen Variante getrunken…«

Er brach ab und fuhr dann fort:»Ich sehe, Sie verstehen, was ich sage.«

Eine Versuchsherde, dachte ich. Eine gemischte Herde, mit Vertretern verschiedener Rassen: Charolais, Hereford, Angus, Brahman… Schwarzbunt…

Eine auf einer Insel isolierte Herde von Tieren, die sich nur untereinander paarten… Plötzlich lagen Sinn und Zweck der Rinder auf Trox klar auf der Hand.

«Über Paratuberkulose beim Menschen ist nur wenig bekannt«, sagte der Inder vergnügt.»Wenn Sie wollen, bringe ich Ihnen ein paar Infohefte. Dafür könnten Sie mir vielleicht erzählen, wo ich diese Kühe finde.«

«Danke… ja, okay. Wann kann ich hier raus?«

Er sah auf seine Uhr, zerschlug aber meine Hoffnungen.

«Sonntag«, sagte er.»Vielleicht. Vor Sonntag früh sind meine Tests nicht schlüssig, und dabei forciere ich das schon. «Er lächelte ein wenig.»Ich gedenke meine Ergebnisse zu veröffentlichen. Bis es soweit ist, werde ich meine Befunde streng unter Verschluß halten, und sogar Sie, fürchte ich, werden alles erst genau erfahren, wenn mein Buch erscheint.«

«Wollen Sie damit sagen«, fragte ich langsam,»daß Sie Ihre Erkenntnisse erst einmal in einem Tresor verwahren?«

«Natürlich. In der Forschung herrscht ein wilder Wettstreit. Ich kann mir meinen Knüller doch nicht von der Konkurrenz wegschnappen lassen, oder?«

Das Wort» Knüller «kam ihm humorvoll über die Lippen, es erklärte aber den Zweck des Tresors auf Trox. Die aus der Versuchsherde gewonnenen Erkenntnisse konnten Ruhm und Anerkennung fürs ganze Leben bedeuten. Ich war diesen Kühen dankbar gewesen. Zu spät, mir zu wünschen, ich wäre verhungert.

«Bin ich noch ansteckend für andere?«fragte ich.

Diesmal antwortete er nicht so schnell.»Tja, wenn wir das wüßten. Bei Rindern überträgt sich die Johnesche Krankheit, von der Sie eine Variante haben, nur durch den Verzehr von Kot oder infizierter Milch. «Er grinste breit.

«Da dürften Sie aus dem Schneider sein. Man kann Sie besuchen, ohne einen Mundschutz zu tragen.«

Jett kam oft und brachte als Geschenk meiner Großmutter meistens ein Buch mit, das man gut lesen konnte, wenn man im Rollstuhl oder im Bett saß, sich bei einem GinTonic entspannte oder Rippenbrüche auskurierte. Ich war auf den Beinen und konnte in gepflegter Umgebung herumlaufen, und doch bekam ich von Mittwoch bis Sonntag ein ungefähres Bild von der eingeschränkten Lebensweise meiner Großmutter.

Am Donnerstag sprach ich mit ihr am Telefon, und ich schickte ihr eine Schale Christrosen und ein Parfumspray.

Freitag früh riefen Arbeitskollegen an, um mich zur bal-destmöglichen Rückkehr zu drängen, da ich offenbar im großen Preisausschreiben des Wetteramts in Bracknell mit dem Tip, am 1. September würde dort auf dem Dach die höchste Temperatur des Jahres gemessen, richtig gelegen hatte und sie den ausgeschriebenen Preis, eine Flasche Schampus, mit mir teilen wollten.

Kaum hatte ich lächelnd aufgelegt, als auch schon der nächste Anruf kam und eine hocherregte, kaum zu verstehende Bell mir eine Katastrophe ersten Ranges in die Ohren schrie.

«Beruhige dich, liebste Bell«, bat ich und hoffte, daß von dem, was sie mir gerade ziemlich hysterisch erzählt hatte, höchstens die Hälfte stimmte.»Was war das mit Glenda?«

«Hab ich doch gesagt«, fuhr sie auf.»Hörst du denn nicht zu? Kris ist außer sich. Sie hat ihm die Züge geklaut.«

«Bell! Beruhige dich.«

«Sie hat sich vor einen Zug geworfen. «Die Worte kamen immer noch hervorgesprudelt.

«Glenda?«

«Natürlich Glenda. Sei doch nicht so schwer von Begriff. Vor eine U-Bahn. Vergangene Nacht. Heute morgen war die Polizei hier. Sie muß schrecklich… sie ist tot. Die Polizei ist noch nicht lange weg.«

Bell schluckte wiederholt, um die Worte herauszubringen, weinte aber dennoch.»Ich habe mit Dad gesprochen.«

«Bell…«Endlich ging mir ein, was sie sagte, und ich war bestürzt.»Wo bist du? Ist jemand bei dir? Kris? Jett könnte zu dir kommen. Ich kann auch kommen.«

«Nein, kannst du nicht, du bist im Krankenhaus. Glenda hat am Mittwoch auf dem ganzen Weg nach London her-umgejammert, und ehrlich gesagt, ich war sie leid — Herrgott…«Sie schluckte, aber die Tränen hörten nicht auf.»Ich wünschte, ich wäre netter zu ihr gewesen, aber ich konnte sie nie so richtig leiden… Ich habe mich bemüht, solange ich bei George war, habe mich aber schon nach einer anderen Stelle umgesehen — aber das ist erst die halbe Geschichte, und was jetzt kommt, ist noch schlimmer.«

Viel schlimmer konnte es nicht kommen, dachte ich, und natürlich lag ich falsch.

Bell sagte:»Glenda hat unentwegt geschimpft, George sei ein Verräter. Sie habe es nicht ertragen können, mit einem Verräter verheiratet zu sein. Sie hätte dir alles erzählt, sagte sie, und du wüßtest, daß es stimmt — und sie würde vor Scham vergehen, wenn es zum Prozeß käme. Mit der Schmach könne sie nicht leben… und ich dachte… ich dachte, sie übertreibt. Du weißt ja, wie sie immer plappert und mit den Armen fuchtelt… ach herrje. Herrje.«

Ich hatte bei Kris daheim mehrmals vergeblich angerufen, deshalb fragte ich in die nächsten Schluchzer hinein noch einmal:»Bell, wo bist du jetzt?«

«In deiner Mansarde. «Sachlich festgestellt, als hätte ich von selbst darauf kommen können.»Gestern abend sind wir hergefahren. Kris hatte einen Schlüssel«, setzte sie hinzu.»Er meinte, du hättest nichts dagegen. Wir waren so bedient von Glenda und ihrer Schimpferei, daß wir, als sie endlich verschwand, schnell zu dir sind, um von ihr wegzukommen, und natürlich hätten wir uns nicht träumen lassen.«

Das hemmungslose Schluchzen, dachte ich, enthielt vielleicht auch ein gewisses Schuldbewußtsein.

«Als Glenda bei euch war«, sagte ich,»konntet ihr da nichts tun, damit sie das mit George etwas gelassener hätte sehen können?«

«Perry«, Bells Stimme am Telefon war ein Jammerschrei,»du verstehst nicht. Die Newmarketer Polizei wollte George von Glendas Tod benachrichtigen. Sie hat ein paar Leute hingeschickt, aber nicht, um ihn zu verhaften. Die sind nur wegen Glenda hin. «Bell verfiel in ein Schweigen, das keine Tränen mehr zuließ.

«Und?«fragte ich.»Was hat George gesagt?«

«Er war tot«, erwiderte Bell.

«Tot?«

«Er lag oben in seinem Zimmer«, stieß Bell hervor.»Er hatte einen Schlag auf den Hinterkopf bekommen. Sein Schädel war eingedrückt. Die Polizei kam dann zu Dad, weil ich bei George angestellt war, und sagte ihm, daß George tot sei…«Sie weinte.»Dad sagte der Polizei, sie sollten uns hier suchen, weil ich nicht bei Kris war…«

«Soll das heißen«, fragte ich rundheraus,»als Glenda in Newmarket in ihrer Küche saß und Jett und mir erzählt hat, wie die Stute durch sie strahlenkrank geworden war, lag George tot im oberen Stockwerk?«

«Ja. «In Bells Kummer schwang eine gehörige Portion Entsetzen mit.»Es sieht ganz so aus. Als du und Jett zu dem Forschungsinstitut gefahren seid und ich nach Hause bin, um zu packen, hatten sie eine Mordswut aufeinander… In der Zeit, als wir nicht da waren, muß sie ihn umgebracht haben. Dann hat sie ein paar Sachen gepackt, ist runter und hat auf uns gewartet. «Bell bekam ihre Stimme noch immer nicht ganz unter Kontrolle.»Kris nimmt an, sie habe George gesagt, sie würde nach oben gehen und ihre Sachen packen, denn sie werde ihn verlassen und seine Urangeschäfte publik machen, und er ist dann hinter ihr her, um sie aufzuhalten.«

Man konnte sich vorstellen, wie sich George wutentbrannt über Glendas Koffer beugte, um ihn auszuräumen… und man konnte sich vorstellen, wie Glenda nach einem schweren Gegenstand griff…

«Womit hat sie ihn erschlagen?«fragte ich.

«Das weiß ich nicht. Mensch, Perry, was liegt daran? Ich kenn ihr Schlafzimmer kaum… sie haben eine schwere Messinguhr… modern…«Ihre Stimme versagte, und Jett wäre sicher der Meinung gewesen, sie brauche ein Beruhigungsmittel, oder besser noch jemanden, der sie in den Arm nahm.

«Ist Kris jetzt bei dir?«fragte ich.

«Er kauft was zu essen.«

«Dann iß auch was.«

«Glenda!«sagte sie unglücklich.»Und George!«

Sie kam nicht darüber weg, und sie litt mehr Kummer um die Toten, als sie Zuneigung für die Lebenden empfunden hatte.

Ihr zu sagen, sie solle aufhören, daran zu denken, wäre sinnlos gewesen. Sie hatte die beiden fast ihr Leben lang gekannt.

Ich dachte selbst an sie zurück, wie ich sie bei Caspar Harveys Lunch kennengelernt hatte, nicht seltsamer als andere verzankte Ehepaare, und ich stellte mir vor, wie der innere Kern, der sie zusammenhielt, seitdem immer mehr geschmolzen war, bis in beiden der Grundcharakter zutage trat.

Der Schurke in George hatte den ehrbaren Trainer soweit verdrängt, daß er imstande war, einen Mordanschlag mit blindmachendem Öl zu begehen. Glenda mit ihren unbegründeten Seitensprungverdächtigungen hatte nicht den Ehebrecher, sondern den Verräter in ihrem Haus entlarvt und aus Scham und Ernüchterung ihn und sich selbst getötet.

Ich dachte an den lebhaften Zerstörungswillen, der mir dort in der Küche an ihnen aufgefallen war. Nichts anderes als der blutige Urtrieb der Natur hatte sich an jenem Mittwochmorgen gezeigt — mit Zähnen und Klauen.

Ob tief in uns allen ein Mörder steckte?

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