Kapitel 3

Robin, mit seinem Telefon so freigebig wie mit seinem Rum, lauschte mit kaum verhohlener Spannung meinem Bericht über das Wettergeschehen in jenem Meeresteil, der nach den furchterregenden Kariben benannt ist, einem Indianervolk, das die Inseln und Küstengebiete zwischen beiden Amerikas eroberte und dort ein Folterregiment führte, bevor Kolumbus und die europäischen Kolonialisten sie ihrerseits vertrieben.

Auch heute noch, sagte Robin, wurden die warmen blauen Gewässer von Piraten heimgesucht, brutalen Banditen in modernem Outfit, die Jachten enterten und deren Eigner umbrachten, wenn sie auch vielleicht keinen so hohen Blutzoll forderten wie früher. Lächelnd merkte er an, daß die Wörter >Karibe< und >Kannibale< etymologisch auf dieselbe Wurzel zurückgingen.

Ich telefonierte mit einem Mann vom Hurricane Center in Miami, den ich von vielen früheren Gesprächen kannte, und ließ mir den aktuellen Stand der Höhenwinde darlegen.

«Odin macht sich gut«, meinte er.»In der Nacht hat es Anzeichen von Organisation gegeben. Jetzt würde ich nicht mehr sagen, daß Sie umsonst über den Teich gekommen sind. Rufen Sie morgen wieder an, da haben wir vielleicht mehr. Der Sturm läßt sich viel Zeit, er bewegt sich mit höchstens zehn Kilometern die Stunde vorwärts. Wir haben bodennahe Durchschnittswinde von fünfzig, sechzig Kilometern, aber noch kein Auge.«

«Sollen wir knobeln?«meinte ich zu Robin.

«Bei Kopf wird es ein Hurrikan.«

«Wollen Sie, daß es ein Hurrikan wird?«fragte ich neugierig.

Mir sah es zwar ganz danach aus, aber er schüttelte den bebrillten Schädel und sagte:»Bestimmt nicht. Ich wohne seit vierzig Jahren hier in Florida und bin jedesmal, wenn’s kritisch wurde, ins Landesinnere ausgewichen. Mit Überschwemmungen haben wir auch Glück gehabt. Einen knappen Kilometer vor der Küste verläuft hier parallel zu ihr ein Riff, das hält Sturmfluten irgendwie zurück und unterbindet die Bildung großer Wellen. Wo kein Riff ist, fordert nicht der Wind, sondern das Wasser die meisten Menschenleben.«

Wenn man so lange in einer Hurrikanstraße lebte, bekam man wohl zwangsläufig ein paar mörderische Zahlen mit, und am Abend meines (herrlichen) zweiten Tages unter seinem Dach schaltete Robin den Wetterkanal ein, damit wir sehen konnten, wie Odin sich machte.

Beeindruckend gut, war die Antwort.

Der Luftdruck im kreisenden Zentrum des tropischen Sturmtiefs Odin, so verkündete die fröhliche Stimme eines Ansagers, war in den vergangenen zwei Stunden um zwanzig Millibar gefallen. Das hatte es fast noch nie gegeben. Offiziell jetzt als schwerer tropischer Sturm bezeichnet, der Winde von hundert Stundenkilometern hervorbrachte, lag Odin gut dreihundert Kilometer südlich von Jamaika und zog mit elf Stundenkilometern nach Norden.

Robin nahm die Informationen nachdenklich auf und erklärte, am nächsten Tag würden wir alle miteinander nach Grand Cayman fliegen, um uns ein paar Tage auf der Insel zu sonnen.

Da wir heute schon den ganzen Tag im darcyschen Pool geschwommen, darcysche Durstlöscher getrunken und in Floridas Sonne gelegen hatten, konnte es Robin nur um eines gehen — entweder direkt in Odins Auge zu gelangen, oder aber wenigstens in sein Blickfeld.

Kris lief mit langen, federnden Schritten zwischen dem sonnigen Pool und der halb im Schatten liegenden Terrasse umher. Odin war nach den Radar- und Satellitenmessungen für seinen Geschmack zu klein, zu langsam und zu weit vom Land entfernt. Robin meinte trocken, es tue ihm leid, daß er nichts Besseres anzubieten habe.

Evelyn fand Hurrikanhaschen einen gefährlichen und unreifen Zeitvertreib und sagte, sie werde nicht mit nach Grand Cayman fliegen, sondern gemütlich zu Hause bleiben, worauf Robin ihr klarmachte, daß Odin, das brüllende Monster, wenn er an Stärke zunahm und nach alter Hurrikanmanier plötzlich die Richtung wechselte, sie gerade hier erwischen könnte, statt zu uns zu kommen.

«Außerdem«, fuhr Evelyn unbeirrt und kein bißchen eingeschüchtert fort,»gibt es heute abend Stone crabs, eine hiesige Spezialität, und danach kann uns Kris das Gedicht vortragen, das er schon den ganzen Tag in seinen Bart murmelt, und danach könnt ihr euch die Wetterberichte ansehen, solange ihr Lust habt, bloß weckt mich morgen früh nicht, denn ich fliege nirgendwohin.«

«Was für ein Gedicht denn?«fragte Robin.

«Gar keins. Ich gehe schwimmen«, gab Kris zurück, und bei Sonnenuntergang war er immer noch am Pool.

«Er hat ein Gedicht hergesagt«, beklagte sich Evelyn.

«Wieso streitet er das jetzt ab?«

«Lassen Sie ihm Zeit«, sagte ich aus Erfahrung.

Zu gegebener Zeit würde er das Gedicht entweder vortragen oder es zerreißen. Das hing von seiner Stimmung ab.

Die Stone crabs am Abend, mit Senfsauce und grünem Salat, waren unvergleichlich besser als Fischpastete mit Petersilie, und beim Kaffee draußen auf der Terrasse, umrahmt von weichem Licht, sagte Kris ohne Vorrede:»Ich war ja in Cape Canaveral.«

Wir nickten.

«Ich will durch einen Hurrikan fliegen, aber die ersten Astronauten, die haben damals auf unzähligen Tonnen Raketentreibstoff gesessen und ein Streichholz drangehalten. Ihnen… widme ich mein Gedicht. Es handelt von Cape Canaveral, von der Vergangenheit. von der Zukunft.«

Unvermittelt stand er auf und ging mit seiner Tasse Kaffee ans Ende der Terrasse. Nüchtern kam seine Stimme aus der Dunkelheit.

«Verlassen sind die Abschußrampen aus Beton, umgeben von staubigem Gras,

Sieben-Meter-Kreise sind es, mit kaum einer Brandspur. Raketen standen dort, und darin eingeschlossen harrten Menschen, vertrauensvoll und mutig, auf den Abflug zu den Sternen.«

Niemand sagte etwas.

Kris fuhr fort:

«Heute fliegen Shuttles routinemäßig zu einer Raumstation.

Fahrpläne, Bordpässe für Raumreisende werden folgen.

Und wer hat dann einen Gedanken, ein Dankeschön noch übrig für die Kreise dort im Gras?«

Wieder Schweigen.

Kris schloß:

«Bewegte Jahre werden hingehen über das alte Cape.

Sternstunden, bange Momente verblassen, verwehen, vergrasen werden die Kreise aus Beton.

Die ersten Marsmissionen

gingen von einer Rampe im Orbit aus.«

Kris kam herüber und stellte seine Kaffeetasse auf den Tisch.»Wie man sieht«, scherzte er, um seinem Gedankengang die Schwere zu nehmen,»bin ich kein John Keats.«

«Trotzdem ein interessantes Aper9u«, hielt Robin dagegen.

Kris überließ es ihm, Evelyn zu erklären, was ein Aper9u sei, ging mit mir zum Rand der Terrasse und schaute auf das Abbild des Mondes im Pool.

«Robin hat uns auf Cayman eine Piper besorgt«, sagte er.

«Ich habe mich vergewissert, daß ich sie fliegen kann. Bist du dabei?«

«Wenn’s nicht zu teuer wird.«

«Von Geld redet keiner. Bist du innerlich bereit?«

«Ja.«

«Prima!«

Meine uneingeschränkte Zusage versetzte ihn in gute Laune.»Ich war mir sicher, daß du deshalb gekommen bist.«

«Warum liegt Robin so viel daran, daß wir durch Odin fliegen?«

Kris legte die hohe, blasse Stirn in Falten.»Die Beweggründe der Leute zu verstehen ist eher was für dich.«

«Ich fand dein Gedicht gut.«

Er schnitt eine Grimasse.»Du müßtest das Cape mal sehen. Du würdest im Leben nicht glauben, daß diese Betonplatten die Sprungbretter zum Mond waren.«

Es gab Zeiten, es gab Tage, an denen der zwischen Extremen pendelnde Kris in sich ruhte, nicht nur für die zwei Minuten, die er auf dem Bildschirm das Wetter ansagte, sondern auch sonst. Das war dann so, als ob der Pilot das Kommando behielt, nachdem das Flugzeug gelandet war. Am Abend der Cape-Canaveral-Verse wirkte er auf mich vernünftiger, als ich ihn außerhalb einer Flugzeugkanzel je erlebt hatte.

«Hast du Bell noch mal gesehen?«

«Wir haben uns am Telefon unterhalten.«

«Meinst du, sie heiratet mich?«

Ich schnaubte ungehalten durch die Nase.»Punkt eins«, sagte ich,»da fragst du besser sie.«

«Punkt zwei?«

«Reißt euch beide mal am Riemen. Zählt bis zehn, bevor ihr losbrüllt.«

Er dachte darüber nach und nickte.»Sag’s ihr auch, dann halt ich mich dran.«

Ich nickte. Ob sie es hinbekamen, schien mir bei beiden zweifelhaft, aber schon der Versuch war ein Fortschritt.

Mit der für ihn typischen Sprunghaftigkeit fragte er beiläufig:»Weißt du was über die Insel Trox?«

«Ehm. «Ich überlegte vergebens.»Möchte Bell dahin oder was?«

«Bell? Das hat mit Bell nichts zu tun. Mit Robin und Evelyn eher.«

«So?«sagte ich unbestimmt.»Noch nie davon gehört.«

«Anscheinend haben die wenigsten Leute schon mal davon gehört, aber was wäre denn, wenn Robin möchte, daß wir außer Odins Auge auch Trox anfliegen?«

Verwirrt sagte ich:»Und weswegen?«

«Ich glaube, es hängt mit seinen Pilzen zusammen.«

«Ach komm, Kris«, protestierte ich.»Für Pilze setze ich doch nicht mein Leben aufs Spiel.«

«Das setzt du nicht aufs Spiel. Was meinst du, wie viele Flugzeuge schon durch Hurrikans geflogen sind, um nützliche und wichtige Erkenntnisse zu sammeln, und fast nie ist eins auf der Strecke geblieben.«

Fast nie, dachte ich, das war unheimlich beruhigend.

«Aber was sollen die Pilze?«fragte ich.

«Robin hat kurz nach meiner Ankunft telefoniert«, erwiderte Kris,»das Gespräch hab ich zufällig gehört, und es ging um mich und vielleicht einen Freund, also dich, und um Odin und Pilze auf der Insel.«

«Hast du ihn nicht danach gefragt?«

«Na ja… noch nicht. Ich meine… ich will ihn nicht verärgern. Er lädt uns ein nach Cayman, und er trägt die Flugkosten.«

«Ich frage ihn«, sagte ich, und als wir nachher auf einen letzten Kognak friedlich beisammensaßen, tippte ich an, daß Bell mir von seinem Pilz- und Grasanbau erzählt habe und daß mich interessiere, wo Gras und Pilze am besten gediehen.

«In Florida«, antwortete er prompt.»Ich baue mein Gras im Sumpfland oben am Lake Okeechobee an. Das beste Feuchtanbaugebiet für Gras in den Staaten.«

«Und die Insel Trox hat auch jemand angeführt. Wo liegt die denn?«Ich fragte das ohne Nachdruck und ganz ruhig, spürte aber dennoch eine Anspannung und dann ein bewußtes Loslassen bei meinem Gastgeber.

«Trox?«Er ließ sich mit der Antwort Zeit. Er öffnete einen schweren, blanken Humidor aus Holz und beschäftigte sich umständlich mit dem Abschneiden und Anzünden einer Zigarre. Der innere Widerstreit äußerte sich in rhythmisch ausgestoßenen Rauchwölkchen. Ich saß gelassen da und blickte von der Terrasse auf das weite, stille Meer hinaus.

«Trox«, sagte Robin freundlich, als er sich sicher war, daß die Zigarrenspitze brannte,»ist eine der vielen kleinen Inseln, die aus dem Karibischen Meer ragen. Sie soll hauptsächlich aus Guano bestehen — auf gut Englisch also aus Vogelmist.«

«Dünger«, stimmte ich bei.

Er nickte.»Das hat man mir erzählt, aber ich war selbst noch nicht da. «Er nahm einen Zug, stieß den Rauch aus und meinte, Evelyn und er freuten sich sehr, Kris und mich im Haus zu haben, auch Kris’ Blick auf die Zukunft der Raumfahrt habe er interessant gefunden, und er sei wirklich gespannt, was Kris über die Begegnung mit Odin erzählen würde. Über die Insel verlor er kein Wort mehr. Ich versuchte noch einmal das Gespräch darauf zu bringen, aber da unterbrach er mich sofort und sagte einfach:»Denken Sie an Odin. Vergessen Sie Trox. Darf ich Ihnen nachschenken?«

Evelyn zog mich weg, wollte von mir wissen, wie die Sterne hießen; immer nur Wind im Sinn, das sei doch langweilig.

Am Ende des Abends kehrten Kris und ich in unsere farbenfrohen, typisch tropischen Zimmer zurück: leuchtende Stoffe, Korbsessel, weiß gefliester Boden, kreisender Deckenventilator, hübsches Bad nebenan, alles, was man brauchte, um sich wohl zu fühlen. Ich schlief so schnell ein wie am ersten Abend, wurde aber Stunden später halb wach und wunderte mich, wieso die Londoner Straßenlaternen keine Schatten an die Decke warfen wie sonst auch.

Miami… langsam klärte sich mein Kopf… Ich war am Sand Dollar Beach, der so hieß wegen der flachen, blütenähnlichen Schalen, die man am Strand finden konnte. Sanddollars waren Seeigel der Gattung Clypeasteroida… das hatte ich nachgesehen.

Ich knipste die Nachttischlampe an, stand auf, weil ich doch zu unruhig war, um weiterzuschlafen, tappte ins Bad und wieder hinaus, griff mir schließlich ein Handtuch, zog eine Badehose an, ging im Dunkeln durch das Haus, über die Terrasse und stieg in den angenehm kühlen Pool.

Robin Darcy, freundlich, aber geheimtuerisch, auffallend großzügig, hatte uns zu viel gegeben und zu wenig erzählt. Worauf zum Teufel ließen Kris und ich uns da ein? Auf eine Reise ohne Wiederkehr womöglich?

Mrs. Mevagissey, die mich vierundzwanzig Jahre lang durchgebracht hatte, war auf meine Einkünfte angewiesen. Das Geld für die Pflege durfte ich nicht aufs Spiel setzen. Nur die Pflegerinnen machten das Dasein für sie erträglich. Mein vorrangiges Ziel war, durch einen Hurrikan zu fliegen und heil nach Hause zu kommen. Erst danach kam, was Kris wollte, und erst danach, was Robin wollte.

Für mich war klar oder zumindest abzusehen, daß Odin sich recht schnell von Kategorie 3 zu Kategorie 5 auf der Saffir-Simpson-Skala hocharbeiten konnte, und Kategorie 5 hieß, daß seine Windgeschwindigkeiten jedes zu ihrer Messung aufgebotene Instrument zerstören würden. Daß Odin verheerende Sturmfluten auslösen würde, wo immer er ans Festland stieß; um sein Auge herum konnten die Winde Dauergeschwindigkeiten von 300 Stundenkilometern erreichen. und kleine Inseln, mit oder ohne Pilze, konnten überflutet werden und verschwinden.

Ich entspannte mich in dem abgekühlten Wasser und schwamm in gleichmäßigen Zügen Bahn um Bahn, ohne mich zu fordern. Mein Leben lang war Schwimmen der einzige Wettkampfsport gewesen, den auszuüben ich mir bei den bescheidenen Mitteln meiner Großmutter erlauben konnte. Trotzdem war ich mit sechzehn, siebzehn von den Schwimmbädern und olympischen Distanzen dann übergegangen zu Wettbewerben über längere Strecken und zum Surfen. Zu der Zeit, als Kris und ich in Florida waren, hatte das Wettschwimmen für mich viel an Reiz verloren, aber die Schultern und die lang geübte Technik waren mir geblieben.

In Gedanken ganz bei Hurrikan Odin und Trox, stieg ich nach einiger Zeit aus dem Pool und trocknete mich mit dem Rücken zum Haus ab.

«Hände hoch und keine Bewegung!«sagte mit gänsehauterregender Schärfe eine Stimme hinter mir.

Fast hätte ich mich ohne zu überlegen umgedreht und mir mit Sicherheit eine Kugel eingefangen, aber dann schaltete ich, ließ das Handtuch fallen und gehorchte.

«Jetzt drehen Sie sich langsam um.«

Ich drehte mich um und begriff, daß ich von der Terrasse aus gesehen hier im Dunkeln stand.

Auf der Terrasse stand Robin, erhellt von einem Lichtschein aus dem Haus. Der rundlich-gemütliche Robin hielt mit ruhiger Hand eine Pistole so auf mich gerichtet, daß ein Schuß mich töten konnte.

«Ich bin’s — Perry«, sagte ich.»Ich habe geschwommen.«

«Treten Sie vor, damit ich Sie sehen kann. Aber langsam, sonst schieße ich.«

Wäre es ihm nicht ganz offensichtlich ernst damit gewesen, hätte ich vielleicht mit einem Scherz geantwortet; so aber trat ich langsam vor, bis mir das Licht aus dem Haus in die Augen schien.

«Was machen Sie hier draußen?«fragte Robin verdutzt und ließ die Waffe sinken, so daß sie auf meine Füße zielte.

«Ich konnte nicht schlafen. Darf ich die Hände jetzt runternehmen?«

Er schüttelte sich ein wenig, wie um aufzuwachen, öffnete den Mund und nickte, doch bevor alles wieder normal werden konnte, war der Poolbereich plötzlich von Flutlicht, blauen Uniformen, Gebrüll und einem beängstigenden Aufgebot an Schußwaffen erfüllt. Die Bereitschaft — die Entschlossenheit — zu töten drang wie Stoßwellen auf mich ein. Ich kniete mich auf Befehl hin, und eine Hand drückte brutal mein Genick herunter.

Robin stammelte irgend etwas. Ohne auf ihn zu hören, führten die Ordnungshüter ihre Mission fort, die darin bestand, den Eindringling, wenn sie ihm schon keine Kugel verpaßten, wenigstens in den Schwitzkasten zu nehmen und sein geschundenes Ohr mit unverständlichem Zeug vollzuschreien, bei dem es sich, wie mir Robin nachher erklärte, um meine» Rechte «handelte.

Eine halbe Ewigkeit kniete ich armer Sünder in meiner blöden Badehose dort am Poolrand, von unsanften Fingern gepackt, die Hände mit Handschellen auf den Rücken gefesselt (in Florida kamen sie laut Robin immer auf den Rücken, und in den meisten anderen Bundesstaaten auch). Meine Proteste gingen in ihrem Gebrüll und ihrem vereinten Geschimpfe unter, bis schließlich Robin die Aufmerksamkeit des Einsatzleiters auf sich zog. Der» Eindringling«, sagte er um Verzeihung bittend, sei ein Logiergast.

Ein Logiergast, der früh um halb vier schwimmen ging?

«Entschuldigung«, sagte Robin.»Bitte vielmals um Entschuldigung.«

Gezwungen, ihre Beute fahrenzulassen, holsterten die Polizisten mürrisch ihre Kanonen und steckten die Taschenlampen weg. Sie funkten ihre Zentrale an, ließen Robin Formulare unterschreiben, behandelten uns beide unvermindert mißtrauisch, nahmen mir aber doch die Handschellen ab und verschwanden endlich so schnell, wie sie gekommen waren.

Ich richtete mich steifbeinig auf, nahm das Handtuch, ging über die Terrasse und folgte Robin ins Haus.

Er war unzufrieden mit mir und vergaß dabei ganz, daß er mich nicht auf die Alarmanlage hingewiesen hatte.

«Woher soll ich denn wissen, daß Sie mitten in der Nacht schwimmen gehen?«sagte er verärgert.»Die Terrasse ist mit einem System gesichert, das einen Wachdienst alarmiert, wenn jemand eindringt. Ein Draht geht zur Polizei, und in meinem Schlafzimmer schlägt ein Summer an. Jetzt trinken Sie erst mal was.«

«Nein, danke… Entschuldigen Sie, daß ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe.«

Ich schlang mir das Handtuch wie einen Lendenschurz um die Hüfte, und Robin musterte mich nachdenklich, wobei er die freie Hand und die Hand mit der Pistole vor dem Bauch kreuzte.

«Ich muß sagen«, überlegte er laut,»daß Sie in der brenzligen Situation sehr ruhig geblieben sind.«

Von Ruhe hatte ich nichts gemerkt. Mein Herz hatte mit Cape-Canaveral-Geschwindigkeit gehämmert.

«Wie weit waren die denn davon entfernt, wirklich zu schießen?«fragte ich.

«Einen Abzug weit«, sagte Robin. Er steckte die Pistole in die Tasche seines Morgenmantels.»Legen Sie sich wieder hin. Hoffentlich können Sie schlafen.«

Bevor ich weg war, klingelte jedoch das Telefon, und Robin nahm ab, ohne sich über einen so frühen Anruf zu wundern.

«Ja«, sagte er in den Hörer.»Falscher Alarm. Mein Logiergast… nächtliches Bad im Pool… ja, alles bestens… klar. Mhm… Hereford also… jawohl, Hereford. Die Polizei war nicht erbaut, nein, aber ich versichere Ihnen, es ist alles in Ordnung. «Er legte auf und erklärte mir kurz, der Wachdienst habe nachgefragt, was los sei.»Das tun sie immer, wenn die Polizei durchgibt, daß es falscher Alarm war.«

Robin begleitete mich zur Tür meines Zimmers und fand auf dem Weg dahin wieder freundlichere Töne.

«Ich hätte Ihnen von der Alarmanlage erzählen sollen«, murmelte er.»Aber egal, es ist ja nichts passiert.«

«Nein. «Ich sagte höflich gute Nacht, und er meinte mit einem Lachen, ich bliebe hoffentlich auch so ruhig, wenn ich Odin kennenlernte.

Am anderen Morgen flogen Robin, Kris und ich mit Cayman Airways von Miami nach Grand Cayman, während Evelyn zu Hause blieb, und Robin erzählte Kris gutgelaunt von unserem nächtlichen Abenteuer. Kris hatte auf der anderen Seite des Hauses das ganze Spektakel verschlafen.

Nach der Landung und der Paßkontrolle drangen dann zwar einzelne brauchbare Informationen zu mir durch, aber ohne sich zu einem Ganzen zusammenzufügen.

Auf Robin und Kris wartete vor dem Flughafen ein Wagen, und sie sagten mir nur, daß auch ich abgeholt würde, ehe sie davonbrausten und mich in der ungeahnten Hitze mit der Frage allein ließen, wie es nun weiterging.

Weiter ging es mit einer mageren Frau in ausgebleichten, verwaschenen Jeans und einem ärmellosen weißen Top, die geradewegs auf mich zukam und sagte:»Dr. Stuart, nehme ich an?«

Ihre Stimme verriet Selbstbewußtsein und vornehme ländliche Herkunft. Sie habe oft die BBC-Wetterberichte angeschaut, sagte sie, und kenne mich vom Sehen. Ich solle bitte in ihren orangen Pick-up steigen, der nicht weit entfernt stand. Es hörte sich an, als sei sie gewohnt, den Ton anzugeben.

«Robin Darcy… Kris…«:, setzte ich an.

«Kris Ironside«, unterbrach sie,»ist losgefahren, um ein paar Proberunden mit der Maschine zu drehen, die er fliegen soll. Steigen Sie doch bitte in den Wagen.«

Ich setzte mich ins Fahrerhaus und briet in der Hitze, die auch bei offenen Fenstern nicht erträglicher wurde. Es war die zweite Oktoberhälfte südlich vom Wendekreis des Krebses. Ich nahm meine überflüssige Krawatte ab und sehnte mich nach einer lauwarmen Dusche.

«Ich bin Amy Ford«, stellte sich die Frau auf der Fahrt aus dem Flughafen vor.»Guten Tag.«

«Darf ich fragen, wo wir hinfahren?«

«Erst muß ich noch etwas in Georgetown erledigen. Dann zu mir.«

Bald kamen wir in eine dicht bebaute und offenbar wohlhabende Kleinstadt mit schattenspendenden Bäumen an den Straßen und zahlreichen fotografierfreudigen Touristen.

«Das ist Georgetown, die Hauptstadt der Insel«, sagte Amy und fügte hinzu:»Es ist überhaupt die einzige richtige Stadt hier.«

«So viele Leute…«

«Die kommen von den Kreuzfahrtschiffen«, sagte Amy und wies, als wir um eine Ecke bogen, auf das weite, offene Meer, wo drei schwere Luxusliner vor Anker lagen, nachgebaute Piratengaleeren nachgemachte Kanonenkugeln abfeuerten und Containerschiffe mit Lebensmitteln und Baumaterial am Kai anlegten.

Amy hielt in Laufweite der Stadtbücherei an, um ein Buch abzugeben, dann fuhren wir an ein paar imposanten Bankgebäuden vorbei und wieder über den Hafen zurück, wobei mir auffiel, daß andere Autofahrer uns freundlich lächelnd vorbeiließen.

«Schön hier«, sagte ich und meinte es auch so.

Amy sah das Kompliment als selbstverständlich an.

«Gleich kommt mein Haus«, sagte sie.»Ein paar Meter noch.«

Ihr ein paar Meter entferntes Haus nahm bestimmt tausend Quadratmeter von dem paradiesischen Strand ein, an dem es lag; ein Klon von Robin Darcys einladender Villa, nur doppelt so groß.

Sie führte mich in ein Wohnzimmer, das im Verhältnis eher klein war, aber angenehm kühl dank Klimaanlage und kreisendem Deckenventilator. Durch eine schwere Schiebetür aus Glas war tiefblaues Meer zu sehen, davor Sessel und Porzellanfiguren in tropisch bunten Farben, und davor ein Mann in weißen Shorts, der» Michael Ford «sagte und mir die Hand gab.

«In Natur wirken Sie größer als auf dem Bildschirm.«

Seine Worte hatten nichts Beleidigendes, und seine Aussprache ähnelte der seiner Frau, wobei ich ihn etwas weiter unten auf der gesellschaftlichen Stufenleiter angesiedelt hätte, Geld hin oder her.

Neben meiner hauptberuflichen Tätigkeit im Wetterstudio (und offen gestanden auch zur Gehaltsaufbesserung, um Jett van Els und ihre Kolleginnen bezahlen zu können) hielt ich Vorträge und Tischreden. Um andere Leute nachahmen zu können, hatte ich gelernt, ihnen aufs Maul zu schauen. Natürlich konnte ich sprachliche Eigenheiten nicht mit einer so unglaublichen Genauigkeit orten wie Shaws Professor Higgins, aber um im geeigneten Rahmen die Leute zum Lachen zu bringen, genügte es.

Michael Fords mundwerkliche Anfänge hätte ich wie meine eigenen im ländlichen Westen von Berkshire vermutet, doch war bei ihm das Ausgangsmaterial durch gezieltes Lernen geschliffen und verfeinert worden.

Nur wenig größer als Robin Darcy sah Michael Ford mit seinem gebräunten, athletischen nackten Oberkörper und den barfüßigen, leicht gekrümmten, stämmigen braunen Beinen viel kräftiger aus als der rundliche Robin.

«Was zu trinken?«fragte mich Amy Ford und goß reichlich Orangensaft auf Eiswürfel, und erst als ich den Saft gekostet hatte, merkte ich, daß auch ein ordentlicher Schuß Bacardi oder etwas Ähnliches drin war.

Ich sagte:»Würden Sie mir vielleicht sagen, wer Sie sind und warum ich hier bin?«Und zu meiner gelinden Bestürzung hörte ich mich wie Amy reden.

Amy bekam das aber offenbar nicht mit und gab mir eine Teilerklärung.

«Ich habe Robin mein Flugzeug verkauft. Soviel ich weiß, will Ihr Freund damit durch den Hurrikan Odin fliegen, und Sie sollen als Navigator mit.«

Wie in aller Welt kam Robin dazu, ein sicher doch teures Flugzeug zu kaufen und Kris — den er zufällig auf einer Lunchparty kennengelernt hatte — damit durch einen Wirbelsturm fliegen zu lassen?

«Eigentlich hat Robin meinen Flieger für Nicky gekauft«, sagte Amy, als wäre daran überhaupt nichts Besonderes,»aber Nicky ist ja verpufft.«

«Hurrikan Nicky?«

«Natürlich. Genau. Aber der neue Sturm kam ja sozusagen in Nickys Kielwasser, und Robin meinte, er habe Kris kennengelernt, der sei offenbar ein guter Pilot und wolle mal durch einen Hurrikan fliegen, und na ja… so kam das.«

Eine Erklärung, die mehr Fragen aufwarf, als sie beantwortete.

«Wissen Sie, wo Odin heute morgen steht?«fragte ich und nippte an meinem stark mit Alkohol versetzten Saft.

Zwei Stunden vorher hatte sich Odin meinem Kollegen vom Hurricane Center zufolge südlich von Jamaika konzentriert, so daß die Küstenbewohner überlegten, ob sie Zuflucht in den Bergen suchen sollten.

«Wenn Sie auf Odin zugehen«, hatte mein Kollege gewarnt,»denken Sie dran, daß auf Grand Cayman keine Berge sind, die Zuflucht bieten.«

«Muß man auf Cayman mit Odin rechnen?«

«Also Perry, Sie wissen doch genau, daß Odin selber keine Ahnung hat, wohin er zieht. Aber gerade geht ein Bericht ein, der Odin hoch in Kategorie 3 ansetzt, das ist ein wirklich starker Hurrikan, Perry, also weg da. Verges-sen Sie, was ich vorher gesagt habe, und hauen Sie ab.«

«Was ist mit Trox?«fragte ich.

«Mit was?«fragte er zurück und meinte nach einer Pause dann:»Wenn das eins von den Klecker-Inselchen in der westlichen Karibik ist, fliegen Sie nicht hin, Perry, lassen Sie das. Wenn Odin so weitermacht, kann er jede dieser Inseln, die er direkt erwischt, auslöschen.«

«Wind oder Sturmflut?«

«Beides. «Er zögerte.»Raten wir besser nicht, sonst wär’s nachher wieder falsch. Im Augenblick sieht es so aus, als ob Odin an Jamaika vorbei nach Nordwesten abdreht, und da Grand Cayman«, ein letztes Wort zur Beruhigung,»dann genau auf Odins Weg liegt, spielen Sie da nicht rum, sondern suchen das Weite, wenn Sie vernünftig sind.«

Wahrscheinlich war ich nicht vernünftig.

«Wo genau liegt Trox?«

«Ist das wichtig? Ich schau nach. «Papier raschelte.»Da wären wir. Inseln in der westlichen Karibik… Roncador Cay… Swan. Thunder Knoll. Na bitte… Trox. Einwohnerzahl null bis zwanzig, hauptsächlich Fischer. Länge 1,6 Kilometer, Breite 800 Meter. Höchster Punkt über dem Meeresspiegel 60 Meter. Vulkanisch? Nein. Besteht aus Vogelmist, Guano, Korallen und Kalkstein. Kartenkoordinaten 17.50 Grad Nord, 81.44 West. «Wieder raschelte Papier.

«Das war’s schon. Eine mit Guano bedeckte Felsspitze, die vom Meeresboden hochragt.«

«Keine Landwirtschaft? Keine Pilze?«

«Wieso denn Pilze? Höchstens Kokosnüsse gibt es da. Von Palmen ist die Rede.«

«Wem gehört Trox?«

«Steht hier nicht. Die schreiben nur >Besitzrecht strittige«

«Und das ist wirklich alles?«

«Sonst steht da bloß noch, daß Schiffe anlegen können und daß ein alter Landestreifen für Flugzeuge vorhanden ist, aber keine Tank- und keine Wartungsmöglichkeit. Nichts. Vergessen Sie’s.«

Er hatte viel zu tun und mußte Schluß machen. Sein abschließender Rat war:»Fliegen Sie nach Hause«, und damit meinte er zurück nach England.

Michael Ford sah auf seine schwere goldene Armbanduhr und zappte an einem großen Fernseher herum, bis er einen hektischen Sender fand, der besorgniserregende Einzelheiten über Odins Entwicklung vermeldete.

Odin hatte sich zu einem echten Hurrikan gemausert, in dessen mittlerem Bereich sich die Winde immer schneller um ein stilles, ruhendes kleines Zentrum wie um eine Radnabe drehten. Odins Winde wirbelten jetzt mit hundertneunzig und mehr Stundenkilometern um das gut erkennbare Auge, aber er bewegte sich immer noch langsam mit elf Kilometern die Stunde voran. Eine Abschwächung der Höhenwinde im Kern des Systems hatte zu stärkerer Zirkulation in der Bewölkung über dem Zentrum und daher zur klaren Herausbildung des Auges geführt.

Kris zumindest würde sich freuen, daß Odin nun offiziell ein Hurrikan war.

Odin lag zwölfhundert Kilometer südlich von dem Sand Dollar Pool, an dem sich Evelyn sonnte, und auch für mich auf Grand Cayman, dreihundert Kilometer von dem großen Sturm entfernt, waren durchs Fenster nur Sonne, Sand und Palmen zu sehen, und kein Lüftchen wehte. Es schien unmöglich, daß ein Wind stark genug sein konnte, um wie Hurrikan Andrew eine Stadt restlos niederzuwalzen, oder eine Sturmflut so gewaltig, daß wie in Bangladesch dreihunderttausend Menschen darin umkamen. Ich kannte die Schliche unserer Winde ziemlich genau und hatte die meisten Tücken der Natur studiert, aber doch eher wie ein Vulkanologe, der sich aus sicherer Entfernung die Hände wärmt, statt um den Rand des brodelnden Kraters zu laufen.

Die Satellitenaufnahme von Odin war alles andere als einladend. Wollte ich mit Kris da wirklich mittenrein?

Aus Gewohnheit hatte ich meine kleine Spezialkamera dabei, aber auch mit dem besten Objektiv der Welt würde ich kein Satellitenbild bekommen. Die Spirale eines starken Hurrikans reicht vielleicht fünfzehn- bis zwanzigtausend Meter hoch, wo die Winde dann am kältesten sind; Kris und ich konnten uns ohne Sauerstoff gerade mal dreitausend Meter hinaufwagen. Wir würden in das ruhige Zentrum fliegen, dort den Luftdruck messen, ebenso die Windgeschwindigkeiten an der Augenwand, und auf der anderen Seite wieder hinausfliegen, um den Vogel nach Hause zu bringen. Ob uns die Wolkensuppe da nicht dumm und dämlich rüttelte? Kaum, denn wir würden schneller fliegen als der Wind.

Wie zum Teufel, dachte ich im stillen, fand man so ein Auge? Wie sollte ich da navigieren? Ich hatte das nicht geübt. Wer gab mir einen Crashkurs in Supersturmkoppelnavigation zur Vermeidung eines Crashs?

Warum wollte ich trotz aller Bedenken unbedingt diesen Flug?

Die Wetterfrösche schwatzten weiter sachlich über die Talfahrt der Millibar, an denen man fallenden Luftdruck und kommendes Unglück so gut ablesen kann.

Der Fernseher der Fords war ein sichtlich teures Einbaugerät, und Amy, Michael und ich saßen in schweren Sesseln und warfen ab und zu einen Blick auf das Bild der gigantischen, wirbelnden weißen Wolkenmasse, während sie mir erzählten, Grand Cayman sei von schweren Stürmen bisher eigentlich verschont geblieben, aber es gebe natürlich immer ein erstes Mal. Ihrem unbekümmerten Tonfall nach glaubten sie jedoch offensichtlich nicht, daß es soweit war.

Jockeys hatten mir die Atmosphäre im Umkleideraum vor dem Grand National beschrieben, der Steeple Chase, bei der sie zehn Zentner Pferd über die höchsten, schwersten Hindernisse im Rennsport bringen mußten. Knochenbruch und Querschnittslähmung drohten ihnen, aber sie konnten es kaum erwarten. Ich hatte mich gefragt, was sie trieb; und in dem luftigen, hellen, feudalen Wohnzimmer der Fords wußte ich es auf einmal.

In den Stunden des Nichtstuns, bevor Robin und Kris wieder auf der Bildfläche erschienen, erfuhr ich unter anderem, daß Amy in den Vereinigten Staaten Besitzerin und Chefin einer inzwischen verkauften Kette von Videotheken gewesen war, während Michael Fitneßcenter ausgestattet und Mitgliederbeiträge kassiert hatte.

Beide waren stolz auf ihren Erfolg, ebenso stolz aufeinander, und darüber redeten sie auch offen.

Ich erfuhr, daß weder Amy noch Michael geprüfte Piloten waren, daß Amy aber Flugstunden genommen hatte, bevor sie ihr Flugzeug dann an Robin verkaufte.

«Warum haben Sie’s ihm verkauft?«fragte ich Amy ohne Nachdruck, gesprächshalber und nicht etwa, weil ich es genau wissen wollte.

Michael machte eine dämpfende Handbewegung, wie um zur Vorsicht zu mahnen, doch Amy erwiderte elegant:»Er wollte es haben. Er hat einen guten Preis geboten, also sagte ich nicht nein. «Sie trank ihren Drink aus.»Wenn Sie wissen möchten, warum er es gekauft hat, müssen Sie ihn fragen.«

Da Robin und Kris gerade in dem Augenblick hereinkamen, fragte ich ihn auf der Stelle, in einem Ton, als wollte ich ihn einfach nur ins Gespräch ziehen.

Robin blinzelte, schwieg, lächelte und antwortete genauso irreführend:»Amy wäre es sicher nicht recht, wenn ich Ihnen verraten würde, daß sie sich von dem Geld für das Flugzeug ein Diamantcollier kaufen konnte.«

«Und noch einiges andere«, fiel Michael erleichtert ein.

Ich lächelte herzlich. Alle drei waren gewiefte Lügner. Amy gab Kris ein eisklirrendes hohes Glas, und ich sagte neutral:»In meinem ist Rum.«

Er war auf halbem Weg zu einer manischen Hochstimmung, aber dazu brauchte er keine Promille. Mit zusammengekniffenen Augen sah er auf das beinah volle Glas, das neben mir auf dem kleinen Tisch stand, nippte dann an seinem, setzte es ab und erzählte mir hellauf begeistert, was es Neues gab.

«Die Maschine ist herrlich. Zweimotorig. Ein Fluglehrer hat mich eingewiesen. Er war zufrieden mit mir. Robin ist zufrieden mit mir. Friede, Freude allerseits. Das heißt, die meisten Leute sind zwar der Meinung, Amateure sollten sich von Stürmen unbedingt fernhalten, aber unsere Meßergebnisse interessieren sie trotzdem, auch wenn wir keine Spezialausrüstung an Bord haben.«

«Wann fliegen wir?«fragte ich.

Alle sahen wir uns den neuesten Wetterbericht an. Odin war soeben um noch ein paar beängstigende Millibar gefallen und hatte sich eine Minute nach Nordwesten bewegt. Ein strahlender, vermutlich vom Fremdenverkehr geschmierter älterer Gastansager verkündete fröhlich, daß

Odin über dem Wasser kreise und Urlaubern am Strand und auf dem Festland nicht zu nahe treten werde. Kris warf mir einen sarkastischen Blick zu und zuckte die Achseln, denn Odin kam durch das Kreisen über dem warmen Meer erst recht in Fahrt.

«Morgen früh«, sagte Kris,»Punkt acht Uhr. Bevor es zu heiß wird.«

Michael und Amy hatten darauf bestanden, daß Robin, Kris und ich über Nacht blieben. Sie gaben uns unaufhörlich und zu Kris’ Leidwesen immer Stärkeres zu trinken, und Michael band sich eine Plastikschürze um und grillte mit gastgeb erischem Elan Steaks auf einem gemauerten Barbecue.

Kris und ich wurden zum Serviettenfalten und Eiskübelfüllen herangezogen, kleine Verrichtungen, bei denen wir in Amys Nähe bleiben mußten. Wie es aussah, sollten wir wohl nicht weglaufen, und im Gedanken an Robins Alarmanlage blieb ich, wo meine Gastgeber mich haben wollten. Ein bißchen fühlte ich mich wie im goldenen Käfig, aber ich hatte weder Geld noch eine gute Ausrede, um in ein Hotel zu gehen.

Außerdem war Michael, der charmante Koch, nach außen zwar liebenswürdig, bei all seinen Muskelpaketen aber von einer Geschmeidigkeit, die ich genaugenommen eher mit Nahkampferfahrung als mit den Kraftmaschinen verband, mit denen er gehandelt hatte.

Odin bewegte sich auf dem Bildschirm langsam und gefährlich nach Nordwesten.

Amy, die mit mir zusammen gutgelaunt den Tisch auf der Veranda hinter dem Grill deckte, rief plötzlich laut:»Wie gut Kris aussieht! Und Sie natürlich auch, Perry. Sucht die BBC ihre Wetterexperten etwa nach den hyperattraktiven Gesichtern aus?«

Kris grinste.»Wie denn sonst?«

Ich war sein Aussehen gewohnt, aber ich wußte, daß er einmal, als er besonders bös aus der Rolle gefallen war, seinen Job tatsächlich nur behalten hatte, weil die weiblichen Zuschauer so von ihm schwärmten. Erstaunlicherweise war der schöne Kris bei Männern jedoch genauso beliebt, und das führte ich darauf zurück, daß er ihnen aus seiner manisch-depressiven Bandbreite heraus eine etwas abgedrehte Freundschaft ohne sexuellen Beigeschmack anbot. Sein Verhältnis zu mir ähnelte dem eines Expeditionsleiters, der genau wußte: Was immer auch Schlimmes passierte, das Basislager war für ihn da.

Kris gab dem seltsamen Abend auf Cayman eine unbeschwert-verrückte Leichtigkeit, aber Robins Bitte, das Ca-pe-Canaveral-Gedicht noch einmal vorzutragen, wies er zurück; nach dem Grund gefragt, erwiderte er, die Verse seien in einer depressiven Stimmung entstanden und sollten dort bleiben.

Ich sah, wie Robin Kris nachdenklich musterte. Robin hatte hier nicht nur einen guten Amateurpiloten, er hatte sich einen sehr prominenten Engländer geholt, und ich hätte gern gewußt, ob diese Prominenz ein kalkulierter oder zufälliger Bestandteil seiner noch immer nicht offengelegten Planung war.

Am anderen Morgen um halb sieben war Odin eindeutig als Hurrikan der Kategorie 4 eingestuft worden und zog mit gerade einmal zehn Kilometern die Stunde nach Nordwesten.

Wenn er den Kurs genau beibehielt, würde er in ein oder zwei Tagen auf das Haus von Michael und Amy treffen, mit vielen hundert Tonnen Sand und Wasser durch den hellen Raum fegen und ihren Luxus wegpusten.

Kris stellte sich neben mich, verfolgte das mörderische

Spektakel auf dem Bildschirm und freute sich über die klare Ausprägung des Auges.

«Worauf warten wir?«sagte er,»komm mit. «Seine Augen leuchteten wie bei einem Kind, das sich auf ein Fest freut.»Es fliegen auch noch andere Leute«, fügte er hinzu,»ich muß einen Flugplan einreichen.«

Amy erklärte uns den Weg zum Flughafen. Wir fuhren mit dem orangen Pick-up hin, und unter einer erstaunlich großen Zahl leichter Flugzeuge, die in einem abgeteilten Bereich für allgemeinen Flugverkehr standen, suchte Kris die zweimotorige, propellergetriebene Piper heraus, die Robin gekauft hatte, und gab ihr einen anerkennenden Klaps.

«Setz dich schon mal rein in das schöne Ding«, schlug Kris vor,»und ich mach den Flugplan auf. Dauert nicht lange.«

«Haben wir eine Karte?«fragte ich.

Er schloß mit dem Rücken zu mir umständlich die Tür auf, drehte sich nach einer Weile um und sagte:»Wir brauchen eigentlich keine normale Karte, sondern die Route zum Auge Odins.«

«Können sie dir die Route von hier aus angeben?«

«Na klar. «Er ließ mich stehen und verschwand praktisch im Laufschritt.

Wir waren seit Jahren befreundet, und ich hatte ihn oft genug durch lebensmüde Phasen begleitet, um zu wissen, wann er mir etwas verschwieg. An diesem Morgen auf dem Flughafen von Cayman hatte er mir nicht in die Augen gesehen.

Er kam mit einem Blatt Papier aus dem Büro zurück und gab es mir zu lesen, bevor er seinen Kontrollgang um die Maschine machte. Da Kris das Flugzeug nicht wie sein ei-genes kannte, nahm er die Bedienungsanleitung vom Pilotensitz und checkte die Maschine Punkt für Punkt, während ich die Flug-Information durchlas, die er bei der Flugsicherung eingereicht hatte.

Das meiste war für mich Kauderwelsch. Als er mit seinem Kontrollgang fertig war, fragte ich ihn, wofür die Ortsangaben standen wie etwa MWCRZTZX und MKJKZOZYX.

«Mach dir darüber keine Gedanken«, meinte er.

«Du mußt es mir schon sagen, sonst fliege ich nicht mit.«

Er staunte nicht schlecht über meine kleine Meuterei.

«Na schön«, sagte er,»die erste Buchstabenfolge steht für den Kontrollturm hier auf Grand Cayman und die zweite für den Luftraum Kingston, Jamaika, wo wir wahrscheinlich Odin finden. Zufrieden?«

Er wies weiter unten auf den Schein, wo unser ZielFlugplatz mit zzzz angegeben war, da wir nicht genau wußten, wo wir hinflogen.»Odin«, sagte er.

«Und wo ist die Karte?«fragte ich.»Ohne Karte fliege ich wirklich nicht mit.«

In England wäre er niemals ohne Karte losgeflogen. Das in der weiten Karibik zu tun war Irrsinn.

«Ich weiß, wo ich hin will«, sagte er stur.

«Dann brauchst du auch keinen Navigator.«

«Perry!«

«Eine Radiokarte«, sagte ich.»Und zwar eine, auf der Trox eingezeichnet ist.«

Ihm wurde klar, daß ich es ernst meinte.

Er runzelte die Stirn. Er sagte:»Robin wird sauer.«

«Robin benutzt uns«, gab ich zurück.

«Wie bitte?«Er wollte es nicht glauben.»Robin ist das beste, was uns passieren konnte. Er trägt alle Kosten, vergiß das nicht. Er hat Amy sogar die Maschine abgekauft.«

«Und wenn er sich nun ein Flugzeug gekauft hat, damit er beliebig darüber verfügen kann?«sagte ich.»Wenn er sich einen guten Amateurpiloten besorgt hat, den man hier kaum kennt und der dazu noch Wetterexperte ist, sich also mit zyklonischen Winden auskennt und sich darauf einstellen kann?«

«Er ist einfach nur ein Enthusiast«, widersprach Kris.

«Wetten, daß wir auf unserem Flug auch die Insel ansteuern sollen?«sagte ich.»Womöglich ist sie das zzzz auf dem Flugplan. Und wetten, daß du ihm versprechen mußtest, mir nicht zu sagen, wo wir hinfliegen?«

«Perry…«Er sah niedergeschmettert aus, stritt jedoch nichts ab.

«Hat er dir wenigstens gesagt, warum?«fragte ich.»Hat er dir gesagt, was du auf Trox machen sollst, wenn wir hinkommen? Hat er dir gesagt, warum er nicht selbst fliegt? Und die allerkniffligste Frage: Was ist an dem Flugziel und dem Zweck des Flugs so merkwürdig, daß es durch einen Hurrikan verschleiert werden muß?«

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