Geld zum Verbrennen von MARGERY ALLINGHAM

Margery Allingham (1904-66) bewies früh ihr schriftstellerisches Talent: Ihr Erstlingswerk, der Abenteuerroman Blackkerchief Dick (1923), wurde von großen amerikanischen und britischen Verlagen publiziert, als sie noch ein Teenager war. Die in London geborene Autorin, die einer Familie von Literaten entstammte, absolvierte als Verfasserin von Genreliteratur für Zeitschriften produktive Lehrjahre, bevor sie zwischen den beiden Weltkriegen zu einer der Schlüsselfiguren des Goldenen Zeitalters der Kriminalliteratur wurde. Ihr erster Kriminalroman The White Cottage Mystery (1928) nahm das später von Ellery Queen und Agatha Christie verwendete Konzept der» unverdächtigsten Person« vorweg, im zweiten Roman mit dem Titel The Crime at Black Dudley (1929; dt. Mord in Black Dudley) führt sie den unauffälligen und zurückhaltenden Albert Campion ein, einen der meistgefeierten» gentleman detectives «seiner Zeit und mit einem Schuss blauen Blutes in den Adern einer der hochwohlgeborensten. Wie jene andere adlige Spürnase, Dorothy L. Sayers’ Lord Peter Wimsey, entwickelte Campion sich mit der Zeit von der Karikatur des halb komischen, albernen Exzentrikers zu einer voll ausgeformten Figur. Einige der gefeierten Kriminalautorinnen des Goldenen Zeitalters (etwa Agatha Christie und Ngaio Marsh) blieben jahrzehntelang der klassischen» Wer-war’s«-Krimiformel verhaftet. Manche (wie Sayers und ihr Kollege Anthony Berkeley) suchten sich andere schriftstellerische Betätigungsfelder oder wandten sich ganz vom Schreiben ab. Und ein paar wenige (zum Beispiel das Ellery-Queen-Tearn) blieben zwar beim bewährten Format, arbeiteten Hauptfigur und Thema jedoch immer genauer heraus. Allingham, deren Gespür für die menschlichen Unzulänglichkeiten und deren scharfer Blick für die gesellschaftlichen Zustände schon immer deutlich hervortraten, gehörte jener dritten Gruppe an. Während Mr. Campion im Großteil ihres literarischen Schaffens zwar immer wieder in Erscheinung trat, lag in ihren Nachkriegsromanen die Betonung nicht so sehr auf dem formellen Rätsel, und in einigen wird Campion sogar in eine Nebenrolle verwiesen. (Erst nach dem Tod seiner Erfinderin wird er im Titel namentlich genannt, nämlich in zwei von ihrem Ehemann und gelegentlichen Mitarbeiter Philip Youngman Carter verfassten Romanen.) Unter Allinghams frühen Romanen werden Death of a Ghost (1934) und The Fashion in Shrouds (1938; dt. Mode und Morde) oft als Glanzlichter genannt. Unter den Nachkriegswerken gilt The Tiger in the Smoke (1952.; dt. Die Spur des Tigers) mit seinem unerschrockenen, genauen Blick auf das wahrhaft Böse als Krimiklassiker.

Es ist daher nur stimmig, dass Allingham mit ihren Einsichten in die Geheimnisse der menschlichen Natur hier durch» Geld zum Verbrennen «vertreten ist, eine 1957 erschienene Erzählung ohne unseren Campion, die jene seltenste Spielart unter den Formen der Kriminalliteratur darstellt. Sie fragt nicht:»Wer war’s?«, sondern nur:»Warum?«.

Haben Sie je einen Menschen Geld anzünden sehen?

Echtes Geld — das er als Fidibus zum Anzünden einer Zigarette benutzte, aus purer Angeberei? Ich schon. Und deshalb war mir, als Sie eben das Wort» Psychologe« verwendeten, als ob ein kleiner Fisch in meinem Magen hochhüpfte, und die Kehle wurde mir plötzlich eng.

Vielleicht halten Sie mich jetzt für übertrieben zimperlich.

Also, ich weiß nicht.

Ich bin in dieser Straße geboren. Als Mädchen ging ich hier gleich um die Ecke zur Schule, und später, nach Abschluss meiner Lehre in den großen Bekleidungshäusern hier und in Frankreich, übernahm ich den Pachtvertrag für dieses alte Haus und machte daraus das schicke, kleine Modegeschäft, das Sie nun sehen. Und als ich zurückkehrte, um mich selbstständig zu machen, fiel mir die Veränderung auf, die mit Louise vor sich gegangen war.

Als wir zusammen zur Schule gegangen waren, war sie eine rechte Schönheit gewesen, mit fließendem strohblondem Haar und dem wilden, schlauen Grinsen der Cockney-Gören. Die anderen Kinder hänselten sie immer, weil sie besser aussah als wir. Damals war die Straße ganz genauso wie heute. Die Adelaide Street in Soho: heruntergekommen und schmutzig und doch romantisch, und über den gesamten unordentlichen Verlauf führte jede zweite Tür in irgendeine Art von Restaurant. Hier kann man in jeder Sprache der Welt essen. Einige Lokale sind so teuer wie das Ritz, andere so billig wie Le Coq au Vin von Louises Papa mit der einen Gaststube und der einsamen Palme im weiß getünchten Kübel draußen vor der Tür.

Louise hatte ein kleines Schwesterchen und einen Vater, der kaum Englisch konnte, der einen unter seinen geschwungenen Brauen hervor aber aus stolzen, fremdländischen Augen musterte. Ich war mir kaum bewusst, dass sie auch eine Mutter hatte, bis jene graue Frau eines Tages aus dem Keller unter dem Restaurant heraufkam, um ein Machtwort zu sprechen und Louise, statt mit mir den Zauber der Werkstätten kennen zu lernen, in die Küchenräume des Le Coq au Vin abtauchen musste.

Lange Zeit tauschten wir noch Geburtstagskarten aus, dann schlief auch dieser Kontakt ein. Trotzdem habe ich Louise nie ganz vergessen, und als ich in die Straße zurückkehrte, freute ich mich, den Namen Frosné immer noch unter dem Schild des Coq au Vin zu sehen. Das Lokal wirkte viel heller und freundlicher als in meiner Erinnerung und schien recht gut zu gehen. Jedenfalls litt es nicht länger unter dem Vergleich mit dem teuren Glass Mountain gegenüber, das von Adelbert betrieben wurde.

Ein Restaurant dieses Namens existiert in dieser Straße nicht mehr, und es gibt auch keinen Restaurantbesitzer namens Adelbert, doch erinnern sich die Essensgäste von damals vielleicht noch an ihn — wenn nicht wegen seines Essens, so doch wenigstens wegen seiner Selbstgefälligkeit und der beiden weißen Fettwülste, die seine Augenlider bildeten.

Sobald ich einen Augenblick erübrigen konnte, ging ich Louise besuchen. Es war ein Schock, denn ich erkannte sie kaum wieder, sie jedoch wusste sofort, wer ich war, und kam hinter dem Kassiertischchen hervor, um mich gebührend zu begrüßen. Es war ein Bild des Jammers. Auf ihrem Gesicht schien eine dünne Schicht Eis aufzubrechen — als hätte ich durch mein unerwartetes Auftauchen eine Barriere niedergerissen.

Innerhalb der ersten zehn Minuten erfuhr ich sämtliche Neuigkeiten. Die beiden alten Leutchen waren tot. Die Mutter war zuerst gestorben, doch der Alte war ihr erst ein paar Jahre später gefolgt, und in der Zwischenzeit hatte Louise die ganze Last und dazu seine Grillen und Launen auf ihren Schultern getragen. Doch sie beklagte sich nicht.

Inzwischen hatte sie es ein wenig leichter. Violetta, die kleine Schwester, ging mit einem jungen Mann, der seinen Wert bewies, indem er für einen Hungerlohn arbeitete und das Gastgewerbe erlernte.

In gewissem Sinn war es eine Erfolgsgeschichte, und doch fand ich, dass Louise ziemlich teuer dafür gezahlt hatte. Obwohl sie ein Jahr jünger war als ich, sah sie aus, als hätte das Leben sie bereits ausgebrannt und sie hart und blank gerieben wie einen Knochen in der Sonne liegen lassen. Die goldene Farbe war aus ihrem Haar gewichen, und sogar die dichten Wimpern wirkten ausgebleicht und mattbraun wie Packleinwand. Und noch etwas: Sie hatte so etwas Gehetztes an sich, das ich überhaupt nicht begreifen konnte.

Mit der Zeit gewöhnte ich mir an, einmal wöchentlich bei ihr zu Abend zu essen, und bei diesen kleinen Mahlzeiten erzählte sie. Es war offenkundig, dass sie nie den Mund aufmachte, um mit anderen Leuten über etwas Persönliches zu reden, mir jedoch vertraute sie irgendwie.

Trotzdem dauerte es Monate, bis ich herausbekam, was mit ihr los war. Als es herauskam, war mir alles klar.

Auf dem Coq au Vin lag eine schwere Schuldenlast. Zu Mama Frosnés Zeit hatte die Familie nie einen Penny geschuldet, doch in den paar Jahren zwischen ihrem Tod und seinem eigenen hatte Papa Frosné es fertig gebracht, sich nicht nur an die viertausend Pfund von Adelbert vom Glass Mountain zu leihen, sondern auch jeden müden Penny davon bei irgendwelchen blödsinnigen senilen Transaktionen zu verlieren.

Louise zahlte es in Raten zu je fünfhundert Pfund zurück. Als sie mir davon erzählte, sah ich ihr zufällig gerade in die Augen und erblickte darin das blanke Grausen. Es hat wohl immer Menschen gegeben, die Schulden auf die gleiche Weise ertragen können wie manche die Trunksucht. Es mag ihre Konstitution schwächen, schäbig aussehen lässt es sie aber nicht.

Anderen dagegen fügt Schuldnerschaft Unaussprechliches zu. Bei Louise kam der Teufel ganz sicher auf seine Kosten.

Ich widersprach ihr natürlich nicht. Das stand mir nicht zu. Ich saß da und zeigte mich mitfühlend, bis sie mich plötzlich mit der folgenden Bemerkung überraschte:»Es ist nicht so sehr die Arbeit und die vielen Sorgen, ja nicht mal das sparsame Knausern, was ich so sehr hasse.

Sondern diese schreckliche Zeremonie, wenn ich es ihm zahlen muss. Davor graut mir wirklich.« «Du bist zu sensibel«, sagte ich zu ihr.»Sobald du das Geld auf dem Konto hast, steckst du den Scheck in einen Umschlag, schickst ihm den und vergisst das Ganze!« Sie warf mir einen seltsamen Blick zu; ihre Augen zwischen den ausgebleichten Wimpern waren fast bleigrau.

«Da kennst du Adelbert nicht«, sagte sie.»Der ist ein ziemlich kranker Typ. Ich muss ihm Bargeld geben, und er macht eine richtige kleine Vorführung daraus. Er kommt zum vereinbarten Termin hierher, trinkt etwas und will Violetta als Publikum und Zeugin dabei haben. Wenn ich mir keine Aufregung anmerken lasse, redet er so lange weiter, bis ich’s tue. Nennt sich einen Psychologen — und behauptet, er weiß genau, was ich denke.« «So würde ich ihn nicht nennen«, sagte ich. Ich war entrüstet. So etwas hasse ich.

Louise zögerte.»Ich habe ihn das meiste Geld verbrennen sehen, einfach so, um Eindruck zu schinden«, gab sie zu.»Direkt vor mir.« Ich spürte, wie sich meine Augenbrauen bis zum Haaransatz hoben.»Das kann doch nicht dein Ernst sein!«, rief ich aus.»Der Kerl ist ja wohl nicht bei Trost.« Als sie aufseufzte, blickte ich sie scharf an.

«Aber Louise, der ist doch zwanzig Jahre älter als du«, begann ich.»Zwischen euch kann doch nie was gewesen sein, oder? Du weißt schon … so etwas?« «Nein. Nein, da war auch nichts, Ellie, ehrlich. «Ich glaubte ihr — sie war da sehr offen und sichtlich ebenso verwirrt wie ich.»Er hat mit Papa aber einmal wegen mir gesprochen, als ich noch ein junges Mädchen war. Hat in aller Form um mich angehalten, weißt du, so wie es damals hier üblich war. Ich habe nie erfahren, was mein alter Herr sagte, aber der nahm ja nie ein Blatt vor den Mund, stimmt’s? Ich weiß nur noch, dass ich eine Weile außer Sichtweite unten im Keller bleiben musste und Mama mich danach behandelte, als hätte ich was ausgefressen. Ich hatte mit dem Mann aber gar nie gesprochen — so einer wie der wäre einem jungen Mädchen doch nicht aufgefallen, oder? Das ist allerdings schon Jahre her. Kann sein, dass sich Adelbert nach all dieser Zeit noch daran erinnert — aber das ist doch unvernünftig, nicht?« «Auf jeden Fall«, erwiderte ich.»Nächstes Mal bin ich Zeugin.« «Das würde Adelbert gefallen«, sagte Louise verdrossen.

«Wer weiß, vielleicht komme ich darauf zurück. Den müsstest du mal sehen!« Wir ließen das Thema fallen, doch es ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Hinter den Vorhängen meines Ladens hervor konnte ich die beiden sehen, und so oft ich hinausschaute, schien mir, als sähe ich dort die schmallippige, stumme Frau, die jeden Heller zusammenkratzte, und dort den fetten Mann, der sie mit heimlicher Genugtuung im fahlen Gesicht von seiner Tür auf der anderen Straßenseite aus beobachtete.

Schließlich machte mir das Ganze nervlich zu schaffen, und wenn das passiert, muss ich mit jemandem reden — ich kann einfach nicht anders.

Mit jemandem aus unserer Straße zu klatschen traute ich mich nicht, erwähnte die Geschichte jedoch einer Kundin gegenüber, einer gewissen Mrs. Märten, die ich besonders gern mochte — seit sie damals hereingekommen war und nach dem ersten Kleid gefragt hatte, das ich je im Schaufenster gehabt hatte. Ich schneiderte fast ihre gesamte Garderobe, und sie hatte mich auch ein paar anderen Damen aus dem Stadtteil empfohlen, in dem sie wohnte, oben in Hampstead, sehr hübsch und weit weg von Soho. Eines Tages, als sie gerade zur Anprobe da war, sagte sie etwas über Männer und zu was für würdelosem Verhalten sie fähig seien, wenn man sie in ihrem Stolz verletzte, und bevor ich mich versah, hatte ich die Geschichte, die Louise mir erzählt hatte, schon ausgeplaudert. Ich erwähnte natürlich keine Namen, hatte aber vielleicht durchblicken lassen, dass sich alles in dieser Straße zugetragen hatte. Mrs. Märten, eine nette, sanfte kleine Person mit einem süßen Gesichtchen, war schockiert.

«Aber das ist ja schrecklich«, sagte sie immer wieder, «das ist ja einfach schrecklich! Das Geld vor ihrer Nase zu verbrennen, nachdem sie so dafür geschuftet hat. Der muss ja völlig verrückt sein. Und gefährlich.« «Ach, na ja«, versuchte ich abzuwiegeln,»wenn er es macht, ist es schließlich sein Geld, und ich kann mir eigentlich nicht denken, dass er viel davon vernichtet. Nur so viel, dass meine Freundin sich aufregt. «Ich bereute, etwas gesagt zu haben. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Mrs. Märten so schockiert reagieren würde.

«Da sieht man mal, wie andere Leute leben«, meinte ich abschließend und hoffte, sie würde das Thema fallen lassen. Das tat sie jedoch nicht. Die Vorstellung faszinierte sie anscheinend noch mehr als mich. Ich konnte sie nicht davon abbringen, während der ganzen Anprobe redete sie darüber. Dann, als sie schon ihren Hut aufsetzte und gehen wollte, meinte sie plötzlich:»Da fällt mir etwas ein, Miss Kaye. Mein Schwager ist Stellvertretender Polizeipräsident bei Scotland Yard. Vielleicht hat er eine Idee, wie man diesen furchtbaren Kerl davon abbringen kann, die arme kleine Frau so zu quälen, von der Sie mir erzählt haben. Soll ich es ihm sagen?« «O nein! Bitte nicht!«, rief ich aus.»Das wird sie mir nie verzeihen. Die Polizei kann doch auch nichts tun, um ihr zu helfen. Ich hoffe sehr, Sie verzeihen mir, wenn ich das sage, Madam, aber ich hoffe wirklich, dass Sie nichts dergleichen tun.« Sie schien ziemlich verletzt, gab mir jedoch ihr Wort.

Ich traute der Sache natürlich nicht. Sobald eine Frau mit dem Gedanken spielt, über etwas zu reden, ist es schon so gut wie passiert. Ein paar Tage lang war, ich ziemlich aufgeregt, denn das Letzte, was ich wollte, war, mich einzumischen. Dann geschah aber nichts weiter, und ich wollte schon erleichtert aufatmen, als ich zu Vaughan’s musste, das Großhandelskaufhaus für Kurzwaren und Posamenten hinter der Regent’s Street. Ich kam gerade mit meinen Einkäufen heraus, als ein Mann auf mich zutrat.

Ich wusste, dass er Detektiv war: Er sah genauso aus, mit sehr kurzen Haaren, einem braunen Regenmantel und diesem Gesichtsausdruck von einem, der in einem etablierten Job ist und doch nichts Bestimmtes verfolgt. Er bat mich, mit in sein Büro zu kommen, was ich schlecht ablehnen konnte. Mir wurde klar, dass er mir gefolgt war, bis ich weit genug von der Adelaide Street entfernt war, dass niemand bemerkte, wie er sich mir näherte.

Er brachte mich zu seinem Vorgesetzten, der auf seine Art ein recht netter alter Kerl war — und auf niemandes Seite stand, nur auf seiner eigenen, wie es bei der Polizei eben ist. Doch gewann ich den Eindruck, dass er ganz in Ordnung war, was man nicht von jedem behaupten kann.

Er stellte sich als Detective Inspector Cumberland vor, bat mich, Platz zu nehmen, und ließ mir eine Tasse Tee kommen. Dann fragte er mich nach Louise.

Ich geriet in Panik, denn wenn man in der Adelaide Street ein Geschäft betreibt, dann betreibt man ein Geschäft, und das Letzte, was man sich leisten kann, ist Ärger mit den Nachbarn. Ich stritt natürlich alles ab und beharrte darauf, dass ich die Frau kaum kannte.

Das ließ Cumberland aber nicht gelten. Ich muss schon sagen, er wusste, wie er mit mir umzugehen hatte. Wieder und immer wieder ließ er mich von meinen eigenen Angelegenheiten erzählen, bis ich schließlich froh war, über etwas anderes reden zu dürfen. Am Ende gab ich nach, denn soweit ich sehen konnte, tat niemand etwas Ungesetzliches. Ich erzählte ihm alles, was ich wusste, ließ es mir nach und nach entlocken, und als ich fertig war, lachte er mich an und musterte mich mit kleinen hellen Augen unter Brauen, die so dicht waren wie das Fell eines Silberfuchses.

«Nun«, sagte er,»was ist an dem Ganzen denn so schrecklich?« «Nichts«, meinte ich verdrossen. Er hatte es fertig gebracht, dass ich mir wie eine Idiotin vorkam.

Seufzend lehnte er sich in seinem Sessel zurück.

«Na, dann laufen Sie mal, und vergessen Sie diese kleine Unterredung«, sagte er zu mir.»Damit Sie aber jetzt nicht anfangen, sich wer weiß was auszudenken, will ich Sie mal auf Folgendes hinweisen. Auch die Polizei betreibt in gewissem Sinn ein Geschäft. Ihr eigenes Geschäft nämlich, und wenn ein Beamter in meiner Position eine Anfrage von weiter oben kriegt, hat er zu ermitteln, stimmt’s? Er mag der Ansicht sein, dass die Vernichtung von Geld — ›Entwertung gesetzlicher Zahlungsmittel‹ wie wir das nennen — kein sehr schlimmes Vergehen ist im Vergleich zu anderen Dingen, mit denen er sich auseinander setzen muss. Trotzdem muss er, wenn er dazu aufgefordert wird, sich irgendwie rühren und irgendeinen Bericht einschicken. Und dann kann das alles … äh … abgelegt und vergessen werden, stimmt’s?« «Ja«, stimmte ich erleichtert zu.»Ja, so ist es wohl.« Ich wurde hinausbegleitet, und damit schien die Sache abgeschlossen. Doch ich hatte meine Lektion gelernt und hielt zu dem Thema anderen Leuten gegenüber den Mund.

Der Kontakt zu Louise war mir danach ziemlich verleidet, und eine Zeit lang ging ich ihr aus dem Weg. Ich erfand Ausreden und ging nicht zum Essen zu ihr hinüber, konnte aber weiter durchs Fenster sehen, wie sie an ihrem Kassiertischchen saß, und auch Adelbert sah ich, der von seiner Tür aus gierig zu ihr hinüberspähte.

Ein, zwei Monate lang ging alles ruhig seinen Gang.

Dann erfuhr ich, dass Violettas Jüngling vom Restaurantgewerbe genug und oben im Norden eine Arbeit angenommen hatte. Dem Mädchen hatte er die Chance geboten, zu heiraten und mitzugehen, und sie waren weggegangen, ohne sich richtig zu verabschieden. Es tat mir Leid für Louise, dass sie so allein gelassen wurde, also musste ich hingehen und sie besuchen.

Sie kam damit recht gut zurecht — eigentlich hatte sie ziemlich Glück, denn sie hatte fast umgehend einen neuen Kellner gefunden, und ihre erste Küchenhilfe hatte ihr die Stange gehalten, so dass sie es sehr gut schafften.

Allerdings war Louise sehr einsam, und so gewöhnte ich mir bald wieder an, einmal die Woche bei ihr zu essen. Ich bezahlte natürlich dafür, doch sie gesellte sich zu mir, und wir aßen gemeinsam.

Ich vermied es ihr gegenüber, das Gespräch auf Adelbert zu bringen, doch eines Tages kurz vor dem Quartalstag im Sommer brachte sie ihn zur Sprache und fragte mich ganz direkt, ob ich mich denn an mein Versprechen erinnerte, am nächsten Zahltag als Zeugin zu fungieren. Da Violetta fort war, hatte sie mich Adelbert gegenüber erwähnt, und er hatte sich erfreut gezeigt.

Nun konnte ich mich nicht davor drücken, ohne sie zu verletzen, und weil anscheinend nichts dagegen sprach, willigte ich ein. Ich gebe zu, dass ich neugierig war: Es war eine Liebesaffäre ohne — jedenfalls soweit ich sehen konnte — eine Spur von Liebe.

Der Zeitpunkt für die Zahlung wurde auf eine halbe Stunde nach Geschäftsschluss am Johannistag festgesetzt, und als ich die Straße hinunter an die Ecke huschte, waren die Jalousien des Coq au Vin heruntergelassen und die Tür geschlossen. Der neue Kellner schnappte auf der Kellertreppe ein bisschen Luft und ließ mich durch die Küchenräume herein. Ich lief die dunkle Dienstbotentreppe hoch und sah die beiden schon am Tisch sitzen und auf mich warten.

Bis auf eine einzelne abgeschirmte Glühbirne über dem Tisch in der Wandnische, wo sie saßen, war die Gaststube völlig dunkel, und ich musterte die beiden eingehend, während ich den Raum durchquerte. Sie bildeten ein ungewöhnliches Paar.

Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal eins von diesen fetten chinesischen Götzenfigürchen gesehen haben, die sich manche Leute als Glücksbringer auf den Kaminsims stellen? Eigentlich sollten sie alle lachen, aber manche tun nur so, und die Furchen in ihren Porzellangesichtern sind vor lauter Senkrechtfalten steif und unerbittlich. An so ein Figürchen erinnerte mich Adelbert. Zur Arbeit trug er immer eine schwarze, ganz dünne und sehr locker sitzende Smokingjacke. Wenn er sie auszog, überlegte ich, hing sie wahrscheinlich wie eine Abendrobe am Bügel. In dieses Ding gehüllt, saß er vor der weißen Wandverkleidung, eine gedrungene und schwabbelige Gestalt.

Louise war in ihrem schwarzen Kleid und der knappen Strickjacke dagegen dürr und hart wie ein verdorrter Ast.

Für einen kurzen Augenblick durchfuhr mich der Gedanke: Wie wütend muss sie ihn machen! Nichts an ihr wirkte nachgiebig oder verhuscht. Sie gab nicht mehr als das, wozu sie gezwungen war — keinen Zollbreit mehr.

Noch nie war mir solche Unbeugsamkeit begegnet. Sie bot ihm die ganze Zeit über tapfer die Stirn.

Auf dem Tisch stand eine Flasche Dubonnet, und jeder hatte ein kleines Glas vor sich. Als ich erschien, schenkte Louise mir ebenfalls ein.

Die gesamte Vorstellung war sehr förmlich. Obwohl beide ihr ganzes Leben in London verbracht hatten, war das französische Blut in ihren Adern unverkennbar. Sie schüttelten mir beide die Hand, und Adelbert schob den Stuhl für mich hervor, ohne sich dazu recht zu erheben.

Louise hatte den großen Geldumschlag in ihrer schwarzen Handtasche, die sie wie ein Haustier in den Armen wiegte, und sobald ich an meinem Glas genippt hatte, zog sie ihn hervor und schob ihn dem Mann quer über den Tisch hinweg zu.

«Fünfhundert«, sagte sie.»Die Quittung ist drin, schon ausgestellt. Wenn Sie bitte unterschreiben möchten.« Jedes Wort saß, verstehen Sie, und doch war die Luft zum Schneiden dick. Sie hasste ihn, und er bekam, was ihm zustand, und sonst nichts.

Er musterte sie eine Zeit lang unverwandt mit ausdruckslosem Blick. Er schien auf etwas zu warten — auf eine bloße Andeutung von Bedauern oder Abneigung vermutlich. Als er nichts dergleichen bekam, nahm er den Umschlag zwischen seine Wurstfinger und öffnete ihn mit dem Daumen. Die fünf neuen, steifen grünen Bündel fielen heraus auf das weiße Tischtuch. Ich betrachtete sie interessiert, wie man es bei Geld immer tut. Es war natürlich kein Vermögen, doch für Leute wie Louise und mich, die sich jeden Penny mühsam verdienen müssen, war es eine Stange Geld, die viele Stunden Plackerei, genaues Planen und Einteilen und Entbehrung bedeuteten.

Die Art, wie die Finger des Mannes darüberstrichen, war mir zuwider, und jenes geheime Fünkchen Mitgefühl, das ich kurzzeitig für ihn empfunden hatte, verlosch schlagartig. Mir wurde plötzlich klar, wenn er seinen Willen bekommen und sie geheiratet hätte, damals, als sie fast noch ein Kind gewesen war, hätte er sie sicher abscheulich behandelt. Er war ein grausames Ungeheuer, so war er eben.

Ich warf einen Blick zu Louise hinüber und stellte fest, dass sie keine Miene verzog. Sie saß einfach da, mit gefalteten Händen, und wartete auf ihre Quittung.

Adelbert begann das Geld zu zählen. Ich habe es immer bewundert, wie Kassierer auf der Bank mit Geldscheinen umgehen, doch die Art, in der Adelbert vorging, war schon erstaunlich. Er behandelte die Scheine wie ein Spieler ein Deck Spielkarten behandelt — als wenn jede einzelne Note lebte und Teil seiner Hand wäre. Er liebte das Zeug, das konnte man sehen.

«Alles korrekt«, sagte er schließlich und steckte die Bündel in die Innentasche seines Jacketts. Dann unterschrieb er die Quittung und reichte sie ihr. Louise nahm sie und steckte sie in ihre Handtasche. Ich vermutete, damit wäre es vorbei, und fragte mich, was das ganze Theater sollte. Ich erhob mein Glas auf Louise, die es zur Kenntnis nahm, und wollte gerade aufstehen, als Adelbert mich aufhielt.

«Warten Sie«, sagte er.»Wir müssen noch eine Zigarette rauchen und vielleicht noch ein Gläschen — falls Louise es erübrigen kann.« Er lächelte, sie jedoch nicht. Sie schenkte ihm noch einmal ein und wartete gleichmütig ab, dass er austrank.

Er hatte es nicht eilig. Gleich darauf holte er das Geld wieder hervor und legte seine fette Hand darauf, während er sein Zigarettenetui herumreichte. Ich nahm mir eine Zigarette, Louise nicht. Auf dem Tisch stand einer von diesen metallenen Streichholzhaltern. Er beugte sich vor.

Ich rückte ebenfalls hin, in der Erwartung, dass er mir Feuer gab, doch er lachte nur und zog die Hand zurück.

«Das hier gibt ihr einen besseren Geschmack«, sagte er, und nachdem er einen Schein vom obersten Geldbündel geblättert hatte, entzündete er ihn und hielt mir die Flamme hin. Ich hatte schon mit so etwas gerechnet und ließ mir meine Überraschung nicht anmerken. Wenn Louise ein Pokergesicht machen konnte, konnte ich es auch. Ich sah zu, wie der Geldschein verbrannte, dann nahm er einen zweiten und steckte ihn ebenfalls an.

Da es ihm nicht gelungen war, uns eine Regung zu entlocken, begann er zu reden. Er sprach ganz normal über das Restaurantgewerbe — wie schwer die Zeiten seien und wie viel Arbeit es bedeutete, morgens in aller Frühe aufzustehen, um mit dem Küchenchef auf den Markt zu gehen, und dass die Gäste einen abends gern aufhielten, redeten und herumtrödelten, als wäre morgen nicht auch noch ein Tag. All das war an Louise gerichtet, er ritt darauf herum, wollte sie mit der Nase darauf stoßen, was er da tat. Doch sie blieb vollkommen ungerührt, ihre Augen waren wie Blei, der Mund hart.

Als das nichts fruchtete, wurde er persönlicher. Er sagte, er erinnere sich daran, wie wir beide noch Mädchen waren und wie Arbeit und Sorgen uns doch verändert hätten. Ich ärgerte mich, ließ mich aber nicht allzu sehr aus der Fassung bringen, denn es stellte sich schon bald heraus, dass er sich überhaupt nicht an mich erinnerte. Bei Louise war es anders: An sie erinnerte er sich — in allen Einzelheiten — und noch mehr dazu.

«Dein Haar war wie Gold«, sagte er,»und deine Augen waren blau wie Glas, und du hattest ein weiches, breites Mündchen, so ein fröhliches Mündchen. Wo ist das jetzt, he?«Er klopfte mit der flachen Hand auf das Geld, der alte Rohling.»Alles hier, Louise. Ich bin nämlich Psychologe. Ich sehe so was. Und was bedeutet es mir?

Nichts. Absolut gar nichts.« Ich fand ihn widerlich. Wie gebannt starrte ich ihn an und sah, wie er plötzlich einen ganzen Packen Geldscheine nahm und aufschüttelte, bis es aussah wie ein Kopf Salat. Louise zuckte mit keiner Wimper und sagte kein Wort. Sie sah ihn bloß an, als wäre er nichts, ein Wildfremder auf der Straße. Ein absoluter Niemand. Weil ich den Kopf zu ihr hinübergewandt hatte, sah ich nicht, dass er wieder ein Streichholz angezündet hatte — und so reagierte ich, als er die neuen, frischen Scheine anzündete, vollkommen überrascht.

«Vorsicht!«, sagte ich unwillkürlich.»Passen Sie auf, was Sie da tun!« Er lachte wie ein ungezogenes Kind, triumphierend und verzückt.»Und was ist mit dir, Louise? Was sagst du dazu?« Sie wirkte immer noch gelangweilt. Sie starrten einander direkt an, während das Geld vor sich hin loderte.

Die ganze Sache hatte mit mir nicht das Geringste zu tun; vielleicht war deshalb ich diejenige, die die Beherrschung verlor.

Jedenfalls schlug ich ihm das Bargeld aus der Hand.

Eine rasche Bewegung, und sämtliche hundert Scheine entglitten seinem Griff und flogen in alle Richtungen — auf den Fußboden, den Tisch, überallhin. Der ganze Raum war erleuchtet von lodernden Banknoten.

Er jagte ihnen wie besessen hinterher — man hätte nicht gedacht, dass ein so fetter Mensch sich so schnell bewegen konnte.

Der Schein, der meinem Strumpf eine Laufmasche verpasste, war schließlich verräterisch. Ein Funke verbrannte das Nylon, und als ich es spürte, sah ich hinunter, griff nach dem verkohlten Schein und hielt ihn ans Licht. Wir alle entdeckten den Fehler darin gleichzeitig. Die Druckerschwärze war verlaufen, und mittendurch zog sich, wie die Maserung in einer Marmorplatte, ein breiter Streifen.

Es blieb lange still, dann kam das erste Geräusch nicht von uns, sondern von der Lieferantentür her. Sie ging auf, und der neue Kellner — der jetzt, wo er seinen Rock gegen einen mit Polizeiabzeichen ausgetauscht hatte, ziemlich anders aussah — kam durch den Raum zu uns her, gefolgt von Inspector Cumberland.

Sie traten auf Adelbert zu, und der jüngere, schwergewichtigere Mann legte ihm eine Hand auf die Schulter. Cumberland beachtete außer dem Geld gar nichts. Er trat die schwelenden Flammen aus und sammelte die Überreste sowie die vier intakten Geldbündel auf dem Tisch ein. Dann lächelte er knapp.

«Jetzt haben wir dich, Adelbert. Mit dem Geld. Wir haben uns schon gefragt, wer hier wohl Blüten in Umlauf bringt, und als uns zu Ohren kam, dass jemand Bargeld verbrennt, dachten wir uns, das schauen wir uns mal an.« Ich verstand immer noch nicht ganz und hielt ihm den Schein hin, auf den wir alle wie gebannt gestarrt hatten.

«Mit dem da stimmt was nicht«, sagte ich etwas stupide.

Er nahm ihn mir ab und brummte unwillig.

«Mit denen allen stimmt was nicht, meine Liebe. Miss Frosnés Geld liegt wohlbehalten in seiner Tasche, da, wo Sie es ihn hinstecken sahen. Das hier sind ein paar fehlerhafte Exemplare der Fälscherbande. Jeder, der Falschgeld herstellt, hat solche — in der Regel verlassen sie den Druckraum gar nicht. Das Ding hier ist ein besonderer Schocker. Dass er den riskiert hat, und sei es nur zum Verbrennen, wundert mich. Wolltest ihn nicht vergeuden, was, Adelbert? Bist ja ein ganz sparsames Bürschchen.« «Wie haben Sie es herausgefunden?«, Louise wandte den Blick von ihnen ab und musterte mich.

Cumberland kam mir zu Hilfe.

«Auch ein Polizist, Madam«, sagte er lachend,»kann Psychologe sein.«

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