Dzo-Lins Festung. Hundertfünfzig Meilen nördlich von Paiyünopa, spät in der gleichen Nacht

Hinterher war es ihm selbst wie ein Wunder vorgekommen — aber Indiana hatte es tatsächlich fertiggebracht, fast den ganzen Tag zu schlafen; was zum einen sicherlich daran lag, daß sein Körper nach dem Vier-Tage-Marsch quer durch halb China nachhaltig auf sein Recht auf Ruhe pochte.

Nur ein einziges Mal war er geweckt worden; am späten Nachmittag, als Lobsang ihn behutsam an der Schulter rüttelte und dann in leicht verlegenem Tonfall um seine Hilfe bat.

Nach allem, was er bereits erlebt hatte, fragte sich Indiana nur, wobei um alles in der Welt er dem kleinwüchsigen Tibeter wohl helfen konnte.

Die Antwort war einfach. Es war nicht Lobsang, sondern Tsangpo, der seine Hilfe dringend brauchte. Der Tibeter hatte sich nämlich derartig in die Schnüre seines Fallschirmes verstrickt, daß sein Anblick Indiana an den einer Fliege erinnerte, die im Netz einer Spinne zappelte. Selbst zusammen mit Lobsang brauchte Indiana eine halbe Stunde, um den Lama-Priester aus seiner unglücklichen Lage zu befreien. Lobsang war deutlich verlegen, aber Indiana verzichtete darauf, irgendeinen Kommentar abzugeben. Allerdings dachte er sich seinen Teil — entweder hatten die beiden Tibeter Moto gegenüber den Mund zu voll genommen, oder Tsangpo war der ungeschickteste Mensch, dem er jemals begegnet war.

Als sie den Tibeter endlich befreit hatten, stellte er sich derart ungeschickt dabei an, seinen Fallschirm wieder zusammenzulegen, daß Indiana es schließlich aufgab und Tsangpo seinen eigenen Rucksack überließ. Er selbst trug das Chaos aus Seide und hoffnungslos verknoteten Stricken zu Hondo zurück und ließ sich unter dem schallenden Gelächter der Japaner einen neuen Fallschirm aushändigen.

Zwei Stunden nach Mitternacht hatte Moto Indiana geweckt, um ihn mit den restlichen Mitgliedern des Überfallkommandos bekanntzumachen. Abgesehen von Moto selbst sowie Major Hondo, der sich durch nichts auf der Welt davon hatte abbringen lassen, an dem Kommandoeinsatz gegen Dzo-Lin persönlich teilzunehmen, bestand ihr Trupp aus sechs weiteren Männern.

Sie trugen keine Uniformen, sondern waren in der Art der berüchtigten japanischen Ninjas gekleidet: in eng anliegende schwarze Anzüge, zu denen gleichfarbige Masken und Handschuhe gehörten. Sie waren mit meterlangen Schwertern und Maschinenpistolen bewaffnet, die sie auf den Rücken trugen, und an ihren Gürteln hing ein Sammelsurium zusätzlicher Waffen und Ausrüstungsgegenstände. Auch Moto und Hondo waren auf ähnliche Art gekleidet, und Indiana befürchtete schon, daß Moto von ihm verlangen würde, sich ebenfalls in den schwarzen Anzug zu hüllen. Zu seiner Erleichterung verlangte er jedoch nichts derartiges, sondern händigte ihm wortlos eine Reisetasche aus, in der sich Indianas eigene Kleider befanden — seine vertraute Lederjacke, der Filzhut, der zusammen mit ihm schon um die ganze Welt gereist und zu einer Art Markenzeichen geworden war, und sogar seine Peitsche. Ohne eine entsprechende Aufforderung abzuwarten, zog er sich um.

Nicht nur in Motos Augen erschien ein verblüffter Ausdruck, als Indiana wenige Augenblicke später zurückkehrte. Es war nicht nur seine Kleidung, die sich geändert hatte. Zu seiner Erleichterung ging keiner der Anwesenden auf den sonderbaren Wandel ein, der sich mit dem schweigsamen Ordensbruder vollzogen hatte. Sie besprachen noch einmal ihr Vorgehen und ihren Plan, dann betraten sie das wartende Flugzeug und hoben in westlicher Richtung ab.

Das war vor drei Stunden gewesen. Jetzt näherten sie sich ihrem Ziel. In einer weiteren Stunde würde die Sonne aufgehen, und wiederum zwei Stunden später, so hatte ihm Moto erklärt, würde ein halbes Dutzend von Hondos Jagdbombern das Felsenkloster bis auf die andere Seite des Himalaja sprengen, wenn es ihnen bis dahin nicht gelang, die Truppen des Rebellengenerals zur Aufgabe zu überreden; ganz egal, ob Indiana und die anderen sich dann noch darin befanden oder nicht.

Indiana glaubte ihm. Rücksicht hatte noch nie zu den hervorstechenden Charakterzügen japanischer Soldaten gehört.

Aber darüber machte er sich im Augenblick eigentlich gar keine Sorgen. Viel bekümmerter stimmte ihn der Anblick der Landschaft, über die sie flogen. Soweit er etwas davon sehen konnte, hieß das.

Die Maschine hatte während der letzten halben Stunde beständig an Höhe verloren, das Brummen der Motoren war leiser geworden. Unter ihnen war die meiste Zeit nichts als Schwärze, aber manchmal erblickte Indiana doch die scharfkantigen Umrisse und Schatten der Berge, über die sie hinwegflogen; unangenehm niedrig hinwegflogen, wie er fand. Und abgesehen davon, daß er nicht einmal sicher war, ob ihre Flughöhe für einen Absprung mit dem Fallschirm überhaupt ausreichte, war es der schiere Wahnsinn, über diesen Bergen abspringen zu wollen. Zwischen den rasiermesserscharfen Graten klafften bodenlose Schluchten und Felsspalten, so daß er den Eindruck hatte, über ein Gewirr aus steinernen Speeren und Pfeilspitzen und bodenlosen Fallgruben dahinzugleiten.

«Sind Sie soweit, Dr. Jones?«

Indiana wandte sich von der offenstehenden Tür der Transportmaschine ab und sah in Motos Gesicht. Wie sie alle hatte der Samurai bereits seinen Fallschirm angelegt und eine lederne Fliegerkappe über sein schwarzes Ninja-Kopftuch gezogen. Auch Indiana hatte seinen geliebten Filzhut sicher unter der Jacke verstaut und gegen eine solche Kappe getauscht, und von seinem Rücken hing ebenfalls ein FallschirmRucksack. Er antwortete nicht, und Moto schien sein Zögern als Zeichen von Angst auszulegen — womit er nicht einmal so unrecht hatte.

«Sie können noch zurück, Jones«, sagte er.»Das wird eine verdammt haarige Sache. Selbst wenn wir alle in einem Stück und heil herunterkommen, haben wir noch eine gute Stunde Fußmarsch vor uns.«

Indiana wußte das. Moto hatte ihm überflüssigerweise erklärt, daß sie natürlich nicht unmittelbar über dem Kloster abspringen konnten, sondern einen gewissen Sicherheitsabstand wahren mußten. Wenn Dzo-Lins Männer das Flugzeug hörten oder gar ihre Fallschirme sahen, dann waren sie wahrscheinlich tot, noch bevor sie den Boden erreichten.

Moto seufzte.»Sie trauen mir immer noch nicht, Jones«, sagte er, als Indiana ihm auch jetzt eine Antwort schuldig blieb.

Er zuckte mit den Schultern und versuchte zu lächeln.»Ich nehme Ihnen das nicht übel. Wäre es umgekehrt, würde ich wahrscheinlich genauso empfinden. Trotzdem sollten Sie überlegen, ob Sie wirklich Ihr Leben aufs Spiel setzen wollen — und vor allem das Ihrer beiden neuen Freunde. «Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die beiden Tibeter, die in ein Gebet versunken auf der anderen Seite der Transportmaschine hockten. Zwischen den waffenstarrenden Gestalten der schwarzgekleideten Ninjas wirkten sie unendlich klein und verloren.

Und in diesem Punkt gab Indiana Moto sogar recht. Selbst ohne Tsangpos Entfesselungskunststück vom Nachmittag hätte er seine Zweifel gehabt, daß den beiden Tibetern ein solches Unternehmen glückte.

Aber er sprach seine Zweifel nicht aus.»Ich war noch nie für halbe Sachen«, sagte er.

Moto runzelte ärgerlich die Stirn, gab es aber auf, Indiana von der Teilnahme an dem Angriff abhalten zu wollen. Mit einem plötzlichen Ruck wandte er den Kopf, rief einen knappen Befehl, und mit Ausnahme Lobsangs und Tsangpos erhoben sich sämtliche Passagiere des Flugzeugs von ihren Sitzen. Das Geräusch der beiden Propeller wurde noch leiser, und Indiana konnte spüren, wie die Maschine weiter an Höhe verlor.

«Wir sind da, Dr. Jones«, sagte Moto spöttisch.»Folgen Sie mir. «Damit machte er fast gemächlich einen Schritt an Indiana vorbei aus der Tür — und war verschwunden.

Indiana zögerte noch eine letzte Sekunde, dann warf er alle seine Bedenken über Bord und sprang mit einem Satz hinter dem Samurai her.

Der Wind traf ihn wie ein Faustschlag, als er aus der Maschine sprang. Indiana schrie erschrocken auf, überschlug sich vier, fünfmal hintereinander in der Luft und fand mehr durch Zufall als Können in eine einigermaßen stabile Lage zurück.

Über sich sah er den Schatten des Flugzeuges, der sich erschreckend schnell entfernte, dann die winzigen Umrisse der anderen, die seinem Absprung folgten. Im selben Augenblick griff er nach der metallenen Öse an seiner Brust und riß daran.

Der Schirm entfaltete sich mit einem Ruck, der Indy wieder zwanzig oder dreißig Meter in die Höhe zu reißen schien. Für einen Moment drohte er in Panik zu geraten. Er strampelte wild mit den Beinen, begann sich am Ende des Fallschirmes im Kreis zu drehen. Verzweifelt versuchte er sich in Erinnerung zu rufen, was er tun mußte, um den Fallschirm auf seinem Weg zur Erde zu steuern. Es war zwar tatsächlich nicht sein erster Absprung, aber es war doch ein Unterschied, so etwas zum reinen Vergnügen und an einem sonnigen Sommertag über ebenem Gelände zu tun oder sich in einer Situation wie jetzt zu befinden.

Irgendwie gelang es ihm, so an den Leinen und Stricken über sich zu ziehen, daß er zumindest nicht noch weiter von den anderen weggetrieben wurde. Unter sich konnte er Motos Schirm erkennen, neben und über sich die der anderen.

Einer fehlte.

Über ihm waren nur sechs Schirme.

Beunruhigt zerrte Indiana an seinen Leinen, so daß er sich am Ende des Fallschirmes einmal um seine Achse drehte, und zählte die Fallschirme noch einmal. Vier, sechs, sieben … Seinen eigenen mitgezählt — acht. Aber es hätten neun sein müssen. Einer der Männer mußte soweit abgetrieben worden sein, daß er in der Nacht verschwunden war- oder sein Schirm hatte sich nicht geöffnet.

Indiana wußte nicht, welche Möglichkeit die schlimmere war; aber wenn er an gute oder schlechte Omen geglaubt hätte, dann hätte er wohl spätestens in diesem Moment damit begonnen, ernsthaft darüber nachzudenken, ob es nicht besser gewesen wäre, auf Motos Rat zu hören.

Der weiße Ball von Motos Schirm unter ihm bekam plötzlich Beulen und wurde zu einem formlosen Etwas, und Indiana hatte gerade noch Zeit, die Beine an den Körper zu ziehen, als der felsige Boden auch schon aus der Nacht hinaus auf ihn zusprang.

Der Aufprall war fürchterlich. Er versuchte sich abzurollen, wie er es gelernt hatte, verlor aber fast sofort die Balance und schlug der Länge nach hin. Ein scharfkantiges Stück Fels traf ihn wie eine Faust in die Rippen und ließ ihn hilflos nach Luft schnappen, dann senkte sich sein eigener Fallschirm wie eine Decke über ihn und nahm ihm die Sicht.

Indiana brauchte fast fünf Minuten, um sich aus dem Gewirr von Seide und Schnüren zu befreien. Und am Schluß gelang es ihm nur, weil er etwas tat, das bei einem normalen Fallschirmspringer vermutlich direkt hinter Gotteslästerung rangierte: Er zog sein Messer und schnitt die zähen Nylonschnüre einfach durch. Auf die gleiche Weise arbeitete er sich unter dem Schirm heraus.

Der erste, auf den er traf, war Moto. Auch der Japaner hatte sich nicht die Mühe gemacht, seinen Fallschirm zusammenzufalten, sondern ihn nur nachlässig in eine Felsspalte geschoben.

Er stand auf einem meterhohen Felsbrocken, sah sich konzentriert um — und fuhr leicht zusammen, als er Indiana erblickte.

«Dr. Jones!«

Indiana blieb stehen, nahm die Fliegerkappe ab und ersetzte sie durch seinen Hut, den er unter der Jacke hervorklaubte. Erst dann antwortete er.»Heil und unverletzt, Moto. Sie sehen, Ihre Sorge war überflüssig.«

Moto sprang von seinem Felsen herunter, und als er näher kam, konnte Indiana sein Gesicht erkennen. Er sah nicht so aus, als wäre er besonders glücklich darüber, Indiana zu erblicken.

«Wo sind die anderen?«fragte Indiana.»Sind alle heil heruntergekommen?«

«Ich bin nicht sicher«, antwortete Moto. Dann deutete er auf einen Punkt hinter Indiana.»Da ist Hondo.«

Sie gingen zu dem Major hinüber, zu dem sich mittlerweile zwei der Ninja-Soldaten gesellt hatten.

Es vergingen nur einige Minuten, bis auch die beiden anderen Ninjas sich zu ihnen gesellten; wenige Sekunden später tauchte eine weitere Gestalt aus der Nacht auf. Es war einer der beiden Tibeter. Indiana konnte sein Gesicht nicht erkennen, aber sein kahlgeschorener Kopf schimmerte im blassen Licht der Sterne.

Etwas an seinen Bewegungen stimmte nicht. Er schlurfte mit weit nach vorn gebeugten Schultern und sehr langsam dahin, als koste ihn jeder Meter große Mühe, und seine Schritte wurden von einem raschelnden, unheimlichen Geräusch begleitet.

Dann sah Indiana, warum das so war, im gleichen Moment, in dem er erkannte, daß es Lobsang war, der da auf sie zukam. Er trug noch immer den Rucksack auf dem Rücken, in dem sich der Fallschirm befunden hatte. Und er bewegte sich so mühsam, weil er den kompletten Fallschirm hinter sich über die Felsen herzog.

Moto eilte auf den Tibeter zu und zog dabei sein Schwert. Mit einem einzigen Hieb kappte er die Taue, riß Lobsang unsanft an den Schultern herum und bedachte ihn mit einem Schwall unverständlicher, aber nicht sehr freundlich klingender Worte.

Auch Indiana eilte dem Tibeter entgegen.»Lobsang!«sagte er erleichtert.»Ich dachte schon, euch wäre etwas zugestoßen. Wo seid ihr …«

Plötzlich stockte er. Moto hatte ihn erschrocken angesehen, denn Hondo und die anderen waren ihnen nahe genug, um spätestens jetzt mitzubekommen, daß Indiana sich nicht an sein Schweigegelübde gebunden zu fühlen schien. Aber das war nicht der Grund für Indianas Erschrecken. Mit einem Mal fiel ihm der fehlende Schirm wieder ein. Moto und Hondo und er selbst waren hier, und auch die vier Ninjas hatten den Boden unbeschadet erreicht, und das bedeutete nichts anderes als …

«Tsangpo!«flüsterte er erschüttert.

«Sein Schirm öffnete sich nicht«, bestätigte Lobsang.

«Soll das heißen, er ist abgestürzt?«fragte Moto erschrocken.

«Nein«, antwortete Indiana gereizt.»Wahrscheinlich hat er die Arme ausgebreitet und ist wie ein Vögelchen zur Erde geflattert, Sie Narr!«

Moto wollte auffahren, aber Lobsang hob in einer beruhigenden Geste die Hand.»Ich bitte Euch, göttlicher Sohn«, sagte er.

«Das Schicksal hat es nun einmal so vorgesehen, daß nur einer von uns den Tempel des Dzo-Lin erreichen soll.«

«Verdammt, ich war gleich dagegen, daß die beiden mitkommen!«fuhr Moto unbeeindruckt fort.»Es ist ein Wunder, daß er noch am Leben ist. «Erregt starrte er Indiana an und deutete dabei auf Lobsang.

Aber Indiana hörte gar nicht hin. Die Nachricht von Tsangpos Tod erschütterte ihn, denn obwohl er den Tibeter vor kaum vierundzwanzig Stunden kennengelernt hatte, hatte er ihn gemocht.

Aber das war nicht alles. Sein Schirm hat sich nicht geöffnet, hatte Lobsang gesagt. Aber sein Schirm war nicht sein Schirm gewesen, sondern Indianas Fallschirm …

Voller Mitgefühl und ehrlich empfundener Trauer wandte er sich an Lobsang.»Wo ist er abgestürzt?«

Der Tibeter kam nicht dazu zu antworten, denn wieder mischte sich Moto mit einer herrischen Geste ein.»Wir haben keine Zeit für so etwas, Dr. Jones! Vor uns liegt ein langer Marsch, und Hondos Maschinen werden auf die Minute pünktlich sein. Wenn wir noch lange hier herumstehen, dann können Sie gleich ein Grab für uns alle schaufeln.«

Indiana verspürte einen Zorn, den er kaum noch beherrschen konnte. Und wieder waren es Lobsangs Augen, die ihn davon abhielten, irgend etwas Unbedachtes zu tun. Er schluckte alles, was er Moto in diesem Moment hatte sagen wollen, herunter, zwang sich zu einem Nicken und drehte sich mit einem Ruck herum.

Noch in der gleichen Minute marschierten sie los.

Ihr Pilot mußte den Orientierungssinn eines Maulwurfs gehabt haben, denn sie hatten kaum den nächsten Grat erklommen, als das Felsenkloster, in dem sich Dzo-Lins Rebellenarmee verschanzt hatte, unter ihnen lag. Statt einer guten Stunde Fußmarsch entfernt waren sie den Chinesen beinahe auf die Köpfe gesprungen …

Das Gefühl der Erleichterung, um eine Stunde lebensgefährliche Kletterei durch ein nächtliches Gebirge herumgekommen zu sein, wollte sich nicht so recht bei Indiana einstellen, denn vor seinem geistigen Auge erschienen plötzlich Bilder von chinesischen Rebellensoldaten, die Tontaubenschießen auf ihn und die anderen veranstalteten … Das Felsenkloster klebte wie ein Schwalbennest an einer fast senkrecht aufragenden Felswand, so daß sie von ihrer Position aus direkt auf den Giebel des geschwungenen Daches herabblicken konnten, und Indiana erschrak erneut, als ihm klar wurde, daß sie praktisch auf der Rückseite des Klosters vom Himmel gefallen waren. Wäre er auch nur eine halbe Minute später aus dem Flugzeug gesprungen, dann wäre er direkt im Innenhof gelandet — oder auf den Bajonetten der wartenden Chinesen!

Moto schien die Sache eindeutig von der praktischen Seite zu sehen. Er verlor kein Wort über die offensichtliche Unfähigkeit des Piloten, sondern zeigte sich sichtlich erfreut, fast eine Stunde Zeit gewonnen zu haben, ehe Hondos Flugzeuge kamen. Mit knappen Worten beschied er Indiana und Lobsang, in Deckung zu gehen und sich still zu verhalten, dann wandte er sich Hondo und seinen Ninja-Kriegern zu.

Indiana beobachtete ihn mit einem Gefühl, über dessen wahre Bedeutung er sich selbst nicht ganz im klaren war. Es fiel ihm immer schwerer, Moto weiter zu vertrauen. Sicher, er hatte sein Ehrenwort, und er wußte, daß ein Samurai eher Selbstmord begehen würde, ehe er ein gegebenes Versprechen brach. Und trotzdem …

Als er den Kopf wandte und in Lobsangs Gesicht sah, erblickte er einen Ernst darin, den er noch niemals auf den Zügen des Tibeters wahrgenommen hatte.

«Das mit Tsangpo tut mir sehr leid«, sagte er leise.

Lobsang sah ihn an und schwieg.

«Ich mache mir Vorwürfe«, fuhr Indiana fort.»Ich hätte nicht zulassen dürfen, daß er mitkommt. Spätestens gestern nachmittag, nachdem er sich fast mit seinem eigenen Fallschirm erdrosselt hätte, hätte ich wissen müssen, daß ihr gelogen habt.«

«Es war nicht deine Schuld«, antwortete Lobsang.»Du hättest nichts ändern können. Wir wußten, daß nur einer von uns das Kloster erreichen würde.«

«Das hätte ich doch!«widersprach Indiana heftig.»Ich — «Er stockte, sah Lobsang einen Herzschlag lang verstört an und murmelte:»Was soll das heißen, ihr wußtet es?«

«Unsere Vision zeigte uns, daß der Tod auch von uns seinen Anteil fordern würde«, antwortete Lobsang.

«Jetzt reicht es!«sagte Indiana grob.»Hör endlich auf mit diesem blödsinnigen Gequatsche von Visionen und Vorahnungen. Was zum Teufel soll das heißen?!«

Lobsang blickte ihn weiter sehr ruhig und mit einem fast verzeihenden Lächeln an. Er wußte wohl, daß Indianas grober Ton nur Ausdruck seines Schreckens war. Er schwieg.

«Der … Fallschirm«, murmelte Indiana.»Es war der Fallschirm, nicht wahr?«

«Wir haben nicht gelogen«, sagte Lobsang ernst.»Sowohl mein Bruder als auch ich beherrschen die Kunst des Fliegens ohne Flügel. Tsangpos Schirm war defekt.«

«Sabotiert, meinst du wohl«, knurrte Indiana. Sein Blick suchte Moto, dessen Gestalt sich in der Dunkelheit in nichts von denen der anderen unterschied, so daß er ihn nicht genau identifizieren konnte. Vielleicht war es gut so.

«Es war … mein Schirm«, murmelte er nach einer Weile.

«Es spielt keine Rolle, wessen — «, begann Lobsang, aber Indiana unterbrach ihn sofort und nur noch so mühsam beherrscht, daß seine eigene Stimme ihm wie die eines Fremden vorkam.

«Bitte hör’ mit diesem Unsinn auf, Lobsang«, sagte er müde.»Warum habt ihr das getan? Moto hat meinen Schirm manipulieren lassen, nicht wahr? Er wollte, daß ich abstürze.«

«Ja«, sagte Lobsang einfach.

«Aber warum habt ihr nichts gesagt?«murmelte Indiana.»Ich … hätte den Schirm doch nur auszutauschen brauchen. Warum habt ihr mich nicht gewarnt? Tsangpos Tod war völlig sinnlos!«

Er spürte Lobsangs Kopfschütteln, obwohl er den Tibeter nicht ansah.»Ein Leben mußte gegeben werden, um den Tempel zu erreichen«, sagte der Tibeter ernst.»Unsere Vision sagte uns nicht welches. Aber es war unsere Entscheidung, daß dein Leben im Moment wichtiger ist als das unsere.«

«Es hätte überhaupt kein Leben — «protestierte Indiana, aber diesmal unterbrach ihn Lobsang mit einer Autorität in der Stimme, der sich Indiana nicht widersetzen konnte.»Das Schicksal läßt sich nicht betrügen, Dr. Jones«, sagte er.»Ein Leben wurde verlangt, und eines wurde gegeben. Hätten wir dir gesagt, was mit dem Fallschirm war, so wäre etwas anderes passiert.«

Indiana widersprach nicht mehr. Er zitterte vor Zorn und Schmerz, und die bloße Vorstellung, daß der Tibeter sein Leben ganz bewußt weggeworfen hatte, nur weil er es in einer Vision so gesehen zu haben glaubte, trieb ihn fast in den Wahnsinn.

Aber er wußte auch zugleich, wie vollkommen sinnlos es gewesen wäre, weiter mit Lobsang darüber zu reden. Ihr Gespräch hatte den gleichen Punkt erreicht, an dem er auch bei seinen Unterhaltungen mit Moto schon mehrmals angelangt war. Es waren nicht einfach zwei unterschiedliche Meinungen, sondern zwei völlig verschiedene Denkweisen, die hier aufeinandertrafen.

«Moto also«, murmelte er schließlich.

«Er wird weiter versuchen, dich zu töten«, bestätigte Lobsang.»Er glaubt, dich nicht mehr zu brauchen.«

«Aber ich habe sein Ehrenwort«, sagte Indiana verständnislos. Beinahe verzweifelt sah er den kahlköpfigen Tibeter an.»Ich verstehe das nicht, Lobsang. Das Ehrenwort eines Samurai …«

Der Tibeter schüttelte sanft den Kopf.»Das hattest du nie, Dr. Jones«, sagte er.»Das Ehrenwort eines Samurai gilt mehr als sein Leben — wenn er es dem gibt, dem er die Treue geschworen hat. Lüge und Betrug gehören ebenso zu den Waffen der Krieger der Aufgehenden Sonne wie das Schwert und der Dolch.«

«Das heißt, er hatte niemals vor, sein Wort zu halten«, sagte Indiana düster.

«Er hat es dir nie wirklich gegeben«, sagte Lobsang.

«Aber warum sind wir dann hier?«fragte Indiana verständnislos.»Wozu dieses Theater? Er hätte mich einfach hinrichten lassen können.«

Der Tibeter atmete tief und hörbar ein.»Weil er nicht sicher ist«, sagte er.»Dzo-Lin ist ein kluger Mann. Wäre er es nicht, hätte er ihnen kaum so lange widerstehen können. Er braucht ihn lebendig. Und es ist nicht die Art eines Samurai, einen Gegner einfach hinrichten zu lassen, wenn er ihm statt dessen eine komplizierte Falle stellen kann.«

Die Rückkehr Motos hielt Indiana davon ab, Lobsang weitere Fragen zu stellen. Indiana zog seinen Hut ein wenig tiefer ins Gesicht. Er war nicht sicher, ob er sich selbst genug in der Gewalt hatte, sich nichts von seinen wirklichen Gefühlen anmerken zu lassen.

«Wir sind soweit«, sagte Moto knapp.»Unsere Position ist ziemlich günstig. Mit ein wenig Glück merken sie nicht einmal, daß wir kommen.«

Sie erhoben sich aus dem Schutz des Felsens und traten wieder in den eisigen Wind hinaus. Indiana schwindelte ein wenig, als er neben Moto an den Abgrund herantrat und sich behutsam vorbeugte. Das Kloster lag dreißig oder vierzig Meter unter ihnen. Hier und da brannte ein einzelnes Licht, aber er konnte in der Dunkelheit nicht die mindeste Bewegung auf dem Hof oder hinter den Fenstern ausmachen. Wenn Dzo-Lin sich dort unten tatsächlich mit einer ganzen Armee verschanzt hatte, dann waren seine Männer entweder bodenlos leichtsinnig — oder sie warteten bereits auf sie.

Er ersparte sich die Mühe, Moto seine Befürchtungen mitzuteilen. Er war ziemlich sicher, daß die Überlegungen der Japaner in die gleiche Richtung gingen.

Außerdem war es zu spät für solcherlei Bedenken. Motos Ninja-Soldaten hatten bereits ein Seil um einen vorspringenden Felsen gebunden und begannen lautlos und so geschickt wie riesige vierbeinige Spinnen an der Wand herabzuklettern.

Es dauerte nur Augenblicke, bis der erste von ihnen das Dach des Tempels erreichte und mit den Schatten zu verschmelzen schien.

Indiana wartete darauf, daß auch die beiden anderen Ninjas ihren Kameraden folgen würden, aber nichts dergleichen geschah. Eine Minute verging, eine zweite und schließlich eine dritte, dann erschien eine der schwarzgekleideten Gestalten wieder auf dem Dach und winkte kurz zu ihnen herauf.

«Also los«, sagte Moto mit einer auffordernden Geste in Indianas Richtung.

Indiana zögerte spürbar. Wenn Moto tatsächlich vorhatte, ihn umzubringen, dann war das jetzt vielleicht die beste Gelegenheit. Das Seil machte zwar einen stabilen Eindruck, aber er wußte auch, wie scharf das Schwert an Motos Seite war. Dann sagte er sich, daß Moto es sich gar nicht leisten konnte, ihn auf diese Weise loszuwerden. Außerdem war er mittlerweile davon überzeugt, daß Lobsangs Behauptung der Wahrheit entsprach: Moto würde versuchen, ihn zu beseitigen, aber nicht so. Entschlossen griff er nach dem Seil, tastete sich zentimeterweise über die Felskante nach unten und kletterte schneller, als seine Füße an dem rauhen Stein sicheren Halt fanden.

Schon nach einigen Augenblicken war er beinahe froh, daß es noch dunkel war. Der Wind zerrte so heftig an ihm, daß er mehr als einmal ernsthaft befürchtete, einfach von der Wand heruntergepustet zu werden, und obwohl er sich bisher immer für schwindelfrei gehalten hatte, glaubte er doch plötzlich den Sog der Tiefe zu spüren. Bis zum Dach des Tempels waren es zwar nur knappe dreißig Meter, aber dahinter fiel der Felsen um weitere drei- oder auch vierhundert Meter ebenso lotrecht in die Tiefe.

Endlich erreichte er das Dach. Mit angehaltenem Atem ließ er sich auf Hände und Knie herab, sah sich um und entdeckte die schattenhafte Gestalt eines der Ninjas direkt neben sich.

Obwohl er dem Mann beim Heruntersteigen beinahe auf die Zehen getreten sein mußte, hatte er ihn nicht einmal wahrgenommen.

Der Japaner gestikulierte heftig. Die Bedeutung seiner Gesten war klar: Indiana sollte ihm folgen. Das wiederum war gar nicht so einfach. Während sich der Japaner mit geradezu unverschämter Leichtigkeit über das Dach bewegte, so lautlos und geschickt, daß jede Katze vor Neid erblaßt wäre, kroch Indiana auf Händen und Knien hinter ihm her, darauf gefaßt, jede Sekunde seinen unsicheren Halt zu verlieren und kopfüber in den Tod zu stürzen.

Plötzlich war der Ninja verschwunden, und im nächsten Augenblick griffen Indianas tastende Hände ins Leere. Direkt vor ihm gähnte ein knapp metergroßes Loch im Dach. Die beiden Ninjas mußten es lautlos hineingebrochen haben, während Indiana am Seil herabgestiegen war.

Umständlich kletterte Indiana hinein, spürte, wie starke Hände aus der Dunkelheit heraus nach ihm griffen, und atmete zum ersten Mal, seit er den Felsen oben verlassen hatte, erleichtert auf.

Es dauerte lange, bis die anderen nachkamen — zuerst Moto und Hondo, dann die beiden anderen Ninjas und als letzter und mit einigem Abstand Lobsang. Indiana versuchte vergebens etwas von seiner Umgebung zu erkennen. Er war nach fünf Minuten noch ebenso blind wie nach den ersten zwei Sekunden, und als sie schließlich weitergingen, verstand er beim besten Willen nicht mehr, wie die beiden Ninjas, die die Führung übernommen hatten, ihren Weg in der völligen Finsternis fanden.

Ganz reibungslos schienen sie ihn trotzdem nicht zu finden — Indiana hörte mehrmals ein dumpfes Krachen, und einmal gelang es einem der Krieger nur mit Mühe, einen Schmerzlaut zu unterdrücken.

Nach einer Ewigkeit hörte er, wie ein Riegel zurückgeschoben wurde; durch eine Tür fiel fahles Licht. Die beiden Ninjas huschten lautlos hinaus. Erst als einer von ihnen zurückkam und ihnen mit Gesten zu verstehen gab, daß die Luft rein sei, gestattete es Moto ihnen, weiterzugehen.

Indiana atmete erleichtert auf, als er endlich wieder Licht sah. Vor ihnen erstreckte sich ein langer, sehr schmaler Korridor, der von einem metallenen Becken voller glühender Kohlen in rötliche Helligkeit getaucht wurde. Nicht der mindeste Laut war zu hören. Alles, was Indiana wahrnahm, war das Schlagen seines eigenen Herzens und das gedämpfte Heulen des Windes, der sich an den Mauern und Felsen draußen brach.

Irgend etwas stimmte hier nicht. Eine unnatürliche Stille herrschte in dem Gebäude, in dem sich angeblich Hunderte von Menschen verschanzt hatten.

Moto schien ähnliche Gedanken zu hegen, denn auch er sah eher besorgt als zufrieden aus, als er hinter Indiana durch die Tür trat und sich mit einem raschen Blick in beide Richtungen davon überzeugte, daß sie allein waren. Mit der rechten Hand machte er eine rasche, befehlende Geste. Zwei der Ninjas entfernten sich in entgegengesetzte Richtungen, und Moto gab Indiana und den anderen zu verstehen, daß sie stehenbleiben sollten.

Sie wagten es nicht zu sprechen, und Moto blickte Indiana sogar zornig an, als dieser nach einigen Augenblicken zur gegenüberliegenden Wand des Flures ging, wo er ein schmales Fenster entdeckt hatte. Aber er machte auch keinen Versuch, ihn zurückzuhalten.

Indiana beugte sich vorsichtig hinaus und spähte in die Tiefe.

Es herrschte immer noch schwärzeste Nacht, aber er konnte jetzt zumindest Schatten und Umrisse erkennen. Das Kloster lag einsam und so still unter ihnen, als wäre das Leben nicht nur daraus gewichen, sondern als hätte es hier niemals welches gegeben. Hier und da gewahrte er ein Licht, auf den Mauern gute zwanzig Meter unter sich glaubte er die Schemen von Männern zu erkennen, die dort reglos Wache standen, und trotzdem … wußte er es plötzlich.

Es war nicht nur zu still. Hier regte sich nichts! Die Posten dort unten auf den Mauern rührten sich nicht. Sie gingen nicht auf und ab, bewegten nicht die Hände oder stampften mit den Füßen auf, wie es Männer zu tun pflegten, die in einer so eisigen Nacht Wache standen. Nicht ein Schatten bewegte sich hinter Fenstern, nicht ein Licht flackerte oder erlosch.

Mit einem Ruck fuhr er zu Moto herum.»Das ist eine Falle!«sagte er.»Hier ist niemand!«

Moto starrte ihn an. Eine Sekunde lang schien er einfach nur wütend zu sein, daß Indiana so laut gesprochen hatte, dann war er mit einem einzigen Satz neben ihm, stieß ihn zur Seite und beugte sich ebenfalls aus dem Fenster.

«Verdammt!«stieß er hervor, als er sich wieder aufrichtete.

«Sie haben recht!«Er schrie Hondo etwas auf japanisch zu, wandte sich mit knappen, gebrüllten Befehlen und abgehackten Gesten an die beiden anderen Ninjas, die auf der Stelle herumfuhren und ihren Kameraden nachstürzten, und drehte sich dann wieder zu Indiana herum.

«Sie müssen gewußt haben, daß wir kommen!«sagte er haßerfüllt.»Wir sind verraten worden!«

«Das scheint mir auch so«, antwortete Indiana ernst.

Motos Blick bohrte sich in den seinen. Aber es dauerte einige Sekunden, bis Indiana überhaupt begriff, was das eisige Funkeln in den Augen des Japaners zu bedeuten hatte.

«Sie glauben doch nicht etwa, daß ich das war?«fragte er.

«Wer sonst?«gab Moto gefährlich leise zurück. Seine Hand legte sich auf den Griff des Schwertes an seinem Gürtel.»Keiner außer uns hier hat von diesem Plan gewußt. Ich selbst war es nicht. Und für Hondo und seine Männer lege ich beide Hände ins Feuer.«

«Sie sind ja verrückt!«antwortete Indiana.»Wann hätte ich das tun sollen? Ihre Soldaten haben mich keine Sekunde aus dem Auge gelassen. Und selbst wenn — was hätte ich davon gehabt?«

«Das weiß ich nicht«, antwortete Moto, ohne die Hand vom Schwertgriff zu nehmen. Indiana sah, daß er die Klinge ungefähr einen halben Zentimeter weit aus der Scheide herausgezogen hatte.»Vielleicht ein Geschäft mit Dzo-Lin, uns gegen Ihre Freundin auszutauschen?«

«Aber sicher«, antwortete Indiana sarkastisch.»Ich gebe zu, Sie haben mich ertappt. Ich habe gestern morgen eine Brieftaube losgeschickt, und gestern abend bei Sonnenuntergang kam sie mit Dzo-Lins Antwort zurück.«

«Ihr Humor ist unangebracht, Dr. Jones«, sagte Moto kalt, und Indiana spürte, daß Motos Zorn echt war. Es sah so aus, als ob ihn nur noch wenige Sekunden von einem jähen Ende trennten.

«Ich war es wirklich nicht«, sagte er noch einmal. Diesmal verbannte er sorgsam jeden Unterton von Sarkasmus oder Spott aus seiner Stimme.»Überlegen Sie doch selbst! Wie hätte ich das bewerkstelligen sollen? Ich habe das Lager nicht verlassen, und Ihre Soldaten haben dafür gesorgt, daß ich nicht einmal in die Nähe eines Funkgerätes gelangen konnte. Mal ganz davon abgesehen, daß ich nicht einmal gewußt hätte, wie ich mich mit diesem Dzo-Lin in Verbindung setzen sollte.«

Moto starrte ihn weiter wortlos an; und auf eine Art, die Indiana Angst machte. Er konnte direkt sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete.

Und dann drehte sich Moto plötzlich mit einem Ruck herum und funkelte Lobsang an.

«Machen Sie sich nicht lächerlich, Moto!«sagte Indiana.»Für ihn und Tsangpo gilt dasselbe. Außerdem hätten die beiden ja völlig verrückt sein müssen, wenn sie trotzdem mitgekommen wären. Für sie war es am gefährlichsten.

Denken Sie daran, was Tsangpo passiert ist.«

Moto wirkte immer noch nicht überzeugt. Aber in das mörderische Glitzern in seinen Augen hatte sich eine winzige Spur von Unsicherheit gemischt.

«Vielleicht ist es nur ein Zufall, daß sie den Tempel ausgerechnet heute Nacht verlassen haben!«fuhr Indiana fort.»Oder sie haben von Hondos geplantem Angriff erfahren und sind auf und davon!«

«Wir sind verraten worden!«beharrte Moto.

«Selbst wenn, dann von keinem von uns!«sagte Indiana.»Bitte, Moto — wer wäre so verrückt, in eine Falle zu gehen, die er selbst gestellt hat?«

Der Japaner war immer noch unentschlossen. Und was schließlich — wenigstens für den Moment — die Entscheidung brachte, das waren sehr viel weniger Indianas Worte, als schlicht und einfach die Tatsache, daß die Ninja-Soldaten zurückkamen und Motos Aufmerksamkeit beanspruchten.

«Sie hatten recht, Jones!«sagte er düster, nachdem er mit ihnen geredet hatte.»Das Kloster ist verlassen. Sie haben ein paar Vogelscheuchen in Uniformen gesteckt und auf den Mauern aufgestellt, damit es von weitem so aussieht, als wäre die Festung noch bemannt. «Er ballte zornig die Faust.»Wahrscheinlich ist hier alles vermint. Hondos Soldaten werden in eine Falle tappen, wenn sie kommen!«

«Nicht, wenn wir sie irgendwie warnen können«, sagte Indiana.»Wir haben genug Zeit.«

Motos Ausdruck nach zu urteilen, schien er nicht unbedingt der gleichen Meinung zu sein. Und auch Indiana war nicht sicher, ob sie wirklich früh genug hier herauskamen, um den Angriff zu stoppen. Der Weg zum Fuß des Berges hinab war lang — und mit Sicherheit kein Spaziergang.

«Außerdem sollten wir sowieso sehen, daß wir hier wegkommen«, fuhr er fort, als Moto nicht antwortete.»In zwei Stunden sind Hondos Flugzeuge hier.«

Das gab den Ausschlag. Angeführt von zwei der schwarzgekleideten Soldaten machten sie sich auf den Weg nach unten, während die beiden anderen die Nachhut bildeten und ihren Rücken deckten.

Trotz allem waren sie sehr vorsichtig. Das Kloster machte einen durch und durch verlassenen Eindruck, wenngleich es erst vor kurzer Zeit, noch dazu in großer Eile verlassen worden zu sein schien. Auf Tischen standen Teller mit nur halb gegessenen Mahlzeiten, sie fanden liegengelassene Kleider, Waffen und andere Dinge, die bei einem geordneten Rückzug aus der Felsenfestung wahrscheinlich nie zurückgelassen worden wären.

Als sie auf den Hof hinaustraten, blieb Indiana so abrupt stehen, daß der hinter ihm folgende Hondo gegen ihn prallte und einen Fluch ausstieß. Das Gefühl, in eine Falle zu tappen, wurde plötzlich so intensiv, daß er fast meinte, es anfassen zu können.

Mit klopfendem Herzen sah er sich um. Auch die beiden Ninjas waren stehengeblieben; ihre Haltung verriet Anspannung.

Hinter ihnen ragten die Klostermauern schwarz in einen sternenlosen Himmel. Indiana erschauerte. Obwohl sie ihrem Zeitplan ein gutes Stück voraus waren, konnte es nicht mehr sehr lange bis zum Anbruch der Dämmerung dauern. Trotzdem schien es dunkler als heller zu werden.

«Was ist das?«flüsterte Moto neben ihm, und Indiana begriff, daß er mit seiner Furcht nicht allein war. Selbst Lobsang schien ein kleines bißchen nervöser zu sein.

Der Samurai beantwortete seine eigene Frage mit einem Achselzucken und machte ein Zeichen, weiterzugehen.

Indiana atmete erleichtert auf, als sie durch das schmale Tor in der Klostermauer traten. Er hatte das Gefühl, von einer körperlichen Last befreit worden zu sein.

Allerdings hielt diese Erleichterung nicht besonders lange an, denn der Weg nach unten war keineswegs so schlimm, wie er geglaubt hatte.

Er war viel schlimmer.

Es war keine Straße; nicht einmal etwas, das auch nur die Bezeichnung Weg verdient hätte. Vor ihnen führte ein kaum handtuchbreiter, offensichtlich nachträglich in den Fels gehauener Pfad in einem solchen Winkel in die Tiefe, daß Indiana schon beim bloßen Hinsehen übel wurde. Überflüssig zu sagen, daß es so etwas wie ein Geländer nicht gab. Auf diesem Pfad bedeutete ein einziger Fehltritt den sicheren Tod.

Der vor ihm gehende Ninja zögerte denn auch, ihn zu betreten; allerdings aus anderen Gründen. Behutsam ließ er sich auf die Knie herabsinken, tastete mit den Fingerspitzen über den Boden und suchte die ersten drei Meter des Weges ab, ehe er sich aufrichtete und wieder zurückkam. Wortlos schüttelte er den Kopf. Dzo-Lin hatte offensichtlich darauf verzichtet, den Weg zu verminen.

Ein dumpfer Schlag erklang. Der Ninja keuchte, prallte mit hochgerissenen Armen gegen den Fels und drehte sich einmal um die eigene Achse, ehe er, einen Pfeil zwischen den Schulterblättern, lautlos über die Felskante kippte und in der Tiefe verschwand.

Indiana prallte zurück. Instinktiv duckte er sich, und den Bruchteil einer Sekunde danach zerbrach ein zweiter Pfeil klappernd über ihm an der Wand.

Jemand packte ihn an der Schulter und riß ihn grob zurück, so daß er das Gleichgewicht verlor; aber bevor er stürzte, sah er Bewegung in den Schatten am Ende des Weges. Etwas Dunkles, Großes flog an ihm vorbei und prallte hinter ihm auf den Boden.

Moto fluchte lautstark in seiner Muttersprache, dann zerriß das dunkle, abgehackte Rattern einer MP-Salve die Nacht. Jenseits des Tores spritzten Funken aus der Felswand, und ein gellender Schrei erscholl und wurde leiser, als der Getroffene in der Tiefe verschwand.

Indiana fühlte sich in die Höhe gerissen und so schnell zur Mauer zurückgezerrt, daß er mit verzweifelt rudernden Armen um sein Gleichgewicht kämpfen mußte. Jemand stieß ihn durch das Tor. Der überlebende Ninja gab einen zweiten, kurzen Feuerstoß ab, warf die Tür ins Schloß und legte gerade den Riegel vor, als sich etwas mit einem dumpfen Klatschen in die Tür bohrte, und plötzlich ragte die rasiermesserscharfe Spitze eines Speeres aus dem Holz, kaum einen Fingerbreit vor dem Gesicht des Soldaten.

Indiana rappelte sich umständlich hoch. Verwirrt sah er Moto an. Der Japaner sah zornig aus, aber auch deutlich betroffen.

«Dzo-Lin?«fragte Indiana.

Moto zuckte wortlos mit den Schultern. Er warf einen irritierten Blick auf die Speerspitze, die aus der Tür ragte, und Indiana konnte sich lebhaft vorstellen, was in ihm vorging. Der Angriff selbst hatte im Grunde niemanden überrascht. Aber Indiana konnte sich einfach nicht vorstellen, daß Dzo-Lins Soldaten mit Speeren und Pfeilen ausgerüstet waren.

Moto deutete auf die Treppe.»Nach oben! Wir verschwinden auf demselben Weg, auf dem wir gekommen sind! Schnell!«

Einer der Ninjas blieb auf Motos Befehl zurück, um die Tür weiter zu verbarrikadieren, die beiden anderen stürmten mit gezückten Schwertern vor ihnen die Treppe hinauf. Sie benötigten nur wenige Minuten, um das Dachgeschoß wieder zu erreichen. Diesmal mußten sie sich nicht im Dunkeln vorwärts tasten. Einer der Ninja-Soldaten entzündete eine Fackel und ging voran. Im flackernden Licht der Flammen erkannte Indiana, daß sie durch einen gewaltigen, vollkommen leeren Dachboden in den Tempel eingedrungen waren. Aber er sah auch, daß nur das letzte knappe Dutzend Schritte über festen Boden geführt hatte. Das Loch, das die Ninjas ins Pagodendach des Tempels gebrochen hatten, befand sich in schwindelerregender Höhe über ihnen, und der Weg hinauf führte über ein Gewirr von hölzernen Trägern und Stützbalken, bei deren bloßem Anblick Indiana schon schwindelig wurde. Sie waren in der Dunkelheit vorhin hinuntergestiegen, ohne daß er es auch nur gemerkt hatte.

Während sie sich den Weg in umgekehrter Richtung wieder hinaufarbeiteten, kam Indiana mehr und mehr zu der Auffassung, daß das vielleicht gar nicht so schlecht gewesen war.

Es begann zu dämmern, als sie wieder auf das Dach hinaufstiegen. Von Osten her begann sich der Himmel mit blassem Grau zu überziehen, und es herrschte jenes sonderbare Zwielicht, in dem das menschliche Auge weniger sah als in der Nacht. Noch immer war kein einziger Stern am Himmel zu entdecken.

Rasch eilten sie auf die andere Seite des Gebäudes, wo das Dach mit der Felswand zu verschmelzen schien. Einer der Soldaten griff nach dem Seil, begann rasch daran in die Höhe zu klettern — und fiel mit einem unterdrückten Schrei zurück, während dreißig Meter daumendickes Tau von oben auf ihn herabprasselten. Auch Indiana sprang hastig beiseite, hob aber wie alle anderen den Kopf, um zum Gipfel hinaufzusehen.

Vor dem dunklen Grau des Himmels zeichnete sich scharf der Schatten einer einzelnen Gestalt ab. Es war ein Mann. Obwohl er nur als Umriß zu erkennen war, konnte man sehen, daß er nicht sehr groß und von schlankem Wuchs war. Völlig reglos stand er da und blickte auf sie herab. In seiner rechten Hand schimmerte das Messer, mit dem er das Seil durchgeschnitten hatte.

«Dzo-Lin«, murmelte Moto haßerfüllt.»Das ist Dzo-Lin! Ich bin sicher!«

Als hätte die Gestalt dort oben auf dem Fels seine Worte verstanden, hob sie plötzlich den Arm, salutierte spöttisch und verschwand hinter dem Felsen.

«Dzo-Lin!«sagte Moto noch einmal.»Dieser raffinierte Fuchs! Wir sind ihm wie die — «

Ein greller Blitz schnitt den Rest seiner Worte ab. Indiana fuhr herum und sah Flammen über die Mauerkrone züngeln.

Gedämpfte Schreie drangen durch die Nacht zu ihnen.

«Was war das?«fragte Moto erschrocken.

«Sie haben es doch selbst gesagt«, antwortete Indiana.»Anscheinend haben Dzo-Lins Männer dort unten alles vermint. «Er zögerte eine Sekunde, ehe er hinzufügte:»Ich frage mich nur, warum.«

Moto sah ihn verwirrt an. Aber er schien zu begreifen, was Indiana meinte. Das Kloster war in eine Falle verwandelt worden — aber sie galt ganz offensichtlich nicht Hondos Soldaten.

Hondo und seine drei übriggebliebenen Ninja-Soldaten begannen aufgeregt miteinander zu debattieren. Indiana verstand natürlich kein Wort — aber er begriff sehr wohl die Bedeutung der hektischen Gesten des Majors.

«Das würde ich nicht tun«, sagte er.

Hondo fuhr herum und funkelte ihn an, und auch Moto blickte fragend.»Was?«

Indiana deutete auf die Felswand.»Ich glaube Ihnen gern, daß Ihre Leute dort hinaufsteigen können«, sagte er.»Aber Ihnen ist doch klar, daß Dzo-Lin dort oben auf sie wartet, oder?«

Moto überlegte einen Moment angestrengt. Sein Blick glitt über die Felswand, wanderte dann wieder über das Dach und dorthin, wo noch immer Flammenschein vom Hof herauf loderte.»Sie haben recht«, gestand er widerwillig.»Wir müssen …«Er brach ab und sah sich wild um, bis er Lobsang in einigen Schritten Entfernung entdeckte.»Gibt es hier einen Keller oder einen anderen sicheren Raum?«

«Auch ich war noch nie hier, göttlicher Sohn«, erinnerte Lobsang.

Moto wischte seine Worte mit einer ärgerlichen Bewegung zur Seite.»Du kennst diese Art von Tempeln«, fauchte er.»Haben sie einen Keller oder nicht?«

«Normalerweise nicht«, gestand Lobsang.

«Und hier schon gar nicht«, fügte Indiana gereizt hinzu.»Sie haben dieses Ding aus dem Fels herausgemeißelt, Moto! Was soll das alles?«

«In anderthalb Stunden sind Hondos Flugzeuge hier«, antwortete Moto.»Wollen Sie hier oben auf sie warten?«

«Vielleicht gibt es einen Weg«, sagte Lobsang. Moto und Indiana blickten ihn gleichermaßen fragend an, und der Tibeter fuhr in nachdenklichem Ton fort:»Dieses Kloster wurde offensichtlich als Zuflucht gebaut. Ich war noch nie hier, aber ich kenne Klöster wie dieses. Oft gab es einen geheimen Fluchtweg, sollten die Mauern zu brechen drohen oder eine Belagerung zu lange andauern.«

«Und du weißt, wo dieser Fluchtweg ist?«fragte Moto erregt.

«Nein. Aber wenn es ihn gibt, so kann ich ihn finden.«

«Worauf warten wir dann noch?«fragte Indiana.

Sie balancierten über das Dach zurück und durchquerten zum dritten Mal den gewaltigen Dachboden, um ins Innere des Gebäudes einzudringen. Indiana lief zur Treppe und lauschte einen Moment. Von unten drangen dröhnende Schläge in regelmäßiger Folge herauf. Noch hielt die Tür, was Indiana einigermaßen überraschte; sie hatten eine gute Viertelstunde gebraucht, um auf das Dach hinauf- und wieder hinunterzuge-langen. Aber er hatte auch selbst gesehen, wie massiv die Tür und der Riegel waren. Außerdem hatten die Angreifer im Moment wahrscheinlich anderes zu tun. Die Explosion hatte bewiesen, daß Dzo-Lins Männer mehr als ein paar ausgestopfte Uniformen zurückgelassen hatten.

Vor wem waren Dzo-Lins Soldaten geflohen? dachte Indiana.

Welcher Angreifer machte ihnen solche Angst, daß sie selbst ihre Kleider und Decken und einen Teil der Lebensmittelvorräte zurückgelassen hatten?

Sie arbeiteten sich durch zwei Stockwerke wieder ins Erdgeschoß des Tempels hinab. Als sie an der Tür in der großen Halle vorbeikamen, sah Indiana, daß sie bereits ein wenig schräg in den Angeln hing. Bei jedem Schlag rieselte Staub aus dem Mauerwerk, und auch der Riegel hatte bereits einen Riß, der ihn fast auf ganzer Länge durchzog. Noch ein paar Minuten, schätzte Indiana. Allerhöchstens.

Sie durchsuchten ein halbes Dutzend weiterer Räume, die allesamt klein und leer waren, bis Lobsang plötzlich stehenblieb und konzentriert auf ein schmales Wandgemälde blickte, das sich dicht unter der Decke des Raumes entlangzog. Für Indiana waren es nichts als Bilder des religiösen Lebens innerhalb des Klosters, wie sie überall hier zu sehen gewesen waren, aber für Lobsang schienen sie eine geheime Botschaft zu enthalten, denn er blickte eine ganze Weile darauf, ehe er sich mit einem Ruck wieder umwandte.

«Ich weiß jetzt, wo der Fluchtweg ist«, sagte er und deutete mit der Hand zur Decke hinauf.»Folgt mir — rasch!«

Als sie die Halle abermals durchquerten und sich der Treppe näherten, erbebte die Tür unter einem Schlag, der ihre rechte Hälfte vom Boden bis zur Decke spaltete. Noch wenige Augenblicke, dachte Indiana, und sie würden sehen, vor wem Dzo-Lins Soldaten in so panischer Hast geflohen waren.

Was das anging, irrte sich Indiana Jones. Er sah sie schon sehr viel eher …

Als sie das Ende der Treppe erreichten, schrie der Ninja neben ihm plötzlich auf und stürzte rücklings die Treppe herab.

Wie aus dem Boden gewachsen erschien eine Gestalt vor Indiana.

Was ihm das Leben rettete, war vielleicht einzig und allein die Tatsache, daß der Bursche vor ihm genauso überrascht war wie er selbst. Er kannte den Mann nämlich — und dieser ihn ebenso. Als sie sich das letzte Mal begegnet waren, da war das auf der anderen Seite der Welt gewesen, und der Bursche hatte einen maßgeschneiderten Anzug und Lackschuhe getragen, statt eines knöchellangen Mantels und einer pelzgefütterten Mütze. Aber das Gesicht darunter war dasselbe, mit dem Tamara die Straße hinter dem Washington Museum aufgewischt hatte; einige der Schrammen und Kratzer, die es davongetragen hatte, waren noch nicht verheilt, und der Zorn, der jäh in den dunklen Augen aufflammte, bewies Indiana, daß auch der andere sich noch sehr gut an ihr letztes Zusammentreffen erinnerte.

Die Erkenntnis, daß der Bursche nicht nur äußerst grob, sondern vielleicht auch nachtragend war, kam einen Sekundenbruchteil zu spät. Indiana duckte sich instinktiv, und ebenso instinktiv fiel seine rechte Hand auf den Griff der Peitsche herab, die er am Gürtel trug, aber beide Bewegungen waren nicht schnell genug. Die Hände des Kerls zuckten vor, packten seinen Hals und schnürten ihm unbarmherzig die Luft ab. Sein Gesicht verzerrte sich zu einem hämischen, zahnlückigen Grinsen.

Indiana hörte Schreie hinter sich, das Klirren von Stahl, dumpfe Schläge und einen einzelnen, lang nachhallenden Gewehrschuß und begriff, daß er nicht auf Hilfe der anderen rechnen durfte. Offensichtlich hatten die Angreifer einen anderen Weg ins Haus gefunden und die Tür wohl nur weiter bestürmt, um sie abzulenken — was ihnen ja auch gelungen war. Er warf sich zurück, trat dem Riesen vor die Knie und riß mit aller Gewalt die verschränkten Hände in die Höhe, um seinen mörderischen Würgegriff zu sprengen.

Fast zu seiner eigenen Überraschung gelang es ihm sogar. Die Arme des Burschen wurden hochgeschleudert, und Indiana setzte sofort einen Faustschlag auf seine Kinnspitze nach.

Erst als es bereits zu spät war, erinnerte er sich, daß er damit schon einmal sehr wenig Erfolg gehabt hatte. Der Riese nahm den Schlag ungerührt hin, und fast in der gleichen Sekunde klatschten seine flachen Hände mit furchtbarer Wucht auf Indianas Ohren.

Sein Schädel schien sich in das Innere einer Glocke zu verwandeln, in dem ein Klöppel von der Größe der Freiheitsstatue Alarm schlug. Er taumelte, fühlte sich abermals gepackt und hochgerissen. Alles begann vor seinen Augen zu verschwimmen, und er hörte ein dumpfes, immer lauter werdendes Dröhnen und Rauschen im Rhythmus seines eigenen Herzschlages.

Es war das zweite Mal, daß er mit diesem Burschen aneinandergeriet, und das zweite Mal, daß er nicht mit ihm fertig wurde.

Der tödliche Klammergriff um seinen Hals lockerte sich plötzlich. Indiana taumelte zurück, fand irgendwo Halt und blinzelte ein paarmal, um die roten Schlieren vor seinen Augen zu vertreiben. Seine Kehle schmerzte unerträglich, und sein Herz raste, als wolle es jeden Moment zerspringen. Wie durch dichten Nebel hindurch sah er den Mongolen, der sich plötzlich vier oder fünf Meter entfernt in einer Ecke hochrappelte und mit verblüfftem Gesichtsausdruck nach dem Tornado Ausschau hielt, der ihn von den Füßen gefegt hatte.

Indiana wartete nicht ab, bis er das kaum ein Meter sechzig große, in eine braune Kutte gehüllte, tibetische Äquivalent eines Wirbelsturmes als jene unsichtbare Kraft ausgemacht hatte, sondern rannte mit weit ausgreifenden Schritten auf den Mongolen zu und versetzte ihm einen Tritt unter das Kinn, der ihn in die Höhe riß und seinen Kopf unsanft mit der Wand hinter sich kollidieren ließ; was vielleicht nicht besonders fair, aber wirkungsvoll war.

Normalerweise, jedenfalls.

Es war unglaublich — aber der Bursche steckte sogar das weg.

Zwar fiel er auf die Knie herab und schüttelte einen Moment benommen den Kopf, begann sich aber sofort wieder hochzustemmen! Indiana packte ihn, hämmerte ihm vier-, fünf-, sechsmal hintereinander mit aller Kraft die Faust in den Leib, ergriff ihn dann bei den Schultern und stieß ihn mit aller Gewalt an sich vorbei. Der Riese torkelte, riß die Arme in die Höhe, um sein Gleichgewicht zu halten — und trat plötzlich ins Leere. Mit einem gellenden Schrei polterte er die Treppe herunter und blieb benommen liegen. Indiana zerrte seine Peitsche vom Gürtel und sah sich wild um. Der Riesenkerl schien der einzige gewesen zu sein, der hier oben auf sie gewartet hatte — aber am Fuße der Treppe war ein wütendes Handgemenge im Gange, in dem sich Moto, Hondo und die drei anderen Japaner mit einer zahlenmäßig weit überlegenen Gruppe von Angreifern herumschlugen. Trotzdem sah es nicht so aus, als brauchten sie Hilfe. Was Moto mit seinem Schwert anzurichten imstande war, hatte Indiana ja schon gesehen, und auch Hondo trug die Klinge offensichtlich nicht nur, weil sie zu seiner Uniform gehörte. Vier oder fünf der Angreifer lagen bereits blutend am Boden, und auch der Rest stand buchstäblich mit dem Rücken zur Wand, denn auch die drei Soldaten hatten sich offensichtlich nicht nur in die klassische Kleidung der Ninjas gehüllt, weil ihnen die schwarze Farbe so gut stand.

Indiana nahm sich die Zeit, die Angreifer einige Augenblicke lang in aller Ruhe zu betrachten. Was er sah, das war erschrek-kend und verwirrend zugleich. Der Mann, der hier oben auf sie gewartet hatte, war nicht der einzige, der sich wie einer von Attilas Hunnenreitern gekleidet hatte. Die Männer trugen lange, bunt bestickte Mäntel aus Wolle und Fell, dazu Mützen und Hüte aus dichtem Pelz. Bewaffnet waren sie mit Krummsäbeln und kurzen Äxten. Einige Schritte abseits hatten zwei Bogenschützen Aufstellung genommen, die ihre Pfeile vergebens auf ein sicheres Ziel zu richten versuchten. Moto und die vier anderen bewegten sich so schnell, daß sie es nicht wagen konnten, ihre Waffen abzufeuern, ohne Gefahr zu laufen, einen ihrer eigenen Männer zu treffen.

Den Fehler in dieser Überlegung begriff Indiana erst, als es zu spät war. Einer der Bogenschützen fuhr plötzlich herum und ließ seinen Pfeil fliegen, und er spürte, noch während er es tat, daß er sich viel zu langsam zur Seite fallen ließ.

Und plötzlich war etwas vor seinem Gesicht: Lobsangs Hand, die sich in einen rasend schnellen Schatten verwandelt hatte. Den Bruchteil einer Sekunde später weiteten sich Indianas Augen vor Entsetzen und Unglauben, als er den Pfeil sah, den der Tibeter aufgefangen hatte. Die Spitze war kaum noch zehn Zentimeter von seinen Augen entfernt.

Die Bogenschützen kamen nicht dazu, ihr Glück ein zweites Mal zu versuchen, denn Moto hatte die Spielereien mittlerweile wohl gänzlich satt. Mit einem zornigen Schrei schwang er sein Samurai-Schwert hoch über den Kopf, verschaffte sich mit einem blitzartigen Hieb Luft und ließ die Waffe fallen, um in der gleichen Bewegung seine Maschinenpistole zu heben.

Ein kurzer, abgehackter Feuerstoß fegte die Hälfte der Angreifer samt der beiden Bogenschützen zu Boden, der Rest fiel binnen weniger Augenblicke Hondo und seinen Ninjas zum Opfer.

Moto hob den Kopf und sah zu Indiana hinauf.»Sind Sie in Ordnung, Dr. Jones?«

Indiana nickte.

«Gehen Sie mit Lobsang und suchen Sie den Ausgang!«rief Moto. Er bückte sich, hob sein Schwert auf und deutete mit der Klinge auf die Tür, die immer heftiger unter den Schlägen der Angreifer erbebte.»Wir halten sie auf, solange wir können. Beeilen Sie sich!«

Indiana tat, was Moto ihm geraten hatte. Zwei Schritte hinter Lobsang stürmte er den Gang hinauf und durch einen verwaisten Schlafsaal in einen kleinen Raum mit einer Kuppeldecke, den sie schon einmal und vergeblich durchsucht hatten. Auf einem Podest vor seiner Rückwand hockte eine Buddha-Statue von halber Lebensgröße. Lobsang eilte auf die Figur zu, blieb einige Sekunden lang reglos stehen und betrachtete sie sehr aufmerksam, dann streckte er die Hand aus und rüttelte sanft an der linken Schulter des Buddha. Das Knirschen von Stein war zu hören, und die Figur, die sicherlich eine halbe Tonne wiegen mußte, bewegte sich fast elegant zur Seite. Dahinter kam ein halbrunder, finsterer Durchgang zum Vorschein.

Lobsang lächelte Indiana triumphierend zu, ließ sich auf die Knie herab und wollte durch die Öffnung kriechen, aber Indy hielt ihn mit einer raschen Bewegung zurück.»Warte!«

Der Tibeter war verwirrt, wie sein Gesichtsausdruck verriet, aber er gehorchte. Vorsichtig kroch er ein kurzes Stück zurück und richtete sich auf, um Indiana Platz zu machen.

Indy trat neben ihn, kniete aber nicht nieder, sondern deutete mit der Hand auf die Kratzer, die der Buddha bei seiner Seitwärtsbewegung im Boden hinterlassen hatte. Die meisten dieser Spuren waren uralt, aber einige waren auch sehr frisch. Und es waren mindestens zwei Spuren. Die Figur war schon einmal bewegt worden, vor nicht allzu langer Zeit.

Indiana ließ sich behutsam auf Hände und Knie herab und versuchte, die Dunkelheit hinter dem Durchgang mit Blicken zu durchdringen. Ein nutzloses Unterfangen. Aber wieder einmal meldete sich sein sechster Sinn, der ihm schon mehr als einmal das Leben gerettet hatte.

«Eine Lampe!«flüsterte er.»Bring’ eine Lampe oder eine Fackel — irgend etwas.«

Lobsang verschwand hastig, und Indiana drehte sich wieder um und starrte in die Dunkelheit hinein. Ein sanfter Luftzug berührte sein Gesicht, und auch er verriet ihm, daß sie nicht die ersten waren, die diesen Geheimgang benutzten, denn er roch nicht nur nach Alter und Staub, sondern auch nach Menschen, Metall und Pulver … Wahrscheinlich hatten Dzo-Lin und seine Soldaten genau diesen Gang benutzt, um sich vor den heranrückenden Hunnen-Horden in Sicherheit zu bringen.

Lobsang kam zurück, eine rußende Petroleumlampe in der Hand. Indiana nahm sie ihm ab, hielt sie am ausgestreckten Arm vor sich und betrachtete den Gang hinter der Öffnung in dem gelben, flackernden Licht.

Auf den ersten Blick bemerkte er absolut nichts Gefährliches.

Der Raum erweiterte sich hinter dem Durchgang zu einer etwa anderthalb Meter hohen und doppelt so breiten Höhle, die vollkommen leer war. Der Boden bestand aus Stein, so daß er keine Spuren entdecken konnte. In der gegenüberliegenden Wand befand sich ein knapp meterhoher, halbrunder Durchgang, der jedoch von einer massiven Metallplatte verschlossen war. Rechts und links von ihr ragten zwei wuchtige Hebel aus der Wand.

Und kaum fünf Zentimeter vor Indianas linker Hand, mit der er sein Körpergewicht abstützte, spannte sich ein haarfeiner Draht.

Indianas Herz machte einen erschrockenen Hüpfer. Es gehörte nicht viel Phantasie dazu, den Sinn dieses Drahtes zu erraten. Unendlich behutsam beugte er sich vor, sah nach rechts — nichts — und dann nach links. Der Draht war an einem hastig in die Wand geschlagenen Nagel befestigt, und sein Ende war um den Ring einer Handgranate geknotet.

Vorsichtig kroch er wieder zurück und richtete sich auf.

«Zwei Hebel«, sagte er und hob Zeige- und Mittelfinger vor Lobsangs Gesicht.»Und eine kleine Überraschung von Dzo-Lin. Aber damit werde ich fertig.«

«Welche Farbe haben sie?«fragte Lobsang.

Indiana überlegte einen Moment, schüttelte aber dann den Kopf. Er hatte nicht auf die Farbe geachtet.

«Einer müßte rot sein und einer blau«, sagte Lobsang.»Ziehen Sie den roten herunter. Um Gottes willen nicht den blauen. Es wäre unser aller Untergang.«

Indiana nickte, machte aber keine Anstalten, noch einmal zurückzukriechen, sondern deutete in den angrenzenden Raum hinaus.»Warte hier«, sagte er.»Ich hole die anderen.

Und geh’ auf keinen Fall dort hinein.«

Er überzeugte sich mit einem Blick davon, daß Lobsang seine Warnung verstanden hatte und ernstnahm, dann rannte er auf den Gang und zur Treppe zurück.

Wie sich zeigte, waren seine Befürchtungen nur zu berechtigt gewesen. Moto und die anderen kamen ihm entgegen, lange bevor er die Treppe erreichte, und hinter ihnen stürmte etwas heran, was nun wirklich an Dschingis Khans Horden erinnerte — Dutzende von schwert- und äxteschwingenden Männern in bunt bestickten Wollmänteln, die gellende Kriegsrufe ausstießen. Hondo und die drei Ninjas feuerten mit ihren Maschinenpistolen auf sie und streckten zehn oder fünfzehn mit einer einzigen Salve nieder, aber die anderen rannten unbeeindruckt weiter. Wie alle Fanatiker schienen sie den Tod nicht zu fürchten, sondern geradezu zu suchen.

«Moto!«brüllte Indiana.»Wir haben den Gang!«

Moto, der seine MP in der linken und sein Samurai-Schwert in der rechten Hand schwang, warf nur einen raschen Blick über die Schulter zu Indiana zurück, dann gab er einen kurzen Feuerstoß aus seiner Waffe ab, schrie einen Befehl auf japanisch und wandte sich um. Hondo tat es ihm gleich, während die drei Ninjas sich den heranstürmenden Hunnen entgegenwarfen. Indiana sah, daß es ihnen tatsächlich gelang, die Angreifer für einen Moment aufzuhalten. Aber eben nur für einen Moment.

Dann fiel der erste von ihnen und verschwand unter der Masse der heranstürmenden Hunnen, und die beiden anderen zogen sich, abwechselnd und mit ihren Schwertern auf die Angreifer einhackend, Schritt für Schritt zurück.

Als sie Lobsang erreichten, stürmten die Hunnen durch die Tür des Vorraumes. Moto streckte zwei von ihnen nieder, und auch Hondo und die beiden Ninjas warfen sich den Männern noch einmal entgegen, um vielleicht entscheidende Sekunden für Indiana und den Samurai zu gewinnen.

Moto erspähte den Durchgang und wollte darauf zustürmen, aber Indiana hielt ihn zurück. Mit einer hastigen Geste scheuchte er ihn zur Seite, ließ sich abermals auf die Knie sinken und betrachtete eine Sekunde lang den Draht, der sich nahezu unsichtbar vor ihnen spannte. Unendlich behutsam streckte er die Hand aus, tastete nach der Handgranate und versuchte, sie von ihrem Haken herunterzunesteln, ohne den Ring abzuziehen. Seine Hände zitterten. Aber es gelang.

Mit einem erleichterten Seufzer richtete er sich auf, zog die Handgranate aus der Öffnung — und starrte verdutzt auf den Abzugsring, der klappernd auf der anderen Seite der Wand zu Boden fiel. Erst dann bemerkte er den zweiten Draht, der daran geknotet gewesen war.

Motos Augen wurden groß, als er die Granate in Indianas Händen erblickte. Lobsang keuchte und war plötzlich verschwunden, um auf der anderen Seite der Tür zwischen den kämpfenden Ninjas und Hunnen wieder aufzutauchen, und Indiana tat das einzige, das ihm einfiel: Er warf die Handgranate Moto zu.

Moto kreischte, fuhr herum und schleuderte die Granate in Hondos Richtung. Der Japaner ließ erschrocken Gewehr und Samurai-Schwert fallen, fing die Handgranate ganz instinktiv auf, warf sie von der rechten in die linke Hand und wieder zurück wie eine heiße Kartoffel, die er versehentlich angefaßt hatte, und warf sie dann einem seiner Ninja-Krieger zu. Der Schwarzgekleidete schlug sie mit dem Handrücken beiseite, wie ein Volleyballspieler einen Ball. Sie flog in hohem Bogen durch die Luft, prallte von der Pelzmütze eines Hunnen ab und landete in den weit vorgestreckten Händen eines Riesen mit blutüberströmtem Gesicht und glühenden Augen, der sich brüllend seinen Weg durch die Menge der Mongolen bahnte. Es war Indianas Freund aus Washington. Eine Sekunde lang starrte er die Granate in seiner Hand einfach nur an, drehte sie verwirrt in den Fingern, als wüßte er nicht genau, was er da hatte — und dann, endlich, explodierte sie.

Die Druckwelle fegte sie alle zu Boden. Flammen, Rauch und Trümmer quollen durch die Tür herein, aber Indiana verschwendete keine Sekunde mehr darauf, sich davon zu überzeugen, ob und wer die Explosion überlebt hatte, sondern richtete sich hastig auf und kroch auf Händen und Knien in den Geheimgang. Vergeblich versuchte er, im flackernden Licht der Petroleumlampe die Farbe der beiden Hebel vor sich zu unterscheiden. Sie waren uralt, und wenn einmal Farbe darauf gewesen war, so mußte das etliche hundert Jahre her sein.

«Den roten, Dr. Jones!«hörte er Lobsangs Stimme hinter sich.»Ziehen Sie den roten Hebel!«

«Das würde ich ja gern«, knurrte Indiana.»Wenn ich sie unterscheiden könnte!«Er hob die Lampe höher, beugte sich vor — und endlich sah er auf dem linken der beiden Hebel ein schwaches Schimmern von Rot. Hinter ihm wurden Schreie laut, und er hörte die Geräusche eines heftigen Kampfes. Motos Maschinenpistole ratterte, und er hörte die spitzen, abgehackten Kampfschreie Hondos und der beiden Ninjas. Ihm blieb einfach keine Zeit mehr. Entschlossen griff er nach dem linken der beiden Hebel und riß ihn mit aller Kraft nach unten.

Nichts geschah.

Die massive Eisenplatte, die den Durchgang vor ihm verschloß, rührte sich nicht.

«Worauf warten Sie, Jones?«drang Motos Stimme an sein Ohr.»Sie überrennen uns!«

Indiana riß noch einmal an dem Hebel, und diesmal passierte tatsächlich etwas.

Allerdings nicht mit der Eisenplatte vor ihm.

Ein winziger Kieselstein fiel von der Treppe und prallte von seiner linken Schulter ab.

Verwirrt blickte Indiana auf, hob die Lampe — und unterdrückte nur mit Mühe einen entsetzten Aufschrei. In der Decke über ihm war ein Riß entstanden. Entlang einer haarfeinen, schnurgeraden Linie spaltete sich der scheinbar massive Fels, und darüber war kein Hohlraum, auch kein weiterer Felsblock, sondern etwas, dessen Anblick Indianas Herzschlag für einen Moment stocken ließ.

Steine.

Winzige Kiesel wie der, der ihn gerade getroffen hatte, aber auch faustgroße Brocken, runde, eckige, glatte und poröse Steine und Steinchen, die durch nichts anderes als durch den Druck, den sie gegeneinander ausübten, gehalten wurden — und die Decke, die sich nun weiter und weiter teilte.

Mit einem gellenden Schrei schleuderte er die Lampe hinter sich und sprang mit weit ausgestreckten Armen durch den Ausgang. Hinter ihm polterte eine Lawine aus Millionen kleiner und großer Kieselsteine zu Boden. Keuchend robbte er weiter, während hinter ihm eine ganze Lawine von Kieselsteinen und Felsbrocken herunterkrachte. Hände griffen nach seinen ausgestreckten Armen, zerrten ihn das letzte Stück aus der Kammer heraus und rissen ihn in die Höhe. Motos schrek-kensbleiches Gesicht tauchte vor ihm auf, während Lobsang verzweifelt zu gestikulieren begann.

«Der rote, Dr. Jones!«lamentierte er.»Ich habe Ihnen doch gesagt, ziehen Sie den roten Hebel!«

«Aber das habe ich!«verteidigte sich Indiana zornig.»Ich bin doch nicht lebensmüde. Ich habe den roten Hebel ge-«Er sprach nicht weiter. Lobsangs Augen hatten sich erstaunt geweitet, und auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck maßloser Verblüffung, während er Indianas Hände anstarrte. Auch Indiana sah auf seine Finger herab — und sog überrascht die Luft ein.

Seine Hände waren rot.

«Dzo-Lin!«murmelte er.»Dieser verdammte, raffinierte Hund!«

Moto beugte sich ein wenig zur Seite und nach unten, um an Indiana vorbei in die Kammer blicken zu können. Jenseits der Wand polterten immer noch Steine zu Boden, und ein Teil der Miniatur-Lawine begann bereits durch die Tür zu quellen.»Ich schätze, jetzt sitzen wir endgültig in der Falle«, murmelte Moto.

Der Boden unter ihren Füßen begann ganz leicht zu zittern, und ein Geräusch wie das Grollen eines noch weit entfernten Gewitters drang an Indianas Ohr. Erschrocken blickte er auf.

Das Zittern hörte nicht auf, sondern hielt an und schien sogar noch an Intensität zuzunehmen, und auch das Grollen wurde lauter. Nach einigen Augenblicken glaubte Indiana, auch noch einen anderen Laut zu identifizieren: einen dunklen, rumpelnden Laut, wie von großen Steinen, die sich aneinanderrieben.

In diesem Punkt allerdings täuschte er sich. Es waren keine großen Steine, sondern sehr viele kleine, und sie waren nicht halb so weit entfernt wie er gehofft hatte, sondern stürzten im Gegenteil schlagartig und von einer Sekunde auf die andere auf der anderen Seite der Tür zu Boden. Hondo und einer seiner Ninjas entgingen dem tödlichen Regen durch einen verzweifelten Satz, aber der zweite Krieger und der größte Teil der Angreifer wurden unter dem tödlichen Steinhagel begraben. Die Überlebenden zogen sich hastig nach draußen auf den Flur zurück; bis auf zwei, die dumm genug waren, sich zu ihnen hineinretten zu wollen. Moto schoß sie nieder.

Etwas berührte Indianas Beine, und als er sich herumdrehte, erkannte er voller Schrecken, daß aus dem Geheimgang noch immer Steine hervorquollen. Da es sich fast ausnahmslos um runde, glatte Kiesel handelte, war die Lawine keineswegs zum Stehen gekommen, sondern wälzte sich langsam, aber unaufhaltsam weiter in den Raum hinein. Und auch die Wand darüber hatte mittlerweile Risse bekommen. Ein leises, beunruhigendes Knistern und Knirschen war zu hören.

«Wir müssen raus hier«, sagte er hastig. Moto fuhr herum und starrte ihn an, sagte aber nichts, als sein Blick dem Indianas folgte und er sah, was mit der Wand hinter ihnen geschah.

Der Regen niederstürzender Kieselsteine und Felsen auf der anderen Seite der Tür hatte nachgelassen, jedoch nicht ganz aufgehört. Indiana wurde zwei-, dreimal hintereinander an Schultern und Brust getroffen, ehe er den Schild eines erschlagenen Hunnen aufhob und schützend über den Kopf hob. Moto und die beiden anderen machten es ihm nach, so daß sie, zwar allesamt grün- und blaugeschlagen, aber ohne schwere Verletzungen, den Flur draußen erreichten.

Von den Angreifern war keine Spur mehr zu sehen — aber das wunderte Indiana eigentlich nicht besonders, denn von links wälzte sich eine dröhnende Steinlawine heran, unter deren Gewicht das ganze Kloster zu erbeben schien. Sie bewegte sich nicht sehr schnell, aber unaufhaltsam.

Als sie die Treppe erreichten, bot sich ihnen ein furchtbarer Anblick. Die Tür war aufgebrochen, und zahllose Mongolen waren ins Innere des Klosters gestürmt. Die Hälfte von ihnen mußte bereits tot oder schwer verletzt sein, und der Rest versuchte verzweifelt, sich vor dem Hagel aus Steinen in Sicherheit zu bringen, der aus einem Dutzend Richtungen gleichzeitig herabprasselte. Wie Wasser aus der geborstenen Mauer eines Staudammes schossen Fontänen aus Kieselsteinen aus einem Dutzend gewaltiger Löcher in der Wand, so daß der Boden bereits kniehoch mit einer Schicht aus Kieseln bedeckt war, die sich träge wie Lava über die Toten hinweg und durch die eingeschlagene Tür nach draußen wälzte. Selbst die Treppe spie Steine: Zwei Stufen waren verschwunden und ein Teil des Geländers eingebrochen. Und Indiana sah auch gleich, daß die Anordnung dieser tödlichen Geysire keineswegs Zufall war. Es gab drei, vier armdicke Strahlen aus Kieseln, deren Wucht so groß war, daß sie die Wände, gegen die sie prallten, einfach durchschlagen hatten, und die sich so überkreuzten, daß der Weg über die Treppe völlig unmöglich geworden war.

Verzweifelt warf er einen Blick über die Schulter zurück. Die Steinlawine hinter ihnen war nähergekommen. Sie bewegte sich nicht sehr schnell, aber die rollenden Kiesel mußten alles zermalmen, was ihnen in den Weg geriet.

Sein Blick suchte die Decke der Halle ab. Auch sie war an zwei oder drei Stellen aufgerissen, aber der tödliche Regen von oben hatte bereits aufgehört. Indianas Blick glitt über einen der gewaltigen Balken, die die Decke trugen. Seine Hand löste die Peitsche vom Gürtel. Mit einem einzigen, kraftvollen Schwung ließ er die Schnur sausen. Ihr Ende wickelte sich um den Balken und saß fest. Indiana zerrte noch einmal prüfend daran und versuchte dann, die Entfernung von dort bis zur Tür abzuschätzen.

«Was haben Sie vor?«fragte Moto neben ihm nervös.

Statt zu antworten, streckte Indiana die Hand nach Lobsang aus, umschlang seine schmale Hüfte mit dem Arm — und stieß sich mit aller Kraft ab.

Lobsang schrie vor Schrecken auf und begann in seiner Umarmung so heftig zu zappeln, daß er ihn um ein Haar losgelassen hätte, als sie plötzlich scheinbar schwerelos durch die Luft flogen. Sie passierten einen der tödlichen Steinstrahlen in so geringer Entfernung, daß Indiana eine Reihe harter, schmerzhafter Schläge gegen das rechte Bein und den Fuß verspürte, dann erreichten sie den gewaltigen Sims über der Tür. Indiana brachte das Kunststück fertig, sich daran festzuklammern, ohne Lobsang oder die Peitsche loszulassen.

«Festhalten!«schrie er, löste seinen Arm von Lobsangs Hüfte und stieß sich abermals mit aller Kraft ab. Während sich Lobsang verzweifelt an der rauhen Wand über der Tür festzu-krallen versuchte, flog Indiana am Ende der Peitschenschnur zurück und landete einen halben Schritt neben Moto auf der Treppe. Er sagte kein Wort, sondern streckte nur einladend den Arm aus.

Moto zögerte. Vielleicht traute er Indiana nicht, vielleicht dachte er auch nur daran, daß er gut doppelt so schwer wie der kleine Tibeter war. Aber dann polterte etwas über ihm, und Indiana erkannte voller Entsetzen, daß die Steinlawine die obersten Stufen der Treppe erreicht hatte und sich in die Tiefe zu wälzen begann. Moto zögerte nicht länger, sondern trat an ihn heran, ließ es zu, daß Indiana ihn mit dem Arm umschlang, und klammerte sich seinerseits an ihn, und abermals stieß sich Indiana ab und segelte quer durch den Raum.

Seine Kräfte drohten nachzulassen. Motos Gewicht zerrte wie eine Tonnenlast an seinem Arm, und er spürte, daß er einfach nicht mehr die Kraft hatte, dieses Kunststück noch zweimal zu wiederholen, um auch Hondo und den Ninja zu retten, als er neben Lobsang auf dem steinernen Sims über der Tür ankam.

Aber es war auch gar nicht nötig. Der Ninja hatte ein langes, mit einem Widerhaken versehenes Seil vom Gürtel gelöst, schwang es über dem Kopf und schleuderte es dann nach dem gleichen Balken, auf den auch Indiana mit der Peitsche gezielt hatte. Der stählerne Haken bohrte sich tief in das Holz, und fast im gleichen Sekundenbruchteil packte der Ninja Major Hondo, klemmte ihn sich wie ein Kind unter den Arm und legte den Weg auf die gleiche Weise wie Indiana vor ihm zurück.

Der Platz auf dem schmalen Sims wurde allmählich eng. Indiana sah sich wild um und spielte mit dem Gedanken, sich einfach fallenzulassen, um sich von der Steinlawine aus dem Haus tragen zu lassen, verwarf ihn aber sofort wieder, als er auf das brodelnde Chaos unter sich blickte. Die Felsen rasten so schnell wie kochendes Wasser durch die Tür, aber es war eben kein Wasser. Was immer in diese Hölle geriet, mußte binnen Sekunden zermalmt und zerfetzt werden. Die Schicht war jetzt gute anderthalb Meter hoch und wuchs immer weiter. Von den Hunnen, die in den Tempel eingedrungen waren, war kein einziger mehr am Leben.

Indiana richtete sich auf, preßte sich mit dem Rücken eng gegen die Wand und sah sich verzweifelt nach einem Fluchtweg um, entdeckte aber keinen. Es sah aus, als hätten sie nur eine kurze Gnadenfrist herausgeschunden. Wenn der Nachschub an Kieseln und Geröll nicht nachließ, so würde sich die Halle binnen Minuten bis unter die Decke gefüllt haben, und sie hatten allerhöchstens noch die Wahl, zu ersticken oder zerquetscht zu werden.

Das ganze Gebäude begann jetzt unter ihren Füßen zu wanken. Die Wand hinter ihnen ächzte unter dem Gewicht der Steine, die von innen gegen sie drückten, und vom Hof drang ein Chor gellender, entsetzter Schreie herein. Vermutlich waren auch dort draußen überall Springbrunnen und Geysire aus Kieseln entstanden, die hundertmal tödlicher sein mußten als die Fallen, die Dzo-Lin hinterlassen hatte.

Erst jetzt fiel ihm auf, daß der Sims, auf den sie sich gerettet hatten, zu einem überlebensgroßen Buddha-Relief gehörte, das in die Wand über der Tür eingelassen war. Es bestand aus Metall, nicht aus Stein, und ganz offensichtlich war sein Gewicht für die ohnehin überbeanspruchte Mauerkonstruktion einfach zuviel, denn längs seiner Konturen hatten sich haarfeine, tiefe Risse gebildet, die rasch breiter wurden. Langsam begann sich die Buddha-Figur nach vorn zu neigen, als wollte sie die frechen Frevler, die es gewagt hatten, das Heiligtum zu entweihen, mit einer einzigen Bewegung abschütteln.

«Lobsang! — « brüllte Indiana verzweifelt. »Tu etwas!«

Er war nicht einmal sicher, ob seine Worte nicht im Krachen und Dröhnen der Steine einfach untergingen, ehe sie den Tibeter erreichten. Aber er spürte, wie das Buddha-Relief heftiger zu zittern begann — und sich dann mit einem furchtbaren Knirschen ganz aus der Wand löste und herabstürzte.

Nach außen, nicht nach innen.

Krachend und berstend durchbrach das tonnenschwere Reliefbild die Wand, prallte auf der Oberfläche des Kieselsteinstromes auf und begann zu rutschen. Indiana und die anderen klammerten sich verzweifelt daran fest, während das Bild schneller und schneller über den Hof zu schießen begann, vorangetragen von einer Springflut aus Kieselsteinen, die sich nicht nur aus der Tür, sondern aus zahllosen, jäh entstandenen Öffnungen in der Tempelwand auf den Innenhof ergoß und alles zermalmt hatte, was sich darin befand. Indiana wartete verzweifelt darauf, daß seine Geschwindigkeit abnahm, so daß sie abspringen oder nach einem sicheren Halt ausschauen konnten, aber ihr bizarres Fahrzeug wurde im Gegenteil immer schneller — und schoß geradewegs auf das Tor in der Tempelmauer zu.

Das Tor war bei weitem nicht breit genug, um den Buddha durchzulassen, aber es war auch nicht massiv genug, um ihn aufzuhalten. Mit einem ungeheuren Krachen durchbrach das Standbild die Mauer, schrammte funkensprühend an der Felswand dahinter entlang und wurde immer noch schneller und schneller, während es auf den schmalen Saumpfad in der Felswand hinausschoß. Die Steinlawine polterte vor ihnen her, und vor dieser wiederum rannte ein halbes Hundert verzweifelter Hunnen talwärts.

Keiner von ihnen schaffte es. Eine Anzahl der Männer, die die Steinlawine und den metallenen Buddha mit seinen fünf Reitern heranrasen sahen, zog es vor, sich selbst in die Tiefe zu stürzen, der Rest wurde von der riesigen Statue überrollt.

Indiana klammerte sich mit verzweifelter Kraft an den geschmiedeten Zehennägeln des Buddha fest. Rechts von ihm schlug das Metall noch immer Funken aus der Wand, auf der anderen Seite gähnte ein drei- oder auch vierhundert Meter tiefer Abgrund — und kaum hundert Meter vor ihnen knickte der Weg jäh ab.

Indiana blieb kaum Zeit, den Schrecken zu verarbeiten, den ihm dieser Anblick bereitete, als sie das Ende des Weges auch schon erreicht hatten und der Buddha wie ein flachgeworfener Stein ins Leere flog.

Eine endlose Sekunde lang war nichts anderes als Dunkelheit unter ihnen, dann prallte das Relief mit einem fürchterlichen Schlag gegen den Fels — und verkantete sich.

Es dauerte gut dreißig Sekunden, bis Indiana begriff, daß sie nicht abgestürzt waren, und noch einmal genauso lange, bis er es wagte, erleichtert aufzuatmen und die Augen zu schließen.

In der nächsten Sekunde war er nicht mehr so überzeugt davon, daß das wirklich eine gute Idee gewesen war.

Die Buddha-Statue hatte sich wie eine zu groß geratene Ausfertigung von Motos Shuriken waagerecht in den Felsen hineingefressen. Unter ihnen gähnte nichts als schwarze Leere. Und der Felsen, in den der Buddha den Kopf und die rechte Schulter gerammt hatte, war so glatt und fugenlos, daß Indiana den Gedanken, daran herabzusteigen, ebenso schnell wieder verwarf, wie er ihm gekommen war.

Unendlich vorsichtig richtete er sich auf Hände und Knie auf und sah sich um. Lobsang, Moto und der letzte überlebende Ninja klammerten sich ebenso verzweifelt wie er an den diversen hervorstehenden Körperteilen des Buddha fest. Von Hondo war keine Spur mehr zu sehen.

Indiana richtete sich weiter auf, ließ vorsichtig Buddhas Zehennägel los und versuchte, zu dem Tibeter hinüberzukrie-chen. Er gab dieses Unternehmen allerdings hastig wieder auf, als die Statue unter ihm spürbar zu zittern begann.

«Bewegen Sie sich nicht, Sie Narr!«sagte Moto erschrocken.

Indiana erstarrte befehlsmäßig zur Salzsäule, aber das nutzte nicht allzuviel. Der Buddha zitterte und wankte weiter — und dann hörte Indiana ein Knirschen, das ihm schier das Blut in den Adern gerinnen ließ. Entsetzt sah er sich um — und schrie nun wirklich vor Schrecken auf.

Die Buddha-Statue hatte sich so tief in den Felsen gebohrt, daß vermutlich keine Macht der Welt sie wieder herausziehen konnte. Aber so groß das Relief auch war, so dünn war es auch.

Das Eisen begann sich zu biegen. Langsam, aber mit einer schrecklichen Beharrlichkeit begannen sich die untergeschlagenen Beine Buddhas dem Boden entgegenzuneigen. Das Knirschen und Mahlen hielt an, und aus dem zeitlosen Lächeln der Buddha-Statue schien ein hämisches Grinsen zu werden, denn der Knick in der bearbeiteten Eisenplatte lief genau zwischen seiner Ober- und Unterlippe hindurch.

Indiana überlegte fieberhaft. Die Neigung der Metallplatte war jetzt so stark, daß er schon fast auf den Zehenspitzen der Figur stand, und die Platte senkte sich immer weiter. Er hatte eine verzweifelte Idee. Mit klopfendem Herzen ließ er sich in die Hocke sinken, klammerte sich mit der rechten Hand fest an seinen unsicheren Halt und streckte die andere nach Moto aus.

«Ihr Schwert!«sagte er herrisch.»Schnell!«

Gottlob verschwendete Moto keine Zeit damit, irgendwelche überflüssigen Fragen zu stellen, sondern zog das SamuraiSchwert aus dem Gürtel und reichte es Indiana. Indy schnitt sich schmerzhaft in die Finger, als er die rasiermesserscharfe Klinge berührte, unterdrückte aber jeden Laut, sondern ließ sich weiter herab und zur Seite gleiten, bis er mit der Hand, die das Schwert hielt, unter die Kante der Buddha-Statue greifen konnte. Der abgeknickte Teil des Reliefs hing jetzt schon beinahe waagerecht, so daß der Raum zwischen seiner Rückseite und der Felswand kaum noch ausreichte, das Schwert hineinzuzwängen. Indiana bohrte die Spitze der Klinge in den Fels so gut er konnte, rammte ihren Griff unter das Eisen und betete, daß der Stahl eines Samurai-Schwertes wirklich so gut war wie im allgemeinen behauptet wurde.

Mit einem fürchterlichen Knirschen und Mahlen kam die Eisenplatte zur Ruhe. Einen Moment lang zitterte sie noch, und vor Indianas Augen entstand das furchtbare Bild eines Samurai-Schwertes, das sich wie ein Bambusstab immer weiter durchbog, bis es einfach zersplitterte.

Aber das Schwert hielt. In einem Winkel von vielleicht fünfundvierzig Grad kam die abgeknickte Hälfte des Reliefs zum Stehen.

Indiana richtete sich Millimeter für Millimeter auf, drehte sich herum und preßte sich fest mit dem Rücken gegen das Metall der Buddha-Statue, ehe er es wagte, erleichtert aufzuatmen.

Der Wind zerrte an seiner Gestalt, und die Kälte war schon jetzt so empfindlich zu spüren, daß seine Finger und Zehenspitzen taub zu werden begannen.

Er fragte sich, wie um alles in der Welt sie mehr als eine Stunde hier oben durchhalten sollten, bis Hondos Flugzeuge kamen.

Sie hielten sie durch. Die Flugzeuge kamen sogar früher als vereinbart, aber Indiana vermutete zurecht, daß dies das erste Mal war, daß sich Moto über eine Unpünktlichkeit seiner Soldaten freute.

Allerdings dauerte es danach noch einmal gute zwei Stunden, bis eine Abteilung japanischer Pioniere auf der Felsenkrone hundert Meter über ihnen erschien und sich zu ihnen abseilte, um sie aus ihrer mißlichen Lage zu befreien.

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