Kapitel Zehn Stimmen, die den Krieg verkünden

Manchmal scheint mir, meine ganze Zeit im Herrenhaus besteht darin, mich mit Leuten auseinanderzusetzen, die zu mir kommen, um mir Sachen zu sagen, die ich bereits weiß und nicht leiden kann. Es gibt einen bestimmten Gesichtsausdruck, den ich zu erkennen gelernt habe: zu gleichen Teilen Entschlossenheit und diese Es-ist-nur-zu-deinem-Besten-Schadenfreude. Diesmal war es Callan Drood, der aus einem Nebenzimmer hervorgeschossen kam, als ich ins Herrenhaus zurückgegangen war. Er sah nach seinem Trip nach Südamerika weniger sonnenverbrannt als vielmehr geröstet aus. Er kam direkt auf mich zu und sein Blick war finster. Das musste nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen sein, Callan sah immer so aus. Selbst an seinen besten Tagen machte er den Eindruck eines Jemands, der perfekt darauf vorbereitet war, alles über den Haufen zu rennen, das sich ihm in den Weg stellte, einschließlich Mauern, Vorschriften und mindestens ebenso wahrscheinlich Menschen. Ich wusste sofort, dass ich das, was er mir so dringend zu sagen hatte, nicht hören wollte. Aber außer ihm mit dem nächstbesten stumpfen Gegenstand eins über den Schädel zu ziehen und über ihn drüber zu marschieren, gab es keine Möglichkeit, ihm aus dem Weg zu gehen. Also blieb ich stehen, seufzte einen schweren Seufzer, um zu zeigen, dass ich gar nicht glücklich war und ließ ihn sagen, was er zu sagen hatte.

»Der Innere Zirkel will mit dir reden«, sagte Callan rundheraus.

»Es ist schön, wenn man etwas will«, sagte ich. »Ich will ein paar große Drinks und eine Fleischpastete, gefolgt von einem schönen Nickerchen und ich denke, genau das werde ich mir jetzt gönnen.«

»Lass mich das anders sagen«, sagte Callan. »Der Innere Zirkel muss dich auf der Stelle sehen. Und ich habe den Befehl, Nein, zur Hölle oder Verpiss dich und fall tot um nicht als Antwort gelten zu lassen.«

»Der Zirkel hat schon unter Beweis gestellt, dass er Entscheidungen auch ohne mich treffen kann«, sagte ich knapp. »Sollen sie doch so weitermachen.«

»Schmollen steht dir nicht«, meinte Callan. »Also hör auf damit oder ich verpass dir eine, wo's wehtut. Genau hier, wo alle es sehen können. Das hier ist wichtig.«

»Deine Bluff-und-trotzdem-ehrlich-Attitüde geht mir langsam richtig auf den Sack«, sagte ich. »Wie wichtig?«

»Den-Arsch-zusammenziehend-, Eier-schrumpfend-, Ende-der-Welt-und-alles-wird-richtig-scheiße-wichtig«, antwortete Callan. »Sie warten unten im Lageraum auf dich. Wahrscheinlich heulen sie und machen sich in die Hose und verstecken sich unter Tischen und so.«

»Oh«, sagte ich. »Doch so wichtig.«


Also gingen wir hinunter in den Lageraum, unterzogen uns brav allen Sicherheitskontrollen, bis wir schließlich durch die besonders verstärkten Türen ins totale Tollhaus kamen. Die üblicherweise gedämpfte Atmosphäre war von einer gespannten und aufgeladenen und sehr lauten abgelöst worden, in der Leute von Station zu Konsole rannten, schnell miteinander sprachen, die Hände in die Luft warfen und dann irgendwo anders hin rannten. Die gigantischen Displays und Bildschirme, die die schwarzen Basaltwände bedeckten und Karten von allen Ländern der Welt zeigten, waren mit kleinen, roten Punkten übersät, die Echtzeit-Notfälle und Katastrophen anzeigten. Die Hellseher und Computer-Techniker schrien in ihre Headsets und winkten mit Papierbögen voller Nachrichten, damit sie abgeholt und dorthin gebracht werden konnten, wo sie gebraucht wurden.

Für einen Moment blieb ich stehen und glotzte nur. Der Lageraum war immer das kalte, ruhige und gesammelte Herz der Familienentscheidungen gewesen. Ich hatte diesen Ort nie so verwirrt, so offensichtlich einer Panik nahe gesehen. Was sonst mein Innerer Zirkel war, stand jetzt um den Hauptlagetisch herum und wartete ungeduldig auf mich. Oder zumindest die meisten von ihnen. Es gab natürlich keine Spur von Jacob, oder von Molly oder Penny. Vermutlich waren die beiden immer noch privat unterwegs und hatten ihr kleines Frau-zu-Frau-Schwätzchen. Der Seneschall war da, der Waffenmeister, Harry und … Roger Morgenstern. Ich fragte mich, ob ich Einspruch dagegen erheben sollte, ein bekanntes Höllenwesen im Droodschen Lageraum zu dulden, aber das war ja eigentlich genau das Denken, dass ich ändern wollte. Wenn er irgendetwas Nützliches zur Situation beitragen konnte, würde ich ihm zuhören.

Wir konnten ihn später immer noch töten.

Trotzdem, ohne Molly und Penny und mit sowohl dem lebenden wie dem toten Jacob in eigener Sache unterwegs, war mein einziger Verbündeter im Zirkel der Waffenmeister. Der gute alte Onkel Jack. Der, so fair musste man sein, Roger böse Blicke zuwarf.

»Was macht dieses Dämonenhalbblut hier«, verlangte er zu wissen, als ich mit Callan an der Seite zum Lagetisch trat.

»Roger ist mit mir hier«, sagte Harry.

Der Waffenmeister schnaubte laut. »So weit ist es mit der Familie schon gekommen.«

»Hi, Jungs«, sagte ich. »Was ist los?«

Der Waffenmeister wandte seinen bösen Blick sofort mir zu. »Wo zur Hölle bist du gewesen, Eddie? Sieh dir die Weltkarten an! Die Informationen fluten seit eurem kleinen Manöver in Südamerika nur so herein, und alle sind schlecht. Überall auf dem Globus brechen Buschfeuer aus, weil es nicht genug Frontagenten gibt, die sie austreten. Die Jungs hier werden schon wahnsinnig, wenn sie nur versuchen, auf dem Laufenden zu bleiben.«

»Ich habe ein paar Leute extra hergeholt, vom Geheimdienst und dem Medienzentrum. Im Grunde von überall dort her, wo es nicht hektisch zuging, sowie all die, die nicht schnell genug weglaufen konnten«, meinte Callan eifrig. »Im Moment schaffen wir es, über alles informiert zu werden. Aber die Ereignisse auf der Welt nehmen zu - die Regierungen geben eine spektakuläre Vorstellung von Lemmingen mit einem ganz miesen Morgenkater und keinen Hemmungen ab.«

Ich musste ihm eine gehobene Augenbraue zeigen. »Seit wann befehligst du denn den Lageraum, Callan?«

»Seit du und dein kostbarer Innerer Zirkel entschieden haben, lieber zu quatschen als eure Hände mit dem täglichen Geschäft schmutzig zu machen, die Familie zu führen. Ich habe hier gearbeitet, bevor ich auf die Idee gekommen bin, Frontagent zu werden. Und als ich von dieser beschissenen Schlachtorgie in Südamerika zurückkam, hatte ich das Gefühl, etwas Nützliches tun zu müssen. Also habe ich hier mal reingeschaut und war entsetzt zu sehen, wie man die Dinge hier hat schleifen lassen. Ich bin reingekommen, habe die Ärmel hochgekrempelt und habe alles übernommen. Keiner sonst hat sich freiwillig gemeldet. Die Leute hier sind geradezu dankbar, dass jemand ihnen sagt, was sie tun sollen. Wenn ihr nicht mögt, was ich hier tue, dann bitte, werft meinen Hintern hier raus. Wenn ihr einen findet, der blöd genug ist, das hier zu übernehmen, heißt das. Ich wette, dass euer Haufen nicht einmal die Dringlichkeitsprotokolle kennt, oder? Was gibt es da zu lachen, Edwin?«

»Für einen winzigen Moment hast du mich an mich selbst erinnert.«

»Jetzt wirst du richtig fies«, sagte Callan.

»Diese Wir-coolen-Jungs-halten-zusammen-Rituale sind ja echt süß«, unterbrach Harry. »Aber Callan, könntest du dich als Herr und Meister des Lageraums vielleicht dazu herablassen, uns tatsächlich über das zu informieren, was gerade ansteht?«

Callans Nasenflügel bebten. »Leg es nicht drauf an, Noob. Du und dein Schwefeltyp seid hier nur geduldet. Also, für alle: Fangen wir unten an. Politiker jeder Couleur und jeden Geschmacks bedrohen einander gerade mit Krieg, Invasionen und allen Arten von wirtschaftlichem Terrorismus, weil sie glauben, die Familie sei nicht imstande, sie aufzuhalten. Das Gerücht fehlender Frontagenten und auch fehlender Torques hat sich ganz klar verbreitet. Also, überall in der Welt brechen alte Fehden, alter Hass und Vendetten zwischen jahrhundertealten Feinden aus, die sich auf ernsthaftes und lang aufgeschobenes Blutvergießen vorbereiten.

Dazu kommt, dass all die üblichen unüblichen Verdächtigen es kaum noch abwarten können, die Situation auszunutzen. Während also die Katze aus dem Haus ist, kriegen die Mäuse grade folgerichtig Oberwasser. All die üblichen ekelhaften Organisationen und Individuen operieren jetzt immer offener, und probieren einfach, ob wir eingreifen und sie aufhalten. Wir haben den Frieden so lange erzwungen, dass wir einfach vergessen haben, wie viel Übles unter der Oberfläche geblubbert hat.«

Er unterbrach sich, um mich vorwurfsvoll anzustarren. Alle anderen taten das Gleiche. Ich starrte zurück.

»Je mehr aus ihren Löchern kommen, desto einfacher wird es für uns, ihnen in den Hintern zu treten«, sagte ich. »Sie kriegen also nur, was sie verdienen. Noch mehr, Callan?«

»Oh, massenhaft. Alles mies, an der Grenze zu nervtötend. Elbensichtungen sind angestiegen. Signifikant angestiegen. Der Geheimdienst nimmt gegenwärtig an, dass die Schwächung der Dimensionsgrenzen durch die Eindringlinge die Elben planen lässt, aus ihrem langjährigen Exil zurückzukehren. Der Geheimdienst denkt auch, dass wir versuchen sollten, den Feenhof zu kontaktieren, um wenigstens zu versuchen, sie als Alliierte gegen die Eindringlinge auf unsere Seite zu ziehen. Weil es ja auch nicht im Interesse der Elben wäre, dass die Eindringlinge genau die Welt zerstören, die sie selbst ja unbedingt wieder erobern wollen.«

»Elben werden sich nie auf die Seite der Menschen schlagen«, sagte ich kurz. »Sie hassen uns zu sehr. Eher schlagen sie sich selbst auf die Seite der Eindringlinge, und sei es nur für das Vergnügen, die Eindringlinge das tun zu sehen, was sie selbst nie tun konnten: Die Menschheit ermorden.«

»Dann sind da die Aliens«, sagte Callan. »Die meisten Spezies, die wir beobachten, sind auf und davon. Vermutlich sind sie weg, solange sie noch können.«

»Die Ratten verlassen das sinkende Schiff«, grollte der Seneschall.

»Naja, so ziemlich«, sagte Callan. »Fühl dich übrigens frei, einfach mal dazwischen zu quatschen und meinen Bericht zu unterbrechen, wann immer dir danach ist, Cyril. Dann sind da schließlich noch wenige, aber deutliche Hinweise darauf, dass Himmel und Hölle direktes Interesse an dem zeigen, was vor sich geht. Es gibt Berichte von Engeln. Von denen von Oben und denen von Unten.«

Wir sahen alle auf Roger, der mit den Achseln zuckte. »Schaut nicht mich an. Keine Seite würde sich einem Halbblut anvertrauen. Tatsächlich ist es so, dass sie sich sogar um das Privileg prügeln würden, wer mir den Garaus machen darf.«

»Das kann ich gut verstehen«, sagte ich.

In diesem Moment hallte der schreckliche Klang eines wirklich großen Gongs durch den Lageraum, so laut, dass die Leute sich die Hände an die Ohren pressten, um ihn nicht hören zu müssen. Jeder sah sich panisch um und wappnete sich gegen einen Angriff, aber alles, was passiert war, war, dass Merlins Spiegel aus meiner Tasche hüpfte, umgehend zu voller Größe anwuchs, in der Luft hängen blieb und ein Portal zwischen dem Lageraum und der alten Bibliothek bildete. William Drood starrte aus der Öffnung in den zu Tode erschrockenen Lageraum und lächelte schwach.

»Tut mir leid. Ich dachte, ich hätte die Gongfunktion abgestellt.«

Ich seufzte schwer. »Ich bin im Moment ein kleines bisschen beschäftigt, William. Ist es wirklich wichtig?«

»Aber natürlich!«

»Aber natürlich«, sagte ich. »Alles ist dieser Tage wichtig. Immer sind es sauwichtige Neuigkeiten, niemals ist Zeit für etwas Herzerwärmendes, sowas wie ein Dachs, der skateboarden kann oder so. Hört gar nicht auf mich, ich rede nur so vor mich hin, weil ich sonst anfange, mit Sachen zu schmeißen. Was willst du, William?«

Er lächelte distanziert, und sah - man muss es sagen - noch nervöser und verwirrter aus als üblich. »Rafe kümmert sich um deinen Freund. Ich habe ein paar neue und möglicherweise lebenswichtige Informationen über die Natur und die Absichten der Abscheulichen. Du musst dir das anhören, Edwin, bevor du irgendwelche Pläne machst.«

»In Ordnung«, sagte ich resignierend. »Der Innere Zirkel ist hier bei mir. Also, lass hören.«

Der Waffenmeister trat plötzlich nach vorn und stellte sich neben mich, um durch das Portal zu starren. Er lächelte den Bibliothekar breit an. »William!«, rief er aus. »Mein Gott, es ist gut, dich wiederzusehen! Ich wusste gar nicht, dass du wieder im Herrenhaus bist. Du siehst gut aus. Na, komm her zu uns! Wir sollten uns Zeit für ein langes Schwätzchen nehmen, wenn das alles hier vorbei ist.«

William sah ihn traurig an. »Ich werde lieber nicht - ich komme besser nicht. Ich bin noch nicht so weit. Du bist Jack, richtig? Hallo, Jack. Es ist schon eine Weile her, nicht wahr … auch wenn ich Dir nicht sagen könnte, wie lang. Ich habe ein bisschen die Orientierung verloren, was die Zeit angeht und andere … Dinge.«

Der Waffenmeister sah mich an und senkte die Stimme. »Was ist los mit ihm? Ich dachte, er wäre …«

»Geheilt?«, sagte William. »Das ist ein wenig optimistisch, fürchte ich. Und ich bin zwar verrückt, aber nicht taub. Sagen wir einfach … ich werde langsam wieder zu dem, was ich einmal war.«

»Warum bist du so lange weggeblieben?«, sagte der Waffenmeister. Er bemühte sich, ruhig zu sprechen, aber es war klar, wie sehr ihn der Zustand seines alten Freundes mitnahm. »Warum hast du niemandem auf Wiedersehen gesagt? Mir zum Beispiel? Du hast nicht einmal eine Nachricht hinterlassen. Hast du nicht gewusst, was wir uns für Sorgen machen würden? Ich habe Jahre damit verbracht, dich zu suchen, noch lange, nachdem jeder andere dich schon aufgegeben und dich einen Vogelfreien genannt hat. Ich habe nie aufgegeben. Warum hast du mir nicht gesagt, wo du hingegangen bist, William? Wir waren Freunde von klein auf.«

»Das Herz hat mich vertrieben«, sagte William. Man konnte sehen, dass er ehrlich versuchte, sich zu konzentrieren und seine schweifenden Gedanken zusammenzuhalten. »Es hat mich verletzt. Das böse Herz. Ich musste fliehen, weg vom Herrenhaus und der Familie, um mein Leben und das, was von meinem Verstand noch übrig war, rennen. Ja, ich musste dort untertauchen, wo niemand nach mir suchte und mich dann tief in mir selbst verstecken, Jack. Und wieder zurückzukommen ist … schwierig. Wir reden später, Jack. Ja. Alles aufholen, nur wir beide. Nur … jetzt nicht.

Jetzt müsst ihr mir erst einmal alle zuhören, was ich euch zu sagen habe. Und passt auf, ich glaube nicht, dass ich das zweimal erklären kann.«

Sein Gesicht festigte sich, seine Stimme klang klarer und autoritärer, als er seine alte Rolle als Fachmann und Vortragender übernahm. Vielleicht weil es einfach eine weitere Rolle war, hinter der er sich verstecken konnte und die nichts anderes von ihm verlangte als seine Expertise.

»Der Familie sind die Eindringlinge lange bekannt. Wir haben vor langer Zeit gegen sie gekämpft, als die druidischen Droods die Römer unterstützten, als die das alte Britannien einnahmen. Glaubt man den lateinischen Texten, kostete es die ganze Macht des Römischen Imperiums, zusammen mit den ersten Drood-Frontagenten, die turmartigen Strukturen zu zerstören, die von besessenen Barbarenvölkern über die ganze bekannte Welt gebaut worden waren. Das römische Militär schleifte diese frühen Nester mit seiner üblichen, brutalen Effizienz, aber immer mehr sprossen aus der Erde. Es gibt Hinweise darauf, dass am Ende das Herz einschritt und direkt eingriff, die verbliebenen Gebäude zerstörte und die Eindringlinge davon abhielt, in unsere Realität zu kommen. Vermutlich, war es nicht bereit, seinen neuen Besitz aufzugeben. Es war die Welt des Herzens und es war nicht bereit zu teilen. Wie auch immer … Viele Jahrhunderte später hat unsere vorletzte Matriarchin, Sarah Drood, das Wissen jener Zeit aus der vermeintlich verlorenen Bibliothek entfernt und es dazu benutzt, die Abscheulichen in unsere Realität zu holen. Wahrscheinlich, damit sie als Waffen gegen die Nazis verwendet werden konnten.«

»Wahrscheinlich?«, fragte der Seneschall bissig. »Ich habe die Aufzeichnungen gesehen. Die Seelenfresser gaben exzellente Waffen gegen die Kriegsmaschinerie der Nazis ab, bevor die Vril-Gesellschaft auf der anderen Seite eingriff und das Gleichgewicht wieder herstellte.«

»Oh, ich bin sicher, sie haben eine Menge Schaden angerichtet«, sagte William. »Aber ich glaube nicht, dass das der Zweck war, zu dem sie geholt wurden.«

»Ich habe nie verstanden, warum unsere Wahl ausgerechnet auf sie fiel«, sagte der Waffenmeister. »Ich meine, Seelenfresser? Es hat doch bestimmt bessere, sicherere Optionen gegeben, die wir hätten wählen können.«

»Oh, die gab es«, sagte William. »Aber jemand, jemand sehr Hochstehendes, hat auf die Abscheulichen bestanden. Je mehr ich in den ungekürzten Familienchroniken lese, desto mehr bin ich zu der Schlussfolgerung gezwungen, dass jemand in der Familie ein Verräter war. Vielleicht schon von irgendeinem Dämon besessen.«

»Aber … wie wäre das möglich?«, platzte der Seneschall heraus. »Die Torques haben uns doch vor jeder Besessenheit oder seelischen Gefahr beschützt!«

»Es gibt nur einen Weg, wie das passieren konnte«, sagte William. »Jemand hat sich aus freiem Willen zur Verfügung gestellt. Wie die Kandarianer.«

Das ließ uns alle eine Weile still werden.

»Ein Verräter der Familie«, sagte ich endlich. »Das ist jetzt leichter zu glauben, wo wir alles über das Herz und die Matriarchinnen erfahren haben. Und auch über die Null-Toleranz-Fraktion, aber trotzdem … Ein Drood, der sich selbst einem Dämonen hingibt und sich mit Seelenfressern zusammentut? Warum? Was könnte derjenige glauben zu gewinnen?«

»Was noch wichtiger ist«, sagte Harry langsam. »Könnte es immer noch Verräter oder besessene Droods geben, die nach wie vor in der Familie operieren? Das könnte erklären, wie wir in der Nazca-Ebene so leicht überrumpelt werden konnten …«

William nickte traurig. »Mir ging es besser, als ich noch verrückt war und nicht wusste, was los war. Eines scheint jedenfalls bedauerlich deutlich zu sein. Seit die Abscheulichen wieder hereingelassen wurden, aus was für Gründen das vor sechzig Jahren auch immer geschah, haben sie Opfer um Opfer übernommen und langsam ihre Macht und ihren Einfluss bis zu dem Punkt ausgedehnt, an dem sie wieder anfangen konnten, ihre Strukturen zu bauen und die Eindringlinge zu beschwören.«

»Es gibt Meldungen von mehr dieser Strukturen; in verschiedenen Baustadien, aus aller Welt«, sagte Callan. »Es ist, als würden sie sie nicht einmal mehr verstecken.«

»Wie viele?«, fragte der Seneschall.

»Hunderte, bis jetzt. Es würde mich nicht überraschen, wenn es letztendlich noch Tausende würden.«

»Lasst uns darüber reden, was wir von den Abscheulichen wissen«, sagte William jetzt in vollem Vortragsmodus. »Sie sind ja nicht einfach gekommen und haben wie die meisten Dämonen oder Teufel aus der Hölle einfach mal Leute übernommen.« Es entstand eine kleine Pause, in der alles zu Roger blickte, der jedoch nichts zu sagen hatte. William schnüffelte ein paar Mal und sprach dann weiter. »Nein, diese Dämonen infizieren ihre Opfer einfach dadurch, dass sie sich in der Nähe befinden. Sie implantieren einen mental-spirituellen Embryo in den menschlichen Körper und die Seele. Die eindringende Präsenz verwendet dann den Menschen als Nahrung, während sich der Embryo entwickelt, bevor er endlich einen kompletten Abscheulichen ausbrütet.

Wie dämonische Kuckuckseier.

Erst kommen physische Veränderungen. Das Fleisch verzerrt sich, seltsame Deformierungen am Körper entstehen, alle sollen den Wirt stark genug machen, einem Embryo der Abscheulichen ein Heim geben zu können, der sich formt. Und während dieser im Wirt selbst wächst, frisst er sich in den Verstand und die Seele, ändert die Gedanken und die Persönlichkeit seines menschlichen Wirts, der sich fühlt, als würde er wahnsinnig und zu etwas Fremdem - aber dennoch nicht in der Lage ist, das zu stoppen oder auch nur den Vorgang zu verlangsamen. Wir können nur vermuten, welche Hölle diese armen Unglücklichen durchmachen. Gedanken, Gefühle, Träume, alles das ändert sich - bis nichts mehr übrig ist außer einer neuen Drohne der Abscheulichen. Der Mensch ist fort, er wurde ersetzt.«

»Also im Wesentlichen«, sagte ich, »heißt das, die Opfer sterben nach und nach, Tag für Tag, sind sie einmal infiziert. Dabei verlieren sie jedes Bisschen ihrer selbst, bis sie eines Tages zu dem werden, das sie infiziert hat. Noch mehr Drohnen für die Eindringlinge. Richtig, das ist es. Tötet die armen Bastarde, wenn ihr sie seht. Wir tun ihnen einen Gefallen.«

»Das wirklich Beunruhigende«, sagte William, »ist, dass es eine geringe, aber doch definitive Wahrscheinlichkeit dafür gibt, dass ein paar, wenn nicht sogar alle, die die Schlacht auf der Nazca-Ebene überlebt haben, selbst infiziert wurden. Und jetzt zu Verrätern der Familie werden. Möglicherweise wissen sie es nicht einmal selbst. Sie könnten dazu gebracht worden sein, es zu vergessen. Die Drood-Rüstung hätte eigentlich Schutz genug sein müssen, aber wir haben nicht genug Daten darüber, ob die silbernen Torques genauso sicher sind wie die alten goldenen.«

Harry verzog das Gesicht. »Sollten wir mit unserer Sicht nicht erkennen können, wer infiziert ist? Oder durch unsere Maske hindurch?«

»Das sollten wir«, sagte William. »Aber die Aufzeichnungen sagen nein. Es scheint, als wäre diese Infektion einfach zu … anders.«

Ich sah den Waffenmeister an. »Wir brauchen einen Test, irgendetwas, um die Wahrheit herauszufinden. Etwas, das eine infizierte Person entdecken kann. Wir müssen sicher sein, wer wer ist. Und was was.«

»Ich mache mich sofort an die Arbeit«, sagte der Waffenmeister.

»Wir brauchen einen Test, den man an der ganzen Familie anwenden kann«, meinte Harry. »Wir müssen wissen, wem wir vertrauen können.«

»Ich könnte nicht einverstandener sein, Harry«, sagte ich und sah ihn direkt an. »Noch etwas, William?«

»Der nächste logische Schritt für die Abscheulichen wäre eine komplette Beschwörung«, sagte William bedrückt. »Wenn erst einmal genug der Türme fertig sind, werden sie versuchen, die Hungrigen Götter in unsere Welt zu bringen. Um alles zu verschlingen, was lebendig ist. Ich denke, wir können annehmen, dass die Zerstörung des Turms auf der Nazca-Ebene ihnen gezeigt hat, wie gefährlich es ist, sich dabei nur auf eine isolierte Struktur zu verlassen. Also sollte uns das etwas Zeit verschaffen. Aber wie viel …«

»Seid ihr bereit für noch mehr schlechte Nachrichten?«, fragte Callan. »Der Geheimdienst ist sich dank abgehörter Kommunikation ziemlich sicher, dass die Abscheulichen uns zu den Sündenböcken machen wollen. Sie haben einen Deal mit Truman und seinem Manifesten Schicksal gemacht: Für Geld, technische Gerätschaften, Tarnung und sowas. Offenbar glaubt Truman, dass er die Eindringlinge benutzen, die Kontrolle über die Welt erlangen und sie dann wieder abschieben kann. Der Idiot glaubt tatsächlich, dass er sie benutzt!«

»Das zeigt, wie verzweifelt er ist«, sagte ich. »Nun, wir wollten eine große Schlacht, um der Welt unsere erneuerte Kraft und Macht zu demonstrieren. Und jetzt steht uns der größte Kampf unseres Lebens bevor, während die ganze Welt zusieht und auf dem Spiel steht. Bedenke wohl, worum du bittest … Aber gut. Das war's. Jeder in der Familie bekommt einen neuen Silber-Torques. So bald wie möglich, ohne Ausnahme. Ich habe schon mit Seltsam gesprochen, und er sieht keine Probleme. Er wartet nur darauf, gefragt zu werden. Wenn diese Familie in den Krieg zieht, will ich uns alle gerüstet haben. Weil wir jeden Kämpfer brauchen, den wir kriegen können. Seneschall, du musst das Training allein übernehmen, jedenfalls solange, bis Janitscharen Jane wieder auftaucht. Ich muss sagen, ein paar haben sich auch ohne Rüstung schon ganz prima gemacht.«

»Die Familie wird bereit sein«, meinte der Seneschall. »Ich werde dafür sorgen, Edwin. Keiner dieser verdammten kosmischen Parasiten kann hoffen, gegen die Drood-Familie und ihre Rüstung zu bestehen.«

»Das ist ja alles ganz rührend«, meinte Harry. »Aber meine Frage ist, ob das klug ist. Uns alle in eine Rüstung zu stecken, bevor der Waffenmeister Zeit hatte, seinen Test für mögliche Verräter in der Familie zu entwickeln? Willst du wirklich einem möglichen Verräter oder Attentäter eine Rüstung geben?«

»Vorhin klang das noch ganz anders«, sagte ich, nur wenig amüsiert. »Erst heute Morgen hast du mir jedes Schimpfwort unter der Sonne an den Kopf geworfen, weil ich die Rüstung eben noch nicht jedem habe zukommen lassen.«

»Das war heute Morgen«, sagte Harry. »Aber jetzt ist es anders. Und ich bin sowieso nicht überzeugt, dass wir rechtzeitig so viele Leute ordentlich trainieren können. Der Seneschall kann sehr … inspirierend sein, aber untrainierte Agenten im Feld können eine Gefahr für sich selbst und ihre Kameraden sein; vom Feind mal gar nicht zu reden.«

»Die Familie hat mehr Ausbilder und Tutoren zur Hand als jemals zuvor, dank mir«, sagte ich. »Und wir werden nicht wieder angreifen, bevor ich nicht sicher bin, dass wir gewinnen können. Ich werde nicht noch mehr gute Frauen und Männer verlieren. Glücklicherweise habe ich einige … Arrangements getroffen, um noch mehr Expertenhilfe zu bekommen. Tutoren, was die Kunst und die Praxis des Krieges angeht.«

»O Gott«, sagte der Waffenmeister. »Ich kenne diesen Ausdruck auf deinem Gesicht. Du glaubst, du hast etwas richtig Schlaues angestellt. Was hast du getan, Eddie? Und warum weiß ich jetzt schon, dass ich es nicht gutheißen kann?«

»Vielleicht, weil du mich so gut kennst, Onkel Jack«, erwiderte ich. »Ihr habt alle gesagt, ich hätte nicht die nötige Erfahrung, um diese Familie in den bevorstehenden Krieg zu führen und ihr hattet recht. Aber da auch niemand sonst in der Familie diese Erfahrung hat, war ich gezwungen, weiter weg zu gehen, um Jemanden zu finden, der diese Erfahrung und dieses Fachwissen hat. Ich habe Merlins Spiegel gebeten, mir die zwei passendsten Familienmitglieder zu zeigen; einen aus der Vergangenheit, und einen aus der Zukunft. Und das hat der Spiegel getan.«

»Du hast das gemacht, ohne zuerst den Inneren Zirkel zu fragen?«, fragte Harry. »Wie kannst du das wagen!«

»Ich habe es nicht getan, weil ich wusste, dass ihr versuchen würdet, es mir auszureden«, sagte ich ruhig. »Und ich wollte mir das nicht ausreden lassen. Außerdem hat es funktioniert. William, lass Rafe doch unseren Besucher herbringen, damit jeder ihm Hallo sagen kann.«

»Ich hatte ihn hier neben mir stehen«, sagte William mürrisch. »Ich wusste, dass du das wahrscheinlich so haben wolltest.«

Der lebende Jacob trat neben ihn ins Sichtfeld und lächelte fröhlich auf die verblüfften Gesichter vor ihm. Er hatte ein Glas Wein in einer Hand und er musste etwas zu essen gefunden haben, weil er die Hälfte davon auf sein Wams gekleckert hatte. »Meine edlen Abkömmlinge - Gott zum Gruße! Ich bin Jacob Drood, Soldat, Philosoph und Lebemann!«

Der Waffenmeister und der Seneschall, die beide Jacob den Geist nur zu gut kannten, sahen beide gleich geschockt und entsetzt aus. Harry, Roger und Callan erkannten zumindest den Namen und sahen mich aufmerksam an. Der Seneschall war, nicht überraschend, der Erste, der seine Worte wiederfand.

»Bist du jetzt völlig und total übergeschnappt? Weiß er von …?«

»Nein, tut er nicht«, sagte ich schnell. »Und ich glaube wirklich nicht, dass du ihm das jetzt sagen solltest. Darauf sollte man schonend vorbereitet werden.«

»Mir was sagen?«, fragte Jacob sofort misstrauisch.

»Weiß der andere Jacob davon?«, fragte der Waffenmeister. »Wie nimmt er es auf?«

»Er weiß es«, sagte ich. »Und er nimmt es so gut auf, wie man erwarten konnte. Aber er ist einverstanden. Er sagt, es ist … notwendig.«

»Welcher andere Jacob?«, fragte der Lebende. »Edwin, verheimlicht Ihr mir etwas?«

»Oh, eine ganze Menge«, sagte ich. »Du weißt ja, wie das in der Familie so ist.«

Jacob schnaubte und leerte sein Weinglas.

Ich wich dem Blick des Waffenmeisters und des Seneschalls nicht aus. »Merlins Spiegel hat diesen Mann ausgewählt, als den besten und passendsten Kandidaten aus der Familienvergangenheit. Das sollte euch zu denken geben. Jacob, wir werden dich über alles aufklären, wenn es an der Zeit ist. Bitte, stell dich jetzt vor.«

»Ich war in vielen Kriegen an der Front«, sagte der lebende Jacob ein wenig großspurig. »Diese geheimen und unsichtbaren Kriege, die immer die Spezialität der Droods waren, um die Welt zu beschützen. Ich kann Euch helfen, mit praktischer und mit politischer Vernunft, welche in meinen Tagen mein Fachgebiet war. Die Grundlagen, einen Krieg zu führen, sind recht einfach: teile und herrsche, finde die schwachen Punkte heraus und schlage dort zu, und am Wichtigsten: Verwirre jeden anderen so, dass sie nicht wagen, etwas zu tun, weil sie glauben, es sei falsch.«

»Die Welt hat sich seit deiner Zeit etwas geändert«, sagte Callan.

»Danke Jacob«, sagte auch der Waffenmeister. »Ich bin sicher, dein Fachwissen wird sich als wertlos erweisen. Wenn du und William uns nun entschuldigen wollt, wir haben über private Dinge zu reden.«

William nickte und machte eine Geste, und Merlins Spiegel schrumpfte wieder auf normale Größe und steckte sich selbst in meine Jackentasche. Zum Glück diesmal ohne den verdammten Gong. Der Waffenmeister starrte mich böse an.

»Also, Eddie. Du siehst immer noch gefährlich selbstzufrieden aus. Lass die nächste Bombe platzen. Wen oder was hat der Spiegel in der Zukunft für dich gefunden?«

»Ah ja«, sagte ich. »Da wird es etwas kompliziert. Ich habe einen fantastischen zukünftigen Krieger gefunden, und einen entfernten Nachfahren von uns, der sich Giles Todesjäger nennt.«

»Todesjäger?«, fragte Harry. »Was ist denn das für ein Name?«

»Er passt zu ihm«, sagte ich. »Fakt ist, ich habe den Mann kämpfen sehen. Er ist der Tod auf zwei Beinen und ziemlich fies drauf. Genau, was wir brauchen. Er ist sogar bereit, uns zu helfen. Unglücklicherweise …«

»Ich wusste, es gibt einen Haken«, meinte der Waffenmeister.

»Unglücklicherweise ist er von uns durch die vielen möglichen Zeitlinien getrennt, sodass Merlins Spiegel ihn nicht so ohne Weiteres durchbringen konnte wie Jacob. Ich werde ihn holen müssen. Und das bedeutet, ich brauche den Zeitzug.«

Der Waffenmeister sank nicht gerade zu Boden und verbarg sein Gesicht in den Händen, er sah nur so aus, als würde er genau das gerne tun.

»Der Zeitzug? Hast du jetzt wirklich auch das letzte Restchen Verstand verloren, Eddie? Du kannst den Zeitzug nicht benutzen. Er ist viel zu gefährlich!«

»Bitte versuch es auf jeden Fall«, sagte Harry großzügig. »Wie auch immer es ausgeht, wir werden nur gewinnen können.«

»Arroganz ist nicht sehr schmeichelhaft, Harry«, sagte ich leichthin. »Ich weiß, was ich tue, Onkel Jack.«

Der Waffenmeister schnaubte laut. »Das wäre das erste Mal. Naja, wenn du schon gehen musst, dann sei bitte so nett, so viele zukünftige Waffen mitzubringen, wie du kriegen kannst.«

»Todesjäger«, meinte Roger Morgenstern. »Teufel auch, ein verdammt guter Name.«

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