Kapitel Vierzehn Krieg und Frieden

Alle Droods sind Kämpfer. Es liegt ihnen im Blut, und sie werden darauf trainiert. Wir werden alle mit einem Torques geboren und von kleinauf dazu erzogen, den guten Kampf zu kämpfen, auch wenn die meisten von uns nie das Herrenhaus verlassen oder eine wütend erhobene Hand erleben. Weil die Familie immer gewusst hat, dass einmal der Tag kommen würde, an dem alle Droods zusammen in den Krieg ziehen und die Menschheit und die Welt retten müssten.

Mögen die Krieger der Droods entfesselt werden!

Janitscharen Jane hatte uns schon eine Menge beigebracht, aber Giles Todesjäger lehrte uns etwas anderes. Unter seiner brutalen Ägide lernten wir nicht nur, wie man Krieger war, sondern Soldaten in einer Armee. Als Jane noch das Kommando gehabt hatte, hatte sie mit uns Krieg gespielt. Giles organisierte seine Manöver wie etwas Reales, mit der einen Hälfte der Familie gegen die andere, sodass wir lernen konnten, wie man als Teil einer Gruppe zu kämpfen hatte. Es reichte uns nicht mehr, dass wir Krieger waren, wir mussten eine Armee werden. Giles brachte uns Strategie bei und taktisches Denken, anstatt sich darauf zu verlassen, dass wir unsere Mann-gegen-Mann-Philosophie weiter verfolgten. Er lehrte uns, an die Operation als Ganzes zu denken und nicht nur an unseren individuellen Teil darin. Wir lernten schnell, denn wir sind Training gewöhnt.

Und so befanden wir uns alle draußen auf den weiten Rasenflächen, hell glänzend und wild in unseren goldenen Rüstungen und taten unser Bestes, uns gegenseitig umzubringen. Jeder Drood, Mann oder Frau, außer dem absolut nötigen Rumpfpersonal für die Organisation, den Lageraum und die Krankenstation, war mit Leibeskräften dabei, unter Giles strengem Kommando hin- und herzulaufen. Wir stießen zusammen, Körper gegen Körper, und trieben unsere Muskeln und Nerven an ihre Grenzen. Der Schlachtenlärm war ohrenbetäubend - goldene Klingen suchten goldene Harnische, gerüstete Fäuste hämmerten auf gerüstete Köpfe ein und Stimmen schrien leidenschaftlich, wütend und eifrig durcheinander. Die Greifen hievten sich von ihrem angestammten Platz und verzogen sich schmollend in eine friedlichere Ecke. Die Pfauen und die anderen Tiere folgten ihnen schon bald. Selbst unsere Nixe steckte den Kopf aus dem Wasser, um zu sehen, was zur Hölle vor sich ging und verschwand schnell wieder. Die Kinder, die nicht in die Schule gehen mussten, sahen uns zu, wie wir den Krieg probten und jubelten und applaudierten aufgeregt aus sicherer Entfernung. Sie waren dabei, um ebenfalls etwas zu lernen.

Denn wir alle wussten - auch wenn es niemand aussprach -, dass verdammt viele von uns nicht wieder zurückkämen, selbst dann, wenn wir den Krieg gewannen. Und die nächste Generation Droods würde vielleicht früher in unsere Fußstapfen treten müssen, als irgendeiner von uns geahnt hatte.

Ich war dabei, mittendrin im Getümmel, und übte wie jeder andere. Ich rannte die immer zertretenere Wiese herauf und herunter, und wechselte mich mit den anderen dabei ab, den Angriff zu führen oder auch geführt zu werden. Ich war zu sehr daran gewöhnt, Einzelkämpfer zu sein, das aber war ein Luxus, den ich mir in diesem Krieg nicht länger leisten konnte. Also strengte ich mich immer wieder an, rannte wie verrückt hierhin und dorthin, bis meine Lungen wehtaten und schwarze Punkte vor meinen Augen tanzten. Dann ließ ich lange goldene Klingen aus meinen Händen wachsen und warf mich selbst wieder in ein weiteres wildes und brutales Handgemenge.

Jeder Knochen tat mir schließlich weh, und mein Herz pochte so stark, dass ich schon glaubte, es würde jeden Moment meinen Brustkorb sprengen. Und das war nur eine Übung für den wirklichen Einsatz.

Offenbar hatte Giles etwas ganz Ähnliches wie eine lebende Rüstung in seiner fernen Zukunft gekannt, weil er lauter Ideen hatte, wie man unsere Rüstung selbst zur Waffe machen konnte. Während der kurzen Pausen zwischen seinen sorgfältig choreografierten Feldzügen, hielt er uns Vorträge darüber, wie begrenzt die Familie bisher immer gewesen sei, wenn es um die Rüstung ging. Sie brauchte nicht nur eine Verteidigung zu sein, eine zweite Haut, die uns schützte und unsere Kraft und Geschwindigkeit erhöhte. James's Trick mit den Klingen zeigte, dass die Rüstung zu etwas werden konnte, was auf unsere Gedanken und Bedürfnisse reagierte. Wenn sie ein Schwert schaffen konnte, warum keine Schlachtaxt? Wenn aus meinen Knöcheln Dornen wachsen konnten, warum nicht über meinen ganzen Körper hinweg? Die Rüstung hatte ihre einfache Form zunächst einmal nur, weil wir niemals auf den Gedanken gekommen waren, dass sie viel mehr konnte.

Wenn man schon ein Wunder besitzt - warum sollte man nicht versuchen, es zu verbessern?

Es brauchte einen Außenseiter wie Giles, uns die wahren Möglichkeiten der Rüstung erkennen zu lassen und zu begreifen, dass die Möglichkeiten nur von unserer fehlenden Vorstellungskraft begrenzt waren. Nachdem die Idee sich einmal festgesetzt hatte, gab es kein Halten mehr. Es brauchte eine Menge Konzentration, aber die seltsame Materie unserer Rüstung formte sich selbst unter der Kraft unserer verschiedenen Gedanken. Goldene Hände wuchsen zu den verschiedensten Waffen heran und glänzende Gesichter wurden zu grimmigen Gargoyles, heulenden Wölfen, Monstern und Engeln. Geschmeidige Körperformen bogen und änderten sich, wurden zu mystischen Gestalten und legendären Wesen. Ein paar ließen sich sogar goldene Flügel aus ihrem Rücken wachsen und flatterten wacklig in die Luft hinauf. Wir konnten unsere Formen noch nicht lange halten; noch nicht, es kostete zu viel Konzentration. Aber wer wusste schon, was nach einer längeren Übungszeit alles möglich sein würde?

Ich sah die grimmigen Gestalten und unmöglichen Transformationen immer wieder vor staunendem Publikum herstolzieren und ich wusste nicht genau, ob ich das gutheißen sollte. Gerade jetzt brauchten wir eine Armee, die über jede Waffe verfügte, die wir kriegen konnten. Aber was würde nach dem Krieg aus uns werden? Wenn keine goldenen Monster oder strahlenden Gladiatoren mehr gebraucht würden? Unter normalen Umständen brauchte die Familie nur eine begrenzte Anzahl besonders trainierter Frontagenten, um den Frieden aufrecht zu erhalten. So wie ich einer gewesen war. Würden diese goldenen Soldaten einfach so bereit sein, die neuen Möglichkeiten aufzugeben?

Und was würde passieren, wenn die Rüstung auf einmal begann, auch auf unbewusste Kommandos zu reagieren und nicht nur auf die bewussten? Würden wir dann alle zu instinktbeherrschten, räuberischen Monstern werden, die nur von ihren persönlichen Dämonen angetrieben wurden? Vielleicht würden wir sogar zu Gefangenen unserer Rüstungen werden, wenn sie auf tiefe unbewusste Bedürfnisse einging und unser bewusstes, zutiefst erschrockenes Flehen ignorierte?

Aber das waren Albträume für einen anderen Tag. Hier und jetzt bestand mein Job darin, dafür zu sorgen, dass die Welt überhaupt einen anderen Tag sah. Zuerst musste der Krieg gewonnen werden, dann konnten wir uns Gedanken um den Frieden machen. Also warf ich mich wieder in die Schlacht, in der eine Rüstung auf die nächste prallte, den ganzen heißen Tag lang. Und vor meinen Augen wurde die Drood-Familie zusehends zu etwas Neuem, etwas Entschlossenerem, Feinerem und auf das Ziel Konzentrierterem. Giles Todesjäger trieb die Familie an ihre Grenzen.

Und wir liebten es.

Während einer anderen kurzen Pause, saß ich erschöpft auf dem Rasen und trank ein wunderbar gekühltes Becks direkt aus der Flasche. Die Matriarchin war herausgekommen, um zu sehen, was die Manöver brachten und hatte - sehr aufmerksam von ihr - einen Picknickkorb mitgebracht. Ich durfte zuerst zugreifen. Rang hat eben seine Vorteile. Also kaute ich auf kalten Hähnchenschenkeln herum, genoss mein schönes Becks und ignorierte demonstrativ die Gurkensandwiches. Manchmal denke ich, Großmutter nimmt diesen ganzen Adelskram viel zu ernst.

Sie ließ sich neben mir auf einem kleinen Jagdstuhl nieder, gekleidet wie immer in den üblichen Tweed und die Perlen und betrachtete alles mit großem Interesse. Sie legte Wert darauf, sich mit mir in regelmäßigen Abständen zu beraten und sich mit allem einverstanden zu erklären, was ich sagte. Natürlich war das nur zur öffentlichen Kenntnisnahme, damit die ganze Familie sehen konnte, dass ich ihre volle Unterstützung genoss. Nach einer Weile kam Giles Todesjäger zu uns herüber. Er hatte härter gearbeitet als jeder von uns, aber er schien nicht einmal zu schwitzen oder aus der Puste zu sein. Er sah aus, als täte er das jeden Tag und nach allem, was ich wusste, stimmte das vielleicht sogar. Er war Oberster Krieger, was zum Teufel das auch immer sein mochte. Giles verbeugte sich höflich vor der Matriarchin und nickte mir fröhlich zu.

»Du machst dich gut, Eddie. Du bist gut in Form und hast einen unbedingten Siegeswillen. Ich bin beeindruckt. Also, was sagst du, wenn ich eine kleine Show veranstalte, um deiner Familie zu demonstrieren, was zwei versierte Kämpfer so alles tun können. Nichts wirklich Anstrengendes, nur ein kleines Duell so zum Spaß. Was meinst du?«

Ich seufzte innerlich, hielt mein Gesicht aber ruhig und gefasst. Es schien, als würde jeder, den ich neu hierhin brachte, erst einmal kämpfen wollen. Als ob jeder meinte, erstmal meine Autorität auf die Probe stellen zu müssen. Oder um sich selbst an mir zu testen, bevorzugt so, dass alle anderen es sehen konnten. Jeder will immer wissen, ob der legendäre Revolverheld wirklich so schnell ist wie seine Legende. Und ich hatte das verdammt satt. Wenn Molly hier gewesen wäre, hätte sie laut geschnaubt und gesagt: Männer! Warum holt ihr sie nicht einfach raus und vergleicht sie? Und das mit einer lauten und weithin schallenden Stimme.

Aber Molly war nicht hier. Sie wanderte wieder einmal durch den Park und setzte sich mit ihrem inneren Selbst auseinander. Wer oder was auch immer das derzeit sein mochte.

»Natürlich«, sagte Giles leichthin. »Wenn du zu müde bist, Eddie, oder keine Lust dazu hast, dann verstehe ich das natürlich. Das würde jeder andere auch.«

»Genug davon«, sagte die Matriarchin kurzerhand. Sie stand geschmeidig von ihrem Jagdklappstuhl auf und ließ ihn zurück, wo er ein wenig verloren und verlassen aussah. Sie schritt nach vorn zum verdutzten Giles und sah ihn mit ihrem klaren Blick an. »Ich weiß nicht, wie man die Dinge in deiner Zeit handhabt, Giles Todesjäger, aber wir wählen unsere Führer nicht durch Herausforderung. Wir sind hier alle Krieger. Du musst weit mehr als ein Kämpfer sein, um die Droods zu führen. Aber wenn du so verzweifelt auf ein Duell aus bist, dann werde ich dir zur Verfügung stehen.«

»Du?«, sagte Giles und gab sich nicht einmal die Mühe, seine Überraschung zu verbergen. Und dann lächelte er sie von oben herab an.

»Oh nein«, sagte ich leise. »Nicht lächeln.«

»Ich bin sicher, du warst zu deiner Zeit sicher eine gute Kämpferin«, meinte Giles, aber Martha unterbrach ihn sofort.

»Ich bin die Drood-Matriarchin«, erwiderte sie und jedes Wort bestand aus klirrendem Eis. »Und jeder Drood ist einem dahergelaufenen Zukunftssöldner gewachsen.«

Giles hob die Hand in einer versöhnlichen Geste. Martha schnappte sich den Arm, drehte ihn um und warf ihn mit dem Gesicht zuerst ins Gras. Er traf hart genug auf, um aufzustöhnen. Und dann trat sie ihn so hart in die Rippen, dass Leute, die noch mehr als sechs Meter entfernt standen, zusammenzuckten. Giles krabbelte weg von ihr und stand schnell auf. Jetzt lächelte er nicht mehr. Er wollte etwas sagen, unterbrach sich aber, als Martha sich ihm wieder in eindeutiger Absicht näherte. Er nahm eine Standard-Verteidigungshaltung ein - und es nutzte ihm verdammt nochmal kein kleines bisschen. Martha verarbeitete ihn in seine Einzelteile, parierte seine zunehmend verzweifelten Schläge mit lässigem Können, warf ihn hierhin und dorthin und ließ das alles ganz leicht aussehen. Alles, ohne auch nur einmal aufrüsten zu müssen.

Giles hätte es wirklich besser wissen müssen. Man wird nicht die Matriarchin der Droods, indem man diesen Posten einfach erbt. Martha hatte dreißig Jahre lang unbewaffneten Nahkampf unterrichtet und hatte das nur aufgegeben, weil sie schließlich jemand gefunden hatte, der es besser konnte als sie.

Giles war nicht dumm. Nachdem ihm klargeworden war, dass er nicht hoffen konnte, sie zu schlagen oder auch nur zu bestehen, gab er auf. Martha trat sofort zurück und erlaubte ihm, auf die schmerzenden Beine zu kommen.

»Ich verstehe, was Sie meinen, Matriarchin«, sagte Giles und wischte sich mit dem Handrücken Blut aus dem Mundwinkel. »Ich bin beeindruckt.«

»Das solltest du auch sein«, sagte Martha kalt. »Ich hoffe, wir werden das nicht noch einmal tun müssen. Und Giles, auch wenn du irgendwelche Intentionen hegst, du könntest nie hoffen, uns zu führen. Du gehörst nicht zur Familie.«

Sie wandte ihm den Rücken zu und entließ ihn, und er war klug genug, das hinzunehmen. Er schrie jedem, der zugesehen hatte, zu, dass das Training weiterging und alle gehorchten. Martha ließ sich wieder auf ihrem Klappstuhl nieder und sah mich prüfend an.

»Ich habe drei Schwestern besiegt, um meine Position als Matriarchin zu festigen. Du hast das Kommando, weil ich das gestatte. Vergiss das nie, Eddie.«

»Natürlich, Großmutter«, sagte ich. Und sie schritt wieder zurück zum Herrenhaus. Ich sah ihr hinterher und als ich sicher war, dass sie sich außer Hörweite befand, sagte ich. »Es gibt mehr Wege zu kämpfen und zu gewinnen, als Leute herumzustoßen, Großmutter.«

»Das hab ich gehört«, sagte sie, ohne sich umzudrehen.

»Natürlich, Großmutter.«


Die organisierte Selbstverstümmelung ging weiter, während Giles seine Befehle vielleicht etwas lauter brüllte als vorher, aber ich fand, ich hätte eine Pause verdient. Ich plünderte den Picknickkorb, fand noch etwas Kaviar und Toast und machte mich auf, um etwas Ruhe und Frieden zu finden. Irgendwie landete ich bei der alten Kapelle. Still und friedlich war sie und es gab immer noch keinen Hinweis auf Jacob den Geist. Ich begann, mir darum Sorgen zu machen. Er hatte irgendetwas vor. Ich setzte mich in seinen großen abgeschabten Ledersessel und fischte Merlins Spiegel aus meiner Tasche. Die Manie, ihn herauszunehmen, der Drang nachzusehen, was um mich herum passierte, und Dinge herauszufinden, die mich nichts angingen, nahm irgendwie suchthafte Formen an. Aber es gab immer Dinge, die ich wissen musste, für das Wohl der Familie, also … Ich befahl dem Spiegel, mir die Gegenwart zu zeigen und zu enthüllen, was Molly tat. Ich wollte ihr vertrauen, in ihre Instinkte und ihre Selbstbeherrschung, aber sie war eben nicht mehr nur Molly. Da war etwas anderes jetzt in ihr, etwas Lebendiges, und Feindseliges. Ich musste mir ihrer sicher sein. Um unser aller willen.

Selbst in den wenigen Stunden seit gestern, hatte ich physische und mentale Änderungen bei Molly bemerkt, beinahe wider meinen Willen. Sie sah größer aus, stärker, ihre Bewegungen waren irgendwie seltsamer - obwohl das alles auch nur meiner Phantasie entsprungen sein konnte. Aber es gab keinen Zweifel daran, dass sie sich selbst anders benahm und manchmal erwischte ich sie dabei, dass sie mit leerem Gesicht unnatürlich still dastand, so als höre sie auf eine innere Stimme. Sie sagte, dass sie bereits eine Ahnung von der inneren Stimme der Abscheulichen bekam, am Rand ihres Verstandes. Sie sagte, dass es immer noch nur ein unverständliches Gemurmel sei, aber sie begann, Teile davon zu verstehen. Sie fing an, besondere Orte für die Nester der Abscheulichen zu lokalisieren, darunter sogar einige, die wir noch nicht einmal vermutet hatten. Ich gab die neuen Koordinaten an den Lageraum weiter, wo sie schnell bestätigt wurden und man mich bat, Molly nach mehr zu fragen. (Ich hatte ihnen gesagt, wir hätten die Nester dank ihrer Magie gefunden und bei ihrem Ruf hatten sie keine Probleme, das zu glauben). Und jedes Mal, wenn Molly ein neues Nest fand, sah sie mich beinahe herausfordernd an, als wolle sie sagen: Siehst du? Ich bin immer noch ich. Immer noch Molly. Immer noch auf deiner Seite. Und was konnte ich dann tun, als nicken und lächeln und ihr gratulieren? Selbst wenn das bewies, wie sehr sich ihr Verstand änderte und mehr und mehr des Alien-Kollektivbewusstseins verstand.

Sie hatte auch heftige Stimmungsschwankungen, aber ich wusste nicht, ob ich die auf die Infektion schieben konnte.

Merlins Spiegel zeigte sie mir. Sie stand in einem kleinen Wäldchen und sah hinaus auf das verlassene Wasserrad am anderen Ende des Sees. Ihr Gesicht sah eingefallen und nachdenklich aus, ihre dunklen Augen schienen weit weg zu sein und sie ignorierte die Schwäne, die vor ihr auf dem See in der Hoffnung auf Brotkrumen heranschwammen. Ich sah sie lange an. Sie sah immer noch wie Molly aus. Wie meine Molly. Aber ich musste mich fragen, wie lange das noch so sein würde. Wie lange, bevor die innere Molly sich so änderte, dass sie nicht mehr als echt durchging. Ich fühlte mich so hilflos! Und ich hatte es satt. Da war ich nun, der Führer der mächtigsten Familie der Welt und es gab nicht das Geringste, was ich tun konnte, um die Frau, die ich liebte, zu retten. Außer sie in die Schlacht zu schicken und zu hoffen, dass sie einen ehrenvollen Tod starb.

Wenigstens würde ich sie so nicht selbst töten müssen, wenn sie sich wandelte. Konnte ich das überhaupt tun? Ich glaubte es. Es war, was sie wollte, worum sie mich gebeten hatte. Und außerdem hatte ich zu meiner Zeit Schlimmeres für die Familie getan.

Noch während ich hinsah, kamen Harry Drood und Roger Morgenstern am Seeufer entlang auf sie zu. Harry lächelte fröhlich, als wäre er auf einem kleinen Spaziergang und sei nur zufällig auf Molly getroffen. Roger lächelte ausdruckslos, seine Augen dunkel und wachsam wie immer. Das Gras welkte und wurde schwarz, wohin er seinen Fuß setzte und die Schwäne flatterten davon. Ein Vogel, der über ihm herflog, fiel auf einmal tot vor seine Füße. Roger hob ihn auf und biss gedankenverloren hinein, als wäre er ein ganz normaler Snack. Blut lief sein Kinn entlang. Harry sah ihn angewidert an und Roger warf den toten Vogel augenblicklich fort. Molly musste wissen, dass sie da waren, aber sie ignorierte die zwei, bis sie beinahe neben ihr standen. Und dann brachte sie beide mit einem einzigen harten Blick dazu, auf der Stelle stehen zu bleiben.

Ich konnte ihre Stimmen deutlich hören, wenn auch entfernt.

Betrachtete man die Art, wie sie die zwei ansah, war mir klar, dass sie sich fragte, ob sie Bescheid wussten. Immerhin hatte Roger übermenschliche Sinne und Harry besaß Jahre an Erfahrung als Frontagent. Aber sie entschied schnell, dass das nicht der Fall war, und nickte Harry kurz zu. Roger ignorierte sie.

»Molly«, sagte Harry und lächelte leicht. »Du siehst gut aus.«

»Was willst du, Harry?«

»Was ich immer will«, sagte Harry. Er lächelte immer noch und richtete geistesabwesend das Drahtgestell seiner Brille. »Ich will das Beste für die Familie. Was dieser Tage bedeutet, dass ich das Kommando habe und nicht Eddie. Die Familie braucht meine Ruhe, meine durchdachten Entscheidungen und nicht Eddies durchgedrehte Impulsivität. Er wird alles verderben und uns alle umbringen. Das musst du doch wissen, Molly. Du kennst ihn besser als jeder von uns. Kannst du wirklich darauf vertrauen, dass er unter Druck das Richtige tut? Und wenn wir besiegt werden - wer wird noch da sein, um die Welt zu retten?«

»Was willst du, Harry?«

»Du bist unsere einzige Möglichkeit, an Eddie heranzukommen«, sagte Roger. »Wenn wir dich dafür gewinnen könnten - also dafür, dass Harry wieder die Macht in der Familie bekommt -, glauben wir, dass wir eine wirklich gute Chance hätten. Eddie würde einfach draufgehen ohne dich.«

Molly grinste plötzlich. »Ihr beide kennt Eddie wirklich überhaupt nicht. Er ist immer stärker gewesen als alle dachten. Das musste er sein. Er ist nicht auf mich angewiesen. Er braucht mich nicht. Und er wird prima zurechtkommen, wenn ich nicht mehr da bin.«

Harry und Roger wechselten einen schnellen Blick. »Planst du, … uns zu verlassen, Molly?«, fragte Harry.

»Sag nicht, du hast genug von Eddies Gutmenschentum«, sagte Roger. »Na, wurde ja auch Zeit. Du und ich waren uns ja mal sehr nahe, aber ich habe nie verstanden, was du in ihm gesehen hast.«

»Du und ich waren uns nie so nah«, entgegnete Molly.

»Wie kannst du so etwas sagen«, fragte Roger und schmollte spielerisch. »Dabei war es so schlimm für mich, als du mich verlassen hast. Ich habe Wochen gebraucht, um über dich hinwegzukommen.«

»Ich habe dich verlassen, weil du versucht hast, meine Seele an die Hölle zu verschachern!«

»Kleinigkeiten. Wir haben alle unsere Verpflichtungen der Familie gegenüber.«

Molly schnaubte. »Na, jetzt bist du ja mit Harry zusammen. Eine kleine Überraschung, du warst immer ein großer Weiberheld. Soll ich jetzt wirklich annehmen, du bist schwul?«

Roger zuckte mit den Achseln. »Ich bin ein halber Dämon. Ich akzeptiere keine menschlichen Grenzen, am allerwenigsten in meiner Sexualität. Ich will alles ausprobieren - und das tue ich auch meist.«

Molly sah Harry an. »Und du bist nicht im Geringsten eifersüchtig auf das, was zwischen Roger und mir gelaufen ist?«

»Alles, was ihr gemeinsam hattet, war ein Bett«, sagte Harry. »Roger und ich lieben uns.«

»Liebe?«, fragte Molly ungläubig. »Er ist eine Höllenbrut! Ein Ding aus den Schwefelklüften und darauf fixiert, die ganze Menschheit hinunter in die Verdammnis zu ziehen!«

»Kritik?«, meinte Roger. »Von der berüchtigten Molly Metcalf? Der Frau, die einmal mit den Dämonen der Hölle im Bett war, weil sie sich anders ihre magischen Kräfte nicht erkaufen konnte? Weiß Eddie etwas davon? Hast du ihm alle Dinge erzählt, die du getan hast, du wilde und durchtriebene Waldhexe? Glaubst du wirklich, dass er immer noch dasselbe für dich fühlen würde, wenn er es wüsste?«

Molly erwiderte seinen Blick furchtlos, das Kinn leicht angehoben. »Ich war damals jemand anderes. Ich hatte den Droods Blutrache geschworen, weil sie meine Eltern ermordet hatten. Ich brauchte alle Macht, die ich kriegen konnte, um sie herauszufordern. Aber das war damals und heute ist heute und überhaupt ändert sich mit der Zeit alles … Such dir das Klischee aus, das dir am meisten zusagt. Ich bin nicht im Geringsten mehr die Person, die ich einmal war.«

»Glaubst du, Eddie würde das kümmern?«, fragte Roger. »Ich denke, du wirst sehen, dass er da sehr traditionell denkt. Er ist sehr altmodisch, was gewisse Dinge angeht.«

»Er muss aber nicht erfahren, was wir über dich wissen«, meinte Harry. »Wir müssen es ihm nicht sagen. Nicht, wenn du deinem Herzen einen kleinen Schubs gibst und uns wenigstens ein bisschen hilfst.«

»Im Tausch für euer garantiertes Schweigen?«

»Exakt«, sagte Roger. »Alles, worum wir bitten, ist, dass du für uns ein gutes Wort einlegst. Unsere Position unterstützt. Dabei hilfst, Eddie zu überzeugen, dass es im besten Interesse aller ist, zurückzutreten und Harry zu erlauben, seinen Platz als Familienoberhaupt einzunehmen. Keine großen Reden, keine große Sache. Nur ein paar Worte in sein Ohr, im rechten Moment.«

Und dann unterbrach er sich, weil Molly ihn anlächelte. Und dies Lächeln war nicht sehr angenehm. Molly trat einen Schritt vor und Roger wich einen zurück. Harry bewegte sich schnell vor, um sich zwischen die beiden zu stellen.

»Es gab eine Zeit«, sagte Molly, »da hätte es mir etwas ausgemacht, was ihr Eddie erzählen könntet. Aber das hat sich geändert. Sagt ihm, was ihr wollt, es macht mir nichts aus. Ich kümmere mich nicht darum, und ich glaube, das wird er auch nicht tun. Keiner von uns kümmert sich mehr um die Vergangenheit, denn es ist die Zukunft, die uns Sorgen macht. Aber selbst wenn, Harry, Roger, wäre ich an eurer Stelle sehr vorsichtig mit allem, was Eddie als eine Drohung gegen mich auffassen könnte. Er ist sehr beschützend mir gegenüber, seiner Liebe. Und ihr wollt wirklich nicht, dass er euch schon wieder in aller Öffentlichkeit in den Arsch tritt, oder, Harry?«

»Wir ziehen in den Krieg!«, sagte Harry. »Die Familie braucht mich als Oberhaupt!«

»Nein«, sagte Molly. »Du hattest deine Chance und du hast sie versaut. Du hast die Dinge erst so weit kommen lassen. Wenn ich Eddie wäre, würde ich dich für das töten, was du der Familie angetan hast. Und weißt du was? Vielleicht tue ich das noch. Einfach so allgemein. Ich könnte nämlich etwas brauchen, das mich aufmuntert.«

Sie strahlte Harry und Roger an, wandte sich um und ging davon. Sie sahen ihr hinterher.

»Frauen«, sagte Roger, und Harry nickte.


Ich schloss die Szene am See, aber ich war mit Merlins Spiegel noch nicht fertig. Ein Teil von mir wollte los und Molly finden, sie an mich drücken und ihr sagen, … dass nichts eine Rolle spielte. Nichts spielte für mich eine Rolle, nur sie. Aber ich hatte immer noch die Verpflichtungen meiner Familie gegenüber, und da gab es Dinge, die ich herausfinden musste. Also sagte ich dem Spiegel, dass er mir zeigen sollte, wo Mr. Stich war und was er gerade tat. Ich hätte mich daran erinnern müssen, dass Lauscher an der Wand nicht nur ihre eigene Schand' hörten, sondern auch die jedes anderen.

Zu meiner Überraschung zeigte mir der Spiegel, wie Mr. Stich völlig entspannt zwischen Bücherstapeln in der alten Bibliothek saß, während der Hilfsbibliothekar Rafe ihm einen Tee brachte. Mr. Stich hatte den Straßenanzug ausgezogen, in dem ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Vermutlich, weil er immer noch von Pennys Blut durchtränkt war. Stattdessen trug er wieder die formelle Kleidung seiner viktorianischen Zeit. Er saß still und ruhig da, während Rafe Milch in seinen Tee gab, aber keinen Zucker, und ihm dann die feine Porzellantasse reichte. Mr. Stich blies behutsam auf den Tee, um ihn zu kühlen, aber seine Augen blieben auf Rafes Gesicht gerichtet, als der junge Bibliothekar sich ihm gegenüber niederließ.

»Sie trinken Ihren Tee nicht, Rafe«, meinte Mr. Stich.

»Ich lasse ihn etwas abkühlen. Lassen Sie sich nicht aufhalten.«

Mr. Stich sah Rafe beinahe traurig an und nahm dann einen großen Schluck aus seiner Tasse. Er verzog kurz den Mund und stellte die Tasse dann auf einem Bücherregal neben sich ab.

»Wenn Sie mit Gift arbeiten, Rafe, dann müssen Sie den Tee viel stärker machen, um den Geschmack zu überdecken. Und Sie sollten genug Strychnin pro Tasse nehmen, um ein Dutzend normaler Menschen zu töten. Aber ich bin schon seit Langem nicht mehr so leicht zu töten. Für meinesgleichen ist Gift sowieso wie Muttermilch. Warum, Rafe? Ist es wegen Penny? War sie eine Freundin von Ihnen? Oder vielleicht sogar mehr?«

Rafe stand abrupt auf und warf seine Tasse weg. Er stand drohend über Mr. Stich, für einen langen Moment, und seine Hände waren an der Seite zu Fäusten geballt. Mr. Stich stand gelassen auf, um ihm auf Augenhöhe zu begegnen. Rafe brachte zunächst kein Wort heraus, sein Atem ging zu schwer. Sein Gesicht war vor Hass und Verachtung verzerrt.

»Wir standen uns nie nahe«, sagte Rafe heiser. »Aber vielleicht wäre es so weit gekommen. Sie wusste nie, was sie mir bedeutet. Und jetzt wird sie es dank Ihnen nie wissen. Soll Ihre Seele zur Hölle fahren!«

»Das ist schon geschehen«, sagte Mr. Stich.

Rafe griff ihn an. Er warf sich gegen den ruhigen und ungerührt dastehenden Unsterblichen. Er schlug mit seinen Fäusten auf Mr. Stich ein, während heiße Tränen seine Wangen herunterliefen und Mr. Stich stand nur da und nahm es hin. Rafe rüstete hoch und seine goldenen Fäuste hämmerten auf Mr. Stichs leidenschaftsloses Gesicht ein. Die gerüstete Stärke hinter den Schlägen musste furchtbar sein, aber Mr. Stich schien keinen Schaden davonzutragen. Und wenn die Hiebe ihn schmerzten, zeigte er es nicht. Schließlich stand Rafe mit schwer herabhängenden Armen und schweiß- und tränenüberströmtem Gesicht vor Mr. Stich und rüstete ab. Mr. Stich sah ihn an.

»Weinen Sie nur, Junge«, meinte er. »Das ist in Ordnung. Ich würde es auch tun, wenn ich könnte.«

In diesem Moment kam William Drood herbei, um zu sehen, was es mit all dem Lärm auf sich hatte und nahm die Szene einen Moment in sich auf. Er sah Mr. Stich böse an, der sofort einen Schritt zurückwich und William nahm Rafe mit sich fort. Mr. Stich stand sehr still und sah nicht einmal auf, bis William wieder allein zurückkam. Ich ließ Mr. Stichs Gesicht die ganze Zeit nicht aus den Augen. Er verzog die ganze Zeit keinen Muskel. Ich hatte keine Idee, was er dachte oder fühlte. Wenn er überhaupt etwas fühlte. Es gab Zeiten, … in denen ich wünschte, ich könnte genauso sein und die Dinge nicht fühlen müssen, die mir so wehtaten. William bedeutete Mr. Stich, sich zu setzen und er folgte. William ließ sich ihm gegenüber nieder. Er sah traurig auf das benutzte Teegeschirr.

»Trinken Sie den Tee nicht«, sagte Mr. Stich ruhig.

»Das habe ich mir zusammengereimt«, sagte William trocken. »Es tut mir leid. Er ist jung. In diesem Alter nimmt man die Dinge so persönlich. Dennoch, es war nichts, was Sie nicht erwartet oder schon erlebt hätten, denke ich. Was wollten Sie hier?«

»Molly Metcalf meinte, ich könnte hier Antworten finden«, meinte Mr. Stich. Sie hätten in diesem Tonfall genauso gut über das Wetter reden können. »Altes Wissen, das man nirgendwo sonst findet. Vielleicht sogar einen Hinweis auf eine Heilung meines Zustands. Oder wenigstens einen darauf, wie man bestimmte Aspekte davon mildern kann.«

William sah ihn abwägend an. »Sie haben selbst gewählt, was Sie jetzt sind. Bereuen Sie es jetzt?«

»Sie kennen diese Bibliothek besser als jeder andere«, sagte Mr. Stich. »Könnten Sie mir helfen?«

»Warum sollte ich?«, fragte William offen. »Nach allem, was Sie getan haben, warum sollte ich nicht entzückt über die Aussicht sein, dass Sie unweigerlich zur Hölle fahren?«

»Um zukünftige Leben zu retten?«, meinte Mr. Stich ruhig. »Damit es keine Pennys und keine Rafes mehr gibt.«

William schnaubte. »Ich schätze, es ist sicher etwas hier. Wir haben Bücher zu jedem Thema unter diversen Sonnen, vom Ungewöhnlichen bis hin zum Unglaublichen, vom Unwahrscheinlichen bis hin zum schlichtweg Unmöglichen. Ich bin mir sehr sicher, dass auch Sie irgendwo dabei sind. Es kommt darauf an, was Sie genau wollen, das ich finde.«

»Ich habe mich selbst zu dem gemacht, was ich bin«, sagte Mr. Stich. »Ich bin für alles, was ich bin und alles, was ich jemals getan habe, verantwortlich. Aber zum ersten Mal will ich das ändern.«

»Das würde darauf ankommen, mit wem und wie Sie diesen Handel einst abgeschlossen haben«, meinte William vorsichtig. »Einige dieser Verträge könnten neu verhandelt werden. Wollen Sie wieder menschlich werden?«

»Ich war immer menschlich«, sagte Mr. Stich. »Das ist das Problem. Ich will etwas anderes. Ich will einen Weg finden, meine Opfer wieder lebendig zu machen. Alle. All den Frauen, die ich in all den Jahren abgeschlachtet habe, will ich das Leben wiedergeben. Bis hin zu den armen fünf Frauen, die das alles möglich gemacht haben, damals, in diesem für die Jahreszeit zu warmen Herbst 1888.«

»Das tut mir leid, aber das geht nicht.«

Mr. Stich huschte unglaublich schnell vor, und plötzlich hatte er eine schimmernde, lange Klinge in der Hand. Bevor William überhaupt reagieren konnte, wurde das rasiermesserscharfe Messer gegen seine Kehle gepresst, direkt über den Adamsapfel. Mr. Stich starrte ungerührt in Williams Gesicht, sein kalter Atem brandete gegen Williams weit geöffnete Augen. Die Klinge presste sich gegen die Haut und ein kleiner, langsamer Blutfaden rann aus dem winzigen Schnitt, den das Messer geöffnet hatte. William saß sehr still.

»Das ist nicht die Antwort, die ich hören wollte«, meinte Mr. Stich.

»Wir haben alle Dinge in unserem Leben, die wir ungeschehen machen wollen«, meinte William behutsam. Er wollte ganz offensichtlich sehr gern schlucken, wagte es aber nicht. »Aber Sünden kann man nicht ungeschehen machen. Nur vergeben.«

»Das ist nicht genug«, sagte Mr. Stich.

»Ich weiß«, erwiderte William. Er sah auch weiterhin in den starren Blick von Mr. Stich, so enervierend das auch war, aber es war besser, als auf das Messer herunterzusehen, das an seinen Hals gehalten wurde. »Aber es gibt nichts in dieser Bibliothek, kein Buch und kein Wissen, mit dem man die Toten wieder zum Leben erwecken kann. Nur ein Mann konnte das je tun und ich denke, wir stimmen darin überein, dass Sie nicht er sind. Ich könnte Ihnen helfen, die Geister dieser armen, unglücklichen Frauen wiederzuerwecken, damit Sie mit ihnen kommunizieren können, oder ihre Körper zu Zombies zu machen, aber das ist nicht, was Sie wollen. Oder was Sie brauchen.«

Mr. Stich dachte einen langen Augenblick darüber nach, in dem William kaum atmete. Dann trat er plötzlich zurück und ließ sein langes Messer wieder verschwinden. William hob zögernd seine Hand an den Hals und atmete etwas freier, als er nur ein paar Tropfen Blut an seinen Fingerspitzen sah.

»Was gibt es noch?«, fragte Mr. Stich. Er sah in keine bestimmte Richtung und William fragte sich offenbar, ob Mr. Stich noch mit ihm redete.

»Was es noch gibt?«

»Ich kann nicht ungeschehen machen, was ich getan habe, kann nicht aufhören, zu sein, was ich bin. Ich kann nicht einmal durch den Tod aufhören oder allem entkommen. Was bleibt mir übrig?«

»Da ist immer die Buße«, sagte William. »Tun Sie genügend Gutes, um Ihre Sünden auszugleichen.«

Mr. Stich dachte darüber nach. »Würde Töten zu einem guten Zweck dazugehören?«

»Das würde ich sagen, ja.«

Mr. Stich lächelte zum ersten Mal. »Dann ist es ja gut, dass ein Krieg ansteht.«

Er wandte sich um und ging fort. William sah ihm hinterher und betrachtete dann wieder das Blut an seinen Fingerspitzen.


Etwas später stand ich in dem rosenfarbenen Glühen des Sanktums, mit der Matriarchin an meiner Seite, und wartete auf die anderen, die ich herbestellt hatte. Ich wusste nicht, ob es an mir lag oder an den Zeiten, aber Seltsams rötliches Glühen beruhigte und erfreute mich nicht mehr so wie früher. Seltsam selbst war sehr still. Vielleicht war er nicht damit einverstanden, was ich von der Familie verlangte, mit der Rüstung und der Macht, die er so selbstlos zur Verfügung stellte. Aber ich konnte mir selbst nicht erlauben, mich darum zu kümmern. Ich musste einen Krieg gewinnen. Ich würde mich später damit befassen, falls ich dann noch lebte.

Wenigstens hoffte ich das.

»Es ist nie leicht«, sagte Martha plötzlich und ihre harsche, kalte Stimme warf in der großen, leeren Halle ein Echo. »Es ist niemals leicht, Agenten hinauszuschicken, vielleicht oder sogar wahrscheinlich in ihren Tod. Wir tun es, weil es notwendig ist, für das Wohl der Familie und der Welt. Aber es wird niemals einfacher.«

»Danke für den Versuch«, sagte ich. »Aber das zu wissen hilft nicht.«

»Das wird es«, sagte Martha. »Wenn die Zeit dazu gekommen ist. Ich bin froh, dass du nach Hause gekommen bist, Edwin. Wer hätte gedacht, dass wir so viel gemeinsam haben?«

»Eddie«, sagte Seltsam plötzlich. »Tut mir leid, euch zu unterbrechen, aber euer Treffen wird warten müssen. Ich wurde gerade von den Sicherheitsleuten an den Arrestzellen informiert, dass man Sebastian ermordet hat.«

»Was?«, fragte die Matriarchin. »Das ist unmöglich! Nicht unter unserer Bewachung!«

»Was ist passiert?«, fragte ich und unterbrach die Matriarchin. »Hat er versucht, zu entkommen?«

»Nein«, sagte Seltsam. »Er wurde tot in seiner Zelle gefunden.«

»Wie konnte das nur passieren?«, fragte die Matriarchin. Sie klang ernstlich entrüstet. »Unsere Sicherheit ist die beste der Welt. Das muss sie sein.«

»Ich bekomme immer noch Details«, sagte Seltsam. Er klang gedämpft, beinahe entfernt; überhaupt nicht nach seinem typischen, heiteren Selbst. Ich vermutete, dass so viele schlechte Nachrichten hintereinander das wohl bewirkten. Und ich konnte mir nicht helfen, ich nahm auch an, dass unsere materielle Welt vielleicht auch eine große Enttäuschung für ihn war. Ich musste mich konzentrieren auf das, was Seltsam zu sagen hatte. »Zuerst dachten die Wachen, es sei Selbstmord. Bis sie in den Isoliertank hineingingen und das Ausmaß seiner Wunden entdeckten. Und die waren wirklich … enorm. Es scheint, als hätte man ihn aufgeschnitten, vom Hals bis hinunter in den Schritt. Aber es gibt keine Aufzeichnung, dass jemand den Tank betreten hätte. Kein Zeichen, dass jemand hineinging oder ihn verließ. Die Überwachungskameras zeigen uns nichts. Was, wie ich höre, unmöglich sein soll.«

»Halt uns über die Ermittlungen auf dem Laufenden«, sagte ich nach einer Pause. »Und verdopple die Wachen an den Türen aller Arrestzellen.«

»Das ist alles?«, fragte Martha. »Edwin, wir müssen hinunter und das selbst in Augenschein nehmen!«

»Nein, das müssen wir nicht«, erwiderte ich. »Wir wären nur im Weg. Lass die Sicherheit ihren Job machen. Sie sind sehr gut darin.«

»Aber …«

»Sie wissen selbst, wie unmöglich das ist. Sie brauchen uns nicht, um ihnen über die Schulter zu sehen. Wir müssen uns darauf konzentrieren, was wirklich wichtig ist und dürfen uns nicht ablenken lassen. Vielleicht wurde Sebastian genau deshalb getötet: um uns am Vorabend unserer Attacke abzulenken. Überhaupt: Warum Sebastian töten? Was hätte er uns schon sagen können?«

»Die Identität des langjährigen Verräters unserer Familie«, sagte Martha. »Nur einer von uns hätte die Schutzmaßnahmen umgehen können. Einer, der sie in- und auswendig kannte. Aber du hast recht, Edwin. Wir sollten uns nicht von dem ablenken lassen, was wirklich wichtig ist.«

Einer von uns. Ja. Ich wollte, dass es einer von uns war, so schlimm das auch sein mochte. Weil es sonst Molly hätte sein können. Ich wollte nicht darüber nachdenken, aber ich konnte es nicht aufhalten. Molly hätte zu Sebastian gelangen können, indem sie ihre Magie benutzte. Sie wollte ihn tot sehen wegen dem, was er ihr angetan hatte. Oder … sie hätte von dem Ding in ihr beeinflusst werden und zu einem Zweck töten können, der den Abscheulichen diente.

»Seltsam«, fragte ich. »Wo ist Molly gerade?«

»Tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung, Eddie«, sagte Seltsam nach einer Pause. »Ich bin offenbar nicht in der Lage, sie irgendwo zu lokalisieren. Was merkwürdig ist …«

»Macht nichts«, sagte ich. »Ist nicht wichtig. Ich rede später mit ihr.«


Das Treffen fand schließlich statt, als die dafür nötigen Leute auftauchten. Giles Todesjäger war natürlich der Erste, mit dem Sinn eines Soldaten für Pünktlichkeit. Er sah ruhig und entspannt aus und unglaublich gefährlich, wie immer. Er verbeugte sich kurz vor mir und der Matriarchin, und es wäre schwer gewesen zu sagen, was das respektvollere Kopfnicken gewesen wäre. Ich begann zu denken, dass ich mich vielleicht doch mit ihm hätte duellieren sollen. Soldaten respektieren nur Stärke. Aber wenn ich verloren hätte … Ich hatte Giles kämpfen sehen und er war wirklich verdammt gut.

Als Nächste kamen Harry und Roger, beide fröhlich und unschuldig lächelnd, als ob sie nicht gerade erst versucht hätten, meine Molly zum Verrat zu überreden. Die Matriarchin funkelte beide wütend an, aber sie nahm ihre spitze Zunge an die Zügel, zum Wohl der Familie. Mir schossen eine Menge Dinge durch den Kopf, die ich hätte sagen können, aber ich beschränkte mich selbst auf ein höfliches Nicken. Ich brauchte Harry und Roger. Die Familie brauchte sie.

Mr. Stich schlenderte herein, begleitet vom Seneschall, und ich spürte, wie die Temperatur im Sanktum ein paar Grade sank. Wir sahen ihn alle an, aber keiner von uns hatte etwas zu sagen. Mr. Stich lächelte uns kühl an, als ob er peinliche Situationen wie diese gewohnt war. Er hatte sich für die Mission, die ich plante, sofort freiwillig gemeldet, in dem Moment, in dem ich sie ihm erklärt hatte und ich war froh, ihn an Bord zu haben. Solange der Seneschall da war, um ein Auge auf ihn zu werfen.

Der Nächste, der kam, war der Blaue Elf. Konnte sein, dass der nur zugestimmt hatte, um seinen Plan, einen Torques zu stehlen, wiedergutzumachen, aber er hatte nicht den Anstand, auch nur ein wenig schuldbewusst auszusehen. Er war in seinen besten, in allen Farben leuchtenden und sorgfältig geschneiderten Anzug gekleidet und lächelte alle an. Es war schwer, den Mann nicht zu mögen, aber die Mühe war es dennoch wert.

Der Waffenmeister kam herein und stellte sich etwas abseits auf, die Hände tief in die Taschen seines fleckigen und angekokelten Laborkittels gebohrt. Er vermied den Augenkontakt mit jedem anderen. Er wusste, die Mission, die ich plante, war abhängig von der neuen Waffe, die er entwickelt hatte. Offenbar hatte er keine Lust, hier bei dem Treffen Zeit damit zu verschwenden, ihre Funktionsweise zu erklären, wenn er diese Zeit auch damit hätte verbringen können, sie zu perfektionieren. Seitdem Onkel Jack sich von den Außeneinsätzen zurückgezogen hatte, hatte er seine sozialen Fähigkeiten weniger verloren als vielmehr weggeworfen.

Und wie immer als Letzter kam Callan Drood herein. Für ihn war Pünktlichkeit etwas, das andere Leute betraf. Er trug einen langen Ledermantel und einen Schlapphut mit breiter Krempe. Er sah aus, als sei er direkt von einem Viehtrieb gekommen. Callan hinterließ gern den Eindruck, dass man ihn von etwas viel Wichtigerem weggeholt hatte und dass er es nicht abwarten konnte, wieder dorthin zurückzukehren.

»Okay«, sagte ich laut, als alle versammelt waren. »Das ist sie. Die große Attacke, der große Vorstoß, um die Abscheulichen bei dem zu stoppen, was sie tun und sie davon abzuhalten, die Eindringlinge in unsere Realität zu bringen. Unser Geheimdienst hat es mit Mollys Hilfe geschafft, jedes einzelne Nest auf der Welt zu finden. Wir müssen sie alle gleichzeitig angreifen und sie und ihre Türme zerstören. Und das müssen wir beim ersten Mal schaffen, Leute, weil die Wettquoten sagen, dass wir keine zweite Gelegenheit kriegen werden. Ihr werdet sorgfältig ausgesuchte kleine Kampfgruppen, die aus unseren besten Kämpfern bestehen, gegen die wichtigsten und größten Ghoulstädte anführen; dort befinden sich die Türme, von denen der Geheimdienst annimmt, dass sie kurz vor der Fertigstellung stehen. Wenn sie einmal geschleift sind, werden wir uns von Ghoulstadt zu Ghoulstadt vorarbeiten, in ein Nest nach dem anderen eindringen, und sie in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit ausradieren. Bis sie alle weg sind. Nicht ein Nest, nicht ein Turm, nicht eine Drohne dürfen überleben. Und wir müssen es schnell tun, Leute. Wenn wir einmal begonnen haben, wird die Nachricht von Nest zu Nest eilen, übertragen durch das Kollektivbewusstsein der Abscheulichen. Und dann werden sie uns erwarten. Onkel Jack, erzähl doch diesen netten Leuten etwas über das unangenehme kleine Ding, dass du für sie zum Spielen entwickelt hast.«

Der Waffenmeister trat vor und runzelte die Stirn. Er hatte alles getan, was er konnte, um mich davon zu überzeugen, eine der Kampfgruppen zu führen, aber trotz all seiner Erfahrung als Frontagent war er jetzt zu wertvoll, um ihn einem Risiko auszusetzen. Er hatte es allerdings nicht sehr freundlich aufgenommen, als ich ihn auf diesen Umstand hinwies, und hatte dabei eine Sprache verwendet, die einem Mann seines Alters und seiner Position nicht gerade angemessen war.

»Ich habe eine neue Art von Bombe entworfen«, sagte er kurz. »Eine völlig neue Art, die darauf basiert, die andersdimensionale Energie eines Turms gegen ihn selbst zu richten. Das Resultat ist eine massive Explosion, die den Turm sowie jedes lebende Wesen innerhalb eines Hundert-Meilen-Radius komplett zerstört. Also solltet ihr alle verdammt sicher sein, dass ihr außerhalb der Ghoulstadt seid, bevor sie detoniert. Alles, was ihr tun müsst, ist, die Bombe ans Fundament des Turms zu legen, den Timer einzustellen und die Beine in die Hand zu nehmen. Seid sicher, die Wege in und aus der Ghoulstadt abzusichern, denn wir dürfen keine Drohnen entkommen lassen. Tut mir leid, Eddie. Ich weiß, du hast gehofft, dass ich ein Heilmittel finden könnte, das die Infizierten heilt, aber es gibt nichts, was ich tun kann. Niemand könnte irgendetwas tun. Wenn jemand einmal infiziert ist, dann ist er für uns verloren. Für die Menschheit. Wir alle wissen, dass die Drohnen die unschuldigen Opfer in diesem Spiel sind, aber wir müssen unsere Bemühungen auf die konzentrieren, die wir retten können - also auf den Rest der Welt.«

Ich antwortete nicht. Ich wollte nicht glauben, was er sagte. Wollte nicht glauben, dass meine Molly hoffnungslos verloren war. Aber fürs Erste nickte ich nur und fuhr fort. Was konnte ich sonst tun?

»Euer Job ist es, einen Pfad durch die Drohnen zum Turm hin zu bahnen und die Bombe zu aktivieren«, sagte ich zu den anderen. »Lasst euch nicht ablenken. Verschwendet eure Zeit nicht damit, Drohnen zu töten, denn ihr müsst zu den Türmen gelangen. Hier geht's darum, ganze Nester zu zerstören, nicht einzelne Drohnen.«

»Das musst du nicht extra betonen«, meinte Harry. »Wir sind nicht blöd. Ich stelle übrigens fest, dass du keine der Kampfgruppen anführst, Eddie. Warum?«

»Weil er hier gebraucht wird«, entgegnete die Matriarchin kurz. »So wie ich auch. Jemand muss hierbleiben, um den Überblick zu behalten. Etwas, so wurde mir gesagt, in dem du bemerkenswert schlecht bist.«

»Natürlich«, murmelte Harry. »Ich wusste, dass es etwas in der Art sein würde.«

Und dann wirbelten wir alle herum, als U-Bahn Ute ins Sanktum platzte. Es war so lange her, dass ich sie gesehen hatte, dass ich sie tatsächlich vergessen hatte. Sie sah sogar schlampiger aus als gewöhnlich, was schon eine Leistung war. Ihr langer, verschlissener Mantel war zerrissen, zerlumpt und mit verschiedensten Sorten von Dreck beschmutzt und ihr langes Haar war ein Durcheinander schmieriger Strähnen. Aber ihr Mund war fest und ihre Augen brannten grimmig. Sie marschierte direkt zu mir und pflanzte sich vor mir auf.

»Ich habe nach einem Weg gesucht, mich nützlich zu machen und etwas beizutragen«, sagte sie mit ihrer rauen, kratzigen Stimme. »Etwas, um Mollys Vertrauen in mich und auch meine Gegenwart hier zu rechtfertigen. Und ich denke, ich habe es gefunden. Ich weiß mehr über versteckte Wege als jeder andere. All die geheimen Gänge, interdimensionalen Abkürzungen und verbotenen Türen. In meinen verschiedenen Leben als Glücksvampirin und Unterirdische, auf all den Wegen runter und wieder rauf hatte ich die Gelegenheit, die meisten von ihnen mehrmals zu benutzen. Aber ich habe für euch etwas Neues gefunden oder wenigstens etwas, das so alt und versteckt ist, dass es so gut wie neu ist.

Es hat etwas Zeit gebraucht, durch die dunkleren Regionen zu reisen, mit alten Freunden und Feinden und Verbündeten zu reden, aber ich habe einen völlig neuen und geheimen Weg gefunden, den ihr benutzen könnt. Eine Annäherungsmöglichkeit, die euer Feind nie erwarten wird, weil keiner sie seit Ewigkeiten benutzt hat. Hauptsächlich, weil es zu gefährlich ist. Aber ihr seid Droods, ihr lacht der Gefahr ins Gesicht, nicht wahr? Ihr könnt diesen Weg benutzen, um in der Welt überallhin zu kommen, egal wo ihr seid, und dabei unentdeckt ankommen. Es handelt sich um die Unterseite des Regenbogenwegs, der Weg der Verdammnis.«

Sie hielt inne und holte Luft. Sie sah mich erwartungsvoll an.

»Der Name klingt nicht gerade vertrauenerweckend«, bemerkte ich vorsichtig. »Könnte es einen Grund geben, warum ihn so lange niemand benutzt hat? Irgendetwas Besonderes, das ihn so gefährlich macht?«

»Das weiß keiner mit Sicherheit«, sagte U-Bahn Ute und gab ihr Bestes, nicht allzu defensiv zu klingen. »Die Leute hörten einfach auf, am anderen Ende rauszukommen, wenn sie ihn benutzten. Die Wetten stehen gut, dass etwas darin lebt und die Reisenden verschlingt. Etwas wirklich Mieses.«

»Horch was kommt von draußen rein, fragte der Wolf und fraß das Rotkäppchen«, murmelte Harry.

Ute warf ihm einen bösen Blick zu. »Gleich schlag ich dich und dann tut es weh.«

»Nun, vielen Dank dafür, dass du so viel Zeit und Mühen geopfert hast, um uns zu helfen, Ute«, sagte ich. »Aber wir haben bereits unsere eigenen zeitlosen und nicht feststellbaren Transportwege, uns in die Ghoulstädte zu transportieren. Aber wenn irgendwelche Probleme aufkommen, bin ich sicher, dass wir uns alle besser fühlen werden, weil wir deinen Weg der Verdammnis haben, auf den wir zurückgreifen können.«

Ich war freundlich und jeder hier wusste es. Einschließlich U-Bahn-Ute. Sie nickte nur steif, wandte uns den Rücken zu und stakste aus dem Sanktum. Ich sah die anderen an.

»Ende der Besprechung. Ihr wisst alle, was ihr wissen müsst. Legt einen Stopp in der Waffenmeisterei ein und holt euch eure Bomben. Dann macht euch mit den Leuten in euren Kampfgruppen vertraut, bevor ihr euch im Lageraum für den Angriff abmeldet.«

»Ich habe ein paar Fragen«, ließ sich Harry vernehmen.

»Ja, ich dachte mir schon, dass du das hast. Was ist los, Harry?«

»Nun, um mal anzufangen: Wo ist die berüchtigte Molly Metcalf? Sollte eine Hexe mit ihren zweifellos vorhandenen Talenten nicht unter den Glücklichen sein, die eine solche Kampfgruppe führen?«

»Oh, sie wird dabei sein«, sagte ich. »Und sich selbst nützlich machen.«

Molly hatte selbst zu den Nestern gehen und ihren berüchtigten Aufruhr anzetteln wollen, aber ich hatte Nein dazu sagen müssen. Ich konnte nicht riskieren, dass ihre infizierte Persönlichkeit plötzlich in der Nähe eines Turms an die Oberfläche kam. Sie sagte, dass sie das verstünde. Seitdem hatte ich sie nicht mehr gesehen.

»Und diese ›bemerkenswerten Transportwege‹«, fügte Harry hinzu. »Hast du irgendeine neue Art Wundergerät, das du in der Tasche mit dir herumträgst?«

Ich musste grinsen. »Wirklich lustig, dass du das sagst, Harry …«


Molly wartete in dem großen Steingewölbe des Lageraums, als die Matriarchin und ich etwas später endlich eintrafen. Sie lächelte uns an, aber es wirkte, als schenkte sie uns nicht ihre ganze Aufmerksamkeit. Als dächte sie an etwas anderes. Ich sah absichtlich woanders hin. Der Lageraum sah für seine Verhältnisse ziemlich verlassen aus. Ich erkannte ihn kaum wieder. Die meisten der Arbeitsstationen und Bildschirme waren heruntergefahren, damit der Lageraum mit einer Rumpfcrew operieren konnte. Es war seltsam, all die Weltkarten ohne ihre üblichen bunten Lämpchen zu sehen, aber wir kümmerten uns nicht mehr um das, was im Rest der Welt vor sich ging.

Die Matriarchin ging direkt zu ihrem Operationstisch und war sofort von einem Dutzend Boten umgeben, die die letzten Berichte und Geheimdienst-Updates brachten. Ich wanderte durch den Raum und überprüfte den verbliebenen Kommunikationsstab. Auch hier hatten wir nur das absolut nötige Personal übriggelassen. Die meisten Leute aus dem Lageraum hatten sich den Tausenden von gerüsteten Gestalten angeschlossen, die mehr oder weniger geduldig in den Korridoren draußen warteten und sich selbst auf die kommenden Schlachten vorbereiteten. Normalerweise konnte jeder Agent, der draußen im Feld operierte, darauf zählen, dass ihn Hunderte im Herrenhaus unterstützten, ihn mit Informationen, Ratschlägen oder sonstiger Hilfe versorgten; aber wir konnten uns das jetzt nicht leisten. Jeder musste mitkämpfen. Es würde ein Schlacht- und Brandfest werden, eiskaltes Töten - Metzgerarbeit.

Ich beendete meinen Rundgang durch den Lageraum und blieb neben Molly stehen. Sie sah … angespannt aus, wie unter großer Anstrengung; ein Stück Draht, das so straff gespannt war, dass es jeden Moment reißen konnte. Ich wollte meinen Arm um sie legen, aber ich wusste, das würde sie nicht wollen. Molly wollte in der Öffentlichkeit immer hart und selbstsicher wirken. Sie hätte schon den Gedanken, dass irgendjemand sie als schwach ansehen könnte, gehasst. Also stand ich einfach nur so dicht neben ihr wie ich konnte und hielt meine Stimme ruhig und leicht, als täten wir diesen »Lass-uns-für-die-Menschheit-die-Welt-retten-Kram« jeden Tag.

»Also«, meinte ich. »Sieht aus, als ginge es endlich los. Ab in die Hölle für einen himmlischen Zweck und so. Wo warst du?«

»Draußen im Park«, sagte sie. »Es ist ziemlich friedlich da draußen.«

Sie sagte nichts über Harry und Roger und ich wollte sie nicht drängen. Aber es ließ mich darüber nachdenken, ob sie noch andere Dinge vor mir verheimlichte. Sie hätte Sebastian töten können, aus allen möglichen Gründen. Wie konnte ich sie beschützen, wenn ich nicht wusste, wovor?

»Hör zu«, sagte sie plötzlich und sah mich immer noch nicht an. »Lass dich nicht umbringen, ja?«

»Ich werde nicht mit den Kampfgruppen rausgehen«, sagte ich. »Ich werde die Dinge von hier aus leiten. Sicher und heil von hier aus, weit von jeder Front weg.«

»Ich kenne dich, Eddie. Sobald irgendetwas schiefgeht, bist du der Erste, der losrennt und wieder einmal den Helden spielt. Du wirst gar nichts dafür können, so bist du eben. Also - pass auf dich auf da draußen. Halt dir den Rücken frei. Heutzutage gibt es überall Verräter. Und ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn ich dich nicht mehr habe.«

»Alles wird wieder gut«, sagte ich. Es klang schon in dem Moment nicht sehr überzeugt, als ich es sagte, aber ich wusste nicht, was ich sonst sagen sollte. Ich konnte sie nicht hier in der Öffentlichkeit in den Arm nehmen, also nahm ich nur ihre Hand und drückte sie. Sie drückte zurück, ohne mich anzusehen.

Wir standen zusammen, und sahen zu den Hauptbildschirmen hin, die die ganze Zeit Bilder der goldenen Armee zeigten, die sich nach wie vor in den Korridoren draußen sammelte. Sie standen in langen Reihen da, so weit das Auge reichte. Es gab überraschend wenig Unterhaltungen, jeder schien mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Die ganz Alten und ganz Jungen standen im Hintergrund und fragten sich ohne Zweifel im Stillen, ob sie ihre Lieben je wiedersehen würden. Ich hatte nicht dabei zugesehen, wie meine Eltern auf ihre letzte, tödliche Mission aufbrachen. Der Lehrer hatte mich nicht aus der Klasse gehen lassen. Als ich es endlich geschafft hatte, mich davonzustehlen, war es zu spät gewesen, sie waren bereits gegangen. Ich sah sie nie wieder.

Es machte mir in der letzten Zeit mehr und mehr aus, dass ich ihnen niemals habe Auf Wiedersehen sagen können.

Alles für die Familie. Zum Teufel mit der Familie. Und zum Teufel mit der Welt, die uns so nötig braucht.

Die verschiedenen Kampfgruppenführer kamen herein, hatten alle ihre Leute überprüft. Der Stress und die Anstrengung sorgten dafür, dass sie sich wie überdrehte Cartoons ihrer selbst aufführten. Giles Todesjäger kam allerdings wie der Soldat herein, der er war und blieb mit großem Getöse vor dem Lagepult der Matriarchin stehen. Sie nahm ihn nur mit einer hochgezogenen Augenbraue zur Kenntnis und wandte sich dann wieder ihrer Arbeit zu. Harry und Roger kamen hereingeschlendert und hielten ostentativ Händchen. Die Matriarchin sah nicht einmal in ihre Richtung. Ich weiß nicht genau, wann Mr. Stich ankam. Ich sah nur auf und da war er schon, ein viktorianischer Anachronismus mitten unter so viel Technik aus dem 21. Jahrhundert. Der Seneschall kam ein paar Momente später hereingestürzt und war sichtlich angefressen, dass Mr. Stich seiner Aufsicht hatte entkommen können. Er starrte seinen flüchtigen Schützling wütend an und stellte sich demonstrativ neben ihn. Mr. Stich nickte nur höflich.

Der Waffenmeister kam geschäftig hereingewuselt und trug einen ganzen Sack voller nützlicher Kleinigkeiten. Ein halbes Dutzend Labortechniker schwänzelte wie eifrige Welpen hinter ihm her. Und Callan Drood kam natürlich zu spät und beschwerte sich bitterlich über irgendetwas Unanständiges, das der Blaue Elf angestellt hatte, der höflich so tat, als höre er nicht hin.

Und das war's. Diese Leute würden die vier Hauptkampfgruppen anführen und die gefährlichsten Situationen und die Türme bewältigen, die beinahe fertig waren. Alle anderen Kampfgruppen würden von unseren erfahrensten Frontagenten angeführt werden. Ich hätte eigentlich auch eine der Gruppen führen müssen, vorzugsweise mit Molly an meiner Seite. Aber ich hatte alle Verantwortung auf mich genommen, als ich das Kommando über die Familie übernommen hatte und das beinhaltete nun einmal auch, danebenzustehen und hilflos zuzusehen, wie andere fortgingen und auf mein Kommando starben. Martha hatte gesagt, dass es nie einfacher werden würde. Was es wirklich einfacher machte, zu verstehen, wie sie geworden war, was sie darstellte.

Harry kam zu Molly und mir herüberspaziert, Roger dicht bei sich. Harry ignorierte Molly ganz offen, um mich anzulächeln.

»Also, Eddie«, sagte er. Ein mutiger Schritt in Richtung Selbstverständlichkeit im Umgang mit mir. »Wann wirst du dein neuestes Wunder aus dem Hut ziehen und uns alle überraschen? Wie werden wir zum Beispiel in all diese Nester und Ghoulstädte platzen, ohne entdeckt zu werden? Ich weiß, dass du deine brillanten Weltrettungsideen gern bis zum allerletzten Moment aufhebst, aber es wird jetzt schon verdammt knapp.«

Ich grinste, zog Merlins Spiegel aus der Tasche und schüttelte ihn zu voller Größe auf. Am Ende stand er in der Mitte des Lageraums, wie eine Tür ins absolute Überall. Was es ja technisch gesehen auch wirklich war. Jeder drängelte sich jetzt vor dem Spiegel, während ich zusammenfasste, was er konnte. Wir alle sahen zweifelnd auf die besorgten Gesichter unserer Spiegelbilder. Wir sahen nicht gerade wie Leute aus, die die Welt retten wollten.

»Der Spiegel Merlins sieht die Gegenwart«, sagte ich. »Überall und nirgends. Und er kann wie ein Tor zu allem wirken, was er sieht. Das ist unsere Eintrittskarte, Leute. Wir sagen dem Spiegel, er soll ein Nest aussuchen. Dann zeigt er uns das Innere einer Ghoulstadt und dann werden wir, respektive ihr, mit eurer Kampfgruppe durchgehen und die Scheiße aus den Abscheulichen prügeln. Was könnte einfacher sein?«

Der Waffenmeister und seine Laborcrew hasteten um die Basis des Spiegels herum und verbanden es mittels eines unüberschaubaren Wusts von regenbogenfarbenen Kabeln mit den Kommunikationsstationen und den Bildschirmen, damit wir verfolgen konnten, was in mehr als einem Nest gleichzeitig geschah. Molly schwebte über ihnen und peppte die Verbindungen mit einem zusätzlichen Schuss magischer Unterstützung auf. Harry fuhr plötzlich zu mir herum.

»So also wusstest du vor allen anderen von Penny und Mr. Stich. Du hast zugesehen. Du perverser kleiner Voyeur, du. Wen hast du sonst noch die ganze Zeit durchs Schlüsselloch beobachtet?«

»Ich führe die Familie«, sagte ich ruhig. »Ich beobachte jeden.«

Harry sah Mr. Stich an, der an der Seite stand. »Wir müssen etwas wegen ihm unternehmen, Eddie.«

»Wenn du eine Idee hast, was und vor allem, wie wir das tun können, dann lass es mich wissen«, sagte ich. »Aber im Moment brauchen wir ihn.«

»Wir werden ihn aber nicht immer brauchen«, sagte Harry.

»Nein«, sagte ich. »Das werden wir nicht.«

»Es ist Zeit«, sagte die Matriarchin und wir alle sahen in ihre Richtung. Sie stand aufrecht und autoritär vor uns, eine grauhaarige Kriegskönigin. Sie richtete ihren kalten Blick auf mich. »Alle Truppen sind versammelt und bereit. Alle Vorbereitungen wurden getroffen. Gib das Kommando, Edwin.«

»In Ordnung«, sagte ich und drehte mich zu Merlins Spiegel um. »Zeig mir die Gegenwart«, sagte ich. »Zeig mir das Innere der Ghoulstadt, deren Turm der Fertigstellung am Nächsten ist.«

Unsere Spiegelbilder verschwanden aus dem Spiegel und wurden durch wirbelnde Energiemuster ersetzt, die den Augen wehtaten. Merlins Spiegel stieß durch die Dimensionssperre, die das Nest der Abscheulichen vom Rest der Welt trennte, und dann war sie da, die infizierte Stadt, durch den Spiegel klar erkennbar. Ich hatte noch nie eine selbst gesehen, sondern nur Beschreibungen gehört und Berichte gelesen. Es reichte nicht aus, um einen auf die Wirklichkeit vorzubereiten. Für das, was einmal eine menschliche Stadt, ein menschlicher Ort gewesen war. Jetzt war sie es nicht mehr.

Das Licht in der Ghoulstadt war schmerzhaft grell; es leuchtete grimmig und war für menschliche Augen beinahe nicht auszuhalten. Die Drohnen jedoch, die durch die Straßen schlurften und hasteten, schien es nicht zu stören. Sie sprachen nicht miteinander und sahen sich nicht einmal an. Das war nicht notwendig. Alle ihre Gedanken stammten aus dem Kollektivbewusstsein des Nests, aus dem Massenbewusstsein. Sie sahen nicht einmal mehr menschlich aus, oder sie hatten vergessen, wie man das tat. Selbst die Gebäude in der Ghoulstadt sahen infiziert aus. Sie beugten sich in falschen Winkeln vor, Holz und Stein und Ziegel sahen verrottet aus, krank und irgendwie beseelt von eigenem, eitrigem Leben. Seltsame Lichter leuchteten hinter den Fenstern, als wären sie ungesund und fremdartige Silhouetten taten schreckliche, fremdartige Dinge.

»Die Schwerkraft fluktuiert ebenfalls«, sagte Callan, der neben mir stand. Das erste Mal klang er niedergeschlagen, beinahe verunsichert. »Oben und Unten, Rechts und Links können sich jederzeit und ohne Warnung verändern. Richtungen haben keine Bedeutung. Die Straßen winden und wenden sich, als hätten sie ein Eigenleben, und auf einmal drehen sie sich um hundertachtzig Grad und du stehst wieder da, wo du losgegangen bist. Die Drohnen allerdings betrifft das nicht. Vielleicht, weil sie nicht mehr wie wir denken. Die Luft ist kaum atembar, selbst, wenn man sie durch die goldene Maske filtert: Sie stinkt nach Blut und verfaultem Fleisch und Verfall. Alle Drohnen hier sind tot oder sterben gerade, ausgebrannt durch die Energien, die sie in sich tragen. Wenn ich einmal sterbe und für all die Dinge, die ich für diese Familie getan habe, zur Hölle fahre, dann wird mir die wenigstens bekannt vorkommen.«

»Hast du denn deine Medikamente mal wieder nicht genommen, Callan?«, fragte der Blaue Elf. »Du kannst gern welche von mir haben. Die muntern einen wirklich auf.«

»Mit mir ist gar nichts verkehrt!«, sagte Callan ärgerlich. »Die Ghoulstädte sind das Verkehrte! Und man muss sich auf sie vorbereiten, auf alles, was einem da begegnen kann. Oder wir werden diese verdammten Türme nie erreichen.«

»Die Rüstung wird helfen«, sagte der Waffenmeister brummig, der jetzt mit seiner Verkabelung an Merlins Spiegel fertig war. »Vertraut auf die Rüstung und euer Training und ihr werdet alles schon hinkriegen. Lampenfieber ist normal vor so einer Mission. Als ich noch ein Frontagent war, habe ich mir jedes Mal die Seele aus dem Leib gekotzt, bevor ich über die Berliner Mauer nach Ostdeutschland bin. Ich schwöre, ich habe einmal in die Toilette geguckt und da meine eigene Niere im Becken schwimmen sehen.«

»Vielen Dank, Onkel Jack«, sagte ich.

»Ein Organ, dachte ich, das kann doch nicht wirklich mein eigenes Organ sein, oder doch?«

»Vielen Dank, Onkel Jack!«

Er schnüffelte und sah Merlins Spiegel mit professioneller Zustimmung an. »Was man auch immer über die Satansbrut Merlin sagen kann - und es sind ganze Bücher über ihn geschrieben worden -, damit hat er gute Arbeit geleistet.«

»Die Drohnen können uns nicht sehen und hören?«, fragte Mr. Stich. »Sie haben keine Ahnung, dass wir ihnen zusehen?«

»Gar keine«, sagte der Waffenmeister heiter. »Ich habe euch das perfekte Überraschungsmoment ermöglicht. Also macht was draus.«

Giles Todesjäger zog sein großes Schwert und beinahe sofort wichen alle ein wenig zurück, um ihm ein wenig Raum zu geben.

»Es ist Zeit«, sagte er. »Lasst uns loslegen.«

»Er ist ja nicht gerade El Cid, oder?«, meinte der Blaue Elf. »Wann hatten wir das letzte Mal eine wirklich feurige Motivationsrede? Ich fühle mich ganz entschieden so, als könnte ich ein wenig Inspiration gebrauchen. Genau jetzt.«

Giles sah ihn an. »Versau es nicht, oder ich zieh' dir das Fell über die Ohren.«

»Ein echter Drood«, meinte der Blaue Elf.

Ich befahl Merlins Spiegel, ein Portal in die vier Hauptnester zu öffnen und einer nach dem anderen erwachten die großen Bildschirme zum Leben und zeigten die Ghoulstädte; die Verbindungen des Waffenmeisters funktionierten. Ich sah mich einmal um, sagte im Stillen Auf Wiedersehen und Gott befohlen, und dann ging Giles mitten in Merlins Spiegel hinein in die dahinterliegende Ghoulstadt. Zweihundert goldene Gestalten folgten ihm durch den Lageraum hindurch. Dann gingen Roger und Harry hindurch, gefolgt von ihrer eigenen Kampfgruppe, und so weiter und so weiter. Es dauerte bei Weitem nicht so lange, wie ich gedacht hatte, all die Führer und ihre Kampfgruppen durchzuschleusen, auch wenn meine Stimme dabei heiser wurde, dass ich Merlins Spiegel immer wieder anbrüllte, sich zu neuen Orten zu öffnen. Das Stampfen und Klappern der gerüsteten Beine im Lageraum war ohrenbetäubend und ich musste schreien, um es zu übertönen. Alle Bildschirme waren nun hochgefahren und liefen. Einer nach dem anderen zeigten sie, wie Kampfgruppe auf Kampfgruppe auf nichtsahnende Drohnen traf. Und dann war auch der letzte Drood hindurch, und es gab nichts weiter zu tun, als zuzusehen.


Die unterschiedlichen Angriffe auf die Nester geschahen gleichzeitig, verteilt auf die verschiedenen Bildschirme. Man konnte sie selbst dann nicht alle verfolgen, wenn man es versuchte. Zu vieles geschah gleichzeitig. Aber hier ist Schlacht für Schlacht das, was passierte, erzählt von den Überlebenden.

Das erste, was der Waffenmeister tat, war, Molly zu helfen, Merlins Spiegel zu versiegeln, damit zwar noch Droods, aber keine Drohnen mehr hindurchkamen. Wir konnten keinem der Abscheulichen erlauben, zu entkommen. Sie würden ausnahmslos sterben müssen. Auch wenn alles, was den Drohnen passierte, nicht ihre Schuld war, denn sie hatten ja nicht darum gebeten, infiziert zu werden. Nein, es war unser Fehler, der der Droods, die die Abscheulichen zuerst in unsere Realität gebracht hatten.

Es war unser Müll, den wir aufräumen mussten.


Giles Todesjägers Ghoulstadt war früher eine kleine Stadt namens Heron's Reach in Neuseeland gewesen. Eine sehr kleine Stadt, umgeben von Schafweiden, so weit von jeder Straße entfernt, dass bisher niemandem aufgefallen war, dass sie fehlte. Wir aber wussten es. Wir sind Droods, wir wissen alles. Heron's Reach sah aus, als sei es ursprünglich ein hübscher Ort gewesen. Jetzt strömten infizierte Drohnen unter einem fremdartigen Licht, das so grell war, dass es keine Schatten warf, durch die engen Straßen wie Maden in einer Wunde. Viele der Drohnen waren deformiert, verzerrt und verbogen durch die andersdimensionalen Kräfte, die sich in ihr Fleisch gebrannt hatten und alle bewegten sich mit der geisterhaften Symmetrie eines Vogelschwarms.

Sie alle unterbrachen das, was sie gerade taten, in genau dem Moment, in dem Giles und seine Kampfgruppe aus dem Nichts erschienen, die nächsten Drohnen umrannten und sie ohne eine Sekunde zu zögern gnadenlos niedersäbelten. Die Drohnen drangen einheitlich nach vorn und warfen sich der Invasionsmacht entgegen. Einige hatten Klauen oder spitze Finger. Einige hielten auch Äxte, um sie als Waffen zu benutzen. Sie alle trugen den gleichen, fremdartigen Ausdruck auf den Gesichtern, als sie die golden gerüsteten Gestalten überrannten und versuchten, sie durch ihre schiere Überzahl zu erdrücken.

Giles führte seinen Trupp an und schwang das lange Schwert mit beeindruckendem Können und Kraft. Die schwere Klinge hieb Köpfe ab, drang in Brustkörbe und schnitt durch Fleisch und Knochen, ohne auch nur langsamer zu werden. Er zerschnitt Drohnen oder stieß sie beiseite, immer nach vorn stürmend, dabei mit blutigen Stiefeln über Leichen trampelnd. Golden gerüstete Männer und Frauen stürmten hinter ihm her, schlugen die Drohnen mit schweren Fäusten oder ausgefahrenen goldenen Klingen nieder. Blut spritzte durch die Luft, Innereien platschten auf die Straße. Die Drohnen schrien nicht, wenn sie fielen, und sie baten auch nicht um Gnade. Sie kamen nur immer weiter, bis ihre Körper ihnen den Dienst versagten. Selbst dann versuchten sie, nach goldenen Beinen und Füßen zu greifen, bis sie endgültig starben. Giles hackte und schnitt und stach und schwang sein großes Schwert in tödlichen Bögen, so als hätte es kein Gewicht. Er lachte und schrie glücklich auf, während er tötete. Blut tränkte seine Rüstung und spritzte auf sein grinsendes Gesicht. Der Todesjäger war ein Krieger. Er tat, wozu er geboren worden war und liebte jede Minute davon.

Nicht alle in seiner Kampfgruppe empfanden das genauso. Obwohl die meisten mit den im Training erworbenen professionellen Fähigkeiten kämpften und sich auf das Ziel der Mission konzentrierten - einige brachten es einfach nicht über sich. Sie waren einfach keine Killer und kein noch so intensives Training hätte sie dazu machen können. Sie taten, was sie konnten und wandten sich dann von der Metzelei ab und kamen nach Hause. Keiner sagte etwas, als sie durch den Spiegel zurückgeschlichen kamen. Die Sanitäter standen schon bereit und brachten sie auf die Krankenstation. Wir verstanden das.

Einige schafften es nicht. Drohnen schwirrten um sie herum, sobald sie die Kampfgruppe verließen, begruben sie durch schiere Überzahl und schlugen mit deformierten Fäusten auf sie ein.

Die Kampfgruppe konnte sich nicht zurückziehen, um sie zu retten. Geschwindigkeit war die Grundlage der Operation. Sie mussten den Turm erreichen und die Bombe des Waffenmeisters dort anbringen, bevor Drohnen mit irgendeiner fremdartigen Waffe eingriffen, um sie aufzuhalten, wie sie das in der Nazca-Ebene getan hatten. Also rein, den Job erledigen und wieder raus. Nichts sonst durfte eine Rolle spielen. Die Droods preschten vor, töteten alles, was nicht zu ihnen gehörte und schützten sich gegenseitig die Flanken und Rücken.

Wir konnten am anderen Ende der Stadt den Turm sehen. Über dreißig Meter hoch und höher, kantig und asymmetrisch, nach fremdartigen Spezifikationen gebaut, mit seltsamen Technologien und organischen Komponenten. Er stand groß und arrogant und stolz vor einem weißglühenden Himmel und erstrahlte in unnatürlichen Lichtern. Er sah lebendig und wachsam aus, als wüsste er, dass wir kamen und versuche jetzt, seine ekelhafte Funktion zu erfüllen, bevor wir ihn aufhalten konnten: Die Hungrigen Götter herholen, uns zum Trotz.

Die Drohnen der Abscheulichen verstopften mittlerweile Schulter an Schulter die Straßen, als sie nach vorn stürmten, um die Droods anzugreifen. Giles und seine Leute mussten einen Pfad durch sie hindurch schneiden und hacken, als schlügen sie sich durch einen dichten Dschungel. Blut und Leichen bedeckten den Boden und verlangsamten das Vorankommen der Kampfgruppe nur noch mehr: Aber Giles ging immer noch voran, irgendetwas beinahe Unmenschliches lag in seiner grimmigen Weigerung, sich aufhalten zu lassen. Er feuerte seine Leute mit Schlachtrufen aus der fernen Zukunft an, die ihnen nichts bedeuteten, aber trotzdem das Blut in Wallung brachten. Sie standen direkt hinter ihm und rangen den Feind mit verbissener Entschlossenheit nieder.

Die Drohnen bekämpften uns mit allen Waffen, die sie nur hatten finden können, angefangen bei Werkzeugen und Äxten, die sie aufs Geratewohl aufgehoben hatten, über ihre eigenen spitzen, klauenartigen, verformten Hände bis hin zu einer Hand voll Gewehren und Schrotflinten. Nichts davon konnte etwas gegen die Drood-Rüstung ausrichten und Giles war einfach zu gut in dem, was er tat, als dass man ihn hätte verletzen können. Klingen konnten das Gold nicht durchdringen, Kugeln wurden einfach absorbiert und Klauen kratzten nutzlos über goldene Gesichtsmasken. Aber als Giles endlich in Sichtweite des Turms war, änderte sich alles.

Von Nahem sah der Turm plötzlich so aus, als sei er lebendig geworden; ein riesiges Monster, das aus einem langen Winterschlaf erwachte und Mord im Sinn hatte. Machtvolle Energien zuckten um ihn her, als würden andersdimensionale Aspekte der Konstruktion sich von außen in unserer Realität manifestieren. Der Turm sah … realer aus als seine Umgebung. Realer als die Droods. Einige der goldenen Gestalten mussten sich abwenden, sie waren nicht in der Lage, dem Geschehen ins Auge zu sehen. Giles jedoch hielt stand. Nichts in der Ghoulstadt hatte ihn bisher aus der Fassung gebracht, obwohl er keine der in die Rüstung eingebauten Schutzmechanismen besaß. Ich fragte mich, ob der Todesjäger fernfuturistische Technologie implantiert hatte, und sich nur nicht die Mühe gemacht hatte, uns davon zu erzählen.

Giles sah den Turm hinauf, griff in seine gepanzerte Jacke und zog die Bombe heraus, die der Waffenmeister für ihn gemacht hatte. Sie sah nicht gerade nach viel aus - nur ein Stahlkästchen mit einer einfachen, in den Deckel eingebauten Zeitschaltuhr. Giles schwang das Kästchen in Richtung des Turms und schüttelte es heftig, als wolle er ihn verspotten und jeder im Lageraum verzog das Gesicht. Es war niemals sehr schlau, etwas zu schütteln, das der Waffenmeister gebaut hatte. Aber gerade als Giles sich gebückt hatte, um die Bombe zu positionieren, musste er sich wieder aufrichten, denn plötzlich kam eine ganze Armee neuer Drohnen aus einer offenen Luke am Fundament des Turms, die vor einer Sekunde noch gar nicht dagewesen war.

Um diese Drohnen war etwas Neues, Anderes. Sie waren eindeutig tot, das Fleisch verrottete und fiel von ihnen herab, als sie ruckartig angestürmt kamen, nur bewegt von dem fremden Willen, der sie beherrschte. Ihre Gesichter waren weggefressen und einige hatten nicht einmal mehr Augen, aber alle kamen unbeirrt auf Giles und seine Leute zu. Jede der Drohnen hielt ein grobes Schwert aus einem unbekannten Metall in der Hand, das selbst in dem grellen Licht der Ghoulstadt beunruhigend leuchtete.

»Wir kriegen hier gerade Langstrecken-Scans dieser Schwerter rein«, sagte der Kommunikations-Offizier. »Sie geben massive Mengen an Strahlung ab, aber nichts, was wir einfach so identifizieren könnten. Wahrscheinlich stammt das Metall der Schwerter aus der gleichen Dimension wie die Eindringlinge. Der Strahlungslevel steigt dramatisch an, allein, dass sie den Schwertern so nahe sind, zerfrisst die Drohnenkörper schon.«

»Wird die Rüstung unsere Leute beschützen?«, fragte die Matriarchin direkt wie immer.

»Unbekannt, Matriarchin. In technischer Hinsicht, immerhin ist die seltsame Materie der neuen Rüstung ebenfalls andersdimensionalen Ursprungs, …«

»Wenn du es nicht genau weißt, dann erlaube ich dir, das auszusprechen«, sagte die Matriarchin nicht unfreundlich.

»Wir wissen es nicht«, sagte der Kommunikationsoffizier. »Aber der Todesjäger hat keinen Schutz. Wir sollten ihn da rausholen.«

»Nein«, sagte die Matriarchin sofort. »Er muss die Bombe platzieren. Er kannte die Risiken vorher.«

»Und es ist ja nicht so, als gehöre er zur Familie«, murmelte Molly.

Wir sahen auf die Bildschirme. Die ganze Kampfgruppe war vorgetreten, um sich zwischen den Todesjäger und die Drohnen zu stellen, damit er sich darauf konzentrieren konnte, die Bombe abzulegen und den Timer zu stellen. Die erste Drohne, die einen Drood erreichte, schwang das glühende Schwert mit grobem, ungeübtem Bogen. Als der Drood einen goldenen Arm hob, um den Schlag abzublocken, fuhr das Schwert direkt durch ihn hindurch. Die Rüstung bremste den Schwung nicht einmal. Der Drood kreischte schrill auf, als sein abgetrennter Arm vor ihm auf den Boden fiel. Für einen Moment spritzte Blut aus dem Stumpf, bevor die Rüstung sich automatisch darüber schloss und die Wunde versiegelte. Der Drood taumelte zurück, stammelte zusammenhanglos und die Drohnen rückten weiter vor.

Die Droods versuchten, mit ausgefahrenen goldenen Klingen zu fechten, aber die glühenden Schwerter hieben mitten durch sie hindurch. Die Droods passten sich schnell an und nutzten ihre überlegene Stärke und Geschwindigkeit, um den Schwerthieben zu entgehen. Sie näherten sich den Drohnen, um sie niederzuringen. Sie rissen Arme und Köpfe aus ihnen heraus, aber mehr und immer mehr bewaffnete Drohnen drangen aus dem Fundament des Turms und überschwemmten die Droods. Ein Drood nach dem anderen fiel, niedergeschlagen von Toten mit Alien-Schwertern.

Giles arbeitete so schnell er konnte, aber er musste die Bombe immer wieder sich selbst überlassen, um sich zu verteidigen. Seine Fähigkeiten mit dem Langschwert waren bei Weitem ausreichend, um die Drohnen eine Armeslänge von sich fernzuhalten, aber es war deutlich zu sehen, dass er langsam müde wurde. Trotz all seiner Fähigkeiten war er nur ein Mann, ohne eine Rüstung, die ihn unterstützte. Er wurde langsamer, verpasste Gelegenheiten und an seiner grimmigen Miene konnte man ablesen, dass er das wusste. Und um ihn herum starben die Droods.

Ein paar brachen aus und versuchten, zu fliehen. Die Drohnen in der Stadt überschwemmten sie und rissen sie zu Boden. Sie hielten sie fest, bis die Drohnen mit den Schwertern sie erreichen konnten.

Das letzte halbe Dutzend Droods, sechs von zweihundert, die dem Todesjäger gefolgt waren, formierten sich zu einem engen Kreis um ihn herum und brüllten ihm zu, endlich seine Arbeit zu beenden, während sie die Drohnen abhielten. Giles nickte widerwillig, steckte sein Schwert in die Scheide und kniete sich neben die Bombe, um sich auf den Timer zu konzentrieren. Die Droods kämpften grimmig, und hielten die bewaffneten Drohnen mit schierer Kraft und Geschwindigkeit in Schach, aber wir alle wussten, dass die Rüstung dieses Level der Beanspruchung nicht lange halten konnte.

»Er wird es nicht schaffen«, meinte die Matriarchin. »Sie werden ihn kriegen, bevor er die Sache zu Ende bringen kann. Waffenmeister, können wir die Bombe von hier aus zünden?«

»Aber ja«, erwiderte der Waffenmeister. »Aber er hat ja immer noch eine Chance. Schreib ihn noch nicht ab. Wir müssen ihm jede Gelegenheit geben.«

Ich ging auf Merlins Spiegel zu. Das alles war meine Idee, mein Plan gewesen. Ich konnte Giles nicht dort sterben lassen, wenn ich die Möglichkeit hatte, ihn zu retten. Aber genau in dem Augenblick, in dem ich mich bewegte, rannte Molly an mir vorbei und warf sich durch das Portal des Spiegels. Ich schrie auf, aber sie war schon weg. Sie erschien auf den Displays, mitten in der neuseeländischen Ghoulstadt, und flog mit unglaublicher Geschwindigkeit durch die grelle, unerträgliche Luft. Sie schoss in einem Augenblick über die Stadt und fiel wie ein Racheengel aus dem dräuenden Himmel. Die Erschütterung ihrer Landung zerriss den Boden vor dem Turm. Hunderte von Drohnen kippten in alle Richtungen. Sie erhob sich, um ihre Hände zuckten und wirbelten Blitze, die jede Drohne umpusteten, die sie ansah. Sie explodierten, als die Blitze sie trafen, und verteilten ihr verrottetes Fleisch und Körperteile in hundert verschiedene Richtungen. Die belagerten Droods schrien begeistert auf bei ihrem Anblick und sie grinste fies zurück.

Giles stand abrupt auf. »Fertig! Wir haben zehn Minuten, um verdammt nochmal hier rauszukommen.«

»Du erlaubst?«, fragte Molly. Sie hob Giles und die sechs übrig gebliebenen Droods mit ihrer Magie auf und flog mit ihnen durch die schmerzhaft grelle Luft davon, in Richtung des Portals, das Merlins Spiegel offenhielt.

Hinter ihnen fielen die Drohnen über die Bombe her und versuchten, sie auseinanderzureißen, aber das Werk des Waffenmeisters hielt stand. Sie schlugen mit ihren verfaulenden Fäusten darauf ein und hieben ihre glühenden Schwerter danach, aber der Waffenmeister hatte wie immer zu gut gearbeitet. Auf dem Deckel des Kästchens lief der Countdown in leuchtend roten Zahlen unerbittlich herunter auf Null.

Molly flog Giles Todesjäger und die sechs Droods über die Ghoulstadt zurück, ihr Gesicht eine Maske verzweifelter Konzentration. Sie ging direkt vor dem frei in der Luft hängenden Portal herunter und flog sie dann alle hindurch in den Lageraum. Molly landete sanft neben mir und sah mich stolz, beinahe triumphierend an, als wollte sie sagen: Siehst du? Ich bin immer noch ich, und ich bin immer noch auf der Seite der Engel. Du kannst mir immer noch vertrauen. Ich lächelte sie an und nickte. Was hätte ich sonst tun können? Allerdings war mir sehr wohl bewusst, dass der Aufenthalt in der Ghoulstadt ihr nichts hatte anhaben können. Sie hatte nicht einmal wegen des grellen Lichts blinzeln oder in der unerträglichen Luft husten müssen.

Der Kommunikationsoffizier schrie jetzt, dass die Bombe explodiert und dass die Ghoulstadt Heron's Reach zerstört war. Wir alle ließen so etwas wie Jubel hören. Es fühlte sich aber nicht wie ein Sieg an, mit so vielen Toten auf Seiten der Droods.

Ärzte und Schwestern brachten die sechs Überlebenden zu den vorbereiteten Ambulanzen, um dort die Schocks zu behandeln und Strahlungswerte zu überprüfen. Ein paar von ihnen meinten, sie seien fit genug, um weiterzukämpfen, bei den anderen Nestern, aber man konnte sehen, dass das Angebot nicht von Herzen kam. Die Matriarchin befahl ihnen, sich zurückzuziehen und ich glaube, sie waren insgeheim dankbar. Ich wusste, wie sie sich fühlten. Ich erinnerte mich an das Gemetzel auf der Nazca-Ebene. Es ist schwer, einen unmenschlichen Feind mit ausschließlich menschlichen Mitteln bekämpfen zu müssen.

Natürlich, hörte ich Martha sagen. Wenn es leicht wäre, würde es jeder tun und die Welt würde die Droods nicht brauchen.


Harry Drood und Roger Morgenstern nahmen ihre zweihundert gerüsteten Droods und gingen nach Sibirien. Tunguska, um genau zu sein, wo 1908 etwas in die Erde gekracht war. Der Einschlag war so verheerend gewesen, dass er Hunderte von Meilen im Umkreis alle Bäume flachgelegt hatte. Das Licht, das beim Einschlag entstand, war so hell gewesen, dass man in den Straßen von London um Mitternacht eine Zeitung hatte lesen können. Es gibt eine Menge Theorien über das, was Tunguska vor all den Jahren getroffen hat, und alles, angefangen von einem Meteor bis hin zu einem havarierten Alienraumschiff, war dabei - aber keiner weiß irgendetwas sicher. Außer uns. Wir wissen alles, erinnern Sie sich?

Nach allem, was uns bekannt war, war die Anwesenheit der Abscheulichen in Tunguska reiner Zufall. Sie hatten keine Ahnung von dem, was dort immer noch schlief, in den tiefsten Tiefen unter dem Permafrost und wir waren alle froh darüber, dass die Dinge so blieben, wie sie waren. Was, wenn die Drohnen es aus Versehen aufwecken?, hatte Molly gefragt. Dann hätten wir wirklich ein Problem, hatte ich geantwortet.

Die Abscheulichen hatten eine geheime sowjetische Wissenschaftsstadt, X37, erobert - eine jener hochgeheimen Forschungsgemeinden, die man gegründet hatte, um die Art von Experimenten durchführen zu können, von denen die UdSSR wusste, dass der Rest der Welt ihnen dafür keinen Beifall spenden würde. Deshalb waren sie in Sibirien gebaut worden, damit - wenn etwas wirklich mies liefe - kaum jemand verletzt werden konnte. X37 war auf keiner offiziellen Karte zu finden, damals nicht und heute auch nicht, und sie war in den letzten Jahren von den Wissenschaftlern und ihren Familien verlassen worden, nachdem die staatlichen Förderungen eingestellt worden waren.

Als die Drohnen gekommen waren, hatte es dort nur noch einen einzigen Trupp russischer Soldaten gegeben. Sie waren für eine Handvoll Wissenschaftler da, die an einer neuartigen Form von Lebensmittelaroma arbeiteten. Sie hatten keine Chance gehabt. X37 wurde zu einer Ghoulstadt und niemand hatte es gemerkt. Außer uns.

Harry, Roger und ihre Kampfgruppe gingen durch Merlins Spiegel und kamen auf einem großen, offenen Platz in der Mitte der geheimen Stadt an. Die umgebenden Gebäude schienen sich entwickelt zu haben, schienen sich selbst auf eine unheimliche und organische Weise transformiert zu haben. Drähte und Kabel wanden sich durch die Wände, schlängelten sich durch Ziegel und Steine wie pochende Venen. Noch mehr Kabel hingen über den Straßen wie Spinnennetze oder wie offene Nervenbahnen und pulsierten langsam in der überhellen Luft. Seltsame Kombinationen von Technologie und lebenden Dingen hingen aus aufgebrochenen Türen und zerbrochenen Fenstern heraus, als wären die Innereien des Gebäudes zu groß gewachsen. Und über allem lag das überhelle, grelle Licht, während die Luft so von nicht atembaren Elementen geschwängert war, dass es aussah, als läge die ganze Stadt unter Wasser. Die Rüstung schützte Harry und die Droods, Roger schien die kranke Atmosphäre gar nicht zu bemerken.

Sie konnten den Turm von ihrem Ankunftspunkt aus sehen; er stand hoch und grotesk, aber ebenfalls trotzig über der reinen Funktionalität der alten Sowjetarchitektur. Seltsame Energien blitzten die volle Länge des Turms herauf und herunter, als ob sie versuchen würden, ihn zu wecken.

Harry und Roger sahen sich schnell um, als Horden von Dämonen aus allen Richtungen gleichzeitig auf sie zugerannt kamen. Sie waren durch den Angriff auf die neuseeländische Ghoulstadt alarmiert worden und waren bereit. Aber hier, in diesem Nest, waren alle Drohnen Freaks und Monster. Ob es nun ein Erbe der alten, verbotenen Wissenschaften war, an denen in X37 während des Kalten Krieges geforscht worden war, oder vielleicht die seltsame Strahlungen, die von dem Ding ausgingen, das unter dem Permafrost lag: Jede Drohne hier war übergroß und monströs. Fürchterlich deformiert waren sie: mit großen Knochen und langen Muskelsträngen, mit langgezogenen Gesichtern, mit geschlitzten Mündern voller Haifischzähne, mit Augen-Clustern und selbst mit winkenden, klauenartigen Antennen. Sie waren vielleicht einmal menschlich gewesen, aber das lag lange hinter ihnen. Die Drohnen drangen mit ihren Fängen und ihren Klauen und auch improvisierten Waffen vor, und Harry und Roger und die Droods stürmten auf sie zu.

Fänge und Klauen waren den goldenen Rüstungen nicht gewachsen, und die verstärkte Kraft und Geschwindigkeit der Droods machte sie jedem Monster überlegen. Harry trug Gold und kämpfte an der Seite seiner Leute. Er schlug seine Feinde mit brutaler Effizienz nieder. Roger blieb hinter dem Hauptkampffeld zurück und sah aufmerksam zu. Er wartete. Und als die ersten Drohnen mit glühenden Schwertern in ihren unnatürlich geformten Klauen erschienen, war er bereit. Er wies mit dem Finger auf sie, und sie explodierten. Er sah sie auf eine bestimmte Art und Weise an, und Blut sprudelte aus ihren Mündern und Augen und Ohren. Er sprach bestimmte Worte und ihr verrottendes Fleisch schmolz und floss ihnen vom Körper. Roger Morgenstern hatte jetzt seinen höllischen Aspekt nach außen gekehrt und selbst Harry konnte nicht mehr ertragen, ihn direkt anzusehen.

Trotz ihrer überwältigenden Überzahl waren die Drohnen ohne ihre radioaktiven Schwerter nichts gegen die Höllenmagie und die Drood-Rüstung. Es stand eins zu null für Harry und Roger und langsam, aber unausweichlich kämpften sie sich über den Platz in Richtung Turm. Jede Drohne im Nest kam durch die Straßen der Stadt gelaufen oder gehüpft oder herangeschlittert. Sie rotteten sich in engen Durchgängen zusammen, um den Zugang zum Turm zu sperren, aber die Geschwindigkeit der Kampfgruppe bremsten sie nicht. Die schnitt und hackte und hämmerte sich ihren Weg durch die Drohnen und tötete alles, was nicht zu ihr gehörte.

Harry blieb immer am Kopf seiner Leute und stellte wieder einmal unter Beweis, was für ein hervorragender Kämpfer er war. Die goldenen Klingen in seinen Händen schwangen mit übernatürlicher Schnelligkeit auf und ab. Zu schnell für das nicht unterstützte menschliche Auge. Blut wusch über seinen glänzenden Brustharnisch, sprühte über seine goldene Gesichtsmaske und rann einfach daran herunter; es war nicht in der Lage, sich festzusetzen. Drohnen attackierten ihn einzeln und zu mehreren, aber sie bremsten sein Fortkommen nicht einmal ab. Er hatte alles gelernt, was der Todesjäger ihm über den Kampf mit den Klingen hatte beibringen können und nichts konnte ihn noch aufhalten.

Roger schlenderte neben ihm her, hieß seinen höllischen Aspekt willkommen und die Drohnen fielen tot um, einfach nur, weil sie ihm zu nahe kamen. Roger sah endlich aus wie das, was er wirklich war: ein Ding aus den Schwefelklüften, das arrogant und zügellos in der Welt der Menschen wandelte, und sie allein durch seine Gegenwart vergiftete. Wo immer er hinsah, explodierten Leichen und blieben in den Rinnsteinen liegen. Wenn er sprach, wandten sich die Drohnen gegeneinander und zerrissen sich gegenseitig.

Er lächelte ein teuflisches Lächeln: Endlich zu Hause.

Die Droods bahnten sich einen Weg hinter ihren Führern und töteten alles, was in ihre Reichweite kam. Der Turm stand bedrohlich vor ihnen, eine Tür öffnete sich am Fundament und eine ganze neue Armee von Drohnen stolperte und schlurfte heraus, mit Hunderten von glühenden Schwertern. Roger sprach nur ein einziges schreckliches Wort, und sie alle explodierten in einem Flammenmeer, glühende scharlachrote Flammen, die nach Schwefel und Blut stanken und die Drohnen schneller zerfraßen, als sie erscheinen konnten.

Harry platzierte die Bombe an der richtigen Stelle und setzte den Timer auf eine bequeme Zeit. Dann führten er und Roger die Ihren durch die Ghoulstadt wieder zurück zu Merlins Spiegel. Alle kletterten in den Lageraum und ich schloss das Portal hinter ihnen. Jeder im Raum flippte völlig aus. Harry und Roger umarmten einander, Rogers Höllenaspekt war nun wieder unterdrückt. Die Droods rüsteten ab und schlugen sich auf die Schulter und auf den Rücken, und es gab sogar ein paar Küsse und Tränen.

Ein Sieg kann sich so gut anfühlen. So lange er dauert.


Mr. Stich und der Seneschall führten ihre Kampfgruppe in den nordindischen Pandschab. Es war ein enges, fruchtbares Tal inmitten der Ausläufer des Himalaya, in dem eine kleine Gruppe Menschen wohnte: das perfekte Versteck für die Abscheulichen. Die ruhige Siedlung war zu einer Ghoulstadt geworden und keiner hatte es bemerkt: Immerhin handelte es sich um eine Gegend, in der ein Volksstamm sich nicht dazu herabließ, mit dem anderen zu reden. Und keiner von ihnen würde mit Außenstehenden sprechen, weil man Autoritäten generell niemals traute. Vielleicht würden die ja wollen, dass man Steuern zahlte.

Als die Kampfgruppe durch Merlins Spiegel ging, stellte sich die Ghoulstadt als eine Sammlung von plumpen Häusern heraus. Sie waren von einer Vegetation überwuchert, die sich langsam bewegte. Die andersdimensionalen Energien der Stadt hatten den Bewuchs mutieren lassen. Im nackten Felsboden hatten sich abgrundtiefe Risse gebildet, und das Licht war so hell, dass es die Details aus allem herauszuwaschen schien.

Es war eine Szene aus einer nackten, abstrakten Hölle und Mr. Stich schien sich darin wie zu Hause zu fühlen.

Die Drohnen warteten bereits auf den Angriff, aber diesmal spaltete sich die Masse, die auf die Invasions-Streitmacht zurannte im letzten Moment, als stünde ihnen ein unbewegliches Objekt im Weg. Sie stürmten um dieses Ding herum und taten ihr Bestes, es nicht zu berühren, doch das tat der Gewalt, mit der sie wie üblich auf den Seneschall und die anderen Droods eindrangen, keinen Abbruch. Aber sie konnten Mr. Stich nicht berühren - er war es, dem sie auswichen. Etwas in seiner nicht-mehr-menschlichen Natur schien ihnen Furcht einzujagen. Sie konnten seine Nähe nicht ertragen.

Also ging er einfach seinerseits in den tobenden Mob hinein und begann, mit einer eleganten Grazie zu töten. Er benutzte ein langes, schimmerndes Messer, das er aus dem Nichts gezogen hatte. Ohne auf Widerstand zu stoßen, bewegte er sich zwischen den kämpfenden Drohnen und tat schreckliche, furchtbare Dinge mit ihnen. Doch sie konnten ihn nicht einmal berühren. Mr. Stich lächelte leicht. Vielleicht erinnerte er sich an bessere Zeiten.

Der Seneschall sorgte schnell dafür, dass er hinter Mr. Stich kam, um ihn zu unterstützen, und die Kampfgruppe half ihm dabei. Der Seneschall hatte noch nie viel für Klingen und Schwerter übriggehabt. Er bevorzugte es, Feuerwaffen in seiner Hand erscheinen zu lassen, eine Gabe, die ihm die Familie verliehen hatte. Er musste nur eine bestimmte Geste ausführen, und schon erschien eine bis zum Anschlag geladene Pistole in seiner Hand. Und der Seneschall benutzte diese Knarren, um jede Drohne mit einem glühenden Schwert über den Haufen zu schießen, bevor sie auch nur irgendeinen Schaden anrichten konnte. Hatte die eine Pistole keine Munition mehr, dann warf er sie einfach beiseite und zauberte sich eine neue herbei. Die fortgeworfene Waffe verschwand irgendwo in der Luft. Es mangelte ihm nie an Nachschub.

Mr. Stich schlitzte die Drohnen auf, der Seneschall mähte sie nieder. Die Kampfgruppe bewegte sich unaufhaltsam in Richtung Turm weiter. Es sah beinahe einfach aus. Mr. Stich tanzte durch das Massaker, der Seneschall leerte eine Pistole nach der anderen und die gerüsteten Droods warfen alles nieder, das in ihre Reichweite kam. So erreichten Sie schon bald das Fundament des Turms. Aus dem Inneren erschienen mehr Drohnen, die eine ganze Reihe komplett unbekannter Waffen trugen. Der Seneschall machte kurzen Prozess und erschoss sie alle aus der Ferne. Die paar, die sich von Kugeln nicht aufhalten ließen, weil sie von seltsamen, glühenden Rüstungen oder Energiefeldern geschützt wurden, wurden von einem lächelnden Mr. Stich erledigt.

Der Seneschall platzierte die Bombe, stellte den Zünder ein und brachte seine Kampfgruppe sicher wieder nach Hause zurück. Wieder war ein Nest zerstört, ein weiterer Turm vernichtet - und das ganz ohne Verluste oder Opfer. Ich begann, mich zu entspannen. Wir hatten wohl doch nur einen schlechten Start gehabt. Es schien, als hätten wir jetzt den Dreh raus. Vielleicht konnten wir den Karren doch noch aus dem Dreck ziehen. Ich sagte so etwas zu Molly und sie nickte lächelnd.

Ich hätte es besser wissen müssen.


Callan und der Blaue Elf brachten ihre Kampfgruppe in eine kleine Siedlung nördlich von San Francisco. Theoretisch war der Blaue Elf als Freiwilliger dabei, um Callan zu unterstützen und ihm den Rücken zu decken. Praktisch hatte ich ein stilles Gespräch mit Callan gehabt und ihm gesagt, dass er auf den Blauen Elf aufpassen müsse. Ich war immer noch nicht bereit, Blue zu vertrauen.

Ihre Ghoulstadt war einmal ein wichtiger Bestandteil der Hippiezeit in den Sechzigern gewesen, ein Sammelbecken für mehr Sex-, Drogen- und Rock 'n' Roll-Magie, als jede Wirklichkeit gut ausgehalten hätte. Heutzutage, wo alles viel verkopfter und materialistischer war, war die Kleinstadt Lud's Drum einfach nur noch ein Zufluchtsort für schäbige, alt gewordene Hippietypen und ausgebrannte Opfer des Drogenkrieges. Eine ganze Industrie hatte sich entwickelt, die darauf basierte, die unrühmliche Vergangenheit der Stadt zu vermarkten. Nur Leute wie wir hielten noch ein wachsames Auge auf Lud's Drum, weil die dimensionalen Barrieren in und um die Stadt gefährlich schwach geworden waren, seit Timothy Leary dort einen heldenhaften LSD-und-Peyote-Trip geschmissen und versucht hatte, einen Fernexorzismus des Pentagon abzuhalten. Als Ergebnis seiner Geschichte hatten die Abscheulichen die Stadt ohne die geringste Anstrengung übernehmen können. Lud's Drum war einer der wenigen Orte, wo Drohnen offen herumlaufen konnten, ohne Verdacht zu erregen. Jetzt war Lud's Drum eine Ghoulstadt und eines der letzten Überbleibsel des Traums der Sechziger war zu einem lebendigen Albtraum geworden.

Callan führte seine Kampfgruppe durch die grell erleuchteten Straßen und schnitt Drohnen mit kalter, beinahe klinischer Präzision in Stücke. Er gestattete sich nicht, von den zusammenbrechenden, bonbonfarbenen Häusern abgelenkt zu werden, den weichen, wogenden Straßen oder den endlosen Wellen von Drohnen, die mit teuflischer und bösartiger Schadenfreude über seine Leute herfielen. Er schnitt sich einen Pfad mitten durch sie hindurch, mit sturer Entschlossenheit in Richtung des beinahe vollendeten Turms im Zentrum der Stadt vorrückend. Callan hatte vielleicht ein freches Mundwerk und keinen Respekt vor Autoritäten, aber nichts lenkte ihn von seinem Ziel ab, wenn er draußen im Feld war.

Der Blaue Elf hielt sich in seiner Nähe und bewachte Callans Rücken mit überraschendem Können und ebensolcher Entschiedenheit. Er hatte kein Schwert oder Pistole, nur einen schlanken Zauberstab, den er aus dem Nichts heraus hergezaubert hatte. Ach, dieses alte Ding, hatte er leichthin gesagt. Ist schon lange in der Familie. In der Ghoulstadt hatte er bisher eine ganze Reihe kleiner, aber erstaunlich effektvoller magischer Tricks angewandt, die die Drohnen auf Armeslänge von ihm fernhielten. Es hätte mich nicht sonderlich überraschen sollen, dass Blue wusste, wie man kämpft. Er konnte diese ganzen Jahre bei der Art von Feinden, die er sich gemacht hatte, ohne ein paar entsprechende Fähigkeiten nicht überlebt haben.

Callan führte seine Leute durch sein Beispiel immer weiter nach vorn, er ließ einfach nicht zu, dass er von irgendetwas, was die Dämonen ihm entgegenwerfen konnten, aufgehalten oder auch nur gebremst wurde. Seine goldenen Klingen hoben sich und fielen wieder und Blut flog durch die Luft. Er kam hartnäckig immer weiter voran, brachte sie alle durch reine Kriegskunst und beinahe brutale Entschlossenheit dichter und dichter an den Turm heran. Ihm zuzusehen machte mich stolz, ein Drood zu sein. Dazu waren wir da: Den guten Kampf zu kämpfen und die bösen Jungs im Namen der Menschheit fertigzumachen.

Die Drohnen besaßen auch hier ihre glühenden Schwerter, aber auch andere ähnlich schreckliche Waffen, doch der Blaue Elf sorgte dafür, dass sie alle nicht nahe genug herankamen, um den Droods Schaden zuzufügen. Er fuchtelte mit seinem Zauberstab in der Luft herum - ein schlanker Stab aus Elfenbein, in den elbische Zeichen geschnitzt waren - und wohin er auch zeigte, sah es für die Drohnen übel aus. Wieder und immer wieder. Blue runzelte grimmig die Stirn und konzentrierte sich, sprang hierhin und dorthin, um sicherzugehen, dass er selbst nicht einmal in die Nähe der Gefahr kam, aber ich hatte das Gefühl, dass er dennoch das alles genoss.

Immerhin war er ein Halbelb, mit dem den Elben angeborenen Talent für Tod und Zerstörung.

Ohne Verluste schafften sie es bis an den Fuß des Turms, bevor alles schiefzugehen begann. Der Turm erhob sich über ihnen, wie ein zerfetzter Blitz aus unirdischer Technologie und organischen Komponenten, mit göttlicher Kraft in den Boden gerammt. Seine Form ergab keinen Sinn, weil er mehr räumliche Dimensionen aufwies als das menschliche Gehirn verarbeiten konnte. Wieder war da das eindeutige Gefühl, dass das Ding auf irgendeine Art lebendig und wachsam war, und wusste, dass wir kamen. Callan platzierte die Bombe am Fundament des Turms. Der Blaue Elf sah ihm dabei über die Schulter, während die gerüstete Truppe eine Barriere bildete, um die herankommenden Drohnen fernzuhalten.

Callan stellte den Timer ein, stand auf und nickte dem Blauen Elf zu. Und dann erstarrte jedes einzelne Mitglied der Kampftruppe, brach zusammen und lag still da. Keine Warnung, kein ersichtlicher Grund, keine Drohne mit einer Waffe. Einfach so lagen zweihundert gerüstete Droods bewegungslos auf dem Boden. Ich konnte nicht einmal sagen, ob sie tot oder lebendig waren. Callan sah ihn böse an und schwang seine goldenen Klingen hier- und dorthin. Doch der Blaue Elf tippte Callan mit seinem Zauberstab nur elegant auf die Schulter und Callan ging in die Knie.

»Tut mir leid, Alter«, sagte der Blaue Elf. »Aber ich war nie sehr gut darin, mit anderen zusammenzuspielen. Und du hast etwas, das ich brauche.«

Wir alle sahen hilflos zu, als Blue seinen Zauberstab auf Callans Nacken legte und dann irgendwie … Callan den Torques wegnahm. Sein Mund öffnete sich weit zu einem Schrei, aber kein Ton war zu hören. Er kniete immer noch, aber er war jetzt wieder nur ein einfacher Mensch, ohne seine gestohlene Rüstung. Der Blaue Elf sah auf den Reif in seiner Hand und betrachtete ihn von allen Seiten. Dann wandte er sich auf dem Bildschirm direkt zu uns und lächelte beinahe traurig.

»Ich weiß Eddie, du hast mir vertraut. Das war ja wirklich sehr nett und alles, aber dieser Torques wird mir ermöglichen, vor den Elbenrat zu treten. Ich hab's dir gesagt, am Ende ist es die Familie, die bleibt. Und nie, niemals darfst du einem Elben vertrauen. Wir haben immer eigene Pläne.«

Er drehte sich so lange um sich selbst, bis er verschwunden war. Alle Droods wurden auf der Stelle wieder lebendig, außer Callan, der zusammengebrochen war und krampfend auf dem Boden lag. Die Drohnen drangen vor.

Irgendwie brachten die Droods Callan da raus. Sie kämpften sich aus Lud's Drum hinaus, aber die Drohnen zwangen sie, um jeden Zentimeter zu kämpfen. Die ganze Zeit tickte die Bombe. Sie kamen durch Merlins Spiegel wieder zurück, brachten den bewusstlosen Callan mit und ich schlug die Tür in genau dem Moment zu, als die Bombe losging. Für einen Augenblick kam ein Licht hindurch, das so grell war, dass ich es fühlen konnte und das den ganzen Lageraum erzittern ließ, aber das Portal schloss sich gerade noch rechtzeitig, um uns zu schützen. Lud's Drum war vernichtet und mit ihm das Nest und der Turm.

Sie brachten Callan in die Krankenstation. Schock, meinten sie. Gott weiß, wie es sich anfühlte, wenn einem der Torques weggerissen wurde. Ich fragte Seltsam, ob die Elben den Torques für sich dazu bringen konnten zu funktionieren und er fragte: Was sind Elben? Was die Sache nicht gerade klärte. Wir würden uns später am Blauen Elfen rächen. Keiner bestiehlt die Droods und lebt lange, um damit anzugeben.


Nach all diesem Drama ging eigentlich alles wie geplant. Die Kampfgruppen eroberten eine Ghoulstadt nach der anderen. Sie verwendeten dabei alle die Taktik, die wir entwickelt hatten: Ein Nest nach dem anderen wurde zusammen mit den Türmen zerstört. Alle Bomben des Waffenmeisters explodierten und wir verloren keinen einzigen weiteren Drood an die Drohnen. Keine üblen Überraschungen mehr, keine beängstigenden Waffen, nur Droods, die ihren Job taten und die Welt sicherten. Die Stunden vergingen langsam, ständig gingen und kamen goldene Gestalten durch Merlins Spiegel. Die Drohnen kämpften weiterhin wie wild und wir mussten um jeden Sieg ringen. Aber immer noch, Schritt für Schritt, gewannen wir. Frische Männer und Frauen kamen, um die Droods zu ersetzen, die von zu vielen Angriffen ermüdet waren, und weiter ging's. Die ganze Familie war bereit, zu kämpfen, wenn das nötig war. Die Krankenstation wurde gut damit fertig. Wir hatten sogar schon das Ende vor Augen, als schon wieder alles zu Rattenscheiße wurde.

Ein Kommunikationsoffizier sprang plötzlich auf und schrie der Matriarchin seine neueste Information zu. Der ganze Lageraum wurde still, um nichts zu verpassen.

»Es ist Truman!«, rief er. »Die ganze Zeit hat er die Drohnen der Abscheulichen in seiner neuen Untergrund-Basis gehabt und hat einen Turm gebaut! Er muss fast fertig sein, denn seine Präsenz ist in diesem Augenblick durch die Schutzschirme gebrochen! Der Turm ist so mächtig geworden, dass Truman ihn nicht mehr länger verstecken kann. Er ist fast so weit, ein Portal zu öffnen und die Eindringlinge hineinzubringen! Alles war umsonst!«

»Ruhe, Mann«, schnappte die Matriarchin. »Ich dulde keine emotionalen Ausbrüche dieser Art in meinem Lageraum! Jemand soll diesen Mann hinsetzen und ihm eine starke Tasse Tee bringen. Edwin, wer von unseren Hauptakteuren kann noch eine Kampfgruppe führen?«

Ich prüfte das. Der Seneschall und Mr. Stich waren immer noch dabei, ein Nest in Nordchina auszuräuchern. Callan war noch immer in der Krankenstation. Und Giles Todesjäger, der persönlich über dreißig Angriffe geführt hatte, lag auf einer Trage neben Callan, zu erschöpft, um noch einmal loszuziehen, auch wenn er das nie zugeben würde. Das ließ nur Harry und Roger Morgenstern übrig. Sie machten gerade eine kurze Pause zwischen zwei Angriffen und erzählten hingerissenen jüngeren Droods übertriebene Geschichten von ihren Missionen. Ich ließ sie in den Lageraum bringen und erklärte die Situation. Harry sah so aus, als wolle er jeden Moment ausspucken.

»Nur einmal hätte ich gern, das alles so läuft wie geplant.«

»Fühlst du dich dem gewachsen?«, fragte ich.

»Ich hab ja wohl keine Wahl, oder?«, fragte er. »Na gut, stell eine Kampfgruppe aus den Besten zusammen, die noch stehen können, und ich bringe sie dorthin.« Er sah müde und erschöpft aus, aber sein Rücken war noch immer gerade und sein Blick immer noch konzentriert. Er stieß Roger mit dem Ellbogen in die Rippen. »Wer hätte das gedacht, was? Der Außenseiter der Familie Harry Drood meldet sich freiwillig, um die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Hättest du drauf gewettet, Großmutter?«

Martha sah ihn unbewegt an. »Natürlich. Du bist James' Sohn.«

Harry drehte ihr absichtlich den Rücken zu und grinste Roger an. »Wie ist es, Liebling? Eine letzte Mission, um die Welt zu retten?

»Ich bin nicht ganz sicher, ob die Seite meiner Mutter damit einverstanden wäre, aber zum Teufel. Warum nicht? Ich kann dich das doch nicht allein machen lasen. Du hast nie gelernt, wie man sich gescheit den Rücken deckt.«

Ich war nicht so sicher, dass es eine gute Idee war, das Roger mitkam. War man ehrlich, sah er scheiße aus. Er hatte bei den Angriffen so viel seiner Magie verbraucht, das ein Großteil seiner Glorie verschwunden war und er irgendwie menschlicher aussah.

Harry wandte sich mir zu und sah mich von oben herab an. »Was ist, Eddie, kommst du nicht mit zu diesem kleinen Ausflug? Du liebst es doch so sehr, dem Verderben in allerletzter Sekunde den Sieg vor der Nase wegzuschnappen.«

»Ich werde noch immer hier gebraucht«, sagte ich ruhig. »Jemand muss dir die notwendigen Informationen mitteilen und dir die richtige Richtung weisen. Aber - wenn alles völlig daneben gehen sollte, dann bin ich die Verstärkung.«

»Ich auch«, sagte Molly und stieß mir ihren Ellbogen fest in die Rippen.

»Auf der anderen Seite«, sagte ich. »Wenn du glaubst, dass ihr es ohne mich nicht schafft, dann …«

»Wir können das«, sagte Harry sofort.

»Verdammt richtig, Lover«, erwiderte Roger Morgenstern.


Es war leicht, Merlins Spiegel auf Trumans neue Operationsbasis auszurichten: Der beinahe fertiggestellte Turm dominierte den Äther. Aber aus irgendeinem Grund schien uns der Spiegel nicht das Innere der Basis zeigen zu können, nur eine Fläche, von der aus man über Stonehenge sehen konnte. Die uralten Menhire ragten groß und dramatisch in den dunkler werdenden Abendhimmel. Harry zog eine Grimasse und stellte sich dicht neben mich.

»Die Steine sehen aus, als wären sie beinahe eine halbe Meile entfernt, bringst du uns wirklich nicht näher heran?«

»Das ist kein gewöhnliches Nest«, meinte ich. »Keine Ghoulstadt. Nur eine unterirdische Basis, die von unzähligen Schichten der besten wissenschaftlichen und magischen Schutzmechanismen, die man für Geld kaufen kann, umgeben ist. Wir wüssten doch nicht einmal, dass da ein Turm wäre, wenn er nicht bildlich gesprochen hindurchgestochen wäre. Ihr werdet euch anschleichen müssen. Außer natürlich, du hast deine Meinung geändert, was das Hingehen betrifft.«

»Natürlich habe ich das nicht! Es ist nur - mir gefällt das nicht. Es fühlt sich wie eine Falle an.«

»Würde mich nicht überraschen«, sagte ich. »Aber welche Art Falle könnte das Manifeste Schicksal schon zusammenzimmern, die Harry Drood, Roger Morgenstern und zweihundert Droods in goldenen Rüstungen aufhalten könnte?«

Harry lächelte schwach. »Was Motivation angeht, bist du echt mies, weißt du das?« Er sah zu Roger. »Also, lass' krachen, Bruder.«

»Oh, bitte«, sagte Roger. »Du weißt doch, wie ich dieses Macho-Gelaber hasse.«


Harry und Roger brachten ihre Kampftruppe durch Merlins Spiegel. Ich schloss das Tor hinter ihnen sofort wieder. Truman war ein hinterhältiger Bastard, und ich traute ihm alles zu. Sogar, dass er die Anwesenheit seines Turmes absichtlich verriet, um uns dazu zu bringen, ein Portal zu öffnen und daraus seinen Nutzen zu ziehen. Aber alles schien still zu bleiben. Molly nahm meinen Arm und drückte ihn eng an sich, als wir zusahen, wie Harry seiner Kampftruppe den Befehl zuzischte, sich über die weite, grasbewachsene Ebene zu verteilen, um kein einheitliches Ziel abzugeben. Ihre goldene Rüstung glänzte stumpf im dämmrigen Abendlicht. Nach allem, was die Bildschirme uns verrieten, waren sie allein auf der Ebene. Alles war still und ruhig. Und dann schoss Rogers Kopf hoch und er wies in die Dunkelheit. Überall um die auseinandergezogene Kampfgruppe erschienen jetzt Gestalten aus dem Nichts, aus jeder Richtung gleichzeitig und bewegten sich mit unmöglicher Geschwindigkeit. Die Gestalten waren menschlich, aber sie bewegten sich übernatürlich schnell, unmöglich flink, schossen auf eine Art und Weise über die offene Ebene, denen die gerüsteten Droods nichts entgegenzusetzen hatten. Die Droods drehten sich um, um sich ihnen zu stellen und hoben ihre Waffen, aber sie schienen sich im Gegensatz zu den Angreifern wie in Zeitlupe zu bewegen. Je näher die anderen kamen, desto mehr glich jede ihrer Bewegungen einem verschwommenem Fleck auf den Bildschirmen. Selbst ihre Gesichter waren nicht zu erkennen. Sie waren nur Formen, die durch die Abenddämmerung flitzten.

Sie umzingelten die Droods, griffen an und zogen sich wieder zurück, bevor die bewaffneten Droods reagieren konnten. Die Angreifer schienen waffenlos, sie schlugen nur immer wieder mit bloßen Fäusten auf die goldenen Rüstungen ein. Als das nichts half, erschienen auf einmal glühende Klingen in ihrer Hand und sie griffen erneut an. Und diesmal gingen die Droods zu Boden, als die Klingen durch ihre Rüstungen bis auf die Männer und Frauen darunter schnitten. Die Kampfgruppe fiel, einer nach dem anderen, nicht in der Lage, der Geschwindigkeit ihrer Angreifer etwas entgegenzusetzen. Harry rief seine Leute zurück, um einen Verteidigungskreis zu bilden, aber er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da war die Hälfte des Trupps schon tot.

Im Lageraum erhob sich Stimmendurcheinander, jeder versuchte sofort, eine Erklärung oder eine Theorie zu liefern. Die Kommunikation schrie nach den Analysten, die wiederum nach den Nachrichtenleuten riefen, die Aufzeichnungen haben wollten. Und da kam die Antwort dann schließlich auch her. Droods wissen alles, aber manchmal braucht es ein bisschen, bis wir es gefunden haben. Es stellte sich heraus, dass es einen Bericht über die Existenzmöglichkeit solcher Leute gegeben hatte, aus einer Akte, die Callan in Trumans alter, verlassener Untergrundbasis gefunden hatte: Beschleunigte Menschen. Chirurgisch veränderte, technologisch weiter entwickelte und bis zur Nasenspitze mit Drogen vollgepumpte Fanatiker, die ihre Lebensenergie in ihre unnatürliche Geschwindigkeit investierten. Sie starben, um schnell zu sein. Aber auf der anderen Seite hatte es dem Manifesten Schicksal noch nie an Fanatikern gefehlt.

Giles Todesjäger kam in den Lageraum und sah immer noch halbtot, aber fest entschlossen aus und musste beinahe körperlich davon abgehalten werden, den Jungs zu Hilfe zu kommen. Ich entschied das. Es ergab keinen Sinn, mehr Leben wegzuwerfen, bis wir eine Idee hatten, womit wir es überhaupt zu tun hatten. Giles betrachtete die Bildschirme mit lebhaftem Interesse. Ich erwartete fast, dass er sich Notizen machte. Es schien, als habe er endlich etwas gefunden, dass er noch nie gesehen hatte und von dem er glaubte, er könnte es mit in seine zukünftige Zeit nehmen.

Auf der Wiese vor Stonehenge hatten sich Harrys Leute zu einem engen Ring um Harry und Roger zusammengezogen. Sie standen Schulter an Schulter, denn so waren sie besser in der Lage, sich zu verteidigen und brachten ihre Geschwindigkeit dank der Rüstung an die Grenzen. Was bedeutete, dass sie Vereinzelte der Beschleunigten mit einem kräftigen Schwerthieb erwischten. Als diese menschlichen Blitze zu Boden krachten, endlich tot, sahen sie aus wie Greise, die Gesichter von fürchterlicher Anstrengung verzerrt. Die Droods kämpften weiter, doch sie verloren immer noch hier und da einen Mann oder eine Frau, sodass der Verteidigungskreis langsam immer kleiner wurde. Bis plötzlich die Beschleunigten zu stolpern begannen und zusammenbrachen. Zuerst dachte ich, Roger hätte endlich wieder etwas Magie zusammengekratzt, doch es wurde schnell klar, dass die Beschleunigten einfach nur all ihre Lebenskraft aufgebraucht hatten.

Harry und Roger und das runde Dutzend übriggebliebener Droods sahen sich langsam um. Um sie herum lagen Dutzende von Greisen mit von der Zeit zerstörten Gesichtern. Sie waren nicht dazu gemacht, lange zu leben, sondern sie waren nur Mittel zum Zweck gewesen; um die Droods wieder zu einem einfach anzupeilenden Ziel zusammenzutreiben. Ein fürchterlicher Lichtblitz machte die Dunkelheit zum Tag, ein Licht so stark und intensiv, dass es Masse und Gewicht hatte. Die Droods schrien auf. Roger hing an Harry, schrie Worte der Macht, die von dem schrecklichen Licht aber geradezu davongespült wurden. Und dann, einfach so, ging das Licht wieder aus. Der Abend kehrte zurück, aber alle Droods waren weg. Nur Harry und Roger waren noch übrig, sie hielten einander fest. Harry hielt Roger aufrecht. Die Höllenbrut war beinahe zusammengebrochen und hatte sämtliche Kraft und Magie erschöpft.

Nur zwei Mann, um die Welt zu retten.

Im Lageraum brach wieder das Chaos aus. Diesmal dauerte es etwas länger, um Antworten zu bekommen, aber es war nicht weniger beunruhigend, als der Waffenmeister endlich mit einer ankam. Er gab zu, dass er riet, aber es klang nach der Wahrheit. Truman hatte seine neue Basis unter Stonehenge platziert, um die Seele von Albion in die Finger zu kriegen, dieses unglaublich machtvolle Stück Stern, das vor Jahrtausenden aus dem Himmel gefallen war.

Truman hatte es für sich gewonnen und die Technologie der Abscheulichen benutzt, um es als Waffe zu benutzen: als Seelenkanone. Er hatte einen Weg gefunden, die Energie der Seele in kleinen Ausbrüchen loszulassen und alles, was im wütenden Licht der Seele gebannt war, wurde direkt aus dieser Realität herausgeschleudert.

Die Droods, die wir verloren hatten, würden nicht wiederkommen.

Harry und Roger riefen verzweifelt um Hilfe. Es wurde langsam still im Lageraum, als alle die Matriarchin ansahen und danach mich, und auf Befehle warteten. Martha stand sehr still da und rang mit starrem Blick auf den Bildschirm und ihre Hände. Ich dachte fieberhaft nach. Und während ich noch dachte, ging die Seelenkanone wieder los. Roger hatte es wohl gespürt, weil er sich plötzlich aufrichtete und Harry hinter sich schob. Das furchtbare Licht flammte auf und zerriss die Nacht, ein Leuchten so übermächtig, dass es jenseits aller Farben stand, etwas, das man eher mit Verstand und Seele begriff, als mit den Augen. Aber Roger stellte sich dem Licht entgegen und rang es nieder. Er stand zwischen dem Licht und dem Mann, den er liebte und bekämpfte das Seelenlicht mit jedem Quäntchen Kraft, das er noch besaß. Die Seelenkanone feuerte und Roger begegnete seiner grausamen Macht mit unbeugsamem Willen.

Überlebenswillen hätte nicht ausgereicht, ebenso wenig wie Furcht oder Wut, aber das hier war Liebe. Und am Ende erlosch die Seelenkanone als Erste.

Das Licht ging plötzlich aus und Roger fiel wie ein Toter auf der Erde. Harry schlang die Arme um seinen reglosen Körper und wog ihn hin und her, als beruhige er ein Kind. Im Lageraum sah mich jeder an. Ich holte tief Luft.

»Giles, Molly, ihr kommt mit mir. Martha, finde heraus, wo Mr. Stich und der Seneschall sind und hol sie her. Und irgendjemand soll U-Bahn-Ute finden. Wir gehen in Trumans Bunker, um den Turm auszuschalten und dafür brauchen wir den Weg der Verdammnis.«

Загрузка...