Kapitel Sechzehn Hochspannung

Der andere Ort traf mich wie ein Hammer und ließ mich in die Knie gehen. Allein das Gewicht dieser Welt war viel mehr als ich aushalten konnte. Es war, als wäre ich in einer Ghoulstadt, nur viel stärker und viel schlimmer. Der Himmel leuchtete in einem grellen Licht, blendend hell, als wäre das ganze Firmament eine einzige Sonne. Die Luft war mit Hunderten von Gerüchen übersättigt, so duftend und faulig und intensiv, dass sie darum zu kämpfen schienen, in meinen Kopf zu kommen. Überall Geräusche; scharf und schneidend, tief und beunruhigend durchdrangen sie mein Fleisch und hallten in meinen Knochen wider, als kratze jemand mit seinen Nägeln über meine Seele. Ich umarmte mich selbst, um mich davor zu bewahren, auseinanderzufallen. Ich schlug die Augen nieder, um mich vor dem weißglühenden Himmel zu schützen, doch der Boden unter mir hob und wand sich, war mit überkomplizierten Formen bedeckt, die Pflanzen hätten sein können oder Insekten oder etwas vollkommen anderes. Es gab so viele Details, dass meine Augen bei dem Versuch tränten, das alles zu verstehen. Alles in dieser neuen Welt quoll über vor Leben, als wären selbst der Boden und die Steine lebendig und aufmerksam. Alles pulsierte mit einer beunruhigend aggressiven Lebendigkeit. Überall war Bewegung um mich herum, schnell und flink, als würde nichts je stillstehen, nicht einmal für einen Moment.

Willkommen in der höheren Dimension. Willkommen in einer besseren Welt. Willkommen in der Heimat der Hungrigen Götter. Alles, was ich tun konnte, war, nicht zu kotzen.

Ich fühlte und sah gleichzeitig, dass Molly neben mir ebenfalls in die Knie ging, zitternd und schaudernd aufgrund des Übergangsschocks. Ich griff blind nach ihr und sie nach mir und wir klammerten uns fest aneinander, um uns zu trösten. Überwältigt von einer Welt, für deren Sinneseindrücke wir nie richtig ausgerüstet worden waren. In dieser höheren Dimension war alles zu groß, zu real, zu wahnsinnig kompliziert. Wir wären verloren gewesen, wenn da nicht Giles Todesjäger gewesen wäre. Genau wie er gesagt hatte, hatte ihm seine Erfahrung mit der Überwindung fremder Welten genug an die Hand gegeben, um mit dieser hier fertig zu werden. Er kroch zu uns hin und sprach leise und beruhigend auf uns ein. Seine Stimme wirkte wie das einzig Vernünftige und Normale in dieser neuen Existenz.

»Es ist nur ein anderer Ort«, meinte er. »Die Details ändern sich, aber das ist es auch schon. Damit könnt ihr fertig werden. Ihr könnt euch anpassen. Weil ihr Menschen seid und es das ist, was Menschen tun. Wir rollen uns ab, wenn wir getroffen werden und dann kommen wir kämpfend zurück. Wenn ihr mit dem, was ihr seht, nicht zurechtkommt, dann überlasst es eurem Verstand, es in etwas zu übersetzen, das ihr versteht. Ihr seid stärker als ihr glaubt, Eddie, Molly. Egal, wie seltsam die Dinge hier wirken, erinnert euch: Es ist nur ein anderer Ort.«

Seine Stimme und seine ruhige Vernunft waren eine Rettungsleine, an die ich mich klammern konnte. Etwas, das ich benutzen konnte, um festen Boden unter den Füßen zu bekommen. Langsam baute ich eine Schale aus Widerstand um mich herum auf. Ich weigerte mich, vom Lärm des Ortes besiegt zu werden und Stück für Stück erlangte ich die Kontrolle über meinen Verstand zurück. Schließlich war ich in der Lage, wieder aufzustehen, und Molly ebenso. Wir atmeten beide immer noch schwer und hielten uns nach wie vor aneinander fest, um uns zu stützen, aber wir waren wieder voll da. Vielleicht lag wirklich etwas Jämmerliches darin, in dieser größten aller Welten menschlich zu sein, aber selbst das kleinste Insekt kann einen tödlichen Stich versetzen. Einen ›kläglichen‹ Stich gewissermaßen.

»So lange das Tor offen bleibt und wir in der Nähe sind, bringen wir etwas von unserer Welt mit in diese«, sagte Molly. »Wie beim Weg der Verdammnis. Wir sind gewissermaßen vor der vollen Wucht dieser Erfahrung geschützt.«

»Nun, dafür wollen wir dem lieben Gott dankbar sein«, sagte ich. »Ich denke wirklich nicht, dass ich mit einer Vollerfahrung fertig werden würde. Alles hier ist vollkommen überdreht.«

»Es ist ziemlich anstrengend«, sagte Giles. »Und ich habe schon einiges hinter mir.«

»Wir müssen tun, wozu wir gekommen sind und solange wir in der Lage dazu sind«, sagte ich. »Molly, ich glaube - … Molly?«

»Ach, scheiße«, sagte Molly.

Ich zwang mich, meinen Blick vom Boden zu heben und in die Richtung zu sehen, in die sie blickte. Ich hörte Giles nach Luft schnappen, als er sie ebenfalls sah. Sie waren überall um uns herum. Die Eindringlinge, die Vielwinkligen, die Hungrigen Götter. Große, immense und lebende Dinge, riesig wie Berge. Sie existierten in mehr als nur drei räumlichen Dimensionen gleichzeitig, sodass mein Verstand ihre Erscheinung als eine Reihe sich überlappender Bilder begriff, die sich immer wieder ein wenig veränderten und nie ganz einheitlich waren. Ihr Anblick flimmerte in meinem Kopf, ihr Eindruck ebenso wie ihr Bild. Es waren Kreise, endlose Reihen, eine unmögliche Anzahl von Anblicken, die sich bis in weite Ferne erstreckten, so weit, wie ich mich nur trauen konnte, zu sehen. Abwartend.

Sie ragten bis in den Himmel und alle bewegten sich langsam, aber unerbittlich vorwärts. Zu dem Portal, das vor uns immer noch pulsierte und sich auffaltete. Mir wurde schwindlig, wenn ich zu ihnen aufsah, so als würde ich von meinen Füßen gerissen und nach oben in den unerträglichen Himmel gewirbelt. Ich hatte keine Ahnung, woraus die lebenden Berge bestanden, nur, dass es etwas Niederträchtiges und Ekelhaftes war, wie Krebszellen, mit Folgen, die mein Gehirn sich nicht ausmalen mochte. Sie hatten keine sichtbaren Glieder oder Sinnesorgane, aber ich wusste, dass sie wussten, das wir hier waren. So klein wir im Vergleich waren, sie sahen uns und sie kannten uns und sie hassten uns.

Da war so viel mehr um sie als mein begrenzter, menschlicher Verstand hätte erfassen können; als ich je hätte verstehen können. Ich wusste das. Ich zwang mich, mich auf das zu konzentrieren, was meine Augen mir zeigten. Sie waren groß und sie waren uralt und sie waren Monster. Ihre Natur wirkte über ihre Form hinaus und wurde auch nicht von irgendeinem falschen Schamgefühl versteckt. Sie wussten, was sie waren, was sie aus sich gemacht hatten, und genossen es. Sie waren bösartig, boshaft wie das beinahe reine Konzept davon und hassten alles, was nicht wie sie selbst war. Weil das Einzige, was sie nicht verschlingen konnten oder verschlingen würden, sie selbst waren. Sie fraßen Leben und das nicht nur als Nahrung, sondern um der reinen Freude willen, es zu zerstören. Antigötter, die nur damit beschäftigt waren, die Schöpfung zu verschlingen.

»Wie sollen wir das da bekämpfen?«, fragte ich.

»Gar nicht«, sagte Molly.

Ich sah mich schnell zu ihr um. Etwas in ihrer Stimme machte mich nervös und ich sah, wie mich etwas Fremdes aus Mollys Augen anblickte. Sie sah … anders aus, ihr ganzes Gesicht strahlte eine andere Persönlichkeit aus. Sie hielt sich sogar anders, als würden sich neue Dinge in ihr bilden, die ihre Gestalt und ihr Gleichgewicht änderten. Giles fluchte leise hinter mir und griff nach seinem Schwert. Ich bedeutete ihm eilig, damit aufzuhören und richtete meine Aufmerksamkeit ganz auf Molly. Ich wusste, was passiert war. Die Abscheulichen waren nur Auswüchse der Hungrigen Götter und so nah an ihrer eigenen Realität war die Drohne in Molly erwacht und hatte die Kontrolle übernommen.

»Richtig«, sagte Molly. Sie klang nicht wie sie selbst. Sie lächelte, wie Molly nie gelächelt hätte. In ihrem Blick lag Hass und Verachtung. »Ich habe jetzt das Steuer übernommen. Molly gönnt sich ein kleines Nickerchen, während ich mit euch rede. Ich habe das schon einmal getan, wisst ihr, als ich U-Bahn Ute getötet habe. Oh ja, das war ich. So einfach und leicht war es, und keiner hat es gemerkt. Kam es euch nicht ein wenig verdächtig vor, dass sie so plötzlich starb? Ohne guten Grund? Nein? Na ja, gib dir nicht die Schuld, Eddie. Du hast so viel im Kopf.«

Sie streckte sich langsam und lustvoll, in einer nicht ganz menschlichen Art. »Es tut gut, wieder draußen anstatt in einem so kleinen und begrenzten Ding gefangen zu sein, die Welt durch ihre Augen zu betrachten und nur Pläne zu schmieden. Ich bin noch nicht stark genug, um sie ganz zu übernehmen, ihren Verstand und ihre Seele zu durchdringen und zu meiner zu machen. Ich habe mehr Potenzial, als ich derzeit nutzen kann. Aber du hättest mich nie hierher bringen dürfen, Eddie. Du hättest mich nie nach Hause bringen dürfen.«

»Wie lange … schaltest du sie schon aus und übernimmst sie?«, fragte ich. Mein Mund war trocken, aber ich rang um eine feste Stimme.

»Nicht lange. Es war nicht leicht, Molly von innen zu korrumpieren, so geschützt wie sie ist von ihrer Magie und den Bedingungen der ganzen unerfreulichen Verträge und Abkommen, die sie für ihre Macht eingegangen ist. Du würdest einige Sachen nicht glauben, die sie getan hat, und einige der Dinge, die sie versprechen musste, damit sie die Hexe der Wilden Wälder werden konnte. Ich denke, du verdächtigst mich, Eddie, stimmt's, aber du hast nicht gefragt, weil du's gar nicht wissen wolltest. Trotzdem: Keine Sorge deshalb. Ich werde zu ihr werden und sie wird nichts weiter als eine Drohne sein, um den Meistern zu dienen, solange sie durchhält.«

»Warum U-Bahn Ute umbringen?«, fragte ich. »Sie war deine Freundin.«

»Nicht meine Freundin, Eddie. Die liebe Ute musste weg, weil sie vielleicht erkannt hätte, dass ihr den Weg der Verdammnis benutzen könntet, um in die höheren Dimensionen zu gelangen. Und wir mögen keine Besucher hier. Wirklich nicht.«

»Und warum hast du Sebastian getötet?«

»Das war ich gar nicht, Liebelein«, sagte das Ding in Molly. »Warum sollte ich einen von uns töten? Also, gib mir die Waffe. Das Kästchen, das Klägliche Ende. Deine Mission ist vorbei, die Jagd vergeblich und dein Krieg verloren.«

»Das kann ich nicht tun«, sagte ich. »Molly würde das nicht wollen.«

Eine silberne Klinge erschien in Mollys Hand und sie legte die Klinge an ihre eigene Kehle. Es war das Athame, seine übernatürlich scharfe Klinge schnitt ihr bereits die Haut ein, sodass Blut ihren Hals herunterfloss. Molly lächelte mit Schadenfreude in den Augen. »Tu, was man dir sagt, kleiner Mensch, oder ich schneide mir die Kehle durch. Und wenn sie tot ist, dann nehme ich mir das Kästchen so.«

»Bist du wirklich bereit zu sterben?«, fragte Giles.

»Ich kann nicht sterben. Ich bin Teil von etwas Größerem. Du würdest das nicht verstehen. Ich existiere nur zu einem Zweck. Gib mir die Box, Eddie, und du bekommst Molly zurück. Für eine kleine Weile.«

»Sie würde lieber sterben, als sich in dich zu verwandeln«, sagte ich. »Sie würde glücklich sterben, wenn das hieße, dass sie dich und deine Meister mit sich nehmen könnte.« Ich hob langsam meine rechte Hand, um ihr das silberne Kästchen mit dem roten Knopf zu zeigen. »Wenn ich diesen Knopf drücke, verschwindet dieser ganze Ort hier auf immer und ewig. Ein zweiter Urknall, einer, um ein Universum zu beenden. Kein Hier mehr, kein du, keine Hungrigen Götter. Molly würde ihren Tod als einen Triumph sehen, wenn sie das erreichte.«

»Bist du sicher?«, sagte das Ding mit einer Stimme, die so nach der echten Molly klang, dass es mir ins Herz schnitt.

»Ja«, sagte ich. »ich bin verdammt sicher, dass sie in der Erwartung zu sterben hierher kam. Und ich glaube, mir ging es ebenso. Wir haben nie wirklich daran gedacht, wieder zurückzukommen. Und wenigstens können wir auf diese Weise zusammen sterben.«

»Und wann genau wolltet ihr mir das sagen?«, fragte Giles.

Ich sah ihn an. »Du kannst immer noch gehen«, sagte ich. »Das Portal ist immer noch da und steht offen. Du hast alles getan, was man von dir erwarten konnte, und hast Molly und mich so lange unterstützt, dass wir tun konnten, was nötig war.«

»Nein«, sagte Giles. »Es gibt einen besseren Weg. Gib mir das Klägliche Ende.«

»Was?«

»Ich werde es tun«, sagte Giles.

»Entschuldigt«, sagte die Drohne in Molly. »Aber ich halte immer noch ein sehr scharfes Messer an meine Kehle.«

»Nimm Molly mit dir durch das Portal«, sagte Giles. »Ich werde das mit dem Knopfdrücken erledigen, die Hungrigen Götter in die Luft jagen und den Vorhang fallen lassen. Wenn sie zerstört sind, sollte das mit den Abscheulichen ebenfalls erledigt sein, einschließlich dem in Molly. Ihr beide könnt zusammen leben, Eddie. Mein Geschenk an euch.« Er lächelte kurz. »Dafür, dass ihr mir Dinge gezeigt habt, die ich nie für möglich gehalten hätte. Dafür, dass ihr mich in eure Familie aufgenommen habt. Und weil - weil ich nie das erlebt oder gekannt habe, was ihr beide, du und Molly, miteinander habt und erlebt.«

»Ich dachte … du sagtest doch, du hättest in deiner Zeit Arger wegen einer Frau gehabt?«

»Oh, es gab immer Frauen«, sagte Giles Todesjäger. »Das gehört zum Job, wenn man Oberster Krieger ist. Aber niemand Besonderes. Niemals eine, die etwas bedeutet hätte. Also nimm deine Molly und hau ab. Ich kann das erledigen. Eigentlich muss ich es sogar tun. Irgendeiner muss das Tor von dieser Seite aus schließen, um sicherzugehen, dass die weltenzerstörenden Energien nicht durch das Tor in eure Welt rückkoppeln. Ich habe ein paar Energiegranaten, die reichen müssten, die Energiematrix zu unterbrechen und das Portal zu schließen.«

»Ich hab dich doch nicht all die Jahre zurückgehen lassen, nur damit du stirbst«, sagte ich.

»Vielleicht hast du genau das«, sagte Giles. »Wer weiß? Die Zeit spielt uns allen komische Streiche.«

»Ich habe einen Dolch an meiner Kehle«, kreischte Molly.

Giles Arm schoss nach vorn und riss Molly den Dolch einfach aus der Hand. »Nein, hast du nicht. Und jetzt benimm dich.«

Molly funkelte erst ihn, dann mich böse an. Ihre Augen wurden gefährlich dunkel. »Glaubst du wirklich, dass man den Göttern mit einem Mechanismus Angst machen kann? Mit eurer kleinen Schachtel Technik?«

»Da gibt's nur einen Weg, das rauszufinden«, sagte Giles. »Jetzt gib die Box schon her, Eddie.«

»Das wird nicht funktionieren«, sagte Molly. »Wir werden es nicht funktionieren lassen. Nichts passiert hier, das wir nicht erlauben.«

Und dann sahen wir alle hoch, verwirrt, als ein neues Geräusch in die höhere Dimension hereinbrach, ein triumphierendes Heulen wie ein riesiges Dampfventil, das wie ein Dopplerton aus einer unendlichen Entfernung zu uns herübertönte. Die Himmel brachen auseinander und der Zeitzug donnerte über den überhellen Himmel. Er stampfte direkt über die berghohen Hungrigen Götter hinweg. Ein großes, schwarzes Monster von einer altmodischen Dampflok, mit röhrender Maschine und seltsamen Energien, die um sie funkelten und fluoreszierten. Sie zog einen Schweif von regenbogenfarbenen, ausgestoßenen Tachyonen hinter sich am Himmel her.

Jacob und Jay Drood, der lebende und der tote, hatten es doch geschafft.

Die Hungrigen Götter kreischten auf, ein schrecklicher, unerträglicher Schrei, voller Zorn, Bosheit und Verachtung. Empört darüber, dass etwas aus einer geringeren Welt es wagte, in ihr verstecktes Heim einzudringen. Ivor ließ sein Dampfventil trotzig pfeifen, ein klares, helles Geräusch. Der Zeitzug kam jetzt mit kontrollierter Geschwindigkeit herunter und hielt dann einfach in der Luft an, als wäre die Zeit selbst stehengeblieben. Nichts bewegte sich um uns herum, alles war still und plötzlich stand der Geist von Jacob Drood direkt vor mir und lächelte sein altes, verschmitztes Lächeln.

Er streckte einen Zeigefinger aus und stupste Molly an die Stirn. Sie schwankte plötzlich und schüttelte den Kopf.

»Was? Was ist passiert?«, fragte sie. »Eddie, warum siehst du mich so an? Und Jacob, was machst du denn hier?«

»Ich rette die Welt«, sagte Jacob großartig. »Ich habe gerade den Reset-Knopf für euch gedrückt. Ich weiß allerdings nicht, wie lange das anhält, also passt auf. Ich muss euch ein paar Sachen sagen.«

»Was machst du hier?«, fragte ich. »Ich meine, warum bist du nicht oben im Zeitzug?«

»Das bin ich«, meinte Jacob. »Ich bin oben und gleichzeitig hier unten. Es ist erstaunlich, was man alles lernen kann, wenn man tot ist. An zwei Orten gleichzeitig zu sein, ist ein Kinderspiel, wenn man keinen materiellen Körper hat, um den man sich sorgen muss. Na, eigentlich muss ich das ja schon, aber das übernimmt Jay gerade.« Sein uraltes Gesicht wurde ernst. Er warf einen Blick auf Ivor, die Zeitlok, die jetzt still am furchtbaren Himmel über den lebenden Bergen stand. »Hör zu, die Zeit wird jeden Moment weiterlaufen. Ivor kann sie nicht lange aufhalten, nicht gegen den kombinierten Willen der Hungrigen Götter, selbst mit all der Extrakraft, die er während der Reise gesammelt hat. Oh, Mann, Eddie, wir waren an Orten … das Universum ist so viel größer, als jeder von uns glauben würde! Also, wenn die Zeit weiterläuft, werde ich wieder oben in Ivor sein. Jay und ich werden den Zeitzug dann zum Zweck eines höchstwahrscheinlich apokalyptischen Aufpralls mitten in die Hungrigen Götter steuern. Alle zeitlichen Energien, die Ivor in sich hat, wird er in einer einzigen Explosion freigeben. Der Knall wird nicht groß genug sein, um die Hungrigen Götter zu zerstören, aber doch genug, um das Klägliche Ende starten zu können, egal, wie sehr die Vielwinkligen versuchen, es zu unterdrücken. Also, du darfst dann nicht hier sein, Eddie.«

»Aber wenn das Portal offen bleibt …«, fragte Giles.

»Wir können genug Energie zurückbehalten, um es zu schließen, kurz vor der Detonation«, sagte Jacob. »Ivor ist eine bemerkenswert gebildete Maschine, wenn man erst einmal gelernt hat, seine Sprache zu sprechen. Er ist zu viel mehr fähig, als man jemals von ihm wollte. Er will nicht sterben - aber er ist ein Drood und versteht, was Pflicht bedeutet. Er ist für eine Dampfmaschine übrigens auch sehr pragmatisch. Dass ich hier bleiben muss, versteht sich. Beide Ichs. Ich habe mit Ivor die Sache so arrangiert, dass er mit einem gewissen Betrag der Zeitenergie sicherstellt, dass mein Tod das Ergebnis zeitigt, das es sollte. Beim Aufschlag wird Jay sterben, aber sein Geist wird in der Zeit zurückgeschickt, um der Familiengeist zu werden. Und ich … werde endlich frei sein. Um weiterzugehen - und woanders Arger zu machen! Ich freue mich schon darauf.«

»Muss es denn so kommen?«, fragte ich. »Gibt es keine andere Möglichkeit?«

»Wir haben Glück, diese eine zu haben, Eddie«, sagte Jacob freundlich. »Die Hungrigen Götter werden zerstört, die Welt gerettet. Wir haben nicht das Recht, mehr zu erwarten.« Er sah Giles an. »Da ist sogar genug temporäre Energie übrig, um dich nach Hause zu schicken, Junge. Den ganzen Weg in die Zukunft. Halt einfach die Box fest und vertrau mir. Schließ die Augen, wenn es hilft.« Er wandte sich wieder an mich. »Auf Wiedersehen, Eddie. Du warst immer ein guter Freund. Und der Sohn, den ich nie hatte. Hör bloß nicht auf, der Familie Feuer unterm Hintern zu machen, nur weil ich nicht mehr da bin, um dich anzustacheln.«

»Auf Wiedersehen, Jacob«, sagte ich. »Ich wünschte …«

»Ich weiß«, sagte er.

Er verschwand und Ivors trotziges Dampf-Pfeifen erklang wieder inmitten des aufbrandenden schrecklichen Krachs der Hungrigen Götter. Der Zeitzug schoss durch den weißglühenden Himmel und zog einen Schweif Tachyonendampf hinter sich her, als er unerbittlich auf die lebenden Berge zuflog. Giles streckte seine Hand nach dem Kläglichen Ende aus und ich gab es ihm. Er wog es in seiner Hand und lächelte kurz. »Auf Wiedersehen, Eddie. Auf Wiedersehen, Molly. Ich habe meine Zeit bei euch genossen. Es war … interessant.«

»Auf Wiedersehen, Giles«, sagte ich. »Wo auch immer du hingehst und wo auch immer du endest, vergiss nie, du gehörst zur Familie.«

Ich nahm Molly am Arm und ging in Richtung Portal. Es schnappte vor mir zu und war einfach weg. Molly riss auf einmal ihren Arm aus meiner Hand. Sie lachte jubelnd. Ihr Gesicht und ihr Körper gehörten nicht mehr ihr. »Du wirst nie hier rauskommen! Wir haben das Tor geschlossen, und du bist hier mit uns gefangen! Jacob wird diese Welt niemals zerstören, solange du hier bist!«

»Natürlich wird er das«, sagte ich. »Er ist ein Drood.«

»Stimmt«, sagte Giles. »Nichts spielt eine Rolle, nur die Familie, die Ehre und die Pflicht. Ich verstehe das jetzt.«

Der Zeitzug fiel wie ein Hammer auf die Oberfläche zu und wurde dabei immer schneller. Wilde Energien explodierten aus der Dampfmaschine, als die lebenden Berge versuchten, sie zu bremsen oder aufzuhalten. Aber wo auch immer Ivor gewesen war, er war so stark geworden, dass die Hungrigen Götter ihn nicht berühren konnten. Er heulte aus dem Himmel hinab, und ich hätte schwören können, dass Jacob und Jay sich aus dem schwarzen Führerhaus lehnten und lachten und jubelten wie Schuljungen.

Es musste einen Weg hier heraus geben. Es musste einen Weg geben.

Wir waren doch jetzt nicht so weit gekommen, nur um hier zu sterben. Ich schubste Molly in Giles Arme und er hielt sie sicher fest, während sie sich wehrte und Flüche und Verwünschungen ausstieß. Ich durchsuchte beide Taschen mit meinen Händen nach etwas, irgendetwas, das helfen konnte. Ich hatte immer diese verrückten Spielereien, der Waffenmeister sorgte dafür. Aber nichts, das ich bei mir hatte, konnte mir hier helfen. Ich hätte Onkel Jack nach irgendetwas Besonderem fragen sollen, bevor ich ging, aber er sagte ja immer, dass ich sowieso nie benutzte, was er mir gab.

Ich hielt inne. Und starrte auf mein Handgelenk. Da war es, das Teleport-Armband, das er mir gegeben hatte, und bei dem ich nie die Gelegenheit gehabt hatte, es auszuprobieren, weil immer etwas zu tun gewesen war. Es war nur ein Kurzstreckensprung, aber wenn ich in die übrig gebliebenen Energien des Portals trat, dann … Ich riss Molly aus Giles Armen, schrie ihm noch ein schnelles Auf Wiedersehen zu und warf dann sowohl Molly als auch mich in die Stelle, an der das Tor gewesen war. Gleichzeitig schrie ich die Worte, die das Armband aktivierten. Ein sehr kleiner Fleck öffnete sich und schluckte uns. Molly wurde steif in meiner Umarmung, ihre Stimme wurde plötzlich abgeschnitten. Ich warf einen Blick zurück auf Giles. Er winkte mit dem Stahlkästchen in der Hand zum Abschied. Hinter ihm sah ich Ivor, den Zeitzug, mitten in die lebenden Berge krachen. Seine Dampfpfeife blies frech bis zum letzten Moment. Die Hungrigen Götter schrien im Chor auf.

Dann waren da ein unglaubliches Licht und ein noch lauterer Knall. Und eine Energiewelle drückte mich zusammen mit Molly aus dem Portal hinaus.

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