Ich fuhr zum Bauernhof, als Nina anrief, daß sie zurück sei, und ich fand sie wieder einmal gähnend beim Auftanken.
Lewis hatte seinen Transporter schon gewaschen und stellte ihn gerade an seinen Stammplatz. Harve und Phil waren noch nicht aus Wolverhampton zurück, aber die Zuchtstutentruppe war bis auf den nach Irland gegangenen Neuner von Aziz wieder eingetroffen.
Lewis warf sein ausgefülltes Fahrtenbuch in den Briefkasten am Büro und teilte mir kurz mit, daß er die beiden Pferde wohlbehalten zu Mr. Usher zurückgebracht habe und daß er Ushers Reisefuttermeister beim Satteln seiner sämtlichen Starter habe helfen müssen, da seine Pfleger alle nichts taugten und Nina gesagt habe, sie sei dafür nicht angezogen. Wenn ich es recht verstand, war Nina in seiner Achtung gesunken, weil sie ihn so schuften ließ. Da nützte auch der Beifall nichts, dachte ich belustigt, den sie am Morgen seinem Baby gespendet hatte.
Nina fuhr auf den Waschplatz und machte sich an die Arbeit mit dem Schlauch. Betrachtete man ihre alten Jeans, den schlichten Pulli und das straff zurückgekämmte Haar mit den einzelnen unfügsamen Strähnen, so konnte man verstehen, daß sie sich nicht öffentlich zeigen wollte, ganz abgesehen davon, daß jemand aus der Pferdewelt sie erkennen und erstaunte Fragen hätte stellen können.
Lewis fuhr nach Hause. Ich ging zu Nina und erbot mich, den Transporter für sie zu waschen, wenn sie im Gegenzug etwas für mich erledigte. Sie willigte erleichtert ein, sagte aber:»Was ist, wenn Harve kommt?«
«Ich laß mir was einfallen.«
«Okay. Was soll ich machen?«
«Holen Sie das neue Rollbrett aus der Scheune und sehen Sie unter allen Wagen nach, ob Behälter an den Tanks sind.«
Sie war erstaunt.»Ich denke, Jogger hat nachgesehen, und es waren nur drei.«
«Genaugenommen«, sagte ich,»hat er mir nur von dreien was gesagt. Ich bin mir nicht sicher, ob er unter allen Wagen nachgeschaut hat. Es ist nur zur Kontrolle.«
«Na gut«, meinte sie.»Möchten Sie das nicht selber machen?«
«Nicht unbedingt.«
Sie warf mir einen neugierigen Blick zu, sagte aber nichts, sondern holte das Rollbrett aus der Scheune und ging systematisch die Reihe durch. Ich reinigte den Transporter fertig, innen wie außen, und fuhr ihn auf seinen Standplatz, um mich anschließend an der Bürotür wieder mit ihr zu treffen.
«Also«, sagte sie und klopfte sich Schmutz von den Ellbogen,»es ist noch einer da, und zwar unter Lewis’ Transporter, aber er ist leer wie die anderen auch. Lewis! Dann waren wir heute also mit zwei versteckten Behältern in Lingfield — aber ich bin die ganze Zeit bei den Wagen geblieben, zur Empörung von Lewis, obwohl er dem Futtermeister ganz gut allein beim Satteln helfen konnte. Die brauchten mich eigentlich nicht, aber jetzt bin ich schlecht bei ihm angeschrieben. «Sie nahm es gelassen.»Niemand ist an die Wagen rangekommen, das schwöre ich. Niemand hat sich auch nur im geringsten für ihre Fahrgestelle interessiert.«
Ich dachte zurück.»Lewis’ Wagen war unterwegs nach Frankreich, als Jogger die Behälter Nummer zwei und drei fand. Lewis fuhr am Freitag los und kam Dienstag früh gegen zwei zurück.«
«Na bitte. Jogger hatte von Lewis’ Transporter nichts gewußt. Er war tot, bevor Lewis zurückkam.«
Harve fuhr in den Hof ein, die Kegel seiner Scheinwerfer hell in der zunehmenden Dunkelheit.
«Soll ich auch bei Harve nachsehen?«fragte Nina.
«Sobald es geht. Und bei allen, die noch ausstehen.«
«Okay. «Sie gähnte erneut.»Fahre ich morgen?«
«Isobel hat Sie wieder für Lingfield eingesetzt.«
«Ach, na ja… wenigstens kenne ich ja jetzt den Weg.«
Ich sagte zerknirscht:»Ich weiß noch nicht mal, wo Sie wohnen. Haben Sie weit zu fahren?«
«Bei Stow-on-the-Wold«, sagte sie.»Eine Stunde mit dem Auto.«
«Das geht ja noch. Hm… wie wär’s, wenn ich Sie irgendwo auf dem Nachhauseweg zum Essen einlade?«
«Ich bin nicht gerade zum Ausgehen angezogen.«
«Und ein Pub?«
«Ja, gut. Schönen Dank.«
Ich ging zu Harve hinüber, um ein Wort mit ihm zu reden, während er auftankte, und er freute sich über einen Sieger, den er nicht nur nach Wolverhampton gebracht, sondern auf den er auch gesetzt hatte. Der Begleiter des Pferdes hatte ihm gesagt, es sei ein sicherer Tip.»Da hat er ausnahmsweise recht gehabt.«
Als seine Tanks voll waren, bat ich ihn, mit ins Büro zu kommen, damit wir uns den Plan für den nächsten Tag ansehen konnten. Er kam sofort mit, und als ich mich umdrehte, sah ich, daß Nina die Gelegenheit nutzte, um das Fahrgestell seines Transporters in Augenschein zu nehmen.
Wir gingen die ziemlich volle Liste durch. Er selbst war für Chepstow eingetragen, eine seiner Lieblingstouren.»Gut«, sagte er. Ich erzählte ihm von den Hürdlern, die Benjy Usher übersehen hatte.»Wie der jemals einen Sieger auf die Beine stellt, ist mir schleierhaft«, meinte er.»Wohlgemerkt, er hat ein Mordsglück. Wer sonst hat im vorigen Sommer drei Rennen erwischt, bei denen sein Pferd allein am Start war? Hier in Pixhill ging doch so ein Bazillus um, wissen Sie noch? Die Classic-Trial-Altersgewichtsrennen sind sowieso bloß auf fünf oder sechs Starter zugeschnitten, und Mr. Usher ist immer scharf darauf, die zu gewinnen. Letztes Jahr hat er die Chester Vase gegen nur zwei Konkurrenten gewonnen. Weiß ich noch, weil ich den Sieger selbst gefahren hab, erinnern Sie sich?«
«Er hat seine Pferde schon immer gern für Rennen mit voraussichtlich sehr wenig Teilnehmern genannt«, stimmte ich zu.»Ich selbst habe mehrere Rennen mit zwei oder drei Pferden für ihn heimgeholt, meistens 3-Meilen-Jagdrennen.«
«Und er läßt die Ärmsten auch auf steinhartem Boden laufen«, fuhr Harve mißbilligend fort.»Ob die dabei lahm gehen, kümmert ihn anscheinend nicht.«
«Sie humpeln auf dem ganzen Weg zur Kasse.«
«Scherzen Sie nur«, wandte Harve ein,»er ist trotzdem ein miserabler Trainer.«
«Nächste Woche sollen wir einen Hengst von ihm aus Italien holen«, erinnerte ich ihn.»Isobel hat die Papiere und die Fähre für Montag bestellt.«»Einen niedergebrochenen Hengst«, sagte Harve abschätzig.
«Ehm.. ja.«:
«Wer fährt?«
«Was schlagen Sie vor? Er möchte Lewis und Dave haben.«
Harve zuckte die Achseln.»Tun wir ihm den Gefallen.«
«Ja, dachte ich auch.«
Auf der anderen Seite des Hofes tauchte Nina nach vollbrachter Inspektion wieder auf und schüttelte unübersehbar den Kopf.
Ich sagte zu Harve:»Erinnern Sie sich an die Kassette, die Jogger unter dem Neuner entdeckt hat? Ist Ihnen was eingefallen, wofür die gewesen sein könnte?«
«Darüber habe ich nicht nachgedacht«, bekannte er offen.
«Jogger hat doch noch zwei gefunden, und alle waren leer. Was immer da drin war, ist Schnee von gestern. «Er klang so unbesorgt wie eh und je.»Armer alter Jogger.«
Da Sandy mir im Vertrauen erzählt hatte, daß man bei der Untersuchung von Joggers Tod jetzt von Mord ausging, sagte ich Harve nichts davon. Es würde früh genug an den Tag kommen. Harve und ich gingen wieder zu seinem Transporter, und er blickte zu Nina hinüber, die gerade in der Scheune verschwand.
«Der Job überfordert sie«, bemerkte er nicht unfreundlich.
«Nach allem, was man hört, ist sie eine gute Fahrerin, aber Nigel sagt, sie ermüdet leicht.«
«Sie hilft ja nur aus«, sagte ich.»Eine Woche noch, wenn sich keiner mehr mit Grippe auf die Nase legt.«
Der zweite Transporter kam aus Wolverhampton zurück. Ich überließ Harve die Aufsicht für den Rest des Tages und hängte mich an Ninas Wagen, als sie Harve zuwinkte und zum Tor hinausfuhr. Nach einer halben Meile hielt sie an, um mir vorzuschlagen, ich solle ihr zu einem Eßlokal folgen, an dem sie täglich vorbeikam, und eine halbe Stunde später fuhren wir auf den dicht belegten Parkplatz eines Restaurants, in dem mehr Wert auf die gute, erschwingliche Küche gelegt wurde als auf den Ausschank.
Sie hatte die Haare gelöst und gekämmt und Lippenstift aufgelegt, so daß die Nina, mit der ich zu Abend aß, jünger aussah und wieder halb auf das Original hinauskam. Das Lokal war überfüllt, die kleinen Tische standen dicht beisammen. Wir orderten Steaks, Fritten und gebratene Zwiebeln, dazu eine Karaffe roten Hauswein und Cheddarkäse am Stück.»Gesunde Ernährung geht mir auf den Geist«, sagte Nina, die Sorgen um ihre schlanke Linie offenbar nicht kannte.»Haben Sie gehungert, als Sie Jockey waren?«
«Gegrillter Fisch und Salat«, sagte ich und nickte.
«Nehmen Sie etwas Butter. «Lächelnd reichte sie mir einen silbern verpackten kleinen Würfel.»Ich esse für mein Leben gern die falschen Sachen. Meine Tochter rümpft die Nase über mich.«
«Schwarzwälder Kirschtorte?«schlug ich vor und gab ihr die Speisekarte.
«So verrückt bin ich auch wieder nicht.«
Geruhsam tranken wir Kaffee, da wir es beide nicht besonders eilig hatten auseinanderzugehen.
Ich erzählte ihr, daß die Polizei glaubte, Jogger sei ermordet worden, und daß uns vielleicht jetzt nur noch Stunden blieben, um Lösungen zu finden, ehe man mit schweren Stiefeln über uns hinwegtrampelte.
«Sie sind ungerecht gegen die Polizei«, bemerkte sie.
«Das mag sein.«
«Aber zugegeben, die Lösung scheint so weit außer Sicht zu sein wie eh und je.«
«Laut Sandy Smith«, sagte ich,»kommt es darauf an, die richtigen Fragen zu stellen.«
«Nämlich?«
«Ja, eben — das ist der Punkt.«
«Überlegen Sie sich doch mal eine. «Lächelnd trank sie ihren Kaffee.
«Na schön«, sagte ich.»Was halten Sie von Aziz?«
«Bitte?«Sie war überrascht; fast, wie mir schien, aus der Fassung gebracht.
«Er ist merkwürdig«, stellte ich fest.»Ich weiß zwar nicht, wie er hinter meinen Schwierigkeiten stecken soll, aber er ist am Tag nach Joggers Tod auf dem Bauernhof erschienen, und ich habe ihm Bretts Stelle gegeben, weil er Französisch und Arabisch kann und in einer Mercedeswerkstatt gearbeitet hat. Meine Schwester findet aber, er ist viel zu clever für das, was er macht, und ich respektiere das Urteil meiner Schwester. Warum also arbeitet Aziz für mich?«
Sie fragte, woher meine Schwester Aziz kenne, und ich erzählte ihr von dem Tag des Transports der alten Pferde und daß er am Morgen darauf meine Schwester nach Heathrow gebracht hatte.
«Ich weiß nicht, ob Aziz bei meiner Wassertaufe in Southampton am Dienstag abend vielleicht mit von der Partie war.«
«Aber nein«, sagte sie entgeistert.»Bestimmt nicht.«
«Was macht Sie da so sicher?«»Es ist einfach… er ist so fröhlich.«
«Man kann lächeln und lächeln und doch ein Schurke sein.«
«Nicht Aziz«, sagte sie.
Instinktiv teilte ich Ninas Ansicht über Aziz: Er war vielleicht ein Schlitzohr, aber kein Schurke. Und doch hatte ich Schurken um mich herum, und die mußte ich dringend finden.
«Wer hat Jogger umgebracht?«fragte sie.
Ich sagte:»Auf wen würden Sie tippen?«
«Dave«, sagte sie ohne Zögern.»Er hat eine gewalttätige Ader, die er vor Ihnen verbirgt.«
«Davon habe ich gehört. Aber Dave war es nicht. Nein, den kenne ich zu lange. «Ich merkte, wie sich trotz meiner Überzeugung Zweifel in meine Stimme einschlichen.»Dave hat nichts von den Behältern unterm Aufbau gewußt.«
«Man kann grinsen wie ein kleiner Junge und doch ein Schurke sein.«
Ich mußte unwillkürlich lachen und fühlte mich gleich viel unbeschwerter.
«Die Polizei wird Joggers Mörder finden«, sagte Nina,»und Ihre Sorgen hören auf, ich gehe nach Hause, und damit hat es sich.«
«Ich möchte nicht, daß Sie nach Hause gehen.«
Ich sagte das ohne zu überlegen und überraschte mich damit ebensosehr wie sie. Sie schaute mich nachdenklich an und hörte unfehlbar das heraus, was ich nicht hatte sagen wollen.
«Da spricht die Einsamkeit«, sagte sie langsam.
«Ich bin ganz zufrieden allein.«»Ja. Ich auch.«
Sie trank ihren Kaffee aus und tupfte sich den Mund in einer abschließenden Geste mit der Serviette ab.
«Zeit zu gehen«, sagte sie.»Danke für die Einladung.«
Ich zahlte, und wir gingen hinaus zu den Wagen, ihrem und meinem, unseren Arbeitspferden.
«Gute Nacht«, sagte sie nüchtern.»Bis morgen. «Sie setzte sich ohne Eile, ohne verlegenes Zögern hinter das Steuer, geübt im zwanglosen Abschiednehmen.»Gute Nacht, Freddie.«
«Gute Nacht«, sagte ich.
Sie fuhr mit einem Lächeln davon, freundlich, weiter nichts. Ich wußte nicht genau, ob ich deshalb erleichtert sein sollte.
Irgendwann in der Nacht wurde ich plötzlich wach und hörte wieder Sandys beharrliche Stimme im Kopf:»Sie müssen die richtigen Fragen stellen.«
Mir war eine Frage eingefallen, die ich hätte stellen sollen und nicht gestellt hatte. Ich war zu langsam, zu schwer von Begriff gewesen. Morgen in aller Frühe würde ich die Frage nachholen.
Am Morgen in aller Frühe weckte das Klingeln des Telefons mich aus dem zweiten tiefen Schlaf, und Marigolds laute Stimme drang an mein wehrloses Ohr.
«Ich bin nicht allzu glücklich mit Ihrem Freund Peterman«, kam sie gleich zur Sache.»Ich hätte gern Ihren Rat. Können Sie hier mal vorbeischauen? So gegen neun?«
«M-hm«, sagte ich und kämpfte mich so mühsam an die Oberfläche wie ein halb ertrunkener Schwimmer.»Ja, Marigold. Um neun. Alles klar.«
«Sind Sie betrunken?«wollte sie wissen.
«Nein, nur schlaftrunken. «Im Bett, die Augen geschlossen.
«Aber es ist doch schon sieben«, wies sie mich zurecht.»Der Tag ist halb vorbei.«
«Bis nachher. «Ich schwenkte den Hörer in Richtung Gabel.
«Gut«, sagte ihre Stimme aus der Ferne.»Wunderbar.«
Der Schlaf war verlockend, betörend, verführerisch wie eine Droge. Nur die Erinnerung an die entscheidende Frage, die ich nicht gestellt hatte, trieb mich aus dem Bett und ins Bad.
Samstag morgen. Kaffee. Cornflakes.
Immer noch verschlafen tappte ich von der Küche in das demolierte Wohnzimmer und schaltete den Computer an. Das Programm stürzte nicht ab. Ich rief Isobels neue Personaleinträge über die Fahrer auf; sie waren nach wie vor auf das Wesentliche beschränkt: Namen, Adresse, Geburtsdatum, nächste Verwandte, Führerscheinnummer, die Fahrten der Woche, die Stunden am Steuer.
Unter Mißachtung ihrer Privatsphäre gab ich Ninas Namen ein und las ihre Adresse, Abtei Lauderhill, Stow-on-the-Wold, und ihr Alter, vierundvierzig.
Neun Jahre älter als ich. Achteinhalb, um genau zu sein. Ich trank meine zweite Tasse Kaffee brühheiß und fragte mich, wieviel so ein Altersunterschied wohl ausmachte.
Ich nahm kurz hintereinander vier Anrufe mit Fahrtwünschen und Terminänderungen für den Tag entgegen, bestätigte sie und gab sie für Isobel ins Programm ein, die samstags meistens von acht bis Mittag im Büro arbeitete. Um zehn vor acht rief sie mich dann auch an, um ihre Ankunft zu melden, und ich war froh, die Firmengespräche jetzt rüber auf den Bauernhof legen zu können.
Ich fuhr bei ihr vorbei, um zu sehen, wie die Fahrten anliefen, und eventuelle Schwierigkeiten auszuräumen, aber wieder hatten Isobel und Harve anscheinend alles gut im Griff.
Nina (vierundvierzig) lächelte mich kurz an, als sie erschien, um nach Lingfield zu fahren, ihr Äußeres so bewußt unattraktiv wie zuvor. Harve, Phil und die Meute waren abwechselnd in der Kantine, vertraten sich die Beine, holten ihre Arbeitsbögen, flirteten ein wenig mit Iso-bel. Wieder ein Samstagmorgen. Wieder ein Renntag. Vierundzwanzig Stunden in einem Leben.
Die meisten Wagen waren um halb neun schon weg. Als ich in Isobels Büro kam, gab sie gerade das abgewandelte Tagesprogramm in den Computer ein, weitgehend auf der Grundlage der zu Hause von mir eingetippten Daten.
«Wie läuft’s?«fragte ich zerstreut.
«Wie wild!«Sie lächelte zufrieden.
«Ich möchte, daß Sie versuchen, sich an etwas zu erinnern.«
«Schießen Sie los. «Sie tippte weiter, die Augen auf dem Bildschirm.
«Hm«, sagte ich,»im vorigen August. «Ich hielt inne, wartete darauf, daß sie besser zuhörte.
«Was war denn vorigen August?«fragte sie nebenher, immer noch tippend.»Im August fahren Sie weg.«
«Ja, ich weiß. Als ich vorigen August fort war, was hat Jogger da in der Schmiergrube gefunden?«
Sie hörte auf zu tippen und sah mich verwirrt an.
«Was haben Sie gesagt?«fragte sie.
«Was hat Jogger in der Grube gefunden? Irgend etwas Totes. Was hat er tot in der Grube gefunden?«
«Aber Jogger… der lag doch tot in der Grube, oder nicht?«»Vorigen Sonntag lag Jogger tot in der Grube, ja. Aber im vorigen August hat er anscheinend da etwas anderes gefunden, das tot war — einen toten Cousin, sagte er, aber ein toter Cousin kann’s ja wohl nicht gewesen sein. Wissen Sie also noch, was er gefunden hat? Hat er es Ihnen gesagt? Überhaupt wem gesagt?«
«Oh. «Nachdenkliche Falten traten auf ihre Stirn, als sie die Augenbrauen hochzog.»Ich erinnere mich zwar dunkel dran, aber das war nichts, womit man Sie hätte behelligen müssen. Ich meine, es war bloß lächerlich.«
«Was hat er gefunden?«
«Ich glaube, ein Kaninchen war’s.«
«Ein Kaninchen?«
«Ja. Ein totes Kaninchen. Er sagte, es wimmle von Maden oder so, und hat es auf den Müll geworfen. Das war alles.«
«Sind Sie sicher?«fragte ich zweifelnd.
Sie nickte.»Er wußte nicht, was er sonst damit anfangen sollte, und hat’s auf den Müll geworfen.«
«Ich meine, ob es bestimmt ein Kaninchen war?«
«Denk ich mal. Ich hab’s nicht gesehen. Jogger meinte, es müsse da irgendwie reingehüpft sein, und als es erst mal in der Grube war, kam es natürlich nicht mehr raus.«
«Genau«, stimmte ich zu.»Wissen Sie noch, was für ein Tag das war?«
Sie schüttelte entschieden den Kopf.»Wenn Sie davon nichts wissen, muß es zu der Zeit gewesen sein, als Sie weg waren.«
Automatisch wandte sie sich dem PC zu, und wieder huschte die schon bekannte Enttäuschung über ihr Gesicht.»Es stand vielleicht in den Daten, die wir verloren haben, obwohl ich nicht recht daran glaube. Ich wüßte nicht, daß ich so was mal eingegeben habe.«
«Hat irgend jemand anders Joggers Kaninchen gesehen?«
«Ich weiß es wirklich nicht mehr. «Ihrem Gesicht war anzusehen, daß sie sich nicht denken konnte, wozu das wichtig sein sollte.
«Also gut. Jedenfalls vielen Dank«, sagte ich.
Sie lächelte arglos und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
Cousins, dachte ich. Cousins und Cousinen. Cousins und Vettern… Cousins und Kusinchen.
Joggers Worte.»Nehmen Sie mal die Cousins unters Ta-tü. Letztes Jahr im August lag einer in der Grube, der war tot und hat gewimmelt.«
Die einzigen Kaninchen, die er meines Erachtens damit meinen konnte, waren die von den Watermead-Kindern, aber selbst wenn eins davon irgendwie entschlüpft und in der Schmiergrube gelandet war, konnte es kaum von Maden gewimmelt haben — sofern es nicht schon tagelang dort gelegen hatte, als Jogger es fand. Das alles erschien völlig bedeutungslos… aber Jogger war es so wichtig vorgekommen, daß er es mir — auf seine vertrackte Art — sieben Monate danach erzählt hatte.
Ich sah auf meine Uhr. Bald neun. Was hatte ich um neun noch mal vor? Die schlaftrunkene Verabredung mit Marigold English fiel mir wieder ein.
Ich sagte Isobel, wo ich hinwollte, setzte hinzu, sie könne mich vorläufig übers Autotelefon erreichen, und fuhr zu Marigold.
Sie war mit ihrer Strickmütze draußen auf dem Hof und kam mir mit einer Schüssel Preßfutter entgegengeeilt, als ich eintraf.
«Steigen Sie nicht aus«, befahl sie.»Fahren Sie mich zu Peterman.«
Also folgte ich ihren Anweisungen, die uns holterdipol-ter über einen grasigen Feldweg zu einer fernen Koppel hinter ihrem Haus brachten. Die Koppel fiel zu einem Bach hin ab und war von hohen Weidenbäumen gesäumt, die alten Pferden vorzüglich Schatten spenden würden, wenn erst die Blätter herauskamen.
Peterman stand oben, nicht weit vom Gatter, und sah elend aus. Er hielt die Nase an die Futterwürfel, die Marigold ihm anbot, und drehte wie beleidigt den Kopf weg.
«Sehen Sie?«sagte sie.»Er frißt nicht.«
«Was sind das für Würfel?«fragte ich.
Sie nannte eine anerkannte Marke, die weit verbreitet war.
«Die mögen alle Pferde, da gibt’s nichts.«
Ich sah verwirrt auf Peterman.»Was hat er denn dann?«
Marigold zögerte.»Ich hab meinen alten Tierarzt bei Salisbury angerufen, aber der meinte nur, ich soll dem alten Knaben Zeit lassen zum Eingewöhnen. Dann war ich gestern abend noch mal hier, und vielleicht wissen Sie noch, wie schön sonnig es da war. Die Sonne stand tief und schien gelb auf das Pferd, und da konnte man sie sehen.«
«Was denn?«
«Die Zecken.«
Ich starrte sie an.
«Zeckenbisse«, sagte sie.»Ich glaube, das ist es, woran er leidet. Vor noch nicht einer halben Stunde hab ich John Tigwood angerufen, damit er was dagegen unternimmt, und er hat gesagt, das sei Blödsinn, ganz unmöglich, und außerdem hätten Sie, Freddie, als die Pferde am Dienstag in Pixhill eintrafen, den Tierarzt kommen lassen und auf einer Untersuchung bestanden, und der Tierarzt habe den Tieren die beste Gesundheit bescheinigt, sogar schriftlich, er könne mir den Schein gern zeigen, und ich muß sagen, sein Ton gefiel mir gar nicht — ich hätte ihm beinah gesagt, er soll das Pferd zurücknehmen, aber da hatte ich Sie ja schon gebeten, es sich anzusehen, und weil Ihnen sein Wohl doch so am Herzen liegt… na ja, dachte ich, warte ich erst mal, bis Sie kommen, und frage Sie nach Ihrer Meinung. «Sie hielt inne, da ihr die Luft ausging.»Was meinen Sie?«
«Ehm. wo waren die Zecken?«
«An seinem Hals.«
Ich schaute auf den Hals von Peterman, konnte aber nur sein braunes, noch winterdickes Haarkleid sehen. Das würde er jetzt, wo es wärmer wurde, bald zugunsten des kürzeren, feineren Sommerhaares abstoßen.
«Wie sahen sie aus?«fragte ich Marigold.
«Winzige braune Dinger. Die gleiche Farbe wie sein Fell. Ich hätte sie überhaupt nicht gesehen ohne die Sonne, und wenn eine sich nicht bewegt hätte.«
«Wie viele waren es?«
«Weiß ich nicht… sieben oder acht vielleicht. Ich konnte sie nicht so gut sehen.«
«Aber, Marigold…«
«Sie meinen, ich hab sie nicht alle? Was ist denn dann mit den Bienen?«
«Äh…«
Sie sagte ungeduldig:»Bienen, Freddie. Bienen. Varroa jacobsoni.«
«Erzählen Sie mal von Anfang an«, bat ich.
«Das sind Milben«, sagte sie.»Sie schmarotzen von Bienen. Sie bringen sie nicht um, sie saugen ihnen nur das Blut aus, bis die Bienen nicht mehr fliegen können.«»Ich wußte gar nicht, daß Bienen Blut haben.«
Sie warf mir einen vernichtenden Blick zu.»Mein Bruder hat panische Angst vor dem Varroa-jacobsoni-Befall«, sagte sie.»Er ist Obstzüchter, und die Hälfte seiner Bäume tragen nicht, weil die Bienen zu schwach zum Befruchten sind.«
«Ach so. Ja, verstehe.«
«Deshalb schmaucht er ihnen ein Pfeifchen.«
«Um Himmels willen.«
«Pfeifenrauch ist so ungefähr das einzige, was diese Milbenart umbringt. Wenn man Pfeifenrauch in einen Bienenstock bläst, fallen die ganzen Milben tot vom Hok-ker.«
«Hm«, sagte ich.»Starker Tobak, aber was hat das mit Peterman zu tun?«
«Seien Sie doch nicht so begriffsstutzig«, schnappte sie.»Zecken übertragen Krankheiten, oder? Kann ich vielleicht riskieren, daß die Zecken von Peterman auf meine Zweijährigen hüpfen?«
«Nein«, sagte ich langsam,»auf keinen Fall.«
«Also, egal, was John Tigwood sagt, dieser Pferdeopa bleibt mir nicht hier. Tut mir sehr leid, Freddie, aber Sie müssen eine andere Weide für ihn suchen.«
«Ja«, sagte ich.»Werde ich tun.«
«Wann?«
Ich dachte an ihren Stall voll hochkarätiger Pferde und daran, wie gern ich sie weiterhin von einem Sieg zum nächsten befördern wollte.
Ich sagte:»Ich bringe ihn zu mir nach Hause. Da ist ein kleiner Garten, wo er vorläufig bleiben kann. Dann komme ich wieder her und hole meinen Wagen. Genehmigt?«
Sie nickte beifällig.»Sie sind in Ordnung, Freddie.«
«Tut mir leid, daß ich Ihnen solche Umstände gemacht habe.«
«Ich hoffe nur, Sie verstehen mich.«
Das konnte ich ihr versichern. Ich fuhr über den Feldweg zu ihrem Stall zurück, wo sie mir einen Führzügel für Peterman gab und mich dann am Arm zu einer Stalltür führte, um mir ihren größten Stolz zu zeigen, den dreijährigen Hengst, der, wenn alles gutging, in den 2000 Guineas und im Derby gegen Michael Watermeads Überflieger, Irkab Alhawa, antreten würde. In ihren Augen schimmerte wie bei Michael die keimende Erregung, die wildwachsende Hoffnung.
«Und Sie kümmern sich«, wiederholte sie,»um Peter-man.«
«Natürlich«, sagte ich. Ich küßte sie auf die Wange. Sie nickte. Ich hätte John Tigwood in der Luft zerreißen können, weil er mich in eine so unangenehme Lage gebracht hatte, aber letztlich war es auch wieder nicht seine Schuld, denn ich selbst hatte Marigold ja ausdrücklich gebeten, Peterman zu nehmen.
Über meine Dummheit seufzend kehrte ich zu der Koppel zurück, legte meinem alten Freund den Zügel an und führte ihn von seiner idyllischen Weide herunter und die Straße entlang zu einem viel kleineren Viereck zerrupften Rasens in dem ummauerten Garten hinter meinem Haus.
«Geh nur nicht an die Osterglocken«, ermahnte ich ihn.
Er sah mich traurig an. Als ich ihm den Führzügel abnahm und wegging, fiel mir auf, daß ihn noch nicht mal das Gras interessierte.
Ich holte meinen Fourtrak bei Marigold ab und fuhr wieder nach Hause. Peterman stand mehr oder weniger noch auf demselben Fleck, ein Bild des Jammers, neben den unangerührten Osterglocken. Wäre es nicht verfehlt, Tieren menschliche Gefühle zuzuschreiben, hätte ich das alte Pferd für deprimiert gehalten. Ich setzte ihm einen Eimer Wasser hin, aber er trank nichts.
Mehrere Gedanken schossen mir durch den Kopf, fast wie ein paar kalte Zylinder, die plötzlich zünden. Ich setzte mich an den Computer in meinem demolierten Zimmer und studierte noch einmal die Bedienungsanleitung für einen neuerlichen Streifzug durch die alten Informationen auf den virusfreien Disketten.
Mir war eingefallen, daß ich bei der Durchsicht der Touren meiner Fahrer versäumt hatte, Jogger aufzurufen. Als ich das jetzt nachholte, gab es wenig her, denn er war sehr selten gefahren; kaum ein halbes dutzendmal im vergangenen Jahr und fast immer an Feiertagen, wenn sich die Rennen im Land knubbelten und wir die letzten Fahrerreserven zusammenkratzen mußten.
Ich rieb mir die Nase, überlegte noch ein wenig und holte die Transporter selbst auf den Bildschirm, Kennzeichen für Kennzeichen.
Jetzt sahen die Tabellen auf dem Monitor ganz anders aus: die gleichen Informationen wie vorher, aber sozusagen von der Seite angestrahlt, wie Marigolds sonst unsichtbare Zecken.
Nach Kennzeichen geordnet, war jeder Transporter jetzt ausführlich dokumentiert, mit Kalenderdaten, Fahrten, Fahrern, Fahrtzweck, Fahrzeit, Meilenstand, Wartungsterminen, Reparaturen, Lizenzen, Verkehrstauglichkeitsbescheinigungen, Leergewicht, Tankinhalt, Kraftstoffverbrauch Tag für Tag.
Nach einiger gedanklicher Anstrengung, ausgiebigem Blättern in der Bedienungsanleitung und zwei, drei Fehl-starts bekam ich als nächstes eine Auflistung sämtlicher von Jogger im vorigen August ausgeführten Reparaturarbeiten. Ich hatte sie chronologisch sortiert und erhielt schlicht das Datum, das Kfz-Kennzeichen und die Bezeichnung der ausgeführten Arbeiten.
Sommertag für Sommertag ging ich diesen einen Monat in Joggers Leben noch einmal durch, und so fand ich ihn, den toten Cousin.
10. August. Das Kennzeichen des Transporters, den normalerweise Phil fuhr. Ölwechsel über der Schmiergru-be. Luftbehälter für die Druckluftbremsen geleert. Kompressor geprüft. Alle Schmiernippel gefüllt. Zum Schluß ein Vermerk, den Isobel an dem Tag eingegeben und vergessen hatte:»Jogger sagt, ein totes Kaninchen ist aus dem Transporter in die Grube gefallen. Von Zecken übersät, sagt er. Auf den Müll geworfen.«
Ich schaute geistesabwesend ins Leere.
Nach einer Weile fing ich von vorn an und rief Phils Daten auf den Bildschirm, um zu sehen, wo er am 10., 9. oder 8. August war.
Phil, so sagte mir mein treuer Gehilfe, hatte den fraglichen Transporter an keinem dieser Tage gefahren. Er hatte einen anderen, älteren Wagen gefahren, den ich, wie mir einfiel, später verkauft hatte.
Zurück ans Reißbrett: zurück zu den Kennzeichen, zu der Beleuchtung von der Seite.
Am 7. August war der Transporter, den jetzt Phil fuhr, mit zwei Startern für Benjy Usher nach Frankreich gefahren. Sie waren am 8. in Cagnes-sur-Mer an der Mittelmeerküste gelaufen und am 9. nach Pixhill zurückgekehrt.
Der Fahrer des Transporters auf dieser Tour war Lewis.
Lewis hatte den Transporter im vorigen Jahr überhaupt meistens gefahren, wenn ich es recht bedachte. Im Herbst hatte ich Lewis dann den funkelnagelneuen Super-Sechser zugeteilt, den ich gekauft hatte, weil der alte mir nicht mehr gut genug war, denn ich wollte, daß die Usher- und Watermead-Pferde mit allem Komfort reisten. Lewis hatte im September ein Pferd von Michael mit dem neuen Super-Sechser nach Doncaster gebracht, wo es das letzte klassische Rennen des Jahres, das Saint Leger, gewann.
Gegen Viertel nach zehn rief ich in Edinburgh an.
«Quipp hier«, sagte eine angenehme Stimme. Englisch, nicht schottisch.
«Ehm… entschuldigen Sie meinen Anruf«, sagte ich,»aber wissen Sie vielleicht, wo ich meine Schwester Lizzie finden könnte?«
Nach einer winzigen Pause sagte er:»Wer sind Sie, Robin oder Freddie?«
«Freddie.«
«Bleiben Sie dran.«
Ich blieb dran und hörte ihn rufen:»Liz, dein Bruder Fred…«:, und dann sagte sie auch schon, einigermaßen erschrocken:»Ist was mit deinem Kopf?«
«Bitte? Nein. Außer daß er ein bißchen langsam und schwach geschaltet hat. Hör mal, ehm… Lizzie, kennst du einen, der was über Zecken weiß?«
«Zecken?«
«Ja. Die kleinen Beißer.«
«Du lieber Himmel.«
Sie sagte Professor Quipp, was ich wollte, und er kam wieder an den Apparat.
«Welche Art von Zecken?«fragte er.
«Das will ich gerade herausfinden. Die Sorte, die Pferde und… ehm, Kaninchen befällt.«
«Haben Sie Exemplare davon?«
«Bei mir im Garten steht ein Pferd, das wahrscheinlich welche hat.«
Nach einer Pause meldete sich Lizzie wieder.»Ich versuche, Quipp klarzumachen, daß du eine Gehirnerschütterung hast.«
«Das war einmal.«
«Und was für ein Pferd steht bei dir im Garten?«
«Peterman. Einer der Veteranen vom vorigen Dienstag. Im Ernst, Lizzie, frag deinen Professor mal, wo ich mich über Zecken informieren kann. In Pixhill stehen zu viele Multimillionenpferde, da darf man nichts anbrennen lassen, wenn Zecken sie krank machen können.«
«Ach, du guter Gott.«
Geschlagene drei Minuten war es still an meinem Ohr, dann sagte Professor Quipp:»Sind Sie noch da?«
«Ja.«
«Ich habe einen Bekannten, der Spezialist für Zecken ist. Er fragt, ob Sie ihm einige Exemplare besorgen können.«
«Meinen Sie jetzt… das Pferd in ein Transportauto laden und nach Edinburgh kommen?«
«Es wäre eine Möglichkeit.«
«Das Pferd ist schrecklich alt und tatterig. Lizzie weiß das, sie hat es gesehen. Es würde die Fahrt vielleicht nicht überstehen.«
«Ich rufe Sie zurück«, sagte er.
Ich wartete. Mein Jaguar und Lizzies Hubschrauber standen unbrauchbar auf dem Asphalt. Wunderbar schnelle Transportmittel, außer Betrieb.
Quipp meldete sich schon bald wieder.
«Lizzie sagt, wenn Sie sagen, die Sache drängt, dann drängt sie.«
«Sie drängt.«
«Gut. Dann kommen Sie doch mit dem Flieger her. Wir holen Sie am Edinburgher Flughafen ab. Sagen wir… um eins? Kurz nach eins?«
«Ehm…«:, setzte ich an.
«Natürlich können Sie das Pferd nicht mitbringen«, sagte Quipp,»es genügen ein paar Zecken.«
«Aber ich kann sie eigentlich gar nicht sehen.«
«Ganz normal. Die sind sehr klein. Nehmen Sie Seife.«
Surreal.
«Feuchten Sie ein Stück Seife an, bis es klebrig ist«, sagte er.
«Streichen Sie dem Pferd damit übers Haar. Wenn sich runde braune Tüpfel auf der Seife finden, haben Sie Zek-ken.«
«Sterben die dann nicht?«
«Mein Bekannter meint, eventuell nicht, wenn Sie auf dem Weg hierher keine Zeit verlieren, und vielleicht spielt es auch gar keine Rolle. Ach ja, und bringen Sie eine Blutprobe von dem Pferd mit.«
Ich wollte einwenden, daß es mindestens eine Stunde dauern würde, bis der Tierarzt eintraf, doch die Stimme von Lizzie kam mir zuvor.
«In meinem Badezimmerschrank liegt eine Injektionsnadel«, sagte sie.»Die ist noch aus den Zeiten meiner Wespenallergie, als ich zu Hause gewohnt hab. Ich hab sie neulich gesehen. Die kannst du nehmen.«
«Aber Lizzie.«
«Mach dich an die Arbeit«, befahl sie, und Quipps Stimme sagte:»Wir holen Sie vom Mittagsflugzeug ab. Rufen Sie an, falls Sie später kommen.«
«Ja«, sagte ich benommen und hörte auch schon das Klicken, als am anderen Ende aufgelegt wurde. Ein ganz und gar nicht zerstreuter Professor, sinnierte ich. Er paßte gut zu meiner Schwester.
Was Peterman davon halten würde, wenn ich ihn mit Nadeln piekste, daran wagte ich nicht zu denken. Ich ging hinauf in das kleine rosa und goldene Bad neben Lizzies Zimmer und fand die Injektionsnadel, wie sie gesagt hatte, dort im Spiegelschrank. Es war eine ausdrücklich» zum einmaligen Gebrauch «bestimmte Spritze in einer undurchsichtigen weißen Plastikhülle, und sie sah mir viel zu klein aus für ein Pferd. Da Lizzie aber gesagt hatte, ich solle sie benutzen, nahm ich sie und ein klebrig angefeuchtetes Stück Seife mit nach unten und näherte mich dem alten Knaben im Garten.
Er wirkte vollkommen apathisch. Ich hielt ihn lediglich an der Stirnlocke fest, während ich die an seinem Unterkiefer hervortretende Vene fand und behutsam die Nadel einstach. Sein Kopf hielt still, als habe er nichts gespürt. In meiner Unerfahrenheit brauchte ich sogar beide Hände, um das Blut auf die Spritze zu ziehen, und selbst da blieb er reglos, als schliefe er halb. Die kleine Spritze füllte sich leicht mit der roten Flüssigkeit. Ich zog die Nadel wieder heraus, legte die Spritze weg, nahm den Riegel Seife und führte ihn um Petermans Kopf herum und an seinem Hals entlang. Trotz meiner Skepsis und meiner Zweifel waren nach drei oder vier Wischern ein paar winzige dunkelbraune Pünktchen auf der weichen Oberfläche zu erkennen.
Peterman zuckte weiterhin mit keiner Wimper, als ich meine Trophäen auf ein Nest aus zerknüllten Papiertü-chern in einer Plastikdose aus der Küche bettete und fest den Deckel aufdrückte. Unwillkürlich hob ich die Hand, um den alten Burschen zum Dank zu tätscheln, und hielt mitten in der Bewegung inne. Was, wenn ich dabei seine Zecken auf mich übertrug? Was, wenn ich es schon getan hatte? Spielte es eine Rolle? Ich hatte überhaupt nicht daran gedacht, Gummihandschuhe anzuziehen.
Achselzuckend ließ ich meinen Freund stehen, ohne ihn zu tätscheln, wusch mir die Hände in der Küche, und noch keine fünf Minuten später düste ich auf der Landstraße in Richtung Heathrow.
Unterwegs rief ich Isobel an.
«Sie fahren wohin?« sagte sie.
«Nach Edinburgh. Seien Sie so gut und legen Sie alle Anrufe auf Ihre Leitung, bis ich wiederkomme. Bonus versteht sich.«
«Okay. Wie lange bleiben Sie denn weg?«
«Ein, zwei Tage. Ich rufe Sie zwischendurch an, wir hören voneinander.«
Glücklicherweise hatte ich freie Fahrt zum Flughafen, stellte mich auf den Parkplatz für Kurzaufenthalte und erwischte den letzten Platz im Mittagspendelflug locker ohne Spikes und Rückenwind. Mein einziges Gepäck war die Plastikdose aus der Küche und das Kuvert mit Geld aus dem Safe. Meine Kleidung bestand aus den Jeans und dem Pulli, in denen ich gearbeitet hatte. Alle anderen Fluggäste trugen, wie es schien, große rotweiße Halstücher und sangen lautstark anstößige Lieder.»La Paloma, ohe«, mit den obszönsten Gebärden. Das Leben wurde immer sonderbarer. Ich hielt die Plastikdose auf meinen Knien und verschlief die Stunde in der Luft.
Lizzie wartete am anderen Ende neben einem dunkelhaarigen Mann, der eher wie ein Skilehrer als wie ein Professor für organische Chemie aussah, zumal eine regenbogenfarbene Skijacke, frisch von den Hängen, sein bartlos gutes Aussehen unterstrich.
«Quipp«, stellte er sich vor und streckte die Hand aus.»Sie sind Freddie, nehme ich an.«
Da ich Lizzie gerade mit einem Kuß begrüßte hatte, war die Annahme vertretbar.
«Ich habe ihm gesagt, daß du kommst«, sagte sie.»Er war überzeugt, du könntest es zeitlich nicht schaffen. Ich sagte ihm, daß du mit deinem Jockey-Instinkt schneller über Land jagst als ein Hurrikan.«
«Hurrikane sind über Land eigentlich langsam«, sagte ich.
Quipp lachte.»Eben. Gerade mal 25 Meilen die Stunde im Vorwärtsgang. Stimmt’s?«
«Stimmt«, sagte ich.
«Dann kommen Sie mal. «Er beäugte die Plastikdose.»Sie haben die Ware dabei? Wir fahren gleich zum Labor. Keine Zeit zu verlieren.«
Quipp fuhr seinen Wagen, einen Renault, mit dem Schwung, der seiner Jacke entsprach. Wir hielten vor einer Tür, die aussah wie der Lieferanteneingang einer Privatklinik, und kamen auf einen hellen, nichtssagenden Korridor, der um die Ecke zu einer Schwingtür führte, auf der in schwarzen Lettern auf Milchglas» McPherson-Stiftung «stand.
Quipp stieß die Türflügel auf wie aus alter Gewohnheit, Lizzie und ich hinter ihm, und wir betraten zuerst ein Vestibül, dann einen Raum, dessen Fenster ausschließlich Oberlichter waren.
Von einer Kleiderstange im Vorraum nahm Quipp für jeden von uns einen weißen Laborkittel, den man am Hals zuknöpfte und um die Taille schnürte. Im Labor selbst trafen wir auf einen ebenso gekleideten Mann, der bei unserer Ankunft von einem Mikroskop aufsah und zu Quipp sagte:»Wehe, das bringt nichts, du krummer Hund. Eigentlich wär ich jetzt in Murrayfield beim Rugby-Länderspiel.«
Quipp stellte ihn unerschrocken als Guggenheim, den Wunderling vom Dienst vor.
Guggenheim, der es wie Quipp anscheinend vorzog, nur mit seinem Nachnamen angeredet zu werden, war unüberhörbar Amerikaner und unübersehbar ebenso jung wie der Computerspezialist.
«Stören Sie sich nicht an seiner Jugend«, empfahl Quipp.
«Denken Sie dran, daß Isaac Newton vierundzwanzig war, als er 1666 den binomischen Lehrsatz entdeckt hat.«
«Ich denke dran«, sagte ich trocken.
«Ich bin fünfundzwanzig«, sagte Guggenheim.»Schauen wir mal, was Sie mitgebracht haben.«
Er nahm mir die Plastikdose ab und zog sich an einen der langen Arbeitstische zurück, die zwei Wände des Labors säumten. Ich hatte Zeit, mich umzusehen, hätte aber außer dem Mikroskop wohl keinen einzigen Ausrüstungsgegenstand hier benennen können. Guggenheim bewegte sich in diesem rätselhaften Reich so sicher wie Rubik um die Seiten seines Würfels.
Er war schmächtig gebaut, mit dunkelblondem Kraushaar und dem ruhigen, steten Blick gewohnheitsmäßiger Konzentration. Er beförderte eines der braunen Pünktchen von der Seife auf einen Objektträger und sah es sich kurz unter dem Mikroskop an.
«So, so, so, da haben wir also eine Zecke. Na, was meinen Sie, was die wohl überträgt?«
«Ehm«, sagte ich, doch anscheinend war die Frage Gug-genheims rhetorisch.
«Wenn sie von einem Pferd kommt«, sagte er vergnügt,»dann sollten wir vielleicht nach Ehrlichia risticii Ausschau halten. Was meinen Sie? Fällt einem da nicht sofort Ehrlichia risticii ein?«
«Mir nicht«, sagte ich.
Guggenheim blickte gutmütig von seinem Mikroskop auf.»Ist das Pferd krank?«fragte er.
«Das Pferd steht still und sieht deprimiert aus, wenn sich das nicht zu blumig anhört.«
«Depression ist ein klinischer Befund«, sagte er.»Sonst noch was? Fieber?«
«Seine Temperatur habe ich nicht gemessen. «Ich dachte an Petermans Verhalten an diesem Morgen zurück.»Er mochte nicht fressen«, sagte ich.
Guggenheim sah zufrieden aus.»Depression, Appetitlosigkeit und Fieber«, sagte er.»Die klassischen Symptome. «Er schaute Lizzie, Quipp und mich an.»Warum geht ihr drei nicht ein bißchen spazieren? Gebt mir eine Stunde. Ohne es versprechen zu wollen, vielleicht finde ich was raus. Wir haben starke Mikroskope hier, und Organismen an der Grenze zur Sichtbarkeit sind unser Fach. Jedenfalls… eine Stunde.«
Wir zogen uns wie angewiesen zurück und ließen unsere Laborkittel im Vorraum. Quipp fuhr uns zu seiner Wohnung, die maskulin und voller Bücher war, eindeutig aber auch Spuren von Lizzies Anwesenheit aufwies, wenngleich ihre Miene mir verbot, etwas dazu zu sagen. Sie kochte Kaffee. Quipp nahm seine Tasse mit dem leisen Dankeschön der Gewohnheit entgegen.
«Was macht mein kleiner Robinson?«fragte mich Lizzie.
«Steht er da immer noch?«
«Montag kommt ein Tieflader und bringt ihn hier herauf.«
«Sag ihnen, sie sollen vorsichtig sein!«
«Du bekommst ihn in Watte verpackt.«
«Sie müssen die Rotorkette auseinandernehmen…«
Wir tranken den Kaffee stark und schwarz.
Ich rief Isobel an. Alles in Butter, meldete sie.
«Was ist eigentlich die McPherson-Stiftung?«fragte ich Quipp.
«Das Werk eines schottischen Menschenfreundes«, sagte er kurz und bündig.»Außerdem ein kleines Hochschulsti-pendium. Wenig öffentliche Mittel. Sie hat die neuesten Elektronenmikroskope und derzeit zwei im Institut wohnende Genies, eins haben Sie eben kennengelernt. Ihr Ziel ist es, die Grenzen der Erkenntnis zu erweitern, damit die Menschen in gottverlassenen Gegenden der Erde nicht mehr an Gott weiß was für Krankheiten sterben. «Er trank Kaffee.»Guggenheims Spezialgebiet ist die Bestimmung der Vektoren von Ehrlichiae.«
«Diese Sprache ist mir nicht geläufig«, sagte ich.
«Aha. Dann werden Sie auch nicht verstehen, daß er, als ich ihn nach Zecken fragte, die auf Pferde gehen, ziemlich von den Socken war. Es besteht entfernt die Möglichkeit, daß Sie die Lösung eines Rätsels für ihn gefunden haben. Etwas Geringeres hätte ihn von Murrayfield nicht abgebracht.«
«Tja… und was sind diese Ehrlichs — was ist damit?«
«Ehrlichiae? Das sind«, sagte er mit einem Hauch von Übermut,»pleomorphe Organismen, die symbiotisch mit Arthropoda zusammenleben und von ihnen als Vektoren übertragen werden. So in der Richtung.«
«Quipp!« mischte sich Lizzie ein.
Er gab nach.»Es sind von Zecken übertragene Schmarotzer. Die bekanntesten Arten machen Hunde und Vieh krank. Guggenheim hat in Amerika schon über Ehrlichiae bei Pferden gearbeitet. Das muß er Ihnen selbst erzählen. Ich weiß nur, daß er von einer neuen Krankheit redet, die erst Mitte der achtziger Jahre entstanden ist.«
«Eine neue Krankheit?«rief ich aus.
«Die Natur entwickelt sich laufend weiter«, sagte Quipp.
«Das Leben steht nie still. Krankheiten kommen und gehen. Aids ist neu. Etwas noch Verheerenderes lauert vielleicht schon an der nächsten Ecke.«
«Wie grausig«, protestierte Lizzie stirnrunzelnd.
«Liebe Liz, du weißt, daß es möglich ist. «Er sah mich an.
«Guggenheim ist der Ansicht, daß die Dinosaurier nicht durch katastrophale Klimaveränderungen ausgestorben sind, sondern durch von Zecken verbreitete, rickettsienartige Krankheitserreger — und bevor Sie fragen, das sind parasitäre Mikroorganismen, die fiebrige Erkrankungen wie Typhus hervorrufen. Guggenheim glaubt, die Zecken und ihre Parasiten sind zusammen mit den Wirtstieren ausgestorben, ohne eine Spur zu hinterlassen.«
Ich überlegte.»Könnte man diese, ehm — Erreger in Virustransportmedium befördern? Dem Zeug in den Glasröhrchen?«
Er sah einen Moment lang verblüfft aus, schüttelte aber entschieden den Kopf.»Nein. Ausgeschlossen. Ehrlichiae sind keine Viren. Soviel ich weiß, bleiben sie in keinem Medium, keinem Nährsubstrat am Leben, was die Erforschung schwierig macht. Nein. Ganz gleich, was in Ihrem Transportmedium war, von Zecken kam es sicher nicht.«
«Womit so langsam«, sagte ich geknickt,»alle Klarheiten beseitig wären.«
«Lizzie ist eine Astrophysikerin«, sagte er,»die den kosmischen Schwingungen vom Anbeginn des Universums lauscht, und Guggenheim schaut in Elementarkörperchen hinein, die nur in millionenfacher Vergrößerung unter einem Strahl von Elektronen statt Licht zu erkennen sind. Äußere Weiten und innere Tiefen, beides stellt unseren armseligen Intellekt, der es zu verstehen sucht, vor unglaubliche Rätsel. «Er lächelte abschätzig.
«Die schmähliche Wahrheit ist, daß wir mit all unseren Entdeckungen erst am Anfang der Erkenntnis stehen.«
«Aber aus praktischer Sicht«, sagte ich,»brauchen wir doch nur zu wissen, daß Arsen gegen Syphilis hilft.«
«Sie sind kein Wissenschaftler!«hielt er mir vor.»Wir brauchen unsere Guggenheimer, um herauszufinden, daß Arsen gegen Syphilis hilft.«
Ende der Diskussion, stellte ich fest. Lizzie klopfte mir tröstend auf die Schulter.
«Es ist Ihnen wahrscheinlich nicht bekannt«, sagte Quipp,»daß Ehrlich selber, nach dem die Ehrlichiae benannt sind, die syphilishemmende Wirkung von synthetischem Arsen nachgewiesen hat.«
«Nein«, sagte ich erstaunt.»Ich habe noch nie von Ehrlich gehört.«
«Deutscher Naturwissenschaftler. Nobelpreisträger. Schöpfer der Immunologie, Pionier der Chemotherapie. Starb 1915. Den vergessen Sie jetzt nicht mehr.«
1915, dachte ich, gewann Pommern das Derby der Kriegszeit. Endlos, die Launen des Lebens.
Nach einer Stunde fuhr Quipp uns zurück zur McPher-son-Stiftung, und wir fanden Guggenheim blaß und zitternd, offenbar vor Erregung.
«Wo kommen diese Zecken her?«fragte er, sobald wir in unserer weißen Kluft erschienen.»Aus Amerika?«
«Ich glaube, die sind jetzt aus Frankreich gekommen.«
«Wann?«
«Am vorigen Montag. Auf einem Kaninchen.«
Er sah mich abschätzend an.»Ja. Ja. Sie könnten von einem Kaninchen befördert worden sein. Auf Seife halten sie sich nicht lange. Überträgt man sie aber mit Seife von einem Pferd auf ein Karnickel… es besteht kein Grund, warum sie sich darauf nicht halten sollten… Das Kaninchen wäre für die Pferde-Ehrlichiae nicht empfänglich… es könnte die lebenden Zecken transportieren, ohne selbst Schaden zu nehmen.«
«Und dann könnte man die Zecken auf ein anderes Pferd übertragen?«fragte ich.
«Das ginge. Ja, ja, spricht nichts dagegen.«
«Spricht aber auch nichts dafür«, sagte Lizzie.»Warum sollte das jemand tun?«
«Zu Forschungszwecken«, sagte Guggenheim bestimmt.
Lizzie sah mich zweifelnd an, verfolgte es aber nicht weiter.
«Weil nämlich«, sagte er zu mir,»die Ehrlichiose beim Pferd vor allem in Amerika bekannt ist. Ich habe sie in Maryland und Pennsylvania gesehen, aber es ist eine ganz neue Krankheit. Noch keine zehn Jahre alt. Selten. Steckt Ehrlichia risticii dahinter, wird sie als Potomac-Pferdefieber bezeichnet, da sie hauptsächlich in der Nähe großer Flüsse wie dem Potomac auftritt. Wie sind diese Zecken nach Frankreich gekommen?«
«Frankreich importiert in Amerika gezüchtete Rennpferde. Großbritannien allerdings auch.«
«Wozu dann die Kaninchen?«»Angenommen«, sagte ich,»man weiß in Frankreich eine Stelle, wo man die Zecken herkriegt, aber nicht in England?«
«Ja. Ja. «Obwohl er sich zurückhielt, war seine Erregung spürbar und wirkte ansteckend.»Sind Sie sich darüber im klaren, daß die Zecken, die Sie mir gebracht haben, keinen Namen haben? Bisher hat noch niemand den Vektor von E. risticii identifiziert. Wenn also… wenn diese Zecken der Vektor sind — Vektor gleich Überträger einer Krankheit —, sind Sie sich darüber im klaren, daß wir dann unmittelbar vor einem Durchbruch stehen, der es uns erlaubt, den Weg des Potomac-Pferdefiebers nachzuzeichnen?«Überwältigt hielt er inne.
«Mehr oder weniger«, sagte ich.»Könnten Sie mir ein paar Fragen beantworten?«
«Nur zu.«
«Also, was passiert denn, wenn ein Pferd am Potomac-Fieber erkrankt? Stirbt es?«
«Gewöhnlich nicht. Achtzig Prozent überleben. Aber wohlgemerkt, wenn es ein Rennpferd trifft, was Sie vermutlich am meisten interessiert, das wird wahrscheinlich nie wieder ein Rennen gewinnen. Meiner Erfahrung nach geht die Krankheit arg an die Substanz.«
«Und wieso?«
«Sie ist enterisch, eine Darmentzündung. Abgesehen von der Appetitlosigkeit und so weiter ist sie meist mit heftigem Durchfall und Koliken verbunden. Das Pferd wird durch das Fieber sehr geschwächt.«
«Wie lange dauert das Fieber?«
«Vier bis fünf Tage.«
«Länger nicht?«
«Das Pferd entwickelt Antikörper, so daß die Ehrlichiae ihm nichts mehr anhaben können. Wenn der Vektor eine Zecke ist — die bleibt am Leben. Über Zecken an sich weiß man, wenn ich so sagen darf, viel zu wenig. Zum Beispiel sind nur die ausgewachsenen braun. Ihre Seife war übersät mit Nymphchen, jungen Zecken, die beinahe durchsichtig sind. «Er hielt kurz inne.»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich nach Pixhill käme, um mir mal anzuschauen, was Sie da haben? Könnte ich zum Beispiel Ihr Kaninchen sehen?«
«Das Kaninchen habe ich leider nur logisch abgeleitet.«
«Oh. «Er sah enttäuscht drein.
«Aber kommen Sie ruhig«, lud ich ihn ein.»Seien Sie mein Gast.«
«Bald? Ich meine, ich will Sie nicht beunruhigen, aber Sie sagten, Ihr Pferd sei alt, und gerade solche Veteranen auf der Weide sind es, die diese Krankheit bekommen, und je älter sie sind, desto wahrscheinlicher ist es, daß sie daran sterben. Tut mir leid, wirklich.«
«Kann es auch jüngere Pferde treffen?«
«Wenn Sie damit Rennpferde in einem Stall meinen, ja, durchaus, aber die werden doch geputzt, nicht wahr? Beim Putzen wird die Zecke vielleicht beseitigt. Ja, das wäre denkbar. In Amerika werden vorwiegend die Veteranen auf der Weide krank.«
«Hm«, sagte ich,»und gibt es auch ein Heilmittel?«
«Tetracyclin«, sagte er prompt.»Ich bringe für Ihren alten Knaben welches mit. Vielleicht ist es noch früh genug. Kommt drauf an.«
«Und, ehm. «, sagte ich,»können Menschen sich die Krankheit zuziehen?«
Er nickte.»Ja, schon. Sie wird meistens nicht richtig diagnostiziert, da die vielen Symptome so verwirrend sind.
Man verwechselt sie mit dem Rocky-MountainFleckfieber, aber sie ist anders. Seltener. Und Tetracyclin hilft bei beiden.«
«Wie läßt sie sich diagnostizieren?«
«Blutuntersuchung«, sagte er prompt.»Der Tropfen, den Sie mitgebracht haben, war eigentlich nicht genug.«