Kapitel 3

Ich sprach mit Sandy.

«Was für ein Haftbefehl? Weswegen?«

«Betrug. Ungedeckte Schecks. Unbezahlte Hotelrechnungen. Vorwiegend Kleinigkeiten, wie es scheint. Die Polizei von Nottingham hat ihn gesucht.«

«Zu spät«, sagte ich.

«Hatten Sie ihn vorher schon mal gesehen, Freddie?«

«Nicht daß ich wüßte.«

«Er hat ein paar Buchmacher geprellt.«

Ich wies darauf hin, daß Leute, die vergaßen, Buchmacher zu bezahlen, nicht unbedingt meine besten Freunde waren.

«Nein«, stimmte Sandy zu,»aber er muß doch was mit Rennsport zu tun gehabt haben, wenn er einen Pferdetransportfahrer fragt, ob er ihn mitnimmt.«

«Dave sagt, er hat zuerst einen Tankwagenfahrer angesprochen. Vielleicht hatte er was mit Öl zu tun.«

«Sehr witzig.«

«Lassen Sie mich den Obduktionsbefund wissen, ja?«

«Na gut, aber ich glaub nicht, daß ich den heute schon kriege.«

«Egal«, sagte ich.»Schauen Sie mal wieder auf ein Glas rein.«

Das machte er gern, da ich ihn manchmal über merkwürdige Vorgänge am Ort aufklärte, die mir suspekt wa-

ren. Andererseits mußte ich das, was sich auf den Unterseiten meiner Transporter abspielte, erst noch besser durchschauen, ehe ich Sandy, wenn überhaupt, davon erzählte.

Ich sprach noch einmal kurz mit Jogger und bat ihn, mich unbedingt anzurufen, wenn er aus Surrey zurückkam.

«Trense und Kandare.«

Seufzend hörte ich, wie er auflegte, und traf wieder auf Marigolds altem Hof ein, bevor der Groschen fiel. Trense und Kandare. Zweierlei Gebiß.

Gewiß.

Den größten Teil der Strecke dachte ich allerdings über Ufos nach und fragte mich, was sich da tun ließ. Aus der Überlegung, daß es vielleicht nützlich wäre, Kontakte für eine mögliche Beratung zu knüpfen, ohne gleich die Katze aus dem Sack zu lassen, fuhr ich den Transporter auf einen Parkplatz und suchte die Nummer des Jockey-Clubs am Londoner Portman Square in meinem Adreßbuch. Ich wählte sie und verlangte den Chef des Sicherheitsdienstes.

Jeder, der beruflich im Rennsport tätig war, kannte Patrick Venables dem Namen nach, und die meisten kannten ihn vom Sehen. Missetäter wünschten, sie würden ihn nicht kennen. Da alles, was ich mir bisher hatte zuschulden kommen lassen, seiner Aufmerksamkeit entgangen war, ich also hoffen durfte, von ihm für glaubwürdig gehalten zu werden, konnte ich mich getrost an ihn wenden, wenn ich Hilfe brauchte.

Glücklicherweise war er in seinem Büro. Ich fragte ihn, ob er zufällig am nächsten Tag zum Pferderennen nach Sandown komme.

«Ja, aber ich fahre auch heute nachmittag hin«, sagte er.

«Wenn es eilt, kommen Sie heute.«

Ich erklärte die Sache mit der Grippe und der Fahrerknappheit.»Aber morgen kann ich einen Transport nach Sandown fahren«, sagte ich.

«Gut. Dann also vor der Waage.«

«Vielen Dank.«

Ich nahm die Fahrt wieder auf, lud die vorgesehenen Pferde ein, fuhr sie und die beiden Pfleger zu Marigold. Sie sagte mir lautstark, bei neun Pferden hätte ich mehr als zwei Pfleger mitnehmen sollen, und ich erklärte, daß ihr Futtermeister gesagt hatte, nur zwei, es sei ihm noch einer krank geworden und er fühle sich auch selbst nicht allzu wohl.

«So ein verdammter Kerl«, kreischte sie.

«Gegen einen Virus ist man machtlos«, sagte ich beschwichtigend.

«Ich muß heute alle Pferde hierherkriegen«, schrie sie.

«Ja, das schaffen wir schon.«

Ich kehrte den Transporter aus, lächelte beruhigend, klappte die Rampen hoch und fuhr die dritte Etappe der Pendeltour. Siebenundzwanzig sind’s bereits, dachte ich, als ich die dritte Ladung von der Rampe in ihr neues Zuhause trappeln sah; blieben eigentlich nur noch zwei Fahrten, obwohl der Futtermeister dunkel angedeutet hatte, Mrs. English habe nicht richtig gezählt, sie habe ihr eigenes Reitpferd und zwei ungerittene Zweijährige übersehen.

Die Höfe lagen ungefähr dreißig Meilen voneinander entfernt, und mit dem Ein- und Ausladen brauchte ich für jede Etappe zwei Stunden. Als es dunkel wurde, gegen sieben, waren bis auf die nicht Mitgezählten alle unter Dach und Fach, und Marigold sah ausnahmsweise müde aus. Ihr Futtermeister hatte der Grippe nachgegeben und sich ins Bett gelegt, und mir selbst taten sämtliche Knochen weh. Als ich vorschlug, den Rest zeitig am nächsten Morgen zu erledigen, willigte die Trainerin ergeben ein. Ich küßte sie zögernd auf die Wange, eine Vertraulichkeit, die ich mir normalerweise nicht gestattet hätte, und zu meiner größten Verwunderung füllten ihre Augen sich mit Tränen, worüber sie indigniert den Kopf schüttelte.

«Es war ein langer Tag«, meinte ich.

«Ein Tag, den ich herbeigewünscht und auf den ich seit Jahren hingearbeitet habe.«

«Dann freut es mich, daß alles gutgegangen ist.«

Sie war einsam, erkannte ich überrascht, die harte Schale ein beherztes Ausspielen der Karten, die das Leben ihr zugeteilt hatte. Ich wußte auch, daß ich mir tatsächlich ihre künftigen Aufträge gesichert hatte, und war froh, daß ich die Pendeltour selbst hatte machen müssen.

Während sie mit wieder erstarkender Stimme die neuen Ställe abging, fuhr ich den Neuner zum Bauernhof hinüber, hielt an der Zapfsäule und füllte das Bordbuch und mein Fahrtenbuch aus. Ich hatte den Tag über mehrmals mit Isobel telefoniert und dabei erfahren, daß Jericho Rich persönlich zu ihr ins Büro gekommen war, um einen Blick auf die Daten zu werfen. Frechheit, dachte ich. Und von Harve hatte ich gehört, daß alle Aufträge nach Plan gegangen seien, mit Ausnahme der beiden Zuchtstuten von Jogger, die auf dem Weg nach Surrey zu fohlen angefangen hatten, so daß Jogger, der Mechaniker, unfreiwillig zum Geburtshelfer geworden war.

Jogger wiederum hatte mir den Zwischenfall mit atemloser Empörung geschildert, denn der Futtermeister am Bestimmungsort hatte sich geweigert, die Stute aus dem Transporter zu holen, ehe der Geburtsvorgang abgeschlos-sen war, wodurch Joggers Rückfahrt nach Pixhill sich um zwei Stunden verzögerte. Jogger hatte offenbar noch nie gesehen, wie ein Fohlen geboren wurde; er fand es lehrreich, aber auch abstoßend:»Wußten Sie, daß die Stute das ganze Zeug frißt? Hab mich bald bekotzt.«

«Denken Sie nicht mehr daran«, riet ich ihm.»Sagen Sie mir, unter welchen Transportern Kuckuckseier gewesen sind.«

«Was? Oh. an dem von Phil und an dem, den Dave fährt, das ist normalerweise Pats Transporter. Aber bis ich sie da gefunden hatte, waren die meisten Wagen schon weg. Es könnten also noch mehr sein.«

Er hatte sich fröhlich angehört, aber sein Geschäft stand ja auch nicht auf dem Spiel. Bis ich die Fahrten eingetragen, die Tanks gefüllt und den Neuner in die Ecke gebracht hatte, wo wir die Wagen immer reinigten, war er noch nicht wieder zurück.

Unter der starken Hofbeleuchtung spritzte ich den Neuner ab und putzte die Fenster mit dem Gummischrubber, keine große Sache, da es den ganzen Tag trocken gewesen war. Das Waschwasser im Hof, mit Druckluft durch eine Pumpe getrieben, kam wie forcierter Sprühregen heraus — wirkungsvoller und sparsamer als ein einfacher Schlauch.

Das Innere beanspruchte mehr Zeit, denn fünfundvierzig Pferde und eine Staffel von Pflegern hatten trotz des Aus-fegens zwischendurch ihre Spuren hinterlassen, und ich war hundemüde, als ich den Boden mit Desinfektionsmittel geputzt und die Trennwände für morgen zurechtgeklappt hatte.

Das Fahrerhaus selbst war ein Saustall, übersät mit zerknüllten Sandwichtüten, garniert mit Stricken, Zügeln und anderen gebrauchten Utensilien, die in die Banktruhe gehörten.

Ich klappte die Truhe auf und stopfte das ganze Zeug wieder hinein. Selbst in der Truhe hatten die Pfleger ihre Essensreste deponiert. Ich fischte eine kleine Papiertragetüte heraus und legte zwei frisch zusammengefaltete Pferdedecken an ihre Stelle. Als ich den Deckel schloß, bemerkte ich wieder den Fleck vom Abend vorher auf dem Sitz und fragte mich, wie ich ihn loswerden sollte, ohne gleich das ganze Ding neu zu bespannen. Zwar hatte sich von den Pflegern, die den Tag über darauf gesessen hatten, keiner beschwert, aber sie hatten ja auch nichts von Kevin Keith Ogdens letzter Fahrt gewußt.

Ein wenig schief lächelnd fegte ich die Abfälle in den Sack, den ich dafür bereitgelegt, den die Pfleger aber beharrlich ignoriert hatten. Die kleine Tragetüte wäre ebenfalls in den Sack gewandert, doch sie war auffallend schwer, und ich sah, daß sie eine Thermosflasche und ein Päckchen unaufgegessene Sandwiches enthielt. Gähnend nahm ich mir vor, sie am Morgen Marigolds Pflegern zukommen zu lassen, ob ich die letzte Tour nun selbst besorgte oder nicht.

Schließlich fuhr ich den Transporter auf seinen gewohnten Standplatz, schloß alles ab, warf den Müllsack in unseren Container, nahm die Tüte mit der Thermosflasche mit ins Büro und gab meinen Fahrtnachweis in Isobels Computer ein. Danach saß ich eine Weile vor dem Bildschirm, rief die Aufträge für den nächsten Tag ab, um zu sehen, ob wir genug Fahrer hatten, und hoffte, daß bis zum Morgen keiner mehr krank wurde.

Ich rief Jogger an, um herauszufinden, wo er war. Zehn Minuten vor der Kneipe, sagte er. Die Kneipe, Joggers eigentliches Zuhause, war das Pub, in dem er abends mit seinen Freunden trank. Zehn Minuten bis zur Kneipe hieß etwa zwölf bis zum Hof.

«Halten Sie unterwegs nicht an«, sagte ich.

Während ich auf ihn wartete, ging ich die Tagesdaten im Computer durch, das heißt alles, was eingegeben worden war, bevor Isobel und Rose um vier Schluß gemacht hatten. Nur eine einzige kleine Störung schien aufgetreten zu sein, nämlich daß Michael Watermeads Stuten mit anderthalb Stunden Verspätung nach Newmarket abgegangen waren.

«Laut Nigel«, teilte mir der Bildschirm mit,»sind die Pfleger aus Newmarket erst um halb elf aufgetaucht. Tessa hatte den Wagen gestern telefonisch für neun Uhr bestellt. Nigel ist um elf mit den Stuten los. Ankunft in Newmarket 13.30 Uhr. Abfahrt von Newmarket 14.30 Uhr.«

Nigel sei ohne Zwischenfälle zurückgekommen, hatte Harve gesagt, und sein Transporter stand sauber und startklar am gewohnten Platz.

Da die erwähnte Tessa Michael Watermeads Tochter war, würden wegen des Versehens keine Köpfe rollen; terminlichen Wirrwarr gab es ohnehin immer wieder. Wenn nichts Schlimmeres passiert war, hatten wir einen nahezu perfekten Arbeitstag erlebt.

Isobels letzter Eintrag lautete:»Mr. Rich ist persönlich vorbeigekommen, um unsere Daten über seinen Umzug zu kontrollieren. Ich habe ihn in allen Punkten zufriedengestellt.«

Joggers Scheinwerfer wischten jetzt durchs Tor, und er hielt an der Zapfanlage. Ich ging zu ihm hinaus und fand ihn noch immer erschüttert von den blutigen Tatsachen der Geburt. Ich selbst hatte schon die Geburt mehrerer Fohlen und anderer Tiere miterlebt, aber wie mir dabei einfiel, noch nicht die eines menschlichen Babys. Wäre das eine traumatischere Erfahrung gewesen? Mein einziges Kind, eine Tochter, war in meiner Abwesenheit von einem Mädchen geboren worden, das einen anderen Mann von der

Vaterschaft überzeugt und ihn rasch geheiratet hatte. Ich sah sie zwar manchmal, zusammen mit ihren beiden darauffolgenden Kindern, hegte aber wenig väterliche Gefühle und wußte, daß ich nie versuchen würde, die Wahrheit nachzuweisen.

Jogger tankte voll, fuhr auf den Waschplatz und machte sich murrend ans Reinigen. In der Annahme, das Werk werde unvollendet bleiben, wenn ich ihn unterbrach, wartete ich mit der entscheidenden Frage, bis er fertig war.

«Wo genau sitzen denn diese Ufos?«

«Im Dunkeln sieht man die nicht«, sagte er schniefend.

«Jogger.«

«Ja, gut, also man kann die schon am hellichten Tag kaum sehen«- er wischte sich mit dem Handrücken über die Nase —»oder wollen Sie mal mit dem Rollbrett und ’ner Taschenlampe druntergehen?«

«Nein.«

«Dachte ich mir doch.«

«Erzählen Sie mal einfach.«

Er ging mit mir die Reihe entlang und zeigte mit dem Finger.

«Phils Transporter. Ich hatte ihn an der Grube. Da sitzt ein röhrenförmiger Behälter auf dem hinteren Tank, in der Lücke zwischen Tank und Aufbau. Er wird von der Seite des Transporters verdeckt, und man sieht ihn auch von vorn und hinten nicht, wenn man so unter das Chassis schaut. Ziemlich saubere Arbeit.«

Ich runzelte die Stirn.»Was kann man da reintun?«

«Keine Ahnung. Ein halbes Dutzend Fußbälle vielleicht. Aber jetzt ist er leer. Das Gewinde ist da, aber die Kappe fehlt.«

Phils Transporter war ein Super-Sechser, wie die Hälfte des Fuhrparks. Ein Super-Sechser konnte bequem sechs Pferde aufnehmen, hatte ein besonders geräumiges Fahrerhaus und bot im Notfall noch Platz für ein querstehendes siebtes Pferd. Sechser fuhr ich lieber als die längeren Neun-Pferde-Transporter. Ein halbes Dutzend Fußbälle in einer Röhre auf der Unterseite, das klang ebenso bizarr wie unwahrscheinlich.

«Pats Transporter«, sagte Jogger und zeigte,»das ist der, mit dem Dave die Stuten gefahren hat, wissen Sie noch?«Er verstummte, als ihm sein scheußlicher Tag wieder einfiel.»Verlangen Sie nicht noch mal von mir, daß ich Zuchtstuten fahre.«

«Äh, nein, Jogger. Was ist mit Pats Transporter?«

Pats Transporter, etwas kleiner, faßte vier Pferde. Ich hatte fünf davon im Fuhrpark, handlich, nicht so durstig, die Stadtwagen. In der Flachsaison stand Pats Transporter ausschließlich im Dienst eines jener Pixhiller Trainer, die bei der Vorstellung, ihre Pferde könnten mit denen eines anderen Trainers zusammen reisen, das Grausen überkam. Pats Transporter fuhr oft nach Frankreich, wenn auch nicht mit ihr am Steuer.

«Da drunter«, sagte Jogger,»ist eine Röhre von derselben Größe. Sie ist leer. Sie hat auch einen Schraubverschluß, und die Kappe ist noch dran.«

«Schon länger da?«fragte ich.»Schmutzig?«

«Logo.«

«Vielleicht seh ich’s mir morgen früh mal an. Und, Jogger, behalten Sie’s für sich, ja? Wenn Sie das in der Kneipe herumerzählen, verscheuchen Sie den, der die Dinger da versteckt hat, und wir finden nie und nimmer raus, was los ist.«

Das leuchtete ihm ein. Er sagte, er werde schweigen wie ein Stecken (Stecken und Stab; Grab), und wieder fragte ich mich, ob seine Verschwiegenheit die abendlichen Biere überstehen würde.

Zeitig am Samstag morgen fuhr ich einen der Vierer nach Salisbury, sammelte Marigolds Restposten ein und lud sie um neun bei ihr ab. Unterwegs fiel mir natürlich ein, daß ich vergessen hatte, die Essenstüte von ihren Pflegern mitzunehmen. Als ich ihr das sagte, erkundigte sie sich lautstark bei ihrem Personal, wem sie gehörte, aber niemand wollte sie haben.

«Werfen Sie sie weg«, empfahl sie.»Ich schicke Pferde nach Doncaster. Die können Sie doch hoffentlich fahren?«

Das Meeting von Doncaster in zwölf Tagen war die berühmte Eröffnung der Flachsaison. Ich versicherte ihr, daß ich mit Vergnügen soviel Pferde für sie fahren würde, wie sie wollte.

«In einem Transporter für sich«, setzte sie hinzu.»Ich möchte nicht, daß sie Bazillen von anderen Ställen einfangen. Meine Pferde reisen immer getrennt.«

«Gut. «Sie lächelte mehr mit den Augen als mit den Lippen: so verbindlich wie ein mit Handschlag besiegelter Vertrag.

Wieder daheim, trank ich Kaffee, aß Cornflakes, sprach mit Harve, sprach mit Jogger (»Hab keinen Piep gesagt in der Kneipe«) und glich nach einem Blick auf die Tagesliste den Fahrerengpaß wieder dadurch aus, daß ich Dave und Jogger in den Dienst am Steuer preßte.

Ganz gegen seinen Willen setzte ich Phil in den Neun-Pferde-Transporter und übernahm seinen Super-Sechser, um Hindernispferde aus drei verschiedenen Ställen abzuholen und sie mit ihren Pflegern zur Nachmittagsaustragung nach Sandown zu bringen.

In Sandown hatte ich mehr Sieger über die Hindernisse geritten, als ich zählen konnte, und der anspruchsvolle Kurs hatte sich meinem Unterbewußtsein so eingeprägt, daß ich ihn wahrscheinlich blind hätte gehen können, und natürlich hatte ich seine alten Tücken auch in zahllosen Träumen gemeistert. Von allen Bahnen weckte Sandown in mir am stärksten die Sehnsucht nach der vertrauten Welt, die ich aufgegeben hatte, nach dem physischen Einswerden mit einem nichtmenschlichen Kraftwerk, dem telepathischen Zusammenwirken von Willen und Mut. Fremden gegenüber konnte man sagen, das Rennreiten sei» ein Job wie jeder andere«, aber schon die flüchtigste Selbstbefragung strafte den Spruch Lügen. Zu Pferd mit dreißig Meilen oder mehr in der Stunde über Hindernisse zu gehen war zumindest für mich ein Glückserlebnis, das ich auf andere Weise nie erreicht oder auch nur für möglich gehalten hatte. Jeder soll nach seiner Fasson selig werden, könnte man sagen. Meine Seligkeit bestand darin, große Pferde über hohe Hindernisse zu reiten.

Jetzt fühlte ich mich in Sandown wie exkommuniziert; ein blasphemischer Vergleich, zugegeben, aber wahr.

Ich traf Patrick Venables wie vereinbart vor dem Waageraum.

Der Leiter des rennsportlichen Sicherheitsdienstes, ein großer, dünner Mann mit den passenden Falkenaugen, war seinerzeit, wie es hieß,»bei der Spionageabwehr «gewesen, und mehr erfuhr man darüber nicht. Witzige Rennsportfreunde meinten, er sei der Sproß eines Lügendetektors und einer Klette, da er sich nichts vormachen und sich nicht abschütteln ließ.

Wie schon andere vor ihm, führte er die relativ kleine Sicherheitsabteilung mit energischer Effizienz, und das leidlich ehrliche Klima des Rennsports war in hohem Maße sein Verdienst, zumal er neue Gaunermethoden fast schon witterte, bevor sie erfunden waren.

Er grüßte mich mit der gewohnten oberflächlichen Freundlichkeit, nicht zu verwechseln mit Vertrauen. Er blickte auf die Uhr und sagte:»Fünf Minuten, Freddie. Genügt das?«

Fassen Sie sich kurz, wollte er sagen, und angesichts seines Limits und seiner offensichtlich knapp bemessenen Zeit kamen mir Zweifel, ob ich ihn um Rat fragen sollte.

«Na ja, es ist eigentlich nicht so wichtig«, sagte ich lahm.

Anstatt ihn zu entbinden, schien mein Zögern seine Aufmerksamkeit zu wecken. Er bat mich, ihm in den Waageraum zu folgen, und führte mich in ein kleines Hinterzimmer mit einem Tisch, zwei Stühlen und wenig mehr.

Er schloß die Tür.»Setzen Sie sich«, sagte er,»und schießen Sie los.«

Ich erzählte ihm von den drei Behältern, die Jogger bisher unter den Transportern entdeckt hatte.»Ich weiß nicht, wie lange sie schon da sind und was sie enthalten haben. Mein Mechaniker sagt, er kann nicht garantieren, daß er nicht noch mehr findet, da sie ziemlich gut getarnt sind. «Ich hielt kurz inne:»Ist jemand anders noch auf so etwas gestoßen?«

Er schüttelte den Kopf.»Nicht, daß ich wüßte. Haben Sie es der Polizei gesagt?«

«Nein.«

«Wieso nicht?«

«Neugier wahrscheinlich. Ich möchte herausfinden, wer mich benutzt hat und wozu.«

Er musterte mein Gesicht, während er überlegte.»Sie benutzen mich als Versicherung«, sagte er schließlich,»für den Fall, daß man einen Ihrer Transporter beim Schmuggeln erwischt.«

Ich stritt es nicht ab.»Ich würde den Schmuggler aber gern selbst stellen.«

«M-hm. «Er schürzte die Lippen.»Davon müßte ich Ihnen abraten.«

«Ich kann doch nicht einfach stillsitzen«, protestierte ich.

«Lassen Sie mich darüber nachdenken.«

«Gern«, sagte ich.

«Die Geschichte«, er runzelte die Stirn,»hat doch wohl nichts mit dem Mann zu tun, der in einem Ihrer Transporter gestorben ist?«

«Ich weiß nicht recht. «Ich erzählte ihm von dem maskierten Eindringling.»Ich weiß nicht, was der gesucht hat. Wenn er an die Sachen des Toten wollte, war seine Mühe umsonst, denn die hat die Polizei. Aber dann stellte ich mir die Frage, ob er vielleicht was zurückgelassen hat. Und weil auch Schmutz und Staub an seinen Kleidern war, hab ich mir überlegt, ob er vielleicht am Boden herumgerutscht ist, und meinen Mechaniker gebeten nachzusehen, ob er etwas unter dem Transporter angebracht hatte.«

«Und Sie glauben, er hat?«

«Nein. Der Behälter da drunter war schon länger da. Er war mit einer dicken Schmutzschicht verkrustet.«

Ich erzählte ihm, daß über dem Tank des Transporters, mit dem ich nach Sandown gekommen war, eine große Röhre befestigt war.»Sie ist gar nicht leicht zu sehen, selbst wenn man unter den Wagen geht und nach ihr sucht«, erklärte ich.»Pferdetransporter haben durchweg einen Aufbau, der an den Seiten tiefer liegt als das Fahrgestell. Der Aerodynamik wegen und weil es gut aussieht. Aber das wissen Sie wahrscheinlich. Meine werden in

Lambourn gebaut. Sehr gutes Fabrikat. Jedenfalls verdek-ken und schützen die Seiten die Rahmenteile wie bei Pkws auch. Man kann da Bomben verstecken.«

«Ich verstehe schon«, versicherte er mir.»Haben Sie denn vor Bomben Angst?«

«Eher vor Drogen.«

Patrick Venables sah auf seine Uhr und stand auf.»Zeit für mich«, sagte er.»Kommen Sie nach dem letzten Rennen noch mal zum Waageraum.«

Mein zustimmendes Nicken erreichte nur seinen schon entschwindenden Rücken. Ich fragte mich, was er von dem Ganzen hielt; würde er es mit einem Achselzucken abtun oder es sich näher ansehen? Eine Entscheidung, die er sicher im Laufe des Nachmittags traf, aber ich selbst war dadurch, daß ich ihm alles erzählt hatte, schon zu dem Schluß gekommen, daß ich wirklich herausfinden mußte und wollte, was da vorging, mit oder ohne seine Hilfe.

Ich ging hinaus und verbrachte einen Großteil des Nachmittags mit Gesprächen, die zwar manchmal nützlich waren fürs Geschäft, aber gar nicht zu vergleichen mit der Spannung der aktiven Teilnahme am Wettkampf, dem Ab- und Zurückwiegen, dem raschen Umziehen und Wiederhinaus-gehen zum nächsten Rennen… Nun ja. Das gute daran war, daß ich nicht mehr hungern mußte, um unnatürlich dünn zu bleiben, mir nicht mehr die Knochen brach und schwere Blessuren geheimhielt; daß ich keine Angst mehr haben mußte, große Rennen, gute Besitzer, den Mut oder den Job zu verlieren. Ich war jetzt so frei wie noch nie und überlegte, daß ich zwar immer noch darauf angewiesen war, es Besitzern und Trainern recht zu machen, aber schließlich mußte jeder, der zu etwas kommen wollte, es irgend jemandem recht machen: Künstler dem zahlenden Publikum, Präsidenten und Premierminister ihrem Volk.

An Nachmittagen wie dem in Sandown benahm ich mich nicht anders als meine Fahrer, das heißt, ich achtete besonders auf Pferde, die ich auf den Platz gebracht hatte. Ein Sieger hob die Stimmung jedes Fahrers; wurde ein Pferd schwer verletzt und getötet, was hin und wieder vorkam, fuhren wir bedrückt nach Hause. Das unbestrittene, wenn auch unlogische Besitzdenken wirkte sich merklich darauf aus, wie gern, wie schnell, wie gründlich die Transporter bei der Rückkehr gewartet wurden.

Da zwei von den Pferden, die ich an diesem Tag befördert hatte, einem Trainer gehörten, für den ich früher ab und zu geritten war, ergab es sich von selbst, daß ich schließlich mit ihm und seiner Frau ins Gespräch kam.

Benjy Usher und Dot schienen sich wie üblich wieder einmal zu zanken. Als ich an ihnen vorbeiging, packte er mich am Ärmel.

«Freddie«, verlangte er,»sagen Sie dieser Frau mal, in welchem Jahr Fred Archer sich erschossen hat. Sie meint 1890. Ich sag, das ist Quatsch.«

Ich warf einen Blick auf Dots Gesicht, in dem sich wie gewohnt Unruhe und Resignation mischten. Jahre des Zusammenlebens mit einem jähzornigen Mann hatten ihrem Gesicht Züge aufgeprägt, die sich auch in den seltenen Momenten, wo sie lächelte, kaum noch änderten, doch obwohl sie und Benjy sich anfauchten, seit ich sie kannte, hielt das Paar immer noch eisern zusammen.

Sie waren beide ungewöhnlich gut aussehend, aber das machte es nur noch seltsamer. Beide waren gut gekleidet, in den Vierzigern, gewandt im Umgang mit anderen und intelligent. Vor fünfzehn Jahren hätte ich ihrer Verbindung keine fünf Minuten gegeben, woran man nur wieder sieht, wie wenig ein Außenstehender von einer Ehe mitbekommt.

«Also?«hakte Benjy nach.

«Ich weiß es nicht«, sagte ich diplomatisch, obwohl ich genau wußte, daß es 1886 war, im neunundzwanzigsten Lebensjahr des überragenden Champion-Jockeys, der 2749 Rennen gewonnen hatte und immer mit der Bahn angereist war.

«Sie sind auch zu nichts zu gebrauchen«, sagte Benjy, und Dot sah erleichtert aus.

Benjy, immer wendig, wechselte das Thema.»Sind meine Pferde gut hier angekommen?«

«Ja, natürlich.«

«Mein Pfleger sagt, Sie haben sie selbst gebracht.«

Ich nickte.»Drei von meinen Fahrern haben die Grippe.«

Viele Trainer kamen mit auf ihren Stallhof, um darüber zu wachen, daß ihre Starter ordentlich verladen wurden, aber Benjy tat das selten. Beaufsichtigung hieß für ihn, aus dem Fenster brüllen, wenn ihm etwas mißfiel, und wie man hörte, kam das oft vor. Benjys Stallpersonal wechselte schneller als bei den meisten. Sein Reisefuttermeister, der die Pferde nach Sandown hätte begleiten sollen, war ihm am Tag vorher davongelaufen.

Benjy fragte mich, ob mir diese unangenehme Sache bekannt sei. Ich hätte davon gehört, sagte ich.

«Dann tun Sie mir einen Gefallen. Satteln Sie meine Pferde und kommen Sie mit uns in den Ring.«

Die meisten Trainer hätten unter den Umständen ihre Tiere selbst gesattelt, aber nicht Benjy. Er mochte sie kaum anfassen, hatte ich beobachtet. Ich nahm an, die Frage nach Fred Archer war bloß ein Vorwand gewesen, um mich einzuspannen.

Ich sagte ihm, ich würde seine Pferde mit Vergnügen satteln. Gar nicht mal so unwahr.

«Gut«, sagte er zufrieden.

Und so ging ich ans Werk, während er und Dot sich mit dem Besitzer des ersten Starters unterhielten, und später am Tag sattelte ich auch den zweiten. Der erste lief achtbar, ohne ins Geld zu kommen, und der zweite gewann sein Rennen. Wie immer bei solchen Anlässen lief Benjys sympathisches Gesicht im Absattelring rot an und brach in Schweiß aus wie auf dem Höhepunkt der Lust. Die Besitzer streichelten ihr Pferd. Dot sagte mir ernsthaft, ich hätte einen guten Futtermeister abgegeben.

Ich lächelte.

«Ach je. Verzeihung.«

«Doch, hätte ich auch«, sagte ich.

An Dot war immer etwas, das ich nicht verstand, eine tiefe innere Zurückhaltung. Nach fünfzehn Jahren kannte ich sie kaum besser als am Anfang.

Benjys sonderbare Trainingsmethoden rührten angeblich daher, daß er vom Trainieren nicht leben mußte. Außerdem hatte Benjy mit seinen vielen ererbten Millionen auch hervorragende Pferde auf dem Kontinent gekauft, die er dort von anderen Trainern ausbilden ließ und die in Frankreich und Italien größere Rennen gewannen als Benjys Pferde in England. Wie die meisten Besitzer lockten Benjy die höheren Geldpreise des europäischen Festlandes, und doch blieb er lieber in Pixhill wohnen, trainierte zum Zeitvertreib für andere Leute und benutzte meine Wagen für seine Transporte, womit ich voll und ganz einverstanden war.

Er und Dot luden mich auf ein Glas ein: doppelte Gins für sie, Mineralwasser für mich. Wenn ich eines nicht verlieren durfte, war es mein Führerschein.

Benjy sagte:»Ich habe einen Hengst mit einer Sehnenzerrung in Italien, der soll zur Genesung und zum Ausruhen hierher. Würden Sie ihn holen?«»Aber sicher.«

«Gut. Ich sage Ihnen Bescheid. «Er klopfte mir auf die Schulter.»Sie leisten ganze Arbeit mit den Transportern. Auf Sie kann man sich verlassen, nicht wahr, Dot?«

Dot nickte.

«Nun ja… danke«, sagte ich.

Irgendwie ging der Nachmittag schnell vorbei, und nach dem letzten Rennen wartete ich vor dem Waageraum auf Patrick Venables. Er kam schließlich im Laufschritt, immer noch unter Zeitdruck.

«Freddie«, sagte er.»Sie haben mir gestern erzählt, daß Sie knapp an Fahrern sind. Stimmt das noch?«

«Drei haben Grippe, und einer ist endgültig weg.«

«Hm, hm. Dann schlag ich vor, ich schicke Ihnen eine Aushilfe; jemanden, der sich Ihres Problems annehmen kann.«

Ich war nicht gleich Feuer und Flamme.»Er müßte auch den Job machen können.«

«Es ist eine Sie. Und Sie werden sehen, daß sie es kann. Ich habe vereinbart, daß sie morgen früh nach Pixhill kommt. Zeigen Sie ihr, wie der Laden läuft, und lassen Sie sie dann weitersehen.«

Ich dankte ihm halbherzig. Er lächelte schwach und bat mich, es mit ihr zu versuchen.»Wenn nichts draus wird, ist nichts verloren.«

Da war ich mir nicht so sicher, aber ich hatte ihn um Hilfe gebeten und sah keine Möglichkeit, jetzt abzuspringen. Er enteilte mit einer letzten Information:»Ich habe ihr Ihre Adresse gegeben.«

Er war fort, ehe mir einfiel, nach ihrem Namen zu fragen, aber das spielte wohl kaum eine Rolle. Ich hoffte, sie würde freundlicherweise kommen, bevor ich zu Maudie Watermead essen ging.

Sie hieß Nina Young. Früh um neun kam sie die Einfahrt heraufgebraust und erwischte mich unrasiert, noch im Bademantel, während ich bei Kaffee und Cornflakes die Zeitung las.

Ich ging auf ihr Klingeln zur Tür und begriff nicht sofort, wer sie war.

Sie hatte einen scharlachroten Mercedes gefahren und trug, obwohl sie gar nicht so jung war, hautenge Jeans, ein weißes Hemd mit romantisch weiten Ärmeln, eine bestickte Afghanweste, schwere Goldketten und ein teures Parfüm. Ihr glänzendes dunkles Haar war meisterlich geschnitten. Die hohen Wangenknochen, der schlanke Hals und die ruhigen Augen ließen mich an Ahnenporträts denken, an Generationen blauen Bluts. Meiner Vorstellung von einem zünftigen Pferdetransportfahrer entsprach sie nicht.

«Patrick Venables meinte, ich solle zeitig kommen«, sagte sie und hielt mir eine Hand mit lackierten Nägeln hin. Die Stimme war durch die besten Schulen gegangen, das Selbstbewußtsein in der Wiege erlernt. Von meinem männlich-reaktionären Standpunkt aus war der einzige Makel ihr Alter, schätzungsweise schon fast Mitte vierzig.

«Kommen Sie rein«, bat ich und dachte im Zurücktreten, daß sie gut für das Ambiente war, wenn auch vielleicht nicht für die vorliegende Aufgabe.

«Freddie Croft«, sagte sie, als wäre eine Ausschneidefigur vor ihr zum Leben erwacht.»Leibhaftig.«

«Ja«, stimmte ich zu.»Möchten Sie Kaffee?«

«Nein, danke. Höre ich da ein wenig Ungehaltenheit heraus?«

«Aber überhaupt nicht. «Ich führte sie ins Wohnzimmer und bedeutete ihr, irgendwo Platz zu nehmen.

Sie wählte einen tiefen Sessel und schlug die langen Beine übereinander, so daß schlanke Fesseln über den ledernen Schnallenschuhen sichtbar wurden. Aus einer teuren Umhängetasche zog sie eine kleine Mappe hervor, die sie ungefähr in meine Richtung schwenkte.

«Führerschein für Schwerlastwagen«, versicherte sie mir.

«Der wahre Jakob.«

«Sonst hätte er Sie nicht zu mir geschickt. Wieso haben Sie den?«

«Weil ich meine Jagdpferde selbst fahre«, sagte sie sachlich.

«Und meine Spring- und Vielseitigkeitspferde. Sonst noch Fragen?«

Die Pferdetransporter, die sie bisher gefahren hatte, waren demnach welche mit großen Wohn- und Schlafräumen vor den Boxen, es waren die Luxustransporter mit Wohnmobilqualität, die zur Military nach Badminton und Burley kamen. Sie mußte eine vertraute Erscheinung in dieser Welt sein, zu vielen Leuten vom Sehen bekannt für den anstehenden Zweck.

«Vielleicht sollte ich Sie kennen?«tippte ich an.

«Glaub ich nicht. Ich gehe nicht zum Pferderennen.«

«Hm«, sagte ich mild,»hierfür müßten Sie aber schon in der Lage sein, die Rennplätze zu finden.«

«Patrick sagte, Sie hätten bestimmt eine Karte.«

Patrick, dachte ich, war von allen guten Geistern verlassen.

Sie nahm meine zweifellos offensichtlichen Bedenken mit ruhiger Belustigung zur Kenntnis.

«Meine Pferdetransporter sind funktionell«, sagte ich.»Keine Kühlschränke, keine Kochplatten, keine Toiletten.«»Sie haben Mercedesmotor, ja?«

Ich nickte überrascht.

«Ich bin ein guter Fahrer.«

Das glaubte ich ihr.»Also schön«, sagte ich.

Ich überlegte, daß ich, egal wie es um ihre Ermittlerqualitäten bestellt war, auf jeden Fall noch jemandem zum Fahren brauchte. Was Harve und Jogger von ihr halten würden, daran wagte ich nicht zu denken.

«Gut«, sagte sie nüchtern, und nach einem kurzen Augenblick:»Beziehen Sie Horse & Hound

Ich nahm die neueste, noch ungelesene Nummer der Wochenzeitschrift von einem Beistelltisch, gab sie ihr und sah zu, wie sie sie hinten aufschlug, bei den vielen Seiten mit den Kleinanzeigen. Sie kam zur Pferdetransportsparte, wo ich etwa alle vier Wochen einmal für Croft Raceways warb, und klopfte mit einem rosaroten Fingernagel auf die Seite.

«Patrick wüßte gern, ob Sie das gesehen haben.«

Ich ließ mir die Zeitschrift geben und las die Stelle, auf die sie gezeigt hatte. In einem einspaltigen Kasten standen die schlichten Worte:

TRANSPORTPROBLEME?

Wir helfen weiter.

Alles kommt in Betracht.

In einer vierten Zeile stand eine Telefonnummer.

Ich runzelte die Stirn.»Ja, kenne ich. Das ist ab und zu in den Transportanzeigen. Ziemlich sinnlos, finde ich.«

«Patrick möchte, daß ich der Sache mal nachgehe.«

«Niemand«, wandte ich ein,»würde für einen Schmuggeldienst werben. Das ist doch unmöglich.«»Warum probieren wir es nicht?«

Ich reichte ihr ein schnurloses Telefon.»Bitte sehr.«

Sie tippte die Nummer, hörte zu, zog die Nase kraus und unterbrach die Verbindung.

«Anrufbeantworter«, erklärte sie knapp.»Hinterlassen Sie Name und Telefonnummer, und wir rufen zurück.«

«Mann oder Frau?«

«Mann.«

Wir sahen uns an. Ich glaubte zwar nicht, daß an dem Inserat etwas unsauber war, sagte aber:»Vielleicht kann Patrick Venables mal seinen Einfluß bei Horse & Hound geltend machen und feststellen, wo die Anzeige herkommt.«

Sie nickte.»Das tut er morgen.«

Trotz meiner Skepsis beeindruckt, ging ich zum Schreibtisch hinüber und sah auf den Wochenplan.

«Morgen schicke ich wahrscheinlich zwei Wagen zum Pferderennen nach Taunton«, sagte ich ihr.»Meine Fahrerin Pat hat die Grippe. Sie können ihren Transporter nehmen. Er faßt vier Pferde, aber Sie bekommen wahrscheinlich nur drei. Sie können dem anderen Wagen nach Taunton hinterherfahren, damit Sie zur rechten Zeit am rechten Ort ankommen, und zum Abholen gebe ich Ihnen hier einen Mann namens Dave mit. Er kennt den Stall, von dem die Pferde kommen. Wenn Sie die Pferde eingeladen haben, setzen Sie ihn wieder an unserer Zentrale ab und folgen dem anderen Transporter.«

«In Ordnung.«

«Es wäre besser, wenn Sie nicht mit dem Wagen da draußen zur Arbeit kämen.«

Sie schenkte mir ein funkelndes Lächeln.»Sie werden mich morgen früh kaum wiedererkennen. Wie rede ich Sie denn an? Sir?«

«Einfach Freddie. Und Sie?«

«Nina.«

Sie stand auf, hochgewachsen und ruhig, jeder Zentimeter das Gegenteil von dem, was ich brauchte. Die Fahrt nach Taunton, dachte ich, würde ihre erste und letzte sein, besonders wenn der Augenblick des Reinemachens nach der Rückkehr kam. Sie schüttelte mir die Hand — ihre war fest und trocken — und ging ohne Eile hinaus zu ihrem Wagen. Ich folgte ihr bis zur Tür und sah zu, wie die rote Pracht mit dem teuren, unverwechselbaren Mercedesschnurren losfuhr.

Niemand hatte etwas von Geld gesagt, fiel mir ein. Rose würde wissen wollen, wieviel ich vereinbart hatte. Nicht einmal verdeckte Einsätze für den Jockey-Club ließen sich ohne den allgegenwärtigen Papierkram abwickeln.

Sonntags lief das Geschäft immer relativ ruhig; wenn es hochkam, war vielleicht die halbe Flotte unterwegs. An diesem Sonntag fiel die Fahrerknappheit so wenig ins Gewicht, daß Harve, Jogger und Dave sich ihren gewohnten freien Tag nehmen konnten, und noch etliche Fahrer dazu. Die meisten arbeiteten gern samstags und sonntags, da es am Wochenende mehr Geld gab, doch ich hatte überhaupt mit meinem Team Glück gehabt, denn alle fuhren notfalls auch an ihrem freien Tag, um keine Aufträge an die Konkurrenz abzugeben. Ihre Arbeitsstunden und ihre Ruhezeiten unterlagen strengen gesetzlichen Bestimmungen: Manchmal hatte ich Mühe, sie davon zu überzeugen, daß ich gerichtlich belangt werden konnte, wenn sie die Vorschriften zu sehr beugten.

Wie die meisten Jobs im Rennsport war das Pferdetransporterfahren mehr Lebensstil als bloßer Broterwerb, und so übten nur Leute, die Spaß daran hatten, den Beruf aus. Er erforderte Ausdauer, aber auch gute Laune und Anpassungsfähigkeit. Brett war ein Fehlgriff gewesen.

Die Nachricht von seinem Weggang hatte sich in der Rennwelt bereits herumgesprochen, und schon vor elf an diesem Morgen hatten die ersten zwei Bewerber wegen der Stelle angerufen. Ich wies sie beide ab: einer hatte für zu viele andere Firmen gearbeitet, der andere war über sechzig, zu alt für die großen körperlichen Anforderungen und ungeeignet als Langzeitkandidat.

Ich rief Harve. an und sagte ihm, ich hätte eine Aushilfsfahrerin eingestellt, die Pat bis zu ihrer Genesung vertreten solle. Sie werde die Taunton-Fahrt für Pat übernehmen.

«Gut«, sagte Harve arglos.

Bis jetzt sah die kommende Woche weniger betriebsam aus als die gerade zu Ende gegangene, und das war unter den gegebenen Umständen gar nicht so schlecht. Ich würde gemütlich als Zuschauer nach Cheltenham fahren und zusehen, wie andere Kerle den Gold Cup errangen und sich das Schlüsselbein zertrümmerten.

Jericho Rich riß mich per Telefon aus der unnützen Nostalgie.

«Sie haben meine Stuten also gut nach Newmarket gebracht«, brüllte er.

«Ja, Jericho. «Ich hielt den Hörer ein paar Zentimeter vom Ohr weg.

«Wahrscheinlich wissen Sie, daß ich in Ihrem Büro nach dem Rechten gesehen habe. Ein gut geführter Laden, das muß man Ihnen lassen.«

Heiliger Strohsack, dachte ich. Der Himmel würde einstürzen.

«Ich habe eine Tochter«, sagte er laut.

«Äh, ja, ich kenne sie vom Rennplatz her.«

«Sie hat sich ein Springpferd gekauft, mit so einem verdammten Phantasienamen. Komm nicht mehr drauf. Es steht in Frankreich. Lassen Sie es abholen, ja?«

«Mit Vergnügen, Jericho. Wann und wo?«

«Das sagt sie Ihnen. Rufen Sie sie an. Ich sagte ihr, ich zahle den Transport, wenn Sie ihn übernehmen, darum erweist sie Ihnen die Ehre. «Er lachte schallend, aber für seine Verhältnisse fast gedämpft.»Daß Sie aber nicht diesen Fahrer schicken. Den, der den Anhalter mitgenommen hat.«

«Der ist weg«, beruhigte ich ihn.»Haben meine Mädchen Ihnen das nicht gesagt?«

«Doch, ja. «Er gab mir die Telefonnummer seiner Tochter durch.»Rufen Sie gleich an. Jetzt oder nie.«

«Danke, Jericho.«

Ich rief wie angewiesen die Tochter an und ließ mir als erstes die Daten des Springpferdes geben: Alter, Geschlecht, Farbe, Wert, alles für die Agenten, die den Papierkram für das Pferd und die Übernachtung für den Fahrer regeln würden. Sie hörte sich offen und direkt an, nicht so heikel wie ihr Vater, und bat mich lediglich, die Überführung so bald wie möglich vorzunehmen, da sie noch arbeiten müsse, bevor die Turniersaison anfing. Sie gab mir die Adresse und die Rufnummer in Frankreich und fragte, ob ich einen Begleiter für das Pferd besorgen könne.

«Ich könnte von hier aus einen guten Mann mitschik-ken«, schlug ich vor.»Einen, dem ich vertraue.«

«Ja. Prima. Senden Sie die Rechnung an meinen Vater.«

Ich sagte, das würde ich tun. Eines mußte man Jericho Rich zugute halten, er zahlte pünktlich. Meistens stellte ich den Trainern den Transport ihrer Pferde insgesamt in

Rechnung, und die Trainer rechneten dann mit den einzelnen Besitzern ab, doch Jericho Rich wollte seine Rechnungen immer direkt erhalten. Jericho glaubte, die Trainer würden mehr von ihm verlangen, als sie bezahlt hatten, wie er ja überhaupt jedem mißtraute, der für ihn arbeitete.

Im großen ganzen wirft man anderen die Dinge vor, die zu tun man selbst imstande wäre. Unehrlichkeit beginnt daheim.

Er hatte mich seinerzeit beschuldigt, für die Niederlage eines seiner Hürdler Schmiergeld von einem Buchmacher kassiert zu haben. Ich hatte ihm höflich mitgeteilt, daß ich nicht mehr für ihn reiten würde, und eine Woche darauf hatte er mir, als sei nichts geschehen, ein riesiges Pauschalhonorar angeboten, wenn ich in der nächsten Saison alle seine Hindernispferde ritt. Es hatte sich rentiert: Ich nahm sein Gebrüll in Kauf, und er gab mir einen großzügigen Bonus, wenn ich siegte. Seitdem ließ unsere Beziehung sich vielleicht als andauernde Waffenruhe bezeichnen.

Ich warf einen raschen Blick auf die Uhr und stellte die Leitung zu Isobel durch, die sonntags Bestellungen aufnahm, wenn ich zu tun hatte. Dann erledigte ich solche Kleinigkeiten wie Anziehen und Aufräumen und ging in den Garten, um Blumen zu pflücken. Diese beschauliche Tätigkeit erklärte sich aus dem intensiven Zureden meiner beiden abwesenden Geschwister, die der Meinung waren, daß hin und wieder frische Blumen auf das Grab unserer Eltern gehörten. Da ich, der Jüngste, das Haus der Familie geerbt hatte und auch in der Nähe des Friedhofs wohnte, fanden sie es nur recht und billig, daß ich die Blumen pflückte und sie niederlegte. Entscheidend war für sie, daß die Blumen aus dem richtigen Garten kamen. Gekaufte Blumen waren nicht dasselbe.

Außer Osterglocken gab es in der ersten Märzwoche nur wenig, aber ich ergatterte auch ein paar Krokusse und eine frühe Hyazinthe, steckte ein paar Zweige Immergrün hinzu und fuhr damit zu dem gepflegten Friedhof am Hang, auf dem wir im Abstand von kaum zwei Jahren vor längerer Zeit die Eltern beerdigt hatten.

Der Weg machte mir nie etwas aus. Das Grab lag ganz oben auf der Höhe, aber die Aussicht lohnte den Spaziergang dort hinauf, und da ich überhaupt nicht das Gefühl hatte, daß meine Eltern noch irgendwie da waren, hinterließ ich die Blumen im Grunde als Dank für eine angenehme Kindheit, die sie mir geschenkt hatten.

Die Blumen würden natürlich welken. Sie hinzubringen war alles, worauf es ankam.

Maudie Watermeads Mittagessen begann im Frühjahrssonnenschein im Garten, wo ihre jüngsten Kinder und ihre jungen Gäste Trampolin sprangen und die älteren Tennis spielten. Ein paar Feiglinge, die untätig herumstanden, trieb die noch immer kühle Märzluft durch die Gartentür zurück ins Wohnzimmer, zum wohltuend lodernden Kaminfeuer und zu Champagnercocktails a la Maudie: Angosturabitter auf Zuckerwürfeln, bis zum Rand aufgefüllt mit rotem Schampus.

Benjy und Dot Usher spielten in langen Hosen auf dem harten Tennisplatz und zankten darüber, ob die Bälle drin oder draußen waren. Wir bestritten ein wenig sportliches gemischtes Doppel, Dot und ich mit schlechten Karten gegen Benjy und die Watermead-Tochter Tessa. Benjy und Tessa genossen ihre Partnerschaft auf eine Weise, die Dot Gift speien ließ, was mich insgeheim amüsierte und unsere Niederlage besiegelte.

Benjy und Tessa, die Sieger, traten gegen den Water-mead-Sohn Ed und Maudies Schwester Lorna an. Dot schaute finster zu, bis ich sie überredete, mit ins Wohnzimmer zu kommen, wo jetzt mehr Leute waren und der Geräuschpegel der Plauderei so angestiegen war, daß die einzelnen Stimmen im allgemeinen Lärm untergingen.

Maudie gab mir ein Glas und schenkte mir ein Lächeln aus den freundlichen blauen Augen, das mich wie gewohnt auf äußerst ehebrecherische Gedanken brachte. Da sie sich über mein Dilemma voll und ganz im klaren war, versuchte sie fortwährend, meine Gefühle auf ihre Schwester Lorna hinzulenken, die zwar auch platinblondes Haar, eine schlanke Taille und endlos lange Beine hatte, aber für mich fehlte da außer den körperlichen Reizen einfach alles. Maudie war lustig, Lorna war bedrückt. Maudie lachte, Lorna setzte sich ernst für lobenswerte Ziele ein. Mau-die machte Bratkartoffeln, Lorna sorgte sich um ihr Gewicht. Maudie fand, ich wäre gut für Lorna, aber ich hatte nicht die Absicht, ihr Therapeut zu werden; auf diesem Weg drohten Langeweile und Desaster. Ich fand, Lorna wäre ideal für Bruce Farway.

Der ehrenwerte Doktor stand gerade mit Maudies Mann am Kamin. In Farways Glas sprudelte es farblos. Mineralwasser, nahm ich an.

Maudie folgte meinem Blick und antwortete auf meine unausgesprochene Überraschung.

«Michael meinte, da er offenbar vorhat, in Pixhill zu bleiben, wäre es am besten, dem guten Doktor beizubringen, daß wir nicht lauter Wilddiebe und Tölpel sind.«

Ich lächelte.»Jedenfalls dürfte es ihm schwerfallen, Michael von oben herab zu behandeln.«

«Glaub nur das nicht.«

Meine Aufmerksamkeit wanderte weiter zu der Frau, die gerade mit Dot sprach, eine jüngere Frau, blond wie Mau-die, blauäugig wie Maudie, beschwingt, linkshändig, Pianistin und achtunddreißig.

«Kennst du die?«fragte Maudie, wieder meinem Blick folgend.»Susan Palmerstone. Ihre ganze Familie ist hier irgendwo verteilt.«

Ich nickte.»Ich habe die Pferde ihres Vaters geritten.«

«Ach ja? Man vergißt so leicht, daß du Jockey gewesen bist.«

Wie die Frauen vieler Flachtrainer ging auch Maudie selten zu Hindernisrennen. Ich hatte sie erst durch die Spedition kennengelernt.

Von der anderen Seite des Raumes sah Susan Palmerstone in meine Richtung und kam schließlich herüber.

«Tag«, sagte sie.»Hugo und die Kinder sind auch hier.«

«Die Kinder habe ich auf dem Trampolin gesehen.«

«Ja.«

Maudie, die mit dem Wortwechsel wenig anfangen konnte, wanderte zu Dot hinüber.

Susan sagte:»Mir war nicht klar, daß du hier sein würdest. Wir kennen die Watermeads nicht so gut. Sonst hätte ich gesagt, wir könnten nicht kommen.«

«Aber woher denn? Es macht doch nichts.«

«Nein, aber… jemand hat Hugo gesagt, er könnte kein Kind mit braunen Augen haben, und da knabbert er jetzt seit Wochen dran.«

«Hugo ist ein Rothaariger mit grünen Augen. Da kann alles mögliche durchschlagen.«

«Ich dachte nur, ich sag’s dir lieber. Es will ihm nicht mehr aus dem Kopf.«

«Okay.«

Die Tennisspieler kamen aus dem Garten herein und auch Hugo Palmerstone, der den Kindern zugeschaut hatte. Durchs Fenster sah ich meine Tochter auf dem Rasen stehen, die Arme in die Seiten gestemmt, voller Geringschätzung für das Gehopse ihres strähnig blonden Bruders. Cinders, meine Tochter, hatte braune Augen und dunkles Lockenhaar wie ich und war neun Jahre alt.

Ich hätte Susan geheiratet. Ich hatte sie geliebt und war am Boden zerstört gewesen, als sie sich für Hugo entschied, aber das war jetzt lange her. Von der Empfindung war nichts geblieben. Es fiel mir schon schwer, mich daran zu erinnern, wie ich gefühlt hatte. Ich wollte nicht, daß die längst begrabene Vergangenheit einen Schatten auf das Leben dieses Kindes warf.

Susan löste sich von meiner Seite, sobald Hugo ins Zimmer trat, und doch war ihm nicht entgangen, daß wir uns unterhalten hatten. Die Miene, mit der er direkt auf mich zukam, verhieß nichts Gutes.

«Kommen Sie mit raus«, sagte er knapp, als er einen Meter vor mir stehenblieb.»Jetzt gleich.«

Ich hätte mich weigern können, aber ich dachte, vielleicht irrtümlich, wenn ich ihm nicht die Gelegenheit gab, das zu sagen, was er offensichtlich sagen wollte, könnte es in ihm gären und seiner Familie schaden. Also setzte ich ruhig mein Glas ab und folgte ihm hinaus auf den Rasen.

«Ich könnte Sie umbringen«, sagte er.

Es war eine Bemerkung, auf die eine Antwort nicht möglich schien. Als ich schwieg, setzte er bitter hinzu:»Meine verfluchte Tante hat mir gesagt, ich soll die Augen aufmachen. Der Exjockey meines Schwiegervaters! Sieh ihn dir an, hat sie gesagt. Zähl zwei und zwei zusammen. Cinders ist sieben Monate nach eurer Hochzeit zur Welt gekommen. Mach die Augen auf.«»Ihre Tante hat Ihnen keinen Dienst erwiesen.«

Das sah er natürlich ein, aber sein Zorn war ganz auf mich gerichtet.

«Sie ist meine Tochter«, beharrte er.

Ich sah zu Cinders hinüber, die jetzt ausgelassen einen Salto vollführte.

«Natürlich«, sagte ich.

«Ich habe gesehen, wie sie geboren wurde. Sie ist meine Tochter, und ich liebe sie.«

Ich blickte traurig in Hugos wütende grüne Augen. Er und ich waren im Wesen wie im Aussehen nahezu grundverschieden. Hugo, ein mittlerer Angestellter in der Londoner City, hatte ein hitziges, aufbrausendes Temperament, feurig wie seine Haare, verbunden mit einer sehr sentimentalen Ader. Daß wir uns so fernstanden, war eine Schranke, die auf natürliche Weise bisher auch verhindert hatte, daß ich meiner Tochter näher kam und sie zu lieb gewann, und über eines war ich mir, vielleicht im Unterschied zu Hugo, vollauf im klaren: Wenn ich mich auf einen Streit, einen Kampf mit ihm einließ, würde ich etwas zerstören, was unantastbar sein sollte.

Er ballte wieder und wieder die Fäuste, hatte sich aber noch in der Gewalt.

Ich sagte:»Sie haben das Mädchen bekommen, das Sie haben wollten. Sie haben eine Tochter und zwei Söhne. Sie können froh sein. Es wäre dumm, sich das kaputtzumachen. Was hätten Sie davon?«

«Aber Sie… Sie…«Er stotterte, konnte vor verletzter Eitelkeit und Zorn kaum sprechen, wünschte mir den Tod.

«Hassen Sie mich, wenn Sie wollen«, sagte ich,»aber lassen Sie es nicht an Ihrer Familie aus.«

Ich wandte mich von ihm ab, schon darauf gefaßt, daß er mich herumreißen und auf mich einschlagen würde, aber zu seiner Ehre sei gesagt, er tat es nicht. Trotzdem dachte ich unbehaglich, wenn er auf einen weniger direkten Weg stieß, mir zu schaden, daß er dann möglicherweise die Gelegenheit ergriff.

Ich ging durch die Gartentür zurück, und Maudie, die am Fenster stand, fragte:»Was war denn mit euch los?«

«Nichts.«

«Susan Palmerstone sieht richtig erschrocken aus.«

«Tja, also ich hatte eine Meinungsverschiedenheit mit Hugo, aber vergiß es. Mach Lorna mit Bruce Farway bekannt und setz mich am Tisch nicht neben sie.«

«Was?« Sie lachte, dann wurde ihr Gesicht nachdenklich.

«Gut, aber dafür kannst du Tessa mal von Benjy Usher loseisen. Mir gefällt nicht, daß sie mit ihm flirtet, und Dot ist fuchsteufelswild.«

«Warum hast du sie eingeladen?«

«Wir sind doch praktisch Nachbarn, verdammt. Wir laden Benjy und Dot immer ein.«

Ich tat mein Bestes für sie, aber Tessa von Benjy loszueisen erwies sich als unmöglich. Tessa war eine begnadete Tuschlerin und fand nichts dabei, den Leuten den Rücken zu kehren, damit sie nicht hörten, was sie Benjy ins Ohr flüsterte. Nachdem auch ich ein paarmal den Rücken zugedreht bekommen hatte, wurde es mir zu dumm, und ich ließ die beiden stehen.

Bruce Farway fand Interesse an Lorna, der bildhübschen Schwester voll guter Werke. Susan hatte sich bei Hugo eingehakt und unterhielt sich angeregt mit Michael über Pferde. Intrigieren, Fäden spinnen, typisch für Rennsportgemeinden. Tauscht die Partner und tanzt.

Wir aßen Maudies vorzügliche Rinderrippchen mit den knusprigen Bratkartoffeln und zum Nachtisch Honignußeis. Ich saß zwischen Maudie und Dot und benahm mich gesittet.

Die jüngeren Kinder plapperten über das Kaninchengehege im Garten, wo die Zahl der Haustiere der Familie sich innerhalb eines Jahres verdoppelt hatte.»Die kommen demnächst unters Messer«, murmelte Maudie mir finster zu.»Sie schleichen sich raus und fressen meine Dahlien.«

«Ein Kaninchen fehlt«, beharrte ihre jüngste Tochter.

«Woher willst du das wissen?«fragte Michael.»Es sind doch so viele.«

«Vorige Woche waren’s fünfzehn, und jetzt sind’s nur noch vierzehn. Ich hab sie gezählt.«

«Wahrscheinlich haben die Hunde eins gefressen.«

«Papa!«

Lorna unterhielt sich mit Bruce Farway über im Gnadenbrot stehende alte Rennpferde, eines ihrer derzeitigen Engagements, und er hörte interessiert zu. Unglaublich.

Das Gespräch kam auf Jericho Rich und seine Abkehr von Michaels Stall.

«Undankbares Ekel«, empörte sich Maudie.»Nach so vielen Siegen!«

«Ich hasse ihn«, sagte Tessa so heftig, daß sie einen scharfen Blick von ihrem Vater einfing.

«Wieso das denn?«fragte er.

Sie zuckte die Achseln und verweigerte ihm mit zusammengepreßten Lippen die Antwort. Mit siebzehn, voll unausgesprochener Ressentiments, war sie eines jener Kinder, denen es nie an etwas gefehlt hat, die sich aber nicht damit zufriedengeben können, vom Leben begünstigt zu sein. Sie war ein Aas, nicht nur eine Ohrenbläserin, und mochte mich so wenig wie ich sie.

Ed, ihr Bruder, sechzehn und ziemlich dumm, sagte:»Jericho Rich wollte Sex mit Tessa, aber sie wollte nicht, und deshalb hat er seine Pferde weggeholt.«

Ein oscarreifer Gesprächskiller, und in die atemlose, entgeisterte Stille hinein klingelte es an der Haustür.

Wachtmeister Sandy war gekommen. Entschuldigend sagte er zu Michael, er müsse Dr. Farway und auch Freddie Croft sprechen.

«Was ist passiert?«fragte Michael.

Sandy sagte es Michael, Bruce Farway und mir vertraulich in der Eingangshalle.

«Ihr Mechaniker, Freddie. Dieser Jogger. Er ist gerade drüben auf Ihrem Hof gefunden worden. Er liegt in der Schmiergrube. Und er ist tot.«

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