Lizzie besaß einen Viertelanteil des kleinen Robinson 22, ihre einzige Extravaganz, ein langgehegter Wunsch, den sie sich von ihrem Teil unserer Erbschaft erfüllt hatte. Meiner Ansicht nach war der Hubschrauber für sie das, was für Roger die Seeschiffe waren und für mich der Hindernissport; damit bekundete die ältere Schwester, daß nicht nur Jungen technisches Spielzeug haben konnten, sondern auch Mädchen. Als wir klein waren, hatte sie uns der Reihe nach beigebracht, wie die komplizierte elektrische Eisenbahn funktionierte. Sie hatte uns gezeigt, wie man den Ball beim Kricket am effektvollsten zurückschlägt, sie war uns voran auf Bäume geklettert wie eine Katze; als Teenager hatte sie uns in Urwälder und gespenstische Höhlen geführt und uns in Schutz genommen und für uns gelogen, wenn wir etwas ausgefressen hatten. Dank ihr wuchsen wir in dem Bewußtsein auf, daß Mut viele Gesichter haben kann.
Sie schaltete den Motor ab, und als der Rotor stehenblieb, sprang sie aus der kleinen Glaskuppel und kam ruhigen Schrittes über den Asphalt auf mich zu.
«Hallo«, sagte sie; klein, leicht, drahtig, lebensfroh.
Ich umarmte sie.
«Hast du zu Mittag gekocht?«fragte sie.
«Nein.«
«Gut. Ich habe uns ein Picknick mitgebracht.«
Sie kehrte zum Hubschrauber zurück und holte eine Tragtüte heraus, die wir zusammen ins Haus trugen. Sie kam nie mit leeren Händen. Ich brauchte sie nicht zu bewirten oder zu bedienen; es genügte, wenn ich Champagner kaltstellte. Ich ließ den Korken knallen, goß uns ein, und sie machte es sich in einem großen Sessel bequem, nahm einen ersten schäumenden Schluck und musterte mich nach Schwesternart.
«Wie war der Flug?«fragte ich.
«Etwas holprig über den Mooren. Stellenweise liegt noch Schnee. In Carlisle bin ich zum Tanken runter. Vier Stunden von Tür zu Tür.«
«Dreihundertfünfzig Meilen«, sagte ich.
«So ungefähr.«
«Es ist schön, dich zu sehen.«
«Mhm. «Sie streckte sich aus und schnurrte fast.»Erzähl mal.«
Ich erzählte ihr ziemlich viel, wobei ich erklärte, wer sie alle waren: Sandy Smith, Bruce Farway, die Watermeads, Jericho Rich, Brett, Dave, Kevin Keith Ogden und Jogger. Ich erzählte ihr von Nina Young und ihrer Verwandlung.
Sie inspizierte die leere Geldkassette, die in all ihrem Dreck noch auf dem Zeitungspapier stand. Ich zeigte ihr das Reimlexikon und spielte ihr das Band mit Joggers letzter Nachricht vor, aber selbst der rege Verstand unter dem dunklen, angegrauten Haarschopf kam nicht dahinter, was der alte Soldat meinte.
«Blöder Kerl«, sagte Lizzie.»Ist er gestürzt oder gestoßen worden?«
«Jemanden in eine anderthalb Meter tiefe Schmiergrube zu stoßen, ist keine todsichere Methode, ihn umzubringen.«»Ein unbeabsichtigter Stoß also.«
«Noch hat ihn keiner zugegeben.«
Etwas zögernd bot ich ihr an, sich die Fotos von Jogger in der Grube anzusehen.
«Ich bin nicht zimperlich«, meinte sie.»Gib schon her.«
Sie betrachtete sie ausgiebig.»Daraus kann man so oder so nichts schließen.«
«Nein«, stimmte ich zu, während ich die Fotos wieder an mich nahm und sie in ihre Hülle steckte.
Nach einer Pause fragte sie:»Was ist mit den Röhrchen in der Thermosflasche?«
Ich holte zwei von den Röhrchen aus meinem Safe, denn dort hatte ich sie über Nacht eingeschlossen, und gab sie ihr. Sie wickelte beide aus dem Papiertuch und hielt sie gegen das Licht.
«Zehn Kubikzentimeter«, las sie die kleinen Ziffern ab.»Mit anderen Worten, ein Eßlöffel.«
«Nur einer?«Ich war etwas überrascht. Ich hatte gedacht, in den Röhrchen sei mehr.
«Nur einer«, bestätigte Lizzie.»Gut ein Mund voll.«
«Igitt.«
«Ja, klar, es wäre nicht ratsam, das zu trinken. «Sie wik-kelte die Röhrchen wieder ein und steckte sie, genau wie Nina, in ihre Handtasche.»Ich nehme an, du hättest das Ergebnis gern bis vorgestern.«
«Das wäre hilfreich.«
«Übermorgen«, versprach sie.»Schneller geht’s nicht.«
«Ich werde mich in Geduld üben.«
«Das war noch nie deine Stärke.«
Sie roch am Inhalt der Thermosflasche, goß etwas davon in ein Glas und hielt ihre Nase dicht an die Oberfläche.
«Kaffee«, sagte sie,»und die Milch ist sauer.«
«Er war mindestens seit Donnerstag in der Kanne.«
«Soll ich ihn auch analysieren lassen?«
«Was meinst du denn?«fragte ich.
Sie sagte:»Ich nehme an, der Kaffee war nur da, um die Röhrchen zu verdecken.«
«Dann laß es«, sagte ich.
Wir tranken weiter Champagner und packten das Picknick aus, ein herrliches Mitbringsel von dem vielleicht besten Restaurant in Schottland, >La Potiniere< bei Gullane in East Lothian.
«Die Browns lassen herzlich grüßen«, sagte Lizzie und meinte damit die Besitzer.»Wann du mal wieder vorbeikämst.«
Das würden sie sechs Monate im voraus wissen wollen, und selbst dann bekam man vielleicht noch keinen Tisch. Lizzie, ihre enge Freundin, war schon vor ihnen auf die Knie gefallen. Diesmal hatten sie Hähnchenbrust, gefüllt mit einer Mousse aus Sahne, Haselnüssen und Calvados geschickt, dazu einen Brunnenkressesalat mit separat verpacktem Nußöldressing und als Nachtisch eine leichte Käsesahnetorte, die auf der Zunge zu Ambrosia zerging.
Ich achtete selten darauf, was ich aß. Lizzie bedauerte es und versuchte nach Möglichkeit meinen Geschmack zu bilden. In der >Potiniere< hätte ich gern mein Examen gemacht.
Gemeinsam schauten wir uns die ersten Cheltenham-Rennen im Fernsehen an, und zurückzublicken hatte keinen Zweck, drei Jahre war es her, daß ich Zweiter im Champion Hurdle geworden war, eine bittersüße Niederlage damals.
«Sei froh, daß du die Sorge los bist«, sagte Lizzie, als sie bemerkte, wie ich den Jockeys zusah.
«Welche Sorge?«
«Die Sorge, daß jemand anders deine Ritte bekommt.«
Ich lächelte. Das war die größte Sorge jedes Jockeys, und ich sagte:»Du hast recht. Es ist eine Erleichterung. Jetzt habe ich bloß noch die Sorge, daß andere Speditionen mir meine Kunden wegschnappen.«
«Was ja wohl nicht oft passiert.«
«Bis jetzt zum Glück nicht.«
Das Telefon klingelte, und Isobel gab mir einen Zwischenbericht.
«Alles in Ordnung«, sagte sie.»Dieser Neue, Aziz, hat aus Yorkshire angerufen, weil sie wollen, daß er acht Tiere mitnimmt statt sieben, und das achte ist ein halb kahles altes Pony, das kaum noch gehen kann. Was soll er machen?«
«John Tigwood ist ja da«, sagte ich.»Wenn er die Verantwortung übernimmt, falls das Pony unterwegs stirbt, kann es mit.
Aziz soll sich von Tigwood eine schriftliche Erklärung geben lassen, die uns absichert, mit Datum und Unterschrift einschließlich Uhrzeit.«
«Okay.«
«Wie hat Aziz sich angehört?«
«Als ob er’s satt hat«, sagte Isobel vergnügt.»Kann man ihm ja nicht verdenken.«
«Worum ging es denn?«fragte Lizzie träge, als ich den Hörer auflegte, und ich erzählte ihr von der Altenfahrt und gab ihr einen Steckbrief von John Tigwood, dem absahnenden Retter in der Not.
«Ein Fanatiker?«
«Bestimmt.«
Wir schauten uns die übrigen Rennen an, oder vielmehr alle, die noch gezeigt wurden. Isobel rief mitten in der Übertragung um vier noch einmal an, um mir zu sagen, daß soweit alles klar sei und daß sie Feierabend mache. Hatte ich mitbekommen, daß ein Pferd aus Pixhill, das Harve nach Cheltenham gebracht hatte, in seinem Lauf Sieger geworden war?
«Ja, großartig.«
«Gut für den Zulauf in der Kneipe«, bemerkte das kluge Mädchen, worauf mir gleich einfiel, daß ich mich noch nicht nach dem Umtrunk für Jogger erkundigt hatte.
Ich erzählte Lizzie von dem Umtrunk und dem Grund dafür.
«Du glaubst also nicht, daß es ein Unfall war!«sagte sie.
«Ich möchte schon.«
Als die Übertragung vorbei war, schalteten wir den Fernseher aus und unterhielten uns ganz allgemein, und später rief Aziz direkt bei mir zu Hause an. Er störe mich hoffentlich nicht, sagte er, aber das Büro sei geschlossen, und der Anrufbeantworter habe meine Privatnummer genannt.
«Nein, natürlich stören Sie nicht. Wo sind Sie?«
«Tankstelle Chieveley; das ist nördlich von Newbury. Ich spreche von einer Zelle aus. Ich wollte mit Ihnen reden, ohne daß die zuhören.«
«Was ist denn los?«
«Heute ist mein erster Tag bei Ihnen, und ich. «Er unterbrach sich, suchte nach Worten.»Könnten Sie vielleicht dahin kommen«, sprudelte er hervor,»wo ich den Transporter ausladen soll?«
«Gnadenhof Kentauros.«
«Ja. Diese Pferde sind nicht transportfähig. Das habe ich Mr. Tigwood auch gesagt, aber er hat darauf bestanden, daß wir sie mitnehmen. Mrs. Lipton sorgt sich, daß sie vielleicht sterben, bevor wir sie ausladen…«
«In Ordnung«, sagte ich entschieden.»Rufen Sie mich noch mal über Funk an, wenn Sie sich Pixhill nähern, dann komme ich sofort hin. Lassen Sie die Rampen nicht runter, bis ich da bin. Bleiben Sie im Fahrerhaus sitzen und schreiben Sie den Fahrtbericht. Tun Sie irgendwas. Verstanden?«
«Danke. «Ein kurzes, aber vielsagendes Wort.
«Bis dann«, sagte ich.
Als ich Lizzie das Problem erklärte, fragte sie, ob sie mitkommen könne, und als Aziz dann wieder anrief, fuhren wir los.
Die kümmerliche Koppel von Kentauros war so abgeweidet, daß zwischen den zotteligen Grasbüscheln die braune Erde hervorschaute. Auf dem mehr schlecht als recht asphaltierten Parkplatz sproß Unkraut aus den Ritzen, und der Beton des kleinen Bürogebäudes war mit rostbraunen Regenflecken gesprenkelt. Die Ställe dahinter sahen aus, als könnte der nächste tüchtige Windstoß sie umblasen. Lizzie starrte sprachlos auf dieses wunderhübsche Terrain, als wir neben dem abblätternden grünen Anstrich der Bürotür anhielten.
Wir waren kaum eine Minute dort, als Aziz langsam von der Straße hereingefahren kam und den Neun-PferdeTransporter ausnehmend sanft zum Stehen brachte. Ich ging zu ihm ans Fenster, als Tigwood und Lorna auf der Beifahrerseite ausstiegen.
Aziz drehte die Scheibe herunter und sagte:»Ich hoffe, sie leben noch alle.«
Man hörte, wie auf der anderen Seite die Rampen aufgeriegelt wurden, und ich lief hin und bat Tigwood und Lor-na, damit zu warten.
«Seien Sie nicht albern«, sagte Tigwood.»Ausladen müssen wir sie doch wohl.«
«Ich würde sie mir lieber vorher ansehen«, erklärte ich ihm.
«Wozu denn?«
«Einem alten Pferd tun fünf Minuten Pause jetzt vielleicht ganz gut. Man braucht doch nichts zu überstürzen, oder?«
«Es wird bald dunkel«, hob er hervor.
«Trotzdem werde ich sie erst mal begrüßen, John.«
Ich öffnete die hintere Pflegertür, ohne weitere Einwände abzuwarten, und hievte mich auf Pferdehöhe. Drei langmütige alte Augenpaare schauten mich an, und Müdigkeit sprach aus der Neigung ihrer Hälse und aus den lethargisch abgewinkelten Ohren.
In dem freien Raum vor ihren Köpfen, wo oft ein Begleiter saß, stand ein unangerührter Ballen Heu, und die Plastikbehälter mit dem Wasser waren noch voll.
Ich sprang aus der Kabine heraus, öffnete die mittlere Pflegertür und kletterte in den Raum zwischen den drei mittleren und den drei vorderen Boxen. In den drei mittleren stand wieder ein tatteriges Trio, das matt die Köpfe hängenließ. Ich schlängelte mich durch die leerstehende dritte der drei vorderen Boxen nach vorn und begutachtete den Rest der Ladung, ein Pferd so schwach, daß es aussah, als ob die Trennwände allein es aufrecht hielten, und ein mitleiderregendes Pony mit meterweise nackter, unbehaarter Haut und geschlossenen Augen.
Ich stieg aus und sagte Tigwood und Lorna, daß ich Wert darauf legte, den Tierarzt zu rufen, damit er sich die Pferde ansah, bevor sie ausgeladen wurden. Ich wollte ein tiermedizinisches Gutachten, sagte ich, daß meine
Spedition sie in der bestmöglichen Verfassung abgeliefert hatte.
«Das geht Sie doch nichts an«, sagte Tigwood erbost.»Und Sie beleidigen Kentauros.«
«Hören Sie, John«, sagte ich beschwichtigend,»wenn den Besitzern dieser Pferde noch daran liegt, sie auf ihre alten Tage gut unterzubringen, dann bezahlen sie gewiß auch einen Tierarzt, der nachsieht, ob sie die Reise gut überstanden haben. Es sind nette Gesellen, aber jetzt sind sie sehr müde, und ich meine, Sie sollten für jede Hilfe bei ihrer Betreuung dankbar sein.«
«John«, sagte Lorna,»da hat Freddie sicher recht. Auch ich fände einen Tierarzt gut. Sie sind viel schwächer, als ich erwartet hatte.«
«Haben sie getrunken, bevor sie losgefahren sind?«fragte ich.
Lorna sah mich besorgt an.»Meinen Sie, die haben Durst?«sagte sie.»Aziz ist so entsetzlich langsam gefahren.«
«Hm. «Durch die offene Beifahrertür bat ich Aziz, mir das Telefon herauszureichen, rief ohne weitere Umstände den Tierarzt am Ort an und erklärte ihm, was ich wollte.»Fünf Minuten ansehen, das genügt wahrscheinlich. Aber gleich, wenn’s geht.«
Er versprach, sofort zu kommen, und hielt Wort, ein langjähriger Freund, der wußte, daß ich ihn nicht umsonst rufen würde. Er nahm die gleiche kurze Untersuchung vor wie ich und sah mich zum Schluß mit hohlen Augen an, die Bände sprachen, ohne daß er etwas zu sagen brauchte.
«Also?«fragte John Tigwood und hörte sich verärgert den Befund an.
«Sie sind etwas dehydriert und wahrscheinlich hungrig. Überhaupt mager, auch wenn man sich sonst hinreichend um sie gekümmert hat. Sie brauchen gutes Heu und viel Ruhe. Ich bleibe mal hier, bis sie ausgeladen sind.«
Vor seiner Ankunft hatte ich Lizzie mit Tigwood und Lorna bekannt gemacht. In Gedanken ganz bei den Pferden, schenkten sie ihr kaum Beachtung, und Lizzie selbst war zufrieden, einfach zuzuschauen und zuzuhören.
Ich ließ endlich die hintere Rampe herunter, und John Tigwood band den ersten Fahrgast los und führte ihn nach draußen. Die alten Beine über den klappernden Hufen waren unsicher und wacklig, die Augen des Tieres angstgeweitet. Als es festen Boden unter die Füße bekam, blieb es zitternd stehen.
«Lorna«, sagte ich,»wie alt sind die?«
Sie zog eine Liste hervor und reichte sie mir kommentarlos. Die Pferde waren mit Namen, Alter und Besitzer aufgeführt, und einige Namen waren mir so vertraut, daß mein Interesse stark zunahm.
«Da sind zwei dabei, die ich geritten habe!«rief ich aus.»Zum Teil waren das mal großartige Pferde.«
«Das haben Sie doch wohl gesehen?«sagte Lorna spitz.
«Nein. Wie hält man sie auseinander?«
«Sie haben ein Schild am Halfter.«
Ich ging zu dem Pferd, das Tigwood festhielt, während der Arzt es sich anschaute, und las den Namen, Peterman. Ich streichelte die alte Nase und dachte an die Rennen, die wir vor zwölf und mehr Jahren gewonnen und verloren hatten, als dieses klapprige Gestell sehnig und kraftvoll war, der Greis ein mit dem Kopf schlagender Prinz, ein Star. Mit einundzwanzig, seinem Alter nach der Liste, war er umgerechnet ungefähr so alt wie ein Mensch mit neunzig.
«Er ist in Ordnung«, sagte der Tierarzt.»Nur müde.«
Tigwood warf mir einen triumphierenden» Siehst du wohl«-Blick zu und führte meinen alten Freund zu den Ställen hinüber.
«Er ist der jüngste«, stellte ich beim Durchgehen der Liste fest.
Während wir ausluden, dämmerte es bereits, und ich schaltete alle Lichter im und am Transporter ein, damit wir es hell genug hatten. Der Tierarzt befand alle Angereisten vorläufig für gesund bis auf die letzten zwei aus den Boxen ganz vorn, bei denen er den Kopf schüttelte.
Das alte Pony war am schlimmsten dran. Es konnte kaum stehen, das arme Ding, geschweige denn die Rampe heruntergehen.
«Fortgeschrittene Hufrehe«, sagte der Tierarzt.»Am besten, es wird eingeschläfert.«
«Auf keinen Fall«, widersprach Tigwood entrüstet.»Seine Besitzerin ist fünfzehn und liebt es sehr. Ich habe versprochen, ihm ein behagliches Zuhause zu geben, und das kriegt es auch. Ich mußte ihr mein Wort geben.«
Ich dachte an Michael Watermeads Bemerkung über seine eigenen Kinder —»sie verstehen nicht, daß auch der Tod sein muß«. Tigwood verstand es zwar, aber die Aufrechterhaltung des Lebens um jeden Preis war für sein Einkommen offenbar ebenso wichtig wie für seinen Fanatismus bezeichnend.
«Lassen Sie mich wenigstens seine Alopezie behandeln«, schlug der Tierarzt vor, und Tigwood meinte widerwillig:»Also gut, dann morgen«, worauf er das arme kleine Ding buchstäblich schubste, bis ihm nur die Wahl blieb, entweder die Rampe hinunterzuzittern oder zu stürzen.
«Das ist ja widerwärtig«, sagte Lizzie leise.
Lorna hörte es und fauchte sie an:»Widerwärtig sind die Leute, die Pferde töten, bloß weil sie alt sind. «Sie war damit beschäftigt, ihre eigenen Zweifel zu unterdrücken, stellte ich fest.
«Alte Pferde haben ein Recht zu leben. Kentauros ist eine wundervolle Einrichtung.«
«Ja«, meinte Lizzie trocken.
Lorna warf ihr einen unfreundlichen Blick zu, den sie dann auf mich übertrug.
«Sie wissen Johns Arbeit nicht zu schätzen«, hielt sie mir vor.
«Und kommen Sie mir nicht mit dem Scheiß, daß man ein Tier von seinen Qualen erlösen muß. Man weiß doch gar nicht, ob es sich quält.«
Mir schien, das sich das schon ganz gut erkennen ließ, aber ich hatte nicht vor zu streiten, und außerdem hatte ich viele alte Pferde gekannt, die gesund und munter bis Mitte der Zwanzig gelebt hatten. Mein Vater, der Trainer, hatte sich um seine Lieblingspferde gekümmert, bis sie auf der Weide starben, und sie den ganzen Winter hindurch mit Hafer gefüttert, damit sie gut gepolstert waren. Sie hatten alle besser ausgesehen als die dürren Klepper hier.
Ich sagte:»Es ist schön, den alten Peterman noch mal zu sehen, und die Besitzer sind für Ihre persönliche Betreuung sicher dankbar.«
«Und für die von John!«
«Auch für die von John«, sagte ich.
Alle drei schauten wir zu, wie Tigwood das Pony zur Koppel führte, dessen entzündete Hufe bei jedem langsamen Schritt zurückzuckten, während es den Kopf vor Schmerz hängenließ. Die fünfzehnjährige Besitzerin, dachte ich, war von Liebe erfüllt, hatte aber kein Erbarmen, eine fürchterliche Kombination.
Lorna warf die blonde Mähne zurück und ließ keine Kritik gelten. Der Tierarzt schüttelte den Kopf, Lizzie blickte immer noch angewidert, Aziz zuckte die Achseln. Er hatte die Fracht lebend abgeliefert: damit war die Sache für ihn abgehakt.
Tigwood ließ das Pony auf der Koppel frei und kam wieder, um sein Büro aufzuschließen. Wir gingen alle hinter ihm her und betraten einen funktionalen Raum von etwa viereinhalb mal viereinhalb Metern, mit Neonlicht und Aktenschränken an den Wänden. Der braune Flüssigholzboden wurde durch zwei große, gemusterte Teppiche aufgelockert, und die Wände waren mit gerahmten Fotos von alten Pferden auf sonnenbeschienenen Weiden tapeziert. Tigwood ging durch den Raum zu zwei nebeneinanderstehenden Metallschreibtischen, der eine bestückt mit einem Computer samt Drucker, der andere mit den üblichen Utensilien des Vor-Computer-Zeitalters. Eine Reihe von Sammelbüchsen stand auf einem der Aktenschränke, und auf einem anderen eine Teemaschine. Mehrere Bücherregale waren gut sichtbar vollgestellt mit Schriften über die Pflege und die medizinischen Probleme gealterter Vollblüter. Es gab zwei gemütliche, mit Wollstoff bezogene Sessel und freundliche blaue Vorhänge an den beiden Fenstern. Wenn jemals einer von den Besitzern der Pferde an die Tür klopfte, würde die Ausstattung die Botschaft vermitteln, daß hier jeder Pfennig auf die gute Sache verwendet wurde, wobei man zugleich aber auch den gehobenen Ansprüchen der Besitzer entgegenkam.
Das mußte man ihm lassen, dachte ich. Tigwood hatte eine glückliche Hand gehabt; zumindest im Innern.
Er bat den Tierarzt, ihm kurz zu attestieren, daß sechs (namentlich genannte) Pferde ohne Zwischenfall von
Yorkshire angereist und in guter Verfassung bei ihm eingetroffen waren. Ein (namentlich genanntes) Pferd zeigte Anzeichen von Erschöpfung und bedurfte besonderer Pflege. Ein an Hufrehe erkranktes Pony brauchte ärztliche Behandlung. Alle waren von Croft Raceways befördert und Kentauros übergeben worden.
Zufrieden machte Tigwood eine Fotokopie von der Bescheinigung und gab sie mir mit einem süffisanten Lächeln.»Sie haben viel Lärm um nichts veranstaltet, Freddie. Den Doktor können Sie bezahlen, denn ich werd’s nicht tun.«
Ich zuckte die Achseln. Da ich die Hilfe angefordert und sie auch bekommen hatte, machte es mir nichts aus, dafür zu zahlen. Im Gegenteil: Die schriftliche Erklärung schützte mich vor allen Fahrlässigkeitsvorwürfen, die Tigwood sich noch einfallen lassen konnte, wenn er erst meine Rechnung erhielt. Ich sagte, ich sei sehr froh, daß den Pferden nichts fehle, aber es sei doch immer schön, Gewißheit zu haben.
Mit unterschiedlichen Gefühlen verließen alle wieder das Büro; der Tierarzt fuhr winkend davon, während Tig-wood und Lorna in den Transporter kletterten, um noch mit zum Bauernhof zu fahren, wo beide am Morgen ihre Wagen abgestellt hatten. Lizzie und ich fuhren hinter dem Transporter her, und Lizzie fragte, ob das Ganze nicht ein Sturm im Wasserglas gewesen sei.
«Hat dein Fahrer da nicht überreagiert?«fragte sie.
«Mag sein. Aber er ist erst seit heute bei uns. Und fahren kann er jedenfalls, wenn er die alle heil hierhergebracht hat.«
Lorna und Tigwood verließen den Bauernhof getrennt, jeder nach seiner Fasson eingeschnappt.
Aziz sagte verlegen:»Das tut mir alles sehr leid. «Keine weißen Zahnreihen. Die glänzenden Augen niedergeschlagen.
«Es braucht Ihnen nicht leid zu tun«, versicherte ich ihm.
«Sie haben richtig gehandelt.«
Lizzie und ich sagten ihm adieu, als er ans Auftanken ging, und fuhren nach Hause, um dort eine kurze Pause einzulegen und dann essen zu gehen.
Drei Rückrufwünsche waren auf dem Anrufbeantworter, zwei geschäftliche und einer von Sandy Smith.
Ich rief ihn zuerst an, und er gab mir zu verstehen, was er für mich habe, sei sozusagen außerdienstlich und inoffiziell.
«Danke, Sandy.«
«Also, Jogger ist gestern in der Pathologischen im Krankenhaus von Winchester seziert worden. Todesursache gebrochenes Genick. Er hat einen Schlag am Hinterkopf, an der Schädelbasis, abgekriegt, und die beiden oberen Halswirbel waren ausgerenkt wie beim Erhängen, aber gehenkt worden ist er nicht — keine Strickspuren. Jedenfalls wird morgen in Winchester die gerichtliche Untersuchung eröffnet. Da geht es nur um die Identifizierung, die besorge ich selbst, weil keine Angehörigen da sind, und um Dr. Farways Gutachten und die Polizeifotos. Danach wird der Coroner die Verhandlung zu Ermittlungszwecken für ungefähr drei Wochen vertagen. Routineverfahren bei allen Unfällen. Man wird Sie nicht brauchen.«
«Vielen herzlichen Dank, Sandy.«
«Die Ogden-Sache wird am Donnerstag in aller Frühe an gleicher Stelle verhandelt, also am Geschworenengericht, das ist ein Raum im Polizeipräsidium in Winchester. Natürlicher Tod, wird man feststellen. Da gibt es keine Ver-tagung. Dr. Farway wird seinen Bericht vortragen. Mrs. Ogden hat ihren Mann identifiziert. Anscheinend hat Ogden es immer mal wieder mit dem Herz gehabt, aber nicht regelmäßig seine Medikamente genommen. Es ist wohl besser, Dave geht hin, auch wenn er vielleicht nicht aufgerufen wird. Ich bin natürlich auch da.«
«Fabelhaft, Sandy. Danke nochmals.«
«Ich hab gestern abend im Pub auf Jogger getrunken«, sagte er.
«War viel los. Jede Menge Leute haben sich auf der Gedenkurkunde eingetragen. Sie werden eine Riesenrechnung kriegen.«
«Alles für einen guten Zweck.«
«Der arme alte Jogger.«
«Ja«, sagte ich.
Lizzie und ich entschlossen uns, in einem zehn Meilen von Pixhill entfernten Landgasthof zu Abend zu essen, dessen Spezialität gebratene Ente in Honigglasur war, außen braun und knusprig, innen saftig. La Potiniere war es nicht, aber doch ein altes Lieblingslokal von Lizzie, der die schweren Eichenbalken, die buckeligen Wände und die gedämpfte bis schummrige Beleuchtung gefielen.
Da oft Leute aus Pixhill dort aßen, überraschte es mich nicht sonderlich, Benjy und Dot Usher Schulter an Schulter in einer Nische auf der anderen Seite des Raumes sitzen zu sehen. Sie hatten wie üblich ihre Umgebung vergessen und steckten mitten in einem Streit, die beiden zornroten Gesichter zwei Handbreit voneinander weg.
«Wer ist das?«fragte Lizzie, meinem Blick folgend.
«Ein Millionär aus Pixhill, der ein bißchen trainiert, und seine ihm innig verbundene Gattin.«»Wer dumm fragt…«
«Bekommt vielleicht trotzdem eine präzise Antwort.«
«Ist es wahr?«
«Ich schätze, wenn die jemals aufhören zu streiten, zerbricht ihre Ehe an Langeweile.«
Ich erzählte ihr von meinem Tag mit ihnen beim Pferderennen in Sandown und von Benjys seltsamer Angewohnheit, Pferde nicht anzufassen.
«Und das ist ein Trainer?«
«So nennt er sich. Aber er ist auch ein Kunde, deshalb habe ich nichts gegen ihn.«
Sie musterte mit schwesterlicher Nachsicht mein Gesicht.»Ich weiß noch, wie du mal gesagt hast, wenn du nur für Leute reiten würdest, die du magst, hättest du vielleicht den Gold Cup nicht gewonnen.«
«M-hm. Die gleiche Theorie. Gegen Entgelt verdinge ich mein Talent an jeden.«
«Das hört sich so nach Prostitution an.«
«Was wäre denn keine?«
«Die reine Forschung beispielsweise. Du bist ein ausgemachter Philister.«
«Goliath war auch ein Philister. ein Mordskerl.«
«Zu Fall gebracht mit einer Steinschleuder.«
«Heimtückisch.«
Lizzie lächelte vor Vergnügen.»Du fehlst mir«, sagte sie.
«Gleichfalls. Erzähl mir von Professor Quipp.«
«Ich wußte doch, ich hätte nicht sagen sollen, wo sie mich alle erreicht haben. Dir entgeht aber auch gar nichts.«
«Komm, erzähl.«
«Er ist nett. «Sie klang liebevoll, nicht so, als müsse sie sich verteidigen. Ein gutes Zeichen, bedachte man den Charakter einiger früherer Bärte.»Er ist fünf Jahre jünger als ich und fährt für sein Leben gern Ski. Wir waren eine Woche in Val-d’Isere.«
Lizzie schnurrte richtig.»Wir haben uns gegenseitig die Hänge runtergescheucht.«
«Hm… Welche Bartfarbe?«
«Gar kein Bart. Du bist gemein. Auch kein Schnurrbart.«
Es hörte sich ernst an.
«Welches Fachgebiet?«fragte ich.
«Organische Chemie, zufällig.«
«Ah.«
«Noch so ein Ah, und du kannst dir deine Röhrchen an den Hut stecken.«
«Kein Ah soll mehr über meine Lippen kommen.«
Wir aßen hungrig die braune Ente, und während des anschließenden Kaffees zog Benjy Usher seine Aufmerksamkeit lange genug von Dot ab, um mich auf der anderen Raumseite zu bemerken.
«Freddie!«rief er ungehemmt, so daß alle anderen Gäste den Kopf nach ihm drehten.»Kommen Sie mal her, Sie Strauchdieb.«
Hingehen schien das einfachste. Ich trat an ihren Tisch und begrüßte Dot.
«Setzen Sie sich zu uns«, befahl Benjy.»Bringen Sie die Puppe mit.«
«Das ist meine Schwester.«
«Ja, klar, erzählen Sie mir noch so einen.«
Benjy hatte ein Glas über den Durst getrunken. Dot wirkte verlegen. Eigentlich überredete ich Lizzie ihr zuliebe, mit auf die andere Seite zu kommen.
Wir nahmen dankend einen Kaffee von Dot an und wiesen Benjys Vorschlag, auf große Gläser Portwein umzusteigen, zurück. Als Benjy sich noch eins bestellte, meinte Dot im Plauderton:»Impotent ist er jetzt schon. Beim nächsten Glas fällt er um.«
«Alte Giftschleuder.«
Lizzie bekam große Augen.
Dot bemerkte:»Danach kommt die Kotzerei, und das Ende sind Tränen und weinerliches Selbstmitleid. So was will ein Mann sein.«
«Prämenstruelle Störungen«, höhnte Benjy.»Chronischer Fall.«
Lizzie sah sich ihre schönen Gesichter und ihre lässig elegante Erscheinung an, die Diamanten an Dots Fingern und die goldene Armbanduhr von Benjy. Dazu war nichts zu sagen. Kommentar überflüssig. Ihr Vergnügen waren nicht die Moneten, sondern die Sticheleien.
«Wann holen Sie meinen Hengst aus Italien?«fragte mich Benjy.
«Am Montag«, schlug ich vor.»Das wird drei Tage dauern. Mittwoch abend könnte er hier sein.«
«Welcher Fahrer? Aber nicht diesen Brett. Michael sagt, bloß nicht Brett.«
«Der ist weg. Brett wird’s also nicht sein.«
«Lassen Sie Lewis fahren. Auf den schwört Michael, und er hat meine Pferde schon öfter chauffiert. Der Hengst ist nämlich wertvoll. Und schicken Sie jemanden mit, der unterwegs nach ihm sieht. Da können Sie Ihren Dave nehmen. Der packt ihn schon.«
«Ist er denn schwierig?«
«Sie wissen doch, wie Hengste sind«, sagte Benjy leutselig.
«Schicken Sie Dave. Der kommt schon klar damit.«
Dot sagte:»Ich weiß wirklich nicht, warum du ihn nicht in Italien als Deckhengst aufstellst.«
«Halt dich aus Sachen raus, die dich nichts angehen«, gab ihr Mann zurück.
Um ihre Zankerei zu unterbinden, erwähnte ich, daß wir am Nachmittag eine Ladung alter Pferde aus Yorkshire geholt hatten und daß er, wenn ich es recht verstand, zwei davon aufnehmen wollte.
«Diese alten Gerippe!«rief Dot aus.»Nicht schon wieder.«
«Haben Sie schon welche?«fragte Lizzie.
«Hatten. Die sind gestorben«, erwiderte Dot.»Ich hasse das. Ich will keine mehr.«
«Sieh nicht hin.«
«Du stellst sie ja direkt vors Wohnzimmerfenster.«
«Ich kann sie auch ins Wohnzimmer stellen. Vielleicht gibst du dann Ruhe.«
«Was bist du für ein Kindskopf.«
«Was bist du für ein Schwachkopf.«
Lizzie sagte liebenswürdig:»Es war schrecklich nett, Sie kennenzulernen«, und erhob sich zum Gehen, und als wir draußen im Jaguar waren, fragte sie:»Fetzen die sich immer so?«
«Für fünfzehn Jahre kann ich es bezeugen.«
«Menschenskind. «Sie gähnte, satt, entspannt und schläfrig.
«Schöner Mond heute abend. Toll zum Fliegen.«
«Aber du fliegst doch nicht heute nacht?«
«Nein, das ist nur eine Denkgewohnheit. Ich sehe den Himmel mit Fliegeraugen, du fragst dich, ob der Boden zu hart oder zu weich für Pferde ist.«
«Wahrscheinlich.«
Sie seufzte zufrieden.»Herrlicher Wagen ist das.«
Der Jaguar brummte durch die Nacht, leistungsstark, vertraut, das beste Auto, das ich je besessen hatte. Neuerdings kauften die Jockeys statt schneller Schlitten anscheinend lieber Mittelklasse-Familienautos, absolut zuverlässig, aber doch ziemlich langweilig. Mein extravagantes Vergnügen, die Raubkatze unter meinen Händen, entsprach nicht dem politischen Geist der neuen, ernsten Garde in den Jockeystuben.
Ihr Pech, dachte ich. Rückblickend kam es mir vor, als hätte ich in jenen Jahren viel gelacht. Und geflucht und gestöhnt und vor Wut gekocht über Ungerechtigkeiten. Und mich blendend amüsiert.
Das letzte Stück Straße zwischen Abendessen und Bett führte am Bauernhof vorbei. Ich fuhr unwillkürlich langsamer, um einen Blick auf den im Mondlicht schimmernden Fuhrpark zu werfen. Das Tor stand offen, demnach mußte noch mindestens ein Transporter unterwegs sein, und auf der kurzen Strecke zum Haus fragte ich mich, welcher.
Lizzies Robinson 22 stand im Mondlicht glänzend auf dem Asphalt, an der Stelle, wo der Neun-PferdeTransporter mit Kevin Keith Ogden gestanden hatte.
«Ich fliege morgen früh gegen neun«, sagte sie,»und am Nachmittag leiere ich deine Analyse an.«
«Schön. «Ich hatte mich wohl zerstreut angehört, denn sie wandte den Kopf und musterte mich.
«Was ist los?«fragte sie.
«Nichts, eigentlich. Geh du schon rein, geh schlafen. Ich sause noch mal rüber zum Bauernhof und schließe das Tor ab. Es sind keine Wagen mehr draußen, jedenfalls dem Fahrplan nach. Ich bleibe nicht lange.«
Sie gähnte.»Dann bis morgen früh.«
«Danke, daß du gekommen bist.«
«Hat mir Spaß gemacht.«
Wir umarmten uns kurz, und sie ging lächelnd ins Haus. Ich hoffte, Professor Quipp würde ihr lange in Liebe erhalten bleiben, denn ich hatte sie noch nie so ausgeglichen erlebt.
Ich fuhr mit dem Jaguar zum Bauernhof zurück und hielt vor dem Tor. Jemand lief auf dem Hof herum, wie Harve es oft tat, um nach dem Rechten zu sehen, und ich ging auf die halb sichtbare Gestalt zu und rief:»Harve?«
Keine Antwort. Ich ging weiter, kam zu dem Transporter neben Harves eigenem und trat in einen Schattenstreifen.
«Harve«, rief ich.
Ich hörte nichts, aber irgend etwas traf mich sehr hart am Hinterkopf.
Später knobelte ich aus, wie lange ich ohne jedes Bewußtsein gewesen war: eine Stunde, vierzig Minuten.
Die erste Empfindung in dem Dämmerzustand, in dem ich erwachte, war ein Schmerz im Kopf. Die zweite war, daß ich getragen wurde. Die dritte, daß ich eine Stimme hörte, die etwas Unsinniges sagte:
«Wenn er davon nicht die Grippe kriegt, weiß ich’s auch nicht.«
Ich träumte natürlich.
Selbstverständlich.
Bald würde ich aufwachen.
Ich hatte das Gefühl zu fallen. Ich haßte Träume vom Fallen: Immer stürzte man von Gebäuden, nie von einem Pferd.
Ich stürzte ins Wasser. Atemberaubend kalt.
Ich versank, ohne mich zu wehren. War ganz im Wasser. Sank tief hinab.
Schrecklicher Traum.
Vielleicht rief der Instinkt mich in die Wirklichkeit zurück. Das war kein Traum, das war Freddie Croft in seinen Kleidern, dem Ertrinken nahe.
Unwillkürlich wollte ich tief Luft holen, und wieder war es Instinkt, nicht Geistesgegenwart, was mich davon abhielt.
Ich strampelte mit den Füßen, um nach oben zu kommen, und fühlte, wie ich seitlich weggezogen und von Strömungen erfaßt wurde, ein bloßer Spielball.
Mit wachsendem Entsetzen stieß ich mich nochmals ab, es war höchste Zeit, meine Arm- und Beinmuskeln kapierten es, spannten sich, arbeiteten schwer, während mein Brustkorb schmerzte, mein Kopf hämmerte.
Tauch auf, um Gottes willen.
Tauch… auf.
Ich schwamm in wilden, panischen Zügen nach oben. Schwamm, wie sonst auch, mit ausgreifenden Armen, paddelnden Beinen, wußte, daß ich gleichzeitig, ohne es zu wollen, auch nach der Seite abtrieb.
Wahrscheinlich verbrachte ich kaum mehr als eine Minute unter Wasser. Ich tauchte durch die Oberfläche in die Nacht hinauf und schlang keuchend, brüllend fast, Luft in meine ausgehungerten Lungen, und sowie ich aufhörte zu schwimmen, zogen meine vollgesogenen Kleider und wassergefüllten Schuhe mich wieder hinab wie auf einer Wippschaukel, der absolute Horror.
Die Ertrinkenden kommen zweimal hoch, und beim dritten Mal bleiben sie unten… die Weisheit schwarzer Stun-den. Ich schwamm mit nachlassender Kraft gegen das Gewicht meiner Kleider und den Zug des Wassers und seinen unerbittlichen, strudelnden Sog an, sah nirgends Licht, nur Dunkelheit ein mühsames Luftschnappen lang, dann ging mein Kopf wieder unter, als sollte nicht ich, sondern die salzige See ihren Willen haben.
Salzwasser… ich schluckte es, bekam es in den falschen Hals. Ich brauchte meine ganze Kraft, um die Nase an die Oberfläche zu bringen, und strampelte, um sie dort zu halten. Irgendwie wußte ich, daß es ein aussichtsloser Kampf war, wollte mich aber nicht damit abfinden. Wenn man mich aus einem Boot geworfen hatte, wenn ich allein weitab vom Land war, würde es bald zu Ende gehen, und das war ein unerträglicher Gedanke. So sinnlos es schien, ich protestierte heftig gegen meine Ermordung.
Ich sah ein Glitzern auf dem Wasser, einen Lichtschein. Die Strömung trieb mich darauf zu, hinaus aus der Dunkelheit.
Elektrisches Licht.
Eine Lampe… hoch über dem Wasser… auf einem Laternenpfahl.
Mir war nicht klargewesen, wie sehr ich schon die Hoffnung verloren hatte, bis die Erkenntnis, daß Laternenpfähle nicht mitten im Meer wachsen, mich durchzuckte wie ein gutgemeinter Schlag auf den Hinterkopf. Laternenpfähle gleich Land. Land bedeutete Leben. Leben hieß auf den Laternenpfahl zuschwimmen.
Einfach.
Doch nicht so einfach. Ich konnte mich nur knapp über Wasser halten. Aber die Strömung, die mich vom Dunkeln zum Licht getragen hatte, setzte ihr gutes Werk fort und trieb mich auf den Lampenpfosten zu, wenn auch langsam, absichtslos, gleichgültig gegen ihr Treibgut.
Zwei Lampenpfosten.
Sie waren über mir, auf einer Mauer. Ich stieß dann schließlich gegen die Mauer und konnte die Lichter auf den hohen Pfosten nicht mehr sehen, wußte aber, sie waren dort. An der Mauer umgab mich wieder Dunkelheit, doch als ich mich umdrehte, konnte ich überall kleine Lichter sehen, hell, regungslos, ein ganzer Wald von Laternen.
Die Mauer war glatt und schleimig, ohne Haltegriffe. Das Wasser trug mich langsam daran entlang, zog mich weg von ihr und klatschte mich wieder gegen sie, während ich ängstlich und immer schwächer und langsamer strampelte, um zu atmen und oben zu bleiben.
Ich rief um Hilfe. Der Sog, das Klatschen und Gurgeln der Wellen erstickten meine Stimme. Als ich tief Luft holte, um nochmals zu rufen, schwappte das Salzwasser mir in den Mund, und ich war dem Ersticken nahe.
Es schien mir absurd zu ertrinken, wenn ich doch Land berühren konnte, wenn der Wellenschlag mich dem rettenden Ufer entgegentrug und wieder fort, wenn drei Meter über mir trockener Erdboden war.
Ich überlebte durch Zufall. Überlebte dank dem Architekten, der eine Treppe in die Mauer eingebaut hatte. Eine Welle hob mich in eine Art Nische in der glatten Wand und zog mich im Zurückgehen um ein Haar wieder hinaus. Beinah zu spät stieß ich meine Arme und Hände gegen den glitschigen Beton, hoffte, nur ja nicht wieder weggerissen zu werden, wartete… wartete darauf, daß mich das Wasser wieder in die Nische hineinschob, und wußte, es war die letzte Chance, das Wunder der Erlösung, wenn ich nur die Kraft hatte.
Ich rollte mit dem Wasser in die Nische und drückte meinen Körper auf eine gemauerte Stufe; spürte den Zug der zurücklaufenden Welle und stemmte mich dagegen, nutzte das tödliche Gewicht von Schuhen, Hose und Jacke als Anker. Mit der nächsten ankommenden Welle warf ich mich auf die Stufe darüber und blieb regungslos liegen, Kopf und Schultern über, Beine und Füße noch unter Wasser. Die nächste Welle brachte mich noch eine Stufe höher hinauf, so daß ich jetzt der Länge nach auf der Treppe lag und fester Boden mich umfing wie einen verlorenen Sohn, als ob er sagen wollte:»Also gut, noch nicht.«
Die Stufen waren parallel zur Mauer angelegt, die dem Meer zugewandte Seite zum Wasser hin weit offen. Ich schob mich noch eine Stufe höher und blieb einfach erschöpft liegen, schlotternd, durchgefroren, schwer gebeutelt, mit beinah völliger Funkstille im Gehirnkasten. Meine Füße, noch im Wasser, hoben und senkten sich in einem fließenden Rhythmus, und erst, als eine Welle mir über die Knie schwappte und mich wieder hinauszuspülen drohte, dämmerte mir ganz allmählich, daß die Flut lief und daß ich, wenn ich nicht weiter nach oben kletterte, bald wieder dort sein würde, wo ich hergekommen war, aber ohne die Kraft, den Kampf noch einmal aufzunehmen.
Ich rutschte hastig zwei Stufen höher. Drei. Über mir erblickte ich einen Laternenpfahl.
Als wieder eine Andeutung von Kraft in meine Glieder zurückkehrte, kroch ich weiter, immer an die Innenwand gedrückt, denn mir war himmelangst, ich könnte über den offenen Rand zurück ins Meer stürzen. In wahren Alpträumen, dachte ich, stürzt man nicht aus Hochhäusern, man fällt von Treppen, die gedacht sind, um an Bord eines Schiffes zu gelangen.
Die schier endlose Kletterpartie war zu Ende. Ich kam auf harten, trockenen, flachen Straßenbelag, schleppte ich zu dem Laternenpfahl und blieb der Länge nach mit dem Gesicht nach unten vor ihm liegen, den einen Arm um ihn geschlungen wie um mich zu vergewissern, daß wenigstens er kein Traum war.
Ich hatte keine Ahnung, wo ich war. Ich hatte zu ausschließlich um mein Leben gekämpft, um mich um solche Nebensächlichkeiten zu kümmern. Mein Kopf pochte schmerzhaft. Als ich auszuknobeln versuchte, wieso, verlor die Erinnerung sich im Nebel.
Schritte näherten sich, knirschend wie auf Kies. Einen entsetzlichen Augenblick lang dachte ich, die Leute, die mich ins Wasser geworfen hatten, hätten mich wieder gefunden, aber die Stimme, die mich von oben herunter ansprach, enthielt eine Drohung anderer Art, den heftigen Unwillen einer beleidigten niedrigen Amtsperson:»Hier dürfen Sie nicht liegen. Verschwinden Sie.«
Ich drehte mich auf den Rücken und starrte direkt in die Augen eines riesigen Hundes. Der Hund zog an einer Leine, die ein stämmiger Mensch in marineblauer Uniform mit Schirmmütze und silbern funkelnden Dienstabzeichen festhielt. Und der Hund trug einen Maulkorb, der aussah, als ob er für den Zweck nicht genügte.
«Haben Sie gehört? Sie sollen verschwinden.«
Ich wollte etwas sagen und brachte nur ein unverständliches Krächzen heraus.
Die Amtsperson sah verärgert aus. Der Hund, ein unfreundlicher Rottweiler, senkte hungrig den Kopf zu meinem Gesicht hin.
Im zweiten Anlauf sagte ich:»Ich bin ins Wasser gefallen.«
Diesmal gelangte die Botschaft an ihr Ziel, aber mit bescheidener Wirkung.
«Von mir aus können Sie den Kanal durchschwommen haben, jetzt stehen Sie auf und verschwinden Sie.«
Ich machte einen Versuch, mich aufzusetzen. Schaffte es, mich auf einen Ellbogen zu stützen. Der Hund wich vorsichtshalber einen Schritt zurück, ohne sich festzulegen.
«Wo bin ich?«fragte ich.
«Am Kai natürlich.«
Am Kai. Wo sonst?
«An welchem Kai?«fragte ich.»Welcher Hafen?«
«Was?«
«Ich… ich weiß nicht, wo ich bin.«
Meine offensichtliche Schwäche beruhigte ihn noch längst nicht. Den Hund in Bereitschaft, sagte er mißtrauisch:»Southampton natürlich.«
Am Kai von Southampton. Wieso am Kai von Southampton? Meine Verwirrung nahm zu.
«Los, kommen Sie. Hier hat niemand Zutritt, wenn die Docks geschlossen sind. Und ich kann Besoffene nicht ausstehen.«
«Ich habe mir den Kopf gestoßen«, sagte ich.
Er öffnete den Mund, als ob er sagen wollte, von ihm aus könnte ich enthauptet worden sein, meinte statt dessen aber widerwillig:»Sind Sie über Bord gegangen?«
«Ich weiß es nicht genau.«
«Trotzdem dürfen Sie hier nicht liegenbleiben.«
Ich war mir gar nicht sicher, ob ich aufstehen und gehen könnte, und das mußte er mir wohl angesehen haben, denn plötzlich streckte er die Hand aus, um mir aufzuhelfen. Mit einem Ruck zog er mich hoch, und ich hielt mich an dem Laternenpfahl fest und fühlte mich benommen.
«Sie brauchen einen Arzt«, sagte er vorwurfsvoll.
«Lassen Sie mich nur mal verschnaufen.«
«Hier dürfen Sie nicht bleiben. Das ist gegen die Vorschriften.«
Aus gleicher Höhe betrachtet, war er ein trotzig wirkender Zeitgenosse mit dicker Nase, kleinen Augen und dem dünnen, verkniffenen Mund beständigen Auf-der-Hut-Seins. Er hatte Angst vor mir gehabt, sah ich.
Sein Benehmen störte mich nicht. Als Nachtwächter in einer Hafengegend hatte man mit Dieben und anderen Halunken zu rechnen, und ein Mann, der herumlag, wo er nicht sollte, war so lange als Gefahr anzusehen, bis er sich als harmlos herausstellte.
«Haben Sie Telefon?«fragte ich.
«Im Wachraum, ja.«
Er sagte nicht, daß ich es nicht benutzen durfte, und das genügte als Einladung. Ich ließ den Laternenpfahl los und wankte unsicher ein paar Schritte, bevor ich jäh nach der Seite wegtaumelte, so sehr ich auch bemüht war, vernünftig zu sein und geradeaus zu gehen.
«He«, sagte er rauh und packte mich am Arm.»Gleich fallen Sie noch mal rein.«
«Danke.«
Er hielt mich am Ärmel und stützte mich zwar nicht direkt, war aber unbedingt eine Hilfe. Mit Füßen, die kaum zu mir zu gehören schienen, ging ich oder vielmehr schlurfte ich ein langes Hafenbecken entlang und kam endlich zu ein paar großen Gebäuden.
Wir traten durch ein hohes Eisentor in einer hohen Umzäunung und kamen auf einen Gehsteig. Vor uns lag ein Parkplatz mit einer niedrigen Mauer am Ende, dahinter verlief eine Straße. Kein Verkehr. Ich wollte nachsehen, wie spät es war, und stieß auf ein kleines Problem: keine Armbanduhr.
Ich blickte matt die Straße rauf und runter, während der Nachtwächter eine Tür aufschloß, und sah plötzlich einen Orientierungspunkt vor mir, etwas, das ich kannte; ein Gebäude, das mir genau verriet, wo ich war, wenn auch noch immer nicht, warum.
«Kommen Sie rein«, forderte der Nachtwächter mich auf.
«Der Apparat hängt an der Wand. Sie müssen das Gespräch natürlich bezahlen.«
«M-hm. «Ich nickte zustimmend, tastete nach Brieftasche und Kleingeld, fand aber weder das eine noch das andere. Leere Taschen. Der Nachtwächter beobachtete die Suche aufmerksam.
«Sind Sie ausgeraubt worden?«
«Es hat den Anschein.«
«Sie erinnern sich nicht?«
«Nein. «Ich sah auf das Telefon.»Ich kann ein R-Gespräch führen«, sagte ich.
Er winkte zustimmend. Ich nahm den Hörer von der Wand, und mir fiel ein, daß ich, wenn ich zu Hause anrief, meinen Anrufbeantworter bekommen würde. Er ließ sich zwar von fern abschalten, aber nicht per R-Gespräch. Seufzend wählte ich die Nummer, hörte meine Stimme sagen, ich sei nicht da, aber man könne eine Nachricht hinterlassen, und gab den Code zum Umschalten ein. Der Nachtwächter fragte ungehalten, was ich da machte.
«Das Amt anrufen«, sagte ich und wählte neu.
Die Telefonistin probierte meine Nummer und sagte, es melde sich niemand.
«Versuchen Sie es bitte weiter«, sagte ich eindringlich.»Ich weiß, daß jemand da ist, aber sie wird schlafen. Sie müssen sie wachkriegen.«
Lizzies Schlafzimmer lag neben meinem, wo das Telefon klingeln würde. Ich beschwor sie im stillen aufzuwachen, das Klingeln leidzubekommen, aufzustehen und an den Apparat zu gehen. Komm schon, Lizzie… Herrgott noch mal, komm.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie endlich schlaftrunken» Hallo?«sagte. Die Telefonistin fragte meiner Anweisung folgend, ob sie ein Gespräch von ihrem Bruder, Mr. Croft, aus Southampton annehme.
Als sie mit mir direkt sprach, sagte sie verwundert:»Roger? Bist du das? Ich dachte, du wärst in der Karibik.«
«Hier ist Freddie«, sagte ich.
«Aber du kannst doch nicht in Southampton sein. Rogers Schiff fährt nach Southampton.«
Erklären war unmöglich, und außerdem lauschte der Nachtwächter begierig jedem Wort.
«Lizzie«, sagte ich verzweifelt,»komm und hol mich ab. Man hat mir mein Geld geklaut… alles. Ich war im Wasser und friere und hab mir den Kopf gestoßen, und ehrlich, mir geht’s saumäßig. Komm mit dem Fourtrak, der steht draußen auf dem Parkplatz. Der Schlüssel hängt neben der Hintertür am Haken. Bitte komm.«
«Du lieber Himmel. Wohin denn?«
«Fahr zur Hauptstraße nach Newbury, aber bieg nach Süden ab. Das ist die A 34. Sie stößt auf die Umgehungsstraße von Winchester. Dann folgst du den Schildern nach Southampton, und wenn du da bist, nimmst du die Straße zum Hafen und zur Fähre nach der Isle of Wight. Das ist ausgeschildert. Ich bin… bin da am Kai. Die Fährstation ist etwas weiter unten an der Straße. Da komme ich hin… und warte auf dich.«
Sie sagte: »Zitterst du etwa?«
Ich hustete krampfhaft:»Bring mir was zum Anziehen mit. Und etwas Geld.«
«Freddie. «Sie klang erschrocken und unsicher.
«Ich weiß«, sagte ich zerknirscht,»es ist mitten in der Nacht. Du brauchst ungefähr eine Dreiviertelstunde.«
«Aber was ist denn passiert? Ich dachte, du wärst hier im Bett, aber du bist nicht ans Telefon gegangen. Wie kommst du nach Southampton?«
«Ich weiß es nicht. Also Lizzie, jetzt komm mal.«
Sie entschloß sich.»Die Isle-of-Wight-Fähre. Hafen von Southampton. Fünfundvierzig Minuten. Noch fünf, bis ich angezogen bin. Halt aus, Bruderherz. Die Kavallerie rückt an.«
«Das Kino hat ja eine Menge zu verantworten.«
«Wenigstens ist dir der Humor noch nicht vergangen.«
«Um ein Haar.«
«Bis gleich«, sagte sie und legte auf.
Ich dankte dem Nachtwächter und sagte ihm, daß meine Schwester auf dem Weg sei. Er fand, ich hätte die Polizei rufen sollen.
«Ich möchte lieber nach Hause«, sagte ich und merkte, daß ich einfach nicht daran gedacht hatte, polizeiliche Hilfe anzufordern. Das war mit zu vielen Fragen verbunden, und ich hatte nicht genug Antworten. Außerdem auch nicht mehr die nötige Ausdauer, um in einer Polizeistation auf einem harten Stuhl herumzuhocken oder meine Beulen vom Arzt untersuchen zu lassen. Angefangen hatten meine Schwierigkeiten nicht in Southampton, sondern in Pixhill, und wenn ich auch keinen Schimmer hatte, wie ich von dort nach hier gekommen war, erinnerte ich mich doch dunkel, daß ich mit dem Jaguar zum Bauernhof gefahren war und nach Harve gerufen hatte.
Die Probleme lagen vor meiner Haustür, auf meinem Hof, unter meinen Lastwagen, in meiner Firma. Ich wollte nach Hause, um ihnen auf den Grund zu gehen.