Kapitel 7

Lizzie kam nach alter Weise ihren Bruder retten.

Der Nachtwächter ließ mich die ganze Zeit in seinem unterheizten Wachraum sitzen und ging sogar so weit, mir zum Aufwärmen eine Tasse Tee zu kochen, alles unter den haßerfüllten Blicken seines wachsamen Hundes. Als die Zeiger seiner Wanduhr auf zwei zeigten, sagte er, er müsse gehen, da es Zeit für ihn sei, seine Runde zu machen; also dankte ich ihm und ging — oder schlurfte — die Straße entlang zur Fährstation und setzte mich am Ende des Gebäudes dort im Dunkeln auf das Pflaster, den Rücken an der Wand, die Arme um meine Knie geschlungen. Ich war vielleicht schon in schlimmerer Verfassung gewesen.

Nicht weit von mir, auf der anderen Seite eines durchbrochenen Metallzauns, spiegelte sich Licht im Wasser. Ich betrachtete das Bild erst zerstreut, dann nachdenklich. Wahrscheinlich gab es viele solcher Orte, wo man im Dunkeln halb bewußtlose Leute unbeobachtet in den großen Teich werfen konnte. In Southampton bot sich dafür ein meilenlanger Küstenstreifen an.

Der Fourtrak kam, verlangsamte, fuhr zögernd auf den Parkplatz und hielt an. Ich stand auf, wobei ich mich an der Wand ab stützte, und machte ein paar Schritte nach vorn, ins Licht. Lizzie sah mich, kam vom Wagen herübergelaufen und blieb ein, zwei Meter von mir entfernt plötzlich bestürzt mit großen Augen stehen.

«Freddie!«

«Ganz so schlimm kann ich doch nicht aussehen«, verwahrte ich mich.

Sie sagte mir nicht, wie ich aussah. Sie kam und legte sich einen meiner Arme um die Schultern und ging mit mir zu dem Fourtrak.»Zieh die nasse Jacke aus«, verlangte sie.»Du stirbst noch an Unterkühlung.«

Immer noch ein bißchen besser als Ertrinken, dachte ich, behielt es aber für mich.

Als wir glücklich in dem knubbeligen kleinen Wagen waren, schälte ich mich aus all den nassen Sachen heraus und zog trockene an, einschließlich gefütterter Stiefel und der wärmsten Daunenjacke, die ich besaß. Wenn schon Nägel, dann machte Lizzie sie mit Köpfen.

Ich ließ sie so nah wie möglich an den Wachraum heranfahren. Der Nachtwächter und sein Hund waren wieder da und kamen argwöhnisch heraus. Als ich ihm Geld für den ersten Telefonanruf und für seine Mühe und Freundlichkeit anbot, lehnte er empört ab, so daß man wieder Achtung vor dem Salz der britischen Erde bekam.

«Nehmen Sie nur«, sagte ich.»Ich bin es Ihnen schuldig. Trinken Sie auf mein Wohl.«

Er nahm den Schein zögernd, konnte seine Freude aber nur halb verbergen.»Eine Lungenentzündung kriegen Sie bestimmt trotzdem«, sagte er.

So wie ich mich fühlte, konnte er durchaus recht haben.

Lizzie fuhr uns auf dem Weg nach Hause, den sie gekommen war, und warf alle paar Sekunden einen Blick auf mich. Mein kältebedingtes Zittern und Beben ließ allmählich nach, bis mir schließlich auch in den Eingeweiden wieder warm wurde, doch mit der Wärme stellte sich prompt eine überwältigende Müdigkeit ein, so daß ich mich nur noch hinlegen und schlafen wollte.

«Aber was ist denn passiert?«fragte Lizzie.

«Ich bin zum Bauernhof gefahren.«

«Du sagtest, du wolltest das Tor zumachen«, nickte sie.

«Ja? Nun… irgend jemand hat mir eins über den Schädel gegeben.«

«Freddie! Wer denn?«

«Weiß ich nicht. Als ich zu mir kam, wurde ich gerade ins Wasser geworfen. Schon gut, daß ich aufgewacht bin.«

Wie vorauszusehen, war sie entsetzt.»Die wollten, daß du ertrinkst.«

«Da bin ich mir nicht so sicher. «Das verwirrte mich schon, seit ich wieder bei Bewußtsein war.»Wenn die mich töten wollten, warum dann nicht gleich? Wieso fahren sie mich erst zum Hafen von Southampton? Wenn sie mich unbedingt ertränken wollen, gibt’s dafür einen wunderbaren Teich in Pixhill.«

«Scherz nicht darüber.«

«Was soll’s«, sagte ich.»Alles, was ich noch von denen in Erinnerung habe, ist, wie einer gesagt hat: >Wenn er davon nicht die Grippe kriegt, weiß ich’s auch nicht.««

«Aber das ist doch Unsinn.«

«M-hm.«

«Wie viele waren es?«

«Zwei müssen es schon gewesen sein. Warum sollte einer sonst reden?«

«Bist du sicher, daß das der Wortlaut war?«

«Ziemlich.«

«Was für ein Akzent? Hast du die Stimme gekannt?«

«Nein«, beantwortete ich die zweite Frage zuerst.»Kein Eton-Akzent. Derb irgendwie.«

Lizzie sagte:»Du mußt zur Polizei gehen.«

Ich schwieg, und sie sah mich viel zu lange an, selbst für leichten Verkehr.»Du mußt«, sagte sie.

«Paß auf die Straße auf.«

«Du bist ein Arsch.«

«Ja.«

Sie fuhr jetzt jedoch mit größerer Aufmerksamkeit, um uns heil nach Hause zu bringen, und ich fragte mich, was es wirklich nützen würde, wenn ich zur Polizei ging.

Sie würde meine Aussage aufnehmen. Vielleicht würde sie bei dem Nachtwächter rückfragen, ob ich tatsächlich in Southampton aus dem Wasser gestiegen war. Ich könnte ihr sagen, daß es sich nicht um einen geplanten Hinterhalt handelte, da ich fünf Minuten vorher noch nicht gewußt hatte, daß ich zum Bauernhof fahren würde. Ich war unverhofft aufgetaucht, und man hatte mich geschickt daran gehindert herauszufinden, wer dort war und weshalb.

Ebenso spontan hatten sie mich wohl nach Southampton geschleppt. Da sie mich lebend, aber scheinbar bewußtlos ins Wasser geworfen hatten, konnte es sie nicht weiter gekümmert haben, ob ich am Leben blieb oder starb… fast als hätten sie darüber nicht entschieden, sondern es dem Schicksal überlassen.

Unsinnig, wie Lizzie gesagt hatte. Da würde jeder skeptisch sein, erst recht die Polizei. Und was würde sie unternehmen? Sie konnte und würde mich nicht Tag und Nacht gegen mögliche widersinnige Mordanschläge schützen. Wenn ich nicht unverhofft nachts in dunkle Winkel marschierte, warum sollte mich noch mal jemand angreifen?

Ein Großteil dieser holprigen Gedankengänge mochte das Ergebnis einer Gehirnerschütterung sein. Wahrscheinlich entsprangen sie aber der bekannten Abneigung gegen Befragungen der unfreundlichen Art, bei denen das Verbrechen als die Schuld des Opfers angesehen wird.

Vorsichtig befühlte ich meinen nur noch gedämpft pochenden Hinterkopf und zuckte bei der Berührung zusammen. Falls ich geblutet hatte, war das Blut weggewaschen worden. Meine Haare waren trocken. Ich fühlte eine Beule und eine Abschürfung, aber keine klaffende Wunde und keine Delle im Schädel. Verglichen mit den Verletzungen, die man bei Hindernisrennen davontragen konnte, gehörten die hier zur Kategorie» Morgen geht’s wieder«. Wenn man bei einem Sturz im Rennen das Bewußtsein verlor, verordneten die Ärzte bis zu drei Wochen Startverbot. Ich würde mir für den Rest der Nacht Startverbot erteilen, dachte ich, und vielleicht am Donnerstag nicht nach Cheltenham fahren. Das mußte genügen.

Der Fourtrak schnurrte uns auf direktem Weg nach Hause. Southampton war der nächste Küstenort von Pixhill aus; der nächste Fluthafen, wo ein Leichnam unbemerkt vor Tagesanbruch von der Ebbe hinausgetragen werden konnte.

Denk nicht mehr dran, sagte ich mir. Ich lebte, war trok-ken, und die Alpträume konnten warten.

Lizzie bog auf die Einfahrt und fuhr ums Haus, und wir sahen, daß während unserer Abwesenheit etwas unglaublich Gemeines geschehen war.

Mein Jaguar XJS, mein schöner Wagen, war mit Vollgas in Lizzies Robinson 22 hineingerammt worden. Die beiden herrlichen Maschinen waren ineinander verkeilt, in einer tiefen metallischen Umarmung verschlungen, beide verbogen und zerdrückt, die ramponierte Kühlerhaube des Jaguars ragte in die Kanzel des Hubschraubers, deren runde Frontscheibe zu spitzen Scherben zersprungen war. Die Landekufen waren eingeknickt, und das Gewicht des Helikopters bohrte sich ins Wagendach; die Drehflügel hingen in einem unmöglichen Winkel, einer lag abgebrochen am Boden.

Man konnte nur froh sein, daß nichts in Flammen aufgegangen oder explodiert war. In jeder anderen Hinsicht waren die beiden schnellen Geräte, unser ein und alles, unsere Traumseelen, tot.

Die Außenbeleuchtung am Haus brannte und ließ die Wracks funkeln. Ein makabrer, aber atemberaubender Anblick, eine glitzernde Vereinigung.

Lizzie brachte den Fourtrak mit einem Ruck zum Stehen und hielt fassungslos, wie vom Schlag gerührt, die Hand vor dem Mund. Ich stieg langsam auf der Beifahrerseite aus und ging auf die Trümmer zu, aber da war nichts zu machen. Man würde einen Kran und einen Abschleppwagen brauchen, um diese Vermählung wieder zu scheiden.

Ich ging wieder zu Lizzie, die jetzt auf dem Asphalt stand und sagte:»O mein Gott, o mein Gott…«und sich bemühte, nicht zu weinen.

Ich legte den Arm um sie. Sie schluchzte trocken an meiner Brust.

«Warum?«Sie würgte das Wort hervor.»Warum?«

Ich hatte keine Antwort, nur schmerzliches Bedauern für sie, für mich, für die willkürliche Zerstörung hoch entwik-kelter Technik.

Bei ihr schlug der Kummer rasch in Zorn und Haß und Rachsucht um.

«Den bring ich um, das Schwein. Ich bring ihn um. Ich dreh ihm den Hals um.«

Sie ging um den Hubschrauber herum, bearbeitete ihn mit den Fäusten.

«Ich liebe die verdammte Mühle, ich lieb das Ding, den bring ich um.«

Mir ging es ganz ähnlich. Ich dachte dumpf, daß wenigstens wir selbst noch lebten, auch wenn ich nur knapp dem Tod entgangen war, und daß das vielleicht genügte.

Ich sagte:»Lizzie, komm da weg, in den Tanks ist noch Sprit.«

«Ich rieche nichts. «Sie kam trotzdem zu mir herüber.»Ich könnte platzen vor Wut.«

«Laß uns reingehen und was trinken.«

Sie ging steifbeinig mit mir zur Hintertür.

An der Tür war eine Glasscheibe zerbrochen.

«O nein!«sagte Lizzie.

Ich drückte die Klinke herunter. Offen.

«Ich hatte abgeschlossen«, sagte sie.

«M-hm.«

Man mußte den Tatsachen ins Auge blicken. Ich ging in das große Zimmer und wollte Licht machen. Der Lichtschalter war aus der Wand gehackt. Nur im Mondlicht konnte man die Verwüstung sehen.

Wie es schien, hatte da jemand mit einer Axt gewütet. Die Einrichtung war nicht bloß beschädigt, sondern kurz und klein geschlagen. Es war hell genug, um die Einschläge an den Möbeln zu sehen, die zerschmetterten Tischlampen, die Trümmer des Fernsehers, den gespaltenen Computerbildschirm, die Schlitze in meinem Ledersessel, die nackten, aus meinem antiken Schreibtisch herausgehackten Splitter.

Anscheinend war nichts verschont geblieben. Bücher und Zeitschriften lagen zerfetzt auf dem Fußboden. Die Osterglocken, die ich für Lizzie gepflückt hatte, waren zertrampelt, die Waterfordvase, in der sie gestanden hatten, lag in Scherben.

Die gerahmten Fotos aus meiner Rennsportzeit waren von den Wänden gerissen und nicht mehr zu retten. Die erlesene Sammlung von Porzellanvögeln, ein Erbstück unserer Mutter, war dahin.

Offenbar gingen Lizzie die Vögel am meisten zu Herzen. Sie saß auf dem Boden, die Tränen liefen ihr in den Mund, und sie hielt die kläglichen, nicht mehr zu reparierenden Bruchstücke an ihre Lippen, wie um sie zu trösten. Trauer um unsere Kindheit, unsere Eltern, unser vergangenes Leben.

Ich lief durch das übrige Haus, doch in die anderen Räume war niemand eingedrungen, nur in das Herzstück, wo ich lebte.

Das Telefon auf meinem Schreibtisch würde nie wieder klingeln. Der Anrufbeantworter war entzweigehackt. Ich ging hinaus zu dem Telefon im Fourtrak und weckte Sandy Smith auf.

«Tut mir leid«, sagte ich.

Er kam in seinem Wagen und in seiner Uniform, die er aber über den Pyjama gestreift hatte, ohne die marineblaue Jacke zuzuknöpfen, so daß man die behaarte Brust sah. Entgeistert bestaunte er das Amalgam aus Jaguar und Helikopter und nahm eine Taschenlampe mit ins Haus.

Der Lichtstrahl fiel auf Lizzie, die Vögel, die Tränen.

«Ganze Arbeit«, meinte Sandy zu mir, und ich nickte.

«Guten Morgen, Miss«, sagte er zu Lizzie, ein höflicher Gruß, der seltsam verfehlt wirkte, aber sicher nett gemeint war.

Zu mir sagte er:»Wissen Sie, wer das getan hat?«

«Nein.«

«Vandalismus«, sagte er.»Übel.«

Eine gräßliche, beklemmende Angst überkam mich, und ich bat ihn, mit mir zum Bauernhof zu fahren.

Er hatte Verständnis für meine Sorge und erklärte sich sofort dazu bereit. Lizzie, die noch immer einen Flügel und den Kopf eines Vogels in den Händen hielt, sagte, sie wolle mitkommen, wir könnten sie doch nicht allein im Haus lassen.

Wir fuhren in Sandys Wagen, mit Blinklicht, aber ohne Sirene. Das Tor zum Bauernhof stand noch offen, doch die Transporter selbst waren unangetastet, und mir wurde vor Erleichterung fast schlecht.

Die Büros waren abgeschlossen. Meine Schlüssel waren längst verschwunden, doch im Halbdunkel durchs Fenster betrachtet sahen die drei Räume so ordentlich aus wie sonst auch. Die Kantine mit ihrer offenen Tür war ebenfalls in Ordnung.

Ich ging weiter zur Scheune. Der Geräteraum war zu. Nichts sah verändert aus. Ich kehrte zu Sandy und Lizzie zurück und resümierte: kein Schaden und niemand da.

Sandy starrte mich merkwürdig an.

«Miss Croft«, sagte er,»meint, es hat jemand versucht, Sie umzubringen.«

«Lizzie!«fuhr ich auf.

Lizzie sagte:»Wachtmeister Smith wollte wissen, wo wir gewesen sind, als das ganze… das bösartige Zerstörungswerk im Haus gelaufen ist. Ich mußte es ihm sagen. Es ging nicht anders.«

«Ich weiß nicht, ob mich wirklich jemand umbringen wollte«, sagte ich. Ich erzählte Sandy kurz von meinem Erwachen in Southampton.»Vielleicht hat man mich dorthin geschafft, um Zeit für den Überfall aufs Haus zu gewinnen.«

Sandy ging mit sich zu Rate, knöpfte geistesabwesend seine Uniformjacke zu und erklärte, daß er wohl nicht umhin könne, seine Dienststelle zu benachrichtigen.

«Hat das nicht bis zum späten Vormittag Zeit?«fragte ich.

«Ich könnte etwas Schlaf gebrauchen.«

«Seit vorigen Donnerstag haben Sie zwei Tote auf Ihrem Grundstück gehabt«, hob Sandy hervor.»Und jetzt das. Ich bekomme Ärger, Freddie, wenn ich das nicht sofort melde.«

«Die zwei Toten waren Unfälle.«

«Ihr Haus ist keiner.«

Ich zuckte die Achseln und lehnte mich an seinen Wagen, während er anrief. Nein, sagte er, niemand sei tot, niemand verletzt, es handle sich um Sachbeschädigung. Er nannte meine Privatanschrift und erhielt Weisungen, die er anschließend an mich weitergab. Zu gegebener Zeit würden zwei Kriminalbeamte in Zivil vorbeikommen.

«Was heißt zu gegebener Zeit?«fragte Lizzie.

«In Winchester ist ein großes Ding passiert«, sagte Sandy.

«Sobald sie können also.«

«Warum haben Sie gesagt, es sei niemand verletzt?«Lizzie hörte sich empört an.»Freddie ist doch verletzt worden.«

Sandy betrachtete mich wissend.»Verletzt ist für ihn, wenn er sich beide Beine gebrochen hat und die Eingeweide raushängen.«

«Männer!«sagte Lizzie.

Sandy wandte sich an mich:»Möchten Sie, daß ich Dr. Farway anrufe?«

«Nein.«

Er hörte, wie entschieden die Antwort kam, und lächelte Lizzie an.»Sehen Sie?«

«Wie spät ist es?«fragte ich.

Sandy und auch Lizzie sahen auf die Uhr.»Zwei Minuten nach halb vier«, sagte Sandy die genaue Zeit.»Meine

Meldung an die Zentrale ist um 3 Uhr 26 aufgenommen worden.«

Immer noch an Sandys Wagen gelehnt, konnte ich mich nicht entscheiden, was ich bewachen sollte, mein Geschäft oder mein Zuhause. Vielleicht war der schon angerichtete Schaden noch nicht alles. Wenn jemand so sinnlos ausrastete, daß er auf Osterglocken herumtrampelte, kam man mit logischen Voraussagen nicht weit. Wände beschmieren, Fenster einwerfen, plündern, zerstören als Selbstzweck, darin liegt das natürliche Vergnügen der ungezähmten Menschheit. Zivilisation und soziales Gewissen sind aufgesetzt.

Die Seitentür von Harves Haus ging direkt auf den Bauernhof. Sichtlich besorgt kam er in Jeans und einem rasch übergestreiften Anorak herausgestürzt.

«Freddie! Sandy!«Seine Erleichterung hielt sich in Grenzen.

«Einer von meinen Kleinen ist aufgestanden, weil er mal mußte, und dann weckt er mich und sagt, bei den Transportern steht ein Polizeiauto. Was ist passiert?«Er blickte die geschlossene Fahrzeugreihe entlang und fragte verwirrt noch einmal:»Was ist denn los?«

«Irgendwelche Vandalen sind in mein Haus eingebrochen«, erklärte ich.»Wir wollten nachsehen, ob sie auch hier gewesen sind, aber hier waren sie nicht.«

Harve sah eher noch beunruhigter aus.

«Ich habe spät noch eine Runde gemacht. Da war alles in Ordnung.«

«Um welche Zeit?«fragte ich.

«Na, so gegen zehn.«

«Hm«, sagte ich,»Und Sie waren nicht zufällig vielleicht eine Stunde später noch mal hier? Sie haben nichts gehört?«

Er schüttelte den Kopf.»Als ich rein bin, hab ich mir kurz ein Video von einem Fußballspiel angesehen und bin ins Bett. «Er sah immer noch besorgt aus.»Warum?«

«Ich war ungefähr um halb elf hier. Das Tor stand offen, und jemand lief herum. Ich dachte, das wären Sie.«

«Nein, nicht um diese Zeit. Ich hab um zehn das Tor geschlossen. Weil um zehn alles wieder im Nest war.«

«Danke, Harve.«

«Aber wer war denn um halb elf hier?«wollte er wissen.

«Das ist es ja gerade, ich weiß es nicht. Ich habe niemand so genau gesehen, daß ich feststellen konnte, ob ich ihn kenne oder nicht.«

«Wenn die aber doch nichts beschädigt haben…«, Harve runzelte die Stirn,»was wollten sie dann hier?«

Das war eine gute Frage, aber im Augenblick lag mir nichts daran, die einzige Erklärung anzuführen, die mir dazu einfiel. Außerdem war sie logisch: vielleicht zu logisch für die poltergeisternde Unvernunft von so vielem, was in dieser Nacht geschehen war.

Sandy und Lizzie erzählten Harve gemeinsam von meinem Bad im Meer, während Harves Gesicht immer entsetzter wurde.

«Sie hätten ertrinken können!«rief er aus.

«M-hm. Aber es ging ja noch mal gut.«

Ich bat Harve, für den Rest der Nacht auf dem Hof Wache zu halten.»Setzen Sie sich in Ihren Transporter«, schlug ich vor,»und rufen Sie mich an, sobald Ihnen draußen was komisch vorkommt.«

Nachdem er mir versprochen hatte, nur schnell noch seiner Frau Bescheid zu sagen und sich eine Decke und etwas Warmes zu trinken zu holen, fuhr ich mit Sandy und Lizzie wieder nach Hause und ließ sie in der Küche bei damp-fendem Tee über das liebe Leben herziehen. Ich selbst ging müde nach oben, entschloß mich zu duschen, legte mich statt dessen in den Winterstiefeln und der Daunenjacke aufs Bett, spürte kurz, wie sich der Erdball drehte, und sank unverzüglich in einen schweren Schlaf.

Ich wachte erst auf, als Lizzie mich schüttelte und eindringlich rief:»Freddie! Freddie, bist du in Ordnung?«

«M-hm. «Ich kämpfte mich aus der Tiefe hoch.»Was ist denn?«

«Die Polizei ist da.«

«Bitte?«

Verständnis und Erinnerung kehrten mit unwillkommener Klarheit zurück. Ich stöhnte. Mir war nicht gut. Ich dachte ohne besonderen Grund an Alfred, den König von Wessex, der sein Land von den dänischen Invasoren befreit hatte, obwohl er von der Hälfte aller im neunten Jahrhundert bekannten Krankheiten befallen war. Welche Seelenstärke! Und Latein schreiben und übersetzen konnte er auch noch.

«Freddie, die Polizei möchte dich sprechen.«

König Alfred hatte Hämorrhoiden gehabt, hatte ich mal gelesen. Alles in allem kein Wunder, daß er die Plätzchen der Bäuerin hatte anbrennen lassen.

«Freddie!«

«Sag ihnen, ich bin in fünf Minuten unten.«

Als sie gegangen war, stieg ich aus den dicken Klamotten, duschte, rasierte mich, zog frische Sachen an, kämmte mir sorgfältig die Haare und begann zumindest äußerlich wieder auszusehen wie unser aller F. Croft, Herr über ein paar Dinge, vor denen er lieber die Augen verschlossen hätte.

Das Wohnzimmer sah im trüben Morgenlicht nicht besser aus, und alle Energie war aus dem Wust von Metall verschwunden, der einmal mein geliebtes Auto war. Die beiden Polizisten, die ich von dem einen Fiasko zum anderen führte, waren nicht dieselben, die mich wegen Jogger aufgesucht hatten. Sie waren älter, müder, abgearbeitet und wenig beeindruckt von meinen Schwierigkeiten, die ich mir ihrer Ansicht nach offenbar selbst eingebrockt hatte. Ich beantwortete ihre Fragen einsilbig, teils aus Unwohlsein, hauptsächlich aus Unwissenheit.

Nein, ich wußte nicht, wer den ganzen Schaden angerichtet hatte.

Nein, ich konnte es mir auch nicht denken.

Nein, von mißgünstigen Konkurrenten war mir nichts bekannt.

Hatte ich einen Arbeiter entlassen? Nein. Einer war kürzlich aus freien Stücken gegangen.

Hatte ich persönliche Feinde? Nicht, daß ich wüßte.

Ich mußte welche haben, sagten sie. Jeder hatte Feinde.

Nun ja, überlegte ich im Gedanken an Hugo Palmerstone, ich hatte keinen persönlichen Feind, der sicher sein konnte, daß mein Haus am Mittwoch morgen um zwei während der Renntage von Cheltenham leer sein würde. Es sei denn, natürlich, der Betreffende selbst hatte mir eins über den Schädel gegeben.

Wer mich denn derart haßte? Wenn ich das wüßte, erwiderte ich, würde ich es ihnen bestimmt sagen.

War etwas gestohlen worden?

Die Frage erwischte mich kalt. Es war so viel zu Bruch gehauen, daß ich an Diebstahl gar nicht gedacht hatte. Mein Wagen hätte gestohlen werden können. Mein Fernseher, mein Computer, die Porzellanvögel, die Waterford-vase, all das war wertvoll gewesen. Ich hätte noch nicht in meinen Safe gesehen, sagte ich lahm.

Sie begleiteten mich wieder ins Haus und schauten sich an, als könnten sie nicht glauben, daß ich den Safe nicht als erstes kontrolliert hatte.

«Da ist nicht viel drin«, sagte ich.

«Geld?«

«Ja, Geld.«

Wieviel war nicht viel? Unter tausend, sagte ich.

Der Safe stand in einer Ecke hinter meinem Schreibtisch, das feuerfeste Metallgehäuse verborgen in einem Schrank aus poliertem Holz. Die unbeschädigte Schranktür öffnete sich leicht, doch das Zahlenschloß im Innern war mit derselben schweren Axtklinge bearbeitet worden wie alles andere. Das Schloß hatte dem Angriff widerstanden, doch sein Mechanismus war blockiert.

«Gestohlen worden ist nichts«, sagte ich.»Der Safe geht nicht auf.«

Das Faxgerät auf dem Geldschrank würde keine Nachrichten mehr übermitteln. Der Fotokopierer auf dem Tisch daneben hatte auskopiert. Je ein Schlag auf beide hatte ihr Leben beendet.

Mein Zorn, nicht sofort aufflammend und tränenvoll wie der von Lizzie, sondern eine langsam schwelende Wut, steigerte sich jäh beim Anblick der beiden böswillig zerstörten Geräte, die ich — und die Versicherung — ohne weiteres ersetzen konnten. Die unnötige Brutalität regte mich auf. Wer immer das alles getan, wer immer mich ins Wasser geworfen hatte, der wollte mich leiden sehen, wollte mich fühlen lassen, was ich jetzt fühlte. Ich entschloß mich, niemandem auch noch die Freude zu machen, mich schreien und stöhnen zu hören. Ich würde herausfinden, wer und warum, und die Rechnung begleichen.

Die Polizisten fragten nach meinem SouthamptonAusflug, aber da konnte ich ihnen wenig sagen: Ich war ins Wasser geworfen worden, war geschwommen, an Land geklettert, hatte meine Schwester angerufen, damit sie mich abholte.

Nein, ich hatte nicht gesehen, wer mir den Schlag versetzt hatte.

Nein, ich war nicht beim Arzt gewesen. Nicht nötig.

Noch während ich ihnen sagte, ich hätte keinerlei Erinnerung an die Fahrt nach Southampton, dämmerte mir, daß ich irgendwann die Augen aufgehabt hatte. Ich hatte das Mondlicht gesehen. Ich hatte sogar etwas gesagt. Ich hatte gesagt:»Wunderschöne Nacht zum Fliegen. «Im Tran.

«Wenn er davon nicht die Grippe kriegt, weiß ich’s auch nicht.«

Sie hatten gewußt, dachte ich, daß ich wenigstens halb bei Bewußtsein war, als sie mich reingeworfen hatten.

Eine Gehirnerschütterung war, wie ich schon früher hatte beobachten können, unberechenbar. Lange nach dem Sturz oder dem Schlag konnten Erinnerungsfetzen auftauchen. Und man konnte dem Anschein nach bei Besinnung sein, so daß die Leute sagten, man sei gelaufen, man habe geredet, aber man selbst wußte hinterher nichts davon. Stunden, Tage oder Wochen nach dem Geschehen konnte die vollständige Erinnerung wiederkehren, aber in anderen Fällen blieb für immer ein weißer Fleck. Ich entsann mich, wie mir einmal das Gras ins Gesicht geknallt war; ich erinnerte mich, an welchem Hindernis ich im zweiten Rennen des Tages gestürzt war und mit welchem Pferd. Aber bis heute konnte ich mich weder daran erinnern, wie ich an dem Morgen zur Rennbahn gefahren war, noch an das erste Rennen, das ich den Berichten zufolge eine halbe Stunde vor dem Sturz mit sieben Längen gewonnen hatte.

Ich war im Kofferraum eines Pkws nach Southampton transportiert worden. Die Erkenntnis kam einfach so. Ich wußte nicht, woher ich es wußte, aber ich war mir sicher.

Die Polizei hatte einen Fotografen mitgebracht, der ein paar Blitzlichtaufnahmen schoß und wieder verschwand, und einen Fingerspurensucher, der länger blieb, für seinen Befund aber nur ein Wort brauchte:»Handschuhe.«

Lizzie geisterte um ihren Hubschrauber herum, streichelte ihn hin und wieder und murmelte» Schweine «vor sich hin. Sie sagte, sie werde den Pendelflug nach Edinburgh nehmen müssen, da sie am Nachmittag eine Vorlesung gebe. Sie schwor, daß die Mitbesitzer des Hubschraubers dem, der ihn zerdonnert hatte, den Hals umdrehen würden.

Erst mal finden, dachte ich.

Der Morgen schien aus den Fugen. Die Polizei nahm eine Aussage auf, die das, was sie vorgefunden und was ich ihnen erzählt hatte, in Polizeisprache faßte, und ich unterschrieb das Protokoll in der Küche. Sandy machte Tee. Die anderen Polizisten probierten ihn und sagten:»Mer-ci.«

«Merci«, sagte ich auch. Immer noch daneben, dachte ich.

Einer der Kripoleute sagte, er halte die Beschädigung meines Eigentums für einen privaten Racheakt. Ich solle einmal darüber nachdenken. Vielleicht wüßte ich irgendwie doch, wer mich überfallen hätte. Er riet mir davon ab, auf eigene Faust Rache zu nehmen.

«Ich weiß nicht, wer das war«, sagte ich wahrheitsgemäß.

«Sonst würde ich es Ihnen sagen.«

Er sah mich an, als ob er mir nicht glaubte.»Denken Sie nach, Sir. «Ich unterdrückte einen ärgerlichen Ausbruch und dankte ihnen für ihr Kommen. Lizzie trat in die Küche und sagte ziemlich laut:»Schweine. «Fast hätte ich gelacht. Sie nahm sich einen Becher Tee und spazierte wieder hinaus.

Als seine Kollegen gegangen waren, sagte Sandy verlegen:

«Das sind schon gute Kerle, wissen Sie.«

«Bestimmt.«

«Die haben schon so viel gesehen«, sagte er.»Ich habe auch zuviel gesehen. Es ist schwer, immer wieder Mitgefühl zu haben. Zum Schluß empfinden wir keins mehr. Verstehen Sie, was ich meine?«

«Sie sind selbst ein guter Kerl, Sandy«, sagte ich.

Er schien sich zu freuen und machte mir ein Gegenkom-plimemt.

«Sie sind beliebt in Pixhill«, sagte er.»Ich hab noch nie jemand schlecht über Sie reden hören. Ich glaube, wenn Sie so schlimme Feinde hätten, dann hätte ich davon gehört.«

«Hätte ich auch gedacht, daß mir das nicht entgangen wäre.«

«Ich glaube, das war Zerstörung als Selbstzweck. Das hat denen Spaß gemacht.«

Ich seufzte.»Ja.«

«Erst vorige Woche«, sagte er,»hat dreimal jemand auf dem Parkplatz eines Supermarkts in Newbury einen Einkaufswagen in ein Auto gerammt. Regelrecht die Seiten von den Autos eingedrückt, das Blech lädiert, den Lack zerkratzt. Nur so, um mal richtig hinzulangen. Die Leute entdecken den Schaden, wenn sie wiederkommen, und ihre Verärgerung ist das schlimmste daran. Der Supermarkt läßt den Parkplatz bewachen, aber bis jetzt hat noch nie-mand den Rowdy erwischt. Gegen diese Art Vandalismus kommt man nicht an. Und wenn er eines Tages auf frischer Tat ertappt wird, kriegt er bloß Bewährung.«

«Wahrscheinlich ist es ein Teenager.«

Sandy nickte.»Das sind die schlimmsten. Aber denken Sie an Brandstifter, die sind meistens schon etwas älter. Und ich glaub nicht, daß es ein Teenager war, der hier eingedrungen ist.«

«Was meinen Sie, wie alt?«

Sandy schürzte die Lippen.»In den Zwanzigern, vielleicht auch Dreißigern. Nicht viel älter als vierzig. Danach geht dieser Trieb zurück. Es gibt keine Sechzigjährigen, die so was machen. Die kommen eher wegen Betrug vor den Kadi.«

Ich dachte über einiges nach und sagte:»Wissen Sie, daß Joggers Werkzeug aus seinem Wagen gestohlen wurde?«

«Ja, hab ich gehört.«

«Er hatte eine Axt im Wagen.«

Sandy bekam große Augen.»Ich dachte, das war Mechanikerwerkzeug.«

«Er hatte ein Rollbrett und eine große, offene rote Plastikkiste mit einem Wagenheber, Schraubenschlüsseln, Montiereisen, Starthilfekabeln, Zangen, Leitungsdraht, Schmierpistole, Putzlumpen, allem möglichen Krimskrams… und eine Axt, wie die Feuerwehrleute sie benutzen, hatte er auch immer dabei, seit mal ein Baum auf einen von den Transportern gekracht ist. Da hat die Firma mir noch nicht gehört.«

Sandy nickte.»Ich erinnere mich. Das war bei so einem orkanartigen Sturm.«

«Sie könnten sich im Ort mal nach Joggers Sachen umtun.«»Ich werde es an die Glocke hängen«, sagte er ernst.

«Sagen Sie, es gibt eine Belohnung. Nichts Tolles, aber so, daß ein brauchbarer Hinweis sich auszahlt.«

«In Ordnung.«

«Ist heute nicht auch der Leichenschautermin von Jog-ger?«

Sandy sah erschrocken auf seine Uhr.»Ich muß weg. Ich bin noch nicht rasiert und angezogen.«

«Sie rufen mich ja sicher nachher an.«

Er versprach mir, das zu tun, und fuhr los. Lizzie kam gähnend in die Küche und sagte, falls ich sie brauchte, sei sie oben in der Heia. Ich solle sie bitte um elf wecken und sie nach Heathrow zum Flugzeug bringen. Sie hatte gerade von meinem Schlafzimmeranschluß aus einem ihrer Partner vom Ableben des Robinson 22 erzählt. Er war sprachlos, sagte sie. Er werde die Versicherung informieren, wenn er seine Stimme wiederfand, und wahrscheinlich würde ich davon noch hören, da die Versicherung bestimmt einen Gutachter schickte. Könnte ich meinen Wagen bis dahin vielleicht lassen, wo er war? Tja, warum nicht.

Sie gab mir geistesabwesend einen Kuß auf die Wange und empfahl mir, wieder ins Bett zu gehen.

«Ich fahre zum Bauernhof«, sagte ich.»Zuviel zu tun.«

«Dann schließ hinter dir ab, sei so gut.«

Ich schloß die Hintertür ab und fuhr zum Bauernhof, wo ich Nina vorfand, die in der Kantine mit Nigel Kaffee trank. Sie besprachen die Fahrt nach Frankreich, zur Überführung des Springpferdes der Tochter von Jericho Rich, und Nina schien blind für Nigels dunkel bewimperte Augen und seinen sinnlichen Mund. Sie hatten von Harve schon alles über die Schrecken der Nacht gehört und sagten, sie freuten sich, daß ich wieder auf dem Damm sei.

Nina nahm ihren Kaffee und folgte mir ins Büro.

«Geht’s Ihnen wirklich gut?«fragte sie.

«Mehr oder weniger.«

«Ich habe Neuigkeiten für Sie«, sagte sie und zögerte,»aber…«

«Schießen Sie los. Geht es um die kleinen Glasröhrchen?«

«Was? Nein, über die ist noch kein Bericht da. Es dreht sich um die Anzeige in Horse & Hound.«

Ich dachte zurück. So vieles war seit Sonntag auf mich eingestürmt.»Ach ja… die Transportanzeige. >Alles kommt in Betracht.««

«Ja, genau. Patrick hat sich von der Zeitung sagen lassen, wer sie aufgegeben hat. Und Sie werden staunen…«

«Raus damit.«

«Es war ein Mr. K. Ogden aus Nottingham.«

«Nein!«Meine Augenbrauen schnellten hoch.»So, so, das ist ja allerdings erstaunlich.«

«Dachte ich mir, daß Sie das finden. Die Zeitung sagt, sie hat ihn überprüft, als er mit dem Inserat ankam. Sie wollte sicher sein, daß nichts Ungesetzliches dahintersteckt. Anscheinend kam sie zu der Überzeugung, daß Mr. Ogden brav und redlich seine Dienste als Berater oder persönlicher Kurier anbot, so eine Art Mädchen für alles. Die Telefonnummer in der Anzeige ist sein Privatanschluß. Das hat die Zeitung nachgeprüft. Sie nimmt an, daß die Anzeige ihm Aufträge gebracht hat, da er sie immer weiter hat laufen lassen.«

«Donnerwetter«, sagte ich verdutzt.»Aber so gut kann es ihm auch wieder nicht gegangen sein. Man hat ihn ja wegen Scheckbetrug und anderer kleiner Schwindeleien gesucht. Vielleicht hat Horse & Hound ihn für seriös be-funden — und vielleicht war er das auch mal —, aber ich vermute, er hat sich um die Rechtmäßigkeit seiner Aufträge nicht weiter gekümmert, solange er dafür bezahlt wurde.«

«Das können Sie nicht einfach unterstellen«, protestierte sie streng.

«Es liegt nahe. «Ich zuckte die Achseln.»Aber ich will den Zweifel zu seinen Gunsten auslegen. Vielleicht hat er nicht gewußt, daß in der Thermosflasche sechs Röhrchen waren. Immerhin möglich. Wetten würde ich nicht drauf.«

«Zyniker.«

«Nach der vergangenen Nacht bin ich in allem zynisch.«

«Was hält die Polizei von vergangener Nacht?«

«Sie hat nicht viel gesagt. Sie meinte, ein kluger Mann kennt seine Feinde, oder etwas in diesem Sinne.«

«Oh. «Sie kniff die Augen zusammen.»Und kennen Sie sie?«

«Ich glaube, Sandy Smith hat recht. Meine Sachen sind aus hemmungsloser Zerstörungswut kurz und klein geschlagen worden, nach dem Lustprinzip. Ich glaube, ich bin auf dem Bauernhof aufgetaucht, als keiner mit mir gerechnet hat, und der Rest war schmückendes Beiwerk. Infantile Schadenfreude. Kindischer Drang, einem weh zu tun.«

«Muß ja ein komisches Kind gewesen sein, wie sich das anhört.«

«Dann eben ein unreifer Erwachsener.«

«Oder ein Psychopath.«

«Ein treffenderes Wort dafür.«

Sie trank ihren Kaffee aus.»Wir machen uns wohl am besten mal auf den Weg, wenn wir die Fähre erwischen wollen. Ist denn jetzt ernstlich damit zu rechnen, daß auf der Fahrt was Komisches passiert?«»Ich weiß es nicht. Hab ich Ihnen genau gesagt, wo der Behälter unter Ihrem Lastwagen ist?«

«Nicht genau, nein.«

«Es ist eine vorn und hinten befestigte Metallröhre in einem Zwischenraum unter dem Aufbau und über den Dieseltanks. Der Zwischenraum befindet sich außerhalb des Rahmens, wird aber durch die Seiten des Aufbaus verdeckt. Von außen oder von unten ist die Stelle nicht sichtbar, aber wenn man weiß, daß die Röhre dort ist, ist leicht dranzukommen. Man kann im Nu die Verschlußkappe abschrauben, hat Jogger gesagt.«

«Vielleicht geh ich mal drunter und seh’s mir an.«

Lieber sie als ich.»Nigel wollte ein neues Rollbrett zum Drunterlegen bauen.«

«Das hat er fertig. Er wollte es Harve zeigen.«

«Wenn Sie einen Blick riskieren wollen, nehmen Sie das Rollbrett. Sagen Sie Harve und Nigel, ich hätte Ihnen gesagt, da sei ein Schauglas unterm Boden, an der Leitung zwischen den Tanks und dem Motor. Da kann man nachsehen, ob der Kraftstoff sauber ist. Wenn ja, bleibt das Glas klar. Alle Schmutzteilchen setzen sich in dem Glas ab, das kann man dann abschrauben und ausspülen. Einmal haben sie uns dreckiges Öl geliefert. Das Schauglas war schwarz zugekleistert. Sagen Sie jedenfalls Harve, Sie möchten es sich ansehen.«

«An meinem Transporter daheim hatte ich auch ein Prüfglas.«

«Entschuldigung, nicht dran gedacht.«

Sie lächelte.»Ich seh es mir mal an.«

Sie ging hinaus und schaute nach. Harve und Nigel fanden sie zickig, sagte sie, als sie wiederkam und sich den Staub aus den Kleidern klopfte.»Und in dem Rohr könnte man alles schmuggeln«, fügte sie hinzu.»Ich werde es im Auge behalten. «Sie blickte aufs Telefon.»Kurz ein Wort mit Patrick?«

«Bitte sehr.«

Sie rief ihn zu Hause an, da es noch so früh war, und erzählte ihm Harves Version von den nächtlichen Ereignissen, wobei sie mich zu jedem Punkt mit den Augenbrauen befragte. Ich nickte ein paarmal. Sinngemäß stimmte alles. Die Auslassungen waren meine eigenen.

«Patrick«, sagte sie zu mir,»wüßte gern, wo Sie da hineingetappt sind.«

«Wenn ich das rauskriege, sage ich es ihm.«

«Er meint, Sie sollen aufpassen.«

«M-hm.«

Harve klopfte ans Fenster und deutete auf seine Armbanduhr.

«Muß los«, sagte Nina.»Tschüs, Patrick. Tschüs, Freddie. Ich bin weg.«

Es tat mir leid, daß sie ging. Bis auf Sandy und Lizzie war sie eigentlich die einzige Person hier, der ich noch vertraute. Der Argwohn war ein lästiger, ungewohnter Gefährte.

Nigel fuhr vom Bauernhof herunter. Nina winkte mir aus dem Fahrerhaus zu, während ich am Fenster stand. In der Annahme, daß alle braven Pferdemenschen um diese Zeit schon auf waren, rief ich Jericho Richs Tochter an und sagte ihr, daß der Transport angelaufen war und das neue Pferd, wenn es ihr paßte, am nächsten Abend gegen acht oder etwas später bei ihr sein könnte.

«So schnell? Was für ein Service!«rief sie aus.»Haben Sie den Pfleger mitgeschickt — ich glaub, Dave, ja? — , von dem mein Vater sprach?«

«Nicht Dave, aber einen, der genauso gut ist.«

«Alles klar dann. Danke.«

«Gern geschehen«, sagte ich und meinte es auch. Für mich war es eine Freude, gute Arbeit zu leisten und Kunden mehr als zufriedenzustellen.

Eine weitere mehr als zufriedene Kundin kam in diesem Augenblick mit einem Jeep auf den Bauernhof geprescht, dem ein langes, hartes Dasein jeglichen Fahrkomfort ausgetrieben hatte. Marigold English, wieder in Arbeitskleidung und Strickmütze, sprang aus ihrem Gefährt, bevor es noch ganz zum Stehen gekommen war, und blickte sich nach Lebenszeichen um.

Ich ging zu ihr hinaus.

«Guten Morgen, Marigold. Schon eingelebt?«

«Tag, Freddie. Kommt mir vor, als ob ich hier seit Jahrhunderten niste. «Ihr Lächeln kam und ging. Ihre Stimme war wie immer auf Hörgeschädigtenlautstärke.»Ich bin auf dem Weg in die Downs, aber ich dachte, ich schau mal kurz rein. Ich habe bei Ihnen zu Hause angerufen, aber eine Frau sagte, Sie seien hier.«

«Meine Schwester«, sagte ich.

«Ah ja? Also, was wissen Sie über diesen John Tigwood und irgend so ein Pensionsprojekt für alte Pferde? Der Typ will mich da rankriegen. Was soll ich machen? Sagen Sie es mir ganz offen. Keiner hört Sie. Raus damit.«

Ich war so offen zu ihr, wie es mir klug erschien.»Das ist ein engagierter Mann, der eine Menge Leute hier in der Gegend überredet, alten Pferden ein schönes Zuhause zu geben. Michael Watermead nimmt zwei von der neuen Ladung auf, die wir gestern nach Pixhill geholt haben. Benjy Usher ebenfalls, wenn Dot nicht noch ein Machtwort spricht. Schaden kann es nicht, wenn man genug Platz und Gras hat.«»Sie würden also ja zu ihm sagen?«

«Es ist eine anerkannte karitative Einrichtung in Pixhill. «Ich überlegte einen Moment und sagte:»Bei dem neuen Lot ist zufällig ein Pferd, das ich vor langer Zeit oft geritten habe. Ein großer Kämpfer. Ein toller Partner. Könnten Sie John Tigwood bitten, Ihnen dieses Pferd zu überlassen? Es heißt Peterman. Wenn Sie ihm regelmäßig Hafer geben, damit er gesund und bei Kräften bleibt, komme ich dafür auf.«

«Da steckt also doch ein weicher Kern drin!«neckte sie mich.

«Na ja… er hat Rennen für mich gewonnen.«

«In Ordnung, ich ruf bei Tigwood an und mache ihm das Angebot. Peterman, sagten Sie?«

Ich nickte.»Sagen Sie nichts von dem Hafer.«

Sie warf mir einen freundlich belustigten schrägen Blick zu.

«Eines Tages werden Sie von Ihren guten Taten noch mal eingeholt.«

Sie eilte zu dem Jeep zurück, brachte den Motor auf Touren und verheizte wieder einen Millimeter vom Reifenprofil. Aus der Öffnung, die früher vielleicht einmal ein Seitenfenster enthalten hatte, schrie sie im Davonrollen:»Meine Sekretärin wird Ihre wegen Doncaster kontakten.«

Ich rief ein Dankeschön, das sie wahrscheinlich durch das Gekreisch der Uraltgänge nicht hörte. Mir schien, sie würde Pixhill guttun, und ich wünschte ihr frohes Gelingen.

Verschiedene Fahrer traten zur Arbeit an und gingen in die Kantine. Als sie Harves Bericht von meinen nächtlichen Abenteuern hörten, kamen sie alle mit ihren Kaffeetassen wieder nach draußen und bestaunten und musterten mich, als wäre ich irgendwie unwirklich.

Unter den Fahrern war auch der Liebling der Familie Watermead, Lewis, der Kaninchenfreund, der doch seine Leiden im Bett auskurieren wollte.

«Was ist aus der Grippe geworden?«fragte ich.

Er schniefte und sagte heiser:»Schätze, es ist doch nur eine Erkältung. Kein Fieber oder so. «Er hustete und nieste aber ansteckend genug.

«Es ist trotzdem besser, wenn Sie Ihre Bazillen nicht ausstreuen«, sagte ich.»Wir haben sowieso schon zuviel kranke Fahrer. Nehmen Sie sich noch einen Tag frei.«

«Echt?«

«Kommen Sie am Freitag wieder, und arbeiten Sie dafür auch Samstag.«

«Okay«, meinte er lässig, mit pfeifendem Atem.»Setz ich mich hin und seh mir Cheltenham an. Danke.«

Phil, entgegenkommend, phlegmatisch, unachtsam, uninteressiert und unvorstellbar zuverlässig, sagte zu mir:»Stimmt es, daß man Ihnen Ihr Haus demoliert hat?«

«Leider ja.«

«Und den Jaguar?«

«Auch.«

«Den Kerl würde ich umbringen«, sagte er.

«Wenn ich ihn in die Finger kriege.«

Die anderen nickten, sie konnten es mir nachfühlen. Es kam nicht in Frage, daß sich jemand ungestraft an ihrem Eigentum vergriff.

«Am Bauernhof«, sagte ich,»ist gestern abend nach elf wohl keiner von euch vorbeigekommen?«

Es hatte nicht den Anschein.

Lewis sagte:»Haben Sie nicht gesehen, wer auf Sie losgegangen ist?«

«Ich hab noch nicht mal was gehört; Fragt mal rum, ja?«

Sie sagten skeptisch, aber bereitwillig, das würden sie tun.

Viele von den Fahrern sahen sich oberflächlich ähnlich, dachte ich, als ich die Gruppe betrachtete. Alle unter vierzig, keiner dick. Die meisten dunkelhaarig, alle mit guten Augen, keiner besonders klein oder über einsfünfundachtzig: die Statur, die am besten zu der Arbeit paßte. Ihr Charakter… das stand auf einem anderen Blatt.

Lewis war vor zwei Jahren mit Ringellocken zu der Truppe gestoßen. Als die anderen ihn» Girlie «nannten, hatte er sich einen dicken Schnurrbart zugelegt und seine Fäuste fliegen lassen, um die Lästermäuler zum Schweigen zu bringen. Dann hatte er sich einen blonden Vamp mit scharlachroten Pfennigabsätzen angelacht und wieder seine Fäuste fliegen lassen, um die bewundernden Pfiffe abzustellen. Im letzten Sommer hatte er sich die Haare abgeschnitten und den Schnauzbart abrasiert, und der Vamp hatte einen Sohn zur Welt gebracht, in den beide Eltern vernarrt waren. Lewis sagte oft, er könne es kaum erwarten, mit seinem Sprößling Fußball zu spielen. Der Bilderbuchvater, wie ausgewechselt.

«Niesen Sie das Baby nicht an«, riet ich ihm, und erschrocken sagte er:»Auf keinen Fall.«

Dave knarzte auf seinem rostigen Drahtesel zum Tor herein, frech, fröhlich und so leichtfertig wie immer. Sein Grinsen und seine Sommersprossen vermittelten den Eindruck ewiger Jugend, das Peter-Pan-Syndrom. Daves Frau bemutterte ihn zusammen mit ihren beiden Töchtern und fand sich großzügig mit seinen Bierreisen und seinen Hundewetten ab.

Auch Aziz kam und ließ die dunklen Augen, die weißen Zähne blitzen. Harve ging anhand einer Liste die Fuhren des Tages durch und vergewisserte sich, daß alle Fahrer genau wußten, wohin sie fahren, welche Pferde sie abholen und wann sie am Ziel sein sollten.

Ich ließ sie allein, als sie anfingen, Dave und Aziz von meinen nächtlichen Abenteuern zu erzählen, wobei sich die ersten Sachfehler einschlichen, die ich aber nicht meinte unbedingt korrigieren zu müssen.

«Im Hafen von Portsmouth«, sagte Phil fälschlicherweise, worauf Dave verstehend nickte. Wir hatten noch nie Pferde in Southampton eingeschifft, brachten hin und wieder aber welche mit der Fähre von Portsmouth nach Le Havre. Alle Fahrer kannten den Hafen von Portsmouth, wenn ich die Pferde auch lieber über Dover-Calais schickte, weil die Überfahrt kürzer war. Auf langen Überfahrten werden viele Pferde seekrank, und für sie ist das um so schlimmer, als sie sich nicht übergeben können. Da in einem meiner Transporter schon einmal ein Pferd an Seekrankheit verendet war, stand mir die Gefahr konkret vor Augen.

«Im Hafen von Portsmouth. «Die Fahrer nickten alle. Portsmouth, gleich hinter Southampton an der Küste, hörte sich vertrauter an.»Seinen Jaguar plattgewalzt…«

«Sämtliche Scheiben am Haus zerdeppert.«

Nachher in der Kneipe, wie Jogger gesagt hätte, würde es heißen, sie hätten mich bei Nacht und Nebel auf der Fähre von Portsmouth nach Le Havre über Bord geworfen und mein Auto durchs Wohnzimmerfenster in die gute Stube gejagt.

Isobel und Rose erschienen und klagten erneut über den kaputten Computer. Ich dachte an das noch viel kaputtere Terminal in meinem Wohnzimmer und erinnerte mich dunkel, daß heute jemand kommen wollte, um nach der Anlage zu sehen. Isobel und Rose nahmen die Schutzhüllen von den längst verdrängten alten Schreibmaschinen und schauten unsäglich leidend drein.

Ich rief die Zentralstelle an, bei der meine Kreditkartennummern registriert waren, und bat sie, schleunigst meine Konten zu sperren, und ich telefonierte mit der Versicherung, die sagte, sie werde einen Vordruck schicken. Würden sie freundlicherweise einen Mann schicken, hakte ich ein, oder natürlich eine Frau, damit er oder sie sich vom Totalverlust meines Wagens und vieler Teile meines Hausrats überzeugen könne? Eine Kopie des Polizeiberichts tue es wahrscheinlich auch, sagten sie.

Danach saß ich und lauschte meinen Kopfschmerzen, während Harve weiter die Arbeit des Tages organisierte. Aziz mit seiner Vitalität für zwei kam ins Büro und fragte, ob er mir irgendwelche Gänge abnehmen könne. Ich fand es aufmerksam von ihm, zumal er ganz zwanglos daherkam und ich kein Eigeninteresse bei ihm erkennen konnte.

«Harve sagt, er hat heute keine Fahrt für mich«, sagte er.»Ich soll Sie fragen, ob ich Wartungsarbeit machen soll, da Sie ja Ihren Mechaniker verloren haben. Er sagte, zwei Transporter brauchen einen Ölwechsel.«

«Wär schon ganz gut. «Ich nahm die Schlüssel für den Geräteraum aus dem Schreibtisch und gab sie ihm.»Da finden Sie alles Nötige. Holen Sie sich bei Isobel eine Checkliste und geben Sie ihr die dann ausgefüllt mit Ihrer Unterschrift zurück.«

«Okay.«

«Und, Aziz. «Meinem schmerzenden Kopf kam eine heilsame Idee.»Würden Sie vielleicht meinen Fourtrak nehmen und meine Schwester nach Heathrow bringen, damit sie den Flug nach Edinburgh bekommt?«

«Gern«, sagte er bereitwillig.

«Um elf bei mir zu Hause.«»Punkt elf«, stimmte er zu.

Während Aziz den Transporter von Lewis zum Ölwechsel in die Scheune fuhr und die anderen allmählich zu ihren Touren aufbrachen, fuhr ich nach Hause, um Lizzie adieu zu sagen und sie um Verständnis dafür zu bitten, daß ich sie von Aziz fahren ließ.

«Deine Gehirnerschütterung ist schlimmer, als du zugeben willst«, warf sie mir vor.»Du solltest im Bett sein und dich ausruhen.«

«Mindestens.«

Sie schüttelte in schwesterlicher Mißbilligung den Kopf und strich mir mit der Hand über den Rücken, die Geste, die sie immer benutzt hatte, um zwei kleinen Brüdern, denen Küssen zu mädchenhaft war, ihre Zuneigung zu zeigen.

«Paß auf dich auf«, sagte sie.

«M-hm. Du auch.«

Das Telefon klingelte: Isobels erregte Stimme.»Der Computermann ist da«, sagte sie.»Er sagt, jemand hat unsere Programme mit einem Virus zerstört.«

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