Kapitel 2

Wie vorauszusehen, erwachte ich kalt und steif, sobald das natürliche Licht sich mit dem künstlichen vermengte, und gähnend wanderte ich zum Kaffeekochen in die warme Küche hinüber. Die Zeitungen und die Post kamen. Ich sah die Rechnungen durch, las die Schlagzeilen und blätterte zum Rennsportteil, aß Cornflakes und beantwortete den ersten Telefonanruf des neuen Tages.

Mein Arbeitsalltag begann um sieben oder sechs und endete normalerweise um Mitternacht, auch sonntags, aber es war ein Lebensstil, keine Plackerei. Trainer standen sogar noch früher auf, und da sie sich bei Tagesanbruch oder vorher schon um ihre Pferde kümmerten, fanden sie es nur recht und billig, daß jeder, der für sie arbeitete, ebenfalls dazu bereit war.

Pläne änderten sich oft über Nacht. Der erste Anruf an diesem Tag, einem Freitag, kam vom Trainer eines Pferdes, das sich im Stall festgelegen und bei seinen hektischen Versuchen, wieder aufzustehen, verletzt hatte.

«Das blöde Vieh hat sich das rechte Hinterbein verrenkt. Völlig lahm, als mein Futtermeister ihn gefunden hat. «Die laute, kräftige Stimme dröhnte mir ins Ohr.»Jetzt kann er in Southwell verdammt noch mal nicht starten. Streichen Sie ihn von Ihrer Liste, ja?«

Ich sagte, das würde ich tun.»Danke fürs Bescheidsagen.«

«Ich weiß doch, was Sie für ein volles Programm haben«, polterte er.»Die vier für Sandown gehen klar. Las-

sen Sie die aber nicht von Brett fahren, das ist ein Jamme-rer, der geht meinen Pflegern auf den Keks.«

Ich versicherte ihm, daß er nicht Brett bekommen würde.

«Alles klar, Freddie. Dann bis demnächst, beim Pferderennen.«

Ohne Zeit zu verlieren, rief ich meinen Fahrdienstleiter an und fragte ihn, ob die Transporter für Southwell schon unterwegs seien.

«Sie laufen warm«, versicherte er mir.

«Streichen Sie Larry Dell. Sein Pferd hat sich festgelegen.«

«In Ordnung.«

Ich legte den Hörer in der Küche auf und ging ins Wohnzimmer, um mir den Wochengesamtplan anzusehen, der den größten Teil der Schreibtischplatte einnahm und auf dem vermerkt war, welcher Transporter mit welchen Pferden wohin sollte. Ich schrieb den Plan immer mit Bleistift, weil er sich dauernd änderte.

Auf einem Nebentisch, der mit einer Drehung des grünen Lederstuhls leicht zu erreichen war, stand ein Computer mit Bildschirm und Tastatur. Theoretisch war es einfacher, die Transporter auf den Bildschirm zu holen und ihre Fahrten einzutragen oder zu ändern, und tatsächlich speicherte ich auch alle Daten über die abgeschlossenen Fahrten im Computer, aber zum Vorausplanen nahm ich immer noch lieber Bleistift und Radiergummi.

Im Hauptbüro auf dem Bauernhof hielten meine beiden aufgeweckten Sekretärinnen, Isobel und Rose, den Computer gewissenhaft und kompetent auf dem laufenden und verzweifelten an meinen altmodischen Verfahrensweisen. Das Terminal in meinem Wohnzimmer war eine Art Nebenstelle, die alle Änderungen registrierte, die sie am Zentralcomputer eingegeben hatten, und dafür benutzte ich ihn auch hauptsächlich — um zu sehen, was in meiner Abwesenheit organisiert worden war.

Umgekehrt speiste ich alle Änderungen ein, die sich außerhalb ihrer Arbeitszeit ergaben, und auf jeden Fall hatten wir bis jetzt noch keinen hoffnungsvollen Renner vergebens auf die Kutsche warten lassen, die ihn zum Ball bringen sollte.

Ich schaute mir den Plan den Tages an, eine ganz typische Aufstellung für einen Freitag in der ersten Märzwoche. Zwei Transporter sollten nordwärts nach Southwell, wo die Allwetterbahn den ganzen Winter hindurch sowohl Flach- wie auch Hindernisrennen zuließ. Vier Transporter holten Starter für die heutigen Jagdrennen in Sandown, südlich von London, ab. Ein Neun-Pferde-Transporter brachte Zuchtstuten nach Irland. Ein Sechser brachte Zuchtstuten nach Newmarket, einer brachte Zuchtstuten nach Gloucestershire, ein weiterer brachte Stuten auf ein Gestüt in Surrey: die Vollblutzucht hatte Hochsaison.

Ein Transporter war außer Betrieb und sollte in die Werkstatt. Einer fuhr nach Frankreich. Einer würde Jericho Richs Stuten nach Newmarket bringen. Brett und sein Neuner, der im heller werdenden Tageslicht draußen vor meinem Fenster stand, sollten den ganzen Tag zwischen der Gegend von Salisbury und Pixhill hin und her fahren, um das Lot eines umziehenden Trainers hierherzuschaffen: keine langen, aber viele Touren und aus meiner Sicht sehr rentabel.

In der kommenden Woche stand das Cheltenham Festival an, die Krönung des Hindernisjahres, und in der Woche darauf ging die Flachsaison so richtig los, deren dichtes Programm mir sechs Monate lang gute Umsätze bringen würde. Der März war eine Zeit zum Aufatmen, wenn der Nebel und der Frost ihren Würgegriff lockerten: Eine

Staffel von Transportern, die stumm nebeneinander im Schnee standen, brachte nichts ein, aber die Fahrer mußten trotzdem bezahlt werden.

Mein Fahrdienstleiter rief mich zurück. Er hieß Harve, kurz für Harvey.»Pat hat die Grippe«, sagte er.»Sie liegt im Bett.«

«Mist.«

«Die Grippe ist ein Hammer dieses Jahr. Haut einen um. Dafür kann sie nichts.«

«Nein«, sagte ich.»Wie geht’s Gerry?«

«Immer noch schlecht. Wir könnten die Zuchtstuten da auf Montag schieben.«

«Nein, die fohlen jetzt bald. Hab versprochen, daß sie heute nach Surrey gehen. Ich überleg mir was.«

Pat und Gerry waren zuverlässige Fahrer; wenn sie sagten, sie seien zum Arbeiten zu krank, dann waren sie es auch; also umdisponieren.

«Dave kann Pats Stuten nach Gloucestershire schaffen«, sagte ich. Dave war ein langsamer Fahrer, und ich setzte ihn nur ans Steuer, wenn es sein mußte.»Mit denen eilt es nicht.«

«Ja. Okay.«

«Ich will ihn aber erst hier sprechen. Schicken Sie ihn rüber, wenn er auf den Hof kommt. Und Brett auch.«

«Wird gemacht«, sagte er.»Geht es um den Toten?«

«Ja.«

«Die blöden Säcke.«

«Und sagen Sie Jogger, ich brauche ihn auf der Stelle. Er soll sein Rollbrett mitbringen.«

«Er fängt erst in einer halben Stunde an.«

«Früh genug.«»Sonst noch was?«

«Bestimmt — in fünf Minuten.«

Er legte lachend auf, und ich dachte wie so oft, daß ich mich glücklich schätzen konnte, ihn zu haben. Als ich noch Rennen ritt, war Harve» mein «Jockeydiener gewesen, der Mann, der mir jeden Tag meine geputzten Sättel und frische Reithosen mit auf den Rennplatz brachte. Jok-keydiener waren ein bißchen so wie Ankleider beim Theater, wenn auch ein Jockeydiener regelmäßig rund zehn Jockeys betreute. Es war eine sehr persönliche Betreuung: man konnte wenig vor dem Jockeydiener verbergen.

Als ich meine Stiefel an den Nagel gehängt und die Spedition gekauft hatte, war er überraschend an meiner Tür erschienen.

«Ich wollte fragen, ob Sie Arbeit für mich haben«, kam er direkt zur Sache.

«Aber ich brauche keinen Jockeydiener mehr.«

«Klar. Das will ich auch nicht weitermachen. Mein alter Vater ist gestorben, und seit er nicht mehr da ist, ist der Waageraum nicht mehr dasselbe, deshalb will ich mich verändern. Ich bin die Waschbütte leid. Kann ich nicht für Sie fahren? Ich fahre doch seit Jahren schon Hunderte von Meilen in der Woche.«

«Aber«, sagte ich langsam,»dazu braucht man einen Führerschein für Schwerlastwagen.«

«Den besorge ich mir.«

«Die Transporter sind nicht wie Autos. Sie müßten einen Kurs belegen.«

«Stellen Sie mich ein, wenn ich den Führerschein mache?«

Ich sagte ja, weil wir immer gut miteinander ausgekommen waren, und so erhielt ich ganz nebenbei den besten Mitarbeiter, den man sich vorstellen kann.

Er war rotblond, kräftig, etwa so alt wie ich, vier oder fünf Zentimeter größer. Ein nüchterner Kopf ohne Illusionen, der zwar schnell über andere herzog, aber auf eine Art, die zum Schmunzeln verlockte. Brett, so hatte er mir einmal gesagt, wälze die Schuld auf andere ab, bevor man überhaupt den Anlaß wahrgenommen habe.»Der trägt einen Sack voll Alibis mit sich rum, damit er immer eins vorzeigen kann.«

Ich ging nach oben, duschte, rasierte mich, zupfte die Bettdecke zurecht und saß bald schon wieder an meinem Schreibtisch, mit Blick auf den Pferdetransporter.

Jogger, der Betriebsmechaniker, bog mit seinem Lieferwagen in die Einfahrt und hielt quietschend frontal vor dem Transporter. Flink, o-beinig, kahl, ein waschechter Londoner, schälte er sich aus dem Wagen und kratzte sich am Kopf, während er den Transporter betrachtete. Dann kam er mit dem eigentümlichen Gang, dem er seinen Spitznamen verdankte, zum Haus herüber — eine rollende Bewegung wie bei den 20-km-Gehern, fast ein Laufen, nur daß ein Fuß immer auf dem Boden war, die Ellbogen am Körper.

Ich empfing ihn an der Tür, und wir gingen gemeinsam zu dem Transporter zurück, wobei er sein Tempo ungeduldig drosselte, um sich dem meinen anzupassen.

«Was haben wir für Krabben?«sagte er.

Er sprach einen gereimten Cockney-Slang mit vielen Wendungen, die mir wie von ihm selbst erfunden vorkamen, aber inzwischen hatte ich mich daran gewöhnt. Krabben und Hummer: Kummer.

«Klopfen Sie ihn einfach mal ganz ab, ja?«erwiderte ich.

«Sehen Sie sich den Motor gut an. Dann rutschen Sie drunter und vergewissern sich, daß nichts ausläuft und nicht irgendwas dranhängt.«

«Klar«, sagte er.

Ich sah zu, wie er mit raschen Blicken, feinen Fingern den Motor prüfte und beruhigt dabei nickte.

«Alles bestens«, sagte er.

«Gut. Gehen Sie den Rest durch.«

Er wieselte zu seinem Wagen und holte den biegsamen Stab mit dem Spiegel heraus, mit dem man in sonst unsichtbare Winkel sehen konnte, und auch die niedrige Plattform mit den Laufrollen, die man brauchte, um sich zu einer schnellen Inspektion des Fahrgestells unter den Transporter zu schieben.

«Ich bin im Haus, wenn Sie fertig sind«, sagte ich.

«Suche ich nach was Bestimmtem?«

«Nach etwas, wofür Sie keine Erklärung haben.«

Er sah mich forschend an.»Der Transporter war doch vorher in Italien, oder?«

Ich bejahte es.»Freitag hin, Dienstag abend zurück. «Es hatte aber keine Probleme und keine Verzögerungen dabei gegeben; jedenfalls nicht, soweit ich wußte.

«Dieser Brett macht ihn nie ordentlich sauber. Zuviel Kälber.«

Kälber und Kühe, dachte ich: Mühe.

«Brett hatte am Mittwoch frei«, sagte ich.»Da hat Harve mit dem Transporter eine Ladung Hengste nach Newmarket gebracht. Gestern fuhr dann Brett mit ihm nach Newmarket und wieder zurück. Es sind einige merkwürdige Dinge passiert, also… sehen Sie mal nach.«

«Reden Sie von dem Toten?«

«Unter anderem.«

«Der hatte aber doch keine Gelegenheit, was an der Kiste zu drehen, oder?«»Ich weiß nicht mehr als Sie auch«, sagte ich.»Und jetzt beeilen Sie sich, Jogger, in einer Stunde muß der Kasten sauber und auf Tour sein.«

Er legte sich gleichmütig auf den Rücken und glitt vertrauensvoll bis auf die Füße außer Sicht, unter gut und gern zehn Tonnen Stahl. Bei dem bloßen Gedanken daran bekam ich schon Platzangst, was Jogger wußte, mir aber großzügig nachsah. Mein Unvermögen stärkte seine Selbstachtung; es schadete nichts.

Ich ging ins Haus, und Harve rief an.

«Dave ist jetzt auf dem Weg zu Ihnen«, sagte er erregt.»Aber er sagt, Brett packt seine Sachen.«

«Der tut was?«

«Dave sagt, Brett ist nicht völlig auf den Kopf gefallen; er weiß, daß seine drei Monate Probe fast um sind und daß Sie ihn nicht behalten. Deshalb springt er vorher ab. So kann er rumlaufen und sagen, er hat Ihnen gekündigt, nicht umgekehrt. Er wird allen vorjammern, wie er hier geschuftet hat, meint Dave, und wie wenig Sie es ihm gedankt haben.«

«Soll er mal machen«, sagte ich.»Aber wie sieht’s heute aus?«

«Der Marigold-Pendler. Für den war Brett eingeteilt.«

«Eben. Wen haben wir sonst, Harve?«Ich wußte die Antwort, sowie ich gefragt hatte. Wir hatten mich.

«Tja…«Er zögerte.

«Ja, schon gut. Ich mach’s, wenn sonst keiner da ist.«

«Es ist nicht nur die Pendeltour«, fuhr er unglücklich fort.

«Die Frau von Vic sagt, er hat 39,5 Fieber und kann unmöglich nach Sandown fahren.«

So ein Tag mal wieder.

«Sie sind beide hier auf dem Hof«, fügte Harve an.»Vic und seine bessere Hälfte. Er sagt, er will fahren, sie sagt, dann läßt sie sich scheiden. Man sieht ihm aber auch an, daß er Fieber hat.«

«Schicken Sie ihn nach Hause, sonst steckt er nur alle mit Grippe an.«

«Okay. Aber…«

«Lassen Sie mir einen Moment Zeit. Die nächste Eingebung kommt bestimmt.«

Er lachte:»Machen Sie Dampf dahinter«, und legte auf.

Ich schnalzte mit der Zunge. Wären Trainer nicht so eigen, wie sie es gewöhnlich sind, hätte ich die zwei Zuchtstuten für Surrey in einen der Wagen packen können, die die Hindernispferde nach Sandown brachten. Ich hätte es vielleicht riskiert, wäre ich nicht sicher gewesen, daß der bewußte Trainer es von seinen Pflegern erfahren würde: und der Trainer hätte auf gar keinen Fall zugelassen, daß seine Pferde mit irgendwelchen Tieren von einem anderen Stall reisten. Steckte ich seine Renner mit Zuchtstuten zusammen, war ich ihn als Kunden ein für allemal los.

Ich ging hinaus zu dem Neun-Pferde-Transporter. Jogger war nirgends zu sehen, doch als ich seinen Namen rief, kamen ein Paar Stiefel in Sicht, dann fettverschmierte Hosen, ein dreckiger Armeepullover und ein schmutzige Gesicht.

«Sie haben recht, es hängt ein Kuckucksei dran«, verkündete er und setzte mit gelben Zähnen grinsend hinzu:»Wußten Sie das? Sie haben es bestimmt gewußt.«

«Nein. «Und ich war auch nicht erfreut darüber. Ziemlich sauer sogar.

«Werfen Sie mal einen Blick drauf«, ermunterte er mich und bot mir listig seinen Platz auf dem Rollbrett an.

«Ich glaube Ihnen auch so«, sagte ich und blieb stehen.»Was haben Sie gefunden?«

«Eine Art Blechkasten. Ich würde sagen, er ist mit einem Magnet befestigt«, meinte er nachdenklich.»Sieht aus wie eine große Geldkassette, mit dem Deckel nach unten.«

«Sauber?«fragte ich.

«’türlich nicht. Soll ich ihn rausholen?«

«Ja, aber warten Sie… ehm, wir haben jetzt drei Fahrer mit Grippe. Würden Sie mal für eine Tour einspringen?«

Er wischte sich die fettigen Hände an den Hosenbeinen ab und blickte unsicher. Fahren hieß waschen, hieß saubermachen, und schmutzig fühlte er sich entschieden wohler. Ich zog ihn meist nur zu den regelmäßigen Probefahrten mit allen Transportern heran, denn er verstand es, ihrem Fahrgeräusch zu lauschen wie einer Sprache, und hörte Schwierigkeiten heraus, bevor sie akut wurden.

«Zuchtstuten, nichts für die Rennbahn«, erklärte ich.

«Ach so. und wann?«

«Gegen Mittag.«

«Bonus?«

«Klar, wenn Sie die Wartungsarbeit außerdem noch machen.«

Er zuckte die Achseln, legte sich wieder auf das Roll-brett und verschwand. Ich kehrte an meinen Schreibtisch zurück, rief Harve an und sagte ihm:»Jogger.«

«Der fährt?«Es hörte sich ungläubig an.»Er ist einverstanden?«

«Die Zuchtstuten nach Surrey«, bestätigte ich.»Der Wagen, der in die Werkstatt soll, ist doch Phils Kiste, ja? Wecken Sie ihn auf, beknien Sie ihn, von mir aus flehen Sie ihn an, daß er einen anderen Tag freinimmt, aber er muß Vics Kiste für uns nach Sandown fahren.«»In Ordnung.«

«Damit hätten wir’s dann«, sagte ich.

«Toi, toi, toi.«

«Und wenn Sie einen Augenblick Zeit haben, kommen Sie doch bitte selbst mal her.«

Nach einer winzigen Pause sagte er:»Okay.«

Wahrscheinlich fragte er sich, was ich wollte, aber ohne beunruhigt zu sein. Das hoffte ich wenigstens.

Jetzt kam Dave auf seinem Rad über den Hof und lehnte das rostige Gefährt gegen meinen Holzstoß. Dave hatte zwar auch ein Auto, noch rostiger als das Rad, aber es war die meiste Zeit außer Gefecht. Eines Tages, sagte er seit Monaten, würde er die Reifen runderneuern lassen und es wieder auf die Straße bringen. Niemand glaubte ihm. Er verjubelte sein Geld bei Windhundrennen. Ich hörte ihn an die Haustür klopfen, und er erschien mit der Miene eines gerade der Folter entronnenen Märtyrers im Wohnzimmereingang.

«Sie wollten mich sprechen, Freddie?«Er war nervös und gab sich tapfer: mit wenig Erfolg.

«Ich möchte, daß Sie und Brett den Transporter saubermachen. Er soll vor neun wieder raus.«

«Aber Brett — «Er hielt inne.

«Reden Sie.«

«Harve hat es Ihnen doch erzählt, oder? Brett sagt, sobald Isobel kommt, holt er sich seine Papiere im Büro und verschwindet.«

«Ihm stehen noch Lohn und Urlaubsgeld zu«, sagte ich gelassen.»Steigen Sie noch mal auf Ihr Rad und sagen Sie ihm, daß er sich das jetzt hier in bar abholen kann; aber die Reinigung des Transporters ist Sache von gestern, und wenn er das nicht zu Ende bringt, ist er seit gestern morgen ohne Arbeit. Kein Lohn für gestern, kapiert?«»Das können Sie doch nicht machen«, sagte Dave unsicher.

«Wollen wir wetten? Von Rechts wegen müßte er mir acht Tage vorher kündigen. Und meint der eigentlich nicht, daß er vielleicht mal Referenzen braucht?«

Dave sah mich aus hohlen Augen an.

«Schicken Sie ihn mal schnell her«, sagte ich.»Und kommen Sie auch wieder mit.«

Als er fort war, schaltete ich den Computer ein und brachte Brett und seine Angelegenheiten auf den Bildschirm. Jede Fahrt, die er für mich gemacht hatte, war dort aufgeführt mit Datum, Uhrzeit, Pferdenamen, Spesen und besonderen Bemerkungen. Die Fahrt vom Vortag, der Transport der neun Zweijährigen nach Newmarket, war lediglich als» bestellt «eingetragen; noch trübten keine Leichen das Bild.

Seine Arbeitsbedingungen waren ebenso festgehalten wie die Zahl seiner Arbeitstage und sein Urlaubsanspruch: überhaupt kein Problem, den ihm zustehenden Betrag zu errechnen. Ich druckte eine Kopie der Einkommensaufstellung für ihn aus.

Durchs Fenster sah ich Jogger auf das Haus zuwieseln, ein graubraunes Etwas, ähnlich einem großen Schuhkarton, in den Händen. Er kam ins Wohnzimmer und pflanzte das Ding auf meine Wochenübersicht, als könnte nur ein Pedant dabei an Dreck denken.

«Das hat vielleicht gedauert, bis ich das abhatte«, sagte er.

«Wie eine Haftmine hing das da dran.«

«Wo ist der Magnet?«fragte ich.

«Noch am Chassis fest, hinter dem zweiten Tank. Superkleber wahrscheinlich. Den Kasten hier hab ich gerade so abgekriegt, wenn auch bloß mit ’nem Montierhebel.

Zum Losmachen war das nicht gedacht, das sag ich Ihnen.«

«Was meinen Sie, wie lange er da drunter war?«

Der Kasten starrte vor Schmutz bis auf eine untertassengroße, kreisrunde blanke Fläche auf der Unterseite, wo er an dem Magnet gehaftet hatte.

Jogger zuckte unglücklich die Achseln.»Das ist keine Ecke, die ich mir oft ansehen muß.«

«Eine Woche? Einen Monat? Länger?«

«Weiß nicht«, sagte er.

Ich schlug einen Bogen Zeitungspapier um den Kasten und hob ihn hoch. Er war relativ leicht, und es klapperte nichts.

«Leer«, sagte Jogger nickend.

Es war eine stabile, altmodische graue Geldkassette aus Metall, etwa 40 mal 25 mal 15 Zentimeter, mit gerundeten Ecken, eingesenktem Tragegriff und robustem Schloß. An einer Kante eine Delle von dem Montierhebel. Der Tragegriff in der Vertiefung ließ sich nicht hochstellen.

«Kriegen Sie das Ding auf?«fragte ich.»Ohne es zu demolieren?«

Jogger warf mir einen schrägen Blick zu.»Ich könnte das Schloß knacken, wenn ich mein Werkzeug hole und Sie nicht hinsehen.«

«Dann mal los.«

Er entschloß sich, die Kassette zu dem Zweck mit hinaus zu seinem Wagen zu nehmen, und brachte sie bald darauf mit einem zahnigen Grinsen geöffnet zurück.

Nichts drin, nicht mal Staub. Ich hielt die Nase dran. Innen roch die Kassette erstaunlich sauber, wo sie doch von außen so verdreckt war. Sogar frisch roch sie, wie Körperpuder oder Seife.

«Ist es schwierig, da drunter was zu suchen?«fragte ich.

«Mit dem Rollbrett geht’s leicht. Von der Wartungsgrube aus erst recht, wenn man weiß, wo man suchen muß. Ich hätte sie aber trotzdem fast übersehen. Sie hat die gleiche Farbe wie alles da drunter. Genau das ist es — man würde sie nicht sehen, wenn man nicht wüßte, daß sie da ist. Und man müßte schon diesen Teil an die Grube ranfahren, das täte man normalerweise nicht.«

«Wann haben Sie Bretts Wagen zuletzt an der Grube gehabt?«

Er zog die Brauen hoch.»Hab ’n Ölwechsel gemacht, die Bremsluft geprüft, so vor sechs Wochen. Generalüberholung muß vor Weihnachten gewesen sein. Weiß den Tag nicht mehr.«

«Der ist im Computer«, sagte ich.

Jogger sah mißmutig zu dem dunklen Bildschirm hinüber. Er schüttelte Daten gern aus dem Ärmel und fand es nicht so gut, wenn man sie überprüfen konnte.

«Jedenfalls vielen Dank«, sagte ich herzlich.»Die Kassette hätte ich in einer Million Jahren nicht gefunden.«

Die gelben Zähne kamen kurz zum Vorschein.»Sie müssen mal da drunter gehen«, sagte er.

Nein, das mußte ich nicht.

Dave kam auf seinem Rad zurück, dahinter langsam Brett in seinem Pkw, und beide zeigten wenig Appetit auf den jungen Tag. Sie kamen ins Wohnzimmer, grüßten Jogger halbherzig und sahen, ohne eine Reaktion zu zeigen, auf die schmutzige graue Kassette, die geöffnet auf dem Zeitungspapier stand.

«Hat einer von euch die schon mal gesehen?«fragte ich beiläufig.

Uninteressiert verneinten sie es.

«Ich kann nichts dafür, daß der Transporter nicht sauber ist«, ging Brett in die Defensive.»Sandy Smith hat mich gestern abend nicht an ihn herangelassen.«

«Machen Sie ihn gerade noch sauber, bis ich Ihre Lohntüte fertig habe?«

«Es war Daves Idee, den Mann mitzunehmen.«

«Ja, das sagten Sie schon.«

«Von selbst wäre ich gar nicht draufgekommen.«

«Das ist verdammt unfair«, verwahrte sich Dave wütend.

«Haltet den Mund, alle beide«, sagte ich.»Macht den Transporter sauber.«

Wutschnaubend marschierten sie hinaus, und durch das Fenster sah ich sie steif vor Zorn ans Werk gehen. Wahrscheinlich war es Daves Schuld, daß sie den Anhalter mitgenommen hatten, und doch konnte ich ihm seine Verantwortungslosigkeit eher verzeihen als Brett seine Selbstgerechtigkeit. Das Geld von Kevin Keith Ogden hatten sie jedenfalls beide genommen, auch wenn ihnen kein Mensch entlocken würde, wieviel.

Jogger zeigte auf die Kassette.»Was soll ich jetzt damit machen?«

«Ach… lassen Sie sie einfach stehen. Und danke.«

«Wohin fährt Brett denn heute mit dem Transporter?«fragte er, meinem Blick durchs Fenster folgend.

«Nirgendwohin. Er verläßt die Firma. Ich fahre selbst.«

«Ehrlich? Dann tu ich Ihnen einen Gefallen.«

Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf sein schmutziges, zerfurchtes, dreiundfünfzigjähriges Gesicht, die listige Physiognomie eines alten Soldaten, der jeden Kniff kannte, sich in mancher Hinsicht aber doch an einen strengen Ehrenkodex hielt, zumal bei allem, was Räder hatte.

«Sie haben einen starken, freiliegenden Magnet unter dem Transporter«, erklärte er mir.»Wenn Sie nicht aufpassen, pickt der Eisenstangen oder so was auf, und damit könnten Sie hängenbleiben oder beim Zurücksetzen den Tank einstechen und Schlimmeres.«

Ich wußte die Information zu würdigen.»Was tut man da am besten?«

«Ich decke ihn ab, wenn Sie wollen.«

«Danke, Jogger.«

Er hörte an meiner Stimme, daß ich wirklich froh war, und nickte kurz.»Was haben wir befördert, hm?«fragte er.»Kaviar?«

Ich war verwirrt. »Kaviar?«

«Und Rogen. Drogen.«

«Aha. «Endlich begriff ich.»Na, hoffentlich nicht, «Ich überlegte kurz.»Behalten Sie das erst mal für sich, Jogger, ja? Bis ich Klarheit habe.«

Er sagte, das werde er tun, ein Versprechen, das vielleicht die ersten drei Biere heute abend in der Kneipe überstand, aber mehr auch nicht.

Aus der Nähe roch er nach Öl und Staub, seinen ständigen Gefährten, aber auch nach schalem Rauch und sonstigen Ausdünstungen. Ich fand es angenehmer als das überwältigend süße Aftershave und das ätzende medizinische Mundwasser eines der Fahrer, dessen Duft seinen ganzen Transporter durchdrang und sogar den Pferdegeruch überdeckte.

Nach Möglichkeit fuhr jeder Fahrer immer einen bestimmten Transporter und machte ihn zu seinem eigenen. Ich hatte festgestellt, daß es allen so am liebsten war und sie sich dann auch besser um die Fahrzeuge kümmerten. Sie hielten sie gut in Ordnung, lernten ihre Eigenarten kennen und behandelten sie stolz als ihren persönlichen Besitz. Jeder Fahrer verwahrte die Schlüssel seines Transporters selbst und konnte dem Fahrerhaus seine persönliche Note geben, wenn er wollte. Einige, die gern im Wagen schliefen, hatten Gardinen an den Fenstern angebracht. Pat, die an Grippe erkrankt war, hatte immer frische Blumen und eine raffinierte Stellwand zum Umkleiden in ihrem. Ich hätte fast mit Sicherheit anhand des Fahrerhauses sagen können, in wessen Transporter ich war.

Bretts Fahrerhaus war entsprechend dem geringen Engagement, das er für den Job aufgebracht hatte, völlig unpersönlich. Ich war froh, ihn loszuwerden, auch wenn sich die Fahrerknappheit dadurch noch verstärkte.

Jogger sagte, er werde etwas für den Magneten holen und am besten zusehen, daß er in die Gänge komme, wenn er noch die Zuchtstuten nach Surrey bringen solle; sprach’s, wackelte zu seinem Lieferwagen, packte das Rollbrett hinein und fuhr los. Dave spritzte den Transporter ab und putzte die Fenster mit einem Gummischrubber. Brett fegte den Dreck achtlos durch die Pflegertüren auf den Asphalt.

Der zehneinhalb Meter lange Transporter bot Platz für drei Reihen von je drei Boxen. Die Köpfe der Pferde standen nach vorn heraus, in den freien Raum zwischen den Reihen, wo oft auch ein Begleiter für die Reise saß.

Die Breite des Transporters reichte für drei Boxen, jedoch nur, wenn die Pferde durchschnittlich groß waren. Sehr kräftig gebaute Pferde, wie etwa ältere Steepler, brauchten mehr Platz und konnten nur in Zweierreihen reisen. Zuchtstuten ebenso. Wenn wir Stuten mit Fohlen hatten, wurden die drei Boxen in eine große Einzelbox verwandelt. Wir konnten also neun Zweijährige oder drei Stuten mit Fohlen unterbringen.

Diese variable Anordnung basierte auf einem ausgeklügelten System von leicht verstellbaren Trennwänden aus Holz, die zur Vermeidung von Verletzungen weich gepolstert waren. Wir luden die Pferde ein und trennten die Boxen je nach Bedarf ab.

Der Boxenboden war aus dickem schwarzem Gummi, damit die Pferde nicht herumschlitterten, und manchmal bestreuten wir ihn mit Spänen, um den Mist aufzufangen, besonders auf langen Fahrten.

Am Bestimmungsort fegten die Begleiter oder der Fahrer jeweils die Boxen aus; der Neun-Pferde-Transporter war also bereits einigermaßen sauber hier eingetroffen, da er leer von Newmarket zurückgekommen war.

Ein schmaler Schrank hinten in den Transportern enthielt Schaufel, Kehrbesen, Schlauch, Gummiwischer und Mop. Wir führten auch ein oder zwei Eimer mit, manchmal Futter für die Pferde und mehrere Plastikbehälter mit Trinkwasser. Die Truhe unter der Begleiterbank — auf der Ogden gestorben war — enthielt Hilfsmittel wie Halfter, Stricke, Riemen, ein paar Pferdedecken und Verbandszeug. Hinter dem Fahrersitz befand sich ein starker Feuerlöscher, und das war dann so ungefähr alles, was wir dabeihatten, bis auf die Habseligkeiten der Begleiter oben in der Koje. Die Pfleger nahmen meist eine Garnitur saubere Kleidung mit, die sie anzogen, wenn sie ihre Schützlinge im Führring präsentierten; auf der Rückfahrt trugen sie dann wieder ihr Arbeitszeug.

Tag für Tag beförderten Flotten von Pferdetransportern wie meine im ganzen Land die Pferde zu den Rennen, manchmal hundert Teilnehmer pro Meeting, an schlechten Tagen vielleicht auch nur dreißig. Die meisten in Pixhill trainierten Rennpferde reisten glücklicherweise in meinen Transportern, und da zu dem Einzugsgebiet mindestens fünfundzwanzig Trainer gehörten, verdiente ich gut, wenn auch kein Vermögen.

Allen Hindernisjockeys Anfang der Dreißig drängt sich die Frage auf, was nun? Ein Leben liegt hinter ihnen, un-ausgefüllte Zeit vor ihnen. Ich hatte mit achtzehn schon Pferde für meinen Vater gefahren, der einen eigenen Transporter besaß; hatte Pferde von ihm zu den Rennen geschafft, sie versorgt, sie in Amateurrennen geritten, sie nach Hause gebracht. Mit zwanzig, nach abgeschlossener Lehre, wurde ich von einem Topstall engagiert und belegte dann zwölf Jahre hindurch den zweiten bis sechsten Platz in der Jockeyliste, bei vierhundert und mehr Hindernisrennen pro Saison. Nur wenige Hindernisjockeys halten sich länger so weit oben, da immer wieder Stürze dem Körper zusetzen, und mit zweiunddreißig hatten die Zeit und die Verletzungen, wie abzusehen, auch mich eingeholt.

Der Wechsel vom Jockey zum hauptberuflichen Pferdetransporteur hatte in mancher Hinsicht eine gewaltige Umstellung bedeutet, aber auch in schon vertrautes Terrain geführt. Nach drei Jahren dieses neuen Lebens kam es mir vor, als sei es von Anfang an unvermeidlich gewesen.

Ich füllte Bretts Lohntüte wie versprochen mit Bargeld aus meinem Safe und gab die Information in den Computer ein, damit Rose sie drüben im Büro in die Papiere aufnehmen konnte. So oder so hatte sie mit Entlassungen nicht viel Erfahrung, da die Fahrerfluktuation bei uns gering war.

Bretts Umschlag in der Hand, ging ich hinaus zum Transporter, vor dem Dave und Brett standen und sich grimmig anfunkelten. Nachdem Dave den Schlauch von dem Wasserhahn hinterm Holzstoß abgenommen hatte, hielt er jetzt das zu losen Schlingen aufgerollte grüne Plastikding im Arm und bestand offenbar kindisch darauf, daß es Bretts Sache sei, es wieder in den Schrank zu hängen.

Gib mir Kraft, dachte ich und bat Dave freundlich, den Schlauch selbst wegzuhängen. Widerwillig stieg er in den Transporter, und Brett sah ihm gehässig nach.

«Das war nicht das erste Mal, daß Dave einen Anhalter mitgenommen hat«, sagte er.

Ich hörte zu, gab aber keine Antwort.

Brett sagte:»Ihn sollten Sie an die Luft setzen, nicht mich.«

«Ich hab Sie nicht an die Luft gesetzt.«

«So gut wie.«

In seinem scharfgeschnittenen jungen Gesicht war nicht die Spur von Humor, und es tat mir leid für ihn, daß er so darauf eingestellt war, sich sein Leben lang unbeliebt zu machen. Es gab wohl keine Möglichkeit mehr, ihn zu ändern; er würde jammern bis ins Grab.

«Sie werden Isobel eine Nachsendeadresse angeben müssen«, sagte ich im Gesprächston.»Man braucht Sie ja vielleicht, wenn der Tod des Mitfahrers von gestern untersucht wird.«

«Die haben doch Dave.«

«Lassen Sie trotzdem eine Adresse da.«

Er grunzte, nahm ohne Dank seine Lohntüte in Empfang und fuhr davon, während Dave wieder an meine Seite kam und ihm haßerfüllte Blicke nachsandte.

«Was hat er gesagt?«fragte er.

«Sie hätten schon öfter Anhalter mitgenommen.«

Dave war auf hundertachtzig.»Das sieht ihm ähnlich.«

«Tun Sie’s nicht, Dave.«

Er hörte, welchen Nachdruck ich in die Worte legte, und bemühte sich vergeblich, es ins Scherzhafte zu wenden.»Soll das eine Drohung sein?«»Eine Warnung.«

«Es ist doch irgendwie nicht nett, wenn man Leute an der Straße stehen läßt.«

«Auch wenn Sie es nicht nett finden«, sagte ich,»beißen Sie die Zähne zusammen und fahren Sie vorbei.«

«Na ja… gut. «Er grinste mich halbherzig an und versprach, auf der Rückfahrt von Gloucestershire am Nachmittag, wenn er die Zuchtstuten abgeliefert habe, keine Anhalter mitzunehmen.

«Ich meine es ernst, Dave.«

Er seufzte,»Ja. Ich weiß schon.«

Er holte sein rostiges Fahrrad vom Holzstoß, quietschte die Einfahrt hinunter und mußte einen Schlenker machen, weil Jogger ihm mit seinem Lieferwagen entgegenkam.

Jogger hatte ein buchgroßes, dicht mit Nägeln beschlagenes Stück Holz dabei. Die Nagelköpfe würden an dem Magnet haften, sagte er, aber nicht so fest, daß er das Ganze bei der nächsten Überholung nicht wieder herunterbekomme. Das Holz werde verhindern, daß der Magnet noch etwas anderes anziehe.

Ich glaubte es ihm und sah zu, wie er geschickt ohne das Rollbrett unter den Rahmen glitt und nur Sekunden brauchte, um das schützende Holz anzubringen. Im Nu war er wieder auf den Beinen und bedachte mich mit einem schrägen gelbstichigen Lächeln.

«Das ging ja schnell«, sagte ich nachdenklich.

«Wenn man weiß, wo, ist es ein Kinderspiel.«

Gerade als Jogger wieder wegfuhr, traf Harve ein. Wir gingen zusammen ins Haus, und ich zeigte ihm die schmutzbedeckte Kassette und erklärte ihm, wo Jogger sie gefunden hatte. Er sah so verwirrt aus, wie ich es selber war.

«Wozu soll die denn gut sein?«sagte er.

«Jogger meint, wir haben, ohne es zu wissen, Drogen befördert.«

«Was?«

«Vielleicht Kokain geschmuggelt.«

«Nein. «Harve war eisern.»Das könnte niemand ohne unser Wissen.«

Bedrückt sagte ich:»Vielleicht weiß es ja jemand von uns.«

Harve stimmte nicht zu. Unsere Fahrer seien Heilige, deutete er an.

Ich erzählte ihm von dem nächtlichen Besucher, der schwarz vermummt in den Transporter eingedrungen war.

«Er hatte einen Schlüssel zur Pflegertür«, sagte ich.»Den muß er gehabt haben. Die Schlösser sind nicht beschädigt.«

«Ja«, sagte Harve nachdenklich,»aber Sie wissen auch, daß die Schlüssel für die Pflegertür nicht nur bei einem Transporter passen. Ich meine, ich weiß mit Sicherheit, daß mein Transporter dafür den gleichen Schlüssel hat wie der von Brett hier. Die werden oft nachgemacht.«

Ich nickte. Die Zündschlüssel waren jeweils individuell verschieden und ließen sich nicht nachmachen, doch die Schlösser der Pflegertüren stammten aus einer Serie, und einige Transporter hatten Schlüssel, die auf andere paßten.

«Was wollte er im Fahrerhaus«, fragte Harve,»wenn das Ding da. das Versteck. unterm Wagen war?«

«Ich weiß es nicht. Er hatte Dreck an den Kleidern. Vielleicht hatte er untendrunter schon nachgesehen, und das Versteck war leer.«

«Was unternehmen Sie jetzt?«fragte Harve.»Gehen Sie zu Sandy Smith?«

«Vielleicht — irgendwann. Ich will uns nicht in Schwierigkeiten bringen, wenn es nicht sein muß.«

Das hörte Harve gern.»Der Zoll braucht davon nichts zu wissen«, sagte er nickend.»Die würden uns an jeder Kreuzung stundenlang aufhalten. Sollte mich nicht wundern, wenn das für die gleich ein >konkreter Hinweis< wär.«

Sein freundliches Gesicht war nur leicht beunruhigt, und die unangenehme Entdeckung war wohl auch kein Grund, sofort einen Großalarm auszulösen.

«Okay«, sagte ich,»machen wir weiter. Ich komme zum Auftanken mit auf den Hof und fange mit der Pendeltour an.«

Ich schloß das Haus ab, während Harvey losfuhr, und folgte ihm dann zu dem knapp eine Meile entfernten Bauernhof, näher am Zentrum von Pixhill.

Harve, seine Frau und vier flachsblonde Kinder wohnten gleich neben dem Hof in dem ehemaligen Bauernhaus. Die alte Scheune war jetzt Joggers Reich, eine Werkstatt mit Arbeitsgrube und allen technischen Schikanen, zu deren Kauf er mich überreden konnte.

Der einstige Kuhstall war jetzt eine kleine Kantine und eine Bürosuite mit drei Räumen und Blick auf den Hof, so daß man das Kommen und Gehen der Transporter, die alle ihren festen Standplatz hatten, beobachten konnte. Ein kleiner Stallblock mit Platz für drei Pferde befand sich zwischen dem Bürobau und der hohen Scheunenmauer. Wenn ihre Ankunft oder Abreise mitten in die Nacht fiel, brachten wir dort manchmal vorübergehend unsere Fahrgäste unter.

Für heute hatte das Geschäft bereits begonnen. Der andere Neuner war schon unterwegs, um die für Irland bestimmten Zuchtstuten abzuholen. Die Standplätze der beiden Transporter nach Southwell waren ebenfalls leer. Jogger fuhr Phils Transporter zur Wartung in die Scheune.

Ich hielt an der Dieselpumpe und tankte voll.

Normalerweise tankten wir abends bei der Rückkehr auf, da bei viertelvollen Tanks Komplikationen durch über Nacht kondensierte Luft entstehen konnten, ein Tip, den mir ein befreundeter Pilot gegeben hatte. Bei der Rückkehr spritzten wir auch die Transporter ab und reinigten das Innere mit Desinfektionsmitteln, damit sie morgens sauber und startbereit waren.

Brett, sah ich, hatte die Reste seines Picknicks entfernt, aber den Fleck auf der Bank, statt ihn auszuwaschen, mit der längsgefalteten und über die Bank gebreiteten Pferdedecke zugedeckt. Typisch, dachte ich.

Im Büro befragten Isobel und Rose ihre PCs, drehten die Heizung auf und tranken Kaffee aus der Kantine nebenan. Rose sagte, sie habe Brett schon seine Papiere ausgehändigt und sich die Adresse seiner Mutter geben lassen und sei froh, ihn loszusein.

Rose, rundlich, mittelalt, besorgte die Buchhaltung, kümmerte sich um die Lohntüten, verschickte Rechnungen, legte mir Schecks zur Unterschrift vor und paßte auf, wo das Geld hinging. Isobel, freundlich, jung, intelligent, bediente das Telefon, nahm die Bestellungen auf und plauderte mit den Sekretärinnen vieler Trainer, wobei sie nützliche Vorabinformationen über Pläne und Termine einzuholen verstand.

Rose und Isobel hatten jede ein Büro für sich, in dem sie von halb neun bis vier arbeiteten. Das dritte Büro, weniger geschäftig, weniger persönlich, war genaugenommen mein eigenes, wurde aber ebensosehr von Harve benutzt. Die Papiere der Transporter befanden sich dort, und auch Duplikate der Zündschlüssel, in einer verschlossenen Schublade.

Trotz der Grippe, trotz Brett, trotz Kevin Keith Ogden ließ die Arbeit sich an diesem Freitag offenbar gut an.

Der Fahrer, der die sechs Stuten von Jericho Rich nach Newmarket bringen sollte, war bereits auf dem Hof angekommen, da Michael Watermead aus irgendeinem Grund Wert darauf legte, daß sie zeitiger bei ihm abgeholt wurden als die Ladung Zweijährige am Tag vorher.

Ich erklärte Nigel, dem Fahrer, daß Michael den Stuten keine seiner Pfleger mitgeben wolle (»Jericho kann warten, bis er schwarz wird, ehe ich ihm einen Gefallen tu«), aber daß ein Wagen mit Stallangestellten des Zieltrainers von Newmarket herüberkommen werde.

«Mit Brett haben sie’s gestern genauso gemacht und vorgestern mit Harve, es dürfte also keine Probleme geben«, sagte ich.

Nigel nickte.

«Und nehmen Sie auf dem Rückweg keine Leichen mit.«

Er lachte. Er war vierundzwanzig, unersättlich auf das andere Geschlecht ausgerichtet, nahm das Leben als Scherz und verfügte über eine schier unerschöpfliche Ausdauer, für mich sein größter Vorzug. Wenn wir nachts lange Strecken zu fahren hatten, griff ich nach Möglichkeit auf ihn zurück.

Die Trainer hatten oft einen Lieblingsfahrer, jemand Bestimmten, den sie kannten und der ihr Vertrauen genoß. In Michael Watermeads Fall war es ein Fahrer namens Lewis, der sich gerade die Hände an einem Becher Tee wärmte und sich Daves mit Rechtfertigungen gespickte Version der letzten Fahrt des K. K. Ogden anhörte.

«Hat er gar nichts gesagt?«fragte Lewis interessiert.»Einfach den Löffel abgegeben?«

«Gibt einem doch zu denken, was?«

Lewis nickte zustimmend mit dem kurzgeschorenen Kopf. In den Zwanzigern wie die meisten Fahrer, war er findig, kräftig, einsatzfreudig. Er hatte eine Drachentätowierung auf dem einen Unterarm und, wie man hörte, eine beachtliche Karriere im Radsport hinter sich. Das Gerede hatte mich anfangs skeptisch gestimmt, doch er war absolut zuverlässig am Steuer seines blitzenden SuperSechsers, und Michael, der hohe Anforderungen stellte, hatte eine Schwäche für ihn entwickelt.

Als Folge davon fuhr Lewis namhafte Pferde zu großen Meetings. Der Watermead-Stall beherbergte zur Zeit mehrere Kandidaten für die» klassischen «Rennen, mit einer repräsentativen Auswahl für die Guineas und den Preis der Diana; und alle Fahrer hatten ihr Geld bereits auf den dreijährigen Watermead-Superstar Irkab Alhawa gesetzt, den Lewis, wenn alles gutging, im Juni zum Derby nach Epsom fahren würde.

Heute morgen machte er sich auf den Weg nach Frankreich, um zwei Zweijährige abzuholen, die ein Besitzer erstanden hatte, um sie in Michaels Hof trainieren zu lassen. Da er — mit Michaels Einverständnis — allein, ohne Beifahrer fuhr, würde er unterwegs rasten müssen und erst Montag abend zurücksein. Er würde wie üblich im Fahrerhaus schlafen, seinem bevorzugten Quartier.

Ich vergewisserte mich, daß er die richtigen Papiere und Wasser und Futter für die Zweijährigen dabeihatte, und sah zu, wie er gutgelaunt die Reise antrat.

Nachdem Harve das übrige Tagesprogramm noch einmal mit mir durchgegangen war, fuhr ich dann los zur kühlen, sturmgepeitschten Ebene von Salisbury, um den Jojo-Transport in Angriff zu nehmen, der bis zum Abend dauern und mir sehr wohl noch Kopfschmerzen bereiten konnte. Die Kopfschmerzen würden von der Stimme und der Persönlichkeit der umziehenden Trainerin kommen, einer energischen Frau in den Fünfzigern mit der Sprechweise und gelegentlich auch dem Wortschatz eines Kasernenstubenpapageis. Ich wollte sie trotzdem zufriedenstellen, um mir ihre künftigen Aufträge zu sichern.

Sie kam zu dem Transporter herüber, als ich auf ihrem Hof anhielt, und stieß den ersten Kreischer des Tages aus.

«Der Chef persönlich!«rief sie ironisch, als sie mein Gesicht erblickte.»Was verschafft mir die Ehre?«

«Eine Grippe«, sagte ich knapp.»Guten Morgen, Marigold.«

Sie linste hinter mich auf die leeren Beifahrersitze.»Haben Sie keinen Helfer mitgebracht? Ihre Sekretärin sagte, Sie kämen zu zweit.«

«Er muß heute fahren. Tut mir leid.«

Sie schnalzte gereizt mit der Zunge.»Die Hälfte meiner Pfleger hat sich erkältet. Es ist zum Auswachsen.«

Ich sprang aus dem Fahrerhaus und ließ die beiden Rampen herunter, während sie murrend zusah, eine drahtige Gestalt in Steppjacke und Strickmütze, die Nase blau vor Kälte. Sie ziehe nach Pixhill, hatte sie der Rennsportpresse erzählt, weil es dort wärmer für die Pferde sei.

Sie hatte die Reihenfolge, in der ihr Lot reisen sollte, auf einer Liste festgehalten. Ihre dezimierte Pflegertruppe führte die Pferde über die Rampen in den Transporter hinauf, und ich klappte die Zwischenwände um sie herum, bis die ersten neun untergebracht waren.

Marigold — Mrs. English, wie die Pfleger sie nannten — forcierte das Verladen mit derben Zwischenrufen und allgemeiner Ungeduld. Ich hätte zu gern gewußt, wie Dave es immer schaffte, den Pferden Vertrauen einzuflößen, während er sie die Rampe hochführte: Marigolds Methode bestand eher darin, sie hinaufzuscheuchen, so daß ich einige zitternd und verstört in ihre Boxen sperren mußte.

Sie hatte beschlossen, mir nach Pixhill vorauszufahren, um die Pferde auf dem neuen Hof in Empfang zu nehmen. Vier ihrer Pfleger fuhren bei mir im Fahrerhaus mit, alle offenbar begeistert über den Umzug, gespannt auf das Pixhiller Nachtleben, das sie sich nach den immerkühlen Winden von Stonehenge ziemlich heiß vorstellten.

Ihr neuer Hof war ein alter in Pixhill, jetzt modernisiert und erweitert. Seine ersten neun Bewohner klapperten die Rampen hinunter und wurden von Marigold anhand der Liste lautstark in ihr neues Zuhause dirigiert. Ich schaufelte den Mist in Mistsäcke, die ihre Pfleger mir gaben, und brachte den Wagen für die zweite Tour in Schuß.

Erfreut teilte Marigold mir mit, da ich die Arbeit selber machte, brauche sie ja nicht den ganzen Tag mit hin- und herzufahren und aufzupassen, sondern könne mir die nächste Fuhre allein anvertrauen. Sie gab mir die Liste. Ich dankte ihr. Sie sah mich freundlich an. Ich dachte frohlockend, daß ich sie bis zum Abend als feste Kundin in der Tasche haben würde.

Mit solchen ersprießlichen Gedanken brach ich wieder in Richtung Salisbury auf und wurde durch einen Anruf von Jogger aus meiner Selbstzufriedenheit gerissen.

«Ahoi, Käpt’n«, sagte er fröhlich,»wir haben noch so ein paar Ufos.«

«Jogger… ich verstehe nur Bahnhof.«

«Anhängsel«, sagte er hilfsbereit.»Napfschnecken. Die so am Rumpf von Schiffen kleben.«

«Wo sind Sie gerade?«fragte ich.

«In Ihrem Büro.«

«Ist jemand bei Ihnen?«

«Astreine Leitung, was? Möchten Sie mit Wachtmeister Smith sprechen? Der ist gerade hier.«»Augenblick«, sagte ich.»Reden Sie von dem, was ich vermute? Meinen Sie mit Ufos… unbekannte fahrende Objekte?«

«Genau.«

«Wie die Geldkassette?«

«Ähnlich, aber nicht gleich. «Jogger schwieg und ließ mich ein Grollen der vertrauten Stimme von Sandy Smith hören.»Wachtmeister Smith«, sagte Jogger,»möchte wissen, wann Sie zurückkommen. Er sagt, gegen diesen Toten lag ein Haftbefehl vor.«

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