Kapitel 4

Joggers Genick war gebrochen.

Wir schauten auf ihn herunter, auf den unnatürlichen Neigungswinkel seines Kopfes.

«Er muß hineingefallen sein«, sagte Farway, als stellte er eine Tatsache fest.

Von der anderen Seite der Grube sah mich Harve an, der offenbar genau wie ich dachte, daß Jogger sturzbetrunken hätte sein müssen, um aus Versehen in eine Schmiergrube zu fallen, und selbst dann wäre ich noch jede Wette eingegangen, daß seine Reflexe ihn davor bewahrt hätten.

Als habe er den Gedanken oder zumindest den ersten Teil davon aufgeschnappt, seufzte Sandy Smith:»Er hatte echt geladen gestern abend im Pub. Die ganze Zeit schwadroniert von Kuckuckseiern unter den Lastern. Ufos und so Sachen. Ich hab ihm die Wagenschlüssel abgenommen und ihn zum Schluß heimgebracht. Sonst hätte ich ihn wegen Trunkenheit am Steuer festnehmen müssen.«

Bruce Farway fragte ihn wichtig:»Haben Sie schon seine Frau verständigt?«

«Unverheiratet«, sagte Sandy.

«Keine Angehörigen«, ergänzte ich.»Ich frage immer alle meine Angestellten nach ihren nächsten Angehörigen und schreibe sie mir auf, doch Jogger sagte, er hätte keine.«

Farway zuckte die Achseln, kletterte die an der Grubenwand verschraubte Metalleiter hinunter, beugte sich fach-

männisch über den gekrümmten Körper und berührte kurz den verdrehten Hals. Dann richtete er sich auf, nickte und teilte mir in fast anklagendem Ton mit:»Ja, der ist auch tot. «Damit wollte er wohl sagen, zwei Leichen innerhalb von vier Tagen auf meinem Grundstück seien verdächtig viel.

Michael Watermead, der das Ende seiner Einladung nicht abgewartet und mich zum Unglücksort begleitet hatte, fragte neugierig:»Wer denn noch?«

«Der Anhalter«, sagte ich.»Am Donnerstag.«

«Ach ja. Natürlich. Hab ich ganz vergessen. Auf der Rückfahrt nach dem Transport von Jerichos Zweijährigen. «Beim Gedanken an Jericho verfinsterte sich sein Patriziergesicht; die erschreckend beiläufige Enthüllung seines Sohnes Ed war noch unverdaut, unverarbeitet.

Daß Michael jetzt hier in meiner Scheune war, verdankte ich vermutlich einer Mischung aus schlichter morbider Neugier, freundschaftlicher Anteilnahme und einem verschwommenen Gefühl von Verantwortung für die Mitbürger, das sich auf das englische Leben auf dem Dorf traditionsgemäß so wohltuend auswirkte. Jedenfalls brachte er eine ruhige Autorität in das Geschehen ein, die Harve, Sandy und mir vielleicht abging.

«Wie lange ist er schon tot?«fragte ich.»Ich meine… Stunden? Seit gestern abend?«

Bruce Farway sagte zögernd:»Er ist ziemlich kalt, aber ich würde sagen, erst seit dem späten Vormittag.«

Wir alle sahen ein, daß eine genauere Schätzung zu diesem Zeitpunkt unmöglich war. Die Grube selbst und die Luft waren ebenfalls kalt. Der Arzt kam die Leiter herauf und meinte, dann müßten er und Sandy wohl wieder den Transport für die letzte Reise bestellen.

«Wie ist es mit Fotos?«sagte ich.»Ich habe eine Kamera im Büro.«

Der Vorschlag fand einhellige, feierliche Zustimmung. Ich ging über den Hof, schloß das Büro auf, holte meine Nikon und kehrte zur Scheune zurück. Alle standen noch wie vorher um die Grube und sahen mit ausdruckslosen Gesichtern auf Jogger nieder.

Das Licht, das durch ein Fenster zum Hof in die Scheune drang, hatte nie gereicht und mußte immer durch elektrisches Licht ergänzt werden. Obwohl die Deckenbeleuchtung brannte, machte ich die Aufnahmen zur Sicherheit mit Blitz, erst vom Rand aus, dann unten in der Grube, neben meinem armen Mechaniker.

Ich faßte ihn nicht an, auch wenn ich mich dicht über ihn beugte, um seinen Kopf abzulichten. Er lag in dem Winkel zwischen Boden und Wand; rauhe, fettverschmierte Betonwandung, ölgeschwärzter Boden. Es sah aus, als schaute er auf die Wand fünfzehn Zentimeter vor seiner Nase, denn die Augen waren, wie bei so vielen plötzlich Verstorbenen, noch geöffnet. Man sah die gelben Zähne in zwei ungleichmäßigen Reihen in seinem Mund. Er trug den alten Armeepullover, die schmutzstarrende Hose, die rissigen alten Schuhe. Erstaunlicherweise roch er immer noch nach Öl und Staub; nach Erde, nicht nach Tod.

Die Grube war anderthalb Meter tief. Als ich mich aufrichtete, waren meine Augen ungefähr auf einer Höhe mit den Fußgelenken von Sandy, Harve und Michael. Bruce Farway war hinter mir. Eine Schrecksekunde lang warnte ein primitiver Instinkt mich davor, mein Genick so aus einem Loch im Boden herausstehen zu lassen, und ich drehte mich rasch um, sah Farway aber harmlos in ein Notizbuch schreiben und kam mir albern vor.

Ich zog mich die Leiter hinauf, stieg aus der Grube und fragte Harve, wieso er Jogger gefunden habe.

Harve zuckte die Achseln.»Ich weiß es nicht. Ich bin einfach so um den Hof gegangen, wie ich es oft mache. Die Transporter, die heute eingesetzt sind, waren alle weg. Die hatte ich vor der Abfahrt noch kontrolliert. Um mir die Zeit bis zum Mittagessen zu vertreiben, bin ich dann eben noch mal herumgegangen.«

Ich nickte. Harve war immer gern auf den Beinen und in Bewegung.

«Dabei fiel mir auf, daß in der Scheune Licht brannte«, sagte er,»und ich bin rüber, weil ich dachte, wir könnten ein bißchen Strom sparen, denn ich hatte vorher niemand reingehen sehen. Da lag auch nichts an. Ich habe mir keine Gedanken gemacht oder so, ich bin nur her, um nachzusehen und, wie gesagt, um das Licht auszuschalten. «Er schwieg.»Fragen Sie mich nicht, wieso ich bis zur Grube gegangen bin. Ich weiß es nicht. Ich bin einfach hin.«

Die Grube lag ziemlich weit hinten in der Scheune, gerade um zu verhindern, daß Leute aus Versehen hineintappten. Durch eine breite Schiebetür am einen Ende der Scheune konnten die Transporter direkt herangefahren und über die Grube gestellt werden. Die kleine Tür an der Hofseite führte in einen allgemeinen Werkstattbereich mit einem großen, verschlossenen Geräteraum in der einen Ek-ke.

Ich sagte:»Glauben Sie, Jogger hat die ganze Zeit hier gelegen, während die Fahrer zur Arbeit gekommen und losgefahren sind?«

Harve sagte bekümmert:»Ich weiß es nicht. Kann schon sein. Ganz schön grausig, was?«

«Die Obduktion wird es zeigen, nicht wahr, Bruce?«sagte Michael, und Bruce, dem es schmeichelte, daß Michael ihn beim Vornamen nannte, war auch der Meinung, man könne mit Spekulationen ruhig bis dahin warten.

Michael fing den ironischen Blick auf, den ich ihm zuwarf, und zwinkerte fast. Die Eroberung des Doktors ging offensichtlich gut voran.

Farway und Sandy griffen zu ihren Funktelefonen und riefen Verstärkung herbei. Michael fragte, ob er den Apparat in meinem Büro benutzen dürfte. Bitte sehr, sagte ich, es ist offen. Er ging gleich los, und als Harve und ich nervös und verunsichert hinzukamen, sagte er gerade:»Kann einem leid tun, der arme Freddie«, in Isobels Telefon, das erste, auf das er gestoßen war, und:»Ach, zweifellos ein Unfall. Muß jetzt Schluß machen. Bis dann.«

Er legte auf, sagte danke und tschüs und verabschiedete sich von uns mit einem gütigen Lächeln, in der beruhigenden Gewißheit, daß ihm aus Joggers Tod keine Unannehmlichkeiten erwachsen würden.

«Was halten Sie davon?«fragte Harve, als wir unser gemeinsam genutztes Büro erreichten und eine Denkpause einlegten.

«Glauben Sie, er ist gestürzt?«fragte ich.

«Ich möchte nicht daran denken, was es sonst sein könnte.«

«Nein«, stimmte ich zu.

«Aber wenn er nicht gestürzt ist…«

Er ließ die Worte im Raum stehen, und ich auch.

Ich sagte:»Wer war gestern abend mit Jogger im Pub?«

Harve überlegte nicht lange:»Sandy natürlich. Dave bestimmt auch… Ich nicht…«Entgeistert brach er ab.»Meinen Sie etwa. wer war da im Pub und hat ihn reden hören über Kuckuckseier unter den Brummis? Das kann doch… das kann nicht Ihr Ernst sein…«

Ich schüttelte den Kopf, aber wem wäre der Gedanke nicht gekommen?

«Warten wir lieber den Autopsiebericht ab«, sagte ich.»Vielleicht stellt sich heraus, daß er auf einer Ölspur ausgerutscht und mit dem Nacken auf den Grubenrand geschlagen ist — was ja passieren kann —, dann sehen wir weiter.«

«Aber die Geldkassette in dem Versteck war doch leer«, hakte Harve nach.»Niemand würde Jogger umbringen, bloß weil er so ein leeres Ding gefunden hat. Niemand. Das kann es nicht sein.«

«Nein«, sagte ich.

Harve starrte besorgt auf die Reihe der Pferdetransporter.

«Als ich ihn gefunden habe«, sagte er,»bin ich nach Hause und habe Sie daheim angerufen, aber nur Ihren Anrufbeantworter gekriegt mit der Nachricht, Sie würden bald zurückrufen, die drauf ist, wenn Sie mal ein, zwei Stunden weg sind. Aber, na ja, ich dachte, das kann nicht warten, und hab also Sandy angerufen. War das in Ordnung?«

«Das einzig Richtige.«

«Wir wußten nicht, wo Sie waren. Schließlich haben wir uns an Isobel gewandt, und die meinte, Sie seien wahrscheinlich bei den Watermeads; Nigel hatte ihr etwas in der Richtung gesagt, als er sie wegen der Abfahrtszeiten, die die Watermead-Tochter vermasselt hatte, anrief. Nigel wußte es anscheinend von Tessa. Da meinte Sandy dann, er fährt vorbei und holt Sie.«

«M-hm. «Neuigkeiten reisten in Pixhill in schwindelerregenden Spiralen.

Harve schien sich etwas zu überlegen, was ihn beunruhigte. Ich kannte ihn lange genug, um sofort zu merken, daß er sich offenbar fragte, wie er mir die unangenehme Nachricht beibringen sollte und ob überhaupt.

«Spucken Sie’s aus«, sagte ich resigniert.

«Oh! Na ja… Nigel sagte, Tessa wollte bei dem Stutentransport dabeisein und mit ihm nach Newmarket fahren. Sie war schon eingestiegen und hatte sich startbereit auf den Beifahrersitz gepflanzt.«

«Hoffentlich hat er sie nicht mitgenommen.«

«Nein, aber er war hin- und hergerissen. Ich meine, auf der einen Seite Sie mit Ihrer Drohung, jeden rauszuwerfen, der Anhalter mitnimmt, und auf der anderen Seite die Tochter des Trainers, die gern mitfahren wollte. «Er schwieg.»Sie ist schon eine richtige junge Frau, die Kleine, und Nigel ist ein sexy Brocken, meint meine Frau, und deshalb dachte ich… aber verstehen Sie mich nicht falsch… daß es vielleicht besser wäre, Sie wüßten Bescheid.«

«Ich bin Ihnen sehr dankbar«, sagte ich wahrheitsgemäß.»Auf so einen Schlamassel können wir verzichten. Ich möchte nicht Michael Watermeads Aufträge verlieren, bloß weil seine Tochter hinter einem unserer Fahrer her ist. Am besten schicken wir Nigel nicht mehr hin, so ärgerlich das, gelinde gesagt, auch ist.«

Lewis war zwar Michaels bevorzugter Fahrer, aber sehr oft war für die Watermead-Transporte mehr als ein Wagen nötig. Wenn ich Nigel nicht schicken konnte, blieben mir nicht viele Möglichkeiten.

Lachend sagte Harve:»Wir können ja Pat die Watermead-Zusatzfuhren geben, wenn es ihr wieder bessergeht, und was bis dahin anfällt, könnte die Aushilfe übernehmen.«

«Ausgezeichnet!«Ich unterdrückte ein Grinsen und hinterließ eine Notiz für Isobel, Nigel vornehmlich bei Marigold English einzusetzen, deren Puls er vielleicht nutzbringend beschleunigen konnte.

Bald darauf kam ein Polizeiwagen vorsichtig zum Tor hereingekrochen und spuckte Kriminalbeamte, einen Gerichtsmediziner und einen Fotografen aus. Harve und ich gingen hinüber zur Scheune, wo Sandy seinen Kollegen in Zivil die Schmiergrube mit dem Toten zeigte und Bruce Farway wichtigtuerisch mit seinem polizeilichen Pendant sprach. Der Polizeifotograf machte seine Blitzlichtaufnahmen aus den gleichen Winkeln wie ich.

Harve wurde gefragt, wie er die Leiche gefunden hätte, und seine Aussage wurde in dem gespreizten Englisch aufgenommen und ihm vorgelesen, das solche Verfahren anscheinend mit sich bringen.

Er unterschrieb das Ergebnis, auch wenn die Worte nicht seine eigenen waren, und Farway, Sandy und ich bestätigten, daß die Leiche noch so war, wie wir sie vorgefunden hatten und daß am Fundort weder etwas hinzugefügt noch weggenommen worden war.

Sandys Kollegen waren unpersönlich, humorlos. Alle tödlichen Unfälle müßten eingehend untersucht werden, sagten sie, und morgen werde es mit Sicherheit noch weitere Fragen geben.

Derselbe schwarze Leichenwagen, der Kevin Keith Ogden abgeholt hatte, oder ein sehr ähnlicher, traf auf dem Hof ein, und wieder verließ einer, aus dem Leben gerissen, unter Tuch und Riemen in einem Metallsarg mein Gelände.

Die Polizei fuhr mit ernsten Gesichtern hinterher. Farway, Sandy und ich schauten ihnen nach, und ich zumindest atmete auf.

«Alles sehr traurig«, meinte Farway ein wenig geschäftsmäßig, als wäre ihm das Ganze einerlei.

«Ein Original«, sagte Sandy nickend.

Kein großer Grabspruch, dachte ich. Ich sagte:»Sandy, haben Sie Jogger gestern abend in Ihrem Wagen heimgefahren oder in seinem?«

«Gestern abend. In meinem. Sein Lieferwagen, das alte Wrack, wird noch am Pub stehen.«

«Das alte Wrack gehört eigentlich mir«, sagte ich ihm.»Ich hole es nachher ab. Haben Sie noch die Schlüssel?«

Die lagen bei ihm zu Hause, zur Aufbewahrung. Ich sagte, ich würde sie demnächst abholen, und mit einem Seufzer der Erleichterung fuhr er davon, um den Rest seines freien Sonntags zu retten.

Bruce Farway fuhr dann auch, aber ohne die etwas schleimige Herzlichkeit, mit der er Michael und den Polizeiarzt bedacht hatte, an mich zu verschwenden; er nickte nur kühl zum Abschied. Harve ging zu Fuß nach Hause zu seinem lange aufgeschobenen Mittagessen, und ich wan-derte in der Scheune umher, starrte in die jetzt leere Schmiergrube und überzeugte mich, daß im Geräteraum nichts aus der Ordnung war.

Der Geräteraum, fensterlos, maß geräumige sechs mal drei Meter. Ich schloß die breite Tür auf, drehte das Licht an und blickte auf Joggers Reich; zwei hydraulische Schwerlastwagenheber, ein Riesenaufgebot an Engländern und Schraubenschlüsseln, beschriftete Ersatzteilkisten, Kabelrollen, Ketten, Ölkanister, Dosen mit Schmierfett und ein Satz von sechs neuen Michelinreifen, die auf ihre Einwechslung warteten.

Der Boden war schmutzig, das Werkzeug aber sauber, wie so oft bei Jogger. Soweit ich sah, war die allgemeine Ordnung, die er im Geräteraum wunderbarerweise aufrechterhalten hatte, nicht angetastet. Der Lieferwagen würde im Gegensatz dazu ein Bild hoffnungslosen Wirrwarrs bieten, auch wenn Jogger immer mit einem Griff die richtige Zange herauszupicken verstand.

Ich schaltete das Licht aus, schloß den Geräteraum ab und ging an der langen Werkbank in der Scheune entlang, einem stabilen Bord, auf dem sich im Augenblick nichts als ein großer und ein kleiner Schraubstock befanden, beide festgeschraubt. Nirgends lag Werkzeug herum. Nichts, worüber man hätte stolpern können, wie betrunken auch immer.

Bedrückt verließ ich die Scheune, indem ich zwar das Licht löschte, die Tür zum Hof aber wie üblich unverschlossen ließ. Was genug ist, ist genug, sagte ich immer. Wir sperrten ja das Werkzeug weg, und am Außentor war das Vorhängeschloß. Die Sicherheit konnte zur fixen Idee werden, und wir hatten uns ohnehin nur gegen Diebe geschützt, nicht gegen Schmuggler.

Nicht gegen Mord.

Ich schrak heftig vor dem Wort zurück. Ich konnte es nicht glauben. Wollte es nicht glauben.

Mord geschah doch nicht einfach. Nicht Jogger. Nicht wegen einer leeren Kassette und zwei leeren Röhren. Nicht weil er in der Kneipe gequatscht hatte.

Ich merkte, daß ich überreagierte und voreilig Schlüsse zog. Am besten, man wartete den Obduktionsbefund ab.

Im Büro dachte ich über Jogger nach: nicht über die Umstände seines Todes, sondern was für ein Mensch er gewesen war.

Ein Einzelgänger, ein alter Soldat, ein Armeelastwagenfahrer, der nur an der nordirischen Grenze zum Fronteinsatz gekommen war. Darüber sprach er so gut wie nie, wenn ich auch wußte, daß mehrere Kameraden, die in der gleichen Kolonne vor ihm fuhren, von einer Bombe zerrissen worden waren.

Ich hatte seine Dienste beim Kauf des Bauernhofes und der Transporter quasi als Teil der Einrichtung miterworben, ein Handel, der ihm offenbar zusagte und für mich ein Glücksfall war. Wo ich jetzt jemand finden sollte, der ebenso geschickt, so anspruchslos und engagiert war, stand in den Sternen.

Ich trauerte auch einfach so, ohne Eigeninteresse, um ihn. Trauerte um ihn als Mensch. Auf seine Weise war er ein ganzer Mensch gewesen, er hatte nicht gebraucht, was andere vielleicht an ihm vermißten. Niemand sollte einem anderen die eigene Vorstellung von einem erfüllten Leben aufzwingen.

Etwas später, als es dunkel zu werden begann, ging ich zu Sandy und holte die Schlüssel von Joggers Lieferwagen. Sandy gab sie mir anstandslos, da er wußte, daß der Lieferwagen mir gehörte; ich mußte nur eine Quittung unterschreiben. Offenbar kam es Sandy nicht in den Sinn, daß einige Schlüssel an dem Ring Joggers eigene sein könnten. Ich ging weiter zu Joggers Stammkneipe und fand dort auch den Lieferwagen auf dem Parkplatz. Auf den ersten Blick schien alles in Ordnung zu sein; auf den zweiten sah ich, daß die beiden Hecktüren einen Spalt geöffnet waren, und im Innern, wo das Rollbrett und ein Haufen Werkzeug in einer großen roten Plastikkiste hätten sein sollen, war nichts als Rost und Staub auf dem nackten Metallboden.

Ich seufzte. Eine ganze Kneipengesellschaft hatte gesehen, wie Jogger von Sandy nach Hause gebracht wurde und einen Lieferwagen voll leichter Beute zurückließ. Wahrscheinlich konnte ich froh sein, daß nicht auch der Lieferwagen selbst verschwunden war und daß er noch Reifen, Räder, Benzin und einen Motor hatte.

Ich fuhr das kurze Stück zu Joggers Bleibe, die ich bisher nur von außen kannte, eine baufällig wirkende Garage mit Dachgeschoß. Vor Zeiten war hier einmal die Wohnung eines Chauffeurs gewesen, wenn auch das dazugehörige Haupthaus längst nicht mehr stand. Jogger hatte mich immer auf dem laufenden gehalten über den viele Monate dauernden Kampf mit den guten Seelen im Gemeinderat, die das Gebäude für unbewohnbar erklären wollten, während er die Ansicht verfocht, daß sein Zuhause so gut sei wie immer und daß nur die Vorstellungen des Gemeinderats sich geändert hätten. Mir schien zwar, daß sich mit diesem Argument auch eine Höhle verteidigen ließ, doch bis dato hatte Jogger sich mit seiner großen pseudologischen Empörung erfolgreich behauptet.

Ich parkte den Lieferwagen vor dem alten Holztor der Garage, öffnete mühsam einen der knarrenden Flügel und ließ genug Straßenlicht herein, um mir den leeren Raum anzuschauen. Jogger hatte gesagt, sein Zimmer sei über eine schmale Treppe hinten in der Garage zu erreichen, und so kam ich oben zu einer dünnen Brettertür, die, als ich die Klinke herunterdrückte, gleich aufging. Schlüssel überflüssig. Ich fand einen Lichtschalter und trat zum erstenmal in Joggers private Welt ein. Einerseits hatte ich das Gefühl, etwas furchtbar Unrechtes zu tun, andererseits dachte ich auch, er würde gewollt haben, daß man sich darum kümmert, daß noch mal einer hingeht und nachsieht, ob sich auch niemand an seinem Besitz vergriffen hat.

Joggers Zuhause war so, wie er es zurückgelassen hatte, ein von den Werkzeugdieben nicht angetastetes Durcheinander. Er hatte jahrelang gut verdient, es aber offensichtlich vorgezogen, so zu leben, als säße ihm die Armut im Nacken. Als Bezug seines durchgesessenen Sessels diente ein schmuddeliges altes Tischtuch, als Tischtuch ein paar Zeitungen, der Fußboden war mit Linoleum ausgelegt. Die Armee hatte ihn vielleicht einmal zu allgemeiner Sauberkeit erzogen, aber nur bei der Arbeit hatte diese Ausbildung sich gegenüber der laxeren Haltung durchgesetzt, die er vermutlich schon als Kind eingeübt hatte. So fühlte er sich zu Hause, so fühlte er sich wohl.

Es gab keine Küche, nur ein paar Becher und Teller auf einer Kommode und daneben Tee, Zucker, Trok-kenmilch und ein paar Schachteln Kekse. Die eine Schublade, die ich öffnete, enthielt einen Wust von alten Kleidern. Der Anzug und das Hemd, die er beim Fahren trug, hingen über einem Kleiderbügel an einem Haken hinter der Tür.

Sein Bett — ein paar durcheinandergeworfene khakifarbene Decken auf einer Liege — war nach herkömmlichen Maßstäben ungemacht. Ausgeschlossen zu sagen, ob er in der vergangenen Nacht darin geschlafen hatte oder nicht.

Ich bemerkte, daß es in dem Raum nicht so kalt war wie draußen, und stieß auf das erste Anzeichen von Luxus, einen kleinen Heizlüfter, der der Natur die Spitze nahm. Da waren auch ein Farbfernseher, drei Kästen Bier, ein blanker Elektrokessel und ein Telefon. An der einen Wand lehnten mehrere Jahrgänge eines leicht pornographischen Wochenmagazins, und in einem Schuhkarton auf einem Bord stieß ich auf seine Geburtsurkunde, die Entlassungspapiere von der Armee und das Sparbuch einer Bausparkasse mit einem Kontostand, der mir die Augenbrauen in die Höhe schob und Aufschluß darüber gab, was er mit seinen Lohntüten angefangen hatte.

Ich ließ seine Papiere, wo ich sie gefunden hatte, und sah noch ein dürftiges Badezimmer, das so war, wie ich es inzwischen erwartete, schwerlich blitzsauber, aber auch nicht abstoßend, ein schlichter Verhau mit Wegwerfrasierern und zahnlückigem Kamm.

Beim Verlassen seines Zimmers ließ ich alles, wie es war, auch den Heizofen. Die ganze Örtlichkeit roch nach ihm, nach Öl, Erde und Staub. Solange sein Geruch blieb, blieb auch er. Der ehrenwerte Gemeinderat würde bald genug alles hinwegfegen.

Ich sperrte seine Tür ab, schloß das Garagentor und fragte mich, während ich mit dem Lieferwagen wieder zum Bauernhof fuhr, warum Jogger ohne seine Schlüssel, ohne seinen Wagen in die Scheune gekommen war… und wann… und wie… und mit wem?

Im Büro lag Joggers Fahrtenbuch auf Isobels Schreibtisch bereit, damit sie die Daten in den Computer eingeben konnte. Ich nahm das Buch mit ins Chefzimmer, setzte mich und las, was Jogger geschrieben hatte.

Nur das Knochengerüst der Fahrt. Keine Bemerkungen. Kein Drumherum. Er hatte vier namentlich genannte Hindernispferde bei einem Stall in Pixhill abgeholt und sie zum Rennen nach Chepstow gebracht. Abfahrtszeit, Ab-holzeit, Ankunft, Zeit der Abfahrt vom Rennplatz, Wiederankunft am Stall, Wiederankunft am Standort. Dieselverbrauch in Litern. Meilenstand vorher, nachher. Säuberung innen und außen. Gesamtzahl der Arbeitsstunden. Anzahl der Stunden am Steuer.

Nichts über Kuckuckseier oder Ufos.

Niedergeschlagen legte ich das Fahrtenbuch wieder auf Isobels Schreibtisch, und ich glaubte nicht, dort im Augenblick noch etwas ausrichten zu können. Vier Wagen waren noch auf Achse, nicht gezählt den in Frankreich und den in Irland, aber Harve würde sie bei der Rückkehr betreuen. Wenn etwas schiefgegangen war, erfuhr ich das schon früh genug. Ich gähnte, schloß ab und fuhr nach Hause.

Erfrischt durch ein schottisches Erzeugnis, setzte ich mich in meinen Drehsessel und spulte das Band des Anrufbeantworters für meinen Privatanschluß zurück. Den Firmenanschluß hatte ich auf Isobels Leitung gelegt, damit sie Aufträge entgegennehmen und die Transporte buchen konnte, aber Privatanrufe kamen über eine andere Nummer. An diesem Sonntag hatte ich den Privat-

Anrufbeantworter eingeschaltet, als ich zum Duschen nach oben gegangen war, hatte ihn dann angelassen, als ich Blumen pflückte und zum Friedhof ging, und natürlich auch, als ich zum Mittagessen zu den Watermeads fuhr, und seitdem war er die ganze Zeit an gewesen. Das Band drehte sich eifrig zurück.

Ich drückte auf den Startknopf und fiel beinahe aus dem Sessel.

Die erste Stimme war die von Jogger, rauh, Cockney, ohne Eile, ohne Angst.

«Ich kann den blöden Apparat nicht leiden«, sagte er.»Wo stecken Sie denn, Freddie? Jemand hat den Lieferwagen gechowchowt. Er steht nicht hier in der Garage, irgendein Wermolch hat ihn abgegriffen, als ich gepennt hab. Am besten, Sie sagen es Sandy — Nein… stopp… warten Sie…«Er schwieg eine Zeitlang und fuhr dann ziemlich verlegen fort:»Ehm, äh, streichen Sie das, Freddie. Ich weiß, wo er ist. Er steht an der Kneipe. Vergessen Sie, daß ich’s gesagt hab, okay?«

Die Verbindung brach ab, doch der zweite Anruf war ebenfalls von Jogger.»Das mit dem Lieferwagen ist mir so auf einmal wieder eingefallen. Sandy hat die Schlüssel. Ich geh erst noch am Bauernhof vorbei, nach dem Rechten sehen, dann hol ich die Schlüssel. Jedenfalls wollte ich Ihnen raten, mal die Cousins unters Tatü zu nehmen. Letztes Jahr im August hab ich einen in der Schmiergrube gefunden, der war tot und hat gewimmelt, und ein Phönixpferd hatte im vorigen Sommer den gleichen Hut auf und ist eingegangen. Was halten Sie davon?«

Seine Stimme brach ab und ließ mich mit dem Problem allein, daß ich nicht wußte, wovon er geredet hatte.

Cousins in der Schmiergrube! Und auch noch tot, wie er selbst. Armer Jogger, verdammte alte Nervensäge.

Warum konnte er etwas nicht geradeheraus sagen? Sein gereimter Slang war bisher nicht ernstlich von Bedeutung gewesen, aber jetzt war er doch sehr ärgerlich. Gechow-chowt hieß gemopst oder geklaut. Wermolch stand für Strolch, Tatü für die Hupe, die Lupe. All das war noch nachvollziehbar, weil es aus der Umgangssprache kam. Aber was sollten» Cousins «und» gewimmelt «und» Phönix«?

Was ich brauchte, entschied ich, war ein Reimlexikon, und morgen früh würde ich mir eins kaufen.

Ich hatte den Anrufbeantworter für meinen Privatanschluß an diesem Morgen gegen elf eingeschaltet. Da hatte Jogger noch gelebt. Um gegen drei am Nachmittag» ziemlich kalt «in der Grube zu liegen, mußte er schon recht bald nach seinen Anrufen gestorben sein. Eine Zeitlang saß ich nur da und schaute dumm auf das Gerät, als könnte es meinen Mechaniker irgendwie zum Leben erwecken. Hätte ich selbst mit ihm gesprochen, wäre er jetzt vielleicht sogar noch am Leben gewesen. Ich konnte das Telefon nicht klingeln hören, wenn ich unter der Dusche stand oder mein Rasierapparat lief. Vielleicht hatte er da angerufen, aber ich hatte die Rufanzeige nicht leuchten sehen. Wahrscheinlicher war, daß er es versucht hatte, als ich fort war, um die Blumen zu pflücken und niederzulegen. Wir mußten uns um Sekunden verpaßt haben.

Unendlich traurig hörte ich noch einige Nachrichten auf dem Band ab und erzählte ein oder zwei Leuten von Jogger. So oder so würde es vor dem Schlafengehen das ganze Dorf wissen.

Um halb acht am nächsten Morgen war ich nach einer unruhigen Nacht wieder auf dem Hof drüben und unterhielt mich mit den beiden Fahrern, die Rennpferde nach

Southwell bringen sollten. Dort gab es eine Allwetterbahn, direkt nordöstlich von Nottingham, deren Geläuf allgemein beliebt war, da es nicht wie Rasen rissig werden, frieren oder wegschwimmen konnte. Der einzige Nachteil für Trainer aus Pixhill war die Entfernung der Bahn, einhundertfünfzig Meilen von zu Hause, aber genau diese Entfernung füllte auch die Kassen von Croft Raceways. Es war mit die längste Strecke, die unsere Transporter an einem Tag hin und zurück fuhren, und sie bedeutete immer einen langen Tag. Weitere Strecken erforderten schon Übernachtungen oder zwei Fahrer, die sich am Steuer ablösten.

An diesem Montag waren sechs unserer Wagen für Rennplätze eingeteilt, zwei für Zuchtstuten, zwei sollten ins Ausland, und vier hatten Pause, was bei der anhaltenden Grippesituation ganz in Ordnung war.

Ich stand draußen auf dem Hof, als eine Frau mit einem kleinen Ford, der schon einige Jahre auf dem Buckel hatte, zum Tor hereingefahren kam. Sie hielt vor dem Büro an und stieg aus, eine schlanke, hochgewachsene Gestalt in Jeans und Steppjacke, mit dunklen, flüchtig zu einem Pferdeschwanz zurückgebundenen Haaren. Kein Make-up, kein Nagellack, kein Anstrich von Jugend.

Sie war, wie sie es angekündigt hatte, fast nicht wiederzuerkennen.

Ich ging zu ihr hinüber.»Nina?«sagte ich.

Sie lächelte munter.»Scheint, ich bin etwas zu früh dran.«

«Um so besser. Ich mache Sie mit den anderen Fahrern bekannt… aber erst sollte ich Ihnen wohl sagen, was denen im Kopf herumgeht.«

Sie hörte sich stirnrunzelnd an, wie Jogger gefunden worden war, und fragte sofort:»Haben Sie das Patrick Venables erzählt?«»Noch nicht.«

«Dann tu ich das. Ich rufe ihn zu Hause an.«

Ich ging mit ihr in mein Büro und hörte zu, wie sie das Gespräch führte.»Es könnte durchaus ein Unfall sein«, sagte sie zu ihrem Boss.»Freddie hofft das auch. Die Polizei hier kümmert sich darum. Was soll ich tun?«

Sie hörte eine Weile zu, sagte ein paarmal» ja «und gab den Hörer an mich weiter.»Er will mit Ihnen reden.«

«Freddie Croft«, sagte ich.

«Hab ich das richtig verstanden? Der Tote ist der Mann, der die leeren Behälter unter Ihren Transportern entdeckt hat?«

«Ja. Mein Mechaniker.«

«Und wer außer Ihnen und mir wußte, daß er sie entdeckt hatte?«

«Jeder, der ihn am Samstag abend in seiner Stammkneipe in Pixhill davon hat reden hören und gereimten Slang versteht. «Er fluchte mit Nachdruck, und ich erklärte Joggers Redegewohnheiten.»Der Ortspolizist hat ihn auch gehört, ist aber nicht ganz schlau draus geworden. Jemand, der wußte, daß die Behälter dort waren, hätte aber sofort kapiert. Ufos und Kuckuckseier unter den Lastern, hatte Jogger gesagt. Damit meinte er unbekannte, unerbetene Anhängsel. Sonnenklar.«

«Finde ich auch. «Patrick Venables schwieg.»Wer war in der Kneipe?«

«Das ist ein beliebter Treff. Ich werde den Wirt fragen. Ich gehe heute nachmittag hin und sag ihm, daß ich jedem ein Bier ausgebe, der am Samstag abend, bei Joggers letztem Besuch, dort war. Zum Gedenken oder so.«

Mit Humor in der Stimme sagte er:»Es kann nichts schaden. Ich strecke auch ein paar Fühler nach Ihrer Kripo

aus und schau mal, was die von all dem halten. Der Tod dieses Jogger ist vielleicht nur ein unglücklicher Zufall.«

«Das will ich hoffen«, sagte ich mit Nachdruck.

Er verlangte noch einmal Nina zu sprechen, und sie sagte noch einige Male» ja «und schließlich» Wiedersehn, Patrick«.

«Ich soll ihn später noch mal anrufen«, sagte sie.»Und Ihnen legt er ans Herz, in der Kneipe vorsichtig zu sein.«

Ich erzählte ihr von Joggers letzter Nachricht auf dem Anrufbeantworter.»Die schreib ich Ihnen auf, wenn ich zu Hause bin«, sagte ich,»aber sie ist ziemlich unverständlich. Er hat sich die Reime immer selbst ausgedacht, und diese habe ich noch nie von ihm gehört.«

Sie schaute mich an.»Dabei haben Sie bestimmt mehr Übung als die meisten.«

«M-hm. Ich dachte schon daran, mir ein Reimlexikon zu kaufen, obwohl es mehr ein Rätselraten ist. Ich meine, wenn er Kaviar sagte, hat er Drogen gemeint. Kaviar und Rogen. Man muß nicht bloß den Reim finden, sondern vielmehr das Wort, das mit dem Reim zusammengeht, und diese Verbindung ist allein Joggers Gehirn entsprungen.«

«Und wenn er nicht gestorben wäre«, sagte sie nickend,»hätten Sie ihn einfach fragen können, was er meinte.«

«Ja. Er hat einfach gern Spielchen gespielt, auch um mich ein bißchen herauszufordern, nehme ich an. Aber verstehen Sie mich nicht falsch, er hat von Natur aus so in Reimen gedacht. Das war nichts Bemühtes. Es kam ihm spontan von den Lippen. Das dumme ist, ich weiß nicht, ob das, was er gestern morgen gesagt hat, unerhört wichtig war oder nur eine Bemerkung am Rande. Ich weiß nicht, ob er auch etwas ganz Wichtiges in Reimform gebracht hätte. Bei Randbemerkungen war es oft so.«

Harve kam in diesem Moment ins Büro, und ich stellte ihm Nina als die neue Aushilfsfahrerin vor. Harve bemühte sich, seine Skepsis zu verbergen, denn er wußte, daß ich wegen ihrer Ausdauer eigentlich jüngere Fahrer vorzog, sah aber in der jetzigen Kandidatin schon die angehende Großmutter.

«Pat braucht mindestens noch zwei Wochen, um sich von ihrer Grippe zu erholen«, hob ich hervor. Die Erfahrung hatte uns gezeigt, daß die zu frühe Wiederaufnahme einer körperlich so anstrengenden Arbeit letztlich nur zu weiterem Arbeitsausfall führte.»Nina kennt sich mit Pferden und Pferdetransport bestens aus, und die Routen werden wir ihr noch eingehend erklären.«

Er achtete auf den bestimmten Ton, in dem ich sprach, und machte das Beste daraus. Ich bat ihn, ihr erst die Kantine zu zeigen, dann wie man ein Fahrtenbuch führt, und ihr auch die Auftank- und Säuberungsprozedur zu erklären. Sie folgte ihm brav aus dem Büro, ein Schatten der Frau von gestern und nicht halb so interessant.

Die Arbeit begann. Die beiden Transporter nach Southwell fuhren los, um ihre Fracht abzuholen, und von den anderen Fahrern, die eintrudelten, gingen die meisten erst einmal zu Tee und Toast in die Kantine. Dave kam auf seinem rostigen Drahtesel an. Nigel, fitneßbewußt, erschien im Laufschritt. Alle hatten bereits von Jogger gehört, auch Isobel und Rose, die mit ihren Kleinwagen zur Arbeit kamen und unterwegs Milch und Zeitungen abholten.

Ich sprach auf dem Hof noch kurz unter vier Augen mit Nina, bevor sie mit Dave aufbrach, um ihre Pferde für Taunton abzuholen.

«Der Transporter, den Sie fahren, ist so einer mit einem leeren Behälter unterm Fahrgestell«, sagte ich.»Es ist besser, Sie wissen das, auch wenn ich nicht glaube, daß er heute zu irgendwas benutzt wird.«

«Danke«, sagte sie trocken.»Ich halte die Augen offen.«

Ich sah zu, wie sie startete und losfuhr. Sie konnte offensichtlich gut mit dem Transporter umgehen, bugsierte ihn mühelos durchs Tor und bog elegant in die Straße ein. Harve, der ihre Abfahrt mit zur Seite geneigtem Kopf verfolgte, fand nichts zu beanstanden. Er zuckte mit den Achseln, zog die Brauen hoch und verschob sein Urteil auf später.

Als sie nach einer halben Stunde wiederkam und draußen vor dem Tor hielt, sprang Dave aus dem Fahrerhaus und berichtete Harve und mir grinsend:»Das alte Mädchen kann einen Pferdetransporter auf ’nem Bierdeckel rundlaufen lassen, und die Pferde sind ganz vernarrt in sie. Wo haben Sie die aufgetrieben?«

«Sie hat sich um die Stelle von Brett beworben«, sagte ich.

«Vier andere haben gestern deshalb auch schon angerufen. Zwei kommen heute morgen zum Vorstellungsgespräch. Es hat sich herumgesprochen, daß uns ein Fahrer fehlt.«

«Die Nina bleibt also nicht?«fragte Dave enttäuscht.

«Wir sehen mal, wie es läuft.«

Der zweite Transporter für Taunton rumpelte an Nina vorbei, hupte, und sie setzte sich augenblicklich hinter ihn.

«Könnte schlimmer sein«, meinte Harve großzügig.»Bis jetzt macht sie einen ganz ordentlichen Eindruck.«

Ich sagte Dave, daß er, sobald der Papierkram erledigt sei, eine Tour nach Frankreich machen werde, um das neue Springpferd der Tochter von Jericho Rich abzuholen. Phil werde fahren, und sie würden über Nacht bleiben.

Dave sah erfreut aus, denn solche Aufträge gefielen ihm, doch als er davongeschlendert war, sprach Harve mich auf die Wahl von Phil an.

«Soll das heißen, Phil mit dem Super-Sechser? Für ein einziges Springpferd?«

Ich nickte.»Er hat die Erfahrung. Es ist am besten, wenn er fährt. Das Pferd ist wertvoll, und ich möchte nicht, daß noch einmal auf einer Tour für Jericho Rich etwas schiefgeht. Phil kommt ohne Anhalter zurück, ob lebend oder tot.«

Harve fuhr zusammen, lächelte dann und stimmte zu.

Wieder im Büro, drängte ich Isobel, der Agentur wegen der Unterlagen für diese Fahrt Beine zu machen. Bei Auslandstouren überließen wir den Papierkram einem Fachbüro, das die Erfordernisse kannte, schnell war und selten Fehler machte.

«Prompt und perfekt«, meinte sie vergnügt.»Das Motto von Croft Raceways.«

«Äh… prompt und passabel tut’s auch.«

Ich nahm die Tageszeitungen mit an meinen Schreibtisch und blätterte sie durch. Montags gab es selten heiße Neuigkeiten aus dem Rennsport. Jogger wurde nicht erwähnt. Der Aufmacher eines Blattes handelte von der Pferdegrippe, die in Nordengland grassierte und praktisch ganze Rennställe über Monate hinaus lahmgelegt hatte. Es gab Mutmaßungen, daß der Virus auf Newmarket übergreifen könnte. Trainer, so hieß es, lehnten wegen der Anstek-kungsgefahr Gemeinschaftstransporte mit den Pferden anderer Ställe ab.

Hervorragend. Getrennte Fuhren waren ganz in meinem Sinn. Vorausgesetzt natürlich, daß Pixhill selbst verschont blieb. Es war schlimm genug, wenn die Fahrer durch Krankheit ausfielen, aber die Pferdegrippe konnte noch viel langwieriger sein und die Zahl der auf meine Dienste angewiesenen Starter erheblich dezimieren.

Die Pferdegrippe, eine Infektion der oberen Atemwege, wie es in der Zeitung hieß, war früher auch als» Husten «oder» Rennbahnhusten «bekannt. Heilen konnte sie nur die Zeit. Was also gab es sonst Neues?

Ich wandte mich einer anderen Zeitung zu. Sie fuhr ebenfalls auf der Unglücksschiene, aber mit Blick auf eine kräfteraubende Fieber- und Durchfallepidemie, die im vorigen Sommer unter Pferden auf dem europäischen Festland ausgebrochen war. Man hatte die genaue Ursache nicht festgestellt, und nun befürchteten Trainer, die Krankheit könnte vielleicht wieder auftreten.

Die Dieselpreise stiegen vielleicht erneut, las ich. Ich haßte» Vielleicht«-Geschichten, leeres Wortgeklingel. Ähnlich wie die Formel»Ärzte warnen «rangierten» Vielleicht«-Meldungen für mich ganz unten auf der Liste. Angstmacher allesamt. Die Ärzte sollten warnen vor»Ärzte warnen«.

Es war ein ausgesprochener» Vielleicht«-Morgen. Sunny Drifter startete vielleicht nicht in dem Champion Hurdle am nächsten Tag. Der Schatzkanzler erhöhte vielleicht die Wettsteuer. Michael Watermead ließ den großartigen Ir-kab Alhawa vielleicht in einem Vorrennen vor dem 2000 Guineas laufen.

Marigold English gab, wie ich mit großen Augen las, bekannt, daß sie ihren Umzug nach Pixhill glücklich hinter sich gebracht hatte.»Dank der persönlichen Mitarbeit Freddie Crofts ist der Transfer rundum glatt über die Bühne gegangen. «Prima von der alten Eule, dachte ich und rief sie auf der Stelle an, um ihr zu danken.

«Sie haben gute Arbeit geleistet«, sagte sie erfreut.

Ab halb zehn klingelte das Telefon fast ununterbrochen, wie jeden Montag, weil die Trainer dann ihre Transportpläne für die laufende Woche durchgaben.

Isobel übernahm alles, kam an einem Punkt aber zu mir an die Tür und sagte:»Da ruft jemand wegen Bretts Stelle an. Klingt ganz gut. Was soll ich machen?«

«Fragen Sie ihn, ob er heute morgen zu einem Vorstellungsgespräch kommen kann.«

Sie ging und kam wieder, um zu sagen, daß er vorbeikommen werde.

Zehn Minuten später meldete sich noch ein Bewerber und dann noch einer. Wenn das so weiterging, würden sie rund um den Hof Schlange stehen.

Um zehn begann ich mit den Vorstellungsgesprächen. Vier Männer waren schon da, und der fünfte Mann kam noch keine Stunde später. Alle hatten den nötigen Führerschein, alle hatten Erfahrung, alle sagten, sie hätten schon im Rennsport gearbeitet. Der fünfte sagte, er sei zudem Mechaniker.

Die meisten Fahrer waren bis zu einem gewissen Grad auch Mechaniker. Dieser hier gab mir die Referenz einer Mercedes-Werkstatt in London.

Er hieß Aziz Nader. Alter achtundzwanzig. Er hatte lok-kige schwarze Haare, braune Haut, glänzende schwarze Augen. Selbstbewußt und extravertiert, suchte er zwar eine Stelle, jedoch ohne dafür zu katzbuckeln. Er sprach mit kanadischem Akzent, sah aber nicht so aus, als ob das selbstverständlich wäre.

«Woher kommen Sie?«fragte ich neutral.

«Libanon. «Er schwieg einen Moment und ergänzte dann seine Antwort.»Meine Eltern stammen von dort, sind aber nach Kanada gegangen, als die Krise anfing. Ich bin weitgehend in Quebec aufgewachsen und noch kanadischer Staatsbürger, aber wir sind schon acht Jahre hier. Ich habe eine Arbeitsgenehmigung, falls es das ist, was Ihnen Sorgen macht.«

Ich sah ihn nachdenklich an.»Welche Sprache sprechen Sie mit Ihren Eltern?«

«Arabisch.«

«Und… hm… wie steht’s mit Französisch?«

Er lächelte mit weißen Zähnen und sagte flüssig etwas in dieser Sprache zu mir. Mein Französisch beschränkte sich auf Rennbahnjargon; er war zu schnell für mich.

Im Sommer fuhr ich viele Pferde für arabische Kunden, deren Angestellte oft ein fürchterlich geradebrechtes oder gar kein Englisch sprachen. Ein Fahrer, der sich mit ihnen unterhalten und sich auch in Frankreich heimisch fühlen konnte, war fast zu schön, um wahr zu sein.

«Wie gut kennen Sie sich mit Pferden aus?«fragte ich.

Er schien unsicher.»Ich dachte, Sie suchen einen Fahrer und Mechaniker.«

Nun ja, niemand war vollkommen.»Pferdetransportfahrer sind besser, wenn sie mit Pferden umgehen können.«

«Ich würde es… äh… lernen.«

Das war nicht so leicht, wie er annahm, aber es schloß ihn nicht aus.

«Ich habe allen gesagt, daß ich erst eine Probefahrt mit ihnen mache, bevor ich entscheide, wer die Stelle bekommt«, sagte ich.

«Sie sind zuletzt gekommen. Können Sie warten?«

«Den ganzen Tag.«

Die Probefahrten waren wichtig, denn die Ladung durfte nicht aus dem Gleichgewicht gebracht werden. Zwei Bewerber bremsten und schalteten unsanft, einer war arg langsam, den vierten hätte ich genommen, wenn er als einziger noch zur Wahl gestanden hätte.

Als ich neben Aziz in das Fahrerhaus des SuperSechsers stieg, merkte ich, daß ich wegen seiner Sprach-kenntnisse und seiner Mechanikerausbildung bereits geneigt war, ihm die Stelle zu geben, solange er nur halbwegs vernünftig fahren konnte. Er fuhr dann zwar nicht umwerfend, aber sauber und vorsichtig, und mein Entschluß stand lange fest, bevor wir zum Bauernhof zurückkamen.

«Wann können Sie anfangen?«fragte ich, als er anhielt.

«Morgen. «Er zeigte mir wieder ein strahlendes Lächeln, ganz Augen und Zähne, und sagte, er werde hart arbeiten.

Ich dankte den anderen Bewerbern, die hoffnungsvoll warteten, und bat sie, Isobel für alle Fälle ihre Namen zu hinterlassen. Sie gingen enttäuscht weg. Isobel und Rose waren von Aziz fasziniert und gaben sich betont weiblich, und es lag auf der Hand, daß Nigel starke Konkurrenz bekommen hatte.

Drei Monate Probe, falls seine Referenzen in Ordnung waren, schlug ich vor, bei einem angemessenen Gehalt und annehmbaren Bedingungen. Rose sagte, sie wolle ihn in ihren Computer eingeben, und bat um seine Adresse. Er werde im Dorf ein Zimmer nehmen, sagte er, und ihr dann Bescheid geben. Rose sagte ihm zögernd, wo Brett gewohnt hatte: vielleicht war das Zimmer noch frei. Aziz dankte ihr, ließ sich den Weg erklären und fuhr vergnügt davon, wie er gekommen war, in einem sehr alten, gut gepflegten kleinen Peugeot.

Ich fragte mich, wieweit man eigentlich von dem Wagen, den er fuhr, auf einen Menschen schließen konnte. Die Nina vom Sonntag paßte zu ihrem Mercedes, die vom Montag zu ihrem alten Stadtauto. Aziz schien mir eine zu starke Persönlichkeit für sein Gefährt. Andererseits fuhr ich einen Jaguar XJS, ein geliebtes Überbleibsel aus meiner Jockeyzeit. Ich düste immer noch damit zum Pferderennen, aber in Pixhill benutzte ich einen praktischen Fourtrak mit Allradantrieb als Arbeitstier. Vielleicht hatte jeder eine Zweiwagenpersönlichkeit, dachte ich flüchtig und fragte mich, was Aziz wohl fahren würde, wenn er die Wahl hätte.

Zur Vorsicht prüfte ich seine Referenzen. Die Werkstatt in London sagte, er verstehe sein Handwerk, sei aber schon vor einiger Zeit bei ihnen fort. Der Trainer, dessen privaten Pferdetransporter er gefahren hatte, war kürzlich wegen finanzieller Schwierigkeiten aus dem Geschäft ausgestiegen. Aziz Nader war ein guter Arbeiter gewesen, aber alle Angestellten hatten entlassen werden müssen.

Während ich telefonierte, trafen zwei Autos gleichzeitig ein, kein Tandem, wie sich herausstellte, aber beide auf Informationsreise. Dem ersten entstieg die Presse in Gestalt eines dürren jungen Mannes mit großer Nase und Spiralblock; dem zweiten die Bezirksbluthunde in Zivil, andere Leute als am Tag zuvor. Ich ging ohne Begeisterung hinaus, um sie zu begrüßen. Es gab kein Lächeln, kein Händeschütteln, nur ein knappes Sichvorstellen und gezückte Dienstmarken. Offenbar legte niemand Wert darauf, übertrieben freundlich zu erscheinen oder sich vertrauensvoll meiner Mitarbeit zu versichern. Statt dessen stellten der Pressemann wie auch die Polizei aufdringliche, fast schon unverschämte Fragen und nahmen meine Antworten sichtlich skeptisch auf.

Von Sandy abgesehen, hatte ich nur wenig Erfahrung mit der Polizei allgemein, aber doch genug, um zu wissen, daß man ihr niemals ein Wort zuviel sagen durfte, da sie mit ziemlicher Sicherheit sonst bis zum schlüssigen Beweis des Gegenteils — und sehr wahrscheinlich auch später noch — annahm, daß man etwas verbrochen hatte. Auch sollte man niemals, unter gar keinen Umständen, Witze machen. Nicht mal einem Sandy gegenüber. Meines Erachtens hatte die Polizei es sich nur selbst zuzuschreiben, wenn die breite Öffentlichkeit ihr mißtraute, obwohl die meisten Polizisten bestimmt prima Kerle waren. Aber das Kaschen lag ihnen allen im Blut — sonst hätten sie wenig ausrichten können. Ich kannte niemanden, schon gar keinen Unschuldigen, der sich in ihren Netzen gern verfangen wollte.

Der Reporter betrachtete sich offenbar als Vertreter des» amerikanischen Spürhund-Journalismus «im Stil der Washington Post. Die Polizei betrachtete ihn zu meiner heimlichen Belustigung als lästigen Mitmenschen, der, wenn es nach ihr ging, recherchieren konnte, wo der Pfeffer wuchs. Ich hörte zu, wie sie verbal die Säbel kreuzten, bis sich der junge Mann kleinlaut zurückzog, um in seinem Wagen zu warten, und die Polizisten ihre eigenen Notizbücher herausholten.

«Also, Sir«, begannen sie, eine denkbar unheildrohende Eröffnung,»wollen Sie uns bitte die Hausschlüssel des Mannes aushändigen, der gestern hier tot aufgefunden wurde.«

Ich hätte ihnen Joggers Schlüssel bereitwillig gegeben. Der schroffe Ton ihrer Aufforderung verstärkte meine Neigung zum Widerstand und bewirkte, daß ich ihnen nicht so entgegenkam, wie ich es sonst vielleicht getan hätte und wohl auch hätte tun sollen. Schweigend ging ich zurück zum Büro, wohin sie mir argwöhnisch folgten, als hätte ich die Absicht, bei der erstbesten Gelegenheit Beweismaterial zu zerstören. Isobel und Rose beobachteten die Prozession mit offenem Mund. Ich sparte mir die allgemeine Vorstellung.

Die beiden Kriminalbeamten postierten sich an meinem Schreibtisch. Ich öffnete die Schublade, holte Joggers Schlüssel heraus und nahm seine Hausschlüssel vom Ring.

Sie steckten die Schlüssel wortlos ein und fragten, was Jogger an einem Sonntagmorgen auf dem Bauernhof verloren gehabt hätte. Ich erwiderte, daß alle meine Angestellten auf den Bauernhof kommen konnten, wann immer sie dort etwas zu erledigen hatten, auch sonntags, da es für uns ein Arbeitstag war.

Sie fragen mich nach Joggers Trinkgewohnheiten. Ich sagte, er sei nie betrunken zur Arbeit erschienen. Davon abgesehen war es seine Privatangelegenheit.

Wenn Jogger betrunken gewesen war, als er in die Grube fiel, würde die Obduktion es zeigen. Darüber zu mutmaßen war wirklich sinnlos.

Der ältere der beiden Polizisten fragte als nächstes, ob jemand bei Jogger gewesen sei, als er stürzte. Nicht, daß ich wüßte, sagte ich. War ich persönlich dagewesen? Nein. War ich am Samstag abend nach zehn oder irgendwann am Sonntag morgen auf dem Bauernhof gewesen? Nein.

Ich fragte, weshalb sie solche Fragen stellten, und er sagte, jeder Unfall müsse selbstredend untersucht werden. Bei der amtlichen Totenschau würden Antworten verlangt. Die Polizei, fügte er einschüchternd hinzu, habe die Erfahrung gemacht, daß Leute, die etwas über eine Sache wußten, oft den Mund hielten, um nicht hineingezogen zu werden. Ich unterließ es, ihn zu fragen, wer seiner Meinung nach die Schuld daran trug.

Die Befragung ging noch einige Minuten weiter, wenn auch, soweit ich es beurteilen konnte, für beide Seiten fruchtlos. Sie faßten mich scharf ins Auge, als sie mir sagten, daß sie bei meinen Angestellten Erkundigungen einziehen würden. Ich nickte gelassen, da ich das als selbstverständlich ansah.

Sie baten um eine Liste aller Fahrer, die am Samstag oder Sonntag Dienst gehabt hatten. Ich ging mit ihnen zu

Isobel und bat sie um einen Ausdruck mit allen Abfahrtsund Wiederankunftszeiten.

Sie schüttelte ungehalten den Kopf.

«Hören Sie, Freddie«, sagte sie,»so leid es mir tut, ich krieg heute keinen Piep aus dem Computer. Sobald ich ihn wieder flotthabe, jage ich das durch. «Sie hob einen Stapel Fahrtenbücher hoch.»Die Informationen sind alle hier drin, sie müssen nur eingegeben werden.«

«Klar«, sagte ich leichthin.»Können Sie denn einfach erst mal die Namen rausschreiben? Auf die altmodische Art mit Bleistift und Papier?«

Entgegenkommend schrieb sie die Namen von den Dek-keln der Fahrtenbücher ab und gab die Liste dem Polizisten, der sie stur in Empfang nahm. Als sie gegangen waren, schnitt Isobel ein Gesicht.»Die hätten ruhig danke sagen können, auch wenn mir das Programm abgestürzt ist.«

«Ja, hätten sie.«

Der dürre Reporter kam aus seinem Auto wie ein Kaninchen aus dem Bau, sowie die Polizei abgefahren war, und ich verbrachte die nächsten zehn Minuten damit, ihm zu versichern, daß Jogger ein toller Mechaniker gewesen sei, dessen Verlust sich schmerzlich bemerkbar machen werde; daß die Polizei den Unfall untersuche und wir das Ergebnis ihrer Ermittlungen würden abwarten müssen und so weiter und so fort, ein gerüttelt Maß an Plattheiten, aber nichts als die Wahrheit. Er fuhr dann schließlich unzufrieden weg, aber das konnte ich nicht ändern.

Ein rascher Blick auf meine Uhr zeigte, daß ich die Mittagspause weitgehend verbummelt hatte, ohne etwas für den geplanten Jogger-Gedächtnisumtrunk in der Kneipe zu tun, und so flitzte ich gleich hin und sprach mit dem Wirt.

Er hatte selbst einen Bierbauch und führte behäbig ein schlichtes Lokal, das auf die psychologischen Bedürfnisse von Leuten zugeschnitten war, die sich in zuviel Luxus unwohl fühlten. Sein Kundenkreis umfaßte sowohl Stallangestellte wie auch die abstinente hiesige Intelligenz, und mit beiden Gruppen verstand er sich gut.

«Der alte Jogger war harmlos«, erklärte er.»Samstags hat er sich regelmäßig zugeschüttet. Nicht das erste Mal, daß Sandy ihn nach Hause gefahren hat. Sandy ist ein guter Kerl, da gibt es nichts. Was kann ich für Sie tun?«

Er könne eine Liste schreiben, sagte ich, von allen, die an Joggers letztem Abend mit ihm in der Kneipe waren, und jedem zwei oder drei Halbe zur Erinnerung an ihn ausschenken.

«Sehr anständig von Ihnen, Freddie«, meinte er und nahm die Liste gleich in Angriff, indem er als erstes Sandy Smith aufschrieb, dann Dave und Nigel und noch zwei andere Fahrer von mir. Es folgten Pfleger aus beinah jedem Stall in Pixhill, einschließlich einer neuen Clique von Marigold Englishs Hof, genaue Namen unbekannt.»Sie hatten im Ort nach der besten Kneipe gefragt«, erzählte er mir selbstzufrieden,»und man hat sie hierhergeschickt.«

«Wie sich das gehört«, sagte ich.»Lassen Sie sich ihre Namen geben, dann setzen wir eine Art Gedenkurkunde auf, die wir rahmen und eine Zeitlang hier bei Ihnen an die Wand hängen.«

Der Wirt fing Feuer.»Wir werden dem guten Jogger Ehre machen«, sagte er.»Der war ganz weg.«

«Ehm«, sagte ich nachdenklich,»er hat nicht zufällig ein paar berühmte letzte Worte hinterlassen?«

«Dasselbe noch mal!<«antwortete der Wirt breit lächelnd.

«Dasselbe noch mal «war sein Lieblingsspruch.»Er hat in einer Tour von Ufos unter euren Lastwagen gequasselt, aber zum Schluß hat es gerade so für» dasselbe noch mal< gereicht. Wobei er immer Gentleman geblieben ist, der Jogger, da gab’s nie Ärger, wenn er breit war, keine losen Fäuste wie bei diesem Dave.«

«Dave?«fragte ich erstaunt.»Reden Sie von meinem Dave?«

«Natürlich. Der geht ja auf jeden los, wenn er genug Bier intus hat. Wohlgemerkt, er trifft nie, weil er da schon nicht mehr klar sehen kann. Ich geb ihm dann natürlich nichts mehr und sag ihm, er soll heimgehen. Sandy bringt ihn manchmal auch nach Hause, wenn er zu voll ist, um sich auf dem Fahrrad zu halten. Guter Kerl, der Sandy. Schwer in Ordnung für einen Blauen.«

«Ja«, sagte ich und gab ihm einen Vorschuß für den Umtrunk; den Rest versprach ich zu bezahlen, wenn die Liste vollständig war und jeder sein Bier bekommen hatte.

«Wie wär’s denn, wenn wir sie alle selbst unterschreiben lassen, dann wird es persönlicher. Kurbel ich heute abend an, ja?«

«Glänzende Idee«, sagte ich,»aber setzen Sie die vollen Namen neben die Unterschriften, damit man weiß, wer alles da war.«

«Wird gemacht.«

Ich kaufte ihm eine Hausmacherpastete als Lunch zum Mitnehmen ab und verließ ihn, als er anfing, nach einem würdigen Bogen Papier für die Gedenkurkunde zu suchen.

Am Nachmittag ging ich mit Rose den letzten Stand der Bücher durch und skizzierte dann mit Isobels Hilfe meinen vorläufigen Wochenplan. Während Isobel noch bei mir im Büro war, stieß ich versehentlich die Tragetüte um, die die Pfleger von Marigold English vergessen hatten, hob sie auf und bat Isobel, sie wegzuwerfen.

Sie nahm sie mit aus dem Büro, kam aber nach ein paar Minuten unentschlossen wieder.

«In der Tüte war eine ziemlich gute Thermosflasche. Weil ich die zum Wegwerfen zu schade fand, hab ich sie in die Kantine gebracht für den Fall, daß einer von den Fahrern sie gebrauchen kann. Und na ja… würden Sie mal mitkommen und sich das anschauen?«

Sie machte einen so verwirrten Eindruck, daß ich ihr in die Kantine folgte, um zu sehen, was anlag. Sie hatte das Päckchen Sandwiches herausgenommen und es auf das Abtropfbrett der Spüle dort gelegt, und sie hatte die Thermosflasche aufgeschraubt und auch die Innenkappe abgenommen. Sie hatte den Inhalt zum größten Teil weggeschüttet und mehr als nur Flüssigkeit in der Flasche gefunden.

Ich schaute, wohin sie zeigte, obwohl nicht zu übersehen war, was sie beunruhigte. In der Spüle lagen vier kleine Glasröhrchen, knapp zehn Zentimeter lang, über einen Zentimeter dick und verschlossen mit einem schwarzen Korken, der offenbar mit wasserdichtem Klebeband umwickelt war.

«Die sind beim Ausgießen rausgefallen«, sagte Isobel.»Was ist das?«

«Keine Ahnung.«

Die Röhrchen waren noch mit der milchig trüben Flüssigkeit, die in der Flasche war, überzogen. Ich hob die Flasche auf, sah hinein und goß ein wenig von dem verbliebenen Inhalt in einen Kantinenbecher.

Zwei weitere Röhrchen fielen in den Becher.

Die Flüssigkeit war kalt und roch entfernt nach Milchkaffee.

«Nicht trinken!«rief Isobel erschrocken, als ich den Becher an meine Nase hielt.

«Ich rieche nur dran«, sagte ich.

«Es ist Kaffee, ja?«

«Scheint so.«

Ich nahm einen Pappteller von dem immer bereitstehenden Stapel und legte die vier Röhrchen aus der Spüle darauf. Dann setzte ich den Teller, den Becher, die Thermosflasche, ihren Schraubverschluß und das Sandwichpaket auf ein Serviertablett, klemmte die Tragetüte unter den Arm und brachte das Ganze hinüber in mein Büro und zu meinem Schreibtisch, wohin Isobel mir folgte.

«Was kann das bloß sein?«fragte sie ungefähr zum vierten Mal, und ich konnte lediglich sagen, daß ich es herausfinden würde.

Mit einem Papiertuch wischte ich die milchigen Flüssigkeitsreste von einem der Röhrchen. In das Glas waren ein paar Ziffern eingraviert, die zunächst Erwartungen weckten, aber lediglich das Volumen des Gefäßes angaben, 10 cc.

Ich hielt das Röhrchen ans Licht und kippte es vor und zurück. Der Inhalt war durchsichtig und flüssig, aber dik-ker als Wasser.

«Wollen Sie es nicht aufmachen?«fragte Isobel gespannt.

Ich schüttelte den Kopf.»Vorerst nicht. «Ich legte das Röhrchen wieder auf den Teller und schob das Tablett weg, als wäre es unwichtig.»Gehen wir wieder an die Arbeit, und was mit dem Zeug passiert, entscheide ich später.«

Während sie nach und nach das Interesse an dem Tablett verlor, beendeten wir meine von Hand skizzierte Wochenübersicht, und Isobel nahm den Plan mit in ihr Büro, um ihn in den Computer einzugeben.

Nach kaum fünf Minuten stand sie frustriert wieder an meiner Tür, schon im Mantel, da sie Feierabend hatte.

«Was ist los?«fragte ich.

«Der Computer ist völlig hinüber. Ich komme überhaupt nicht klar damit, und Rose auch nicht. Können Sie den Servicemann bestellen?«

«Okay«, sagte ich und streckte die Hand nach dem Telefonbuch aus.»Danke für alles und tschüs bis morgen.«

Ehe ich die Nummer fand, fiel mein Blick auf das Tablett mit den Glasröhrchen, und anstatt den Computermann anzurufen, rief ich meine Schwester an.

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