Kapitel 13

Isobel war noch im Büro, als ich zum Bauernhof zurückkam, obwohl es schon auf fünf zuging. Rose war nach Hause gefahren.

Lewis hatte angerufen, sagte Isobel. Ich hatte ihn knapp verpaßt. Er und Nina waren wieder durch den MontBlanc-Tunnel zurück und hatten auf ein Sandwich und zum Tanken angehalten. Nina war gefahren. Der Hengst hatte die ganze Zeit den Kopf zum Fenster hinausgestreckt, aber nicht verrücktgespielt. Lewis würde die Nacht durchfahren, auf dem Weg nach Norden aber noch irgendwo anhalten, um die Kanister für den Hengst mit französischem Wasser zu füllen.

«Okay«, sagte ich.

Französisches Wasser, reines, süßes Quellwasser, war gut für Pferde. Das rechtfertigte schon einen kurzen Halt.

«Aziz möchte morgen frei haben«, sagte Isobel.»Er will morgen nicht fahren. Hängt mit seiner Religion zusammen.«

«Mit seiner Religion?«

«Sagt er mal.«

«Das Schlitzohr. Wo ist er jetzt?«

«Auf dem Rückweg von der Auktion in Doncaster.«

Ich seufzte. Über Glaubensfragen konnte man schlecht streiten, aber Aziz war trotzdem ein Schlitzohr, wenn nichts Schlimmeres.

«Sonst noch was?«

«Mr. Usher hat angefragt, ob wir den Hengst abgeholt haben. Ich sagte ihm, daß er morgen abend gegen sechs in Pixhill eintrifft, wenn die Fähre keine Verspätung hat.«

«Danke.«

«Toi, toi, toi.«

«M-hm.«

«Sie sehen schrecklich mitgenommen aus«, sagte sie.

«Das macht die Geschichte mit Jogger.«

Sie nickte verstehend. Die Polizei, sagte sie, hatte beanstandet, daß so viele Fahrer auf Achse waren.

«Die begreifen anscheinend nicht, daß wir ein Geschäft in Gang zu halten haben. Die meinen, wir müßten die Arbeit niederlegen. Ich habe ihnen gesagt, daß das nicht geht.«

«Danke nochmals.«

«Schlafen Sie ein wenig«, sagte sie spontan, aufgeweckt wie immer.

«M-hm.«

Ich versuchte ihren Rat zu beherzigen. Die Gehirnerschütterung half nicht mehr. Ich lag wach und dachte an Lewis, wie er irgendwo anhielt, um die Kanister mit französischem Wasser zu füllen. Ich hoffte inständig, daß Nina den Kopf einziehen und die Augen — halbwegs — schließen würde.

Am Mittwoch morgen brachte ich die Transporter wieder auf den Weg nach Doncaster, wo am nächsten Tag die Flachsaison begann. Für Croft Raceways läutete das Märzmeeting in Doncaster mit seinen Auktionen und Rennen die arbeitsreichste Zeit ein; jetzt hieß es sechs Monate Hochbetrieb, Improvisation und Hetze, eine Atmosphäre, die mir gewöhnlich lag. Auch die Zahlenakrobatik, das immer neue Jonglieren mit Wagen, Fahrern und Gewinnaussichten erregte mich normalerweise, doch diese Woche hatte ich mich darauf noch kaum konzentrieren können.

«Morgen«, sagte Isobel aufmunternd,»kommt die ganze Armada ins Rollen.«

Mir lag nur daran, daß Lewis heute wieder anrollte.

Um neun nahm Isobel zum x-ten Mal das unentwegt klingelnde Telefon ab und runzelte die Stirn.

«Aziz?«sagte sie.»Einen Moment bitte. «Sie hielt den Hörer zu.»Was heißt >Bleiben Sie dran< auf französisch?«

«Ne quittezpas«, sagte ich.

Isobel wiederholte »Ne quittez pas« in den Apparat und stand auf.»Da ist ein Franzose, für Aziz.«

«Der ist doch heute nicht da«, sagte ich.

Sie erwiderte im Hinausgehen über die Schulter:»Er sitzt in der Kantine.«

Aziz kam eilig herein und nahm den Hörer von Isobels Schreibtisch.

«OuiAziz. Oui.« Er hörte zu und sagte rasch etwas auf französisch, wobei er die Hand nach einem Stück Papier und einem Stift ausstreckte. »Oui. Oui. Merci, Monsieur. Merci.«

Aziz schrieb sorgfältig, dankte seinem Informanten überschwenglich und legte den Hörer wieder auf die Gabel.

«Nachricht aus Frankreich«, sagte er unnötigerweise. Er schob mir den Zettel hin.»Offenbar hat Nina den Mann gebeten, hier anzurufen. Sie hat ihm Telefongeld und eine Adresse gegeben. Die steht da.«

Ich nahm den Zettel und las die knappe Notiz.»Ecurie Bonne Chance, pres de Belley.«»Glückauf-Stall«, übersetzte Aziz.»Bei Belley.«

Er schenkte mir das übliche strahlende Lächeln, drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Büro.

«Ich denke, Aziz hat heute Urlaub«, sagte ich zu Isobel.

Sie zuckte die Achseln.»Er sagte, er wollte nicht fahren. Er saß schon in der Kantine, als ich zur Arbeit kam. Hat gelesen und Tee getrunken. >Guten Morgen, Schätzchenc, hat er gesagt.«

Isobel wurde ein wenig rot.

Ich schaute auf die französische Adresse und rief den Jockey-Club an. Patrick Venables mußte da gesessen und gewartet haben.

«Nina hat von einem Franzosen eine Adresse übermitteln lassen«, erklärte ich ihm.»Ecurie Bonne Chance, bei Belley. Können Sie sich bei Ihren Pendants in Frankreich danach erkundigen?«

«Buchstabieren Sie’s.«

Ich buchstabierte.»Aziz hat die Nachricht auf französisch entgegengenommen«, sagte ich.

«Gut. «Er hörte sich entschlossen an.»Ich frage meine französischen Kollegen und rufe Sie zurück.«

Ich schaute noch ein paar Sekunden auf das Telefon, nachdem er aufgelegt hatte, dann ging ich in die Kantine zu Aziz und bat ihn, mit vor die Tür zu kommen.

«Was haben Sie für eine Religion?«fragte ich draußen im Hof.

«Ehm. «Er sah mich mit seinen klaren Augen von der Seite an, das Lächeln unbekümmert.

«Arbeiten Sie für den Jockey-Club?«fragte ich rundheraus.

Das Lächeln wurde lediglich breiter.

Ich wandte mich von ihm ab. Patrick Venables, dachte ich bitter, und auch Nina hatten mir so wenig vertraut, daß sie noch einen verdeckten Ermittler geschickt hatten — einen, von dem ich nichts wußte, um sicherzugehen, daß ich nicht selbst der Schurke war, den ich angeblich suchte. Aziz war am Tag nach Joggers Tod aufgetaucht. Vielleicht hätte es mir nichts ausmachen sollen, aber es wurmte mich doch sehr.

«Freddie«, Aziz machte einen Schritt und faßte mich am Ärmel,»hören Sie zu. «Das Lächeln war verschwunden.»Patrick wollte, daß Nina Unterstützung hat. Wir hätten es Ihnen wohl sagen sollen, aber…«

«Bleiben Sie in der Nähe«, sagte ich kurz und kehrte in mein Büro zurück.

Eine Stunde später meldete sich Patrick Venables wieder.

«Zuallererst muß ich Sie, glaube ich, um Entschuldigung bitten«, sagte er.»Aber ich bin neugierig. Wie sind Sie Aziz draufgekommen? Er rief mich an, Sie hätten ihn durchschaut.«

«Kleinigkeiten«, erklärte ich.»Er ist zu gescheit für den Job. Ich wette, er ist nie für einen Rennstall gefahren. Der Anrufer aus Frankreich wollte ausdrücklich ihn sprechen, also mußte Nina dafür gesorgt haben, daß er erreichbar war. Und Sie selbst haben nicht gefragt, wer Aziz ist, als ich von ihm sprach.«

«Du guter Gott.«

«Sie sagen es.«

«Ecurie Bonne Chance«, sagte er,»ist ein kleiner Rennstall, betrieben von einem kleinen französischen Trainer. Das Grundstück gehört Benjamin Usher.«

«Aha.«»Das Grundstück liegt südlich von Belley an der Rhone, wo sie noch von Ost nach West fließt, vor dem Knick nach Süden bei Lyon.«

«Sehr präzise«, bemerkte ich.

«Den Franzosen ist nichts Nachteiliges über den Stall bekannt. Es gab dort ein paar kranke Pferde, aber keins ist gestorben.«

«Recht vielen Dank.«

«Nina wollte die Fahrt unbedingt machen«, sagte er,»und sie hat darauf bestanden, daß wir Ihren Transporter auf der Rückfahrt auf keinen Fall abfangen.«

«Ja, ich bitte darum.«

«Sie wissen hoffentlich, was Sie tun.«

Das hoffte ich auch.

Ich rief Guggenheim an.»Versprechen kann ich nichts«, sagte ich,»aber steigen Sie ins nächste Flugzeug, nehmen Sie ein Taxi zum Bauernhof und bringen Sie was mit, um ein kleines Tier zu befördern.«

«Ein Kaninchen?«fragte er hoffnungsvoll.

«Beten Sie.«

Die Stunden krochen dahin.

Endlich, am Nachmittag, rief Lewis Isobel an und sagte, sie hätten die Überfahrt hinter sich und verließen gerade Dover.

Nach einer weiteren langen Stunde fuhren Isobel und Rose nach Hause, und ich schloß das Büro ab, ging zum Fourtrak hinüber und ließ den Motor an. Die Beifahrertür öffnete sich, und Aziz stand da.

«Kann ich mitkommen?«sagte er. Klare Augen. Kein Lächeln.

Ich antwortete nicht gleich.

«Es ist sicherer für Sie. Jedenfalls schlägt Sie dann keiner aufs Haupt, wenn Sie nicht hinsehen.«

Ich machte eine unverbindliche Geste, und er schwang sich auf den Nebensitz.

«Sie holen Nina ab, nicht wahr?«fragte er.

«Ja.«

«Was glauben Sie, was passiert?«

Ich fuhr aus dem Hof, verließ das Dorf und fuhr bergan zu einer Stelle, von wo man auf Pixhill hinuntersehen konnte.

«Lewis«, sagte ich,»müßte über den Höhenkamm da drüben kommen und in Benjy Ushers Hof einfahren. Tut er das, stoße ich da zu ihnen. Fährt er woandershin, kriegen wir das von hier aus auch mit.«

«Was meinen Sie denn, wohin er fahren könnte?«

«Ich weiß nicht, wieviel Sie wissen.«

«Nina sagte, die Methode sei verwickelt, aber der Sachverhalt schlicht der, daß jemand den Pferden von Pixhill Krankheiten anhängt.«

«So ungefähr, ja.«

«Aber weshalb?«

«Zum Teil, um in den Rennen einer bestimmten Kategorie leichter zu siegen, indem man alle Pixhiller Pferde, die zu dieser Kategorie zählen, systematisch ansteckt. «Ich hielt inne.»Verringert man die Zahl der Teilnehmer an der Chester Vase um die Hälfte, verdoppelt man quasi seine Gewinnaussichten. Es laufen selten mehr als rund sechs Pferde in der Chester Vase oder den Dante Stakes in York. Das sind gute, renommierte Rennen. Sie zu gewinnen erhöht das Ansehen eines Trainers in der Branche.«

Aziz verarbeitete die Tragweite der Information.»Eine vorsätzlich verbreitete Krankheit?«sagte er.

«Die hier und da ausbricht«, nickte ich.»Nicht so, als ob man den Favoriten für das Derby lahmlegt.«

«Irkab Alhawa«, sagte er.»Der die Luft reitet.«

«Den Wind reitet.«

«Nein«, sagte er,»auf arabisch heißt es >die Luft reiten<. Das meint die Reitweise der Jockeys, die in den Bügeln stehen, also in der Luft sitzen, nicht im Sattel.«

«Den Wind reiten hört sich besser an«, sagte ich.

«Sie glauben aber noch nicht, daß jemand dieses Pferd krank machen will?«

Nach einer Pause sagte ich:»Lewis hat Jogger nicht umgebracht, er war in Frankreich. Ich glaube auch nicht, daß Lewis meinen Wagen demoliert und mein Haus mit der Axt gestürmt hat. Und Lewis hat bestimmt nicht die Festplatte in meinem Computer zerstört. An dem Sonntag war er, wie gesagt, in Frankreich.«

«Dann kann er’s nicht gewesen sein«, stimmte Aziz zu.

«Ich dachte, ich hätte es mit zwei gegnerischen Kräften zu tun«, sagte ich.»Muskeln und Geld. Aber es gibt noch eine dritte.«

«Nämlich?«

«Bosheit.«

«Die schlimmste«, sagte Aziz langsam.

Die treibende Kraft in uns, dachte ich, bricht sich Bahn. Unter Druck läßt sie sich nicht verbergen.

Also Druck ausüben.

«Haben Sie Grund zu der Annahme, daß jemand Irkab Alhawa ans Leder will?«fragte Aziz stirnrunzelnd.

«Nein, ich möchte den Gedanken nur als Hebel benutzen.«

«Wofür?«»Warten Sie’s ab und decken Sie mir den Rücken.«

Aziz lehnte sich zurück und taxierte mich spöttisch, wobei das ununterdrückbare Lächeln wiedererschien.

«Sie sind nicht so, wie Sie aussehen, was?«sagte er.

«Wie sehe ich denn aus?«

«Wie ein Draufgänger.«

«Sie auch«, sagte ich.

«Aber… bei mir stimmt es.«

Ein merkwürdiger Verbündeter, dachte ich; und unerwarteterweise war ich froh, daß er da war.

Ein Transporter von Croft Raceways kam über die gegenüberliegende Anhöhe. Ich griff zum Fernglas, stellte es scharf ein und sah den Pferdekopf aus dem Fenster ragen.

«Das sind sie«, sagte ich.»Lewis und Nina.«

Der Transporter bog in die Straße zu Benjy Ushers Stall ein, fast unmittelbar neben dem von Michael. Ich ließ den Fourtrak an, fuhr ins Tal und erreichte Benjys Stall, kaum daß Lewis seinen Motor abgeschaltet hatte.

Benjys Kopf erschien am Fenster im ersten Stock und ragte vor wie der Kopf des angereisten Hengstes. Er erteilte seinen Pflegern mit gewohnter Lautstärke Anweisungen, und Lewis und Nina ließen die Rampe herunter. Ich stieg aus meiner alten Kiste und schaute ihnen zu.

Meine Anwesenheit wurde von allen dort als selbstverständlich angesehen. Nina bemerkte Aziz, der noch im Fourtrak saß, und warf ihm einen fragenden Blick zu, den er mit einem Daumenstoß nach oben beantwortete.

Der Hengst klapperte, geführt von Nina, mit wildem Blick die Rampe herunter und humpelte an der Hand von Benjys Futtermeister davon. Benjy erkundigte sich bei Lewis nach der Fahrt; Lewis trat näher ans Haus und rief hinauf:»Alles gut gelaufen.«

Benjy zog sich erleichtert zurück und schloß das Fenster.

Ich sagte zu Nina:»Haben Sie seit Dover irgendwo angehalten?«

«Nein.«

«Gut. Fahren Sie jetzt mit Aziz, ja?«

Ich ging zu Aziz und redete durch das Fenster des Four-trak mit ihm.

«Nehmen Sie bitte Nina mit und fahren Sie zum Bauernhof. Es kann sein, daß da ein junger Mann mit einem Kleintiertragekäfig herumläuft. Er heißt Guggenheim. Nehmen Sie sich seiner an und fahren Sie in etwa einer Viertelstunde mit ihm los.«

«Wohin denn?«

«Zum Gnadenhof Kentauros. Da, wo Sie die alten Pferde hingebracht haben. Ich komme mit dem Transporter hin und treffe Sie dort.«

«Lassen Sie mich mit Ihnen fahren«, sagte er.

«Nein. Kümmern Sie sich um Nina.«

«Als ob sie das nötig hätte.«

«Rückendeckung kann jeder gebrauchen.«

Ich ließ ihn allein, ging zu dem Transporter hinüber, während Lewis die Rampe wieder hochklappte, und kletterte auf den Fahrersitz.

Lewis war überrascht, stieg aber, als ich ihn auf die Beifahrerseite winkte, ohne zu murren dort ein. Er arbeitete seit zwei Jahren für mich: Er war gewohnt, zu tun, was ich sagte.

Ich ließ den starken Motor an, lenkte vorsichtig aus Ben-jys Hof und fuhr die Straße hinunter zu Michael. Gegenüber seiner Einfahrt, wo die Straße ein Stück weit verbreitert war und der Platz es zuließ, fuhr ich seitlich ran, trat

auf die Bremse, ließ den Wagen sacht ausrollen, zog die Handbremse und schaltete den Motor ab.

Lewis staunte zwar, aber nicht sehr. Mit den Launen der Chefs, schien seine Miene anzudeuten, mußte man sich eben abfinden.

«Wie geht’s dem Kaninchen?«sagte ich im Plauderton.

Seinem Gesichtsausdruck nach blieb ihm nicht nur die Spucke weg. Einen Moment lang sah er aus, als wäre ihm auch noch das Herz stehengeblieben. Sein Mund öffnete sich, aber er brachte keinen Ton heraus.

Lewis, dachte ich, mit seiner Radsportvergangenheit, der Drachentätowierung und den schnellen Fäusten; Lewis mit seinem blonden Gift und den ehrgeizigen Plänen für sein Baby — Lewis mochte ein unehrlicher Hitzkopf sein, der dem Geld nachjagte, aber ein Schauspieler war er nicht.

«Ich will Ihnen sagen, was Sie getan haben«, sagte ich.»Benjy Usher besitzt einen Stall in Frankreich und hat voriges Jahr zufällig entdeckt, daß bei den Pferden dort eine nicht spezifizierte Fieberkrankheit auftrat. Er fand heraus, daß das Fieber möglicherweise von Zecken übertragen wurde. Da hielt er es für einen guten Trick, die Krankheit nach England zu schaffen und sie dem einen oder anderen Pferd hier anzuhängen, das einem Sieg seiner eigenen Starter sonst nur im Weg gestanden hätte. Das Problem war, wie sollten die Zecken nach England kommen; und zuerst haben Sie es mit Seife als Träger versucht, die Sie in einer Geldkassette unter dem Fahrgestell eines meiner Neun-Pferde-Transporter befördert haben, den Sie damals fuhren.«

Lewis sah weiter perplex drein, aber jetzt klopfte ein Puls in der hervortretenden Ader auf seiner Stirn.

«Die Zecken haben diese Reise nicht überlebt. Sie halten sich auf Seife nicht lange genug, wie Sie jetzt wissen. Ein anderes Transportmittel mußte her. Ein Tier. Ein Hamster vielleicht. Oder ein Kaninchen. Wie hört sich das an?«

Schweigen.

«Sie haben ja die Kaninchen der Watermeads versorgt. Ideal! Sie dachten, die merken nicht, wenn da mal eins fehlt, aber sie haben es gemerkt. Jedenfalls sind Sie voriges Jahr mit Pats Vierer nach Frankreich gefahren, zur Ecurie Bonne Chance, das ist Benjy Ushers Stall bei Bel-ley an der Rhone, und Sie haben Zecken auf ein Kaninchen gesetzt. Das haben Sie dann wieder hergebracht, haben die Zecken von dem Kaninchen auf zwei alte Pferde verpflanzt, die Benjy Usher auf der Koppel vor seinem Wohnzimmerfenster stehen hatte, und wenn das eine auch gestorben ist, hatten Sie doch immer noch eine blühende Kolonie von Zecken auf einem anderen, die Sie jederzeit auf ein Pferd übertragen konnten, das Benjy bestimmte und an das Sie nah genug herankamen, wenn Sie es zur Rennbahn fuhren.«

Ich fragte mich, wie ein drohender Herzanfall aussah.

«Die Zecken sind unberechenbar«, fuhr ich fort,»und schließlich wohl einfach verschwunden, deshalb sind Sie im August noch einmal nach Frankreich, aber mit dem Transporter, den Phil jetzt fährt und den Sie damals regelmäßig gefahren haben. Bei der Tour ging jedoch einiges schief. Der Transporter sollte in die Werkstatt und wurde bei Ihrer Rückkehr gleich in die Scheune gebracht. Der Schraubverschluß des Behälters hatte sich gelöst — vielleicht durch Vibration. Bevor Sie das Kaninchen herausholen konnten, fiel es in die Schmiergrube und starb, und Jogger hat es mitsamt den Zecken weggeworfen.«

Ersticktes Schweigen.

«In diesem Jahr«, sagte ich,»haben Sie dann mit dem neuen Super-Sechser die Zweijährigen für Michael Wa-termead abgeholt, und wieder nahmen Sie ein Kaninchen mit. Die Zecken kamen lebend an und wurden auf das alte Pferd Peterman übertragen. Aber Peterman kam zu Marigold English, nicht zu Benjy Usher, und Peterman starb. Die Zecken starben bald nach ihm. Nun steht also die Flachsaison an, und die Kandidaten für die diesjährige Chester Vase und die Dante Stakes sind alle noch gesund und kräftig, also düsen Sie mit dem Kaninchen los, um Benjy Ushers Hengst aus Mailand zu holen, und auf dem Rückweg halten Sie mal eben in der Ecurie Bonne Chance, und was wollen wir wetten, daß sich in dem röhrenförmigen Behälter über den Tanks dieses Transporters ein Kaninchen mit Zecken befindet?«

Schweigen.

Ich fragte:»Warum haben Sie die Zecken nicht direkt auf Benjys Hengst gesetzt?«

«Er will ihn wieder laufen lassen, wenn das Bein geheilt ist.«

Das Eingeständnis rutschte einfach so heraus. Lewis’ Stimme war heiser. Er versuchte gar nicht erst, seine Unschuld zu beteuern.

«Also«, sagte ich,»bringen wir das Kaninchen jetzt mal geradewegs zu Kentauros, wo die zwei alten Pferde warten, die für Benjys Weide bestimmt sind. Dann brauchen Sie das Tierchen nicht wieder abends um elf aus dem Kasten zu holen und mir eins überzubraten, wenn ich Sie dabei erwische.«

«Das war ich nicht«, sagte er heftig.»Ich hab Sie nicht geschlagen.«

«Sie haben mich aber ins Wasser geworfen. Und Sie haben gesagt: >Wenn er davon nicht die Grippe bekommt, weiß ich’s auch nicht.««

Lewis war anscheinend über das Verblüfftsein hinaus und hatte das Stadium erreicht, wo er retten wollte, was zu retten war.

«Ich brauchte das Geld«, sagte er,»damit mein Kind auf die Schule kann.«

Noch ein Schock, dachte ich, und er würde wirklich anfangen zu reden.

Ich sagte:»Wenn Sie die Wahl hätten, was wäre Ihnen lieber: Irkab Alhawa zum Derby zu fahren und ihn vielleicht als Sieger, live im Fernsehen, mit Ihrem Transporter in den Ort zurückzubringen, oder ihn mit Zecken so krank zu machen, daß er gar nicht erst antreten kann?«

«Das würde er nie tun!«Sein Entsetzen sah wirklich echt aus.

«Er ist gewalttätig und boshaft«, sagte ich,»wieso also nicht?«

«Nein!«Er starrte mich an und hatte eine Spätzündung.»Von wem reden Sie?«

«Von John Tigwood natürlich.«

Lewis schloß die Augen.

«Benjy geht es um Siege«, sagte ich.»Ihnen ums Geld. Tigwood um die Macht, kaputtzumachen, was andere erreicht haben. Eine Unsitte, die verbreiteter ist, als Sie vielleicht denken. Andere Leute fertigzumachen ist ein Volkssport.«

Siegen durch Betrügen. Ehrgeizige Pläne fürs Kind. Bosheit und heimliche Freude am Zerstören, um eine schwache Persönlichkeit aufzupäppeln. Jedem seine eigene Antriebskraft.

Und meine? Ach, meine. Wer versteht schon, was ihn selber treibt!

Lewis sah krank aus.

«Wird Tigwood von Benjy Usher bezahlt?«fragte ich.

Lewis sagte ohne Humor:»Er steckt ihm das Zeug bündelweise in die Sammelbüchse, in aller Öffentlichkeit.«

Nach einer Pause sagte ich:»Erzählen Sie mir, was in der Nacht passiert ist, als Sie mich ins Wasser geschmissen haben.«

Er stöhnte fast.»Ich bin kein Denunziant.«

«Sie sind ein Zeuge«, sagte ich.»Zeugen kommen besser weg.«

«Ich habe Ihr Auto nicht ramponiert.«

«Sie haben Jogger nicht umgebracht«, hob ich hervor,»denn da waren Sie in Frankreich. Aber was meinen Wagen angeht, das könnten Sie schon gewesen sein.«

«Ich war’s nicht. Bestimmt nicht. Er war’s.«

«Und. weshalb?«

Lewis starrte mich an, die Augen tief in den Höhlen.

«Also, der war wie ein wildes Tier. Hat sich darüber aufgeregt, daß Ihnen alles so zufällt. Warum Sie alles hätten und er nichts. Sie seien fein raus, sagte er, mit Ihrem Haus und Ihrem Geld, mit Ihrem Aussehen und Ihrer Firma, und davor seien Sie ewig lang Topjockey gewesen und alle würden Sie mögen, und was hätte er? Kein Mensch freue sich, ihn zu sehen, alle schnitten ihn, da könnte er machen, was er wollte, so wie Sie käme er nie an. Er war voller Haß auf Sie. Mir hat sich richtig der Magen gedreht, aber ich dachte, wenn ich ihm widerspreche, läßt er’s vielleicht an mir aus, also bin ich mit ihm gefahren… und die Axt hatte er im Auto.«

«Hat er mich mit der Axt geschlagen?«fragte ich ungläubig.

«Nein. Mit ’nem rostigen alten Montierhebel. Er hätte das Auto voller Werkzeug, sagte er. Als er Sie umgehauen hatte, haben wir Sie in meinen Kofferraum gesteckt, weil da mehr Platz war, und er sagte, ich solle Sie zum Hafen fahren. Dabei hat er gelacht, Mensch!«

«Dachten Sie, ich sei tot?«

«Ich wußte erst nicht so recht. Aber dann doch. Sie haben geredet, als wir ankamen, irgendwie phantasiert. Ich wollte Sie auf keinen Fall umbringen. Ehrlich.«

«M-hm.«

«Er sagte, mitgegangen, mitgehangen. Er sagte, ob ich wollte, daß er mich in Schwierigkeiten bringt. Ob ich meinen Job verlieren und nie wieder so gute Pferde fahren wollte.«

Lewis schwieg und sah jetzt eine Zukunft vor sich, die all das bedeutete.

«So ein Dreckskerl«, sagte er.

«Sie sind also von Southampton zurückgekommen«, sagte ich, da ich es für gegeben nahm,»und haben die Axt rausgeholt und den Hubschrauber meiner Schwester kurz und klein geschlagen.«

«Er war das. Er hat gebrüllt, randaliert und gelacht. Das ganze Zeug in Ihrem Zimmer zerhackt. Unheimliche Kräfte. Ich kann Ihnen sagen, mir wurde ganz anders.«

«Sie haben ihm zugesehen?«

«Ehm.. ja.«:

«Und hat es Spaß gemacht?«

«Überhaupt nicht.«

Aber man sah es ihm an. Möglich zwar, daß ihn die Heftigkeit der Randale erschreckt hatte, doch tief im Innern war er auch davon beeindruckt gewesen und hatte ein schuldbewußtes Vergnügen empfunden.

Geknickt ließ ich den Motor wieder an.

«Woher wußten Sie denn das mit den Fahrten?«sagte Lewis.

«Die stehen im Computer.«

«Er sagte, er hätte am Sonntag Ihre Daten mit einem Michelangelo gelöscht oder so was, da sei nichts zu befürchten.«

«Ich hatte Kopien«, sagte ich knapp.

Tigwood war im Pub an dem Abend, als alle Jogger sagen hörten, er habe die versteckten Behälter gefunden. Aus Bosheit mußte er Joggers Werkzeug gestohlen haben. Und wenn Jogger am Sonntag dann mitbekommen hatte, wie Tigwood sich an meinem Computer zu schaffen machte, konnte ich mir sehr gut vorstellen, daß Tigwood Joggers Montiereisen aus dem Wagen geholt hatte und ihm in die Scheune gefolgt war, um ihn mit einem einzigen Schlag zu töten. Worauf Jogger sicher nicht gefaßt war. Für ihn hatte kein Grund zur Furcht bestanden.

Ich löste die Bremse und fuhr die Straße entlang.

«Wahrscheinlich«, sagte ich,»war es Tigwood mit seinen tausend medizinischen Zeitschriften, der über die Zecken Bescheid wußte, ja? Und der auch wußte, wie man Tessa Watermead ein Virus beschaffen kann, um die Pferde von Jericho Rich zu infizieren? Zeckenfieber konntet ihr seinen Pferden ja nicht anhängen, denn da hatten Sie die Zecken für dieses Jahr noch nicht geholt.«

Wieder war er sprachlos. Ich warf ihm einen Blick zu.

Ich sagte:»Sie haben schlechte Karten, wenn Sie nicht als Zeuge aussagen. Tessa hat ihrem Vater und mir gesagt, was Sie getan haben.«

Lewis brauchte eine quälend lange Meile, um sich zu entschließen, doch als ich durch das Tor zum gammeligen Hauptquartier der alles andere als karitativen Einrichtung bog, sagte er leise:

«Also gut. Ihr Zeuge.«

Auf dem heruntergekommenen Hof wimmelte es von Leuten.

Lorna Liptons Range Rover stand in der Einfahrt. Lorna unterhielt sich mit Tigwood, und Kinder — Kinder — tollten herum. Die beiden Jüngsten von Maudie… und Cinders.

Aziz stand bei dem Fourtrak, ebenso Nina, ebenso Guggenheim. Sie waren unschlüssig, wußten nicht, was sie erwartete.

John Tigwood sah verdutzt aus.

Ich hielt den Pferdetransporter an und sprang heraus. Sandy Smith gesellte sich zu der Versammlung, mit Blinklicht, zugeknöpfter Uniform, ohne Sirene.

«Was geht hier vor?«fragte Tigwood.

Ich war mir nicht sicher, wie er reagieren würde. Nach dem, was er mit der Axt auf meinem Grundstück angerichtet hatte, durfte man keine Vorsichtsmaßnahmen außer acht lassen. Die Sicherheit der Kinder war das wichtigste.

Ich sagte zu Maudies Jüngsten:»Krabbelt mit Cinders mal unter den Transporter und spielt, daß ihr in einer Piratenhöhle seid oder so was.«

Sie kicherten.

«Na, los«, drängte ich sie.»Da rein mit euch.«

Sie gehorchten alle drei. Lorna, die zusah, sagte nur:»Machen die sich nicht schmutzig?«

«Der Dreck geht weg.«

Tigwood sagte:»Weshalb sind Sie hier?«

Ich antwortete ihm:»Wir bringen Ihr Kaninchen.«

«Was?«

«Lewis und ich«, sagte ich,»haben Ihnen das Kaninchen mitgebracht — mit Zecken.«

Tigwood lief auf die Beifahrerseite und riß die Tür auf.

«Lewis!« schrie er. Es war ein Kreischen, kein bißchen sonor.

Lewis wich vor ihm zurück.»Er weiß alles«, sagte er verzweifelt.»Freddie weiß alles.«

Tigwood streckte einen Arm ins Fahrerhaus und zog Lewis heraus. Die schmächtige Erscheinung Tigwoods täuschte. Jeder konnte sehen, mit welch sehniger Kraft er den größeren Mann hervorzerrte und ihn zu Boden krachen ließ. Lewis’ Schultern kamen zuerst auf, dann sein Kopf, dann seine Beine.

Lewis wälzte sich ächzend herum und holte aus, um Tigwood zu schlagen. Tigwood trat ihm ins Gesicht und wandte seine Aufmerksamkeit mir zu.

«Sie Schwein«, sagte er, kreideweiß, entschlossen.»Ich bringe Sie um.«

Es war ihm ernst damit. Er versuchte es. Er stürzte sich auf mich und warf mich schon durch das Tempo, mit dem er ankam, gegen die Seite des Transporters.

Er hatte allerdings keine Axt und kein Montiereisen, nur seine bloßen Hände; und wären wir allein gewesen, hätten die vielleicht auch wirklich genügt.

Aziz kam von hinten und zerrte ihn weg, indem er zur rechten Zeit bewies, daß er die Kunst beherrschte, jemandem bis zum Knackpunkt den Arm auf den Rücken zu drehen.

Tigwood schrie. Sandy holte wichtigtuerisch seine Handschellen hervor und band Tigwood mit Aziz’ Hilfe die Handgelenke hinter dem Rücken zusammen.

Sandy fragte mich aus dem Mundwinkel:»Was geht hier vor?«

«Ich denke, Sie werden feststellen, daß John Tigwood mein Haus mit der Axt verwüstet hat.«»Drecksau«, sagte Tigwood, und seine Stimme war ein Knurren.

Ich fragte Sandy:»Sie haben nicht zufällig einen Durchsuchungsbefehl dabei?«

Er schüttelte verwirrt den Kopf.

«Ich brauche keinen«, sagte Aziz.»Wonach soll ich suchen?«

«Nach einer Axt. Einem rostigen Montierhebel. Einem Gestell, auf dem man sich unter Lkws legen kann. Einem Haufen Werkzeug in einer roten Plastikkiste. Und vielleicht nach einer Kassette aus grauem Metall, mit einer blanken runden Stelle in der Schmutzschicht. All das könnte in seinem Wagen sein. Wenn Sie was finden, rühren Sie’s nicht an.«

Sein Lächeln erstrahlte hell, klar und zufrieden.»In Ordnung. «Er überließ Tigwood Sandy und war mit ein paar Sätzen außer Sicht.

Lorna blökte verdattert:»John? Ich verstehe nicht.«

«Halt’s Maul«, sagte er wütend.

«Was haben Sie getan?« jammerte Lorna.

Niemand sagte es ihr.

Tigwood starrte mich mit entnervendem blanken Haß an und nannte mich zornesbleich unter anderem noch einmal eine Drecksau, während er die Tirade wiederholte, von der Lewis mir berichtet hatte. Ich hätte mir das Übermaß seines mörderischen, verzehrenden Hasses nie träumen lassen, auch nach dem Kahlschlag bei mir zu Hause nicht. Es machte mich schwach und hilflos. Sandy, der schon so viel Furchtbares gesehen hatte, sah erschüttert aus.

Lorna fuhr mit Abscheu zu mir herum.»Was haben Sie ihm getan?«fragte sie vorwurfsvoll.

«Gar nichts.«

Sie glaubte mir nicht und würde es auch nie.

Aziz kam aus der Richtung der baufälligen Ställe wieder.

«Alles da«, verkündete er strahlend.»Das Zeug liegt in einer von den Boxen, unter einer Pferdedecke.«

Sandy lächelte mir kurz zu und stieß Tigwood unsanft gegen den Transporter.»Schätze, es ist Zeit, meine Kollegen zu rufen.«

«Schätze ich auch«, stimmte ich zu.»Jetzt können sie übernehmen.«

«Und der Jockey-Club kann Benjy Usher übernehmen«, sagte Aziz.

Ein weiteres Auto stieß zu dem Gedränge. Noch nicht die Kollegen, sondern Susan und Hugo Palmerstone, mit Maudie. Michael hatte ihnen gesagt, daß die Kinder hier waren, erklärten sie. Sie wollten sie abholen.

Tigwood in Handschellen entsetzte sie. Lorna sagte ihnen, alles sei meine Schuld. Hugo glaubte ihr unbesehen.

«Wo sind die Kinder?«fragte Susan.»Wo ist Cinders?«

«Sie sind in Sicherheit. «Ich bückte mich und schaute unter den Transporter.»Ihr könnt jetzt rauskommen«, sagte ich.

Guggenheim berührte meinen Arm, als ich mich wieder aufrichtete.»Haben Sie… ich meine…«, sagte er.»Ist das Kaninchen da?«

«Ich glaube.«

Er zumindest sah glücklich aus. Er hatte einen kleinen Korb aus weißem Plastik bei sich und trug Schutzhandschuhe.

Die beiden Kinder von Maudie schlängelten sich rücklings heraus, standen auf und wischten sich Staub ab. Eins von ihnen sagte mit leisem Stimmchen:»Cinders gefällt’s da drunter nicht. Sie weint.«»So?«Ich kniete mich hin und schaute nach. Sie lag flach auf dem Bauch, das Gesicht fest am Boden, und bebte am ganzen Körper.»Komm doch raus«, sagte ich.

Sie rührte sich nicht.

Ich legte mich rücklings auf den Boden und schob meinen Kopf unter den Rand des Transporters. Auf Fersen, Hüften, Schultern rutschte ich nach hinten, bis ich bei ihr war. Ich stellte fest, daß es Dinge gab, für die ich ohne zu überlegen unter Tonnen von Stahl kroch.

«Komm«, sagte ich.»Wir gehen zusammen raus.«

Sie sagte zitternd:»Ich hab Angst.«

«M-hm. Aber du brauchst keine Angst zu haben. «Ich sah zu dem stählernen Fahrgestell nicht weit über meinem Gesicht hoch.»Dreh dich auf den Rücken«, sagte ich.»Nimm meine Hand, und wir schlängeln uns zusammen raus.«

«Das fällt alles auf mich.«

«Ach was… nein. «Ich schluckte.»Dreh dich um, Cinders. Auf dem Rücken geht’s leichter.«

«Ich kann nicht.«

«Deine Mutter und dein Vater sind doch da.«

«Aber da schreit einer.«

«Jetzt nicht mehr«, sagte ich.»Komm, Schätzchen, es ist alles gut. Nimm meine Hand.«

Ich berührte ihre Hand mit meiner, und sie packte sie fest.

«Dreh dich um«, sagte ich.

Sie drehte sich langsam auf den Rücken und schaute hinauf zu dem Stahlrahmen.

«Es ist ziemlich schmutzig hier drunter«, sagte ich nüchtern.

«Zieh den Kopf ein, sonst versaust du dir die Haare. So. Unsere Zehen zeigen dahin, wo deine Eltern sind. Rutsch also schön mit mir mit, und wir sind im Nu draußen.«

Ich schlängelte mich vorwärts, und sie bewegte sich schluchzend neben mir her.

Es waren ja nur ein, zwei Meter. Für die Leute draußen sicher ein Klacks.

Als wir herauskamen, kniete ich mich neben sie und bürstete ihr den Schmutz aus den Kleidern und den Haaren. Sie klammerte sich an mich. Ihr kleines Gesicht, dicht an meinem, sah den Fotos von mir selbst in ihrem Alter sehr ähnlich. Die Zärtlichkeit, die ich für sie empfand, war herzzerreißend.

Ihr Blick glitt an mir vorbei, dorthin, wo ihre Eltern standen. Sie ließ mich los und lief zu ihnen. Lief zu Hugo.

«Daddy!«sagte sie und umarmte ihn.

Er legte schützend die Arme um sie und funkelte mich mit seinen grünen Augen an.

Ich sagte nichts. Ich stand auf, wischte mir selbst ein wenig Staub ab, wartete.

Susan legte einen Arm um Hugos Taille und umfing Cinders mit dem anderen; eine Familie von dreien.

Hugo zog sie abrupt mit sich zu ihrem Wagen und blickte grimmig über die Schulter zurück. Er brauchte keine Angst vor mir zu haben, dachte ich. Vielleicht kam er noch dahinter. Ich würde dieses Kind niemals in Verwirrung stürzen.

Ich hatte mitbekommen, daß Guggenheim und Aziz unter dem Transporter verschwunden waren. Guggenheim kroch mit Visionen der Unsterblichkeit in den Augen wieder hervor und drückte den weißen Plastikkorb an sich, als enthielte er den Heiligen Gral.

«Ich hab das Kaninchen«, freute er sich,»und es hat Zecken.«

«Wunderbar.«

Nina trat zu mir. Ich legte ihr den Arm um die Schultern. Es fühlte sich richtig an. Achteinhalb Jahre spielten keine Rolle.

«Alles in Ordnung?«fragte sie.

«M-hm.«

Wir schauten zu, wie der Wagen der Palmerstones davonfuhr.

«Freddie…?«: murmelte Nina zögernd.»Das kleine Mädchen da… als eure Köpfe so nebeneinander waren, dachte ich fast…«

«Sag es nicht«, sagte ich.

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