Mamika und Papuci

Wir haben nur ein paar Tage Zeit, um unsere Verwandten in der Vojvodina zu besuchen, im Sommer 1988, als unsere Eltern ihre erste Cafeteria führen, in einer merkwürdigen Hektik setzen wir uns in Wohnzimmer, die wir seit Jahren kennen und die sich, seit wir sie kennen, nicht verändert haben, weil sie nur für festliche Angelegenheiten, für Ausnahmezustände gebraucht werden: Möbel, die immer noch nach Fabrik riechen, obwohl sie schon so lange an demselben Ort stehen, zimmerhohe Wohnwände, Polstergruppen, Tischchen, die mit bestickten Tischtüchern geschmückt sind; die Tapeten, die in diesen Vorzeigezimmern immer perfekt sind, Kristallgläser, die so unwirklich aussehen, das unbeschreiblich Kühle, Verlassene dieser Zimmer, und Nomi und ich, wir sind uns darin einig, dass wir diese Zimmer nicht mögen, obwohl wir uns wünschen, dass sich in unserer Heimat nichts verändert, finden wir diese Zimmer, in denen sich nicht das Geringste verändert, abstossend, erschreckend, und wenn uns Tante Manci ins "gute Zimmer" bittet, uns die lebensgrosse Puppe mit ihren strahlend starren Augen anschaut, immer noch! dann sagt Nomi, dann sage ich, Tante Manci, können wir uns nicht in die Küche setzen? (Mamika und Tante Icu, die kein Vorzeigezimmer haben, glücklicherweise.)

Es regnet, nicht ständig, aber oft, das passt doch, meint Nomi, das Wetter fühlt mit uns mit, und in rasender Geschwindigkeit besuchen wir unsere Verwandten, als hätte euch eine Wespe in den Arsch gestochen, witzelt Onkel Piri, und wir lachen, während wir weinen und uns verabschieden, nur wenige Stunden, nachdem wir uns unter Tränen begrüsst haben — und schon setzen wir uns in die nächste Küche oder in eines dieser Vorzeigezimmer, trinken wieder Traubi oder Tonic oder Schnaps, und wir müssen abwinken, weil wir bereits nach dem Mittagessen ein Stück Kuchen gegessen haben, wir winken ab und sagen, vielleicht später, um niemanden zu beleidigen, als wir ein bisschen erzählt haben, von unserem Leben in der Schweiz, dass wir jetzt eine Cafeteria führen (und jemand fragt, ob die Schweizer denn Zeit hätten, Kaffee zu trinken, und wie! antwortet Vater, wir haben Gäste, die sitzen den ganzen Morgen bei uns, und natürlich sind alle beeindruckt, so viele Stunden in der Cafeteria rumsitzen und trotzdem so reich sein! aber ja, Kinder, die Schweizer lassen eben ihr Geld arbeiten; und alle lachen, weil man sich nicht genau vorstellen kann, wie man das Geld für sich arbeiten lässt), als wir gehört haben, was unsere Verwandten erzählen, dass das Leben immer noch schwer sei, oh oh, der Mais und die schönen Sonnenblumen, wenn es weiter so regnet, gibt es eine miserable Ernte dieses Jahr (und ich erinnere mich, dass Onkel Móric gesagt hat, er wäre gern mein Onkel aus Amerika, als ich ihm erzählt habe, ich sei nach meinem Schulabschluss in Amerika gewesen, in den Vereinigten Staaten! so nickte Onkel Móric, wo alle grossartigen Maschinen erfunden werden und die Weizenfelder endlos sind, die Menschen ins Glück hinein geboren werden, und ich verstehe gar nicht, dass ihr damals nicht nach Amerika ausgewandert seid, sagte er zu Vater, ich wäre bestimmt nicht in Ruropa geblieben, Vater, der über seine Schnauzhaare fährt, sagt, mein grosser Bruder, hättest du uns in all den Jahren wenigstens ein Mal besucht, wüsstest du, dass wir die richtige Entscheidung getroffen haben, Tante Manci, die dann rasch nach der Platte mit dem aufgeschnittenen Fleisch greift, Würste, Schinken, Spezialspeck, die mit Tomaten, weissem Paprika, sauren Gurken und roten Zwiebeln eingerahmt sind, und Tante Mancis Mund, der sprudelt, sie würden jetzt auch Mangalitza-Schweine züchten, die seien sehr begehrt, eine alte Rasse, die viel kompakteres, schmackhafteres Fleisch liefere), und schneller als sonst stehen wir auf, in der ersten Gesprächspause greifen wir nach den mitgebrachten Säcken und Taschen — mit der Zeit haben wir eine richtige Systematik im Geschenke verteilen entwickelt, Nomi, die den Kaffee, die Schokoladen, die Seifen auf den Tisch stellt, ich, die ein paar Worte über die mitgebrachten Kleidersäcke verliert, Mutter und Vater, die die spezifischen Geschenke überreichen, Diät-Schokolade für unsere Mamika, Taubenfutter für Bela, Haarfärbemittel für Belas Frau, die Coiffeuse ist, hautfarbene Verbände für Tante Icu, deren Beine von ihrer Arbeit in der Hanffabrik schwarz gefleckt sind, den Asthma-Spray für Onkel Móric, dessen Atemwege verklebt sind, weil er nicht nur Bauer ist, sondern seit Jahren auch in der Mühle arbeitet, einen Mixer für Nándor und Valeria, die mittlerweile zwei Kinder haben — und als wir abends erschöpft in Mamikas Küche sitzen, Nomi sagt, sie wisse gar nicht mehr, wer was erzählt habe, es vermische sich alles, da meint Vater, wir seien noch bei Grossonkel Pista eingeladen, er habe es ihm versprochen, dass wir ihn heute noch besuchen, da rebellieren Nomi und ich, wir können nicht mehr, Mamika, die Vater davon überzeugen kann, dass er und Mutter Pisti allein besuchen, und am letzten Tag vor unserer Abfahrt solle der Pisti noch zum Kaffee vorbeikommen, dann könnt ihr euren Grossonkel wenigstens noch zum Abschied küssen, sagt Mamika lachend.

Es war an diesem Abend, als Nomi und ich mit Mamika allein waren, und nachdem wir über den Innenhof gerannt waren, um Mamika beim Füttern der Tiere zu helfen, sassen wir am Küchenusch, schauten eine Weile zu, wie der Regen gegen das Fenster schlug, da sagte Mamika, ich möchte euch etwas über euren Grossvater erzählen, dieser verrückte Regen sagt mir, dass ich das tun muss. Hat euch euer Vater je etwas über euren Grossvater erzählt? Wir wissen, so Nomi, dass Papuci im Arbeitslager war und dass er sich zum 1. Mai ein Kilo Läusepulver gewünscht hat (Vater, der uns vor ein paar Monaten mit einer rauen, flüsternd eindringlichen Summe, die keinen Widerspruch duldete, von Grossvater erzählte, als es darum ging, ob wir am 1. Mai unser Geschäft schliessen oder nicht. Schliessen? am Tag der Arbeit? so unterbrach uns Vater, als Nomi und ich bereits zu einem leisen Protest angesetzt hatten, hört mal zu, wir werden am Tag der roten Scheisser ein ganz besonderes Menü auf die Karte setzen, ein schönes, safdges Gulasch oder eine Schweizer Spezialität, Kalbsgeschnetzeltes mit Rösti, und ich schlage vor, dass wir unseren Gästen sogar einen Kaffee spendieren — und wisst ihr warum? Ich werde es euch verraten, euren blöden Köpfen, die jetzt wegschauen, weil sie nur einen freien Tag wollen. Wir durften eurem Grossvater am 1. Mai ein zusätzliches Kilo ins Arbeitslager schicken, das monatliche Kilo wurde am 1. Mai um ein Kilo aufgestockt, und wisst ihr, was wir eurem Grossvater nach Pozarevac geschickt haben? Nein? Ihr werdet es auch nicht erraten! Läusepulver haben Mamika, Onkel Móric und ich ihm geschickt, das kräftigste Läusepulver, das wir auftreiben konnten! Papuci, euer Grossvater, hat sich das gewünscht zum 1. Mai, um seinem blutig gebissenen Schädel Linderung zu verschaffen. Als er aus dem Arbeitslager zurückkam, erkannten wir ihn nicht wieder. Seine Kopfhaut war vernarbt, seine schwarzen Locken hatte die Läusegemeinschaft aufgefressen und nur noch weisses, schütteres Haar übrig gelassen. Meine lieben Töchter, der 1. Mai wird für mich immer ein Kilo Läusepulver bleiben, ein zusätzliches Kilo, das die Roten erlaubt haben, an ihrem Feiertag, an dem ich immer arbeiten werde, und ich werde für Papuci ein Festessen kochen, das sag' ich euch! Aber ihr, wollt ihr etwa demonstrieren? eine rote Fahne schwenken? oder "Breschnew, Breschnew" rufen? oder "Stalin?", oder "Lenin?", oder "es lebe der Kommunismus?", oder wollt ihr etwa "es lebe die Enteignung" rufen? gehört ihr etwa zu den Roten oder zu den Grünen? Möchte bloss wissen, welcher von euren Schweizer Freunden euch in den Kopf geschissen hat, oder habt ihr euch etwa selber in den Kopf geschissen?), stimmt, sagte Mamika, das mit dem Läusepulver habe ich vergessen, aber jetzt erinnere ich mich, ein ganzes Kilo haben wir eurem Papuci geschickt, und Mamika erhob sich, sagte, wir sollten uns ins andere Zimmer setzen, sie habe in der Kredenz ein Foto von Papuci, das einzige, und das wolle sie uns später zeigen.


Hört mal zu, so fing Mamika an, euer Grossvater wurde getötet und mit ihm viele andere. Ich erzähle euch, was ich darüber weiss, damit ihr in eurem Leben nicht vergesst, dass immer alles passieren kann, das Grausamste, und es gibt Anzeichen dafür, wenn die Menschen sich wieder auslöschen wollen — und die Zeichen stehen im Moment sehr schlecht, meine geliebten Mädchen (und erst später, als wir wieder in der Schweiz waren, fiel mir auf, dass Mamika in diesem Sommer die einzige war, die davon gesprochen hatte, dass es wahrscheinlich Krieg geben werde).

Ihr fragt euch, woher ich das wissen will? So ein altes, verhutzeltes Weib?

Ich weiss es nicht, aber ich habe eine düstere Vorahnung, und Mamika schaute uns mit ihren graublauen Augen an, machte eine Pause, in der sie mehr als nur ihre Gedanken zu sammeln schien.

Ich und euer Papuci haben immer mit den Viechern gelebt, was ja für Bauern ganz normal ist. Aber wisst ihr, was es heisst, wenn ich sage, "mit den Viechern leben"? Wir haben unsere Pferde, Kühe, Schweine, Gänse, Enten und was wir sonst noch alles hatten, immer auch als Teil unserer Seele angesehen. Wir haben also gelernt, auf die Viecher zu hören, auf jede erdenkliche Art.

Auf unserem Hof hatten wir vier Hunde, und wir wussten, wie sie bellen, wenn ein Fremder in der Nähe war, wir wussten, dass Vigec immer als Erster bellte, und erst nach einer kurzen Weile setzten die anderen ein, leiser und zurückhaltender. Als im Jahr 1942 erstmals die Faschisten auf unserem Hof auftauchten, dämmerte es bereits, und wir sassen alle am Tisch, Papuci, euer Vater, Onkel Móric und ich. Vigec fing an zu bellen, und wir hörten auf, an unseren Broten zu kauen, nicht deshalb, weil Vigec zu bellen angefangen hatte, sondern weil er nach ein paar kurzen Kläffern bereits wieder still war. Papuci erhob sich, schaute uns der Reihe nach an, sagte, wir sollten uns nicht von der Stelle rühren, wusch sich rasch die Hände, bevor er nach draussen ging.

Ich konnte natürlich nicht auf meinem Hintern sitzen bleiben. Über die Hintertür schlich ich mich in den Garten, beobachtete und hörte von da aus, was geschah. Drei uniformierte Männer, die ich noch nie gesehen hatte und die zu Fuss oder mit Fahrrädern gekommen sein müssten, hatten sich mit verschränkten Armen beim Ziehbrunnen aufgestellt. Vigec sass ganz nah und reglos bei ihnen, mit aufgerichteten Ohren, so, als würde er von ihnen irgendwelche Anweisungen erwarten, und das war schon sehr aussergewöhnlich. Als Papuci leise durch die Zähne pfiff, verzog er sich an seinen Stammplatz. Einer der Männer trat vor, sagte, ohne ein Grusswort, ohne sich vorzustellen: Kocsis, wir brauchen solche Männer wie dich. Wir haben gehört, dass du Instinkt hast und Verstand. Deine Pferde sind die besten hier in der Gegend, und der Sprecher lobte euren Grossvater, aber seine Stimme hatte nichts Weiches, sie zog sich vielmehr schneidend durch die Luft, seine Stimme war es gewohnt, Befehle ausführen und zu geben.

Ich sah nur Papucis Rücken, und ich habe nie vergessen, wie er seine Arme hängen liess. Dass er seine schweren Hände nirgendwo verstaute, weder in den Hosentaschen noch hinter dem Rücken, fand ich sehr bemerkenswert. Aber so wirkte sogar sein Rücken stolz und aufrichtig, gerade deshalb, weil er auf jeden Schutz verzichtete.

Ihr seid mir nicht vertraut, sagte Papuci, nach einer Pause, die mir unglaublich lange vorkam, so kann ich mit dem, was ihr sagt, nicht viel anfangen. Aber vielleicht könnt ihr mir, einem einfachen Bauern, verraten, woher ihr diese verführerischen, glänzenden Stiefel habt?

Ich erwartete, dass sie Papuci schlagen, ihn zumindest beleidigen würden, und ich faltete meine Hände, murmelte ein Gebet. Es geschah nichts. Der Angesprochene schwieg, und Papuci blieb in der gleichen Körperhaltung stehen, schwieg ebenfalls, und das Einzige, was die Männer nun eine ganze Weile taten, war, einander mit den Blicken zu messen. Dann gab der Anführer einen kurzen Befehl, und die drei zogen ab.

Was dann geschah, meine Lieben?

Wir bekamen fast wöchentlich Besuch. Immer waren es andere Männer, immer trugen sie dieselben Stiefel, und ihr Haar im Nacken war kurz geschoren, damit nicht einmal der Wind sich an ihm erfreuen kann, sagte Papuci. Jedes Mal fragten sie ihn, ob er sich's überlegt habe, und stets stachelte Papuci sie mit irgendeinem Spruch an, seht her, ich habe keinen Platz für die Ideen von anderen, ich bin zufrieden mit dem, was ich habe, was ist daran auszusetzen? Wortlos führten die Männer ein Pferd ab, ein paar Schweine oder verluden einen Teil unserer Maisoder Weizenernte auf einem Wagen. Móric und Miklós waren enttäuscht und wütend, dass Papuci und ich den Raub unseres Besitzes, vor allem unserer geliebten Tiere, widerstandslos zuliessen. Eines Tages erwischte Papuci Móric, wie er mit seinen zwölf Jahren gerade die Schrotflinte gegen einen Uniformierten ansetzte. Papuci ohrfeigte ihn, und zwar so, dass er blutete: Du bist übrigens kein Held, wenn du das Leben von uns allen aufs Spiel setzt!

Onkel Lajos, einer von Papucis zahlreichen Onkeln, mischte bei den Faschisten ganz oben mit, das müsst ihr wissen. Er liess sich zwar nie bei uns blicken, aber wahrscheinlich war er es, der verhinderte, dass Papuci von den "Nacktnacken", wie wir sie nannten, getötet wurde. Euer Grossvater wurde zwar noch einberufen, er hätte also für die Faschisten irgendwo in Russland kämpfen müssen, aber dazu kam es nicht mehr, da sich die Verhältnisse nach Stalingrad schlagartig änderten.

Ich weiss nicht mehr genau, wann es war, 1945 oder 1946, da wurden der Lajos und etliche, die mit den Faschisten sympathisiert hatten, von den Kommunisten am Flussufer erschossen. Wochenlang färbte sich das Wasser rot, die Fische, auf die wir keinen Appetit mehr hatten, vermehrten sich und wurden dick. Meine Fischsuppe, die alle so liebten und die es bei uns immer freitags gegeben hatte, konnte ich deshalb jahrelang nicht mehr kochen. Auch den grössten Verbrechern müsste man den Prozess machen, sagte Papuci, nachdem wir erfolglos nach der Leiche von Lajos gesucht hatten.

Nach Stalingrad waren es also die Partisanen, die bei uns auftauchten und auf ihre Art wüteten. Sie waren ihrerseits vom Krieg fanatisiert, suchten überall, auf jedem kleinsten Hof, nach Faschisten, vergewaltigten unsere Waschfrau, quälten die Tiere, wenn sie Lust dazu hatten, betranken sich, frassen so viel, dass sie sich übergeben müssten. Meine Lieben, glaubt mir, ich könnte euch noch viele grausige Einzelheiten erzählen, aber wozu. Tatsache ist, dass fast jedes Jahr neue Schrecken brachte, und wir, und mit uns viele andere, wurden daran gehindert, unser einfaches Leben zu leben. Und wir müssten unseren Kindern Dinge erklären, für die wir selbst keine Erklärung hatten.

Weisst du es schon, wir leben in einem neuen Staat! So versuchten wir uns darüber lustig zu machen, dass unser Hof, der doch immer noch an derselben Stelle stand, wieder einmal zu einem neuen, besseren Land gehören sollte, zur Volksrepublik Jugoslawien. Wir müssen nirgendwohin, die unterschiedlichsten Regierungsformen kommen zu uns, als hätten wir sie gerufen. Die Monarchie! Der Faschismus! Und jetzt kommen die Roten, die auch etwas auf dem Herzen haben, was, das werden wir noch früh genug erfahren, sagte Papuci. Bis jetzt wissen wir nur, dass unser Staatsoberhaupt einen kurzen Namen hat, und wir wissen auch warum: Hat man je von einer Schokolade, von einem Waschmittel mit einem langen, komplizierten Namen gehört? Alles, was wir nicht unbedingt brauchen, soll sich mit blödsinnig plumpen Namen in unseren Köpfen einnisten. Aber wer hat eigentlich gesagt, dass man Politik braucht? Genügt das einfache Leben nicht?

Mamika zwinkerte uns zu, so konnte euer Papuci reden, wenn er einmal in Fahrt kam.

1946 fingen die Enteignungen an. Wieder tauchten auf unserem Hof Köpfe auf, diesmal aber solche, die wir kannten. Bourgeois Kocsis, du solltest, solange du noch kannst, Genosse werden, du solltest dein unrechtmässig erworbenes Land abgeben, eine neue Zeit bricht an. Jener, der das sagte, hatte bis vor kurzem bei uns gearbeitet. Geza, sagte Papuci, nichts weiter. Was sollen wir tun? fragte ich, nachdem Geza und seine Männer sturzbetrunken und mit vollgestopften Taschen wieder abgezogen waren. Nichts, antwortete Papuci.

In dieser Zeit träumte ich jede Nacht von unseren Pferden, die mich mit diesen Pferdeaugen anschauten, und jedes schien mit mir zu sprechen, und jede Geschichte endete mit dem Tod. An einen Traum kann ich mich besonders deutlich erinnern, weil ich danach ganz sicher war, dass etwas Schreckliches geschehen würde. Ich träumte, dass ich aus dem Tiefschlaf gerissen wurde, weil es sintflutartig regnete. Niemand ausser mir war im Haus, weder Papuci noch die Kinder. Ich sah, als ich aus dem Küchenfenster schaute, dass unser bestes Pferd am Akazienbaum festgebunden war. Es rührte sich nicht, obwohl es bereits knöcheltief im Wasser stand. In meiner Verzweiflung riss ich das Fenster auf, schrie in den Hof hinaus, wollte das Pferd ermutigen, sich loszureissen. Aber das Pferd schien ergeben auf seinen Tod zu warten, und ich konnte es nicht befreien, da ich keine Möglichkeit sah, die Wassermassen zu überwinden, nicht einmal die Tür hätte ich öffnen können. Im nächsten Moment hatte ich eine grosse Bürste in der Hand, ich bürstete die blossen Knochen des Pferdes, das ich soeben noch hatte retten wollen. Ich weinte, weinte, bürstete, hoffte, bat den Himmlischen, durch meine Reinigung mein geliebtes Pferd wieder lebendig werden zu lassen.

Ich erzählte Papuci nichts von meinen Träumen, aber als die "Besuche" der Kommunisten immer häufiger wurden, ich die unersättliche Gier unserer ehemaligen Freunde sah, die jetzt zur einzig richtigen Partei gehörten, die unverfrorene Art, ihre aufgekratzten Augen, mit denen sie jede Schublade, jeden Winkel inspizierten, da bat ich Papuci unterzutauchen. Mein Täubchen, sagte er, die wissen doch selber nicht, in welche Richtung sich ihre Nase gerade drehen soll, die werden sich schon wieder beruhigen.

Einige Tage später rannte der kleine Feri, der Junge vom Nachbarhof, in unsere Küche, erzählte atemlos, dass sie seinen Vater verhaftet hätten. Sie nehmen alles mit, sagte das Kind mit verwirrten Augen. Die Pferde schlügen aus, vor Panik, die Gänse hörten nicht mehr auf zu schnattern, der Hund, der sonst so friedlich sei, habe einen ins Bein gebissen, woraufhin sie ihn sofort erschossen hätten, und der Junge fuchtelte wild mit seinen Händen herum. Ich habe ihm die Stirn gestreichelt, habe versucht, ihn zu beruhigen, aber Feri trat von einem Bein aufs andere, weinte und schaute immer wieder in die Richtung, wo das Haus seiner Eltern stand. Wo ist deine Mutter? fragte ich endlich. In der Stadt, auf dem Markt. Sie verkauft ihre Äpfel und Birnen, und dem Jungen lief der Rotz aus der Nase.

Papuci stand auf, ging in die Vorratskammer, kam nach einer kurzen Weile wieder, mit einem kleinen, prall gefüllten Sack, sagte ganz ruhig, ich solle mit den Kindern in die Stadt fahren, zu meiner Schwester. Er fuhr Miklós und Móric mit der Hand übers Gesicht, küsste sie auf die Stirn, und ich werde nie vergessen, wie unsere beiden Buben in diesem Moment ausgesehen haben, sie hatten fahle, erschreckte Gesichter, als hätten sie geahnt, was in der nächsten Zukunft geschieht. Und nimm den Feri mit, rief Papuci mir noch zu, nachdem er mich umarmt hat und hinter der Küchentür verschwand.

Mamika machte hier eine längere Pause, schnauzte sich, bat mich, ihr einen Apfel zu schälen. Und als ich mich wieder neben Mamika setzte, sie winzige Bisse vom Apfel nahm, deutete sie auf das Marienbild, das über ihrem Kopf hing, schaut sie euch an! Eine mit Halsketten, Ringen, Armreifen und einem Diadem geschmückte Maria, die ihren Kopf leicht geneigt hielt, die lächelte und auch wieder nicht, und in ihrer Brust steckte ein am Griff mit Rubinen und Smaragden verzierter Säbel, dessen Spitze, und das ist mir am meisten in Erinnerung geblieben, hinter Marias Händen unsichtbar blieb. Sie erträgt den Schmerz, sagte Mamika, weil sie die Mutter von uns allen ist, sie ist unsere Hoffnung in den schlimmsten Zeiten. Und weder ich noch Nomi hätten widersprechen können, wir fühlten, wie unangemessen unser Zweifel war, in Anbetracht von dem, was Mamika erlebt hatte.

Sie haben Papuci ins Arbeitslager nach Pozarevac gebracht, nachdem er sich wochenlang in den Maisund Weizenfeldern versteckt hatte. Ein Bekannter, ein gern gesehener Bekannter muss ich sagen, hat Papuci denunziert, er hat es den Behörden eingeflüstert — so nannten wir damals diesen Akt der Denunziation — , dass Papuci nachts, jeweils zwischen elf und zwölf, bei den Särväris auftauche, um etwas zu essen und sich zu waschen. Zwei Tage später erzählte man mir, Papuci sei mit vier weiteren Männern auf einem Wagen abtransportiert worden, und Bori, die Dorfschönheit, beschimpfte sie auf dem Wagen lauthals als Ausbeuter, Kulaken! Kulaken! und riss ihnen die Schnauzhaare aus. Die Zeit zwischen 1946 und 1952 wurde später nicht umsonst die Zeit des Schnäuze-Ausreissens genannt.

Bevor sie Papuci zuerst nach Pozarevac und danach ins Kohlebergwerk nach Kostolac brachten, haben sie ihn im Keller des Schulhauses, wo Miklós zur Schule ging, tagelang verhört und geschlagen. Miklós hat Papuci gehört, stellt euch das vor, und der Lehrer hat ihn mit Müh und Not daran gehindert, in den Keller zu stürzen, in den sicheren Tod, das wollen die ja, rief der Lehrer, die wollen, dass du ihnen ins offene Messer läufst! Vom Unterricht befreien konnte er Miklós nicht, da die "Vollstrecker" jeden Tag kontrollierten, ob alle Schüler anwesend waren. Mein armer Miklós, sagte Mamika, damals war er erst elf Jahre alt.

Papuci weigerte sich, unser Land herzugeben und der Partei beizutreten, Grossgrundbesitzer! Faschist! verdammter Ungar! so haben die Vollstrecker, jene also, die etwas zu Ende führen, was andere für sie ausgedacht haben, ihn immer wieder beschimpft. Es sei wohl das Schlimmste, weder das eine noch das andere, noch etwas Drittes zu sein. Er sei, und dafür sei er weitherum bekannt, ein einfacher Bauer, soll Papuci gesagt haben, und er habe auch nie etwas anderes gewollt. Sie würden ihn, falls sie ihn töteten, als Menschen töten, als nichts anderes.

Ich habe Papuci dann mehr als ein Jahr nicht mehr gesehen, und als er endlich zurückkam, habe ich ihn nicht erkannt. Ein weisshaariger, ausgehungerter, kümmerlicher Mensch klopfte an die Tür meiner Schwester, wo ich seit Papucis Verhaftung mit den Kindern lebte. Ihr hättet euren Papuci als jungen Mann sehen sollen, seine stolze, aber nicht überhebliche Art, seine schwarzen, dichten Haare, die eher einem Tierfell ähnelten als menschlichem Haar, sein Blick, der es nie eilig hatte, der in Ruhe alles beobachtete, bevor er irgendwas tat. Und jetzt? Was haben sie mit Ihrem Haar gemacht, fragte Miklós, euer Vater, der schon längstens angefangen hatte, über die Kinderwelt hinauszusehen. Nicht nur ich habe gearbeitet, sondern auch die Läuse, antwortete Papuci und versuchte zu lächeln.

In einer Nacht hat er erzählt, was er im Lager erlebt hat, und dann nie wieder. Irgendwann habe ich ihn noch etwas gefragt, ich glaube, was sie zu essen bekommen hätten. Frag mich nicht, hat er geantwortet, ich habe dir ein Mal von dieser Zeit erzählt, das reicht.

Mein geliebter Papuci hat sich nicht erholt. Je mehr er von den Verhältnissen erfuhr, unter denen wir nun in der Zwischenzeit leben müssten, dass uns alles, wirklich alles genommen worden war, dass jetzt "Erben" auf unserem Hof leben, so genannte Genossen, die unser Land bewirtschaften, dass wir, wenn wir nur wollen, einen kleinen Teil unseres Landes zurückkaufen können, dass Papucis Pferde versteigert worden sind, der rote Läszlö den grössten Teil unserer Schweine erstanden hat, der kuglige Jenci aus Ada unser Geflügel abgeführt hat, dass ich nicht einmal unsere Vorräte, unser Eingemachtes retten konnte, die eingeweckten Äpfel, Sauerkirschen, Aprikosen, Pfirsiche, die sonnengetrockneten, in Salzwasser eingelegten Gurken; ich habe die "Vollstrecker" gebeten, dass ich wenigstens die Küchenvorräte mitnehmen darf, aber sie Hessen lieber alles verschimmeln. Die "Erben" sind nämlich erst vor einem Monat auf den Hof gezogen, so habe ich Papuci erzählt, bis dahin ist der Bauernhof abgesperrt gewesen und von irgendeinem Roten bewacht worden, und das hat mir Miklós erzählt, der sich einmal bis zum Ziehbrunnen unseres Hofes vorgewagt hat und dann sogar unseren kleinen, senfgelben Schemel hat mitgehen lassen, der immer noch neben den Apfelbäumen stand.

Stell dir vor, was passiert wäre, wenn sie ihn erwischt hätten, sagte Papuci, beim Diebstahl seines eigenen Schemels. Lieber nicht, antwortete ich.

Die Geschichte ist an dieser Stelle zu Ende, und Mamika nahm die Brille von der Nase, um mit dem Handrücken über ihre Augen zu fahren, wir haben Papuci noch im gleichen Jahr beerdigt, mit seinen einundfünfzig Jahren! Es war eine schreckliche, eine trostlose Beerdigung, weil wir alle wussten, dass er noch lange hätte leben können. Und nach Papucis Tod gingen Miklós und Móric immer wieder aufeinander los, in ihnen wuchs auf je unterschiedliche Art eine Unversöhnlichkeit, die ich mir nur durch den frühzeitigen Tod ihres Vaters erklären kann.


Nachdem Mamika aufgehört hatte zu erzählen, stand sie auf, ging langsam zur Kredenz, schob ein paar Tischtücher beiseite und kam dann mit einem Bild zu Nomi und zu mir, wir, die auf Mamikas Bett sassen; das ist er, sagte Mamika, euer Grossvater, und sie legte das Bild in unsere Mitte, Nomi und ich, die Mamika fragend anschauten, weil auf der Fotografie etwa dreissig Männer zu sehen waren, und alle trugen Mäntel, Mützen, Schnäuze, ernste Gesichter. Es war sehr kalt, damals, als die Fotografie gemacht wurde, sagte Mamika, und die Männer, alles Bauern aus dieser Gegend, haben sich getroffen, um ihre Erfahrungen auszutauschen, in einem Winter, ein oder zwei Jahre, bevor der Zweite Weltkrieg ausgebrochen ist.

Lassen Sie uns raten, sagte Nomi, sagte ich, und eine ganze Weile schauten wir uns die vielen Gesichter genauer an, je länger man hinschaut, desto unterschiedlicher werden sie, sagte Nomi. Ja, antwortete Mamika, und? Nomi und ich, wir berührten mit unseren Fingern dasselbe Gesicht. Und es war das Gesicht von Papuci.

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