Mitten in der Nacht fahren wir ein, 1986, wir fahren nicht, wie üblich, zur Hajduk Stankova, zu Mamika, sondern zu Tante Icu, mit unserem weissen Mercedes bleiben wir, kurz vor dem Ziel, im Dreck stecken. Ein plötzlicher Regen verwandelt die unasphaltierten Nebenstrassen in eine schlammige Masse, wir sitzen fest, die Räder drehen durch, mein Vater fängt an zu fluchen, Breschnew, du sollst deinen stinkenden Arsch ticken (und niemand von uns sagt, dass Breschnew schon lange tot ist), die Scheibenwischer sind hysterisch, Nomi und ich blicken in das gelbe Licht einer Strassenlaterne, der Regen ist… auf Jagd! sagen wir und lachen nicht, weil Vater aufs Pedal drückt, das System verflucht, den Zweitakter und den Kommunismus, der Wagen ist nicht für hier gemacht, sagt meine Mutter leise, hält sich immer noch am Seitengriff fest, wir sollten Hilfe holen, sagt sie, mein Vater stülpt sich die Jacke über den Kopf, versinkt mit seinen grauen Halbschuhen im Dreck, ich höre das sumpfige Geräusch, das schmatzende, gierige Geräusch von nassem Dreck, mein Vater, der schliesslich seine Schuhe auszieht, seine Socken, nacktfüssig durch den Dreck watet, über die Kanalisation springt, bis zum Haus meiner Tante rennt, die Klingel drückt, und ich kann das Bellen der Hunde hören, zwei Schäferhunde, die nichts anderes tun, als in einem Zwinger hin und her zu patrouillieren, nur wenn sich Bela, unser Cousin, mit breitbeinigem Schritt dem Zwinger nähert, fangen die Hunde an zu winseln, ziehen sich jammervolle Töne wie dünne, scharfe Fäden durch die Luft, Nomi und ich stehen dann meist abseits, beim Ziehbrunnen, beobachten, wie die Hunde ihre Schädel demütig auf den staubigen Boden drücken, als hätte sie Bela betäubt oder verzaubert, was dasselbe ist, als würden sie sich für die soeben noch gefletschten Zähne entschuldigen. Bela, der mit einem routinierten Handgriff den Zwinger öffnet, den Hunden ein paar beiläufige Klapse auf den Rücken gibt (wie wenn er nie mit Teddybären gespielt hätte), ebenso routiniert deren Scheisshaufen mit dem Reisigbesen aufkehrt, die Restscheisse mit dem Gartenschlauch wegspritzt, Bela, der nicht nur die Hunde mit seinem Blick bändigt, der jetzt mit meinem und seinem Vater ohne Hast auf uns zukommt, auf unseren Wagen, während die Väter rennen, als hätte Bela sie aufgescheucht, als würde er sie vor sich hertreiben, er, der mit erhabenen Schritten, verschränkten Armen den Dreck besiegt, indem er ihn gar nicht beachtet.
Bela, der seine Begabung oder seinen Trieb zum Dompteur im Laufe der Jahre weiter perfektioniert, einer der besten Taubenzüchter des Landes wird, mit seiner Tippler Taubenzucht weit über die Landesgrenzen hinaus Aufsehen erregt… und als man für die systematische Tötung und die Zerstörung des Landes Männer braucht, wirkt die Geste, mit der Bela auf seine mit akribischer Sorgfalt ausgestellten Pokale zeigt, unübertroffen hilflos, und die Männer in ihren erdfarbenen, nüchternen Uniformen lachen im ersten Moment fast verlegen, als sie die Trophäen erblicken, welche in ihrem aufwändigen, vergoldeten Kitsch tatsächlich eine glänzende Laufbahn dokumentieren. Und einer von ihnen muss die Hacken zusammenschlagen, verkünden, dass jetzt, in der heutigen Zeit alles in die Luft fliege, und da, wo Bela nun hinkomme, werde er vieles vergessen, zuallererst aber seine himmlischen Geschöpfe oder besser gesagt: seine fliegenden Ratten.
Begrüssung verschieben wir auf später, sagt Bela, da sein Gesicht zur Wagentür hereingrinst, wir ihn umarmen wollen, jetzt wird erst mal gearbeitet, er und Onkel Piri schieben, während mein Vater aufs Gas drückt, meine Mutter sich immer noch an der hellbraunen Lasche festhält, meine Schwester und ich, wir sind zwei zappelige, aufs Trockene gesetzte Fische, sehnsüchtig nach diesem warmen Sommerregen, der unsere hellen Sommerhosen, unsere in glitzernder Schrift und mit "Hollywood" bedruckten T-Shirts sekundenschnell durchnässt, die Kleider, die am Körper kleben wie eine zweite Haut, die Räder, die noch ein paar Mal durchdrehen, bevor sie sich, begleitet vom Fluchen der Männer, entschliessen, das zu tun, was man von ihnen erwartet, nämlich drehen und nicht durchdrehen.
Tante Icu stellt Brot auf den Tisch, Tomaten, Würste, Paprika, ihr müsst ausgehungert sein, Sahne, Quark, frische Butter, meine Tante, deren trockene Locken jetzt, spät in der Nacht, am Kopf kleben, ihre himmlischen Augen, die sich mädchenhaft freuen, Kinder, Kinder, dass ihr endlich da seid! Und der Tisch ist noch nicht voll genug, den Speck muss ich noch holen, wie konnte ich den Speck vergessen und den Schnaps! ihr fülliger Körper, der nochmals in der Speisekammer verschwindet, um im nächsten Augenblick den Tisch mit einer unglaublichen Torte zu verschönern, ach, und jetzt hab ich den Schnaps und den Speck wieder vergessen!
Und wir sitzen alle um den Tisch, dicht gedrängt, ein greller Lichtkegel, der uns, unsere aufgeregt umherwandernden Augenpaare beleuchtet, wir alle wollen schauen, sehen, was die Jahre gebracht haben, die Zeit, wie sie vergangen ist! und wie lange haben wir uns nicht gesehen? wie oft haben wir irgendwas ohne euch getan, wie viele Gefühle fühlten wir ohne euch? Und die Zeit ist ein Sack, in dem alles mögliche Platz hat, die Rosen wollten dieses Jahr nicht blühen, und das Mutterschwein hat zwanzig Junge geworfen, die Jungen, die man vor der Mutter retten musste, weil sie sie sonst zerquetscht hätte, und die Kanalisation, die immer noch vor sich hinstinkt, und unsere lieben Herren da oben, deren Leben ein einziges, leeres Versprechen ist! aber lasst uns nicht von Politik sprechen, Onkel Piri füllt die Schnapsgläser mit einem gekonnten Schwung, beeilt sich, das Glas zu heben: Zur Feier des Tages soll Gott allen verzeihen, den Tagedieben, den Strolchen, die mir neulich mein Fahrrad wie eine warme Semmel weggestohlen haben! Ach, Kinder, Gott soll uns einen Tropfen gönnen, der uns das Herz wärmt und nicht nur das Herz, lasst uns die Sorgen des Tages vergessen, die Politiker sollen sich ans Bein pinkeln, wir haben was zu feiern, und wenn es das Letzte ist, was wir tun! Bela, der sich nach ein paar Gläsern verabschiedet, sich entschuldigt, hab morgen noch zu tun.
Und in solchen Momenten, wenn sich die Anzahl der Gläser in den Augen von Onkel Piri und Vater widerspiegelt, die Trinksprüche, Beteuerungen, Flüche mit den auffliegenden Armen, den immer tiefer hängenden Rauchschwaden eine kompakte Einheit bilden, die Stimmung ein ausgeglichenes Wechselbad ist zwischen überbordender Zärtlichkeit (Arme, Hände, die verschmelzen, Münder, die plötzlich aufeinander zufliegen) und geniesserischer Wut (eine Faust, die den Tisch bestrafen muss), dann wünsche ich mir, dass die Nacht und der Tag zusammengehören, so dass die Nacht sich nicht an den nächsten Morgen verliert — und um uns noch besser an der immer fiebriger werdenden Stimmung der Erwachsenen berauschen zu können, verziehen Nomi und ich uns auf die Veranda, saugen uns am mit einem grünen Moskitonetz überspannten Verandafenster fest, hören zu, staunen darüber, dass sich unsere Eltern verwandeln, unsere Geheimsprache, mit der sie sich jetzt fliessend, immer schneller unterhalten, Wörter brauchen, die wir noch nie aus ihrem Mund gehört haben, und wenn das Glück einen Namen hat, dann müsste es auch ein Gesicht haben, ein Gesicht, das in einem freien, leichten Singsang erzählt.
Ihr seid ganz schön verwöhnt bei euch im Westen, Luxussorgen nenne ich das, wenn eure Eltern erzählen, dass bei euch alles so teuer ist, sagt Bela und schiebt sich einen Zahnstocher in den Mundwinkel, als er am nächsten Tag mit Nomi und mir auf der überdachten Veranda sitzt, in der Mittagshitze, da unsere Eltern schlafen, im Innenhof kein Schatten mehr zu sehen ist, die Hunde sich in ihre Hütte verzogen haben, das Wasser in ihrem Blechnapf verdampft ist, es muss ja erst mal etwas da sein, damit es teuer sein kann! und Bela drückt mit seinem Daumen auf das Ventil des Siphons, und das Wasser schiesst ins Glas, der Strahl ist so scharf, dass er das Tischtuch bespritzt, Nomi und ich, die Bela bewundern müssen, als wären wir eigens dafür erschaffen worden, wir hängen an seinen Lippen, weil er etwas Furchtloses und Beunruhigendes hat (Bela, dessen Frisur mich an diejenige von Limahl erinnert, einen englischen Pop-Sänger der 80er Jahre, der ihn, würde er ihn kennen, bestimmt als warmen Bruder bezeichnete).
Ihr habt ausserdem das Gefühl, dass ihr immer in Sicherheit leben könnt, sagt Bela, so ein Trugschluss wäre bei uns gar nicht möglich, und er setzt sich unseren Kopfhörer auf, drückt auf "play", und die Musik übt offenbar keine Wirkung auf ihn aus; er wippt weder mit dem Oberkörper noch mit den Beinen, statt mitzusingen klopft er aufs Zigarettenpäckchen, klemmt sich eine Filter zwischen die Zähne. Seine Augen lösen sich von uns, ihr Mädchen! wandern himmelwärts, während er sich die Zigarette anzündet, den Kopfhörer mit einer lässigen Handbewegung in den Nacken streift, das sind meine, sagt er, zeigt mit der Filter zum wolkenlosen Himmel, der Walkman spielt also ein Lied von irgendjemandem, der Bela nicht zu beeindrucken vermag, schaut euch das an, sagt er, und wir versuchen, seinem Bück zu folgen, seinen blauen, scharf gewetzten Augen, die nun das angemessene Faszinosum finden, seine überraschend kleine Hand, die mit dem qualmenden Ende der Zigarette auf einen Vogelschwarm zeigt, das sind zwar nur die hübschen Langweiler, sagt Bela, aber gleich werdet ihr die Richtigen sehen, und wir wissen natürlich, wer die Richtigen sind, nämlich seine Tauben, mit denen er seit Jahren fast jeden Wettbewerb gewinnt, wisst ihr, ich hab schon aus Deutschland und England Besuch bekommen, United Kingdom! Ich will nichts von denen, aber die wollen was von mir, na, was sagt ihr dazu?
Und weil Nomi und ich nicht antworten, nichts zu sagen wissen, sagt Bela: Business is international — Was? Business is international, das wahre Geschäft kennt keine Grenzen, merkt euch das, wenn du wirklich was drauf hast, dann kümmert's niemanden, ob du im Osten oder im Westen dein Häuschen hast, unsere Väter, die über die Politiker fluchen, wozu denn? Alles unwichtiger Scheiss, ihr werdet sehen, wir sind jung, wir werden sie noch erleben, die Freiheit! und Bela stützt seinen Ellbogen in die linke Hand, raucht in den Himmel, formt mit seinem prallen Mund Ringe, und wenn ihr das nächste Mal kommt, investieren bei uns jede Menge ausländischer Firmen, und denen sind die Politiker so was von egal, die business men werden entdecken, dass es bei uns etwas zu holen gibt, ihr werdet sehen!
Tante Icu wickelt ein paar Frikadellen, die von gestern übriggeblieben sind, in eine Serviette, legt sie in einen Korb, legt ein Stück Speck dazu, einen Laib Brot, ein gutes Dutzend Rosenkartoffeln, gelbe und grüne Peperoni, was meinst du, soll ich noch ein bisschen was von der Torte einpacken, fragt sie flüsternd, und meine Mutter antwortet, etwas Süsses kann nie schaden, oder doch? Tante Icu lacht, tätschelt ihren mächtigen Bauch, ich hab was zu tragen an mir! und sie schneidet ein grosses Stück von der Torte ab, legt es in eine Plastikschüssel, überdeckt sie mit einem Suppenteller, schaut sich nochmals in ihrer Speisekammer um, was könnten wir denn noch mitnehmen? fragt sie, hängt den kleineren Knoblauchzopf vom Nagel, verstaut ihn im Korb, so! und jetzt noch Kaffee, Zucker und ein Päckchen Rosenpaprika, dann können wir gehen.
Tante Icu, Mutter, Nomi und ich haben was vor, und die Männer sollen ruhig ihren Rausch ausschlafen in den oberen Zimmern, wie Tante Icu und Onkel Piri sagen, obwohl ihr Haus, wie alle anderen Häuser in der Gegend, ebenerdig ist (und manchmal sehe ich sie wirklich, wie sie Händchen haltend eine Treppe hochsteigen, um sich in ihren oberen Gemächern hinzufläzen, wahrscheinlich sehe ich sie, weil ich Onkel Piri unzählige Male darüber habe schwärmen hören, wie er das Haus irgendwann einmal, in einer unglaublichen Aktion! umbauen werde), die Männer schnarchen also in den hinteren Zimmern, wo die Rollläden im Sommer tagsüber nie hochgezogen werden, damit es schön kühl bleibt, und tut es trotzdem jemand, Tante Icu zum Beispiel, dann will sie einen schweren Schädel ärgern, ihren Piri, der so viel säuft, als wären seine Füsse immer am Verdursten, und wenn ihr Mann sich die Hand schützend vor die Augen hält, damit sein Mund umso hemmungsloser wüste Wörter speien kann, dann sagt Tante Icu gelassen, ab und zu brauchen meine Pflänzchen ein bisschen Licht, ausserdem hast du mir versprochen, den Maschendraht zu flicken, die Hühner picken mir meine Blumen weg! Ja, ja, und Onkel Piri zieht sich die Decke über den Kopf, und die schmalen Füsse, die zum Vorschein kommen, erzählen nichts darüber, dass da einer liegt, der so unglaublich viel gesoffen hat.
Es ist kurz vor sechs, als wir, in der Sommerküche stehend, einen Kaffee trinken, und Tante Icu zeigt auf die Fliegen, sagt, heute werde die Luft kochen, weil die Fliegen so früh schon wie verrückt im Zickzack herumtanzten, und obwohl ich noch ganz schlaftrunken bin, schaue ich meine schöne dicke Tante an, die in einem wild gemusterten Kleid vor mir steht, als seien die 70er Jahre noch in voller Blüte, und ich bin beeindruckt, dass sie die Fliegen, die mich nur nerven, in einen grösseren, mir unverständlichen Zusammenhang bringen kann. Kommt, wir müssen los, damit wir beizeiten wieder zurück sind, und Tante Icu packt ihren Korb, den ihr Mutter sofort wieder aus der Hand nimmt, ich bin ja die Jüngere! und Nomi und ich schultern unsere Taschen, die wir gestern mit Kleidern vollgepackt haben, und bevor wir das Tor öffnen, macht Tante Icu eine gebieterische Handbewegung zu den Hunden hin, damit sie es nicht wagen, an ihrem Zwinger hochzuspringen und zu bellen, sondern sich mit eingezogenen Schwänzen in ihre Hütten verziehen.
Kaum haben wir das Haus verlassen, haken sich Tante Icu und Mutter ein, fangen an, gedämpft miteinander zu reden, als hätten sie tagelang auf diesen Moment gewartet, und Nomi und ich, wir trippeln hinter ihnen her, lauern darauf, einen Fetzen ihres Gesprächs aufzuschnappen, Nomi, die jetzt offensichtlich aufgewacht ist, fragt, könnt ihr nicht ein bisschen lauter reden? Nein, antwortet Tante Icu und dreht den Kopf nicht einmal zu uns, ihr müsst nicht alles wissen, und das Wichtigste werdet ihr noch früh genug erfahren! Nomi ärgert sich, flüstert mir zu, dass die beiden ihre Hintern so einmütig schwenkten, als seien sie siamesische Zwillinge, und Nomi steckt mich mit ihrem Lachen an, aber schon bleiben die beiden stehen, und Mutter sagt verärgert über ihre Schulter hinweg, ihr seid zu alt, um so blöd zu kichern wie kleine Mädchen! Aber zu jung, um alles wissen zu dürfen, denke ich, und Nomi und ich, wir imitieren Mutter und Tante Icu in ihrem Gang, schneiden Faxen, verständigen uns mit Handzeichen, tun also genau das, was bescheuerte kleine Mädchen tun, einfach deshalb, weil wir zu gern mehr wüssten über Csilla, unsere Cousine, über die sich Mutter und Tante Icu garantiert unterhalten.
Was, unsere Csilla? sagte Mutter vor ein paar Monaten am Telefon, als Tante Icu sie von der Post aus anrief, völlig aufgelöst, weil Csilla mit irgendeinem Kerl abgehauen sei, sie habe nichts mitgenommen, nicht einmal Wäsche, und niemand wisse, wo sie sei. Onkel Piri, der daraufhin durchstartete und tagelang nüchtern blieb, kein Wort mehr redete, sich dann am Abend des Sankt Josef an den Küchentisch setzte, abwechslungsweise Brot und Speck auf die Klinge seines Klappmessers legte, so ein halbes Brot und ein grosses Stück Speck ass, und nachdem er fertiggegessen und ein Glas Soda getrunken hatte, verkündete er, er werde Csilla eigenhändig und schneller als jeder dummen Gans den Hals umdrehen, wenn sie sich hier, in seinem Haus, wieder blicken lasse. Über mehr als sieben Ecken hat Tante Icu erfahren, wo Csilla steckt, hat sie aufgesucht, sie angefleht, zurück zu kommen, sie solle ihren Vater um Verzeihung bitten, dann werde alles wieder gut. Aber die ist stur wie ein Bock, sagte Tante Icu, und Mutter konnte fast nicht auflegen, obwohl Tante Icu nichts anderes mehr tat als heulen, Mutter, die ihr versprechen musste, dass sie mit Csilla reden werde, das nächste Mal, wenn wir kämen, und das sei ja schon bald, auf dich wird sie hören, ganz bestimmt!
Csilla haut mit ihrem Liebhaber ab. Na und? was ist daran so schlimm? in unserer Verwandtschaft ist das ja schon einmal vorgekommen, das hast du uns doch erst kürzlich erzählt, sagten Nomi und ich einstimmig, als Mutter lange nachdenklich aufs Telefon schaute und ihre Hände auf den Tisch legte, als müsste sie sich versichern, dass da, unter ihren Händen, wirklich ein Tisch war, und in unserem winzigen Garten blühte der Forsythienstrauch, Mutter drehte ihren Kopf zum Fenster, zum gelben Regen, wie Nomi und ich den Strauch auf Ungarisch nennen, und sagte leise, habt ihr eine Ahnung, nein, ihr habt keine Ahnung, was das bedeutet, und ich wünsche es euch auch nicht, aber wie soll ich euch das klarmachen, wie es ist, wenn ein Vater so was sagt, er werde ihr den Hals umdrehen, seiner Tochter! ihr mit dem Schlimmsten droht, ihr könnt das nicht verstehen.
Nomi und ich waren es gewohnt, dass uns Vater mit Bruchstücken aus seiner Lebensgeschichte schachmatt setzte, aber Mutter hatte uns oft vor Vater in Schutz genommen, lass sie doch in Ruhe, du willst doch auch, dass sie ein besseres Leben haben als wir, Mutter, die uns jetzt zum ersten Mal zu verstehen gab, wir hätten von gewissen Dingen, die sich in unserer Heimat abspielen, keinen blassen Schimmer.
Wir müssen doch fragen, wenn wir keine Ahnung haben, sagte Nomi, oder kannst du mir sagen, was wir sonst tun können? und ich schaute zu Nomi, ich fühlte mich stolz und war überrascht, weil sie so etwas Treffendes sagen konnte; Mutter, die sehr merkwürdig antwortete, nämlich: Gut, ich werde euch etwas erzählen, aber ich rede zu den Pflanzen da draussen. Und weil Mutter zu den Pflanzen redete und nicht zu uns, schaute sie uns auch kein einziges Mal an, während sie erzählte. Und wie ihr wisst, stellen die Pflanzen keine Fragen, sagte Mutter noch, bevor sie zu reden anfing, uns die Geschichte erzählte, die für Nomi und mich seither Mutters Gelbe-Regen-Geschichte war, an die wir uns erinnerten, wenn wir begreifen wollten, dass jeder Mensch ein Geheimnis hat, sogar unsere Mutter, von der wir lange Zeit geglaubt hatten, wir kennen sie in- und auswendig.
Ich weiss nicht mehr, wie lange wir gegangen sind, wahrscheinlich fast eine Stunde, und Nomi und ich, wir hörten auf zu kichern, wir wurden immer stiller, weil uns die Gegend nicht mehr vertraut vorkam, die Häuser waren nicht mehr verputzt oder waren baufällig (ich erinnere mich an ein Dach, das so aussah, als hätte es die Hand eines Riesen eingedrückt), wir gehen und müssen auf jeden einzelnen unserer Schritte achten, und der holprige Gehweg mündet in einen Feldweg, Nomi zeigt auf den Abwasserkanal, in dem eine tote Katze liegt, Haushaltsmüll, sogar der Klatschmohn und die Feldblümchen sehen dreckig aus, woran das liegt, fragt mich Nomi, aber ich weiss es nicht, ich ahne nur, dass wir das, was wir bald sehen, nicht so leicht wieder vergessen werden.
Häuser, die aus Brettern, Wellblech, Kotflügeln, Stofffetzen, aus irgendwelchem Material gezimmert sind, ein paar offene Feuerstellen, überall schlammige Erde, obwohl es seit Tagen nicht mehr geregnet hat, es riecht nach Mist und Rauch und verbranntem Plastik und Urin und Hühnerdreck und Schweinekot, hier lebt jetzt meine Csilla, sagt Tante Icu und zeigt auf ein Haus, neben dessen Eingang ein dunkelrotes Fahrradgestell steht, soll ich mich dafür schämen, sagt Tante Icu zu Mutter und ruft laut: Csilla, Csilla, deine Tante ist da, deine Cousinen, komm schon! Und ich will mich nicht umschauen, ich will nicht zuviel sehen, ich möchte meine Augen irgendwohin drehen, zum Himmel vielleicht, damit ich die halbnackten, verdreckten Kinder nicht sehe, die ich sonst nur aus der Distanz kenne, ein paar Frauen, die uns mit rohen Augen beobachten, uns mit ihren Blicken die Kleider stehlen, unser gesunde Haut; ja, genauso sieht es hier aus wie beim Müllberg, da, wo die Zigeuner leben, ausserhalb der Kleinstadt, und weil ich schon ein paar Brocken Englisch kann, fällt mir wahrscheinlich ein englisches Wort ein, Slum, fällt mir der Film ein, den uns der Geschichtslehrer vor den Ferien gezeigt hat über die Vorstädte von Säo Paulo, aber hier ist nicht Säo Paulo, sondern meine Cousine Csilla, die uns mit verschlafenem Gesicht um den Hals fällt, sich sofort eine Zigarette anzündet, aus den Lücken ihrer Zähne raucht, dass ihr mich besucht, sagt sie, ich wusste es! und sie weint, verschluckt sich, küsst Mutter die Hände, Csillas Haare, die verbrannt aussehen, Nomi, Ildi, sagt Csilla, so ist es, wenn man sich unsterblich in einen Mann verliebt hat, aber jetzt kann ich euch meinen Csaba nicht einmal vorstellen, er ist schon früh raus, sagt sie und weint immer noch, schon gut, sagt Tante Icu, mach uns einen Kaffee, Tante Rózsa möchte mit dir reden.
Csilla, die uns also ins Haus führt, Kaffee ist keiner da, sagt sie, zieht den Rotz die Nase hoch, Tante Icu, die den Kaffee wortlos auf den Tisch stellt, Csilla, die den Kaffee und den Korb mit den Esswaren wortlos entgegennimmt, setzt euch, sagt sie, aber wohin? Unsere Cousine, die bei der Nachbarin zwei Stühle holt, wie kann sie hier leben, sagt Nomi leise zu mir, aber Tante Icu hat gute Ohren, das könnt ihr sie ruhig fragen, und Tante Icu atmet tief durch, wischt mit einem Lappen über den Tisch, und es ist schwer zu beschreiben, wie es da drinnen aussieht. Das liegt daran, dass ich die Dinge, die ich sehe, nicht so leicht identifizieren kann als Schrank oder Bett oder Abwaschtrog, an der Decke, wo überall Konservendosen an Schnüren hängen, sieht lustig aus, sage ich, es tropft, meint Tante Icu und sucht nach dem Kaffeekännchen, hier, sagt Csilla, als sie wieder reinkommt mit zwei Stühlen, und sie zeigt auf eine Holzkiste mit Geschirr, ein paar Gläsern, Tassen, Tellern. Setzt euch, sagt Csilla, setzt euch, damit ich euch bestaunen kann, und unsere Cousine küsst nochmals Mutters Hände, meine Herzenstante Rózsa, du siehst immer jünger und schöner aus! was tust du hier, meine liebe Csilla, fragt Mutter, während Tante Icu das Wasser aufsetzt, den Zucker abmisst, Nomi, die mit ihrem Blick am Fenster hängenbleibt, da, wo man sieht, was ein Fenster ist, nämlich ein Loch, das je nach Witterung mit einem dicken Plastik oder einem dünneren Stoff aus Flicken zugedeckt werden kann, und neben dem Fenster hängt ein Schwarz-weiss-Foto an einer Stecknadel, Tante Icu, Onkel Piri, Bela und Csilla, ein Bild, das ich am liebsten mitnehmen würde, ich würde das Bild immer bei mir tragen wollen, warum, weiss ich nicht, vielleicht, weil ich das Gefühl habe, das Foto trage ein winziges Stück Glück, einen Moment, in dem alles möglich zu sein scheint — Csilla, die ein kurzes, gepunktetes Sommerkleid trägt und ein Hütchen, Csilla, die der Mittelpunkt des Bildes ist, von Onkel Piri, Tante Icu und Bela umarmt.
Mutter, Tante Rózsa, die jetzt Csilla dieselbe Geschichte erzählt, die sie nicht uns, sondern den Pflanzen erzählt hat, nachdem Tante Icu sie vor ein paar Wochen angerufen hat.
Ich, die am herabhängenden Plastik, an den Tüchern vorbei ins Freie schaut, höre zu, höre der ruhigen, weichen Stimme von Mutter zu, wie sie die Geschichte einer jungen Frau erzählt, die eigentlich Lehrerin werden will, es aber nicht werden kann, weil zu Hause kein Geld da ist und ihr Vater es sowieso unnötig findet, eine Ausbildung, für ein Mädchen! und es seien schon genügend Verehrer da für die junge Frau, aber sie hat sich geschworen, wenigstens eine Lehre abzuschliessen, wenn sie schon nicht Lehrerin werden kann, und in dem Geschäft, wo sie ihre Lehre macht, lernt sie einen Mann kennen, der anders ist als alle anderen (einer ist immer anders, sagte Mutter und lachte), Imre Tóth heisst er, und wenn du wissen willst, warum sich die junge Frau in diesen Mann verliebt, dann gibt es darauf nur eine Antwort, wegen seinem Humor, er war schön in seinem Humor, sagt Mutter, das kann man sich gar nicht vorstellen. Der Imre wird eingezogen, zum zweijährigen Militärdienst, nach Kroatien, die junge Frau hat ein paar freie Tage an Pfingsten, sie reist mit dem Bus nach Kroatien, und ihr Vater tobt, natürlich hat sie ihm nicht gesagt, dass sie zu ihrem Geliebten fährt, ihr Vater brüllt vor Wut, weil sie so weit wegfahren will, allein, wahrscheinlich hat er doch etwas geahnt, die junge Frau hat nämlich plötzlich ein ganz anderes Gesicht, das kann sie nicht verstecken, ihre Mutter nimmt sie in Schutz, lass das Mädchen, wenn du sie nicht gehen lässt, wirst du sie für immer verlieren. Die junge Frau hat einen Fensterplatz, im Bus fühlt sie sich das erste Mal frei in ihrem Leben, und wenn mein Vater mich grün und blau schlägt, ich werde nichts bereuen, denkt sie und hat keine Angst, sie steigt fünf Mal um, und in jeder Sekunde denkt sie an ihren Imre, an die Stunden, die sie endlich mit ihm allein verbringen wird. Und der Imre holt sie ab, am Busbahnhof, er hält ein paar Blumen in der Hand, und die nächsten drei Tage sind so, dass die junge Frau niemandem darüber erzählen mag. Sie fährt zurück, mit Imres Versprechen, dass sie nach seinem Militärdienst heiraten werden, heiraten, und nichts wird so sein wie bei meinem Vater, denkt die junge Frau, er wird mich nicht schlagen, er wird mich nicht beleidigen, er wird gut sein zu mir, jeden Tag. Im gleichen Jahr stirbt ihre Mutter, was schwer ist für sie, weil sie alles an ihrer Mutter geliebt hat, sogar wenn sie schlechte Laune hatte, heute habe ich die Laune eines alten Hundes, sagte ihre Mutter dann und rümpfte ihre Nase, oder sie sagte, heute muss der Tag ohne mich auskommen (Tante Icu, die die Kaffees auf den Tisch stellte, sich neben Mutter setzte, ihr die Hand auf den Arm legte), es gäbe noch viel zu erzählen über die Mutter der jungen Frau, "meine über alles geliebte Mutter" lässt sie in den Stein eingravieren, ihr Vater zittert vor Wut, weil es viel Geld gekostet hat, der Stein, die Gravur, aber sie hat es selbst bezahlt, und das erzähle ich nur, sagt Mutter, weil die junge Frau spürt, wie sie mit dem Tod der Mutter auch einen umfassenden Schutz verliert. Wenige Tage nach der Beerdigung der Mutter weiss sie, dass sie schwanger ist. Sie erzählt ihrem Vater von Imre, nicht aber davon, dass sie in anderen Umständen ist, sie will prüfen, wie er reagiert, und ihm dann die ganze Wahrheit sagen. Du bist eine gewöhnliche Hure, das sagt ihr Vater. Ein paar Wochen später rennt er nach einem Streit mit einem Stössel aus Bronze auf sie los. Sie hat nach dem Tod ihrer Mutter für den Vater gewaschen, gekocht, das Vieh versorgt und hat ihn dann um Geld gebeten, um Holz zu kaufen, für den Herbst und Winter, und Mutter schlürfte ein bisschen Kaffee, bevor sie weiter erzählte, was? Geld willst du haben, flucht ihr Vater, versucht, sie mit dem Stössel zu schlagen, sie wehrt sich, weicht aus. Wenige Tage später verliert die junge Frau ihr Kind. Ihrem Vater kann sie sich in ihrem Schmerz nicht anvertrauen, er beschimpft sie seit jenem Streit fast täglich als Hure. Sie wartet auf den Tag, wo Imre aus dem Militär zurückkehrt. Imre kommt nicht. Erst viel später erfährt sie, dass ihr Vater Imre aufgesucht hat, ihm erzählt hat, seine Tochter habe mit einem anderen angebandelt, so leid es ihm selbst tue, er müsse ihm, von Mann zu Mann, die Wahrheit sagen. Und Imre? Die junge Frau will nicht glauben, dass er sie nicht selbst gefragt hat, er hat sie, von ihrem Vater beschmutzt, allein stehen lassen.
Wenn du etwas gegen den Willen deines Vaters tust, dann hast du die ganze Welt gegen dich, sagt Mutter, du musst dich mit ihm versöhnen, ihm wenigstens das Gefühl geben, dass du nichts über seinen Kopf hinweg entscheidest. Und: alles, was du tust, bleibt an dir hängen, verstehst du das? (aber Onkel Piri ist doch ganz anders, er ist nicht so, wie der Vater in deiner Geschichte; Mutter, die Nomis Einwand ignoriert), Csilla, die antwortet, sie respektiere Mutters Geschichte, sie danke ihr dafür, dass sie hierher gekommen sei, um ihr die Augen zu öffnen, aber ihr mache es nichts aus, hier zu leben, und neulich, im Schlaf, sei ihr ein Engel erschienen, der ihr gesagt habe, dass es ihre Bestimmung sei, mit ihrem Csaba in Armut zu leben, Armut, das sei nichts Schlimmes, und der Engel, er habe gesagt, er sei zwar ein Engel, aber er könne nicht fliegen, weil er einen gebrochenen Flügel habe, das sei doch ein Zeichen — Tante Icu, die mit einem Ruck aufsteht, so dass ihr mächtiger Bauch wackelt, mit ihren Fingern über ihr Kleid wischt, als hätte es jemand beschmutzt, Csilla, dass du mir mit den Engeln kommst! Sag deinem Engel, er soll dir den Unterschied zwischen Armut und Verwahrlosung erklären, behüte dich Gott vor solchen Eingebungen. Du weisst, dass meine Tür für dich offen steht, sagt Tante Icu, aber komm mir nicht mit den Engeln! und sie dreht sich grusslos weg; Mutter, die noch zwei Päckchen Zigaretten auf den Tisch legt, Nomi und ich, die Csilla flüchtig umarmen, als hätte sie eine ansteckende Krankheit, komm zurück, sagt Mutter, bitte!
Onkel Piri, der uns nicht glaubt, dass wir auf dem Markt gewesen sind, wie Tante Icu blumig erzählt, auch nicht, als wir Honigmelonen, gelbe Pfirsiche, türkischen Honig, ein Schälchen Himbeeren auf dem Tisch ausbreiten (die Männer ablenken, das ist ein Handwerk, das gelernt sein will, sagte Tante Icu), wenn ihr mir soviel Süsses auftischt, habt ihr etwas zu verbergen, sagt Onkel Piri, während Tante Icu ihm einen starken Kaffee braut (Vater, der immer noch "oben" schläft), ach, du bist mein Hellseher, sagt Tante Icu, ich wundere mich schon lange, dass du deine Begabung nicht zu Geld machst.
Onkel Piri legt sich ein zweites Kissen auf den Stuhl, setzt sich, bittet uns, Platz zu nehmen, und er legt die Hände übereinander, wartet schweigend, dass Tante Icu ihm einschenkt, und als der Kaffee vor ihm dampft, wir uns alle an den Tisch gesetzt haben, schiebt Onkel Piri sein Kinn nach vorn, fährt sich über die Bartstoppeln und sagt, im letzten Krieg, da hat man mir meine Schulter durchschossen, die Kugel ist rein und wieder raus; unser schöner, liebenswürdiger Onkel, der jetzt sein Sommerhemd aufknöpft, um uns die Stelle zu zeigen, die Wunde, seither ist mein linker Arm immer ein bisschen kälter als der rechte, sagt er und nippt an seinem Kaffee, seither spüre ich hier, genau an dieser Stelle, seht ihr? hier! was man vor mir verheimlichen will, und Onkel Piri langt nach seiner Mütze, knallt sie mit einem Schwung auf den Tisch wie einer, der einen Trumpf ausspielt, seine schwarzgrauen Borsten, die spitz von seinem Kopf wegstehen, jeden seiner Sätze bekräftigen, Onkel Piri, der sich vergisst, der uns vergisst — und die rohe Sprache, die wir von Onkel Piri kennen, hatte immer etwas Komisches, er habe keine Kopfschmerzen mehr, sagte Onkel Piri, wenn jemand gestorben war, Nomi und ich, wir haben gelacht, als unser Onkel über einen dummen Menschen sagte, er habe nur Schuppen im Kopf —, aber jetzt sitzen wir ganz still am Tisch, Nomi schaut schon lange niemanden mehr an, sondern fährt mit ihrem Zeigefinger das winzige Muster des Tischtuches nach, und ich, die auf die Plastikfrüchte starrt, die in einem Korb neben dem monströsen Radio aufgestellt sind, will diesen Tag jetzt schon aus meinem Gedächtnis streichen, wo Onkel Piri alle Derbheiten aufbietet, um seine Tochter zu verwünschen, die sich mit einem einlässt, der keinen Beruf, also kein Brot und kein Haus, nur einen Schwanz hat und der sei wahrscheinlich nicht grösser als derjenige eines Maulwurfs! Eines Maulwurfs? fragt Tante Icu, aber nicht so witzig, so leichtfertig, wie sie es sonst tut, ja, grüss Gott und verdammt noch mal, eines Maulwurfs oder eines Igels, wenn dir das lieber ist! Und es wird nicht mehr lange dauern, dann werden solche Männer wie Csillas Hundskopf von der Bildfläche verschwinden, alle reden ja davon, dass es bald Krieg geben wird, und das sind die ersten, die man einziehen wird in die jugoslawische Volksarmee, so einen Halb-Zigeuner heisst man willkommen, soll er doch kämpfen und krepieren für die Serben! Tante Icu, die nach der Fliegenklatsche schnappt, sie knapp neben Onkel Piris Hand niedersausen lässt, schade, ruft Tante Icu, hab sie nicht erwischt, da war gar keine Fliege, flucht Onkel Piri, aber deine schlechten Worte, siehst du sie nicht, da, auf meinem unschuldigen Tisch? Du-uuuu, ruft Onkel Piri so laut, dass der Holztisch vibriert, meinst du, du liebst deine Tochter, wenn du sie einem Nichtsnutz überlässt, ihn und sie durchfütterst?
Und was ist das für eine Liebe, wenn du dem Liebhaber deiner Tochter den Tod wünschst?
Sie hätte einen Soliden haben können, sagt Onkel Piri, und sein Blick verliert sich irgendwo zwischen Abwaschtrog und Namenskalender, dann packt er seine Mütze, steht auf, jetzt hat sie einen, den man als Kanonenfutter brauchen wird, so ist das, und Onkel Piri vergisst, sein Hemd zuzuknöpfen, aber die Mütze, seine mid, setzt er sich auf, schiebt mit einer raschen Handbewegung den Vorhang zur Seite, der die Grenze zwischen Küche und überdachter Veranda markiert, öffnet die Tür zum Hof, aber Csilla, Csilla ist für mich jetzt schon tot, ruft er, zu den Hunden, zu uns, hört ihr, ihr sollt es alle wissen! zu den Nachbarn, ich hatte einmal eine Tochter… Tante Icu, die sich bekreuzigt, ihm nachschaut, und du, sagt sie, du warst genauso als Kanonenfutter gedacht im letzten Krieg, als Ungar bei den Partisanen, wo du in deinem Petöfi-Regiment nicht einmal eine Waffe bekommen hast, aber du und deine Schulter haben das längst vergessen, mein Piri, aber ich nicht.
Und nachts, als alle anderen schon längstens schlafen, sagt Nomi, sogar das Bett hat sich verändert — oder die Nacht, antworte ich, und wir schlafen beide so lange nicht, bis es dämmert.