Mit unserem Mercedes Benz stehen wir an der Grenze, Tompa, so heisst der Grenzübergang, und obwohl der Stern des Fortschritts uns unübersehbar auszeichnet, müssen wir, wie alle anderen, warten, warten, bis man schwarz ist, und mein Vater kocht vor Wut, lässt mit einem surrenden Geräusch die Modernität ihren Dienst tun, und das Glas verzieht sich gehorsam, damit mein Vater seinen Ellbogen aufstützen, in die heisse Luft hinaus rauchen kann, und gleich verwandelt der gute, gerechte Gott unseren Mercedes in ein Luftschiff, in zwei, drei Augenblicken werden wir alle anderen mit unseren weissen Schwingen überflügeln, weil wir die Guten sind, im richtigen System leben, wir werden nicht nur aus der Reihe tanzen, sondern von weit oben auf diese gottlosen Kommunisten hinunterspucken, irgendwann, sagt Vater, die Zeit wird mir Recht geben, und wieder kommt es mir so vor, als hätte die Sonne hier mehr Platz zum Brennen, interkontinentales Klima, so nennt sich das, heisse Sommer, eiskalte Winter.
Mutter vergisst, den Seitengriff loszulassen, während Nomi und ich zum Zeitvertreib Wörter destillieren, weil wir schon schlau sind, weil wir wissen, dass es besser ist, Vater zu ignorieren. Tompa — Pat — Pam — Pot — Mot — Ma — Pa — Oma — Opa.
Tompa, der kleine ungarisch-serbische Grenzübergang, der in ein paar Jahren heillos überlastet sein wird, weil ab Mai 1992 das Embargo gegen Serbien und Montenegro verschärft, der internationale Luftverkehr aufgehoben wird und sich deshalb hier, beim winzigen Durchgang zum schwer erreichbar gewordenen Serbien, Tag und Nacht drastische Bus- und Pkw-Duelle abspielen werden.
Und hätten wir gewusst, was für ein Chaos an diesem Grenzübergang acht Jahre später, 1992, herrscht — tompa, das auf Deutsch "stumpf oder "dumpf heisst —, hätten wir wahrscheinlich nicht mehr weitergespielt, aber was hätten wir getan, wenn wir gewusst hätten, was hier geschieht?
"Top" haben wir vergessen, ja, antworte ich, und "Tom" und "Po". Und wir fangen an zu lachen, es beginnt mit einem leisen Kichern, einem Kichern, das immer lauter werden muss, weil wir uns gegenseitig anstecken, und das Kichern wird zu einem Glucksen, weil Vater so ernst in die Luft hinaus raucht, weil die Sonne unerbittlich auf das weisse Blech brennt, wir von der langen Fahrt übermüdet sind. Wenn ihr nicht sofort ruhig seid, übergebe ich euch den Kommunisten, jaja, denen da drüben, die so aussehen, als seien sie aus Stein gehauen, Mutter, die uns mit einem dringenden Blick bittet, still zu sein.
Und als wir endlich an der Reihe sind, blicken Nomi und ich mit Kindergesichtern in die strengen Augen des Grenzpolizisten, wir zeigen ihm, dass wir unschuldig sind, und nicht nur wir, sondern auch Vater; der aus Stein gehauene Kommunist bringt es fertig, dass wir ehrerbietig und wieder hellwach sind, er, der gelassen in unseren Pässen blättert, sich zwischendurch Zeit nimmt, seinen deutschen Schäferhund zu tätscheln, aber diesmal werden wir nicht so einfach davonkommen, fahren Sie bitte zur Seite, sagt der Polizist und macht eine minimale Handbewegung, die zeigt, dass er es ernst meint. Und diesmal werden wir Zeugen davon, dass es das wirklich gibt, die Untersuchung von Kopf bis Fuss.
Als wir endlich in der Kleinstadt einfahren, hat sich mein Vater noch nicht beruhigt, Nomi und ich drücken uns in den Rücksitz, mucksmäuschenstill und kraftlos hören wir den Wortschwall unseres Vaters, seine Flüche und Verwünschungen, und damals haben wir noch nicht begriffen, dass es nicht um Breschnew geht, der sich ins stinkende Knie ticken soll, nicht um die russischen Sportler, die sich mit ausgeklügeltem Doping Medaille um Medaille stehlen, nicht um die Zwiebeltürme, die ein Ausdruck von Kulturlosigkeit sind; erst viel später werden Nomi und ich verstehen, dass es hinter diesem ganzen Hass eine verschwiegene Geschichte gibt, die mitten in Vaters Herz führt, die Geschichte von Papuci, dem Vater unseres Vaters.
Diesmal werden wir unsere Schwester kennenlernen, wir gleiten an den Pappeln vorüber, den Akazien- und Kastanienbäumen, um die Bekanntschaft von Janka zu machen, die zum früheren Leben unseres Vaters gehört, Janka, unsere Halbschwester, die plötzlich im Fotoalbum klebte, als hätte sie schon immer dazugehört, wer ist denn das, fragte Nomi, und Mutter antwortete, das ist die Tochter deines Vaters, und natürlich dauert es eine gewisse Zeit, bis man begreift, was das heisst, die Tochter deines Vaters, das Kind aus erster Ehe; Vater hatte schon mal was mit einer anderen, witzeln Nomi und ich, um den kleinen, noch unbegreifbaren Schmerz nicht zu spüren, der im Wort "Halbschwester" verborgen ist, Janka also auf einem schwarz-weissen Bild, mit einer atemberaubenden Frisur, von deren höchstem Punkt ein winziger, aber markanter Schleier wegzuschweben scheint, die elegant gezähmten Locken, welche im Kontrast dazu und unübertroffen schön über die eine Schulter fallen, als könnte sie in ihrer Wildheit nichts bezwingen, und das soll unsere Schwester sein, fragt Nomi, Jankas Zeigefinger, der sich an einen ihrer breiten Nasenflügel schmiegt, so, als hätte sie gerade eine wichtige Frage erörtert, Hände, die ausserdem Spitzenhandschuhe tragen, und Nomis Frage prallt an Jankas Bück ab, Augen, die eine eigenwillige, ruhige Überlegenheit ausdrücken, uns zeigen, dass wir, Nomi und ich, noch weit entfernt davon sind, das Leben zu begreifen.
Und ich habe davon gehört, dass man aus dem Auto steigen kann, mit einem leichten Schwung, einer leichten Drehung im Körper, ich habe es bestimmt und schon mehrmals gesehen, wie sich der Brustkorb nach dem Aussteigen hebt, wie sich der Gesichtsausdruck in einer schwer zu beschreibenden Art mit der Maske der Gewissheit überzieht, dass man sich nun dem Recht zu schreiten hingeben kann, langsam, erhaben, und ich gebe dem weissen Blechflügel einen kräftigen Stoss, um mich rasch davonzustehlen, mich nicht den schamlosen, sehnsüchtigen Blicken der Kinder ausliefern zu müssen, die sich innert Sekunden um das Wunderwerk der Technik versammeln, mit offenen Mündern den Stern bestaunen, als wäre er mehr als eine Gabe Gottes, und ich habe es nie jemandem gesagt, dass ich mich in diesen Momenten auf eine ganz bestimmte Art elend fühle, mickrig, und wäre Gott neben mir gestanden, hätte ich ihn gefragt, ob er mir dieses Gefühl erklären könne, he, ruft Nomi, wart doch, nicht so schnell!
Wir treffen Janka nicht bei Onkel Móric und Tante Manci, auch nicht bei Mamika, sondern in einem winzigen Restaurant in der Nähe des Flusses. Und schon von weitem sehen wir sie, wie sie da steht, in einem zitronengelben Kleid, dessen luftiger Stoff mit dem lauen Sommerwind spielt, Janka, die sich schon vergrössern darf, hohe Schuhe trägt, da ist sie, sagt Nomi, und ich spüre meine kleinen Schritte, flüstere Nomi zu, dass ich ehrlich gesagt nervös sei, ich, die sich geschworen hatte, stolz zu sein, worauf? aber ja doch, der sandige Gehweg, an den ich mich genau erinnere, die Trauerweiden, die links und rechts den Weg säumen, und es war, als würden wir auf eine Geschichte zugehen, von der wir fälschlicherweise angenommen hatten, dass sie uns nichts, aber auch gar nichts angeht, das Leben unserers Vaters vor der Zeit unserer Mutter.
Hallo, sagen wir, hallo hallo (wie begrüsst man sich, wenn man sich zum ersten Mal sieht?), und Vater stellt uns vor, Janka, Nomi, Ildikö, Mutter, die sich bemüht, weiss, dass wir alle verklemmt sind, die das übernimmt, was eigentlich Vater übernehmen müsste, sagt, dass wir uns freuen, sie endlich kennenzulernen, Janka, die antworten kann, dass sie sich auch freut, Nomi und ich halten uns an unseren Getränken fest, Strohhalme haben wir leider nicht, sagt die Kellnerin und lächelt verlegen, und ich suche krampfhaft nach einer Frage, aber immer wieder sehe ich Jankas Foto vor mir, ihre fleischigen Lippen, die tatsächlich fleischig sind! ihr volles Haar, das in Wirklichkeit noch viel voller ist! ihre Augen, die sich bewegen, lebendig und vielfarbig sind, Jankas Lachen, das Zähne zeigt, die sich so scharf aus dem Bild herauslösen, als würde die Fotografie gar nicht existieren, und ich wünsche mir, dass wir einen Moment lang ganz still sind, nichts, nur wir, die da sitzen, uns möglicherweise nicht einmal anschauen, ich wünschte mir, dass wir die Angst vor der Peinlichkeit vergessen, uns einem Schweigen hingeben, das den Jahren entsprechen würde, die an uns vorbeigezogen sind, ohne dass wir voneinander wussten, und ich sitze neben Nomi, deren Geruch mir vertraut ist, deren Ohren ich kenne, Ohrläppchen, Bauchnabel, die, wenn ihr unwohl ist, ihre Hände unter den Schenkeln verstaut, ihren Rücken leicht krümmt, und Vater schnippt schon wieder mit dem Finger, um noch etwas zu bestellen, nein, ich will keine Limonade mehr, die mir Zähne und Zunge verklebt, aber Vater muss die Unsicherheit aus seinen Augen trinken, damit sie diesen trügerischen Glanz von "ich habe alles im Griff bekommen, und ich erinnere mich auch an die Kellnerin, die in ihren fersenfreien Gesundheitsschuhen aufgeregt hin und her trippelt, Vater, der natürlich erzählen muss, dass wir an der Grenze schikaniert worden sind, Mutter, die die in die heisse Sommerluft geschleuderten Anschuldigungen gekonnt ins Leere laufen lässt, wir haben dir ein Geschenk über die Grenze geschmuggelt, sagt Mutter und überreicht Janka ein Paket, wir haben's für dich eingepackt, sagt Nomi plötzlich, und ich frage mich, ob man das in so einem Moment sagen kann, vielen Dank, antwortet Janka, ihr hättet euer Leben nicht für mich risikieren sollen, und sie lacht, lacht über ihren eigenen Witz, denke ich, und was ist daran überhaupt lustig? Nomi stösst mir ihren Ellbogen leicht in die Seite, und natürlich sehe ich, dass Jankas Vorderzähne riesig sind, dass sich zwischen ihren Zähnen Spalten auftun, Abgründe des Hässlichen, kann man so überhaupt lachen?
Wir, die wir uns schon daran gewöhnt haben, verhalten oder gar nicht zu lachen.
Und wann wird es endlich vorbei sein, denke ich, wann können wir uns verabschieden, damit es wieder so ist wie vorher, aber ich weiss noch, dass der feine Wind im Restaurant fühlbar war, die warme Sommerluft, die die Wangen streichelte und uns zum Bleiben zu ermuntern schien, was hat Janka denn erzählt, in jenem August 1984? Sicher von der Schule, dass sie gerade das Abitur gemacht hat, von ihrem Freund hat sie wahrscheinlich nichts erzählt, und ihre Mutter hat sie bestimmt nicht erwähnt. Von ihren Plänen wird sie erzählt haben, ihrem Traumberuf, sie wird uns gezeigt haben, dass sie sich über unser Geschenk freut, über den Kassettenrecorder, ein Modell, das bei uns noch gar nicht erhältlich ist, wird sie gesagt haben, in zehn Jahren können wir vielleicht für so was Schlange stehen, so wird sie gestrahlt haben, all das wird so gewesen sein; aber die Trauerweiden haben für uns ein Lied gesungen, ich habe es genau gehört, sie haben für uns die müden, ausgedorrten Blätter in den Fluss hängen lassen, damit wir uns verstehen in unserem kleinen Kummer, der doch die Welt bedeutet, und obwohl ich mir den Text merken wollte, habe ich ihn vergessen, auch das habe ich vergessen.
Darf ich euch mal besuchen, fragt Janka zum Abschied, ich würde euch zu gern wiedersehen, sagt Janka, und die Schweiz, das soll ja das Land sein, in dem Milch und Honig fliessen, sagt sie, ich möchte von dieser berühmten Spezialität kosten, die ihr habt, wie heisst sie schon wieder? Oh, und niemand kann Janka antworten, weil wir nicht wissen, welche berühmte Spezialität sie meint, ja, wir werden dir alles zeigen, sagt Vater, du wirst staunen, was es bei uns alles gibt, und Janka lacht mit ihren verbotenen Zähnen, verkleidet den Kassettenrecorder wieder mit dem knirschenden Styropor, bevor sie uns der Reihe nach umarmt, und dann fängt sie wirklich an zu heulen, sie kann doch tatsächlich ihre Tränen nicht zurückhalten, meine Schwestern, sagt sie leise, wir werden uns doch bald wiedersehen, oder? Und es wäre mir lieber gewesen, sie hätte ihr Herz verschlossen, weil Nomi und ich wegen ihr so tun müssen, als seien wir aus Stein (und ich muss an die Attrappen denken, die als Fischköder ausgeworfen werden, damit sich der richtige, grosse Fisch in sie verbeisst), wir müssen sogar härter sein als der Grenzpolizist, sonst hätten wir möglicherweise auch geweint, unser Herz wäre so weich geworden, dass man es hätte aufs Butterbrot schmieren können, sonst hätten wir uns nicht wieder in unseren Mercedes gesetzt, Nomi und ich hätten uns nicht auf den Rücksitz gekniet, um Janka nachzuschauen, wie sie in ihrem zitronengelben Kleid allein dasteht, uns mit einer Hand und kleinen Bewegungen nachwinkt, jetzt sieht sie ganz verloren aus, sagt Nomi, und wir knien noch lange auf dem Rücksitz, auch als unsere Halbschwester längstens nicht mehr zu sehen ist.
Es war im gleichen Sommer, als wir Janka getroffen haben, ziemlich sicher, sonst war es ein Jahr später, Mutter und Vater sind bei Onkel Móric und Tante Manci zu Besuch, und Nomi und ich, wir helfen Mamika im Garten, Tomaten und Bohnen ernten, Kartoffeln, erzählen Sie uns etwas über Vater, sagt Nomi, Sie können wir ja fragen, Vater nicht, Mamika, die einen Moment lang innehält, ihre halb gefüllte Schürze mit gelben Bohnen, ihre schief getretenen, dreckigen Gartenschuhe, was willst du deinen Vater fragen, mein Mädchen, und Mamika leert ihre Schürze über der Emailleschüssel aus. Wegen dieser anderen Frau, wie war das, und warum hat er unsere Mutter kennengelernt? Und warum hat Gott die Welt erschaffen, sagt Mamika, lacht, richtet sich ihr Kopftuch, nicht ganz einfach, das zu erzählen, sagt sie, kommt, das reicht schon fürs Mittagessen, ihr helft mir beim Kochen, und ich erzähle euch etwas über Miklós, das, was ich weiss, und so viel ist das nicht.
Wir stehen um den winzigen Tisch in Mamikas Küche, neben dem Gasherd, Mamikas Küche, die gleichzeitig auch ihr Badezimmer ist, ein Lavabo mit einem winzigen Spiegel, eine Wanne mit Füsschen, die Mamika aber nie benützt (die reinste Wasserverschwendung), und unter der Wanne steht der blaue Nachttopf, in den wir manchmal nachts reinpinkeln, wenn wir uns nicht aufs Klo trauen, und zwischen der Wanne und dem Lavabo ist ein Fenster, das im Sommer meistens offen steht, ein am rechten unteren Eck gerissenes Moskitonetz, durch das die Mücken schlüpfen, ich muss doch endlich diesen Durchgangsverkehr unterbinden, meint Mamika, ihr Küchen- und Badezimmerfenster, das ich "mein schönes Fenster" nenne, weil ich da zum ersten Mal, an einem frühen Morgen, gesehen habe, wie schön das Licht sein kann, wenn es auf den Flickenteppich leuchtet, in eine ficke des Spiegels hinein; wir schälen Kartoffeln, putzen Petersilienwurzeln, und Mamika erzählt uns von Vater, von ihrem Miklós, und ich weiss gar nicht, ob es recht ist, weil er euch ja offenbar nichts erzählt hat über seine erste Frau, aber warum sollt ihr das nicht wissen? und während Mamika gleichmässig und ruhig spricht, schaut sie immer wieder Nomi an, mich, als müsste sie prüfen, ob sie ihre Erzählung fortsetzen kann.
Und so erfahren Nomi und ich, dass Vater irgendwas mit einer Frau anfing, die Ibolya hiess, nur die Ansichten, was Vater mit ihr hatte, gingen auseinander. Onkel Móric behauptete, Miklós habe sie angefasst und geküsst, nach einem Tanzabend, Miklós müsse jetzt konsequent sein und Ibolya heiraten, Onkel Móric, der nach dem frühen Tod von Grossvater, von Papuci, das Familienoberhaupt war, etwas, das Vater nie akzeptieren wollte, warum soll einer, nur weil er mein Bruder und sechs Jahre älter ist, über mein Leben bestimmen? Ibolya sagte, Miklós habe sie geküsst, aber sie wolle daraus keine Geschichte machen, sie sicher nicht, wenn Miklós sie nicht wolle, stünde sie ab von ihrem Recht und die Sache sei damit für sie erledigt. Miklós tobte, war wütend, was sich der Móric wieder einmische, der Móric kenne wahrscheinlich den Unterschied nicht zwischen Händchen halten und küssen, obwohl er ja schon längstens verheiratet sei, er jedenfalls wisse, was mit Ibolya vorgefallen sei, die Zigaretten hätten ihm geschmeckt, der Schnaps sei gut gewesen, und sie habe feine Hände, das sei schon alles (ihr wisst ja auch, wie euer Vater reden kann), also, es war nie klar, was da genau vorgefallen ist, und irgendwie schien sich die Sache zu verlaufen, aber dann, ein paar Monate später, setzte sich Miklós hier in meine Küche und sagte, er wolle die Ibolya heiraten, Mamika, die Vater gefragt hat, ob sie sich wieder versöhnt hätten und ob er sich denn in seiner Entscheidung sicher sei, Vater, der aufgestanden ist, um sich die Hände zu waschen, er kam gerade von der Arbeit, und als er sich dann wieder hinsetzte, sagte er, Ibolya und er hätten sich einfach aus den Augen verloren, und beim letzten Jahrmarkt seien sie sich wieder über den Weg gelaufen, und ja, er habe sich in sie verliebt, seine Entscheidung stehe fest. Wenn du meinst, sagte Mamika, ich will dir sicher nicht im Weg stehen.
Ein paar Monate nach der Hochzeit ging Vater immer seltener nach Hause. Er betrank sich, wo auch immer, bei Freunden, nach der Arbeit, Onkel Móric suchte ihn, prügelte ihn nach Hause, weisst du nicht, wo der Platz eines verheirateten Mannes ist? Und Mamika hat sich nicht eingemischt, erst, als Onkel Móric Vater so zugerichtet hat, dass er mit blutendem Gesicht auf der Strasse liegen blieb und sie jemand aus der Nachbarschaft mitten in der Nacht weckte, sie zu ihrem Sohn holte, den sie fast nicht erkannte und der immer noch nicht bei Sinnen war, den sie dann zu dritt in ihr Haus schleppten und den sie tagelang pflegte, bis er einigermassen wieder auf den Beinen war; Mamika, die ihre Söhne dann zu sich bestellte, sie im Namen von Papuci um eine Aussprache bat, sie, die sich ja sonst nicht einmische, aber jetzt, nach diesem Vorfall sehe sie sich dazu gezwungen. Aber die beiden, so erzählt Mamika und schneidet gleichzeitig die Kartoffeln in Hälften, schauten mich bloss an mit blöden Gesichtern, anders könne sie es nicht nennen, und haben geschwiegen. Die haben mir etwas verheimlicht, sagt Mamika, keine Banalität, sondern etwas ganz Grundsätzliches, und ich habe nie herausbekommen, was es war. Eure Tante Manci, die mich einmal, als wir uns zufällig auf dem Friedhof getroffen haben, zu einem Kaffee eingeladen hat, an einem Tag, wo der Wind zu warm war, Tante Manci schenkte Kaffee ein, ihre Zunge drehte sich so schnell, dass ich davon und von diesem Wetter Kopfweh bekam, mein Kopf platzt jetzt dann, liebe Manci, dann kannst du deine Wörter wieder einsammeln, habe ich gesagt, vor lauter Erschöpfung, und wisst ihr, was sie dann gesagt hat, einfach so, ohne Ankündigung? Der Móric sei in diese Ibi verliebt gewesen, das sei doch sonnenklar, aber er sei halt schon mit ihr verheiratet gewesen, und weil das so gewesen sei, habe er sich als Ehrenretter aufgespielt, aber mit Ehre undsoweiterundsofort habe das nichts zu tun, sie habe da ihre Kontakte, und der Miklós, der habe, als er das selbst gemerkt habe, seinem grossen Bruder eins auswischen wollen, und sie verstünde das, dem Móric müsse man, wenn man jeden Tag mit ihm zu tun habe, irgendwann mal eins auswischen, das wünsche sie sich schon lange. So, und was bist du für eine, wenn du der Mutter deines Mannes so etwas erzählst, habe ich zu Manci gesagt, und ich war dann überrascht, was mir die Manci geantwortet hat, das ist mir lange im Ohr geblieben, nämlich, gegenüber ihrer Mutter hielten die Geschwister wie Pech und Schwefel zusammen, aber sie, die Ehefrau, sei ja ein blindes, stummes Ding, dem man alles erzählen könne, die ganze Wahrheit. Welche Wahrheit, habe ich Manci gefragt. Mamika, jetzt wollen Sie, dass ich mich versündige, aber das tue ich nicht. Sie haben mir soeben noch gesagt, ich hätte schon genug geplaudert, von mir erfahren Sie nichts mehr!
Es ist sicher so, sagte Mamika, zwischen Ibolya, Móric und Miklós gibt es irgendein Geheimnis, das ich nicht kenne, und manchmal war ich darüber beunruhigt, vor allem deshalb, weil alles unverändert weiterging, Miklós hat gearbeitet, hat sein Geld versoffen, und wenn ich sage, dass er gearbeitet hat, heisst das, ja, er hat gearbeitet, aber nie lange an einem Ort, sie haben ihn überall rausgeschmissen, nach ein paar Wochen, allerhöchstens nach drei, vier Monaten. Auf der Geflügelfarm in Csóka hat er an einem Tag fast doppelt so viel gearbeitet wie alle anderen, versteht ihr, meine Mädchen, und Mamika wischt sich ihre Hände an der Schürze ab. Sein Chef hat ihn zu sich zitiert, Miklós, brennst du durch? du weisst, wie viel das Soll beträgt, warum arbeitest du wie ein Verrückter? Ich bin verrückt, hat mein Sohn geantwortet, ich arbeite, soviel ich kann. Gut, dann kannst du gehen. Eine von vielen Geschichten, und Miklós war vielleicht Mitte zwanzig, da wollte ihn niemand mehr anstellen, hier in der Gegend, und da fing euer Vater an, tageweise, stundenweise zu arbeiten, er hat in den Geschäften ausgeholfen, wenn jemand krank war, und die Leute holten ihn zu sich, weil der Miklós bekannt dafür war, dass er die besten Würste macht und am schnellsten arbeitet, innerhalb kürzester Zeit hatte er eine grosse Kundschaft, es gab niemanden, der Miklós nicht kannte, man war eben auch neugierig auf einen, der sich mit allen anlegte, also mit allen Offiziellen. Eine Zeit lang ging das gut, Miklós hat eine Menge Geld verdient, damit hat er sich ein Motorrad gekauft, nicht irgendeines, sondern eines aus dem Westen, aus Deutschland, und niemand wusste, wir er das geschafft hatte in so kurzer Zeit, und wieder war Miklós eine Ausnahmeerscheinung, und Mamika nimmt die Brille von der Nase, putzt sie mit der Schürze, und Nomi sagt, das Motorrad, ja! wir haben ein Foto in unserem Album, da sitzt Vater auf einem Motorrad, mit einem schicken Anzug, er hat die Arme verschränkt, hält eine Zigarette zwischen den Fingern und lacht, er lacht so, als wäre er glücklich. Ja, sagt Mamika, das Motorrad war sein grosses Glück.
Dann hat er Arbeitsverbot gekriegt, man drohte den Leuten, die Miklós zu sich holen würden, mit hohen Geldstrafen, es hiess, Miklós sei ein Konterrevolutionär, irgendein Dahergelaufener behauptete, Miklós verteile in den Häusern Flugblätter, stifte die Leute an, den Sozialismus zu sabotieren. Solche Dinge, sagte Mamika, könnt ihr euch das vorstellen? und Nomi und ich, wir sind sprachlos, wir können nicht einmal "nein" sagen.
Ihr kriegt mich nicht tot, das war die Antwort eures Vaters, und er hat angefangen, den Schwarzmarkt zu beliefern, was weiss ich, wie er zu den Waren kam, die er da angeboten hat, und wieder hat es gut funktioniert, man wusste, der Miklós bringt gute Ware, für viele war er ein Held, der Motor kommt, hiess es, euer Vater auf dem Motorrad.
Fast hätte ich jetzt Ibolya vergessen, mit Ibi, wie sie sie alle nannten, ging es nicht besser, im Park hat euer Vater übernachtet, auf der Bank, am Flussufer, bei einem Freund, überall, aber fast nie zu Hause. Manchmal kam er zu mir, da war es meistens schon früher Morgen, mein Junge, habe ich zu ihm gesagt, was ist los, nichts, hat er geantwortet, und einmal, es war Februar und es lag mindestens ein halber Meter Schnee, da setzte er sich zum Ofen, rieb sich die Hände, die Ibi kriegt ein Kind, sagte er und schaute mich nicht einmal an. Du wirst Vater, habe ich gesagt, nach einer Schreckensminute, weil mir der Miklós so gefühllos vorkam, warum habt ihr es so schwer, du und Ibolya? Sie lebt in ihrem Kopf, hat Miklós gesagt, und ich bat ihn, mehr zu erzählen, aber er schwieg.
Er hat nichts mehr erzählt?
Gar nichts, und Mamika erhitzt das Fett in der Pfanne, dünstet die Zwiebeln mit ein bisschen Salz, wir müssen die Suppe aufsetzen, sonst gibt's nichts, wenn eure Eltern zurückkommen, Nomi, die Mamika die Schüssel mit dem geputzten Gemüse hinhält, die Bohnen, Karotten, Petersilienwurzeln, und ich hole kaltes Wasser, reiche Mamika die Kanne, das zischende Geräusch, als Mamika das gedünstete Gemüse aufgiesst, so, und jetzt muss ich mich einen Moment lang hinsetzen, Mamika, die sagt, sie habe sich beim Erzählen so verloren in diese Ereignisse, die weit zurückliegen, und jetzt seien sie wieder da, als gehörten sie in die heutige Suppe, und Mamika lacht, reibt sich ihre graublauen Augen.
Janka wurde am ersten Oktobertag geboren, es war ein ungewöhnlich warmer Tag, und an diesem Tag hat Onkel Móric eurem Vater einen Stuhl über dem Kopf zerschlagen, weil er bei einem Freund sass, betrunken, ungewaschen, er hat ihn gepackt, am Kragen, an den Haaren, an den Ohren, er hat auf ihn eingeredet, ihn geküsst, ihn angefleht, aber euer Vater war schon lange bewusstlos. Ibolya lag auf der Entbindungsstation und Miklós bei den Männern, er hatte eine schwere Kopfverletzung, ich habe ihm die Krone aufgesetzt, sagte Móric, und wisst ihr, was ich getan habe? ich habe ihm eine gelangt, es ist genug, so habe ich geflucht, du benimmst dich wie ein schlechter Herrgott, ab jetzt lässt du den Miklós in Ruhe. Der Móric hat dann lange nicht mehr mit mir gesprochen, und ich war überzeugt, dass der Móric und der Miklós sich nie mehr aussöhnen würden, was dann auch lange genug gedauert hat.
Eurem Vater habe ich ins Gewissen geredet, er könne Ibi nicht so sitzen lassen mit dem Kind, er solle es nochmals mit ihr versuchen, und er hat mich angeschaut mit dem verbundenen Kopf, für Sie werde ich das tun, hat er gesagt; und er hat aufgehört zu trinken, er wurde nicht mehr gesehen, draussen, nachts, und ich habe den Herrgott gefragt, wie lange das dauern wird, nicht lange, ich wusste es, ein paar Monate hat es gedauert, dann hat der Miklós die Ibolya endgültig verlassen, die Scheidung eingereicht.
Ihr müsst mir jetzt etwas versprechen, und Mamika, die Nomis Hand nimmt und meine, unsere Hände, die ineinander liegen, ihr dürft nicht vergessen, dass ihr eine Schwester habt, mehr will ich gar nicht sagen, meine Mädchen, irgendwann werdet ihr mich verstehen.
Miklós war der erste in der Familie, der sich hat scheiden lassen, und wisst ihr, scheiden hiess, sich mit der ganzen Gemeinschaft anlegen. Schon wieder. Und ich hätte ihn am liebsten gevierteilt, so wütend war ich auf euren Vater, vor allem deshalb, weil es nicht lange ging, da hiess es, der Miklós habe eine andere.
Unsere Mutter?
Ja.
Eine, so hiess es, aus der armen Gegend. Ich hatte noch nie etwas gegen Arme, sagt Mamika, aber jetzt schon, ich war gegen sie, gegen diese neue Frau, es hiess, eine Schöne mit einem schlechten Ruf. Auch das noch, dachte ich, wenn sie wenigstens hässlich wäre, der Miklós lässt sich blenden, schon wieder, habe ich gedacht. Es war eine schwierige Zeit für mich, ich habe mir nicht mehr zu helfen gewusst, aber da hat mich mein Papuci besucht, in einer Nacht, er hat sich auf mein Bett gesetzt, und stellt euch vor, er trug seinen Sonntagsanzug, mit dem wir ihn beerdigt hatten, Mamika, die sich bekreuzigt, im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes; ich habe dich nicht erwartet, mein Vincent, habe ich gesagt, aber er hat nichts gesagt, euer Grossvater, er hat mir seine Hände hingehalten, und ich habe einen Moment lang gezögert, soll ich einem Geist meine Hände geben? so ging es mir durch den Kopf, aber dann habe ich es getan, und die Hände meines Papuci waren so warm, das kann ich euch gar nicht beschreiben, meine Mädchen, womöglich sass ich die ganze Nacht aufrecht im Bett, ich kann es euch nicht sagen, aber irgendwann merkte ich, dass mich fröstelte und Papuci verschwunden war.
Aber einen Geist kann man doch nicht anfassen, sagt Nomi, wenn man ihn anfassen will, dann ist er wie Luft, Nomi, die mit einer Hand ins Leere greift; ich weiss nicht, wie die Geister im Allgemeinen sind, mir ist der Papuci erschienen, und er war warm, vielleicht war er warme Luft, sagt Mamika, das ist nicht ausgeschlossen, Mamika, die im Topf rührt, eine Bohne herausfischt, so, jetzt können wir die Kartoffeln dazugeben.
Ich habe jedenfalls am nächsten Tag meinen Schatten gesehen, neben dem Ziehbrunnen, ich habe gedacht, Anna, was hast du für einen grossen Schatten, und wisst ihr, ich habe plötzlich gewusst, dass ich einen Schritt tun muss in eine Richtung, die mir eigentlich zuwider ist.
Mamika, die Miklós eingeladen hat, ihn und seine Geliebte; Vater und Mutter sind gekommen, sie haben sich an Mamikas Tisch gesetzt, Mutter, Rózsa, die Kaffee mitgebracht hat, eine Stimme und Augen, ich hatte sie sofort gern, erzählt Mamika. Und ein paar Monate später sind Miklós und Rózsa weggezogen, in eine andere Stadt. Wegen Ibolya?
Vielleicht auch, aber Miklós und Rózsa wollten neu anfangen, und an einem neuen Ort geht das sicher einfacher. Und das Gerede war, na ja, wie soll ich sagen, in dieser Zeit habe ich gelernt, dass es Menschen gibt, die liefern Gesprächsstoff, und die andern, die brauchen ihn. Wie halten Sie so einen Sohn aus, wurde ich gefragt, reden Sie überhaupt noch mit ihm. Nach solchen Fragen habe ich immer zuerst meine Brille abgenommen, einen Moment lang gewartet, und meistens habe ich dann gesagt:
Was würdest du mich jetzt fragen, wenn mein Sohn nicht wäre, und Mamika gibt einen grossen Löffel Fett in die Bratpfanne, das ist doch eine gute Antwort, findet ihr nicht? Ich glaube, es ist gut, dass ihr jetzt mehr über euren Vater wisst, Mamika, die das Mehl im Fett zum Schäumen bringt, die Pfanne vom Feuer nimmt, bevor sie süssen Paprika dazugibt, ich bin überzeugt, dass jeder Mensch mehr als ein Gesicht hat, und euer Vater, der hat fünf Gesichter, vielleicht hat er auch mehr, und Mamika rührt die Schwitze langsam in die Suppe ein, ich jedenfalls habe fünf Mal in meinem Leben gedacht, jetzt kenne ich ihn schon wieder nicht (und ich, die Mamika in die Augen schaut, Ildi, du fragst dich, wie viele Gesichter ich habe? ich weiss es nicht, das musst du mir sagen, verraten Mamikas Augen), eure Eltern haben ein kleines Lebensmittelgeschäft geführt, und da haben sie den Sändor kennengelernt, der schon mit seiner Frau in der Schweiz lebte, und der Sändor hat eure Eltern auf die Idee gebracht, in die Schweiz auszuwandern und nicht, wie ursprünglich geplant, nach Australien. Nach Australien?